Schahbesuch 1967 - Eckard Michels - E-Book

Schahbesuch 1967 E-Book

Eckard Michels

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der neuntägige Staatsbesuch des persischen Schahs Mohammed Reza Pahlavi und seiner Frau Farah im Mai/Juni 1967 wurde von bundesweiten Protesten begleitet, in deren Verlauf am 2. Juni der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg in West-Berlin erschoss. Über die historische Bedeutung des 2. Juni 1967 als Ausgangspunkt von »68« und als Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik ist bereits viel geschrieben worden. Doch der ursprüngliche Anlass der Proteste, der Schahbesuch, findet in den meisten Darstellungen kaum Berücksichtigung.
Eckard Michels rekonstruiert minutiös und auf breiter Quellenbasis Vorgeschichte, Planungen, Verlauf und Nachspiel dieses Staatsbesuches und der gegen ihn gerichteten Proteste. Der Autor liefert so die erste umfassende Geschichte des 2. Juni 1967 als innen- wie außenpolitisches Ereignis.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 498

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Eckard Michels

Schahbesuch 1967

Eckard Michels

Schahbesuch 1967

Fanal für die Studentenbewegung

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet

diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, Februar 2017

entspricht der 1. Druckauflage vom Februar 2017

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030)44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Cover: Eugen Lempp, Ch. Links Verlag; Protestierende und Neugierige beim Besuch des iranischen Schahs am Rathaus Schöneberg in West-Berlin, 2. Juni 1967; Foto von Max Scheler. © Max Scheler Nachlass, Hamburg

eISBN 978-3-86284-378-7

Inhalt

Einführung

1. Der Iran und die deutsch-persischen Beziehungen

Persien und der europäische Imperialismus

Die Errichtung der Pahlavi-Autokratie und die Modernisierung des Landes

Der Iran, das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg

Der Iran in der Hochphase des Kalten Krieges

Die Außenpolitik der Bundesrepublik und der Iran

Die Frauen des Schahs und die westdeutsche Öffentlichkeit

Krise und Stabilisierung der Schahherrschaft

2. Vorzeichen und Vorbereitungen für einen Staatsbesuch

Die Formierung einer iranischen Opposition in der Bundesrepublik

Die »neue Ostpolitik« des Schahs

Die deutsch-iranischen Beziehungen Mitte der sechziger Jahre

Einladung zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik

Die westdeutschen Studenten entdecken die Dritte Welt

»Persien, Modell eines Entwicklungslandes«

Staatsbesuche und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik

Programmplanungen für den Schahbesuch

Die Sicherheit des Schahs

Protestvorbereitungen auf Seiten der Studenten

Widerstandspotenziale am Vorabend des Schahbesuchs

3. Der Schah in Deutschland

Gegenseitige Erwartungen und letzte Weichenstellungen

Auftakt im Rheinland

München

Die Situation an der Freien Universität im Vorfeld des 2. Juni

Polizeiliche Planungen in West-Berlin für den Schahbesuch

Der 2. Juni

Ausklang in Norddeutschland

4. Heißer Sommer?

Interpretationen des 2. Juni

Die Mobilisierung und Radikalisierung der Studenten und ihre Grenzen

Die Freie Universität als Zentrum des studentischen »Widerstandes« und die Rolle der DDR

Diplomatisches Nachspiel

Zusammenfassung

Ein Staatsbesuch und seine Deutungen

Der Schahfaktor

Der 2. Juni 1967: Unmittelbare Wirkungen und spätere Erinnerung

Anhang

Anmerkungen

Abkürzungen

Archivalien

Darstellungen und veröffentlichte Quellen

Personenregister

Über den Autor

Einführung

»Wodurch? Schah – Kurras – Ohnesorg, das ist jedenfalls die kürzeste Erklärung, die ich geben kann, und zum Erklären sind sie allerdings geeignet [….]«, schrieb die Terroristin Gudrun Ensslin im September 1972 aus dem Gefängnis an ihre Schwester, um den Schritt in die Illegalität zu rechtfertigen.1 Ohne Zweifel steht der neuntägige Staatsbesuch von Mohammed Reza Pahlavi und seiner Frau Farah im Mai / Juni 1967 in der Bundesrepublik, vor allem aber dessen Zuspitzung am 2. Juni in West-Berlin, als der Polizist Karl-Heinz Kurras bei einer Demonstration gegen die Anwesenheit des iranischen Staatsoberhauptes in der geteilten Stadt den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, am Beginn des westdeutschen »roten Jahrzehnts«.2 Denn mit diesem Staatsbesuch und den Ereignissen des 2. Juni setzte, für die damalige westdeutsche Öffentlichkeit scheinbar plötzlich und unerwartet, eine Dekade ein, in der sich ein Teil der (akademischen) Jugend politisch radikalisierte. Eine kleine Minderheit endete im Linksterrorismus, der die Bundesrepublik bis zum »Deutschen Herbst« 1977 in Atem hielt, dem Höhe- und Wendepunkt in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Roter-Armee-Fraktion (RAF). Nicht nur für Ensslin als eine der Anführerinnen der 1970 entstandenen RAF bildete der Staatsbesuch des Schahs den Ausgangspunkt, um den Kampf gegen die Bundesrepublik zu begründen, die als »faschistisch« und gleichzeitig als Handlangerin des US-Imperialismus’ galt. Auch der Name einer weiteren, 1972 gegründeten linksterroristischen Gruppe, die sich schlicht »Bewegung 2. Juni« nannte, zeigte, dass ihre Mitglieder glaubten, der westdeutsche Staat habe erstmals anlässlich der Anwesenheit des iranischen Kaiserpaares seinen wahren Charakter gezeigt, weshalb man bewaffneten Widerstand leisten müsse.

Die überwältigende Mehrheit der Aktivisten und Mitläufer der Studentenbewegung glitt zwar nicht in den Linksterrorismus ab. Gleichwohl stellten auch für sie dieser Staatsbesuch und der 2. Juni die eigentliche Geburtsstunde ihres Engagements dar. Bei einer Umfrage des Spiegels im Jahre 1988 gaben beispielsweise 65 Prozent der Befragten, die 1967 Studenten gewesen waren, an, der 2. Juni habe sie »entscheidend« beeinflusst und politisiert.3 Als Folge entwickelte sich unter anderem der linksradikale Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) innerhalb weniger Wochen zum stärksten und wirkungsmächtigsten Verband an den Hochschulen. Parallel dazu erfolgte im Sommer 1967 der Aufstieg seines West-Berliner Mitgliedes Rudi Dutschke zum vermeintlichen Anführer der Protestbewegung. Die Darstellung der Demonstrationen gegen den Schahbesuch in den Zeitungen des Springer-Konzerns löste ferner die studentischen Kampagnen gegen das Verlagshaus aus.

Angesichts dieser Entwicklungen, die sich im Frühsommer 1967 vollzogen, erstaunt es nicht, dass die Ehemaligen der Studentenbewegung und die ihnen folgenden jüngeren Kohorten den zehnjährigen Jahrestag der Revolte 1977 begingen. Erst die darauffolgenden runden Jubiläen in der Bundesrepublik gedachten »1968« und nicht mehr »1967«.4 Ausschlaggebend hierfür war nicht nur, dass 1968 die Studentenbewegung mit dem Internationalen Vietnamkongress im Februar in West-Berlin, den bundesweiten »Osterunruhen« nach dem Mordanschlag auf Dutschke im April und den Protesten gegen die Ende Mai anstehende Abstimmung über die verfassungsändernden Notstandsgesetze im Bundestag ihren Höhepunkt erlebt hatte. Man konnte das spätere Jahresdatum auch besser mit den damaligen Anzeichen politischen Aufbegehrens andernorts synchronisieren: so etwa den Rassenspannungen in den USA nach der Ermordung des Bürgerrechtlers Martin Luther King im April 1968; den Studentenunruhen und dem Generalstreik im Mai in Frankreich; der Mobilisierung der Massen im Zuge des »Prager Frühlings« in der Tschechoslowakei bis hin zum Massaker der Polizei im Herbst 1968 an Dutzenden von Studenten in Mexiko-Stadt, die im Vorfeld der dort anstehenden Olympischen Spiele mehr Demokratie und Rechte gefordert hatten.

All diese Vorgänge ließen statt 1967 das Jahr 1968 als Schlüsseldatum einer global verbreiteten Unruhe und Aufbruchsstimmung unter der Jugend erscheinen,5 in welches man das westdeutsche Geschehen mit größerem zeitlichen Abstand besser einordnen konnte. Außerdem würden runde Jubiläen mit dem Referenzpunkt 1967 als Gedenkjahr in der Bundesrepublik fortan stets mit der Erinnerung an den Deutschen Herbst des Jahres 1977 als einem unliebsamen Erbe der Studentenbewegung konkurrieren. Das Gedenken an Letztere sollte nicht durch ihr linksterroristisches Spaltprodukt überschattet oder gar darauf reduziert werden. Die Verschiebung des zu erinnernden Datums seit den achtziger Jahren ändert jedoch nichts daran, dass in der Bundesrepublik der Frühsommer 1967 mit dem Schahbesuch und seinen Folgen der eigentliche Ausgangspunkt für all jene Phänomene gewesen ist, die man im Nachhinein als »1968« bezeichnet. Diese Chiffre wiederum steht je nach Standort bis heute entweder für eine damit einsetzende fundamentale politische Liberalisierung und kulturell-lebensweltliche Auflockerung der Gesellschaft oder für den Beginn ihres Werteverfalls und einer destruktiven politischen Radikalisierung nach links, die eher Reformprozesse blockiert als initiiert oder beschleunigt habe.6

Sosehr auch die Bedeutung des Schahbesuchs und des 2. Juni von Zeitgenossen wie Nachgeborenen gleich welcher Couleur, von Medien wie Historiografie als wichtige Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik akzeptiert oder betont wird, so wenig sind doch bislang diese wichtigen Ereignisse, ihre Hintergründe und unmittelbaren Wirkungen in umfassender Weise rekonstruiert worden. Existierende Darstellungen sind oft von den Veteranen von 1967 / 68 oder ihnen nahestehenden Chronisten verfasst und basieren auf einer begrenzten Auswahl (studentischer) Quellen. Sie verengen den Fokus auf die West-Berliner studentischen Akteure und den 2. Juni. Der Schah findet höchstens am Rande Erwähnung und bleibt merkwürdig blass. Er scheint aus dem Nichts über die geteilte Stadt gekommen zu sein. Auch entsteht der falsche Eindruck, die Studenten hätten nur in West-Berlin gegen seinen Besuch protestiert.7 Diese gleichsam als Nabelschau geschriebenen Studien überschätzen die historische Bedeutung der West-Berliner Studenten und Ereignisse. Sie blenden dagegen die schon vor dem 2. Juni durch den Staatsbesuch des Schahs ausgelösten bundesweiten studentischen Proteste sowie die überall zu verzeichnenden behördlichen Sicherheitsmaßnahmen aus, die wesentlich zur Zuspitzung in West-Berlin sowie der studentischen Deutung des Geschehens beitrugen. Ebenso wird in diesen Büchern die unmittelbare Wirkung des 2. Juni auf die Mehrheit der westdeutschen Studenten im Sommer und Herbst 1967 überschätzt oder einseitig dargestellt.8 Kurzum, man hat bislang viel über die vermeintlichen Folgen des Geschehens auf vergleichsweise dünner empirischer Basis geschrieben, gestritten und spekuliert, ohne die Vorgeschichte und den Verlauf der Ereignisse selbst genau in den Blick zu nehmen. Zum Thema dieses Buches passt daher das Urteil des Historikers Norbert Frei von 2008, das er in Bezug auf die Geschichte von »1968« in der Bundesrepublik fällte: »überkommentiert«, aber »untererforscht«.9

Die schlagzeilenträchtige Enthüllung im Mai 2009, dass der Todesschütze Benno Ohnesorgs seit 1955 ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ost-Berliner Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen war,10 zeigte das anhaltende Interesse der Öffentlichkeit am 2. Juni. Sie verdeutlichte zugleich, wie sehr sich das Ereignis und damit »1968« und seine Folgen auch im 21. Jahrhundert noch zur geschichtspolitischen Polemik eignen. So ist die IM-Tätigkeit von Karl-Heinz Kurras teilweise mit einem Auftragsmord durch die Stasi gleichgesetzt worden, mit dem die DDR gleichsam die westdeutsche Studentenbewegung aus der Taufe gehoben habe, die ohne diese Tat gar nicht in diesem Umfang und in ihrer linksradikalen Ausprägung hätte entstehen können. Oder man hat die Enthüllung als Chance begriffen, einmal mehr auf die angeblich weit verbreitete Unterwanderung der »Außerparlamentarischen Opposition« (APO) durch SED und MfS hinzuweisen. Die APO sei mithin in erheblichem Maße ein fremdgesteuertes Phänomen gewesen und entbehre daher rückblickend jeglicher politischen Berechtigung.11 Trotz aller medialen Aufgeregtheit trägt die Erkenntnis von Kurras’ Stasi-Vergangenheit, wie dieses Buch zeigt, nicht zum besseren Verständnis des Geschehens während des Schahbesuchs oder seiner Folgen bei.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen ist es überfällig, die verschiedenen Handelnden – Deutsche, Iraner, Repräsentanten der Regierungen, der Medien oder der Protestbewegung – und ihre mit dem Staatsbesuch verbundenen Absichten näher zu betrachten. Denn sie reagierten wie in einem System kommunizierender Röhren aufeinander, was nicht zuletzt zur Eskalation während des Staatsbesuchs und zur anschließenden langanhaltenden Entfremdung zwischen Staatsmacht und einem Teil der Studenten führte. Durch die systematische Auswertung der einschlägigen Archive treten wichtige Aspekte und Akteure, die zum Verstehen des Geschehens beitragen, deutlicher als bislang hervor. So ist erstaunlicherweise die Geschichte des Schahbesuchs und des 2. Juni bislang ausschließlich als interne westdeutsche Angelegenheit erzählt worden, während man die iranische Seite und die diplomatische Dimension des Geschehens gänzlich ausgeblendet hat. Dabei ist ein Staatsbesuch per se zunächst einmal ein bilaterales, zumeist langfristig geplantes Unterfangen, zu dessen Zustandekommen, Erfolg oder Misserfolg und öffentlicher Wirkung zwei Nationen und die jeweilige weltpolitische Konstellation beitragen.

Dieses Buch wirft folglich eingangs einen Blick auf den Iran unter der Pahlavi-Autokratie und auf die Reisediplomatie des Schahs in der Ära der Ost-West-Entspannung. Dadurch werden die Bedeutung des Iran für die Bonner Außenpolitik, die Wahrnehmung der persischen Monarchie in der westdeutschen Öffentlichkeit und Studentenschaft sowie die hinter der Einladung des Schahs stehenden Absichten der Bundesregierung ebenso deutlich wie die Entstehung und Wirkungsmöglichkeiten der gegen den Schah gerichteten iranischen Opposition. Diese hatte sich seit den frühen sechziger Jahren in der Bundesrepublik besonders stark ausgeprägt. Ferner wird gezeigt, welchen Einfluss das Schahregime sowie die iranische Opposition auf die Vorbereitung und den Verlauf des Staatsbesuchs nahmen. Außerdem stellten Staatsbesuche bis 1990 national wie international eine Bühne zur Austragung des innerdeutschen Systemkonfliktes dar. Welche Rolle kam also im Vorfeld, während und nach dem Staatsbesuch der DDR zu, abgesehen von der Tatsache, dass der West-Berliner Polizist Kurras zugleich im Lohn der Stasi stand? Unter Berücksichtigung dieser vielfältigen Faktoren lässt sich besser abschätzen, inwiefern bei der Formierung des studentischen Protestes eine genuin gegen die Verhältnisse im Iran gerichtete Motivation ausschlaggebend gewesen ist und persische Akteure das Geschehen mitbestimmten.

Wenig Konkretes hat man bislang in den historischen Darstellungen über Art, Verlauf und Umfang der studentischen Mobilisierung nach dem 2. Juni erfahren. Mein Buch stellt im letzten Kapitel dar, wie die Ereignisse während des Schahbesuchs in den folgenden Wochen und Monaten von den Studenten interpretiert sowie von ihren (West-Berliner) Wortführern instrumentalisiert wurden und mit welchen Mitteln diese Deutungen Verbreitung fanden. Warum konnte die vor allem vom SDS zugespitzte Darstellung des 2. Juni und dessen angeblicher Hintergründe bei einem Teil der Kommilitonen auf einen so fruchtbaren Boden fallen, dass die Vorfälle noch Jahre später dem westdeutschen Linksterrorismus als Rechtfertigung für seine mörderischen Aktivitäten dienten? Es werden aber zugleich die Grenzen studentischer Mobilisierungsbereitschaft und Radikalisierung im »heißen Sommer« 1967 deutlich.12 Ferner wird gezeigt, inwiefern die DDR, der manche Autoren nach der Enthüllung von Kurras’ IM-Tätigkeit gleichsam die Verantwortung für die Eskalation am 2. Juni und deren Folgen zugeschrieben haben, überhaupt von dem dadurch angestoßenen Politisierungsschub in der westdeutschen Studentenschaft profitierte. Das Kapitel schildert abschließend, wie sich die Proteste während des Staatsbesuchs auf das deutsch-iranische Verhältnis und die Position Mohammed Reza Pahlavis auswirkten.

Dieses Buch nähert sich also Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des 2. Juni 1967 mit einem geweiteten historischen Blickwinkel, der innen- wie außenpolitische Aspekte einbezieht, der Staat und Protestbewegung sowie deutsche und iranische Akteure und ihre Interessenlagen gleichermaßen berücksichtigt. Es löst sich von einem bislang dominierenden isolierten Fokus auf die Situation in West-Berlin und die Intentionen und Wahrnehmungen einer kleinen radikalen Minderheit der Studenten und greift stattdessen chronologisch, geografisch und gesellschaftlich weiter aus. Auf diese Weise wird besser verständlich, warum und in welchem Maße ein auf den ersten Blick untergeordnetes diplomatisches Ereignis – eine in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre durchaus übliche Bonner Einladung an einen Diktator aus der Dritten Welt – zu einer Zäsur in der westdeutschen Geschichte wurde.

1. Der Iran und die deutsch-persischen Beziehungen

Persien und der europäische Imperialismus

Im 19. Jahrhundert wurde Persien, das über zweieinhalb Jahrtausende wiederholt die Rolle einer regionalen Vormacht im Mittleren Osten eingenommen hatte, zum Spielball des europäischen Imperialismus. Vom Norden drängte Russland vor und annektierte bislang unter persischer Oberhoheit stehende georgische, armenische und aserbaidschanische Gebiete. Am Persischen Golf setzte sich Großbritannien fest, indem es begann, eine Reihe von Verträgen mit den dortigen Emiraten wie Kuweit, Katar und Bahrain abzuschließen und einen Flottenstützpunkt aufzubauen. Damit sollten vor allem die maritimen Handelswege nach Indien abgesichert werden. Persien selbst war seit seinem Niedergang im 18. Jahrhundert als Folge von externen Kriegen und inneren Wirren in wirtschaftlicher Hinsicht für die europäischen Mächte eher uninteressant. Das Land mit etwa sechs bis acht Millionen Einwohnern stellte nur ein geostrategisches Schachbrett dar, auf dem die beiden wichtigsten Großmächte jener Zeit ihre Kräfte beim Ringen um die Dominanz in Zentralasien und darüber hinaus maßen, ein Wettstreit, der als »Great Game« in die Geschichte eingegangen ist.

1907 einigten sich diese beiden Großmächte in einem Versuch, ihre weltweite Konkurrenz beizulegen und sich stattdessen auf die vom aufstrebenden Deutschen Reich ausgehende Gefahr zu konzentrieren, auf einen Interessenausgleich im Iran. Russland sollte den größeren nördlichen Teil inklusive Teherans, Großbritannien die südlichen Provinzen des Landes dominieren. Zwischen diesen beiden Einflusssphären duldeten die Mächte als Puffer eine »neutrale« Zone. Immerhin bewirkte diese britisch-russische Großmachtrivalität im 19. und frühen 20. Jahrhundert, dass der Iran, wie im Übrigen auch das davon ebenfalls betroffene Afghanistan, selbst im Zeitalter des Hochimperialismus formal unabhängig blieb.13

Im Mai 1908 entdeckte der britische Geschäftsmann William Knox d’Arcy in der Provinz Khuzestan im Südwesten Persiens umfangreiche Erdölvorkommen. Die Teheraner Regierung hatte ihm für ein geringes Entgelt 1901 eine Konzession auf 60 Jahre zur Ausbeutung des Rohstoffs für einen Großteil des Landes erteilt. Nach diesem Fund wurde Knox d’Arcy Direktor der 1909 gegründeten Anglo-Persian Oil Company (APOC), Vorläuferin des heutigen Konzerns British Petroleum (BP), die fortan das »schwarze Gold« förderte. Die Bedeutung des Rohstoffs stieg für Großbritannien stark, als die Royal Navy am Vorabend des Ersten Weltkriegs den Antrieb ihrer Kriegschiffe von Kohle auf Öl umzustellen begann. Daher übernahm bereits 1913 der britische Staat die Aktienmehrheit an der APOC. Erst durch das Öl erhielt der Iran in westlichen Augen auch eine wirtschaftliche Attraktivität. Das Land blieb jedoch von den Entscheidungen über die Ausbeutung der Quellen sowie die Vermarktung des Produktes ausgeschlossen und erhielt nur einen geringen Prozentsatz der erzielten Gewinne.14

In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Iran nach neuen Verbündeten zu suchen. Sie sollten die dominante russische und britische Präsenz im Land aushebeln. Für diese Rolle bot sich zunächst Frankreich an, das beispielsweise beim Aufbau eines modernen zivilen wie militärischen Bildungswesens im Lande Modell stand.15 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts fiel der Blick des Iran zudem auf das Deutsche Reich als neu gegründete Großmacht. Mit ihm schloss Persien 1873 einen Freundschafts- und Handelsvertrag ab, und man nahm diplomatische Beziehungen auf. Die Schahs Nasir al-Din und Muzaffar al-Din der seit Ende des 18. Jahrhunderts regierenden Kadjaren-Dynastie besuchten zwischen 1873 und 1905 sechs Mal teils in offiziellen, teils in privaten Visiten das Reich, um es für ihr Land zu interessieren. Allerdings zeitigte dieses Werben kaum Erfolg: In Berlin hielt man den Iran für zu unbedeutend, um durch ein stärkeres Engagement in diesem Land die Beziehungen vor allem zu Russland zu strapazieren. Folglich wurden die beiden Schahs, die man eher als unerwünschte Bittsteller ansah, bei einigen ihrer Besuche nur von untergeordneten Chargen des Auswärtigen Amtes (AA) abgefertigt, ohne zum Gespräch mit dem Kaiser oder Reichskanzler vorgelassen zu werden.16

Im Jahre 1905 formierte sich in den Städten des Iran eine Protestbewegung, die die theoretisch absolute, tatsächlich aber zerfallende Herrschaft der schwachen Schahs konstitutionell einhegen und das Land zugleich vom übermächtigen Einfluss des Auslandes befreien wollte. Der Konflikt zwischen den Kräften der Reform und der Beharrung leitete eine zwei Dekaden andauernde Periode blutiger innerer Auseinandersetzungen ein. Hinzu trat im Ersten Weltkrieg die militärische Besetzung durch die verbündeten Entente-Mächte Russland und Großbritannien, obwohl der Iran bei Ausbruch des Konfliktes seine Neutralität erklärt hatte. Deutsche Offiziere und Diplomaten versuchten weitgehend erfolglos, ethnische Minderheiten im Norden und Süden des Landes zum Aufstand gegen Teheran und die britische und russische Präsenz im Lande zu animieren. Diese Aktionen waren Bestandteil einer im AA nach Kriegsbeginn entworfenen Revolutionierungsstrategie, mit der die Muslime von Marokko bis Indien, vom Kaukasus bis Ostafrika gegen ihre britischen, französischen und russischen Kolonialherren aufgewiegelt werden sollten.17 Auch von den Wirren der Russischen Revolution blieb Persien nicht verschont: Bolschewistische Truppen besetzten 1920 / 21 die Provinz Gilan im Norden, nachdem diese als Zufluchtsort für weißrussische Truppen gedient hatte, und riefen dort eine Sowjetrepublik aus. Dies verlängerte wiederum die britische militärische Präsenz im Rest des Landes, um die vom Norden ausgehende kommunistische Gefahr einzudämmen.

Die Errichtung der Pahlavi-Autokratie und die Modernisierung des Landes

Um dem fortschreitenden staatlichen Verfall Einhalt zu gebieten, kürte im Dezember 1925 die Majlis, das 1906 geschaffene iranische Parlament, Reza Pahlavi zum Schah einer neuen Dynastie. Er regierte seit einem Militärputsch im Jahre 1921 das Land schon de facto, während der letzte, kraftlose Throninhaber der Kadjaren-Dynastie bereits seit einiger Zeit im Ausland weilte. Der 1878 geborene, energische Reza Pahlavi kam aus einer mittellosen Soldatenfamilie. Er hatte seine Karriere als Unteroffizier ohne Lese- und Schreibkenntnisse in der von russischen Offizieren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgebauten persischen Kosakenbrigade begonnen. Sie galt als Elitetruppe des iranischen Heeres. Dank britischer Protektion stieg er 1919 zu ihrem Kommandeur auf. Nach dem Putsch von 1921, bei dem die Kosakenbrigade die Speerspitze bildete, bekleidete Reza Pahlavi zunächst den Posten des Kriegsministers, sodann jenen des Premierministers, bevor er es zum Herrscher der ältesten existierenden Monarchie der Welt brachte. Großbritannien begrüßte diese Wahl, denn einen relativ starken Monarchen sah die Regierung in London zu diesem Zeitpunkt als besten Garanten, den sowjetischen Einfluss im Iran zu begrenzen.

Der neue Schah regierte zunächst mit Unterstützung der Majlis und weiter Teile der iranischen Öffentlichkeit. Er wurde als tatkräftiger nationaler Retter nach Jahrzehnten des Niedergangs und der inneren Auflösung des Reiches betrachtet. Doch schon bald trat Ernüchterung ein: Reza Pahlavis Regierungspraxis höhlte die 1906 erlassene Verfassung aus, welche der Macht der Schahs Grenzen setzte. Er errichtete eine Diktatur. In autokratischer Manier, inspiriert vom parallel in der Türkei wirkenden Mustafa Kemal, versuchte Reza Pahlavi den Iran mittels einer Art Rosskur zu modernisieren. Dazu gehörten der Aufbau staatlicher Industrien und weltlicher Bildungsinsitutionen und Gerichte, die Einführung der Wehrpflicht sowie die Unterwerfung der nomadischen Stämme wie der Kurden, Balutschen, Hazara und Bakthiaren in den Grenzregionen. Den Anspruch auf nationale Souveränität unterstrich das Land 1928 durch die Abschaffung der sogenannten Kapitulationen. Diese hatten seit dem 19. Jahrhundert Europäern im Lande Freiheit vor der Strafverfolgung durch die persischen Behörden zugesichert. Außerdem forderte der Schah einen größeren Anteil an den Erdöleinnahmen der APOC. Diesen erhöhten die Briten jedoch nach langwierigen Verhandlungen in einem neuen, 1933 auf 60 Jahre abgeschlossenen Konzessionsvertrag nur geringfügig von bislang 16 Prozent auf nunmehr 20 Prozent. Der Schah setzte 1935 die offizielle Umbenennung des Landes in Iran durch, was »Land der Arier« bedeutet, so dass die APOC zur Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) mutierte.18

Zugleich bereicherte sich die Pahlavi-Familie seit 1925. Sie stieg innerhalb weniger Jahre zum größten Grundbesitzer des Landes auf. Die Monarchie an sich entfaltete wenig Pracht, was nicht zuletzt Ausdruck der generellen Verarmung des Landes vor dem in den fünfziger Jahren einsetzenden Ölboom war. Die erste Frau des designierten Thronfolgers Mohammed Reza Pahlavi, die ägyptische Prinzessin Fawzia, mit der er 1939 die Ehe schloss, fand den Teheraner Hof im Vergleich zu dem ihres Bruders König Faruk in Kairo provinziell und ärmlich. Die zweite Frau Mohammed Reza Pahlavis, Soraya, die er 1951 heiratete, zeigte sich erstaunt, dass die Paläste des Schahs wenig mit dem märchenhaften Reichtum aus tausendundeiner Nacht zu tun hatten.19

Am Ende des Ersten Weltkriegs erhielt Großbritannien aus der Erbmasse des untergegangenen Osmanischen Reiches in der kaschierten Form der neu geschaffenen Völkerbundsmandate die Kontrolle über Jordanien, Palästina und den Irak. London erreichte damit den Zenit seines Einflusses im Mittleren Osten. Die durch den Bürgerkrieg geschwächte Sowjetunion konnte, anders als zuvor das zaristische Russland, dem dominaten britischen Einfluss im Iran vorerst wenig entgegensetzen. Sie versuchte daher nach dem Abzug ihrer Truppen aus Gilan, das Verhältnis zum Iran auf eine neue, gleichberechtigtere Basis zu stellen. Der neue Ansatz fand im 1921 geschlossenen Freundschaftsvertrag seinen Ausdruck, in welchem Moskau auf alle aus der Zarenzeit herrührenden Vorrechte verzichtete. Reza Pahlavi galt in Moskau und daher auch der 1920 gegründeten Iranischen Kommunistischen Partei (IKP) vorerst als fortschrittlich.

Der Iran versuchte, sich aus der erdrückenden politischen Bevormundung und der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Großbritannien mit Hilfe einer anderen Macht zu befreien. Die erste Wahl wären die USA gewesen. Sie erfreuten sich im gesamten Mittleren Osten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eines hohen Ansehens als kraftvolle, antikolonial eingestellte Nation. Doch dieser Wunschpartner zog sich vorerst in die Isolation zurück, frustriert über die von Frankreich und Großbritannien durchgesetzte Nachkriegsordnung in Europa und den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches. Daher versuchte Teheran erneut das Deutsche Reich zum verstärkten Engagement im Iran zu animieren. Mitte der zwanziger Jahre stattete beispielsweise die Berliner Maschinenfabrik Fritz Werner das Teheraner Arsenal aus. Dieses stellte kleinkalibrige Waffen und Munition für die expandierende iranische Armee her, die sich zur wichtigsten Stütze der Pahlavi-Dynastie entwickelte. Deutsche Firmen halfen wesentlich beim Bau der 1938 fertiggestellten, 1400 Kilometer langen transiranischen Eisenbahn, welche, durch Teheran führend, das Kaspische Meer mit dem Persischen Golf verbindet. Ferner unterstützte das Reich seit 1927 die Errichtung einer iranischen Nationalbank. Die beiden ersten Direktoren der »Bank Melli« genannten Neugründung waren Deutsche. 1929 unterzeichneten Deutschland und Persien einen neuen Freundschaftsvertrag, der den inzwischen abgeschafften Kapitulationen Rechnung trug.

Berlins Interesse an dem Land hielt sich jedoch nach wie vor in Grenzen: Die eigene machtpolitische Schwäche nach 1918, die eine Konzentration auf europäische Belange erzwang, die unterentwickelte iranische Wirtschaft sowie die Befürchtung, durch ein zu großes Engagement in Persien Großbritannien zu verärgern, waren hierfür entscheidend.20

Der Iran, das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg

Während bis 1933 der Iran auf eine Intensivierung der beiderseitigen Beziehungen gedrängt hatte, übernahm nun das Deutsche Reich eine aktivere Rolle. Das NS-Regime betrieb nach einer Phase der inneren Machtkonsolidierung seit der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre eine offen aggressive Außenpolitik. Diese Außenpolitik diente letztlich der Vorbereitung für einen neuen Krieg. Ab 1933 fiel daher sukzessive die bisherige deutsche Rücksichtnahme auf die Interessen und Stellung von UdSSR und Großbritannien im Iran weg. Das neue, stärkere deutsche Engagement fand grundsätzlich die Zustimmung des Schahs, dem jeder Partner recht war, um sich aus der britischen Umklammerung zu befreien, zumal die Verhandlungen mit der APOC um eine stärkere Beteiligung an den Öleinnahmen für den Iran zu einem enttäuschenden Ergebnis geführt hatten. Wie schon seit Ende des 19. Jahrhunderts dienten die deutsch-iranischen Beziehungen Berlin wie Teheran vor allem dazu, das jeweilige Verhältnis zu Russland und Großbritannien entsprechend den machtpolitischen Gegebenheiten des internationalen Systems neu auszutarieren.21

Sicherlich standen dem vom Soldaten zum Schah aufgestiegenen autokratischen Herrscher die Rechtsdiktaturen im Europa der Zwischenkriegszeit politisch näher und schienen ihm geeigneter für sein ambitioniertes Projekt, sein Land aus der Rückständigkeit in die Gegenwart zu katapultieren, als die Demokratien des Westens. Doch daraus eine besondere Affinität der Pahlavi-Dynastie für das nationalsozialistische Deutschland abzuleiten, eine These, die immer wieder vertreten worden ist und die ihren Ursprung in der alliierten Kriegspropaganda des Jahres 1941 hat, geht zu weit. Zwar schien es eine oberflächliche ideologische Konvergenz zwischen den Regimen zu geben, die beide ihr »Ariertum« kultivierten beziehungsweise wiederentdeckten. Mochte das NS-Regime auch den Iran unter Hinweis auf die gemeinsamen »arischen« Wurzeln in den dreißiger Jahren stärker umwerben als zuvor, hielten diese vermeintlichen gemeinsamen Bande doch einer näheren Betrachtung kaum stand: Laut der NS-Rassen- und Vorgeschichtsforschung kamen die Arier aus Nordeuropa und hatten sich bis nach Asien ausgebreitet. Sie seien dort aber durch die Vermischung mit anderen Völkern degeneriert, wovon nicht zuletzt der Verfall Persiens zeuge. Die einzigen »reinen« Arier hätten sich in Nordeuropa und Deutschland erhalten. Die Iraner hingegen sahen sich als Wiege des Ariertums, welches sie eher sprachlich-kulturell als genetisch definierten. Das iranische Selbstverständnis basierte angesichts des multiethnischen und multireligiösen Charakters des Landes traditionell auf der Inklusion von Minderheiten, nicht ihrer Diskriminierung und rassistischen Klassifizierung.22 Insofern ist die Beteuerung von Mohammed Reza Pahlavi in seiner Rechtfertigungsschrift »Answer to History«, die er nach seinem Sturz 1979 in den ihm verbleibenden Monaten vor seinem Krebstod verfasste, durchaus glaubhaft: Sein Vater habe entgegen landläufiger Meinung keine besondere Sympathie für das nationalsozialistische Deutschland gehegt und sich keine Illusionen über den zutiefst rassistischen Charakter des Regimes gemacht.23 In Teheran war man zudem realistisch genug zu erkennen, dass das Land angesichts der Gegebenheiten im Mittleren Osten niemals offen eine Politik gegen Großbritannien betreiben oder die NS-Aggressionspolitik unterstützen könnte, selbst wenn es gewollt hätte.

Bis in die ersten Kriegsjahre hinein rückte Deutschland gleichwohl zum wichtigsten Handelspartner des Iran auf. In absoluten Zahlen wies der Warenaustausch allerdings nur einen relativ geringen Umfang auf, weil der Iran dem Weltmarkt außer den nach wie vor von Großbritannien kontrollierten Ölquellen wenig zu bieten hatte. Entsprechend ging nur etwa ein Prozent der Exporte des Dritten Reichs nach Persien. Deutschland lieferte Maschinen, Lokomotiven, Waffen, elektrische Geräte und Chemieprodukte und bezog Baumwolle, Seide, Teppiche, Leder und Trockenfrüchte. Etwa 700 deutsche Berater, Ingenieure, Facharbeiter und Universitätsdozenten aus dem Reich unterstützten bei Kriegsausbruch 1939 das Land auf seinem Weg in die Moderne. Abgesehen von den etwa 2600 Briten, die vor allem für die AIOC tätig waren, stellten die Deutschen die zweitstärkste Kohorte ausländischer Fachleute.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, erklärte der Iran umgehend seine Neutralität. Der im August 1939 geschlossene Hitler-Stalin-Pakt verunsicherte das Land. Er gab Befürchtungen Auftrieb, dass die UdSSR mit Rückendeckung des NS-Regimes eine an das Zarenreich anknüpfende Expansionspolitik betreiben werde. Der sowjetische Angriff auf Finnland im Winter 1939/40, die Annexion der baltischen Staaten im Sommer 1940, zeitgleiche territoriale Forderungen Moskaus gegenüber der Türkei und sowjetische Truppenansammlungen an der Nordgrenze des Iran schienen dafür eindeutige Anzeichen zu sein. Folglich begann Teheran, sich ab 1940 diplomatisch von Berlin ab- und London zuzuwenden, weil Großbritannien als einzige Macht in der Region wirksamen militärischen Schutz im Falle eines sowjetischen Angriffs bieten konnte.24

Mit dem deutschen Angriff auf die UdSSR am 22. Juni 1941 wurden London und Moskau über Nacht Verbündete im Kampf gegen das Dritte Reich. Um der um ihr Überleben kämpfenden UdSSR rasch materielle Unterstützung zukommen zu lassen, bot sich der Iran als bester Transitweg an. London und Moskau beschlossen daher im Juli, das Land gemeinsam zu besetzen. Um einen Vorwand für die Invasion zu schaffen, forderten die beiden Mächte Teheran am 16. August 1941 auf, binnen eines Monats alle Deutschen aus dem Land auszuweisen. Die anvisierte alliierte Besetzung wurde als Beitrag zum Erhalt der iranischen Souveränität dargestellt. Die iranische Regierung versuchte zwar, den alliierten Forderungen Folge zu leisten, indem sie einige Deutsche als Vorstufe einer Ausweisung internierte. Doch wollte sie sich mit Hinweis auf ihre Neutralität dem Ultimatum nicht gänzlich unterwerfen. Am 25. August 1941 begann daher die Invasion des Landes durch sowjetische Truppen vom Norden und britische Truppen aus dem Irak. Die iranischen Streitkräfte stellten bereits nach drei Tagen den Widerstand ein.25

Zu diesem Zeitpunkt besaß der Schah wegen der Willkürlichkeit und Brutalität seiner Herrschaft sowie der scheinbar rücksichtslos alle Traditionen beiseite schiebenden Modernisierung kaum noch Fürsprecher unter seinen Landsleuten. Sein Regime brach daher beim Angriff von außen wie ein Kartenhaus zusammen. Die Alliierten zwangen Reza Pahlavi am 17. September 1941 zur Abdankung, als sie erkannten, wie unpopulär seine Herrschaft im Lande tatsächlich war. Die Briten verbannten den abgesetzten Herrscher zuerst nach Mauritius, sodann nach Südafrika, wo er 1944 starb. Sein 1919 geborener ältester Sohn Mohammed Reza übernahm mit Billigung der Alliierten den Thron, die in ihm einen unerfahrenen und leicht zu manipulierenden Strohmann für ihre Interessen sahen. Der neue Schah versprach, der Verfassung von 1906 wieder volle Geltung zu verschaffen und sich auf weitgehend repräsentative Aufgaben zurückzuziehen. Die Alliierten überwachten die Machtbeschränkung des Monarchen und förderten die politische Vielfalt durch Aufhebung der Pressezensur, Befreiung der politischen Gefangenen und Zulassung neuer Parteien. So gründete sich die 1930 verbotene IKP mit sowjetischer Hilfe als »Tudeh«-Partei (»Arbeiter«-Partei) neu.

Mit dem Sturz Reza Schahs brach für den Iran eine bis 1953 andauernde Periode relativ demokratischer Verhältnisse an, in welcher das die verschiedensten Fraktionen repräsentierende Parlament und nicht der Monarch über die Zusammensetzung und Politik der Regierung entschied. Im September 1943 erklärte der Iran auf Druck der Alliierten Deutschland den Krieg. Es blieb eine symbolische Handlung ohne militärische Konsequenzen für beide Seiten. Die Alliierten versprachen als Gegenleistung, dass ihre Truppen innerhalb von sechs Monaten nach Kriegsende das Land verlassen würden.

Um die »Bridge to Victory« zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion, als welche US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Iran bezeichnete, tragfähig zu machen, strömten seit Anfang 1942 etwa 30 000 Amerikaner in das Land. Sie errichteten und betrieben die nötige Infrastruktur und Produktionsstätten, die einen kontinuierlichen Fluss westlichen Nachschubs an die wichtigste Front des Zweiten Weltkriegs ermöglichten.26 Amerikanische Berater begannen zugleich, die iranische Bürokratie, Polizei und Armee zu modernisieren. Die militärischen Notwendigkeiten des Zweiten Weltkriegs standen also am Anfang des Engagements der USA im Iran, die bis zur Islamischen Revolution von 1979 zur dominanten Macht im Lande aufsteigen sollten.

Der Iran in der Hochphase des Kalten Krieges

Tatsächlich blieben die sowjetischen Truppen länger im Iran, als es die vereinbarte Frist von sechs Monaten nach Kriegsende vorsah. In der von ihr weiterhin besetzten persischen Provinz Aserbaidschan förderte die UdSSR eine Unabhängigkeitsbewegung unter den Aseris und Kurden. Schon seit Frühjahr 1945 übte Moskau zudem Druck auf die Türkei aus, ihr territoriale Konzessionen im Kaukasus zu machen und Zugang zu den Meerengen Bosporus und Dardanellen zu gewähren. Mit massiver amerikanischer diplomatischer Unterstützung gelang es sowohl der Türkei wie dem Iran, den sowjetischen Pressionen zu widerstehen. Im Mai 1946 zogen die sowjetischen Soldaten schließlich aus dem Norden des Iran ab, ohne für das persische Aserbaidschan die ursprünglich erhoffte Ölkonzession nach britischem Vorbild zu erhalten.27

Diese Erfahrungen mit dem Expansionsdrang der durch den Zweiten Weltkrieg zur Weltmacht aufgestiegenen UdSSR bewirkten unter anderem, dass die Türkei und der Iran im Gegensatz zu anderen Ländern im Mittleren Osten in den folgenden Jahrzehnten verlässliche Verbündete der USA blieben. Beide Staaten bildeten einen Sperrriegel, welcher der UdSSR den Zugang zu den südlichen Meeren und dem ölreichen Mittleren Osten verschloss. Beide Länder waren also für die westliche Position in der globalen Auseinandersetzung der beiden sich formierenden Machtblöcke unverzichtbar. Die Türkei wie der Iran erhielten daher seit Ende der vierziger Jahre umfangreiche US-Wirtschafts- und Militärhilfe. Beide Länder wurden in den fünfziger Jahren zu Militärstützpunkten der USA und ins westliche Allianzsystem eingebunden, so dass sie nie den von den meisten Entwicklungsländern favorisierten Status der Blockfreiheit erlangen konnten. Für viele Iraner, die einen neutralen Kurs bevorzugt hätten, tauschte ihr Land lediglich die bisherige britische Vorherrschaft gegen eine US-amerikanische ein, ohne wirklich einen Zugewinn an Souveränität zu verzeichnen.28

Ende April 1951 wählte die Majlis den angesehenen, weltläufigen, 71-jährigen Juristen und Finanzexperten Mohammed Mossadegh zum Premierminister. Mossadegh stand der Nationalen Front vor, einem 1949 gegründeten losen politischen Bündnis, das Sozialisten, Liberale und Nationalisten vereinte. Zusammengehalten wurde es vor allem durch den Wunsch, das Land möge endlich die Kontrolle über seine Ölfelder und damit die bei weitem wichtigste Einnahmequelle erhalten. Mossadeghs Forderung, die Ölquellen gänzlich in iranischen staatlichen Besitz zu überführen, beantwortete Großbritannien mit einem Wirtschaftsboykott und der Stilllegung der Ölförderung, woraufhin Teheran die diplomatischen Beziehungen abbrach. Der Schah hingegen, dem das Charisma Mossadeghs fehlte und der sich von dem populären, rhetorisch begabten Premierminister zunehmend in den Schatten gestellt sah, riet zu einem vorsichtigeren Vorgehen: An Stelle der Verstaatlichung der Ölquellen solle der Iran bessere Konditionen mit Großbritannien aushandeln, das bereits eine Aufstockung der iranischen Gewinnbeteiligung von 20 Prozent auf 50 Prozent angeboten hatte.

Bei US-Präsident Harry S. Truman gab es zunächst eine gewisse Sympathie für das Anliegen Mossadeghs. Sie rührte aus den antikolonialen Traditionen der USA sowie der sich eröffnenden Chance, das bisherige britische Monopol in der iranischen Ölförderung aufzubrechen. In den frühen fünfziger Jahren deutete sich für die USA an, die im Zweiten Weltkrieg noch Selbstversorger in der Ölproduktion gewesen waren, dass sie alsbald ausländischer Quellen bedurften, um den rapide steigenden eigenen Bedarf an diesem Rohstoff sicherstellen zu können. Trotzdem entschlossen sich die USA letztlich, in diesem Konflikt für London Partei zu ergreifen. Großbritannien stellte mit seinen Militärstützpunkten am Golf und auf der arabischen Halbinsel sowie seiner einhundertjährigen Expertise in dieser Region eine unerlässliche Stütze zur Verteidigung westlicher Interessen dar.

In Washington setzte sich Anfang 1953 mit dem Machtantritt des republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower, unterstützt durch entsprechende von der britischen Regierung gelieferte Argumentationshilfen und »Beweise«, eine Neubewertung Mossadeghs durch: Der Premierminister sei, so die neue Lesart in Washington, ein Mann, dessen Unbeugsamkeit in der Ölfrage ihn, zumindest aber die Nationale Front, in das Fahrwasser Moskaus treiben könnte.29 Der britische und der amerikanische Geheimdienst stachelten in der vom Weißen Haus im Juni 1953 abgesegneten »Operation Ajax« den Mob auf den Straßen Teherans gegen Mossadegh an, bestachen einen Teil der iranischen Presse und wiegelten unzufriedene Provinzfürsten gegen die Zentralregierung auf. Mossadegh trat aus Furcht vor einem Bürgerkrieg und von einem Militärputsch bedroht am 19. August 1953 zurück. Es war der erste von den USA nach 1945 unternommene Versuch, eine legitime Regierung in der Dritten Welt zu stürzen.

Die britisch-amerikanische Intervention konnte nur erfolgreich sein, weil sich die Stimmung im Iran 1953 angesichts der sich beständig verschärfenden, durch den britischen Boykott hervorgerufenen Wirtschaftskrise gegen Mossadegh zu wenden begonnen hatte. Hinzu gesellte sich die Angst der schiitischen Geistlichkeit, dass sich Mossadegh wegen seiner Radikalität in der Ölfrage und dem Unwillen des Westens, ihm substanziell entgegenzukommen, immer mehr der moskautreuen Tudeh-Partei zuneigen könnte. Die Tudeh war seit 1949 als Reaktion auf ein fehlgeschlagenes Attentat auf den Schah, das man ihr fälschlicherweise zugeschrieben hatte, offiziell im Iran verboten. Sie verfügte jedoch über ein gut ausgebautes organisatorisches Netz im Untergrund, das wesentlich dichter geknüpft war als jenes der legalen Parteien im Lande. Anfangs hielt sich die Tudeh von Mossadegh fern, weil dessen angestrebte Nationalisierung der iranischen Ölquellen jegliche Aussicht auf eine Ökonzession im Norden, wie sie Moskau seit 1945 anstrebte, ebenfalls zunichtegemacht hätte. In der Endphase von Mossadeghs Amtszeit jedoch entwickelte sich die Tudeh zu einer immer wichtigeren Stütze für den Premierminister, je mehr die gemäßigten Kräfte von ihm abfielen und er die Feindschaft des Westens auf sich zog. Gleichwohl wurde der Sturz Mossadeghs auch für viele politisch moderate Iraner zu einem lang anhaltenden nationalen Trauma. Die Ereignisse des Jahres 1953 beraubten sie endgültig der seit dem Ersten Weltkrieg verbreiteten Illusion, die Außenpolitik der USA folge eher moralischen Maximen als jene der alten Vormächte Russland oder Großbritannien.

Ein Militärgericht verurteilte Mossadegh im Dezember 1953 zu drei Jahren Gefängnis wegen Landesverrats, weil er nicht der Aufforderung zum Rücktritt durch den Schah Mitte August Folge geleistet hatte, sondern noch einige Tage länger im Amt geblieben war. Dem brillianten Redner Mossadegh gelang es immerhin, den Gerichtssaal in eine Bühne für die von ihm verfochtene Politik zu verwandeln und sich als nationaler Märtyrer darzustellen. Nach der Haftstrafe lebte Mossadegh bis zu seinem Tode im März 1967 unter Hausarrest. Er symbolisierte für viele Iraner das Versprechen auf eine vermeintlich bessere Zukunft, hätte nicht eine Intrige des Auslands den Premierminister zu Fall gebracht. Das Land schien weiterhin lediglich ein Spielball fremder Mächte zu sein ohne die Chance auf Selbstbestimmung.30 Dem Iran wurden in einem neuen, auf 25 Jahre festgelegten Vertrag 1954 50 Prozent aller Öleinnahmen zugestanden. Das Ausland bestimmte aber weiterhin über Fördermenge sowie Preis und damit Umfang der iranischen Öleinnahmen. Die bislang britische AIOC verwandelte sich 1954 in ein Konsortium unter dem Namen »Iranian Oil Participants«, das bis zur Islamischen Revolution 1979 bestand. Die aus der AIOC hervorgegangene BP und fünf US-amerikanische Ölfirmen hielten jeweils 40 Prozent der Anteile. Der Rest gehörte französischen und niederländischen Firmen. In der neuen Kräfteverteilung im Konsortium schlug sich deutlich die seit 1941 schrittweise erfolgte Einflussverlagerung im Iran von der einstigen Vormacht Großbritannien auf die USA nieder.31

Letztlich waren den USA und Großbritannien die Sicherung der iranischen Ölquellen für den Westen, die der Schah zu garantieren schien, wichtiger als die Fortexistenz der konstitutionellen Ordnung im Iran. Der Schah trat daher innenpolitisch selbstbewusster auf, missachtete die Rechte der Majlis, beschnitt die Grundrechte und versuchte das Kabinett und den Regierungschef mehr und mehr zu einem bloßen Sekretariat zur Ausführung seiner Wünsche zu degradieren. Es gelang Mohammed Reza Pahlavi seit Mitte der fünfziger Jahre in einem Bündnis mit der schiitischen Geistlichkeit und dank der mit US-Finanzhilfen reichlich alimentierten Armee, fast jenen Machtumfang zurückzuerobern, über den sein Vater einst verfügt hatte.32

Der Sturz Mossadeghs und die Rolle, die der Schah in diesem Drama gespielt hatte, ruinierten dauerhaft den Ruf des Herrschers unter der iranischen Mittelschicht. Als Person gebot Mohammed Reza Pahlavi nie über den Respekt, der seinem physisch imposanten, raubeinigen und energischen Vater gezollt worden war, der sich eigenhändig an die Macht gekämpft und eine Dynastie gegründet hatte. Der Sohn blieb in den Augen der meisten gebildeten Iraner lediglich ein Epigone. Bei Auftritten in der Öffentlichkeit wirkte der rhetorisch Unbegabte außerdem unnahbar und hochmütig. Als »unsympathisch und steif, in einer stelzernen Würde, ohne eine erkennbare menschliche Regung« beschrieb der Regierende Bürgermeister West-Berlins, Heinrich Albertz, den Schah im Rückblick auf dessen Besuch 1967.33

Ein wesentliches Instrument zur Festigung seiner Herrschaft wurde dagegen der ab 1957 mit amerikanischer, britischer und israelischer Hilfe aufgebaute Geheimdienst SAVAK, dessen Name sich aus der persischen Abkürzung für »Organisation zur Information und zum Schutz des Landes« herleitete. Der SAVAK vereinte die zuvor bei der Armee angesiedelte Spionage und Spionageabwehr mit der Überwachung der Bevölkerung und der Verfolgung politischer Straftaten, für welche bislang die Polizei verantwortlich gezeichnet hatte. Er konnte im Gegensatz zur Polizei Verhaftungen ohne Einwilligung der Justiz vornehmen, und vom SAVAK verfolgte Straftaten wurden vor Militärgerichten unter Ausschluss der Öffentlichkeit geahndet. Vor allem in den siebziger Jahren eilte dem SAVAK weltweit der Ruf eines allgegenwärtigen, an keinerlei Gesetze gebundenen und von den westlichen Regierungen unterstützten Unterdrückungsinstruments zur Stabilisierung des Schahregimes voraus.34 Die Hauptaufgabe des SAVAK bestand in der Beobachtung und Verfolgung der linken Opposition im Inland wie unter den zahlreichen im westlichen Ausland lebenden Iranern. Der Dienst mit etwa 5000 hauptamtlichen Mitarbeitern in den sechziger und siebziger Jahren und Tausenden von Informanten im In- wie Ausland war wegen seiner Brutalität allseits gefürchtet. Daneben fungierte er als Auslandsnachrichtendienst, der vor allem politische und militärische Spionage in den Anrainerstaaten betrieb. Diese Erkenntnisse über die Vorgänge im Mittleren Osten bot der SAVAK zum Teil westlichen Diensten im Tausch gegen Informationen über die Aktivitäten der Schahopposition im jeweiligen Gastland an.35

Bündnispolitisch verankerte der Schah den Iran vorerst eindeutig im westlichen Lager. 1955 begründeten der Iran, der Irak, die Türkei und Pakistan zusammen mit Großbritannien den Bagdadpakt, der eine Art mittelöstliches Pendant zur NATO darstellte. Der Bagdadpakt verlor aber aus Sicht Teherans nach einem Militärcoup im Irak im Juli 1958, der zum Sturz der dortigen probritischen Monarchie führte, eines seiner Gründungsmitglieder und, seitdem als Central Treaty Organization (CENTO) firmierend, viel von seiner Abschreckungsfunktion gegenüber der UdSSR. Im März 1959 unterzeichnete der Iran daher zusätzlich einen bilateralen militärischen Beistandspakt mit den USA.

Diese diplomatischen Manöver Teherans bewirkten eine erhebliche Abkühlung des Verhältnisses zur UdSSR und führten gegen Ende des Jahrzehnts zu einer intensiven sowjetischen Propagandakampagne gegen das Schahregime. Nach dem Rückzug aus dem persischen Aserbaidschan hatte sich Moskau noch über ein Jahrzehnt Hoffnungen auf eine eher neutrale Haltung des Iran gemacht, wie sie von Reza Pahlavi in der Zwischenkriegszeit und den ersten demokratisch legitimierten Regierungen nach 1945 noch eingenommen worden war. Das Streben der UdSSR zielte nicht etwa auf die Errichtung eines kommunistischen Regimes im Iran ab. Aus Moskaus Sicht galt es vielmehr vor allem zu verhindern, dass das Land noch enger an den Westen heranrückte und eine amerikanische Militärbasis wurde.

Die Außenpolitik der Bundesrepublik und der Iran

Die Bundesrepublik und der Iran befanden sich im Jahre 1952, als sie wieder diplomatische Beziehungen aufnahmen, in einer ähnlichen außenpolitischen Lage. Beide Staaten fühlten sich von der UdSSR bedroht, beide Staaten waren für die Aufrechterhaltung der westlichen Position in ihrer jeweiligen Region unerlässlich und hingen militärisch von den USA ab. Beide Staaten hatten während beziehungsweise nach dem Zweiten Weltkrieg fremde Besatzung erfahren und besaßen vorerst nur eine eingeschränkte Souveränität: die Bundesrepublik durch das erst 1955 aufgehobene Besatzungsstatut und darüber hinaus noch durch die weiter bestehenden alliierten Vorbehaltsrechte bezüglich Berlins und Gesamtdeutschlands; der Iran wegen der anhaltenden Kontrolle seiner Ölquellen durch das Ausland. Die Bundesrepublik war froh um jeden Staat, der sie statt der konkurrierenden DDR als Vertretung aller Deutschen anerkannte und dazu beitrug, zumindest den westlichen Teil des Landes aus der internationalen Isolation und Ächtung herauszuführen, die das NS-Regime durch Krieg und Völkermord für die ganze Nation heraufbeschworen hatte. Schon seit Sommer 1950 bemühte sich die Bundesregierung, nachdem sie dafür die Genehmigung der Alliierten Hohen Kommission erhalten hatte, in Teheran ein Generalkonsulat zu errichten.36

Weil die Kolonialära für Deutschland schon 1918 geendet und es zudem im Zweiten Weltkrieg gegen die dominierenden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich gekämpft hatte, besaß die Bundesrepublik in vielen der sich emanzipierenden außereuropäischen Staaten ungeachtet der Verbrechen des Dritten Reiches eine Art »moralischen Kredit«. Bonn hatte in den fünfziger Jahren aber weder die Mittel noch das Interesse, eine entscheidende Rolle im Mittleren Osten zu spielen. Den Eindruck, man plane die sich zurückziehenden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich zu beerben, wollte man auf keinen Fall erzeugen.37 Schließlich brauchte man die neuen Partner in Westeuropa für die Rückgewinnung der Souveränität, die Realisierung der Wiedervereinigung sowie das Projekt der westeuropäischen Integration. Diese bundesrepublikanische Zurückhaltung zeigte sich im Iran bereits in der Regierungszeit Mossadeghs. Um sich aus der britischen Abhängigkeit zu befreien, versuchte der Iran unter anderem im Sommer 1951 deutsche Ölexperten anzuwerben in der Hoffnung, diese könnten die britischen Fachleute ersetzen und dem Iran helfen, in Eigenregie den Rohstoff zu fördern. Die Bundesregierung, ihrerseits von der Alliierten Hohen Kommission unter Druck gesetzt, wirkte auf die deutschen Ölfirmen ein, die Experten nicht freizugeben. Der Versuch Teherans im Folgejahr, iranisches Öl auf dem westdeutschen Markt zu verkaufen, scheiterte an der Weigerung Bonns, einem solchen Handel zuzustimmen.38

Gleichwohl wollte Bonn bei aller Rücksichtnahme auf britische und französische Empfindlichkeiten im Prozess der Dekolonisation Absatzmärkte für die westdeutsche Exportwirtschaft sicherstellen. Folglich gebärdete sich die bundesrepublikanische Politik gegenüber dem Iran wie auch anderen Staaten der Region in den fünfziger und sechziger Jahren neben dem Bemühen, die DDR aus diesem wie anderen Teilen der Welt fernzuhalten,39 vor allem als Außenhandelspolitik. Große Perspektiven schienen sich im Mittleren Osten für die exportorientierte, auf Maschinen- und Anlagenbau spezialisierte deutsche Wirtschaft zu eröffnen, zumal die Märkte in Ost- und Südosteuropa wegen des Eisernen Vorhanges vorerst wegfielen. Dabei bildeten wegen ihres demografischen Gewichts, Entwicklungsstandes und ihrer politischen Bedeutung die Türkei, Ägypten und der Iran (mit etwa 20 Millionen Einwohnern Anfang der fünfziger Jahre) die eindeutigen Schwerpunkte.40 Die westdeutsche außenwirtschaftliche Expansion im Mittleren Osten erhielt ab Mitte der fünfziger Jahre die ausdrückliche Unterstützung der USA. Die Präsenz der bislang dominierenden Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien, welche sich durch die Invasion Ägyptens zusammen mit Israel während der Suezkrise im Herbst 1956 in dieser Region endgültig diskreditiert hatten, sollte nach den Vorstellungen Washingtons im strategischen Gesamtinteresse des Westens hingegen zurücktreten.

In Bonn wie in anderen westlichen Hauptstädten überschätzte man jedoch in den fünfziger Jahren das wirtschaftliche Potenzial der Entwicklungsländer, seien es die vormaligen, nun in großer Zahl in Afrika wie Asien in die Unabhängigkeit entlassenen Kolonien oder formal stets souverän gebliebene Länder wie der Iran, die Türkei oder Afghanistan. Gegen Ende des Jahrzehnts zeichnete sich bereits ab, dass die großen, dynamischen Absatzmärkte nicht dort lagen, sondern in Nordamerika und vor allem in dem sich wirtschaftlich integrierenden Westeuropa. Entsprechend ließ das Interesse der deutschen Industrie alsbald nach, große Investitionen in den Entwicklungsländern zu tätigen. Zudem schienen deren Regierungen für potenzielle private Geldgeber oftmals einen politisch und wirtschaftlich zu unberechenbaren Kurs zu steuern, etwa indem sie sich plötzlich zu Nationalisierungen von Industrien oder Bodenschätzen entschlossen.41

Angesichts des starken antikommunistischen Grundkonsenses in der Bundesrepublik und des Gefühls der sowjetischen Bedrohung in der Hochphase des Kalten Krieges in den fünfziger und frühen sechziger Jahren musste das Schahregime, als es nach dem Sturz von Mossadegh daranging, die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu demontieren, mit keinerlei Kritik seitens der westdeutschen Leitmedien, geschweige denn der Bonner Regierung rechnen. Mossadegh galt in der Bundesrepublik überwiegend als verantwortungsloser Abenteurer, der die Position des Westens gegenüber Moskau im Mittleren Osten gefährdet habe. So sprach Die Welt beispielsweise in einem Artikel vom 13. Oktober 1953 vom »verhängnisvollen Erbe Dr. Mossadeks«, seinem völlig »maß- und verantwortungslosen« Außenminister, der die Beziehungen zum Ausland strapaziert habe, und von dem »sinnlosen Abbruch der Beziehungen zu Großbritannien«. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) nannte Mossadegh am 1. März 1955 »einen demagogischen Volkstribun«, der das Land in ein inneres Chaos gestürzt und ihm schließlich nur noch den Ausweg des »unnatürlichen Bündnisses mit der kommunistischen Tudeh-Partei und der dahinterstehenden Macht« gelassen habe.

Wichtiger als die Demontage der Demokratie erschien, dass der Schah das Land bündnispolitisch stärker an den Westen heranführte und dem Kommunismus im Iran die Stirn zu bieten schien. Andernfalls, so konnte man 1963 in einem Buch von Günter Nollau lesen, Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Kommunismus-Experte, wären die Folgen für den Westen fatal: »Die Meinung, daß Persien für die Verteidigung des Westens lebenswichtig ist, beruht nicht nur darauf, daß es die Sowjetunion vom Persischen Golf trennt, daß Persien reiche Ölquellen hat und daß Stützpunkte am Persischen Golf die Sowjetunion in die Lage versetzten würden, etwa die Hälfte des auf der Welt produzierten Öls zu kontrollieren. Wenn in Persien ein Regime sowjetischer Parteigänger zur Macht käme, erhielte die UdSSR unmittelbare Verbindung zum Irak und damit zur arabischen Welt. Damit würde sich die Lage der Kommunisten im Irak und in anderen arabischen Ländern (Syrien, Ägypten) wesentlich ändern. Mit der Errichtung einer ›Volksdemokratie‹ in einem arabischen Land, z. B. Syrien, hätte die Sowjetunion unmittelbar Zugang zum afrikanischen Kontinent, der in der Auseinandersetzung der beiden Weltblöcke zum Zünglein an der Waage werden kann. Viel hängt daher von der Stabilität der Verhältnisse in Persien ab.« Nollaus Buch basierte auf einer dreimonatigen Studienreise im Mittleren Osten im Jahre 1960, bei welcher der SAVAK Amtshilfe geleistet hatte.42

Auch auf einem anderen außenpolitischen Feld gestalteten sich die Beziehungen zwischen Bonn und Teheran vergleichsweise unkompliziert: dem Verhältnis zu Israel. Das Gewissen gebot der Bundesregierung, als eine Art moralischer Wiedergutmachung für die Verfolgung und Ermordung der Juden durch das NS-Regime Israel zu unterstützen. Die Vernunft hingegen sprach wegen des politischen Gewichts und der Ölvorkommen sowie der Angst, dass andernfalls die DDR im Mittleren Osten Fuß fasse, eher für ein gutes Verhältnis zu den überwiegend arabischen, Israel feindlich gesonnenen Staaten der Region. Dieses Dilemma löste Bonn mit einem Balanceakt. Als Konzession an die arabischen Staaten unterhielt man keine diplomatischen Beziehungen zu Israel, unterstützte es dafür aber verdeckt finanziell und ab 1958 auf Geheiß Washingtons durch Waffenlieferungen. Zugleich bedachte Bonn vor allem Ägypten als arabische Vormacht großzügig mit Entwicklungshilfe, um es von der DDR fernzuhalten.43 Der Iran erleichterte Bonn diesen diplomatischen Spagat, indem er zusammen mit der Türkei als einziger muslimischer Staat im Mittleren Osten seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre eine pro-israelische Haltung einnahm.

Die iranische Unterstützung für Israel erfolgte nicht aus Philosemitismus. Der Schah sah vielmehr den 1952 an die Macht gekommenen ägyptischen Volkstribun Oberst Gamal Abd al-Nasser und den von ihm verkörperten Republikanismus und Panarabismus als eine Gefahr für seine Herrschaft an. Das von Nasser verkörperte Regime schien, wie die Verstaatlichung des Suezkanals und die Abwehr der darauf folgenden britisch-französisch-israelischen Invasion 1956 zeigten, ein erfolgreiches antikoloniales Gegenmodell zum Iran darzustellen. Nasser attackierte die konservativen Monarchien der Region, seien es Saudi-Arabien, Jordanien, Irak oder eben Iran, als Statthalterregimes des noch nicht überwundenen westlichen Kolonialismus, welche eine selbstbestimmte Vereinigung aller Araber blockierten. Das Gefühl der panarabischen Bedrohung verschärfte sich für den Schah noch, als es 1958 im Irak zu einem blutigen Umsturz kam, der die prowestliche, moderate Haschemiten-Monarchie beseitigte. An dessen Stelle trat ein linkes Militärregime, das alsbald Ägypten in seinem Panarabismus noch zu übertrumpfen trachtete. Im selben Jahr schlossen sich Ägypten und Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik zusammen. Die Ängste in Teheran resultierten unter anderem daher, dass die arabische Minderheit in der ölreichen Provinz Khuzestan womöglich den von Kairo, Damaskus und Bagdad ausgehenden Sirenenklängen folgen könnte. Das im gesamten arabischen Raum zu hörende Radio Kairo bezeichnete den Persischen Golf als »arabischen« und Khuzestan als »Arabistan«. Seit 1962 kämpften zudem Zehntausende von ägyptischen Soldaten auf republikanischer Seite im nordjemenitischen Bürgerkrieg gegen die von Saudi-Arabien unterstützten Royalisten. Aus Sicht Teherans handelte es sich um einen ägyptisch-panarabischen, antimonarchischen Revolutionsexport.44 Ausdruck fanden diese iranischen Ängste vor einem Vormarsch des Nasserismus in den wiederholten Beschwerden Teherans seit Anfang der sechziger Jahre bei der Bundesregierung, dass die westdeutsche Presse den Golf gelegentlich als »Arabischer« tituliere, während es korrekterweise doch »Persischer« heißen müsse.

Teheran betrachtete Israel daher als gleichsam natürlichen Verbündeten in der Region gegen den Panarabismus. Der Iran wurde für Israel zum Hauptlieferanten von Öl. Dafür revanchierte sich Israel unter anderem mit Hilfe bei der Ausbildung des SAVAK-Personals und der Entsendung von Landwirtschaftsexperten. Mossad und SAVAK betrieben in den sechziger Jahren gemeinsam Spionage gegen die arabischen Nachbarn. Der Iran scheute sich aber, darin der Bundesregierung ähnelnd, den Judenstaat förmlich anzuerkennen aus Angst, sich andernfalls diplomatisch im Mittleren Osten zu isolieren und Kritik innerhalb der schiitischen Geistlichkeit heraufzubeschwören.45

Die einzige konkrete politische Erwartung Bonns gegenüber dem Schahregime bestand darin, dass dieses an der dauerhaften internationalen Ächtung der DDR mitwirkte, die seit 1955 zu den obersten außenpolitischen Maximen der Bundesrepublik gehörte. Sie fand ihren Niederschlag in der Hallsteindoktrin, welche allen Staaten, die diplomatische oder andere Beziehungen zur DDR aufnahmen, mit dem Abbruch derselben seitens Bonns drohte. Diesem Insistieren auf die diplomatische Isolation der DDR kam der Iran, der ohnehin bündnispolitisch seit 1955 fest im Westen verankert war, willig bis zum offiziellen Ende der Hallsteindoktrin in den frühen siebziger Jahren nach. Der Iran trug ebenso alle Versuche der Bundesrepublik mit, die DDR aus internationalen Organisationen wie der UNESCO oder dem Weltpostverein fernzuhalten, in dem er stets in den entscheidenden Gremien mit Bonn und seinen westlichen Verbündeten gegen die Aufnahme Ost-Berlins in diese Institutionen votierte. In der staatlich gelenkten Presse des Landes fand die DDR zudem, wie die deutsche Botschaft beispielsweise in ihrem kulturpolitischen Bericht für das Jahr 1966 zufrieden vermerkte, mit keinem Wort Erwähnung.46 Die Ächtung der DDR fiel Teheran nicht zuletzt deshalb leicht, weil das SED-Regime seit 1958 auf Geheiß Moskaus den Großteil der exilierten Tudeh-Führung beherbergte, insgesamt etwa 70 Personen. Die Tudeh betrieb mittels eines in Leipzig installierten Radiosenders und der Einschleusung von Druckerzeugnissen in den Westen Propaganda gegen das Schahregime unter der wachsenden Zahl persischer Studenten in der Bundesrepublik und im restlichen Westeuropa.47

Für den Iran bestand nach dem Zweiten Weltkrieg der Anreiz, die Beziehungen mit der Bundesrepublik frühzeitig aufzunehmen und zu intensivieren, abgesehen von der Qualität ihrer Produkte und Fachleute vor allem darin, dass damit ein relativ geringer politischer Preis verbunden war. Die Bundesrepublik nahm nur den Status einer Mittelmacht ohne direkte Interessen im Mittleren Osten ein. So bestand für Teheran nicht die Gefahr, die angelsächsische Vorherrschaft gegen eine neue auszutauschen. Engere Wirtschaftskontakte des Iran zur Bundesrepublik konnten dagegen helfen, die Abhängigkeit des Landes von Großbritannien und den USA zu verringern. Hier ist eine Konstante der iranischen Außenpolitik zu erkennen, die schon im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einsetzte und stets versuchte, Deutschland oder andere Mächte wie Frankreich oder die USA als Hebel zu nutzen, um das Land aus der Umklammerung und Ausbeutung durch die in der Region gerade dominierenden Großmächte zu befreien.

Für den Schah besaß das Werben um die Bundesrepublik ab 1953 eine zusätzliche innenpolitische Dimension. Im Iran begann in den vierziger Jahren das Zeitalter der Massenpolitik. Die Verbesserung des Verkehrsnetzes und die damit einhergehende größere Mobilität der Bevölkerung, das Wirken der gut organisierten Tudeh, das Aufkommen des Radios und die durch Mossadegh und die Ölfrage geschürten Emotionen und Erwartungen führten zu einer Fundamentalpolitisierung zumindest in den iranischen Städten.48 Zwecks Stabilisierung seiner Herrschaft musste und wollte der Schah seit 1953 seinen Ruf im eigenen Land als angebliche Marionette der Briten und Amerikaner loswerden und sah sich daher nach anderen ausländischen Partnern um. Mohammed Reza Pahlavi vergaß zwar bis zu seinem Sturz 1979 nie, dass die Fortexistenz seiner Herrschaft seit 1953 vor allem von der Unterstützung der USA abhing. Doch zur Realisierung seiner innen- wie außenpolitisch ambitionierten Ziele war gerade eine gewisse, zumindest symbolische Distanz von Washington notwendig.49

Die Frauen des Schahs und die westdeutsche Öffentlichkeit

Die westdeutsche Öffentlichkeit der fünfziger und sechziger Jahre interessierte sich kaum für die politischen Vorgänge im Mittleren Osten im Allgemeinen und im Iran im Speziellen. Das Bild war überwiegend von romantisierenden Orientvorstellungen der Vergangenheit geprägt. Britische und US-amerikanische diplomatische Beobachter, aber auch ausländische Korrespondenten in Bonn beklagten sich über die Provinzialität der deutschen Presse, die über die Vorgänge in dieser Region wie auch in anderen Teilen der Welt nur oberflächlich berichte.50 Eine Person jedoch legte bis zum Sturz des Schahs 1979 die Grundlage für eine weit stärkere emotionale Bindung der Westdeutschen an den Iran als an alle anderen Entwicklungsländer: Soraya, die zweite Frau des Schahs. Ihr Name, Gesicht, Körper sowie Mode- und Lebensstil tauchten in den fünfziger und frühen sechziger Jahren so häufig in den westdeutschen Illustrierten auf, dass diese auch als »Soraya-Presse« firmierten.51

Die 1932 in Isfahan Geborene war die Tochter einer Deutschen und des Iraners Khalil Esfandiari, der 1924 als Student aus Persien nach Berlin kam und während seines Studiums seine spätere Frau Eva Karl kennenlernte. Soraya, die ihre Kindheit und frühe Jugend zwischen Persien, Deutschland und der Schweiz verbrachte, wurde dem Schah im Herbst 1950 vom Teheraner Hof als gute Partie vorgeschlagen. Der Schah wollte sich rasch wieder verheiraten, weil er auf einen männlichen Thronerben hoffte, nachdem aus seiner ersten Ehe mit der ägyptischen Prinzessin Fawzia nur eine Tochter hervorgegangen war. Bereits im Dezember 1950, drei Tage nachdem man Soraya dem Schah das erste Mal in Teheran vorgestellt hatte, wurde die Verlobung bekanntgegeben. Am 12. Februar 1951 folgte die Hochzeit.52

Soraya und der Schah boten die ideale Mischung aus Exotik und Vertrautem, Glück und Tragik für die Illustrierten, die durch eine weitgehend entpolitisierte und konsumorientierte westdeutsche Öffentlichkeit in den fünfziger Jahren eine goldene Ära erlebten.53 Mit der bürgerlichen Soraya, die (wie acht Jahre später ebenso die dritte Frau des Schahs, Farah Diba) einen scheinbar märchenhaften Aufstieg aus unspektakulären Verhältnissen erlebte, konnte sich die durchschnittliche Illustriertenleserin identifizieren. Dass Sorayas Vater aus einer der führenden, wenn auch verarmten Familien des Stammes der Bakhtiaren kam, zählte für die landesunkundige westliche Leserschaft wenig, die Tatsache, dass es sich bei der Mutter um eine angeblich durchschnittliche Berlinerin handelte, dafür umso mehr. Die Karriere Sorayas schien zugleich eine Parabel für den Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg aus Trümmern zum Wohlstand, aus der internationalen Isolation zur Rückkehr in das Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu sein.

Der Pfauenthron rief bei den westlichen Lesern Assoziationen von märchenhaftem Reichtum, orientalischen Hofintrigen, undurchsichtigen Familienverhältnissen und großer Machtfülle des Herrscherhauses hervor. Zugleich war aber das Umfeld, in welchem sich Soraya bewegte, nicht zu befremdlich für eine abendländische Leserschaft: Der Schah war eine elegante Erscheinung, hatte eine europäische Ausbildung genossen, sprach fließend Englisch und Französisch, kleidete und orientierte sich außenpolitisch westlich. Er versteckte seine Frau nicht hinter Palastmauern und unter Schleiern, sondern zeigte sich mit seiner attraktiven, modisch gekleideten Gemahlin öffentlich im In- wie Ausland, und sie betrieben zeitgemäße Sportarten wie Tennis oder Ski. Das Paar schien vor dem Hintergrund eines exotischen, rückständigen Landes eine moderne Ehe zu führen, sinnbildlich für die vom Land angestrebte Modernisierung unter westlichen Vorzeichen.

Sorayas Leben am Teheraner Hof wartete aber ebenso mit Dramen auf, so dass es sich für die Illustrierten über Jahre als eines der Hauptthemen empfahl: angebliche Intrigen seitens der Schwiegerfamilie, vor allem aber der ausbleibende Kindersegen und Spekulationen über die Ursache sowie über mögliche Kuren für das Paar, um doch noch den ersehnten Thronfolger zu zeugen. Wegen der kinderlosen Ehe ließ der Schah sich schließlich Mitte März 1958 scheiden. Die plötzliche Trennung bescherte der jungen Frau, die daraufhin vorübergehend in die Bundesrepublik zurückkehrte, einen letzten Höhepunkt des Interesses und der Sympathie seitens der westdeutschen Öffentlichkeit. Für die nächsten eineinhalb Jahrzehnte wurde Soraya, vom Schah nach der Scheidung großzügig alimentiert, Teil des internationalen Jetsets und lebte vornehmlich in Frankreich und Italien. Sie versuchte sich außerdem an einer Karriere als Schauspielerin, die aber schon nach zwei Filmen Mitte der sechziger Jahre endete.

Hauptsächlich wegen Soraya wurde der erste Schahbesuch in der Bundesrepublik vom 23. Februar bis zum 8. März 1955 zu einem der herausragenden gesellschaftlichen Ereignisse des noch jungen westdeutschen Staatswesens. Das Herrscherpaar reiste zunächst für zwei Monate in die USA, wohin es sich vor allem begab, um sich auf seine Zeugungsfähigkeit hin untersuchen zu lassen. Von dort flog es für zwei Wochen nach Großbritannien. Abschließend besuchte es Hamburg, Düsseldorf, Bonn, Baden-Baden, Stuttgart und München. Beim Abstecher in die Bundesrepublik handelte es sich wie bei den vorherigen Stationen offiziell um eine Privatreise, diesmal auf Wunsch Sorayas, um dem Schah das Land nahezubringen, in dem sie teilweise aufgewachsen war und in dem ihr Vater seit 1952 den Iran als Gesandter diplomatisch vertrat.54

In den USA und Großbritannien hatte die Öffentlichkeit von den Besuchern aus dem Iran kaum Notiz genommen. Ganz anders dagegen die Eindrücke des Paares auf der ersten Station in der Bundesrepublik: »Nun kam Hamburg, wo unser Empfang überwältigend war. Ich hatte so etwas einfach noch nie erlebt. In dichtem Schneetreiben waren die Straßen schwarz vor Menschen, die uns zujubelten […] Als wir in unser Hotel kamen, sammelte sich vor den Fenstern eine riesige Menge und schrie ununterbrochen: ›Soraya bitte komm heraus, ganz Hamburg steht vor Deinem Haus‹. Ich musste mich dann immer wieder auf dem Balkon zeigen und frage mich, wie Deutschland jemals eine Republik hatte werden können.«55 Ähnliche Szenen wiederholten sich auf den folgenden Stationen der Reise. Zur Ankunft am Münchener Hauptbahnhof beispielsweise hieß es in der Presse, etwa zehnmal mehr Zuschauer hätten sich dort eingefunden als beim ebenfalls Aufsehen erregenden Besuch des italienischen Filmstars Gina Lollobrigida einige Wochen zuvor.56

Die westdeutsche Presse war voller Lob für den Schah: »Der farbensatte exotische Reiz, der um den Pfauenthron der persischen Monarchen liegt, schließt freilich nicht aus, daß Mohammed Reza Schah Pahlevi ein durchaus moderner, der Zukunft zugewandter Monarch ist. Seit der junge Kaiser im kurzen römischen Exil des Sommers 1953 dem Druck seines Gegenspielers Mossadeq gewichen war, hat er nach seiner Rückkehr mit überraschender Energie die Zügel ergriffen. Er hat nicht wie sein Vater, der vor nun dreißig Jahren die Dynastie der Pahliwiden begründete, den Ehrgeiz eines Diktators. Aber er hat den Blick für die Realitäten, auch die des politischen Machtkampfes, der seinem von Natur aus idealistischen Wesen die notwendige Zielkraft sichert«, hieß es beispielsweise in der Welt zum Auftakt des Staatsbesuchs.57