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Auf den Spuren ihrer seltsamen Träume, sucht Diane nach Antworten …
Eine düstere Familiensaga, die an die Seiten fesselt!
Diane Danson wird seit einer Weile von unangenehmen Albträumen geplagt. Immer wieder tauchen ein mysteriöses Anwesen und ein Ehepaar aus längst vergangener Zeit darin auf. Die Hochzeit ihrer Schwester kommt deshalb als Ablenkung gerade recht. Die Feier findet in der Kleinstadt Adamsville in einer Villa am See statt. Doch als Diane dort ankommt, stellt sie überrascht fest, dass nicht nur der See Teil ihrer merkwürdigen Träume ist, sondern auch das Anwesen nebenan. Im Barkley House trifft sie auf die Geschwister Amy und Jim Barkley, die ihr auf Anhieb unheimlich sind. Warum träumt Diane immer wieder von dem Anwesen der Geschwister und was hat das alles mit ihr selbst zu tun?
Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen gleichnamigen Titels Schatten über Barkley House.
Erste Leser:innenstimmen
„Ich habe jedes Wort in mich gesogen, weil die Geschichte unglaublich spannend und faszinierend ist.“
„Mysteriös, geheimnisvoll und super spannend – genau die richtige Mischung!“
„Fesselnd von Anfang bis Ende, deswegen gibt es von mir klare 5 Sterne.“
„Ein Mystery-Schmöker, den ich nicht mehr aus der Hand legen konnte.“
„Fans geheimnisvoller Familiensagas werden definitiv auf ihre Kosten kommen!“
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Seitenzahl: 696
Diane Danson wird seit einer Weile von unangenehmen Albträumen geplagt. Immer wieder tauchen ein mysteriöses Anwesen und ein Ehepaar aus längst vergangener Zeit darin auf. Die Hochzeit ihrer Schwester kommt deshalb als Ablenkung gerade recht. Die Feier findet in der Kleinstadt Adamsville in einer Villa am See statt. Doch als Diane dort ankommt, stellt sie überrascht fest, dass nicht nur der See Teil ihrer merkwürdigen Träume ist, sondern auch das Anwesen nebenan. Im Barkley House trifft sie auf die Geschwister Amy und Jim Barkley, die ihr auf Anhieb unheimlich sind. Warum träumt Diane immer wieder von dem Anwesen der Geschwister und was hat das alles mit ihr selbst zu tun?
Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen gleichnamigen Titels Schatten über Barkley House.
Überarbeitete Neuausgabe Januar 2023
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-117-9 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-882-7
Copyright © 2019, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Schatten über Barkley House (ISBN: 978-3-96087-497-3).
Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © 1xpert, © Givaga shutterstock.com: © givaga, © Pinkcandy, © INTOtheSIBERIA, © Iuliia Fadeeva Lektorat: Astrid Rahlfs
E-Book-Version 17.04.2024, 16:07:08.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Wünschen wir uns nicht alle manchmal jemanden, der uns aus höchster Not rettet? Manchmal wird uns diese Hilfe aus einer Quelle zuteil, die wir selbst nie für möglich gehalten hätten. Güte, Uneigennützigkeit und Verständnis können Berge versetzen.
Adamsville, Juli 1910
Ein angenehm milder Abend folgte auf einen drückend heißen Sommertag. Der Wind trug die Klänge des Festes, zarte Melodien, dargeboten von einem Streichquartett, fröhliche Stimmen und heiteres Lachen zu dem geöffneten Fenster im ersten Stock hinauf.
Dort oben, verborgen hinter den Gardinen, stand eine junge Frau und beobachtete das muntere Treiben.
Die Nachbarn feierten mit beinahe einhundert geladenen Gästen die Verlobung ihres Sohnes Bernard Jacob Barkley mit Miss Dorothea Ann Parker. Deren sanftes, mildtätiges Wesen, ihre Lieblichkeit und Schönheit sowie sein geschäftlicher Erfolg, seine Großherzigkeit und attraktives Äußeres machten sie für viele in der Gegend zum unumwundenen Traumpaar. Sie trugen ihre Liebe offen zur Schau, was diesen Eindruck nur noch verstärkte. Doch sie machte diese unentwegte Turtelei nur krank!
Schon als die kunstvoll gestaltete Einladung auf feinstem Papier mit goldenen Verzierungen vor einigen Wochen eintraf, stand für sie fest, dass sie um nichts in der Welt daran teilnehmen würde.
Eine Magenverstimmung vortäuschend hatte sie sich entschuldigt. Den Blicken nach zu urteilen, die ihre Eltern am Nachmittag bei dieser Ankündigung tauschten, wussten sie genau, dass es nur eine Ausrede war. Trotzdem wünschten sie ihr gute Besserung und versprachen, am nächsten Tag genauestens zu berichten.
Sie fauchte wie ein erbostes Kätzchen. Darauf konnte sie verzichten.
Bernard würde mit diesem Mädchen niemals glücklich werden. Sollte es sich als erforderlich erweisen, würde sie höchstpersönlich dafür sorgen. Als sie das so verliebt wirkende junge Fräulein im Garten erblickte, krampfte sich ihre Hand um das vierblättrige Kleeblatt, das sie aus dem Tischgesteck gezupft hatte und zerquetschte es. Sie öffnete die Hand und betrachtete es. „So wird es dir auch ergehen, Dory!“
Damit ließ sie es achtlos zu Boden fallen und wandte sich angewidert vom Fenster ab.
Worlington, März 2014
Das blasse, abgespannte Gesicht mit den müden, traurig blickenden blauen Augen, das Diane Danson aus dem Spiegel ihrer Frisierkommode entgegensah, hätte auch einer Fremden gehören können. Die ständige unerklärliche innere Unruhe sowie die unbestimmte Vorahnung drohenden Unglücks, die sie seit einiger Zeit quälten, forderten unübersehbar ihren Tribut.
Ihr sanftes Lächeln und das Strahlen ihrer Augen zeigten sich immer seltener. Stattdessen schien sie zumeist besorgt und in sich zurückgezogen, als fürchte sie sich vor etwas. Doch wie konnte man sich vor etwas fürchten, dem man keinen Namen geben konnte?
Diane schob eine ihrer langen, dunkelblonden Strähnen hinter das Ohr und betrachtete dieses erbärmliche Wesen im Spiegel forschend. So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht zu sagen, was es war, das sie so mitnahm.
Nun ja, sie arbeitete viel, doch nicht mehr als gewöhnlich. Ihre Ausflüge ins Nachtleben waren nicht erwähnenswert. Gelegentlich ging sie mit Freunden ins Kino oder essen, doch das hatte Seltenheitswert. Gerade in letzter Zeit.
Und gewiss zählte sie nicht zu den Frauen, die sich auf ein schnelles Abenteuer einließen. Also verbrachte sie ihre Nächte auch nicht mit zügelloser Leidenschaft. So bedauerlich das auch sein mochte. Was genau raubte ihr dann die Seelenruhe?
Mit gleichmäßigen Zügen bürstete sie ihr Haar und dachte darüber nach, kam jedoch auch jetzt zu keiner Erkenntnis.
Nachdem ihr Haar ordentlich geflochten und ihr Gesicht eingecremt war, erhob sie sich und ging zu ihrem Bett hinüber.
Wie an jedem Abend schlug Diane die Decken zurück, schüttelte die Kissen auf und setzte sich auf die Bettkante, um einen Augenblick das Gemälde über ihrem Bett zu bewundern. Es zeigte einen See an einem schönen Herbsttag. Die Bäume, die das andere Ufer säumten, zeigten sich so farbenprächtig, wie man es von einer Landschaft in Neuengland um diese Jahreszeit erwartete. Sie schimmerten in reichen Gelb-, Orange-, Braun- und Rottönen. Der See lag vollkommen ruhig da. Ein kleiner, von Schilf umgebener Steg ragte ein Stück in das Gewässer hinein. Über der Szenerie hing ein Himmel von sanftem Blau mit einigen kleinen weißen Wolken.
Von dieser Idylle ging eine beruhigende Wirkung aus, der sich Diane von jeher nicht hatte entziehen können. Die Erinnerung an den Tag, an dem sie es auf Tante Adeles Dachboden entdeckt hatte, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie waren dort hinaufgestiegen, um zu sehen, ob sich nicht etwas finden ließe, das man der Wohlfahrt spenden konnte. Stattdessen hatte die kleine Diane das Gemälde völlig verstaubt und mit ramponiertem Rahmen in einer Ecke entdeckt. Tante Adele schien seinem Zauber gegenüber nicht minder erlegen zu sein, denn zunächst betrachtete sie es sehr lange, bevor sie ihrer Großnichte versprach, es aufarbeiten zu lassen. Tatsächlich überreichte die alte Dame dem Mädchen das Bild in einem restaurierten Rahmen zum nächsten Geburtstag.
Damals wie heute erschien es Diane als das höchste Glück, nur ein einziges Mal am Ufer dieses malerischen Sees spazieren zu gehen. Die Erfüllung dieses Wunsches lag außerhalb Tante Adeles Möglichkeiten, doch in Dianes Träumen sei alles möglich, lautete der weise Rat der alten Dame.
Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick kroch Diane unter die Decken und schaltete das Licht aus.
Es war Mitte März und noch recht kühl. Immer wieder tobten Frühlingsstürme. So konnte sie auch jetzt den Wind heulen hören. Schaudernd zog sie die Decken bis unter das Kinn. Zwar zeigte der Radiowecker auf dem Nachttisch erst kurz nach zweiundzwanzig Uhr an, doch konnte sie ihre Augen nicht länger offenhalten. So ging das nun schon seit Wochen. Wie auch schon seit Wochen, dauerte es nicht lange, bis sie träumte.
Die junge Frau stand in einem gepflegten, weitläufigen Garten. Es war früher Abend, der große Sonnenball sank langsam dem Horizont zu. Er war bereits zur Hälfte hinter den Wipfeln der alten Eichen verschwunden. Damit erzeugte er eine Farbenpracht und ein Lichterspiel, die sie immer wieder aufs Neue faszinierten.
Hoch über ihr in den Bäumen zwitscherten die Vögel noch immer munter ihr Lied. Der sanfte Abendwind umspielte die Frau. Diese legte ihre Hände sacht über ihren runden Bauch und schritt langsam weiter den breiten Gartenweg entlang. Ihr langer, brauner Rock raschelte bei jeder Bewegung. Ihr kastanienbraunes Haar trug sie ordentlich aufgesteckt und nur wenige Löckchen umrahmten ihr schmales, blasses Gesicht. Verträumt summte sie vor sich hin. Tief in Gedanken versunken bemerkte sie nicht, dass sich ihr ein junger Mann von etwa dreißig Jahren näherte. Er trat auf sie zu und berührte vorsichtig ihren Arm. Erschrocken zuckte sie bei seiner Berührung zusammen. „Entschuldige, Liebes. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Er nahm ihre Rechte und hauchte einen Kuss darauf. Anschließend richtete er sich wieder auf und legte sie lächelnd in seine Armbeuge.
„Es ist schon gut, mein Lieber. Ich war so in meinen Gedanken gefangen, dass ich alles um mich herum vergessen habe.“ Ein liebevolles Lächeln begleitete ihre Worte.
Er überragte sie um gut einen Kopf und war breit und kräftig gebaut. Ein Mann, der trotz seines Standes mit harter Arbeit sehr vertraut war. Er trug eine hellgraue Hose, ein weißes Hemd mit aufgeschlagenen Ärmeln und eine ebenfalls hellgraue Weste.
„Weißt du, Liebes, ich habe mich in dich verliebt, weil du deinen Kopf nicht nur zum Frisieren benutzt, doch es gefällt mir nicht, wenn du so viel grübelst. Genieße dein Leben! Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Nie wieder. Du bist jetzt die Frau eines angesehenen Geschäftsmannes und führst ein privilegiertes Leben.“ Die Schwangere nickte, wirkte jedoch nicht überzeugt. „Was ist es denn, das dich so beschäftigt?“ Er löste ihre Finger von seinem Arm, legte ihr einen Arm um die Taille und zog sie eng an sich.
„Ich weiß es nicht genau. Es ist mehr so ein Gefühl. Als würde uns etwas Furchtbares bevorstehen. Ich kann es dir nicht anders beschreiben, lieber Bernard. Ich weiß es einfach nicht!“ Ihr Blick wanderte unruhig umher und sie machte eine vage Handbewegung.
„Es ist schon gut, Dorothea. Was sollte uns schon geschehen? Wir leben in einem wunderbaren Haus, weit ab vom Trubel der Großstadt, wir besitzen mehr Geld, als wir jemals ausgeben könnten und am wichtigsten ist: Wir haben einander! Und um das alles noch zu übertreffen, bald hoffentlich auch einen gesunden Stammhalter.“ Bernard küsste seine Frau auf den Scheitel, strich über die Wölbung ihres Bauches und lächelte sie aufmunternd an.
„Du hast ja recht! Ich weiß auch nicht, was mit mir ist.“ Sie seufzte und ließ ihren Kopf schwer gegen seine Brust sinken.
Bernard blieb stehen und drehte sie zu sich, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Hände ruhten auf ihren Schultern und er betrachtete sie aufmerksam. Sie war blass und wirkte so zerbrechlich und hilflos. Ihr fest in die Augen blickend sagte er: „Dorothea, glaube mir, ich würde niemals zulassen, dass dir oder unserem Kleinen etwas zustößt! Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um jeden Schaden von euch fernzuhalten! Und wenn ich mein Leben dafür hergeben muss! Ich liebe dich, Misses Barkley!“ Damit zog er sie an sich und küsste sie.
Für einen Augenblick gelang es Dorothea, ihre düsteren Gedanken zu vergessen. Sie lehnte sich an ihren Mann, legte ihre Arme um seine Taille und ergab sich seinem Kuss. Nach einem atemberaubenden Moment beendete sie diesen und sagte mit leiser Stimme: „Lass uns zum Abendessen hineingehen. Sonst wird uns unsere liebe Elsie schrecklich zürnen.“
Bernard riss in gespieltem Schrecken die Augen auf und sagte, die Rechte aufs Herz gepresst: „Oh nein! Da sei Gott vor!“
Die Eheleute lachten, wandten sich um und gingen Arm in Arm auf ihr wunderschönes, zweistöckiges Landhaus zu. Unter den Fenstern im Erdgeschoss blühten Rosensträucher, die ihren lieblichen Duft verströmten.
Das Paar schritt einige Stufen empor und betrat die große, geflieste Terrasse, wo es bereits von einem gedeckten Tisch erwartet wurde.
Die junge Dorothea schloss kurz die Augen und atmete den süßen Duft der Rosen und das kräftige, würzige Aroma der Speisen vor ihr tief ein. Als sie die Augen wieder öffnete und den Blick ihres Mannes sah, den er ihr über sein Weinglas hinweg schenkte, errötete sie. Sie senkte den Blick und widmete sich mit Hingabe dem Abendessen.
Als Diane erwachte, glaubte sie immer noch den Duft der Rosen wahrzunehmen. Er schien ihr gesamtes Schlafzimmer zu erfüllen. Sie spürte ein Kribbeln im Bauch, als hätte sie Bernards Zärtlichkeiten selbst erfahren und nicht nur davon geträumt. Ihr Herz pochte heftig und sie fühlte sich schwindelig. Verwirrt schüttelte sie den Kopf und blickte zu ihrem Wecker hinüber. Es war gerade einmal halb eins. Sie konnte doch noch so lange schlafen. Es war Wochenende und sie musste morgen früh nicht ins Büro. Also ließ sie sich in die Kissen zurücksinken und versuchte wieder einzuschlafen. Als es ihr endlich gelang, wurde ihr Schlaf erneut von wirren Träumen von Dorothea und ihrem Mann Bernard heimgesucht. Was hatte das zu bedeuten?
Am Morgen wurde Diane gegen acht Uhr von einem frenetischen Klingeln an der Haustür geweckt. So sehr sie sich auch bemühte es zu ignorieren, gelang es ihr nicht. Genervt warf sie die Bettdecke von sich, erhob sich und stapfte zur Tür. „Nicht mal am Wochenende hat man seine Ruhe!“, grummelte sie dabei vor sich hin.
Vor der Tür stand aufgeregt auf und ab hüpfend ihre drei Jahre jüngere Schwester Millie. Ihr hübsches, rundes Gesicht glühte förmlich und sie fiel ihrer Schwester laut jubelnd um den Hals.
„Millie! Was machst du denn hier? Ich dachte, du wolltest das Wochenende mit deinem Liebsten verbringen.“ Diane befreite sich aus der Umarmung und trat einen Schritt zurück.
„Jeff hat mich gebeten, seine Frau zu werden und ich habe Ja gesagt! Ich werde heiraten, Di!“ Millie hielt Diane ihre Linke mit dem recht protzigen Verlobungsring hin.
„Das freut mich für dich, Kleines! Jeff ist wirklich ein netter Typ und ich weiß, dass er dich gut behandeln wird.“ Diane drückte ihre kleine Schwester, die sie um einen halben Kopf überragte, fest an sich. Sie hoffte inständig, dass Millie mehr Glück in der Ehe haben würde als es ihr vergönnt gewesen war.
Millie schwenkte einen kleinen Karton vor Dianes Nase und erklärte: „Ich habe Frühstück mitgebracht.“
Diane trat beiseite, um Millie einzulassen.
Die Schwestern gingen in die Küche. Millie stellte den Karton auf dem Tisch ab und ließ sich auf einen der Stühle plumpsen, während Diane nach der Kanne der Kaffeemaschine griff und sich zur Spüle wandte, um sie mit Wasser zu füllen. Als die Kaffeemaschine zu blubbern begann, setzte sie sich ebenfalls an den Tisch und sagte milde lächelnd: „Na, dann erzähl mal!“
Das ließ sich Millie nicht zweimal sagen.
„Also, wir waren bei Mirellis. Du weißt schon, das kleine italienische Restaurant in Weston Park. Na ja, jedenfalls haben wir da gegessen und danach, ob du's mir glaubst oder nicht, als wir aus dem Restaurant kamen, stand eine weiße Kutsche mit diesem total süßen weißen Pferd vor dem Laden.“
„Schimmel“, warf Diane ein.
„Iih!“ Millie sah ihre Schwester verwirrt und angewidert an.
„Weiße Pferde nennt man Schimmel“, erklärte diese geduldig, stand auf, holte Teller, Tassen, Löffel und Zucker herbei.
Millie winkte ungeduldig ab. „Wie auch immer. Wir stiegen in die Kutsche und machten eine kleine Rundfahrt durch die Stadt. Oder zumindest dachte ich, dass wir nur eine Stadtrundfahrt machen würden.“
Millie plapperte ununterbrochen, während Diane immer wieder an die merkwürdigen Träume der letzten Nacht denken musste.
Das Landhaus war ihr seltsam vertraut, jedoch konnte sie sich nicht daran erinnern, woher sie es kannte. Sie warf ihrer Schwester einen schuldbewussten Blick zu, doch Millie fiel nicht auf, dass sie ihr nur oberflächlich zuhörte, also grübelte sie weiter.
Vielleicht war sie ja mit ihren Eltern als Kind einmal dort gewesen. Sie waren viel herumgereist und hatten so einiges gesehen. Kurz überlegte sie, ob sie Millie fragen sollte, entschied sich aber dagegen. Ihre kleine Schwester würde zu viele Fragen stellen, die sie ihr nicht beantworten konnte. Also ging sie auf Millies Erzählungen ein, stellte Fragen, machte Vorschläge und amüsierte sich über die zum Teil noch kindlichen Vorstellungen der Jüngeren.
Ihre eigene Ehe war im vergangenen Jahr nach gerade einmal drei Jahren wegen mehrfacher Untreue ihres Mannes geschieden worden.
Diane überlegte immer genau, bevor sie handelte, wog das Für und Wider ab und ließ sich nicht zu Entscheidungen drängen. Diesen Mann zu heiraten, war das einzig Spontane, das sie je getan hatte – und es war schiefgegangen. Sie waren damals durchgebrannt und hatten ihre Familien erst nach einigen Tagen über die Veränderung in Kenntnis gesetzt.
Über Millies Geplapper, ihre Erinnerungen und das Frühstück gelang es Diane tatsächlich, die rätselhaften Träume kurzzeitig zu vergessen.
Mehrere Wochen vergingen, in denen Diane beinahe jede Nacht von Dorothea und Bernard träumte. Die beiden waren ein glückliches Paar, sie liebten einander von ganzem Herzen, doch auch jetzt noch fürchtete Dorothea, dass ihnen etwas Furchtbares geschehen könne.
Es beunruhigte Diane, dass sie so oft von den beiden träumte und es beunruhigte sie noch um einiges mehr, dass sich dieses ungute Gefühl zunehmend auf sie zu übertragen schien. Zu ihrem größten Bedauern konnte sie jedoch mit niemandem darüber sprechen. Millie und Mrs. Danson, ihre Mutter, kannten kein anderes Thema mehr als die Hochzeit und Tante Adele befand sich auf Reisen. Wer blieb ihr da noch?
Adamsville, April 2014
„Amy!“ Die leise Stimme drang in ihren Schlaf, durchbrach die Finsternis und rief sie zu sich. „Amy! Komm zu mir, Liebes!“ Es war die leise, freundliche und doch eindringliche Stimme einer Frau.
Dr. Amy Barkley lag schlafend in ihrem Bett. Durch die geschlossenen Vorhänge vor den großen Fenstern drang kein Mondlicht herein. Amy brummte ungnädig, drehte sich stöhnend auf den Rücken und blinzelte leicht desorientiert.
„Ich komme ja schon! Bin schon auf dem Weg.“ Die junge Frau schlug die Bettdecke zurück, schwang die langen, schlanken Beine über die Bettkante und erhob sich wackelig. Sie machte sich nicht die Mühe, ihren Morgenmantel überzuwerfen. Sie war allein zu Hause und für die Person, die sie erwartete, brauchte sie sich nicht zu bemühen. Konnte man sie eigentlich überhaupt als Person bezeichnen? Egal.
Amy Barkley tapste mit halb geschlossenen Augen durch ihr Zimmer, gähnte herzhaft und fuhr sich mit einer Hand durch das kurze kastanienbraune Haar, öffnete die Zimmertür und trat hinaus auf den Flur. Hier fiel das Licht des Mondes ungehindert durch das runde Fenster am Ende des Flurs. Geblendet kniff Amy die Augen zusammen. Mit einem weiteren ungnädigen Brummen wandte sie sich vom Fenster ab und ging in die entgegengesetzte Richtung.
Am anderen Ende des Flurs stand eine Tür offen, als würde sie jemand erwarten. Sie blieb im Türrahmen stehen, lehnte sich dagegen und blinzelte in die dämmerige Dunkelheit.
„Bin da. Was gibt's?“ Ihre leise, tiefe Stimme hatte einen rauen, schläfrigen Klang.
„Nun, zuerst einmal würde ich es begrüßen, wenn du einen anderen Ton anschlagen würdest. Dann können wir uns unterhalten.“ Die kultivierte Stimme kam aus der Richtung des Schaukelstuhls vor dem Fenster, der langsam vor- und zurückwippte. Amy konnte das Profil der Frau, die in dem Schaukelstuhl saß, ausmachen.
„Sorry. Es ist mitten in der Nacht, ich habe geschlafen. Da habe ich wohl meine Manieren im Nachtschrank vergessen. Also? Was gibt es?“
Die Dame seufzte auf eine Art, die deutlich machte, was sie von diesem Benehmen hielt.
„Die letzte Zeit war sehr anstrengend, ich bin müde und würde gerne wieder in mein Bett gehen“, versuchte Amy zu erklären und rieb sich demonstrativ die Augen.
„Nun meine liebe Amy, ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen! Sehr bald werden große Veränderungen in deinem Leben geschehen. Nicht nur in deinem, sondern auch in dem deines Bruders.“
„Na, ist das nicht schön?“ Wieder ein Gähnen. Zerknirscht fügte Amy hinzu: „Versteh mich nicht falsch. Für gewöhnlich finde ich deine kleinen Rätsel und Denkaufgaben ja sehr amüsant, aber ich kann mir nicht vorstellen, was sich in unserem Leben ändern sollte. Wir stecken bis zum Arsch in Schulden und mein Arbeitgeber überlegt, das Museum zu schließen. Ansonsten läuft es auch nicht unbedingt optimal und ein Ende der Talfahrt ist nicht abzusehen.“
Das Deckenlicht im Zimmer ging an. Amy zuckte kurz, aber heftig zusammen und atmete schwer aus. „Warum erschrecke ich eigentlich immer noch? Ich sollte mich langsam daran gewöhnt haben“, murmelte sie leise vor sich hin.
Die Frau im Schaukelstuhl wandte ihr nun das Gesicht zu. Sie war um einige Jahre jünger als Amy. Ihre Haut schimmerte beinahe durchsichtig, ihre haselnussbraunen Augen, die denen der jungen Frau im Türrahmen auf so erstaunliche Weise ähnelten, blickten sanft und doch intensiv. Ihr langes, kastanienbraunes Haar fiel ihr in üppigen Wellen über die schmalen Schultern bis auf die Taille. „Habe ich dich bisher jemals belogen, Kleines?“ In ihrer Stimme klang so etwas wie Enttäuschung mit.
„Nein, hast du nicht, aber …“ Amy zuckte mit den Schultern.
Es fiel ihr schwer, daran zu glauben, dass sich etwas ändern würde. Passiert war so einiges, jedoch seit langem nichts Gutes mehr.
„Amy, hörst du mir zu? Etwas Großes wird geschehen! Etwas, das alles für immer verändern wird! Höre auf mich!“ Die Frau im Schaukelstuhl sprach eindringlich, sodass Amy gar nicht anders konnte, als ihr zuzuhören.
„Okay, sorry! Etwas Großes wird geschehen. Geht es vielleicht auch etwas genauer? Irgendwelche Zusatzinformationen vielleicht?“
„Eine Frau wird in euer Leben treten. Eine junge Frau …“
„Na, da wird sich Jim aber freuen!“, bemerkte Amy sarkastisch.
„Nicht nur Jim. Sie wird eine gute Freundin. Schenke ihr dein Vertrauen und alles wird sich zum Guten wenden.“
Amy versuchte eisern, ruhig zu bleiben. „Und weiter? Gibt's noch mehr?“ Sie musste erneut gähnen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Kopf gegen den Türrahmen sinken.
„Sie wird dir helfen, so wie du ihr helfen wirst.“
„Aha. Noch etwas?“
„Durch ihre Güte und Liebe und vor allem ihre Opferbereitschaft wird sie vergangenes Unrecht wieder gutmachen.“
„Äh … gut.“ Amy verdrehte die Augen. „Ich werde dann mal Ausschau halten nach einer gütigen, liebevollen, opferbereiten, potenziellen Retterin. Sollte sie sich als normaler Mensch herausstellen, jage ich sie halt wieder davon und suche eine andere.“ Amy wusste, wie beißend ihre Worte klangen, aber sie waren gesprochen, bevor sie etwas dagegen tun konnte. Sie atmete schwer aus. „Sorry! Das war unangebracht.“
Die Erscheinung im Schaukelstuhl lachte leise. „Ist schon gut. Die Zeiten haben sich geändert. Heute sind die Menschen viel härter zueinander. Das ist selbst mir aufgefallen. Die Gedanken werden frei ausgesprochen. Früher wurde jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, um ja keine verfänglichen Situationen herbeizuführen.“ Sie legte den Kopf schräg und sah gedankenverloren vor sich hin.
Einen Moment schwiegen beide. Dann sagte Amy. „Wie gesagt, sorry.“
„Schon verziehen. Aber Liebes, tue mir bitte einen Gefallen. Sie ist ein sehr scheuer Mensch und ich fürchte, dass deine, nun ja, direkte Art sie verschrecken könnte. Sei nett zu ihr.“
Auch das noch!
„Na gut. Ich halte mich zurück. Kann ich dann jetzt bitte ins Bett? Ich bin müde.“ Ihre Stimme klang quengelig und es war ihr egal.
„Selbstverständlich.“ Die Erscheinung wedelte gebieterisch mit einer ihrer schlanken, schneeweißen Hände. Nach einem kurzen Schweigen fuhr sie fort: „Ach, Liebes? Bevor du gehst …“
„Hm?“, brummte die junge Frau an der Tür und hielt noch einen Moment inne.
„Unternimm endlich etwas mit deinen Haaren! Es gehört sich nicht für eine Frau, mit solch kurzem, verstrubbeltem Haar herumzulaufen! Und deine Garderobe lässt ebenfalls zu wünschen übrig! Du hast zweifelsohne makellose Beine, aber musst du sie so schamlos zur Schau stellen? Das geziemt sich nicht für eine junge Dame! Selbst wenn du allein im Haus bist, solltest du nicht ohne Morgenmantel dein Zimmer verlassen. Du besitzt doch einen Morgenmantel, nicht wahr?“
Noch etwas, das Amy ganz und gar nicht mochte. Verbesserungsvorschläge zu ihrer Person. Sie trug ein altes, verwaschenes Holzfällerhemd ihres Bruders. Es war ihr ehrlich gesagt egal, ob es ungebührlich war, es war bequem. „Ja. Schon klar. Noch etwas?“
„Pass gut auf dich auf, meine kleine Amy! Und denke daran, was ich gesagt habe! Bis bald!“
Damit war Amy Barkley wieder allein. Sie schloss kurz die Augen und atmete geräuschvoll aus.
„Gute Nacht, Dory!“, sagte sie halblaut, bevor sie sich zum Gehen wandte. In der Luft lag der unverwechselbare Duft von Rosen. Sie knipste das Licht aus, zog die Tür hinter sich zu und ging in ihr Zimmer zurück.
Als sie wieder in ihrem Bett lag, dachte sie nach.
Großartig! Weil es ja noch nicht ausreichte, dass alle Welt sie für verrückt hielt, begann sie langsam selbst an ihrem Geisteszustand zu zweifeln. Sie zog die Bettdecke ein Stück höher und schloss die Augen, doch die Gedanken ließen sich damit nicht abwehren.
Eine junge Frau würde in ihr Leben treten und alles würde sich zum Guten wenden. Was sollte eine einzelne Person schon groß vollbringen? In letzter Zeit war einfach alles schiefgegangen. Ihr älterer Bruder Jim und sie hatten Geldsorgen, das Museum, in dem sie arbeitete, sollte geschlossen werden, wieder einmal hatte sie eine Beziehung erfolgreich in den Sand gesetzt. Wie sollte ein kleiner Mensch das wieder hinbiegen? So grübelte sie und noch bevor sie es merkte, war sie eingeschlafen.
Nachdem Amy am nächsten Morgen gefrühstückt und Jim ihr am Telefon erklärt hatte, er würde am nächsten Tag nach Hause zurückkehren, saß sie in der großen Küche und überlegte, was sie mit sich anfangen sollte.
Es war Samstag, was die Freizeitmöglichkeiten erheblich begrenzte. So beschloss sie, zum Friedhof zu gehen, um ihre Eltern und ihre kleine Schwester zu besuchen. Sie ging nach oben, duschte und zog sich an. Danach sprang sie die Treppen hinunter und verließ das Haus.
Adamsville war eine Kleinstadt. Hier lebten und arbeiteten aufrichtige, ehrenwerte Bürger, die ihre Steuern brav bezahlten, regelmäßig in die Kirche gingen und an alten Moralvorstellungen und Idealen festhielten. Ein Paradiesvogel wie Amy Barkley wurde bestenfalls geduldet. Sie passte nicht zu ihnen und die meisten ließen sie das auch in aller Deutlichkeit spüren. Doch diese offenkundige Abneigung war ihr tausend Mal lieber als das Mitleid, das ihr die etwas weicheren Seelen zuteilwerden ließen.
Auf dem Weg zum Friedhof begegneten ihr einige Einwohner der Stadt, die Rasen mähten, Zäune strichen oder sich an selbigen mit ihren Nachbarn unterhielten.
Die meisten blickten sie abschätzig bis bedauernd an, doch sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, ihre Blicke zu ignorieren. Ihr Gesichtsausdruck war und blieb unbeweglich, als sie die Hauptstraße hinunterging. Ihre Augen wurden von den dunklen Gläsern ihrer Sonnenbrille verborgen.
Niemand sprach sie an oder lächelte ihr zu, aber wen störte es? Wenn sie sich selbst auf der Straße begegnen würde, in den schwarzen Kleidern, den schweren Motorradstiefeln, den kurzen Haaren und dem düsteren Gesichtsausdruck, würde sie genauso reagieren. Zumindest ließ man sie in Ruhe. Mehr erwartete sie nicht.
Diane, Millie und ihre Mutter Lydia waren auf dem Weg nach Adamsville, um sich dort eine viktorianische Villa anzusehen, die für Hochzeiten und andere feierliche Anlässe vermietet werden konnte. Millie hatte von einer Freundin davon erfahren, die ursprünglich hier heiraten wollte, sich jedoch in letzter Sekunde für eine Hochzeit in der Karibik entschieden hatte. Nun wollten die drei Danson-Damen die Gegebenheiten vor Ort genau inspizieren.
Diane saß auf dem Rücksitz des Geländewagens ihrer Mutter. Die lebhafte Diskussion der beiden Frauen auf den Vordersitzen über die angemessene Musikauswahl verfolgte sie nur mit halbem Ohr. Sie waren wie so oft unterschiedlicher Meinung, doch am Ende würde sich Millie wie meistens durchsetzen. Mrs. Danson hielt in dem Ambiente einer herrschaftlichen alten Villa klassische Musik für passend, während Millie eine Zusammenstellung ihrer Lieblingssongs favorisierte.
Die Großstadt mit ihren Hochhäusern, belebten Straßen und dahinströmenden Menschenmengen sowie dem Lärm und Gestank lag etwa eine halbe Stunde hinter ihnen. Nun fuhren sie durch eine idyllische, ländliche Gegend mit vielen Farmen, weiten Feldern und hohen Bäumen. Über ihnen erstreckte sich ein unglaublich weiter Himmel, von dem die Sonne ungehindert auf die Schönheit der Landschaft herabscheinen konnte.
Endlich verkündete ein Ortseingangsschild, dass sie ihr Ziel beinahe erreicht hatten. Es war ein traumhafter kleiner Ort. Millie und Mrs. Danson quietschten aufgeregt und blickten sich begeistert um.
Auch Diane betrachtete die Häuser links und rechts der Straße ebenfalls aufmerksam, doch ihre Begeisterung drückte sich nur in einem kleinen Lächeln aus.
„Oh Mom! Sieh nur! Diese zauberhaften, altmodischen Geschäfte da drüben! Millers Gemischtwaren“, las Millie vor. „Pattersons Schuhe. Grandma Laels Strickwaren. Adamsville Heimatmuseum.“ Millie wusste offensichtlich gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte und sog alles mit großen, leuchtenden Augen auf. Ihre Wangen glühten vor Aufregung.
Lydia fuhr langsam die Hauptstraße hinunter, bis die Geschäfte von schmucken, kleinen Wohnhäusern abgelöst wurden.
„Oh Mädchen! Seht euch diese traumhaften kleinen Grundstücke an! Das ist einfach fantastisch! Könnt ihr euch vorstellen, immer hier zu leben? Das muss einfach wunderbar sein!“ Mrs. Danson quietschte wie ein kleines Mädchen beim Auftritt ihrer Lieblingsband.
Diane verdrehte die Augen. Warum mussten die beiden nur immer so übertreiben? Sicherlich war alles hier herrlich, aber musste man deswegen so ausflippen?
„Die Leute hier haben genau solche Probleme wie wir. Wenn ihr hier leben würdet, wäret ihr trotzdem noch dieselben“, grummelte sie.
Millie drehte sich in ihrem Sitz zu ihrer älteren Schwester um und funkelte sie aus ihren eisblauen Augen böse an. „Nur weil du schlechte Laune hast, musst du uns doch nicht auch noch den Tag verderben!“, erwiderte sie pikiert.
Diane erwiderte den Blick ruhig. „Ich habe keine schlechte Laune und es gefällt mir genauso wie euch, aber ich brauche deshalb nicht gleich eine doppelte Ladung Valium.“ Sie sprach ruhig und ließ sich von Millie überhaupt nicht beirren.
„Mädchen, hört auf euch zu streiten! Ihr verpasst ja alles“, tadelte die Mutter ihre beiden Töchter. Millie wandte sich wieder nach vorne und schmollte, während Diane aus dem Fenster sah, um sich abzulenken, bevor ihr noch eine böse Bemerkung herausrutschte.
„Vielleicht sollten Daddy und ich hier ein Häuschen kaufen. Fürs Wochenende oder wenn wir beide alt sind. Wäre das nicht zauberhaft?“, überlegte Mrs. Danson laut.
„Hier muss es ganz gewiss eine Traumhochzeit werden!“, erklärte Millie gerade voller Überzeugung.
Die beiden Frauen auf den Vordersitzen konnten ihrer Begeisterung gar nicht genug Ausdruck verleihen. Auch Diane sah sich aufmerksam um. Irgendwie schien ihr hier alles so vertraut, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals hier gewesen zu sein.
„Wie lautete die Anschrift noch mal?“, fragte Mrs. Danson.
Millie kramte den kleinen Zettel aus ihrer Handtasche und las vor: „124 Lakeside. Wo auch immer das sein mag.“ Sie zuckte mit der Schulter.
„Wenn ich das richtig sehe, müssen wir da vorne links abbiegen. Der See ist da drüben“, sagte Diane.
Als sie an der nächsten Kreuzung in eine Allee einbogen, die zu beiden Seiten von großen, herrschaftlichen Häusern gesäumt wurde, waren die fantastischen kleinen Häuschen vergessen. Wieder quietschten die beiden Frauen aufgeregt.
Diane tippte ihre Mom an und wies mit dem Zeigefinger nach links. „Da, Mom! 124 Lakeside. Wir sind da.“
Mrs. Danson bog in die Auffahrt eines schönen Landhauses am Rande der Ortschaft ein. „Gladice Manor“ stand in einer altmodischen, verschnörkelten Schrift auf einem Schild über dem schmiedeeisernen Tor. Jetzt hielt es Mrs. Danson und ihre jüngere Tochter kaum noch auf den Sitzen. Beide jubelten.
Millie stellte schadenfroh fest, dass keine Karibik-Hochzeit so glamourös sein könnte wie die ihre hier in Gladice Manor. Sie nahm sich felsenfest vor, ihrer Freundin unter die Nase zu reiben, welche Fehlentscheidung es doch gewesen war, nicht hier den Bund fürs Leben zu schließen.
Gerade als der Wagen vor dem Haus anhielt, kam eine Dame, etwa in Mrs. Dansons Alter, in einer abgewetzten Jeans und einem weiten Männerhemd aus dem Haus. Sie blieb am oberen Ende der Treppe stehen, die zur Haustür führte, und ließ den Ankömmlingen Zeit, alles eingehend zu betrachten: die Zufahrt, den kleinen Springbrunnen inmitten der runden Insel an deren Ende, die gepflegten Blumenbeete unter den Fenstern und das weiß getünchte Haus mit seinen großen Sprossenfenstern, den von Säulen gestützten Balkon über dem Portal, die Dachgauben und das kleine Türmchen. Sie wusste, welchen Eindruck das Anwesen auf Fremde machte.
„Hi! Kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte sie nach angemessener Zeit mit wissendem Lächeln.
„Ich möchte hier heiraten!“, schoss Millie drauflos.
Ihre Mutter legte ihr einen Arm um die Schultern. „Hi! Verzeihen Sie unsere Aufregung. Ich bin Lydia Danson und das sind meine Töchter Millie und Diane. Wir hatten telefoniert.“
„Gewiss. Schön, dass Sie da sind. Ich bin Geraldine Watman, die Verwalterin von Gladice Manor. Entschuldigen Sie meine Aufmachung, aber ich bin gerade dabei, etwas umzuräumen. Wir haben eine große Hochzeit hier nächste Woche und es haben in letzter Minute noch zwanzig zusätzliche Gäste ihre Teilnahme zugesagt.“ Sie gestikulierte entschuldigend. „Wir kümmern uns selbstverständlich auch um den Rücklauf der Einladungen“, fügte sie noch erklärend hinzu. Die Frau war groß und kräftig, mit kurzem, dunklem Haar, das schon erste graue Strähnen aufwies. Doch ihr Gesicht war freundlich und ihre offene Art gefiel den Danson-Frauen.
Während sie sprachen, kamen Lydia, Millie und Diane die Treppe hinunter und schüttelten der Verwalterin die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen, meine Damen! Es freut mich auch, dass Sie sich für Gladice Manor entschieden haben. Ich bin mir absolut sicher, dass wir alles zu Ihrer vollen Zufriedenheit arrangieren können.“ Geraldine lächelte so zuversichtlich, dass Diane sich auf die Unterlippe beißen musste, um nicht laut aufzulachen oder ein zweifelndes Geräusch von sich zu geben. Geraldine hatte ja keine Ahnung, womit sie es hier zu tun hatte …
Millie strahlte die Verwalterin an und versicherte ihr, dass sie das genauso sah. Wieder musste Diane sich beherrschen.
Während sie die drei Besucherinnen ins Haus führte, begann Geraldine von der Geschichte des Anwesens zu erzählen.
„Gladice Manor wurde im Jahr 1880 erbaut. Der damalige Besitzer soll es zu Ehren seiner Frau Gladice mit diesem Namen bedacht haben. Ist das nicht furchtbar romantisch?“ Ihre Augen leuchteten. „Auch wenn die Familie hier sehr glücklich gewesen sein soll, haben sie das Haus später verkauft und sind von hier weggezogen.“
„Aber warum das denn?“, fragte Millie verständnislos.
„Das weiß niemand so genau. Ich würde vorschlagen, dass ich Ihnen zuerst einmal alles zeige und dann können wir in meinem Büro alles genau besprechen.“
In der Eingangshalle war es kühl. Nach der warmen Frühlingsluft draußen schauderten Diane und Millie. Diane rieb sich die Oberarme und sah sich aufmerksam um. Das geräumige Foyer besaß getäfelte Wände und eine hohe Decke, von der zwei Kronleuchter herabhingen. Der Fußboden war mit schwarzen und weißen Fliesen ausgelegt. Zur Linken führte eine breite Holztreppe hinauf in das obere Stockwerk.
„Hier im Erdgeschoss befinden sich mein Büro, eine gut ausgestattete Bibliothek und drei kleine Salons“, erzählte Geraldine. „Außerdem gelangt man natürlich auf die Terrasse und von dort in den Garten. Von diesem aus erreicht man die Toiletten im Kellergeschoss. Dort befinden sich auch die Küche und die Lagerräume.“
Diane machte sich in Gedanken eine Notiz zur Bibliothek und den Salons. Sollte sie einen Rückzugsort benötigen, wusste sie, wo sie ihn fand.
Die Verwalterin blieb vor einer großen, kunstvoll verzierten Doppeltür stehen und schwieg einen Augenblick, um sich der vollen Aufmerksamkeit der Damen zu gewiss zu sein.
„Natürlich möchte ich Ihnen das Wichtigste nicht vorenthalten.“ Wieder hielt sie inne, griff nach den Türklinken und stieß die Türen auf.
Damit gab sie den Blick auf einen großen Saal frei. Eine hohe, von Säulen gestützte Decke wölbte sich über ihren Köpfen. Zur Linken ließen hohe französische Fenster das helle Sonnenlicht herein. Der Fußboden war hier mit Marmorfliesen ausgelegt. Reihen weißer Stühle warteten auf die Gäste. An der Stirnseite stand ein Tisch mit einem langen weißen Tischtuch und silbernen Kerzenhaltern darauf.
Millie quietschte vor Aufregung, woraufhin Geraldine ihr einen amüsierten Blick zuwarf.
„Das ist unser Trausaal. Zumindest im Frühjahr und Sommer. Im Winter richten wir auch Firmenweihnachtsfeiern oder andere Festlichkeiten aus. Wir haben einige Kunden, die schon seit vielen Jahren zu uns kommen. Aber das nur am Rande. Hier haben gut einhundert Gäste Platz, ohne einander auf die Zehen zu treten. Die früheren Besitzer waren dafür bekannt, hier die schönsten und prächtigsten Bälle veranstaltet zu haben.“
„Oh Mom! Können wir bitte vor der Hochzeit einen Tanzlehrer engagieren, der Jeff und mir und einigen unserer Gäste das Walzertanzen beibringt? Stell dir doch vor, wie Jeff mich in meinem Kleid über den Tanzboden wirbelt!“ Die junge Frau klatschte in die Hände und wiegte sich im Takt, während sie eine klassische Melodie summte.
Diane schmunzelte nachsichtig. Scheinbar würde ihre Mutter die Musikschlacht doch für sich entscheiden können.
„Oh bitte, Mom! Können wir?“, bettelte Millie. Sie stand mit gefalteten Händen vor ihrer Mutter, einen treuherzigen Blick aufsetzend, und sie hüpfte aufgeregt auf und ab.
„Wir werden sehen, Liebes. Aber ich habe eher daran gedacht, dass wir die Trauung hier drinnen abhalten und den Empfang danach nach draußen verlegen. Im Juni wird das Wetter bestimmt schon recht sommerlich sein. Was hältst du davon, mein Schatz?“ Mrs. Danson tätschelte ihrer Tochter besänftigend den Arm.
„Aber Mom!“ So schnell gab sich Millie nicht geschlagen.
Diane holte tief Luft und sah zur Seite. Sie kannte die Debattierfreudigkeit ihrer Familie nur allzu gut. Sie wusste, dass erbitterte Diskussionen folgen würden.
Scheinbar unbeeindruckt übernahm Geraldine wieder die Führung. „Kommen Sie, Ladies. Es gibt noch so viel mehr zu sehen.“
Sie führte sie aus dem Saal, durch das Foyer und die Treppe hinauf. An den Wänden hingen Gemälde im Wechsel mit schönen, schmiedeeisernen Leuchtern mit schneeweißen Kerzen darin. Diane war begeistert. Auch wenn Millie sich mal wieder anders entscheiden sollte, würde sie, Diane, den Tag hier nicht bereuen.
Geraldine blieb vor einer Tür stehen und wartete, bis alle drei Danson-Frauen vor ihr standen. Sie legte eine ihrer großen, kräftigen Hände auf den Türknauf und sagte: „Hier hätten wir das Brautzimmer. Das Mobiliar stammt zu einem großen Teil noch vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier können Sie sich dann in Ruhe fertig machen.“ Sie öffnete die Tür und ließ die drei Frauen eintreten.
Der Raum war nicht sonderlich groß. Unter dem Fenster stand ein Sofa aus dunklem Holz mit hellem, beigefarbenem Stoffbezug. In einer Ecke befand sich ein großer Standspiegel. Sein Rahmen war ebenfalls aus dunklem, poliertem Holz. An einer Wand daneben standen drei kleine Schminktische mit runden Spiegeln und kleinen Hockern, die zum Sofa passten. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Paravent. Millies Augen strahlten.
„Einige Stücke stammen von Auktionen. Ich reise sehr gerne und bringe immer das eine oder andere davon mit. Natürlich geht das nur im Winter, wenn es hier verhältnismäßig ruhig ist“, erzählte die Verwalterin.
Als sie wieder auf dem Flur standen, erklärte Geraldine: „Wir haben hier auch einige Gästezimmer, die wir Ihnen gerne zur Verfügung stellen werden.“ Sie zeigte ihnen eines der Zimmer, das ebenfalls noch mit altmodischen Möbeln ausgestattet war. Mrs. Danson versetzte die Vorstellung, hier eine Nacht zu verbringen, in allergrößtes Verzücken.
Sie gingen wieder hinaus auf den Flur und setzten ihren Rundgang fort.
„Können wir uns auch den Turm ansehen?“, hörte Diane sich selbst fragen, als sie den Korridor hinuntergingen.
Geraldine tätschelte ihr den Arm. „Aber selbstverständlich. Dort oben befindet sich unsere Hochzeits-Suite.“ Bei diesen Worten wanderte ihr Blick zu Millie. Die nickte heftig.
Eine Wendeltreppe aus Holz führte sie hinauf in das Turmzimmer.
Der sechseckige Raum erwies sich als erstaunlich geräumig. Das kuschelige Himmelbett aus dunklem Holz und einem cremefarbenen Himmel zog sofort die Blicke auf sich. Die Nachttische aus dunklem Holz standen auf kunstvoll gearbeiteten Beinen. Die Leuchten darauf mit ihren cremefarbenen Schirmen und dem schwarzen, verschnörkelten Metallgestell passten zu dem dreiflammigen Kronleuchter an der Decke. Gegenüber des Bettes standen zwei gemütliche Sessel neben einem runden Tisch. Dahinter gaben zwei schmale Fenster den Blick auf die Umgebung frei.
Millie ging hinüber und sah hinaus. „Mom, komm her! Du musst dir unbedingt diesen Ausblick ansehen! Das ist ja zauberhaft! Man sieht den See!“ Sie ging weiter zum nächsten Fenster. „Von hier aus hat man die ganze Stadt im Blick. Oh Mom!“
Lydia ging zu ihr und spähte ebenfalls hinaus. „Oh!“, war sie sprachlos.
Diane stand an einem der Fenster und sog den Anblick tief in sich auf.
„Atemberaubend, oder?“, fragte Geraldine sie leise, die unbemerkt neben sie getreten war. Diane nickte.
Einen Moment standen sie noch schweigend am Fenster, bevor sich Geraldine abwandte. „Was halten Sie von einem Spaziergang im Garten, Ladies?“
Während sie das Zimmer verließen und ins Erdgeschoss zurückkehrten, plapperte Millie ununterbrochen, sprudelte eine Idee nach der anderen hervor, machte Pläne und bemerkte dabei nicht einmal, dass keine der anderen drei zu Wort kam.
Im Foyer öffnete die Verwalterin eine große Sprossenglastür und trat zuerst auf die große Terrasse. Dort blieb sie stehen, um den Danson-Damen die Möglichkeit zu geben, sich zuerst einmal umzusehen.
Die Terrasse bot genug Platz für Tische und Stühle für das Festessen. Rechts gab es noch eine weitere gepflasterte Fläche, auf der noch weitere Gäste Platz fanden. Der parkartige Garten grenzte direkt an den See.
Schließlich bedeutete sie ihnen mit einer einladenden Geste, mit ihr zu kommen.
Sie schritten gepflegte Wege entlang, die sich durch die Rasenflächen schlängelten. Hier und da standen hohe Eichen. Ordentlich geschnittene Hecken verbargen kleine Nischen, die, wie Geraldine ihnen augenzwinkernd mitteilte, die verliebten Pärchen magisch anzogen.
Zur Linken lud ein Teehäuschen auf einer kleinen Anhöhe zum Verweilen ein. Genau dorthin führte Geraldine ihre Gäste als Nächstes.
Jetzt war es Diane, die verzaubert die Luft einsog.
„Ist es hier nicht wunderbar? Das ist wahrscheinlich mein absoluter Lieblingsplatz. Ich habe nur leider nicht so viel Zeit wie ich gerne möchte, um hier herauszukommen und die Aussicht zu genießen. Kommen Sie, meine Damen! Diese Aussicht dürfen Sie sich nicht entgehen lassen!“ Geraldine ging mit den drei Frauen die kleine Anhöhe hinauf. Von hier aus konnte man den gesamten Garten sowie die Nachbargrundstücke einsehen.
Offenkundig gab es rings um den See ähnlich große Grundstücke mit hoheitsvollen Landhäusern.
Diane drehte sich einmal um sich selbst. Sie konnte nicht glauben, wie schön es hier war. Die Vögel sangen in den Bäumen. Irgendwo bellten ein paar Hunde, aber ansonsten war nichts zu hören. Die Ruhe war ein krasser Gegensatz zu ihrem hektischen, lauten Leben in der Großstadt.
Als sie sich von Gladice Manor abwandte, fiel ihr Blick zur Rechten auf das benachbarte Haus. Sie kniff die Augen zusammen, um es besser sehen zu können.
Die Grundstücke wurden von einer hohen, dichten Hecke getrennt, doch von ihrer erhöhten Position aus konnte sie das andere Haus deutlich zwischen den Bäumen erkennen. Ein leichtes Frösteln überlief sie. Ein Déjà-vu.
„Geraldine?“, fragte sie zögernd, als diese einen Moment schwieg.
„Ja, Liebes?“, fragte diese freundlich.
„Das Nachbarhaus, wem gehört das?“ Während sie fragte, prickelte ihre Kopfhaut.
„Das? Das ist Barkley House, Kleines. Es befindet sich seit seiner Erbauung im Jahr 1876 in Familienbesitz. Die Barkleys waren eine der größten Familien hier in der Gegend. Ihr Reichtum wurde nur noch vom Erbauer von Gladice Manor übertroffen. Nun sind nur noch Jim und seine jüngere Schwester Amy Barkley übrig. Amy ist etwas unter dreißig und Jim müsste einunddreißig sein. Er war im selben Jahrgang wie mein Sohn. Also ist einunddreißig oder zweiunddreißig sehr realistisch. Die beiden bleiben zumeist für sich. Es wird gemunkelt, dass ein Fluch auf den Barkleys liegt. Wenn Sie mich fragen, ist das alles Unsinn.“ Geraldine schüttelte gutmütig den Kopf.
„Wie meinen Sie das?“, hakte Diane nach.
Einen Augenblick überlegte die Verwalterin, wie viel sie den Besucherinnen erzählen sollte. Sie wollte sie um keinen Preis erschrecken.
„Seit vielen Jahren geschehen immer wieder unerklärliche Dinge. Die Barkleys mussten im Laufe der Zeit mit so einigen schweren Schicksalsschlägen fertigwerden. Tja, Sie wissen ja, wie die Menschen daraus dann die schönsten Schauergeschichten zaubern“, erklärte Geraldine.
Mrs. Danson drehte sich zu der Hochzeitsplanerin um und fragte: „Gibt es über Gladice Manor ähnlich schaurige Geschichten?“
Geraldine sah sie einen Moment nachdenklich an.
„Nein, Liebes. Dieses schöne Haus hat eine wirklich bewegte Geschichte hinter sich, doch hier ist niemals etwas Böses geschehen. Es hat seit seiner Erbauung so manches Mal den Besitzer gewechselt, aber bitte fragen Sie mich nicht warum. Ich würde hier nie wieder weggehen, wenn ich hier leben dürfte. Die Leute erzählen so einiges, aber ich halte das nur für das Produkt ihrer blühenden Fantasie.“
„Was erzählt man sich denn?“, hakte Dianes jüngere Schwester nach.
Geraldine holte tief Luft. „Zu Beginn des letzten Jahrhunderts soll die älteste Tochter des Besitzers auf tragische Weise ums Leben gekommen sein. Daraufhin verkauften die Eltern das Anwesen und zogen mit den anderen Kindern fort.“ Sie machte eine Handbewegung, die zeigen sollte, wie wenig sie von dem Gerede der Menschen hielt.
Die drei Danson-Frauen schwiegen und stellten sich die Szene von damals, jede auf ihre eigene Weise, vor.
Geraldine betrachtete eine nach der anderen. Mrs. Danson schien sich die Geschichte aus der Sicht einer Mutter vorzustellen, denn sie sah ihre beiden Mädchen eines nach dem anderen liebevoll an und seufzte schwer. Millie hingegen schien eher an blutrünstige Meuchelmörder zu denken. Ihr hübsches Gesicht war leicht gerötet, ihre blauen Augen strahlten und ihr schön geschwungener Mund stand leicht offen.
Doch Diane blickte teilnahmslos. Ihr Blick wanderte immer wieder zu Barkley House hinüber. Sie hatte die Lippen fest zusammengepresst und die Arme vor dem Bauch verschränkt. Es schien eine gewisse Besorgnis von ihr auszugehen. Wie merkwürdig, dachte Geraldine.
Nach einer kleinen Weile fuhr sie fort: „Aber Sie sind ja nicht hier, um sich düstere Geschichten aus der Vergangenheit anzuhören. Wir wollen nicht mehr davon sprechen. Millie, was halten Sie davon, wenn wir hier im Pavillon ein Streichquartett platzieren? Oder vielleicht wäre es Ihnen lieber, wenn wir hier eine Sitzgruppe aufstellten? Wenn Sie wünschen, können wir hier auch den Tisch für Sie und Ihren Zukünftigen aufbauen. Dann könnten Sie sozusagen über Ihren Gästen thronen“, schlug die Hochzeitsplanerin vor.
„Oh! Die Idee mit dem Streichquartett ist ja reizend!“, flötete Lydia erfreut über die unerwartete Unterstützung.
„Ich habe schon ein paar sehr schöne Ideen. Aber ich würde mich gerne noch etwas mehr mit Ihnen unterhalten, um Sie etwas besser kennenzulernen, Millie.“
„Ich habe auch schon ein paar tolle Ideen.“ Millies Augen blitzten auf.
„Nun gut, meine Lieben. Wollen wir in mein Büro gehen?“
Lydia und Millie nickten zustimmend, während Diane zögerte. „Mom, wäre es okay, wenn ich mich ein bisschen umsähe? Ich bleibe auch nicht zu lange fort.“
Zunächst schien ihre Mutter leicht irritiert, doch dann nickte sie lächelnd. „Geh nur, Kleines. Wir treffen uns in etwa einer Stunde wieder hier, okay?“
Diane nickte und machte sich nach einem kurzen Gruß auf den Weg.
Es drängte sie, sich Barkley Haus näher zu betrachten, doch so offensichtlich traute sie es sich nicht. So umrundete sie das Haus, ging die Auffahrt hinunter und wandte sich Richtung Innenstadt.
Zuerst kaufte sie sich in einem kleinen Laden einen Kaffee und dann schlenderte sie die Straße hinunter. Sie wusste nicht, wo sie hinwollte, doch ihre Füße trugen sie wie von selbst.
Die Menschen beäugten sie neugierig, aber keinesfalls feindselig. Es musste offensichtlich sein, dass sie nicht hierher gehörte. Vermutlich hielt man sie für eine der Hochzeitswütigen, die hier jedes Jahr aufs Neue einfielen.
Sie sah sich die Auslagen in den Schaufenstern an. In dem von Pattersons Schuhladen entdeckte sie ein Paar bezaubernder dunkelblauer Sandalen mit einem kleinen Absatz. Als sie den Preis sah, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Ohne groß darüber nachzudenken, ging sie hinein und kaufte sie sich. Zu Hause hätte sie gut das Doppelte für das Paar bezahlt. Mit einem kleinen Lächeln ging sie weiter. Sie war bester Laune und lächelte sogar einem jungen Mann zu, als er ihr entgegenkam.
Als sie auf der anderen Straßenseite einen kleinen Friedhof erblickte, ging sie, ohne lange nachzudenken, darauf zu. Das große Eisentor stand offen, also betrat sie ihn zögernd.
Hohe Bäume tauchten den gesamten Friedhof in kühle Schatten. Sie erschauderte und zog ihren leichten Mantel enger um sich. Um sie herum herrschte Stille. Das Klappern ihrer Absätze war beinahe das einzige Geräusch. Selbst das heitere Zwitschern der Vögel schien hier gedämpfter. Sie musste allein hier sein. Aber all dies hielt sie nicht davon ab, die schmalen Gänge zwischen den Gräbern hindurchzugehen und sich aufmerksam umzusehen.
Im vorderen Teil befanden sich zumeist neuere, schlicht gehaltene Gräber. Die Grabsteine und Statuen im hinteren Teil waren deutlich älter und teilweise schon recht verwittert. Einige der Inschriften konnte sie kaum entziffern.
Zu ihrer Rechten entdeckte sie mehrere Familiengrabstätten und Mausoleen. Langsam wanderte sie von einer zur andern und las Namen und Lebensdaten. Vor einer mit einem kunstvoll gearbeiteten, schmiedeeisernen Zaun eingefassten Grabstätte blieb sie stehen.
Ein schmaler Weg führte auf einen mehr als mannshohen Stein zu, an dem eine polierte Platte die Namen der hier Ruhenden trug. Rechts und links des Weges wuchsen Rosensträucher, die im Sommer gewiss herrlich blühten. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass niemand sie beobachtete, trat sie zögernd näher.
Ganz oben stand Familie Barkley.
Ihre Augen überflogen die Inschriften, bis sie ungläubig den Kopf schüttelte. Dort standen auch zwei Namen, die ihr ein eisiges Kribbeln den Rücken hinunterjagten.
Bernard Jacob
12.Mai 1888 - 28.September 1914
Und darunter war zu lesen:
Dorothea Ann geb. Parker
03.Dezember 1893 - 01.Oktober 1914.
Was um alles in der Welt…? Das konnte doch bloß Zufall sein, dass die beiden Personen in ihren Träumen genau diese Namen trugen! Und die Kleider, die sie eindeutig dieser Zeit zuordnen konnte! Barkley House und die Tatsache, dass es ihr so unendlich bekannt vorkam, obwohl sie sich sicher war, noch nie hier gewesen zu sein…
„Das darf doch alles einfach nicht wahr sein!“ Diane fuhr sich mit der Hand durch das Haar und schüttelte ungläubig den Kopf. Ihre Gedanken rasten und sie versuchte verzweifelt, sich einzureden, dass das alles nur Zufall war. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und hoffte inständig, dass sie sich das Ganze nur eingebildet hatte. Doch als sie die Augen wieder öffnete, standen die beiden Namen immer noch dort oben auf der Messingplatte.
Für einen Moment befürchtete Diane, hier an Ort und Stelle augenblicklich in Ohnmacht zu fallen. In ihren Ohren rauschte es, ihr Herz pochte heftig und ihre Kehle fühlte sich trocken an. Sie schluckte. Was ging hier eigentlich vor sich?
Immer wieder tief durchatmend wartete sie darauf, dass sich ihr Puls wieder normalisierte. Sie zählte ganz langsam bis zehn und versuchte sich wieder zu sammeln. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.
Schließlich wandte sie sich zum Gehen, doch als sie jemanden in dem schmalen Durchgang stehen sah, hielt sie inne. Sie war überrascht, wenn nicht sogar entsetzt, nicht länger alleine zu sein.
„Oh, hallo! Ich weiß, ich hätte hier nicht so einfach hereinmarschieren dürfen, aber …“ Diane blickte scheu zu der großen jungen Frau auf. Wieder fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar.
Offensichtlich suchte sie nach den richtigen Worten. Amy fand das schon wieder beinahe komisch. Die Kleine, und das war sie – klein, war irgendwie süß, auf ihre flattrige, scheue Art. Amy nahm ihre schwarze Sonnenbrille ab und musterte die Frau aufmerksam.
„Ich … ich war nur sehr überrascht“, stammelte sie.
„Meinetwegen? Oder wegen der Grabstätte meiner Familie?“ Amy verschränkte die Arme vor der Brust und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen.
„Ich habe nicht bemerkt, dass Sie sich mir genähert haben.“ Amys aufmerksamer Blick ließ Diane sich förmlich winden.
„Sorry, ich habe meine Glöckchen gerade heute zu Hause vergessen“, sagte Amy mit einem nonchalanten Schulterzucken. Nun blickte ihr Gegenüber betreten auf ihre Schuhspitzen herab.
„Was hat Sie denn nun so fasziniert an der Ruhestätte meiner Familie?“, versuchte Amy es erneut.
„Nichts. Bitte entschuldigen Sie mich. Es tut mir leid. Ich bin schon weg…“ Damit drängte sie sich an der stocksteif dastehenden Amy vorbei und sah zu, dass sie fort kam.
Amy blickte ihr nach und überlegte, was wohl mit ihr los war. Erst dann fiel ihr wieder ein, was Dorothea letzte Nacht zu ihr gesagt hatte. Eine junge Frau wird in euer Leben treten und alles wird sich zum Guten wenden,hörte sie die Stimme ihrer Urgroßmutter erneut sagen.
Aber sie konnte doch unmöglich dieses zitternde, ängstliche kleine Häschen meinen! Wie sollte die denn irgendwas bewirken? Die erschreckte sich ja vor ihrem eigenen Schatten!
Amy wandte sich wieder dem Grab zu und blickte auf den großen Stein in der Mitte. Sie blickte auf den weiblichen Namen, der ganz oben stand. „Das ist ja wohl ein Scherz!“, sagte sie an ihre Urgroßmutter gerichtet.
Eine ältere Dame aus dem Ort, die sie passierte und den letzten Satz mitbekommen hatte, blickte Amy mitleidig an. Diese senkte den Kopf leicht und schenkte der Frau einen ihrer stechenden Blicke. Wie immer verfehlte dieser seine Wirkung nicht. Die Frau zog den Kopf ein und ging eilig weiter.
Amy grinste. Als sie sich wieder umdrehte, war die kleine Person mit den hüftlangen Haaren bereits verschwunden. Mit einem resignierten Schulterzucken betrat sie die Grabstätte und legte die mitgebrachten Blumen nieder. Liebevoll strich sie mit den Fingerspitzen über die Namen ihrer Eltern und ihrer jüngeren Schwester. Sie blieb regungslos vor dem großen Stein hocken und hielt eine stille Zwiesprache mit ihren verstorbenen Familienmitgliedern.
Als Diane endlich wieder vor dem Tor zu Gladice Manor stand, pumpte ihr Herz und ihre Ohren dröhnten. Verdammt! Jetzt hatte sie sich von diesem Früchtchen in die Flucht schlagen lassen! Sie hatte nichts Unrechtes getan. Sie war davongelaufen, als hätte diese gruselige Frau sie bei einem schweren Verbrechen überrascht! Diane ärgerte sich über ihre Ängstlichkeit.
Sie schloss die Augen, wartete, bis sich ihre Atmung wieder beruhigt hatte, straffte die Schultern und ging auf das große Landhaus zu, wo ihre Mutter und Millie immer noch in Geraldines Büro saßen und gerade die entsprechenden Verträge unterzeichneten.
„Diane, Liebes, Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen“, bemerkte Geraldine, als sie in das kleine Büro trat.
Mrs. Danson sah auf und zog die Augenbrauen zusammen. „Ist alles in Ordnung, Kleines?“ Sie setzte ihre schicke Goldrandbrille zurecht und blickte ihre Tochter forschend an.
„Ähm, ja … klar. Ich hatte bloß eine merkwürdige Begegnung mit Amy Barkley.“ Sie strich ihre langen dunkelblonden Haare hinters Ohr und versuchte zuversichtlich zu lächeln.
„Die kleine Barkley? Ein äußerst seltsames Mädchen. Sie hat etwas Unheimliches an sich, nicht wahr?“ Geraldine biss sich auf die Unterlippe, als müsse sie sich jedes weitere Wort verkneifen. Sie erhob sich, um Diane ein Glas Wasser zu holen.
Diese nahm es dankbar entgegen und lächelte die Frau verlegen an. „Danke. Sie ist ziemlich einschüchternd“, gestand sie. Sie versuchte das spöttische Aufflackern in den Augen ihrer Schwester zu ignorieren. Millie brauchte gar nichts zu sagen, Diane konnte es ihr am Gesicht ablesen, dass sie sich über ihre Schwester amüsierte.
Diane fand die Bezeichnungen „klein“ und „Mädchen“ für Amy Barkley so unangebracht, als hätte Geraldine einen ausgewachsenen Tiger als kleines Schmusekätzchen bezeichnet.
„Ja, sie ist schon immer so gewesen. Ich kenne sie fast ihr gesamtes Leben und sie war schon immer eine Einzelgängerin. Sie trägt nur Schwarz. Früher lief sie ständig mit einem Buch in der Hand umher und sprach ständig von der Vergangenheit – wenn sie denn überhaupt sprach. Sie hat sich nie für Mode oder Make-up oder solche Dinge interessiert. Und die wenigen Beziehungen, die sie hatte, waren nie von langer Dauer. Sie hat niemanden in ihre Nähe gelassen – bis auf ihren älteren Bruder Jim. Er schien schon immer der Einzige zu sein, der irgendwie zu ihr durchdringen konnte. Schade drum. Wie Sie gesehen haben, ist sie ein bildhübsches Ding und sie ist hochintelligent. Sie hat Geschichte studiert und ihren Abschluss mit Auszeichnung gemacht.“ Geraldine schüttelte traurig den Kopf.
Dann nahm sie von Mrs. Danson die unterzeichneten Verträge und den Scheck mit der Anzahlung entgegen und lächelte zufrieden. Sie ließ alles in einer Schreibtischschublade verschwinden, bevor es sich die Danson-Damen anders überlegen konnten und lächelte die drei überaus freundlich an.
Amy Barkley kannte sich in der Geschichte aus. Das war eine Information, die sie sich unbedingt merken musste. Und selbstverständlich war sie eine Barkley, eine Nachfahrin der Dorothea Barkley aus ihren Träumen. Vielleicht könnte sie ihr ja etwas über ihre merkwürdigen Träume erzählen. Amy galt als sonderbar, also würde sie sie wahrscheinlich nicht verurteilen. Sie brannte darauf, diese Dinge zu verstehen. Warum träumte gerade sie von den Barkleys? Was hatte sie damit zu tun?
So in ihre Gedanken versunken, achtete Diane nicht auf den Smalltalk zwischen ihrer Mutter, Millie und Geraldine. Fröhliche Blumenarrangements, schicke Kleider, ein edles Menü und die passende Musik waren im Moment Themen, mit denen sie sich nicht befassen konnte oder wollte.
Nach wenigen Minuten erhoben sich die vier Frauen und gingen hinaus zum Auto der Dansons, wobei Millie, Mrs. Danson und Geraldine immer noch unaufhörlich redeten. Diane fand es erstaunlich, wie sie sich unter diesen Umständen überhaupt verstehen konnten. Sie verabschiedeten sich fröhlich und dann machten sich Mutter und Töchter auf dem Heimweg.
Diane saß erneut grübelnd auf dem Rücksitz. Millies Mund stand nicht eine Sekunde still und so fiel es ihr und Lydia nicht auf, dass Diane in Gedanken versunken war.
Sie setzten sie vor ihrem Haus ab, verabschiedeten sich und brausten davon.
Nun war sie wieder allein und konnte ungestört über alles nachdenken, eine Angewohnheit, die sie schon so manches Mal verwünscht hatte.
Diane verbrachte den restlichen Nachmittag vor dem Computer, versuchte etwas über Adamsville, die Barkleys und ihre Träume herauszufinden. Bei dieser Beschäftigung verging die Zeit wie im Flug. Als sie auf die Uhr schaute, war es bereits kurz nach neun. Sie seufzte, schaltete den Computer aus und ging ins Bad.
Als sie frisch gebadet und in ihrem Lieblingsschlafanzug auf der Couch saß, konnte sie die Augen kaum noch offen halten. Also kuschelte sie sich unter die weiche Couchdecke, die ihr Tante Adele geschenkt hatte. Der Fernseher war zwar eingeschaltet, doch nicht lange darauf war sie eingeschlafen, ohne überhaupt zu registrieren, was da über die Mattscheibe flimmerte.
„Dory, Liebes, wo bist du?“, rief Bernard nach seiner jungen Frau. Er betrat die Bibliothek, wo sie am Fenster saß und in den Sommerhimmel hinaufschaute.
„Sieh nur, wie makellos der Himmel heute ist. Ist er nicht bezaubernd? Wie wunderbar es sein muss, ein Vogel zu sein und dem Himmel so nahezukommen!“ Dorotheas Stimme klang leise und schwermütig. Sie seufzte und blickte dann zu ihrem Mann auf.
„Was gibt es, Liebster?“ Sein sorgenvoller Blick ruhte auf ihrem blassen Gesicht. Er legte den Kopf schief und überlegte, was wohl in ihrem schönen Kopf vorgehen mochte.
„Ich wollte mich nur verabschieden. Ich werde in vierzehn Tagen zurück sein. Versprich mir, dass du dir keine Sorgen machst! Du darfst dir keine Sorgen machen! Hörst du? Jetzt ganz besonders nicht.“ Er legte seine große Hand auf die mittlerweile deutliche Wölbung ihres Bauches und lächelte sie verliebt an.
„Ich verspreche es dir, mein Liebster. Komm gesund zu uns zurück.“ Sie strich ihm über die Wange und küsste ihn zart auf die Lippen. Er erwiderte die Geste und richtete sich dann auf.
„Ich werde gut auf mich aufpassen. Ich habe doch jeden Grund dazu, heil zu dir zurückzukehren.“ Er küsste noch einmal ihren Mund und wandte sich zum Gehen. An der Tür hielt er noch einmal inne und sah besorgt zu seiner Frau hinüber. Dorothea seufzte und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Himmel da draußen zu.
Mit einem leisen, beunruhigten Gefühl im Bauch verließ er den Raum.
Diane erwachte. Der Fernseher lief immer noch. Mittlerweile war es weit nach Mitternacht. Also stand sie auf, schaltete ihn aus und ging ins Bett.
Es dauerte etwas, bis sie wieder einschlafen konnte. Ihre Gedanken rasten in tausend verschiedene Richtungen auf einmal. Sie versuchte den Traum und das am Tage Erlebte abzuschütteln, doch es gelang ihr nicht vollständig. Das Bild der jungen Dorothea, wie sie dort am Fenster saß und mit so entrücktem Blick in den strahlend blauen Himmel hinaufschaute, wollte sie einfach nicht loslassen. Es war dasselbe Gefühl, das auch sie vor einiger Zeit ergriffen hatte.
Als sie doch endlich wieder einschlief, träumte sie unzusammenhängende, höchst verwirrende Dinge.
Dorothea Barkley schlenderte am Arm ihres Gatten den gepflegten Weg am See entlang auf Gladice Manor zu. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel auf das Paar herab. Es war angenehm mild, die Wiesen waren saftig grün, die Blumen in den gepflegten Rabatten begannen zu blühen und in den Eichen sangen Singvögel.
Die fröhlichen Stimmen der bereits eingetroffenen Gäste drangen an ihre Ohren. Bernard seufzte theatralisch. „Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Gäste doch diese albernen Feste anlocken. Selbst ich pathologischer Stubenhocker kann mich diesen Spektakeln nicht entziehen.“
Dorothea lachte herzlich. „Du, mein geliebter zerstreuter Professor, musst wenigstens zweimal im Jahr aus deiner geliebten Bibliothek heraus, um auszulüften.“ Dorothea klopfte ihrem Gatten auf die Brust seines weißen Sommeranzugs, als wollte sie den Staub ausklopfen.
Bernard hustete übertrieben und grinste dann auf seine Gattin herab. „Du hast wohl recht, mein Liebling.“
Das Paar saß mit einigen anderen jungen Leuten in dem Pavillon auf der kleinen Anhöhe. Dorothea nippte an einem Glas Limonade und unterhielt sich angeregt mit einer jungen Frau mit langen rabenschwarzen Haaren, einem hübschen runden Gesicht und einem ansteckenden Lachen. Bernard seinerseits unterhielt sich mit einem jungen Mann in seinem Alter. Dieser strich der Schwarzhaarigen immer wieder liebevoll über den Arm.