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In Grumberg an der Weinstraße geht es hoch her: Das alljährliche Keschdefeschd steht an, dabei wetteifert das Dorf beim Kastaniensammeln mit der Nachbargemeinde Rhodt unter Rietburg. Ein Waldpächter will den Grumbergern das Sammeln verbieten, am nächsten Tag ist der Mann tot. Mordmotiv Kastanienneid? Als kurz darauf ein Schatzsucher verunglückt und in seinem Rucksack keltische Goldmünzen gefunden werden, ahnen Kommissar Bleibier und die Elwetritsch, dass der Fall komplizierter ist.
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Seitenzahl: 155
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Helge Weichmann
Schatzsuche mit Elwetritsch
Kriminalroman
Achkummgehfort! Wenn die Bäume bunt leuchten, der Bitzler im Glas perlt und im Wald die Keschde auf dem Boden liegen, dann ist Herbst in der Südpfalz. Kommissar Bleibier hat allerdings nicht viel Zeit für all diese schönen Dinge, denn Grumberg an der Weinstraße steht Kopf: Zuerst stirbt ein Kletterer bei einem Sportunfall, dann klimpern im Rucksack eines verunglückten Schatzsuchers keltische Münzen. Prompt werden die Grumberger vom Goldfieber gepackt und träumen von einer zweiten Himmelsscheibe, die ihr Dorf berühmt machen soll. Einzig der Kommissar ahnt, dass bei dem Münzfund nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Um die Wahrheit herauszufinden, setzt er auf seine Geheimwaffe – eine Elwetritsch aus dem tiefen Pfälzerwald. Mit kessem Schnabel wirbelt die Tritsch sämtliche Ermittlungen durcheinander, ihre Beobachtungsgabe wird dabei nur noch von ihrem Appetit auf Zwiwwelkuche übertroffen. Gemeinsam machen sich die beiden daran, die Fäden zu entwirren.
Helge Weichmann, Jahrgang 1972, ist gebürtiger Pfälzer und lebt seit mehr als 25 Jahren in der Diaspora in Rheinhessen. Während seines Studiums jobbte der promovierte Kulturgeograph als Musiker und Kameramann, bevor er sich als Filmemacher selbstständig machte. Heute betreibt er eine Medienagentur, arbeitet als Moderator und hat sich mit Mainzer Krimis einen Namen gemacht. Die Pfalz trägt er jedoch immer im Herzen, deshalb sind die „Elwetritsche“-Bücher seine ganz persönliche Wertschätzung der wunderschönen Region zwischen Neustadt und der französischen Grenze. Neben Kultur und gutem Essen kommt darin auch die berühmte Schlitzohrigkeit der Pfälzer nicht zu kurz. Ajoh!
Personen, Elwetritsche und Handlung
sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden
oder toten Personen und Elwetritsche
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2022 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0
Alle Rechte vorbehalten
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Walter Rupp
ISBN 978-3-8392-7336-4
Kommissar Bleibier hing zwischen Himmel und Erde. Sein linker Fuß war in einem Seilknäuel verheddert, die Hüfte wurde durch eine Haltevorrichtung unnatürlich nach oben gezogen, mit den Armen ruderte er hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken. In unregelmäßigen Abständen stieß sein behelmter Kopf an die Felswand neben ihm.
»Na, Bleibier, das üben wir aber noch ein bisschen«, schallte die Stimme von Kriminalrat Keilhauer nach oben. Seine Neustadter Leute, allesamt durchtrainierte Männer und Frauen, lachten schadenfroh, einer machte Handyfotos von dem zappelnden Bleibierkäfer. Einzig Manfred »Manne« Blümlein, der zweite Mann der Grumberger Wache, hielt sich abseits und gab Bleibier pantomimische Anweisungen, wie dieser sich aus der misslichen Lage befreien sollte. Mit zusammengebissenen Zähnen befolgte der Kommissar Mannes Gesten, zog in Zeitlupe den Fuß aus dem Gewirr, stabilisierte seinen Rumpf und bemühte sich, mit der rechten Hand nach einem weiteren Seil zu greifen. Fast hätte er es geschafft, da verlor sein Bauch den Kampf gegen die Schwerkraft. Er kippte nach unten und fabrizierte einen halben Überschlag, seine Beine verdrehten sich gegenläufig. Innerhalb einer Sekunde war er von Seilen eingesponnen, als hätte ihn eine Riesenspinne als Beute auserkoren. Die Neustadter wieherten und reckten ihre Handys in die Höhe. »Dunnerkeil!«, presste Bleibier hervor. Er verfluchte den Tag im Allgemeinen und Kriminalrat Eugen Keilhauer im Speziellen, auf dessen Mist diese Kletteraktion gewachsen war.
Alles hatte angefangen, als vor einigen Tagen das Telefon in der Grumberger Wache geläutet hatte. Durch das nicht vorhandene Display des 90er-Jahre-Apparats war der Anrufer wie stets eine Überraschung, dieses Mal allerdings eine eher unangenehme.
»Bleibier!« Keilhauers Kasernenhofstimme bellte durch die Leitung. »Sie und Ihr Kollege hocken sich doch in Ihrem Stübchen den ganzen Tag den Hintern platt. Da wird es höchste Zeit, mal ein bisschen aktiv zu werden. Ich habe Sie beide bei einem Seminar am kommenden Freitag angemeldet, ›Gleichgewicht und Körperkoordination für Fortgeschrittene‹. Da sind unsere besten Leute hier aus Neustadt dabei. Und wissen Sie was? Sie müssen noch nicht mal weit reisen, die Schulung findet oben bei Ihnen hinter den sieben Bergen statt.«
Bleibiers wachsweiche Ausreden – brisante Ermittlungen rund ums organisierte Verbrechen, bei denen es auf jede Minute ankam – wurden vom Kriminalrat noch nicht einmal zur Kenntnis genommen. »Ich erwarte Sie und Ihren Hilfssheriff dann am Freitag früh an der Felsenhöhle überm Hilschweiher. Und sehen Sie zu, dass Sie pünktlich sind, hier in Neustadt gehen die Uhren nämlich nicht zwanzig Jahre nach wie bei Ihnen!«
Bei solch einer Debatte standen Bleibier und Manne auf verlorenem Posten, das wussten sie. Keilhauer besaß zwar keine direkten Befugnisse über die Grumberger Polizeiwache, doch er sammelte eifrig Minuspunkte gegen die Kollegen. Eine Weigerung der beiden Beamten, an einem offiziellen Fortbildungsprogramm teilzunehmen, wäre Wasser auf seine Mühlen gewesen.
Also fanden sich Bleibier und Manne zum vereinbarten Zeitpunkt an der Felsenhöhle ein. Bei der besagten Höhle handelte es sich eher um einen niedrigen Durchschlupf, darüber türmten sich rote Sandsteinblöcke, die aussahen wie von Riesenhand gestapelt. Zum Tal hin strebte die Wand zehn, zwölf Meter in die Höhe, aufwärts wurde sie vom Hang eingefasst. Die beiden Grumberger trugen das, was in der Pfalz als sportliche Kleidung angesehen wurde: Wanderhosen und -stiefel, Hemden mit hochgekrempelten Ärmeln und eine Weste gegen die morgendliche Herbstkühle. Im Gegensatz dazu erschien Keilhauers Truppe in tarnfarbener Funktionskleidung und brachte Klettergürtel mit, die in Bleibiers Augen ein unübersichtliches Gewirr aus Ösen, Karabinern und Haltevorrichtungen darstellten. Er und Manne mussten sich hineinzwängen, bekamen eine Einweisung im Zeitraffer, und schon ging es los: Zwei Obersportskanonen wieselten seitlich den Hang hinauf und befestigten am oberen Punkt des Felsens allerlei Seile, die Übrigen klinkten ihre Karabiner hinein, um im Affentempo hinauf- und hinunterzuklettern. Ein braun gebrannter Trainer mit Spiegelsonnenbrille brüllte Befehle dazu, er erinnerte Bleibier an den Army-Ausbilder im Hollywoodkino. Keilhauer stand in Hemd und Anzughose daneben und wachte mit Argusaugen darüber, dass die beiden Grumberger auch ja keine Übung ausließen.
Manne stellte sich dabei nicht ungeschickt an. Der stämmige Polizeimeister machte als Wandervogel viel Strecke im Wald, seine Trittsicherheit und Kondition hielten ihn einigermaßen stabil in der Felswand. Doch bei Bleibier waren Hopfen und Malz verloren, er schlingerte wie im Sturm, seine Muskeln schmerzten, sein Kopf nahm die Farbe einer Tomate an. Trotzdem triezte Keilhauer ihn genüsslich weiter und scheuchte ihn immer wieder aufs Neue in die Höhe.
Sechs Stunden hatte der Kommissar tapfer durchgehalten, aber nun, bei der allerletzten Übung, baumelte er wie eine überreife Frucht im Gewirr der Seile. Seine Kräfte schwanden, er schloss die Augen. Von unten schallten Lachsalven hoch, die Handys klickten. Keilhauer hatte sein Ziel erreicht, ihn zu demütigen. Jetzt blieb nur noch, auf die Neustadter Kletteraffen zu warten, die ihn aus den Stricken klauben und unter höhnischen Kommentaren zurück auf den Boden bringen würden.
Da spürte er eine Berührung an seinem rechten Fuß. Erschrocken kreiselte er herum, so weit es seine eingesponnenen Glieder erlaubten. Machte sich jetzt auch noch Ungeziefer über ihn her? Zu sehen war nichts, nur die Sandsteinwand neben ihm mit all ihren Klüften und Spalten. Da, schon wieder! Etwas nestelte an seinem Knöchel. Bleibier schaute ganz genau hin – und sah für einen Moment ein bernsteinfarbenes Auge inmitten der Felsformation. Zwei, drei Mal ruckten und zuckten die Knoten, plötzlich waren die Füße frei. Wie von Geisterhand entfädelte sich eine Schlinge am Bein, es kratzte am Stein neben ihm, das Gewirr an den Armen löste sich, das passende Seil fand den Weg in seine Hände, schließlich drückte etwas gegen den Rücken und ließ ihn in aufrechte Position schwingen. Vorsichtig hantierte er mit der Seilbremse und glitt nach unten. Das Johlen verstummte, als er seine Füße auf den Waldboden setzte.
»Das wär’s dann, Herr Keilhauer?« Mit möglichst viel Würde drehte Bleibier sich um und ging davon, obwohl die Schweißflecken unter seinen Achseln so groß waren wie Wagenräder. Über die Schulter rief er nach hinten: »Und Teilnehmerzertifikat nicht vergessen für den Herrn Blümlein und für mich, gell. Schönen Tag noch.«
Manne folgte ihm und schaute ihn von der Seite an. »Jasaagemol, Chef, wie hast du das denn gemacht? Du bist doch da total verheddert gewesen bist du. Und auf einmal dann unten, das grenzt ja an Zauberei!«
Bleibier wusste sehr genau, wer hinter dieser Zauberei steckte, hielt aber wohlweislich den Mund. »Manchmal klappt’s halt«, meinte er vage und beschleunigte seinen Schritt. Nicht auszudenken, wenn Keilhauer auf Rache sinnen und ihn für eine weitere Klettertortur zurückrufen würde.
»Bassemoluff!«, rief Manne und holte auf. »Ich hab uns ebbes mitgebracht für gleich, hat man sich ja denken können, dass das alles anstrengend wird.« Er schwang seinen prall gefüllten Rucksack nach vorne. Bleibier hatte am Anfang des Tages vermutet, dass sich darin weiteres Sportzeug aus Mannes Wanderschatulle befand, doch weit gefehlt. Der Polizeimeister ließ ihn einen Blick hineinwerfen. Anmutig schmiegten sich zwei Riesling- und eine Wasserflasche aneinander, flankiert von Kühlakkus, daneben lag ein halbes Dutzend Woiknorze. Bleibier stiegen Tränen in die Augen, so sehr beglückte ihn dieser Anblick. Nach all der Mühsal, dem Spott und den körperlichen Anstrengungen erschienen ihm eine Pälzer Schorle und ein Knorze als göttliche Belohnung. Manne stürmte auch schon voran, er steuerte wohl auf einen Platz zu, an dem sich der Rucksackinhalt angemessen genießen ließ. Bleibier wusste, dass Manne diese Ecke des Pfälzerwaldes kannte wie seine Westentasche. Zwar war der Kommissar ebenso wie sein Kollege hier geboren und groß geworden, hatte in der Kindheit und der Jugend also auch unendlich viel Zeit im Wald zugebracht. Doch im Gegensatz zu Manne wanderte Bleibier heutzutage nur gelegentlich, weshalb er längst nicht so viele schöne Flecken kannte.
Eine Viertelstunde führte Manne ihn auf einem steilen Pfad nach oben, dann schoben sich die Bäume zur Seite und machten Platz für eine Lichtung mit hölzerner Bank. Bleibier zog die Luft ein, als wollte er die Schönheit in seine Lungen saugen. Vor ihm breitete sich das Elmsteiner Tal aus, angefüllt von dichten, herbstbunten Bäumen, einzelne hingewürfelte Häuser sahen aus wie Spielzeug. Dahinter stieg die Haardt wieder an, die Farben wurden dunkler, die Hügel reihten sich aneinander und verloren ihre Form in der Ferne, bis sie eins wurden mit dem Himmel. Die Spätsommersonne übergoss alles mit ihrem milden Licht. Demut umfing ihn. Der Pfälzerwald dünkte ihn wie eine urtümliche Landschaft, in der die Menschen bestenfalls als Besucher geduldet wurden.
»So, jetztert awwa!« Manne zauberte zwei Dubbegläser aus seinem Rucksack und füllte sie mit Wein und Mineralwasser. Auf der Bank breitete er fein säuberlich ein Geschirrtuch aus, um die Woiknorze zu drapieren. Bleibier ließ sich seufzend nieder, brach ein Stück Knorze ab und nahm einen tüchtigen Schluck. Es war, als würde der Wein die Mühsal des Tages von der Seele spülen. Manne tat es ihm gleich, gemeinsam gaben sie das lang gezogene »Aaaaaaah« von sich, mit dem der Pfälzer höchste Zufriedenheit auszudrücken pflegte.
Während Manne bald schon über die Ereignisse des Klettertages fachsimpelte, bemühte sich der Kommissar, sein fast volles Schoppenglas unauffällig nach unten sinken zu lassen. Immerhin hatte er eine Bringschuld einzulösen, aber so, dass sein Kollege nichts davon mitbekam. Kaum war das Dubbeglas unterhalb der Bank angelangt, rumorte es kurz, das Glas wackelte in seiner Hand, er hob es leer nach oben. Manne unterbrach seinen Klettermonolog. »Jaja, Bewegung macht dorschtich«, meinte er schmunzelnd und goss tüchtig nach. Das Spiel wiederholte sich noch dreimal, in all der Zeit fiel bestenfalls ein halber Schoppen für Bleibier ab. Wenig besser erging es ihm mit den Woiknorze: Nach dem ersten Bissen opferte er den Rest unterhalb der Bank, was leises Knuspern und Schmatzen hervorrief. Zwar hätte Bleibier sich gerne selbst daran gelabt, doch für seine wundersame Rettung aus der Felswand schien ihm dieser Preis durchaus angemessen.
Schließlich machten sich die beiden Männer auf den Heimweg. Eine Stunde Fußmarsch lag vor ihnen, herrliche Wanderwege in weiten Kehren, die vom Elmsteiner Tal nach Grumberg führten. Bald schon wölbten sich zwischen Eichen und Kiefern die majestätischen Häupter der Edelkastanie mit ihren länglich geriffelten Blättern. Automatisch bückten sich die zwei Polizisten, kramten Stofftaschen hervor und fingen an, im Gehen die braunen Kastanien aufzusammeln, die auf dem Boden zwischen dem herbstlichen Blätterschmuck hervorlugten. Für Bleibier war das schlendernde Bücken nach den »Keschde« eher eine Gewohnheit, doch er wusste, dass bei Manne ein höheres Ziel dahintersteckte. Prompt fing sein Kollege an:
»Und du denkst dran, morgen Abend, gell, da is ja Vereinstreff, um sechs, sei bloß pünktlich!«
Der Kommissar nickte gottergeben und machte sich auf einen langen Vortrag gefasst, in dem Manne wie so oft die Segnungen der Keschde und besonders die Wichtigkeit des Grumberger Vereins erläutern würde. Er wurde aber abgelenkt von einer Bewegung oberhalb des Weges. Hangaufwärts strich eine Gestalt durch das Unterholz, verstohlen und gebückt, ihre grünbraune Kleidung und ein dunkler Rucksack machten sie fast unsichtbar. Eine rasche Kopfbewegung ließ seinen Kollegen aufmerksam werden, schon stiegen die beiden den Hügel hinauf. Die Gestalt entpuppte sich als junger Mann mit Sommersprossen, der eilig seine Kapuze nach hinten schob. Darunter wurden rötlich blonde Haare sichtbar, die in Bleibiers Augen dringend einen Friseurbesuch nötig hatten.
»Ach, hallo, Herr Bleibier, hallo, Herr Blümlein!« Der Junge nickte mit der übertriebenen Herzlichkeit, die Leuten innewohnte, denen das schlechte Gewissen aus allen Poren quoll. Bleibier legte einen strengen Blick auf.
»Na, Jonas, was gibt’s hier im Wald so Interessantes, dass du abseits der Wanderwege rumschleichst?«
Betont harmlos hob sein Gegenüber den Rucksack. »Keschdesammeln natürlich, was sonst? Sie doch sicher auch, oder? Es geht ja schließlich um was.« Er schüttelte seinen Rucksack wie den Klingelbeutel in der Kirche, darin klackerten zwei Handvoll Keschde. Doch Bleibier kannte seine Pappenheimer. Ohne viel Federlesens griff er hinter Jonas’ Rücken. Dort baumelte eine professionelle Kamera, daneben erkannte er einen länglichen Köcher, den der Junge hinter seinem rechten Arm mehr schlecht als recht verborgen gehalten hatte.
»Soso, Keschde. Die berühmten Südpfälzer Goldkeschde, oder was?« Mit einer schnellen Bewegung öffnete Bleibier den Köcher und griff nach einem Metallstab mit allerlei Anzeigen und Kabeln, die am unteren Ende in einem dicken, runden Teller zusammenliefen.
Jonas riss die Augen auf, als sähe er die Apparatur zum ersten Mal. »Ach so, ja, gut, zwischendrin hab ich noch mal geguckt, gell. Oben am Wildgehege, an den Futterautomaten, da verlieren die Leut immer mal wieder Wechselgeld, und das lohnt sich, da alle paar Wochen mal zu sondeln, äh …« Er verstummte, als Bleibiers Zeigefinger unter seiner Nase herumwedelte.
»Uffbasse, Jonas, verarschen kann ich mich selbst! Wir beide wissen, dass du mit deiner Metallsonde hier im Wald nach antikem Zeug suchst, aber da hast du ganz schnell Ärger am Bein, und zwar ordentlich!«
»Also, ich, öh«, es war Jonas anzusehen, wie unangenehm ihm das spontane Kreuzverhör war. »Ich mach ja nix Illegales, es ist überhaupt nicht verboten, hier …«
»Red ke dumm Zeuch«, schnitt Bleibier ihm das Wort ab. Er mochte es nicht, wenn ihn jemand zum Besten hielt. In Grumberg pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass der Bieck Jonas mit seinem Metalldetektor auf den ganz großen Fund hoffte, auf römische Goldmünzen, vergrabenen Schmuck aus dem Dreißigjährigen Krieg oder einen sagenhaften Keltenschatz. »Wenn du auch nur das allerkleinste historische Fitzelchen hier aus dem Wald rausschaffst, ohne es zu melden, bist du so was von fällig.« Er bemühte sich, seinem Zeigefinger vor Jonas’ Gesicht polizeiliche Autorität zu verleihen. »Dann bist du kein Sondengänger mehr, sondern ein Raubgräber, und ganz schnell hockst du auf der Anklagebank, ganz schnell. Haben wir uns verstanden?«
Kleinlaut nickte der Junge. Bleibier funkelte ihn ein letztes Mal an und legte möglichst viel Dirty Harry in seinen Blick. Manne war aber noch nicht fertig. Auffordernd hielt er seinen Stoffbeutel hin und wachte darüber, dass Jonas die zwei Dutzend Alibi-Keschde aus dem Rucksack umfüllte. »So is recht, jede zählt, jede einzelne«, murmelte der Polizeimeister eher zu sich selbst. Dann schrak er hoch, als sei ihm die Weltformel eingefallen. »Du kommst doch morgen Abend zur Sitzung, oder, Jonas, wegen der Computerkarte und so? Des wär schunn wichtig, wär des!«
»Jaja, awwer sicher«, beeilte sich Jonas zu sagen, um Pluspunkte bemüht.
Die beiden Männer stiefelten durchs Unterholz zurück auf den Weg. »Weil, mit dem Jonas seiner Computerkarte, da haben wir nämlich ein Ass im Ärmel, ein echtes Ass!«, nahm Manne seinen Keschde-Faden wieder auf. Bleibier verdrehte die Augen – das Thema für ihren gemeinsamen Heimweg war gesetzt, sein eigener Redeanteil würde ziemlich sicher bei Null liegen. Sei’s drum, er brauchte eher die Augen als die Ohren, um die Schönheit der herbstlichen Südpfalz zu genießen.
Zwei Stunden später saß der Kommissar mit einer kühlen Schorle auf der Terrasse hinter seinem Haus. Das Grundstück schloss sich an die darunter liegenden Freiflächen an, wo Büsche und sattes Grün in die Rebzeilen übergingen, die den Anfang der Rheinebene bildeten. Er hatte den Blick in die grenzenlose Ferne schon als kleiner Bub geliebt und das Haus später von seinen Eltern übernommen. Sooft es ging, verbrachte Bleibier seine Zeit hier draußen, morgens mit einem Kaffee, abends mit einem Schoppen. Unlängst hatte er zwei Wochenenden damit zugebracht, eine Pergola vor der Terrassen-Sitzecke zu errichten, die inzwischen mit allerlei Kletterpflanzen zugewachsen war. Seine Nachbarn wunderten sich, versperrte die Konstruktion doch den Ausblick in die Ebene. Bleibier schwadronierte von seiner Empfindlichkeit gegen Zugluft. Der wahre Grund für die Pergola war allerdings, dass sie die Terrasse vor den Blicken von nebenan abschirmte. Denn der Besuch, der sich immer wieder auf den Sitzpolstern einfand, hätte den Nachbarn ohne Umwege einen Platz in Klingenmünster verschafft.