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Worin besteht der Sinn des Lebens? Und wie zum Henker soll man es schaffen, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu bekommen, wenn doch so ziemlich alles in Trümmern liegt? Diese Fragen stellt sich der 37jährige Anthony Tag für Tag, denn seit dem Tod seiner geliebten Frau, ist nichts mehr so, wie es einst war. Gerade als er sein Leben wieder einigermaßen im Griff hat, poltert Joan, eine Freundin aus vergangener Zeit, mit ihren beiden Söhnen in sein Leben und stellt alles auf den Kopf. Begleiten Sie Anthony durch eine Reise der Gefühlswelt, auf der Suche nach der eigenen, inneren Ruhe und das Wiederfinden von Glück und Lebensmut.
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Seitenzahl: 199
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Vorwort der Autorin
Prolog
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
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Epilog
Alle Personen und Handlungen sind von der Autorin frei erfunden.
Wer sich in diesem Roman wieder zu finden meint, bedenke bitte: Fantasie und Realität sprechen oftmals eine gemeinsame Sprache.
Für meinen Mann Michael, die Liebe meines Lebens
Worin besteht der Sinn des Lebens? Diese Frage beschäftigt mich schon seit langem. Naja, wenn ich es mir recht überlege, eigentlich schon immer. Genau wie ich darüber nachdenke, wie es wohl sein würde, plötzlich einfach so alles zu beenden; ob es wirklich ein Leben nach dem Tod geben kann und wer wohl um mich trauern würde. Manchmal mache ich in Gedanken eine Strichliste, wem ich alles ein paar Tränen zutrauen würde und wer mich dann wirklich vermisst. Dann überlege ich mir, wie lange wohl die Trauer bei den Personen meiner Strichliste andauern würde, ob sie leiden würden und wie sie mit dem Verlust umgehen würden. Einige sind garantiert froh mich los zu sein, aber ich denke der Mehrheit wird es egal sein. Es ist ja nicht so, dass mich niemand leiden kann, aber da ich eher ein zurückhaltendes Leben führe, bin ich mir nicht sicher, wie viele Menschen überhaupt von meiner Existenz wissen. Es ist ja oft so, dass man durchs Leben wandelt, ohne jemanden wirklich wahrzunehmen oder von anderen wahrgenommen zu werden. Alles läuft nebeneinander her und vieles ist einfach nur selbstverständlich, aber ohne große Bedeutung. Ganz ehrlich, auf ein Leben nach dem Tod kann ich wirklich gut verzichten und Wiedergeburt, Himmel oder sonstiges brauche ich auch nicht. Das einzige wonach es mir steht, wenn ich gehe, ist Ruhe. Nie wieder leiden und nie wieder denken. Dieser Gedanke ist wirklich traumhaft…
Bis vor kurzem habe ich ein tolles Leben geführt. Klar irgendwas fehlt immer, denn der Mensch wäre nicht Mensch, wenn er einfach mit allem zufrieden wäre. Nur so ist der ganze Fortschritt entstanden, weil es Menschen gab, die nach Verbesserung gestrebt haben. Und doch kann ich sagen, dass ich im Großen und Ganzen wirklich glücklich war. Ich hatte ein tolles Haus und die wunderschönste, klügste und fantastischste Frau, die man sich nur wünschen konnte. Und dann, von einer Minute zur nächsten hatte sich alles verändert. Es war der Tag, an dem meine Frau bei einem Unfall mit Fahrerflucht getötet wurde. Dies liegt nun fast drei Jahre zurück und sie fehlt mir jeden Tag ein bisschen mehr.
An einigen Tagen weiß ich gar nicht, wie ich ohne sie atmen soll, würde mich am liebsten einigeln und vor mich hin wimmern wie ein Baby. An anderen Tagen klappt es besser. Dann stürze ich mich voll in meine Arbeit als Webdesigner oder lenke mich mit allen möglichen Sachen ab. Und dann gibt es Tage, an denen kann ich mir sogar vorstellen, dass ich irgendwann wieder glücklich sein kann. Vielleicht sogar eine neue Beziehung einzugehen. Zugegeben, diese Tage sind eher selten, aber immerhin gibt es sie.
Anfang letzten Jahres habe ich unser Haus verkauft und bin in ein kleines Zwei-Zimmer-Apartment gezogen. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, ständig an sie erinnert zu werden und doch zu wissen, dass ich sie nie wieder sehen und sprechen kann. Am liebsten hätte ich das Land ganz verlassen, irgendwo neu angefangen, aber dafür fehlt mir die Kraft und vor allem der Mut.
Nachts liege ich oft wach, starre an die Decke und schwöre ihr Bild vor meinem inneren Auge herbei. Dann sehe ich ihr blondgelocktes schulterlanges Haar, wie es im Winde weht; ihre herrlich grünen Augen, die mit goldenen Sprenkeln versehen sind; ihr kleines Stupsnäschen und den verführerischen Schmollmund; ihre weiblichen Rundungen, die mich schon immer um den Verstand gebracht haben. Oh, wie ich sie vermisse, meine geliebte Fiona. Ich vermisse ihr Nähe, unsere Gespräche, unsere gemeinsame Zeit und ja auch unseren fantastischen Sex…
Heute ist einer der Tage, an denen es mir ganz gut geht. Die Mikrowelle summt und erwärmt mir mein Essen vom Vortag, während ich mich durchs Abendprogramm zappe.
Wie zu erwarten war, läuft nichts Aufregendes im Fernsehen und als ich gerade den Fernseher ausschalten will, heftet sich meine ganze Aufmerksamkeit auf eine Reportage über Fehlgeburten in der Frühschwangerschaft. Es erwischt mich eiskalt, der totale Erinnerungsflash: Auch Fiona und ich hatten einst ein Baby erwartet.
Ich erinnere mich an das Leuchten in Fionas Augen, als sie mir das Ultraschallbild unter die Nase gehalten hatte. Natürlich hatte ich nichts auf diesem Bild erkennen können und Fiona hatte es mir ganz geduldig erklärt, wo das kleine Herz schlägt. An diesem Abend waren wir essen gegangen und jeder, der unseren Weg kreuzte, musste sich von mir anhören, ob er wollte oder nicht, dass wir ein Baby bekommen. Fiona war das schon irgendwann peinlich, aber ich war einfach nur so stolz und oberglücklich, dass ich die freudige Nachricht am liebsten vom höchsten Haus der Stadt gerufen hätte. Wir sind durch die Straßen getanzt und alles war einfach so schön. Vier Wochen später durfte ich mit zum Ultraschall und auch diesmal konnte ich erst etwas erkennen, nachdem der Arzt es mir erklärt hatte. Später hatte ich Freunden das neuste Bild unseres Babys präsentiert und mit einer Selbstverständlichkeit erklärt, was man wo sah. Fiona stand daneben und bekam sich kaum ein vor Lachen. Die Zeit verging und auch ihr Bäuchlein wurde immer runder. Ich hatte bis dahin gar nicht gewusst, wie sexy eine schwangere Frau sein kann. Bei jedem Einkauf fanden wir irgendwas, was unser Baby unbedingt brauchen würde. Eine unbeschreibliche Zeit und dann kam das Unfassbare: Die ersten spürbaren, zarten Bewegungen. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie es sich angefühlt hatte, das Baby so durch die Bauchdecke zu spüren. Wir waren die glücklichsten werdenden Eltern auf Gottes Erdboden und alles glich einem wundervollen Traum.
Das böse Erwachen kam an dem Tag, als Fiona mit Blutungen in der zwanzigsten Schwangerschaftswoche ins Krankenhaus kam und die Ärzte nur noch den Herzstillstand unserer Tochter feststellen konnten. Es traf mich wie ein Schlag und ich konnte es nicht glauben, dass unser Baby nie geboren werden sollte. Unter Tränen beichtet mir dann Fiona, dass ihr seit einiger Zeit so ein suspekter Typ nachstellen würde, sie mir aber nichts gesagt habe, weil sie mich nicht damit belasten wollte. Kann man sich so was vorstellen? Meine schwangere Frau wollte mich schonen und ging deshalb für mich durch die Hölle! Wie Schuppen fielen mir plötzlich die ganzen Warnhinweise von den Augen: Fiona, die oft ängstlich wirkte; Fiona, die zusammenzuckte, wenn das Telefon läutete; Fiona, die nur noch ungern das Haus verlassen hatte. Ich hatte das damals alles auf die Hormonumstellung geschoben und mir alles schöngeredet. Wie hätte ich das auch ahnen können?
Als Fiona aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte ich alle Babysachen weggeräumt. Wir redeten an dem Abend noch ein einziges Mal über unsere kleine Tochter, der wir den Namen Celina gaben. Wir weinten gemeinsam um unsere kleine Tochter, die wir nie kennenlernen durften und doch so geliebt hatten. Es hätte mir doch sowieso nichts gebracht, ihr Vorwürfe zu machen, das tat Fiona schon selbst genug. Beerdigen durften wir unser Kind nicht, denn die Bestimmungen damals besagten, dass ein Baby erst beerdigt werden darf, wenn es über ein Kilogramm wiegt. Also setzten wir unserer kleinen Celina ein Denkmal in unseren Herzen.
Einmal war Fiona nochmal schwanger geworden, aber ihr Körper hatte das Baby gleich wieder abgestoßen. Danach wollte sie keine Kinder mehr und ich wollte einfach nur, dass meine Frau wieder lachen kann.
Von einem Piepen werde ich aus meinen Erinnerungen gerissen. Die Mikrowelle teilt mir mit, dass mein Essen warm ist, doch irgendwie ist mir der Appetit vergangen. Also nehme ich den Teller aus der Mikrowelle und schütte die dampfenden Spaghetti Carbonara in den Abfalleimer. Dann schalte ich den Fernseher aus und falle erschöpft ins Bett. An Schlaf ist nicht zu denken. Ich starre an die Zimmerdecke und lasse meinen Tränen freien Lauf. Nach all den Jahren kommen endlich die Tränen, die schon so lange in meiner Brust gebrannt haben. Ich weine um meine tote Frau und um meine tote Tochter. Ich weine Tränen längst vergangener Zeit. Irgendwann, als alle Tränen geweint sind und das letzte trauernde Schluchzen verebbt ist, falle ich in einen traumlosen Schlaf.
Wieder ist ein Monat vergangen. So langsam werden die Tage kürzer und es ist deutlich kühler geworden. Ich habe nichts gegen die kalte Jahreszeit, ganz im Gegenteil, ich mag sie sogar. Mein damaliger Studienkamerad Tom hat immer gesagt: „Eis und Schnee sind nur schön gemachtes Wetter.“ Ich finde, er hat nicht ganz Unrecht mit diesem Spruch und genau aus diesem Grund denke ich meist an ihn, wenn der Winter einkehrt. Tom, was der jetzt wohl so macht? Ich muss ihn wirklich mal wieder anrufen, vielleicht sogar mal auf ein Bier treffen. Und dann über alte Zeiten plaudern. Ja, das würde mir sehr gefallen. Im Stillen mache ich ein Memo an mich selbst: Tom anrufen.
Der heutige Tag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Auf dem Heimweg von der Arbeit halte ich noch beim Supermarkt an, denn so langsam knurrt mein Magen doch ganz schön. Während ich so durch die Gänge schlendere und mir überlege, was ich denn heute essen möchte, lenkt plötzlich monströses Kindergeschrei und die sehr genervt klingende Stimme einer Frau einen Gang weiter meine Aufmerksamkeit auf sich. Irgendwoher kenne ich diese Stimme, aber mir will partout nicht einfallen woher. Neugierig schaue ich langsam um die Ecke des Regals und werfe einen Blick in den anderen Gang. Das Spektakel, was ich erblicke, lässt ein breites Grinsen auf meinem Gesicht erscheinen. Zwei kleine Rabauken streiten sich lautstark, wer zuerst den Einkaufswagen schieben darf. Die Mutter der zwei steht etwas unbeholfen daneben, gibt den Versuch dann aber doch auf, die zwei bändigen zu wollen und kann nur noch mit dem Kopf schütteln.
Mit weit ausgebreiteten Armen gehe ich auf die drei zu.
„Joan!“
Joan sieht sich um, wer ihren Namen ausgesprochen hat. Als sie mich sieht, muss auch sie breit lächeln.
Joan hat sich in all den Jahren gar nicht verändert. Sie hat immer noch den gleichen olivfarbenen Teint; dunkelbraunes, fast schwarzes, unbändig wirkendes Haar; braune, mandelförmige Augen und trotz ihrer zwei Kinder, eine zierliche Figur.
Wir umarmen uns und ich bekomm sogar ein Begrüßungsküsschen von ihr auf jede Wange. Dann strubble ich durch die Haarschöpfe der zwei Rabauken, die augenblicklich Ruhe geben. Da sie mich nicht kennen, betrachten sie mich neugierig von oben bis unten und verstecken sich dabei hinter ihrer Mutter. Das letzte Zusammentreffen zwischen Joan und mir liegt schon ein paar Jahre zurück. Damals hatte Joan gerade ihr erstes Kind bekommen und machte eine sehr schwere Lebensphase durch: Drogen, Alkohol, Männer. Die Schule hatte sie geschmissen und wusste nichts mit ihrem Leben anzufangen. Sie lebte von einem in den anderen Tag hinein und zu dieser Zeit war es wirklich fraglich, wie sie ein Kind großziehen sollte, denn sie war an manchen Tagen lieber um die Häuser gezogen, als ihren Mutterpflichten nachzukommen. Von Freunden hatte ich dann gehört, dass Joan noch ein Kind bekommen hatte. Einmal hatte ich sie mit dem Baby gesehen. Aber wir hatten nicht miteinander gesprochen. Dann herrschte Funkstille zwischen uns.
Und nun sehe ich Stolz in ihren Augen, als sie mir mit leicht roterhitzten Wangen mitteilt, dass sie vor zwei Monaten eine Ausbildung zur Friseurin begonnen hat.
„Der Job macht mir echt riesig viel Spaß und mit Max und Tim klappt es auch immer besser.“
Das glaube ich ihr ohne auch nur einen Zweifel zu hegen, denn ich sehe das Leuchten in ihren Augen, das nur eine bedingungslos liebende Mutter haben kann.
Die Jungs drängeln, sie wollen jetzt endlich nach Hause und auch mir teilt mein knurrender Magen mit, dass es wirklich Zeit wird, sich zu verabschieden. Ich meine einen traurigen Schimmer in Joans Augen zu vernehmen.
„Wenn du magst, können wir ja mal telefonieren und uns dann vielleicht treffen. Ich würde mich wirklich freuen!“
Joan beginnt in ihrer Handtasche zu kramen und bringt eine kleine Visitenkarte von sich zum Vorschein.
„Wie wäre es mit Samstag? Achtzehn Uhr zum Abendessen?“
Da ich am Wochenende sowieso noch nichts vorhabe, nehme ich die Einladung nur allzu gern an.
Joans Blick ist voller Freude.
„Kommst du allein oder in Begleitung?“
„Allein!“
„Gut, Anthony, dann bis Samstag. Ich freue mich!“
Mit diesen Worten trennen wir uns und jeder geht wieder seinen eigenen Weg.
Die Woche vergeht wie im Flug und ehe ich mich versehe ist es Samstagabend.
Ich irre durch die Straßen, um die Adresse von Joan zu finden. Ausgerechnet heute hat mein Navi seinen Dienst quittiert. Etwas orientierungslos fahre ich umher und biege dann endlich in die richtige Straße ein. Na das kann ja heiter werden, hier einen Parkplatz zu ergattern, von dem man nicht ewig zurücklaufen muss.
Als ob mein Stoßgebet erhört wurde, fährt zehn Meter vor mir ein dunkelblauer BMW aus einer Parklücke, die ich sofort als meine Eroberung betrachte. Etwas klein für meinen silbernen Land Rover, das muss ich schon zugeben, aber nichts ist ja bekanntlich unmöglich. Nach einigen Malen hin und her rangieren stehe ich endlich vorbildlich am Straßenrand eingeparkt da und mache mich dann auf den Weg zu meiner Zieladresse. Joan wohnt in einem, von außen wirklich stark renovierungsbedürftig wirkenden Wohnblock, mit fünf Eingängen und sechs Etagen. Wie sich herausstellt, wohnt die kleine Familie im sechsten Stock. Die Haustür steht offen, sodass ich ohne zu klingeln, die Treppen zu der Wohnung hinaufsteige. Einen Aufzug gibt es nicht.
Ich bin völlig außer Atem, als ich oben ankomme und nehme mir sogleich vor, wieder in Zukunft mehr für meine Fitness zu tun. Mit einem großen, bunten Blumenstrauß stehe ich nun vor Joans Wohnungstür. Auch von innen macht das Mietshaus einen eher heruntergekommenen Eindruck. Aber wenigstens ist alles sauber. Das gefällt mir.
Hinter der Tür sind Kinderstimmen zu vernehmen. Es scheint aber diesmal kein Streit zu herrschen. Es hört sich eher nach einem aufregenden Spiel an.
Den Jungs bringe ich Fruchtgummi, Schokolade und zwei kleine Spielzeugautos mit. Von den Kindern meines Bruders weiß ich, dass sich nur allzu gern wegen Kleinigkeiten gestritten wird. Um dem aus dem Weg zu gehen, habe ich zweimal das gleiche Auto besorgt.
Ich straffe meine Schultern und drücke dann auf den Klingelknopf. Es ertönt eine gedämpfte Melodie, die mich freundlich anzumelden scheint. Augenblicklich wird auch die Tür aufgerissen und wieder schauen mich vier braune, mandelförmige Kinderaugen fragend und gleichzeitig erwartungsvoll an.
Ich begrüße die zwei, strubble durch ihr Haar und überreiche ihnen sogleich die Tüte mit den Geschenken. Beide freuen sich riesig und begutachten gespannt den Inhalt der Tüte.
Scheinbar habe ich ihren Geschmack getroffen, denn sie machen einen durchaus zufriedenen Eindruck. Ich freue mich darüber, dass ich bei den beiden offensichtlich punkten konnte.
Joan begrüßt mich mit einem Kuss auf die Wange und nimmt die Blumen entgegen. Mit einem zufriedenen Lächeln nimmt sie den Duft der Blumen in sich auf und bedankt sich. Dann zeigt sie mir, wo ich meine Jacke und Schuhe ablegen kann und geht dann voraus in die Küche.
Noch bevor ich ihr folgen kann, werde ich von zwei Kinderhänden an jeder Hand in ein kleines Zimmer am Ende des Flurs gezerrt. Das Zimmer entpuppt sich als Kinderzimmer und stolz wird mir jedes einzelne Spielzeug präsentiert. Joan ruft aus der Küche, dass das Essen fertig sei und ich verspreche den beiden, nach dem Essen noch etwas mit Bausteinen mit ihnen zu bauen. Dann lasse ich mich durch das Wohnzimmer in die Küche führen, in der eine kleine orangebraune Essecke steht. Die Küchenmöbel sind mintgrün, was ich toll finde, denn grün ist meine Lieblingsfarbe. Alles ist sehr spartanisch eingerichtet, aber genau das schafft eine durchaus gemütliche Atmosphäre.
Es riecht sehr verführerisch nach Hähnchen.
Kaum habe ich auf der Eckbank Platz genommen, sitzt auch schon Max rechts von mir und Tim klettert links neben mich auf die Bank.
„Weißt du was Mama? Anthony hat versprochen, mit uns nach dem Essen was aus Bausteinen zu bauen“, verkündet Max mit strahlenden Augen.
Joan blickt mich schelmisch an, sodass ich nur noch mit den Schultern zucken kann. Nun ist es also amtlich und drücken gilt nicht mehr.
Mit einem Lächeln bietet mir Joan ein Bier an, welches ich nur allzu gern nehme. Dann verteilt sie das Essen auf die Teller und stellt jedem einen große Portion Hähnchenkeule mit Bratkartoffeln und Spiegelei vor die Nase. Alles schmeckt wirklich sehr köstlich und während des Essens wechseln Joan und ich kaum ein Wort, sondern lauschen dem regen Geplapper der Jungs. Wie ich in dem Gespräch erfahre, wird Max bald sieben und wünscht sich die neusten Pokémon-Karten. Er ist im Sommer in die Schule gekommen und hat sogar schon eine kleine Freundin. Tim hingegen ist fünf, liebt Flugzeuge und geht noch in den Kindergarten.
Nach dem Essen beginnt Joan mit dem Aufräumen der Küche. Ich stelle sicher, dass sie meine Hilfe nicht benötigt und ziehe mich dann mit den Jungs ins Kinderzimmer zurück. Wir beginnen einen Flughafen mit Parkplatz und allen Drum und Dran für Tims Lieblingsflugzeug zu bauen.
Die Zeit vergeht wie im Flug und irgendwann steht Joan im Türrahmen.
„Hey ihr Süßen, es wird langsam Zeit zum Aufräumen. Es ist schon spät.“
Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass es schon nach zweiundzwanzig Uhr ist.
Maulend räumen die zwei alle herumliegenden Bausteine fort. Nur den Flughafen lassen sie stehen, damit sie morgen weiterspielen können. Dann ziehen sie ihre Schlafanzüge an und gehen sich ihre Zähne putzen.
„Schlaft gut ihr zwei. Und wenn ich das nächste Mal wieder zu Besuch bin, bauen wir weiter.“
Mit diesem Versprechen verlasse ich das Kinderzimmer. Ein leises „La le lu“ begleitet mich durch den Flur.
Während Joan ihren Kindern noch ein Gutenachtlied vorsingt, gehe ich ins Wohnzimmer und mache es mir dort auf dem roten Sofa bequem. Ich schaue mich im Raum um, betrachte die gerahmten Fotografien, die auf der silbergrauen Schrankwand stehen. Auf einem Bild, sieht man zwei lachende Kinder beim Baden, auf einem anderen die zwei beim Schaukeln. Dann gibt es ein Bild von Max mit einer riesigen Schultüte im Arm, wie er gerade zahnlos in die Kamera grinst. Und natürlich eins von Tim mit einer kleinen Schultüte. Einen Mann scheint es in Joans Leben nicht zu geben.
Joan betritt leise das Zimmer. Sie sieht geschafft und müde aus, aber auch glücklich. Sie lässt sich neben mich aufs Sofa fallen, um gleich wieder aufzuspringen und in die Küche zu eilen.
„Ich habe da ja noch was.“
Verkündet sie beim Rauseilen.
Zurück kommt sie mit einer Flasche Riesling-Spätlese, zwei Weingläsern und einem Korkenzieher. Dann setzt sie sich abermals neben mich und reicht mir die Flasche und den Korkenzieher. Die Gläser stellt sie auf den grauen Schiefersteincouchtisch. Ich nehme alles entgegen, mache die Folie ab, drehe den Korkenzieher in den schon leicht porösen Kork und ziehe ihn dann mit Schwung aus der Flasche. Gekonnt gieße ich den Wein in die Gläser ein und reiche Joan ein Glas. Welch herrlich goldgelbe Farbe der Wein hat. Wir prosten uns zu und nippen dann genüsslich an diesem edlen Tropfen. Selten habe ich so guten Wein getrunken, der weder zu herb noch zu süß ist.
Lange reden wir über banales Zeug. Als ich sie nach dem Vater von Tim frage, winkt sie nur ab.
„Ach, das war genauso wie bei Max´s Vater. Hat sich sofort aus dem Staub gemacht, als er hörte, dass ich schwanger bin.“
Da sie eindeutig nicht darüber reden will, versuche ich geschickt das Thema zu wechseln. Also erkundige ich mich, so nebenbei klingend wie nur möglich, wie es denn zurzeit bei ihr um die Liebe bestellt ist.
Diese Frage hätte ich lieber nicht stellen sollen, denn ihr Blick wird augenblicklich leer und traurig. Sie steht auf und geht in Richtung Badezimmer. Im Türrahmen dreht sie sich um und schaut mir fest in die Augen.
„Wenn ich das doch nur selbst wüsste.“
Mit diesen Worten verschwindet sie im Bad und kommt lange Zeit nicht wieder raus.
Als sie wieder zu mir kommt, hat sie rotgeweinte Augen. Ich stehe auf, trete auf sie zu und nehme sie fest in meine Arme. Es tut mir so unendlich leid, sie so aufgelöst zu sehen und würde so gern ihre Tränen trocknen, ihren Schmerz erlöschen lassen, ihr irgendwie helfen, alle gesagten Worte zurücknehmen. Nach ein paar Minuten setzen wir uns aufs Sofa; nehmen unsere Gläser in die Hand, ohne zu trinken und hängen jeder seinen eigenen Gedanken nach. Joan ist die erste, die das Schweigen bricht. Sie leert ihr Glas in einem Zug und beginnt dann zu erzählen. Ich unterbreche sie kein einziges Mal, sondern höre ihr einfach nur zu…
„Also… Ähm, alles begann damit, dass es mir vor fünf Jahren doch echt beschissen ging. Tim war gerade geboren worden und mit Max war es auch nicht einfach. Zugegeben meine größte Angst galt nicht den Kindern, sondern eher hatte ich echt Angst, einen Rückfall mit Drogen oder so zu bekommen. Ich musste einfach mal raus und da hatte ich beschlossen, eine Zeitlang meine ältere Schwester Vanessa in den Bergen zu besuchen, um mal auszuspannen, neue Energie zu schöpfen und so.
Und dann, kaum war ich angekommen, da traf ich ihn: Gutaussehend, sexy und absolut charmant. Sein Name war Ole.
Oh Mann, ruckzuck hatte mich Ole um den Finger gewickelt und ohne, dass ich es wirklich wollte, hatte ich mich bis über beide Ohren in ihn verknallt. Alles war rosarot um mich herum, alles war so schön mit ihm. Verstehst du, was ich meine? Das kannte ich doch so gar nicht und dann… Peng! Plötzlich zerplatzte alles wie eine Seifenblase. Da waren so viele Gerüchte um andere Frauen und jede Menge anderer Lügen und ich wusste einfach nicht mehr, was ich noch glauben sollte und was nicht. Ich war nur noch am Heulen und mir ging es so verdammt mies. Ich wusste ja, wenn ich weiter so leide, ist das weder für meine Kinder noch für mich gut und so beschloss ich einfach, die Zeit mit ihm nur noch zu genießen und auf keine Gerüchte oder so zu hören. Natürlich hatte das nur in der Theorie funktioniert. Wenn wir uns sahen, war alles so schön. Wenn wir telefonierten oder mailten, fühlte ich mich ihm so nah und vor allem geliebt. Aber die Zeit dazwischen, wenn ich ihn nicht sehen, hören, spüren konnte, war und ist halt so scheiße hart für mich.
Das nächste Problem ist natürlich die Entfernung, die ja nicht gerade klein ist. Ich fahre so oft hin, wie es mir halt möglich ist. Das war bisher immer so ungefähr zwei bis drei Mal im Jahr. Aber jetzt durch meine Arbeit geht das auch nicht mehr so einfach und Max muss ja zur Schule.
Mich hat er noch nie besucht und glaube mir, ich hätte mein ganzes Leben für ihn aufgegeben, hätte er nur ein einziges Mal gesagt, dass ich bei ihm bleiben soll. Das hat er aber nie getan.
Und jetzt war ich letztens da, für zwei Wochen, und da sagte der mir doch rotzfrech ins Gesicht, dass so eine Tussi, die auch noch was von ihm will, bei ihm für eine Weile wohnen wird, weil sie Beziehungsprobleme oder so hat. Ich hatte ihn regelrecht angefleht, dass die erst kommen solle, wenn ich wieder nach Haus gefahren bin. Er sollte mir doch einfach nur zeigen, dass ich ihm wichtig bin, wenigstens etwas bedeute. Er sollte mir gegenüber nur einmal loyal sein. Aber Ole meinte nur, er habe es versprochen und was er verspricht hält er auch. Aber er hatte mir geschworen, dass zwischen den beiden unter Garantie nie was laufen wird, weil die gar nicht sein Typ ist und so.