Mein Weg zur ewigen Ruhe - Petra Fischer - E-Book

Mein Weg zur ewigen Ruhe E-Book

Petra Fischer

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Beschreibung

Von Kindheitstagen an kämpft Felicitas um Liebe und Anerkennung. Jeder Schicksalsschlag scheint sie stärker zu machen, bis zu dem Tag, als sie merkt, dass sie den Kampf nicht gewinnen kann.

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Vorwort der Autorin

Die Gabe oder der Fluch eines Autors/einer Autorin ist seine/ihre Fantasie. Diese gemischt mit eigenen Erfahrungen und Storys, die das Leben schreibt, lassen grandiose Geschichten entstehen. Dabei ist es nicht wichtig, wie viel Wahres in einem Roman steckt, sondern viel mehr, wie sehr die Leser und Leserinnen in seinen Bann gezogen werden und sich vielleicht sogar in diesem wiederfinden.

Für meine Kinder Cynthia, Justin und Quentin Ich bin sehr stolz auf euch!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

Prolog

Nun wird es bald soweit sein. Nur noch ein paar letzte Vorbereitungen…

Vor mir auf dem Tisch liegt meine To-do-Liste. Fast alles auf ihr ist erledigt und abgehakt. Job kündigen – Häkchen. Nachmieter suchen – Häkchen. Versicherungen an- und umschreiben sowie kündigen – Häkchen. Bestattungsinstitut beauftragen, Sarg und Blumengebinde aussuchen – alles erledigt. So folgt ein Häkchen dem anderen.

In meiner Fantasie werde ich bald friedlich einschlafen, mit einem sanften Lächeln auf den Lippen.

Wenn ich daran denke, bin ich voller Vorfreude und es kribbelt sogar sanft in meinem Bauch.

Doch noch ist es nicht soweit. Noch gibt es einen letzten, offenen Punkt auf meiner Liste. Ich kann nicht gehen, ohne es meiner Schwester zu erklären. Und genau das fällt mir so unendlich schwer. Wie erklärt man jemandem, den man über alles liebt, mit dem man seelenverwandt ist, dass der Zeitpunkt gekommen ist, Lebwohl zu sagen?

Ja, Sie haben richtig gelesen: Ich plane mein baldiges Ende. Und es fühlt sich gut und richtig an!

Bitte verurteilen Sie mich an dieser Stelle nicht. Ich möchte nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von meiner Person bekommen! Das, was ich vorhabe, ist nicht der einfache, feige Weg, sondern vielmehr ist es der einzig richtige.

Sie glauben mir nicht? Das kann ich sogar gut verstehen, manchmal kommt mir selbst alles sehr unwirklich vor.

Deshalb würde ich Ihnen gerne meine Geschichte erzählen…

1.

Zuerst möchte ich mich Ihnen vorstellen: Mein Name ist Felicitas und ich wurde vor dreißig Jahren als neuntes Kind in eine recht bürgerliche Familie geboren.

Sie können sich gar nicht vorstellen, was für ein Schock das für meine Mutter gewesen sein musste, als ich fünf Minuten nach meiner Zwillingsschwester Laureen das Licht der Welt erblickte, wo sie doch immer von acht Kindern oder - wie sie es immer ausdrückte - von zwei vierblättrigen Kleeblättern geträumt hatte.

Es klingt vielleicht theatralisch, aber der Traum ihrer perfekten Familie zerplatzte buchstäblich mit meiner Geburt.

Sie konnte mich einfach nie lieben und zeigte mir ihre Verachtung, wann immer sie konnte. Doch ich mache ihr keine Vorwürfe, denn sie konnte gar nicht anders. Ihr Hass, den ich als Kind zu glauben spürte, zerfraß sie immer mehr und ihre schiere Überforderung ließ sie bald mehr leiden als mich. So lernte ich also schnell, auf mich selber aufzupassen und es gab nur eine Person, der ich bedingungslos vertraute. Und das war und ist bis heute meine Zwillingsschwester Laureen.

Laureen und ich sahen schon als Kinder zum Verwechseln ähnlich aus, was wir uns auch das ein oder andere Mal zu Nutze machten. Uns gab es nur in den seltensten Fällen einzeln und diese Zusammengehörigkeit brachte uns die Sicherheit, die uns beiden in unserer Familie so sehr fehlte.

Bei uns zu Hause war täglich Streit an der Tagesordnung und wenn es am lautesten zuging, verkrochen Laureen und ich uns immer und planten ein neues Leben. Wir philosophierten dann darüber, in welchem Land wir einmal leben würden und träumten uns unsere perfekte kleine Familie zusammen.

Am schlimmsten war es immer, wenn unsere Eltern ausgingen und uns Kinder allein zurückließen. Unsere älteren Geschwister fanden das immer klasse, denn sie nutzten die elternfreie Zeit, um sich verbotene Filme im Fernsehen anzusehen. Auf Laureen und mich achtete in dieser Zeit niemand. Meist saßen wir dann einander gegenüber auf meinem oder ihrem Bett und hielten uns an den Händen. Dabei weinten wir leise aus Angst vor dem, was uns erwarten würde, wenn unsere Eltern wieder heimkamen. Fast immer hatten sie getrunken. Alles roch dann nach Alkohol und manchmal sogar nach Erbrochenem. Es gab dann stets sehr lauten Streit.

Oft wurden wir unsanft aus unseren Träumen gerissen, weil unsere Eltern sich anschrien. Gegenstände fielen lautstark zu Boden. Einige zerbrachen schallend und dann polterten Türen. Danach herrschte immer eine Stille, die noch beängstigender war als der vorangegangene, lautstarke Streit.

2.

Über meine Kindheit gibt es eigentlich nichts Besonderes zu berichten. Bei so vielen Personen in einer Familie kümmert sich jeder um jeden und doch ist man die meiste Zeit auf sich allein gestellt. Man erzieht sich quasi selbst und bekommt alles Weitere von den anderen Geschwistern beigebracht.

Meine älteste Schwester Leonie beispielsweise lehrte uns Kleinen, wie man sich alleine ankleidet und wie man sich seine Schuhe bindet. Mein Bruder Frederic brachte mir im Alter von fünf Jahren das Schwimmen bei und mit sechs Jahren das Fahrradfahren. Von Richard erfuhr ich alles über Fußball, denn er war ein begnadeter Fußballspieler. Manchmal nahm er mich, Laureen und unseren Bruder Florian mit zu einem seiner Fußballturniere. Wir saßen dann im Publikum auf der Tribüne und fieberten gebannt bei dem Spiel mit. Bei einem Sieg jubelten wir drei am lautesten und weinten ganz herzzerreißend bei einer Niederlage.

Mit unseren Schwestern Caroline und Amelie gingen Laureen und ich am liebsten shoppen. Die zwei, auch Zwillinge, wussten immer über die neuste Mode Bescheid und wir erfuhren viel von ihnen über Jungs, Liebe und Sex.

Das größte Vorbild in meiner Kindheit war allerdings mein Bruder Morten. Stets cool und immer einen lustigen Spruch an richtiger Stelle parat. Morten spielte sogar in einer Band Gitarre und ich war sein größter Fan. Ich genoss seine Gegenwart, obwohl ich oftmals nur Luft für ihn zu sein schien. Umso schöner waren die Momente, in denen er mich wahrnahm. An einen kann ich mich noch besonders gut erinnern und wenn ich die Augen schließe, sehe ich Morten wieder vor mir, wie er in seinem Zimmer sitzt und die Saiten seiner Gitarre sanft zupft. Ich blieb damals hinter der halb geöffneten Tür stehen und lauschte der Melodie. Es war das erste Mal, dass ich ihn zu seinem Gitarrenspiel singen hörte. Welch zauberhafte Stimme! Ich war völlig angetan von dieser sinnlichen Kombination aus Instrument und Stimme. Als er die letzten Akkorde spielte, blickte er von seiner Gitarre auf und sah mich lächelnd an. „Hat es dir gefallen?“, fragte er mich und ich war nicht in der Lage zu antworten, sondern nickte nur stumm. Dann betrat ich Mortens Zimmer und ging auf ihn zu. Das war der intensivste Augenblick in unserem Bruder–Schwester–Verhältnis. Ich blieb noch eine ganze Weile bei ihm, wir redeten und ich stellte sehr viele Fragen. Er zeigte mir ein paar Griffe auf seiner Gitarre und er sang noch einmal das Lied für mich. Heute weiß ich, dass dieser Tag einer der perfektesten Tage meines Lebens war.

Von jedem meiner Geschwister konnte ich etwas lernen. Jeder war auf seine eigene Art und Weise großartig und ich möchte keinen von ihnen missen. Natürlich gab es auch bei uns die ganz normalen Geschwisterstreitigkeiten wie in jeder anderen Familie auch, trotzdem kann ich behaupten: Es war eine schöne Zeit.

An Aktivitäten mit meinen Eltern kann ich mich leider gar nicht erinnern. Fotos belegen, dass es sie gab, aber ich habe keine Erinnerungen an sie. Soweit ich mich entsinnen kann, gab es kaum Grenzen und nur wenige Regeln. Wichtig war eigentlich nur, dass von anderen, insbesondere der Schule und von Nachbarn, keine Klagen kamen, und dass jeder nachts in seinem Bett lag. Ansonsten konnten wir unsere Tage so gestalten, wie es uns beliebte.

In unserer Freizeit hielten Laureen und ich uns am liebsten im Park auf. Dort gab es einen großen Spielplatz mit vielen Schaukeln, einer Rutsche, verschiedene Kletterstationen und Sand zum Buddeln. Wenn wir keine Lust auf Spielplatz hatten, spielten wir Ball auf der Wiese oder fütterten die Enten, die auf dem kleinen Teich in der Mitte des Parks schwammen. Im Sommer waren da überall Seerosen und im gesamten Park blühten Blumen in allen Farben und Formen. Gleich hinter dem Park war ein kleines, dichtes Waldstückchen. Als Kinder hatten wir Angst, es zu betreten, denn von anderen Kindern wurde erzählt, dass dort Menschenfresser und Kindermörder lebten, die sich alle Kinder schnappten, die alleine den Wald betraten.

Alles Quatsch! Mit zehn Jahren hatte ich es getestet und war todesmutig nach einem heftigen Streit mit Laureen alleine in den Wald gegangen. Ich lief umher und nichts passierte. Als ich am Abend Laureen davon berichtete, wollte sie mir erst nicht glauben. Also gingen wir am nächsten Tag gemeinsam in den Wald.

Wir liefen langsam Hand in Hand den Waldweg entlang. Unsere Sinne waren so gespitzt, dass wir bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammenzuckten, aber wir durchquerten den Wald und fanden nach einiger Zeit eine herrliche kleine Lichtung. Da gerade Sommer war, spross das Gras in einem satten Grün und überall blühten wunderschöne Blumen in den buntesten Farben. Der Geruch der unberührten Natur durchströmte uns und wir genossen das Zwitschern der verschiedenen Vogelarten.

Es war der herrlichste Ort, den wir je gesehen hatten. Ein Ort voller Frieden, Harmonie und Glück. Dies sollte nun unser Ort sein. Keiner sollte von ihm wissen und auf gar keinen Fall wollten wir ihn mit irgendjemanden teilen.

Und daran hielten wir uns auch. Wir kamen immer her, wenn wir alleine waren und blieben im Park, wenn einer unserer Geschwister uns begleitete. Niemandem erzählten wir auch nur ein Wort.

Im Laufe der Zeit hatten wir uns ein richtiges Paradies geschaffen. Aus Ästen, Zweigen und viel Laub bauten wir mühsam eine Hütte. Okay, ich gebe zu, es war keine Hütte im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Art Höhle oder Unterstand. Aber wir waren stolz auf unser Gebautes und fanden Schutz vor Regen, falls wir doch mal von ihm überrascht wurden.

Unsere Gedanken drehten sich nur noch um diesen einen Ort und wir malten uns die tollkühnsten Abenteuer aus. Wenn wir zu Hause waren, spielten wir unsere Gedanken mit unseren Puppen nach oder wir redeten darüber, was alles Tolles passieren könnte.

Um ehrlich zu sein, kann ich mich gar nicht mehr erinnern, was genau Laureen und ich an unserem geheimen Ort tatsächlich die ganze Zeit gemacht hatten, aber ich weiß, dass ich glücklich war und das alleine zählt.

Wir fantasierten ständig und überall über unsere geheimen Abenteuer und Erlebnisse. Nach und nach bekamen die Kinder unserer Schulklasse unser Getuschel mit und natürlich wollten sie wissen, worüber wir da flüsterten. Also weihten wir unsere Freunde in unsere Fantasiewelt ein, ohne jedoch den Standort zu verraten, weil der ja streng geheim war. Wir berichteten von den spektakulärsten Erlebnissen und steigerten uns so sehr in unsere Geschichten rein, dass wir bald gar nicht mehr in der Lage waren zu unterscheiden, was wahr und was gesponnen war. Wir lebten irgendwie in zwei verschiedenen Welten: Für unsere Eltern, Geschwister und Lehrer in der realen Welt und in der restlichen Zeit in unserer eigenen Fantasiewelt. Geschickt lernten wir die Welten voneinander zu trennen, denn unsere größte Angst war es, dass unsere Eltern etwas von unserem Ort erfahren würden und uns vielleicht verbieten würden, dorthin zu gehen.

Ich weiß nicht, ob es sie überhaupt interessiert hatte, wo wir uns in unserer Freizeit aufhielten und auch nicht, ob sie es uns wirklich verboten hätten, aber als Kind dachten wir das so und wollten natürlich kein Risiko eingehen.

Unsere Ferien verbrachten wir hauptsächlich bei unserer Großmutter. Schon die Zugfahrt zu ihr war immer wie ein kleines Abenteuer für uns. Mutter packte immer ein kleines Picknick, bestehend aus belegten Broten, Früchten und Saft, für uns ein, das wir dann im Zug futterten. Um uns die Zeit zu vertreiben, spielten wir Karten, malten Bilder oder schauten uns einfach nur die verschiedenen Mitreisenden an. Wenn uns jemand besonders faszinierte, überlegten wir uns, was für ein Mensch der Ausgesuchte wohl war und was für ein Leben er führte. Dabei lachten wir immer viel, sodass wir ab und an ein paar sehr missbilligende Blicke von einigen Erwachsenen ernteten.

Vom Bahnhof aus waren es noch circa fünf Kilometer bis zu Großmutters Hof. Wir liefen immer singend die Straße entlang und machten nur Rast, wenn unsere Gepäckstücke uns zu schwer wurden. Wenn wir dann an unserem Ziel ankamen, erwartete uns unsere Großmutter schon sehnsüchtig. Sie machte sich jedes Mal Sorgen, ob wir Mädchen auch gut ankommen würden. Als Kind habe ich das nicht verstanden, aber es war schön, die Freude in ihren Augen zu sehen.

Nach einer innigen Umarmung bot uns Großmutter stets Milch und selbstgebackene Kekse an. Oh Mann, die waren immer so was von lecker! Als Erwachsene habe ich ein paar Mal versucht, solche Kekse nach Großmutters Rezept nach zu backen. Aber es gelang mir nie. Irgendwie fehlte immer das gewisse Etwas.

Bei Großmutter auf dem Hof gab es immer viel zu tun für uns. Wir halfen bei der Gartenarbeit, holten die Eier aus dem Hühnerstall oder putzten das Haus. Ich fand das immer großartig, denn es fühlte sich wie eine Art Daseinsberechtigung an. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Laureen hingegen war, glaube ich, nie so begeistert von der Arbeit. Sie beschwerte sich zwar nie, aber ich konnte ihr Unbehagen spüren.

Wenn wir nicht bei Großmutter arbeiteten, erkundeten Laureen und ich immer die Umgebung rund um den Hof. Nicht weit entfernt gab es auch hier einen schönen Park mit einem Spielplatz, mehrere kleine Seen und jede Menge Angler. Einen Wald gab es nicht, dafür aber einen kleinen Streichelzoo, in dem Ponys, Ziegen, Meerschweinchen, Hasen, Rehe und verschiedene Vogelarten zu Hause waren. Unser Vater hatte uns einst erzählt, dass es hier, als er noch ein Kind gewesen war, sogar mal einen Bären gegeben hatte.

Es war kein großes Gelände, aber es war irgendwie magisch. Laureen und ich liebten beide diesen Teil des Parks und die Tiere.

Hier traf ich erstmals auf Gajus. Es war sofort um mich geschehen, als ich ihn so locker an das Wildgehege gelehnt stehen sah.

Zaghaft hatte ich ihn angelächelt und mein Herz setzte für einen kurzen Augenblick aus, als er daraufhin grinsend auf mich zu kam.

Unsere Blicke trafen sich und ich spürte die Millionen Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen, als er mich an jenem Tag das erste Mal leidenschaftlich küsste.

Ich war dreizehn und total verknallt in ihn.

Das war der Moment, als ich begann, mich von Laureen abzunabeln.

3.

Plötzlich wollte ich nicht mehr die ganze Zeit nur mit Laureen verbringen und brauchte auf einmal ganz viel Zeit für mich. Ich fühlte mich wie zwiegespalten, denn auf der einen Seite wollte ich Laureen ja nicht verletzen, aber auf der anderen widerte mich ihre Anwesenheit regelrecht an.

Ständig überlegte ich mir Ausreden und wenn mir keine einfielen, zettelte ich einen Streit an, nur um wutentbrannt wegrennen zu können. Die arme Laureen verstand das gar nicht und im Nachhinein betrachtet hätte ich wahrscheinlich nur mit ihr reden müssen und es ihr erklären sollen. Sicher hätte sie es verstanden oder es wenigstens aus Liebe zu mir respektiert, aber so weit dachte ich natürlich mit dreizehn nicht.

Wenn ich mich mit Gajus traf, war mir alles andere egal und falls ich doch mal ein schlechtes Gewissen wegen Laureen bekam, wischte ich es aus meinen Gedanken, indem ich mir vorstellte, wie langweilig es doch für sie wäre, uns beim Knutschen zuzusehen.

Jeden Tag traf ich mich mit ihm bei den Tiergehegen und alles war so unglaublich schön mit ihm. Man sagt immer, die erste große Liebe vergisst man nie und das stimmt bei mir hundertprozentig. Ich kann mich an jede Einzelheit von ihm erinnern. Gajus war damals achtzehn, hatte dunkelbraunes, seidiges Haar und wunderschöne braune Augen. In diesen hatte ich mich so oft verloren. Immer wenn wir uns küssten, kribbelte es wie verrückt in meinem Bauch und ich sehnte mich noch mehr nach seiner Nähe.

Die Ferien vergingen wie im Flug und dann kam der Tag des Abschieds. Gajus hielt mich in seinen Armen und obwohl ich stark sein wollte, weinte ich dicke Tränen. Es war der furchtbarste Moment in meinem jungen Leben. Es brannte in meinem Körper, ich wollte schreien und konnte es doch nicht. Am liebsten wäre ich gestorben, so weh tat es. Doch Gajus streichelte ganz sanft über mein Haar, während ich schluchzte. „Hey, Kleines“, flüsterte er, „bald sind wieder Ferien und dann sehen wir uns wieder. Das verspreche ich dir.“

Ich weiß noch, dass ich ihn mit rotunterlaufenen Augen angesehen hatte und ihn fragte, ob er das auch wirklich ernst meinte und er nickte nur. Dann küsste er mich lang.

Die gesamte Zugfahrt über weinte und schluchzte ich. Laureen wiegte mich die ganze Zeit in ihren Armen. Sie war echt toll. Überhaupt nicht nachtragend oder so, sondern sie war einfach nur für mich da.

Die folgenden Tage waren echt die Hölle für mich. Ich konnte nur noch an Gajus denken und jeden Abend weinte ich mich in den Schlaf. So vergingen die Wochen, die mir so unwirklich vorkamen, wie gespenstige Nebelschwaden. Alles war wieder so normal: Die Schule, die Hausaufgaben, meine Familie und doch bekam ich jegliches Geschehen nur am Rande mit. Ich kam mir vor wie ein Zombie, dem das Herz entrissen wurde. Ich sehnte mich dermaßen nach ihm, dass es unbeschreiblich weh tat. Tag für Tag wartete ich sehnsüchtig auf ein Signal von ihm, dass auch er mich vermisste. Irgendein Lebenszeichen von ihm hätte mir auch schon gereicht, aber all meine Briefe an Gajus blieben die ganze Zeit über unbeantwortet.

Ich konnte die nächsten Ferien kaum erwarten und als sie endlich greifbar nah kamen, überkam mich die Angst. Was, wenn er mich schon vergessen hatte? Oder noch schlimmer: Vielleicht hatte er ja schon eine Andere. Diese Gedanken brachten mich noch mehr um den Verstand und die letzten Tage vor Ferienbeginn litt ich doppelt.

Die Bahnfahrt, die sonst so ein schönes Abenteuer für uns war, fühlte sich sehr befremdlich und quälend an. Es war ein Gefühl nicht atmen zu können und ich zitterte die ganze Zeit. Ich konnte es gar nicht abwarten in den Park zu kommen und musste mich sehr zusammenreißen, damit meine Großmutter nichts mitbekam. So ruhig wie möglich aß ich ihre Kekse und trank die bereitgestellte Milch. Ich machte meine Aufgaben auf dem Hof so sorgfältig wie immer, dabei wollte ich eigentlich nur zu ihm. Laureen war die einzige, die Bescheid wusste, wie sehr es in mir brodelte. Nach einiger Zeit flüsterte sie mir zu: „Nun geh schon! Ich mach das für dich.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich umarmte meine Schwester flüchtig und rannte dann so schnell es mir möglich war in den Park.