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Zwölf schaurige Geschichten von zwölf Autorinnen und Autoren über zwölf reale Orte in Bayern, angelehnt an Legenden und Ereignisse von der Römerzeit bis in die Gegenwart: Von Kelten, Römern und einer geheimnisvollen Toten am Bodenlosen See. Wie eine bettelarme Bauernmagd mit dem Herrgott von Tann haderte und bittere Rache übte. Als ein junger Mann im Angesicht des Todes das wahre Gesicht des grausamen Königs Watzmann zu sehen glaubte. Warum sich zwei Schwestern im Schatten der Königlichen Villa in Regensburg zu Rivalen bis aufs Blut entwickelten.
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Seitenzahl: 331
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Lutz Kreutzer (Hrsg.)
Schaurige Orte in Bayern
Unheimliche Geschichten
Schauer und Grusel in Bayern Zwölf schaurige Geschichten von zwölf Autoren über zwölf reale Orte in Bayern, angelehnt an Legenden und Ereignisse von der Römerzeit bis heute: Von Kelten, Römern und einer Toten am Bodenlosen See. Wie eine Magd auf Burg Wartstein die erbarmungslose Vernichtung erlebte. Als ein Bäcker in Augsburg seinen Mut mit dem Leben bezahlte. Warum eine bettelarme Bauernmagd bittere Rache übte. Von den Qualen eines berühmten Wissenschaftlers und seiner bahnbrechenden Entdeckung. Wie ein Geist die Menschen von Landshut in Angst und Schrecken versetzte. Als ein junger Mann das wahre Gesicht des Königs Watzmann zu sehen glaubte. Warum sich zwei Schwestern im Schatten der Königlichen Villa in Regensburg zu Rivalen entwickelten. Wie der Räuber Heigl posthum ein großes Unrecht verhinderte. Auf welche Weise der Erdstall zu Kissing für Gerechtigkeit sorgte. Schwarze Messen und Spuk im Mausoleum von Ziegelsdorf. Vom Wunsch, die Teufelskröten vom Bamberger Dom Feuer spucken und Hölle spielen zu lassen.
Lutz Kreutzer wurde 1959 in Stolberg geboren. Er schreibt Thriller, Kriminalromane, Sachbücher und gibt Kurzgeschichten-Bände heraus. Auf den großen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig sowie auf Kongressen coacht er Autoren. Am Forschungsministerium in Wien hat der promovierte Naturwissenschaftler ein Büro für Öffentlichkeitsarbeit gegründet. Er war lange als Manager in der IT- und Hightech-Industrie in München tätig. Über seine Arbeit wurden im Hörfunk und TV zahlreiche Beiträge gesendet. Seine beruflichen Reisen und alpinen Abenteuer nimmt er zum Anlass, komplexe Sachverhalte in spannende Literatur zu verwandeln. Seine Arbeit wurde mit mehreren Stipendien gefördert. Heute lebt er in Freilassing mit Blick auf den Watzmann.
Mehr unter: www.lutzkreutzer.de
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Personen und Handlung sind frei erfunden.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Susanne Tachlinski
Herstellung: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © jan brennenstuhl / Unsplash
ISBN 978-3-8392-7854-3
Legende:
1 Keltenmord
2 Der Geheimgang
3 Der Steinerne Mann und die Hexe
4 Dem Herrgott sei’ Schlankldog
5 Die Phantome des Physikers
6 Arme Seelen
7 Der Auftrag
8 Letzte Novembernacht
9 Höhlen sollst du meiden
10 Kissing-and-men-hettis.de
11 Das Mausoleum
12 Die Hölle
Link zur interaktiven Karte:
https://schauer-bayern.lutzkreutzer.de
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
in dem vorliegenden Band »Schaurige Orte in Bayern« werden Sie die beiden größten bayerischen Städte München und Nürnberg vielleicht vermissen. Doch das hat seinen Grund: Unsere Reihe zu unheimlichen Orten hat vor einigen Jahren mit einem Buch über München begonnen. »Die gruseligsten Orte in München« ist bereits in der siebten Auflage erschienen und ebenfalls als Hörbuch erfolgreich, und auch »Düstere Orte in Nürnberg« ist als eigenes Buch der Reihe erhältlich.
Als Herausgeber habe ich mit dem Gmeiner-Verlag nun das Projekt »Schaurige Orte in Bayern« entwickelt. In dem vorliegenden Band werden daher Geschichten von unheimlichen Örtlichkeiten erzählt, die außerhalb der beiden größten bayerischen Städte liegen. Jeder Regierungsbezirk und weitere große Städte sind berücksichtigt, sodass die Geschichten von den nördlichen Gebieten in Franken über das Allgäu bis hin nach Berchtesgaden das gesamte Bayernland überspannen: ein Dutzend gruselige Erzählungen von zwölf Autoren über zwölf reale Orte in Bayern, angelehnt an Ereignisse und Legenden von der Keltenzeit bis in die Gegenwart, die Sie hoffentlich gut unterhalten werden. Bayern ist vielfältig, nicht nur landschaftlich und kulturell, sondern auch, was das Unheimliche angeht.
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen
Ihr Lutz Kreutzer
Herausgeber
Fata viam invenient – Das Schicksal findet seinen Weg
Der Auerberg liegt auf der Grenze zwischen Oberbayern und dem Allgäu und ragt weithin sichtbar aus dem Bauernland. Ursprünglich galten die bis zu drei Meter hohen und drei Kilometer langen Wallanlagen auf dem 1.055 Meter hohen Auerberg als keltisch. Alle Ausgrabungen ließen aber nur auf eine römische Besiedlung schließen, die allerdings Rätsel aufgibt. Wer lebte hier in dieser ältesten dörflichen Siedlung der Römer in Bayern? Mit welchem Ziel? Das römische Gastspiel dauerte nur von etwa 13/14 nach Christus bis 40 nach Christus, der Siedlungsplatz war für römische Verhältnisse extrem hoch gelegen und witterungsmäßig exponiert. Warum wurde architektonisch so aufwendig gebaut? Die Römer hatten sogar Bronze zum Bau von Katapulten geschmolzen, und das bei der ungewöhnlich kurzen Siedlungsdauer. Was wollten sie auf einem Berg, der auch später nur so vor Sagen strotzte? Wo man lange am alten Götterglauben festhielt, während der Westen des Allgäus längst christianisiert worden war. Kein Wunder, dass der Auerberg bis heute ein schwer fassbarer, magischer Platz ist.
Laura Bontempi zögerte. Und haderte. Sie hatte sich erst kürzlich ins Ostallgäu nach Füssen versetzen lassen – der Liebe wegen. Die Halbitalienerin stammte aus Rosenheim, ihr Papa hatte wüst gezetert, dass seine Bellissima so weit wegzog. Und Laura hatte schon öfter gezweifelt; das war schon ein merkwürdiger Menschenschlag, mit dem sie es hier zu tun hatte. Aber sie fasste sich ein Herz und wandte sich an den Kollegen Bruno Lax.
»Da hat soeben eine Frau Fiona Arwen angerufen.« Laura zögerte. »Sie befinde sich in Todesangst, ein kopfloser Reiter sei schon dreimal vorbeigeritten und würde mit einer, na ja, Lanze an ihr Fenster klopfen.«
Lax stöhnte. »Na, it scho wieder! Die Amrei!«
»Nein, Arwen.«
»Mädle, der Klarname isch Amrei Brutscher, Fiona und Arwen sind zwei keltische Vornamen. Die Alte veranstaltet Wanderungen auf Spuren der Kelten am Auerberg. Die isch …« Er tippte sich ans Hirn. »Beim letzten Mal hat sie gemeldet, dass Makárese Schimmel ihr Läuse ins Haus gehext hätte.«
»Wer?«
»Ach, auch eine alte Sage, von so einem Grauhaarigen, der Ungeziefer kommen und verschwinden lassen konnte. Der Berg wimmelt bloß so von Sagen. Und die Amrei verwechselt die Realität mit ihren wirren Gedankenwelten. Und wenn sie Läus hot, soll sie ihr Schampu wechseln, hob i ihr g’sagt. Aber komm, mir fahren hi.«
Laura musste in sich hineingrinsen. Ihr neuer Kollege war ein Zweisprachler, der ohne Vorwarnung von Hochdeutsch auf Allgäuerisch umschwenken konnte und netterweise mit ihr nur teilweise in diesem unverständlichen Kauderwelsch sprach. Und Laura war nun doch gespannt, sie fuhren nordwärts und in Stötten einen Berg hinauf, der urplötzlich ziemlich steil wurde. Lax enterte einen Feldweg, der an einem kleinen, Efeu umrankten Haus in Alleinlage endete. Im Märchen würde man »verwunschen« dazu sagen.
»Unser Pech isch, dass sie grad no zu eis g’hert. A paar Kilometer weiter wären die Oberbayern zuständig«, bedauerte Lax.
Warum Lax so wenig Lust auf die Dame hatte, wurde Laura schnell klar. Im Garten stand ein großes keltisches Kreuz. Aus dem Haus tönte merkwürdige Musik, und ein starker Geruch, der an Weihrauch erinnerte, entwich dem Gebäude. Sie gingen durch die offen stehende Haustür durch einen Gang weiter in eine Küche. Eine Frau werkelte an einem Holztisch. Sie trug ein breites Stirnband, in das eine Art – wie Laura gesagt hätte – Küchentuch gestopft war, das aber wohl einen Schleier darstellen sollte. Das Stirnband war bestickt mit keltischen Knoten. Sie hatte ein langes Gewand mit tiefem Ausschnitt an, und um den Hals lag eine Kette, die auf ihrem knochigen und faltigen Dekolleté in einer Triskele endete. Sie hackte auf einem Küchenbrett Kräuter, Laura erkannte zumindest Brennnessel, Bärlauch und Knoblauch, es lag auch ein markanter Knoblauchgeruch in der Luft, der sich ungut mit dem weihrauchartigen mischte.
»Hilft au gegen Vampire«, sagte Lax.
»Ich bin die Druidin, das weißt du doch.«
»Amrei …«
»Fiona«, unterbrach sie ihn.
»Amrei, es geit bei eis kuine kopflosen Reiter. Entweder du hosch z’viel von am vergorenen Trank derwuschen oder do verarscht di wer.«
»Es war ein kopfloser Reiter, und das Pferd, es war verflucht. Das Ross, es hatte Pocken. Es war schwarz befleckt, und der Reiter will mich holen. Sie wollen mich vertreiben von diesem Ort.«
»Versteh i, du schiache Hex«, murmelte Lax leise.
»Bitte?«
»Mir kümmern eis, pfiat di, Amrei«, sagte Lax nur, und Laura folgte verdutzt.
Sie stiegen ins Auto, rumpelten zur Teerstraße zurück, fuhren bergwärts und bogen wenig später zu einem großen Bauernhof ab. Lax hupte, und sofort trat ein Mann in einer Arbeitshose aus dem Stall.
Statt einer Begrüßung rief Lax: »Schorsch, des warsch du!«
»Was?«
»Du bisch mit deim Gaul ohne Kopf bei der Amrei vorbeigeritten. Lass den Scheiß!«
»Quatsch!«
»Du hosch an Noriker, der hot schwarze Punkte. Du hosch a Georgs-Kostüm, jetzt lass den Scheiß.«
Weil Laura sie beide allzu ungläubig anstarrte, verlegte Lax sich aufs Hochdeutsche.
»Laura, schau. Es gibt hier im April, am Georgstag, einen Georgiritt. Zur Kapelle auf dem Auerberg, die dem heiligen Georg geweiht ist. Einst soll es hier sehr liederlich zugegangen sein, so sehr, dass Gott ein gewaltiges Feuer schickte. Aber aus der Asche erhoben sich Gewürm und Gesindel, und die wenigen Gerechten flehten zu Gott. Der sandte auf einem glänzenden Schimmel einen Ritter, der Drachen tötete und Lindwürmer gleich dazu und lichtscheues Gesindel in die Flucht schlug. Zum Dank wollten die Bewohner eine Kirche errichten, aber die Pferde, die die Baumaterialien transportieren sollten, waren schon in Bernbeuren lahm. Wieder trat der Ritter auf den Plan, und die Pferde, die schon unten gewaltig ins Schwitzen gekommen waren, wurden oben, wo der Weg am steilsten war, wieder trocken und munter. Außerdem arbeitete der Ritter nachts, während die Leute schliefen, bald schon stand die Kirche, und der wackere Bauhelfer war verschwunden, und die Leute raunten, dass das der heilige Georg höchstselbst gewesen sein muss. Drum der Ritt am Sankt-Georgs-Tag.« Diese lange Rede hatte ihn angestrengt. »Und der Schorsch do, der reitet als Georg.« Und an den Bauern gewandt: »Lass den Scheiß!«
»I war des it. Obwohl sie a Loch in mein Mischthaufen graben hot. Sie hatte a Eingebung. Genau dort, wo mein Mischthaufen steht, führt a Gang in die Anderswelt. Dia hot doch gar keine Tassen mehr im Schrank.«
»Schorsch, das fällt unter den Begriff der Bedrohung, das kann eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren nach sich ziehen. Isch ja it des erschte Mol.« Lax baute sich vor ihm auf.
»I war des it«, beteuerte der Schorsch.
»Ich belass es bei einer Verwarnung«, sagte Lax gewichtig. Er nickte Laura zu, und sie fuhren vom Hof.
»Könnte es sein, dass er es wirklich nicht war?«, fragte Laura nach einer Weile und klammerte sich fest, so wie der Kollege über diese kurvigen Bergstraßen heizte. Grad als wäre der kopflose Reiter hinter ihm her.
»Laura, Amrei Brutscher nervt den Schorsch und ein halbes Dutzend weiterer Bauern, weil sie mit ihren Keltenjüngern Wiesen platt trampelt. Aber sie kapiert das nicht, dass das Heu werden soll. Natürlich wäre man froh hier, wenn die weg wäre. Sie wollte auch schon mal wegziehen und ist dann doch geblieben. Wegen ihrer Mission. Andere hätten sie gerne los, all die, die im Team Römer sind.«
»Was? Sorry, Lax, too much information, ich kann dir nicht folgen.«
»Laura, das ist auch extrem kompliziert. Es gibt hier eine Gruppierung, das sind die Keltenanhänger, die glauben, dass 15 Jahre vor Christi Geburt die Römer über den Auerberg hergefallen sind und die Stadt Damasia dem Erdboden gleichgemacht haben. Da seien weit mehr als 20.000 Menschen getötet worden, auch Frauen, Kinder und Alte, die angeblich innerhalb der Auerbergwälle Schutz gesucht hätten.«
»Aber gibt’s dafür Beweise?«, fragte Laura staunend.
»Nein, eben nicht, aber die Verschwörungstheoretiker haben grad wieder Hochkonjunktur. Hauptmann a. D. Hugo Arnold wollte schon 1880 das lange gesuchte Damasia entdeckt haben, das vom römischen Geschichtsschreiber Strabo als Hauptort und Fliehburg eines keltischen Stammes beschrieben worden war. Er fand aber nichts. 1901 begann dann der bedeutende Heimatforscher Christian Frank mit Grabungen. Er stieß auch nur auf Römisches. Dann haben wir noch Heinz Engl, der als Lehrer an die Grund- und Teilhauptschule nach Bernbeuren kam, als Zuagroaster aus München und ein vom Auerberg Infizierter. Auch er fand nur Römerkram. Und große, intensive Ausgrabungskampagnen von Professor Günter Ulbert 1966 bis 1979 und nochmals 2001 erbrachten wieder nur – rate! – römische Fundstücke. Wobei sich eben die Ansicht hartnäckig hält, dass der Berg ein keltisches Heiligtum gewesen sein muss.«
»Ist es nicht so, dass frühe Kirchen oft auf kultischen Kraftorten gebaut worden sind, nicht zuletzt, um das Heidnische auszumerzen?«, fragte Laura.
»Ja, das leugnet auch keiner, aber sehr wohl, dass da bis zu 20.000 Menschen gelebt haben! Aber Keltenromantiker, schrullige Künstler, New-Age-Jünger und die Amrei wollen Kelten! Alle ernst zu nehmenden Leute aus der Wissenschaft haben nur eine römische Bebauung nachgewiesen. Aber grad gibt es wieder so einen Hobby-Forscher, der seine angebliche Schlacht um Damasia in Buchform und auf Plakaten verbreitet, der sogar bayernweit Zeitungsanzeigen geschaltet hat. Und Amrei gehört zu seinem Fankreis.«
»Und die eskalieren so? Wegen einer Art Atlantis?«, fragte Laura, deren Staunen wuchs.
»Das fragst du nicht wirklich? Denk an das Virus, wie das die Schwurbler auf die Gegenseite prallen ließ!«
»Aber da ging es immerhin um was.«
»Hier auch, es geht um nichts Geringeres als Damasia«, grinste Lax.
Es zogen ein paar Tage ins Land, mit Verkehrskontrollen oder besoffen randalierenden Junggesellen-Verabschiedern in der Froschenseestraße, als wieder ein Anruf vom Auerberg einging. Eine Rauchsäule steige auf, die Ortsbeschreibung klang sehr nach Amrei. Als sie dort ankamen, brannte vor dem Haus etwas, das Amrei Brutscher mit Wassereimern zu löschen versuchte. Lax griff sich beherzt einen zweiten Eimer, wenig später wurde der Rauch mehr – das Feuer gottlob weniger. Laura sah hin und wieder weg. Sie konnte nur mühsam ihren Würgereflex unterdrücken. In einem halb abgebrannten Weidengeflecht lag ein angekokelter Kadaver, den sie gerade noch als Katze identifizieren konnte. Amrei Brutscher weinte bitterlich. »Mein Ragnar, mein Katerle.«
Lax war nun definitiv auch überfordert und schob Amrei zu ihrer Hausbank. »Laura, hol ihr ein Glas Wasser.«
Laura war froh zu entfliehen, sie zapfte in der Küche, die heute eher süßlich roch, Wasser, als etwas um ihre Beine strich. Noch ein Kater? Sie ging hinaus, der Kater folgte, blinzelte in die Sonne, gähnte und sagte: »Aua.«
»Ragnar! Mei Bubele, du lebsch!«
Dann war der gegrillte Kadaver zumindest nicht der skandinavische Krieger Ragnar.
»Hosch du no a Katz, Amrei?«
»Nein, nein. Aber welche arme Seele wurde hier verbrannt? Ein barbarischer Akt! Das waren die Römer!«
Lax stöhnte nur, holte mit zwei langen Stangen den Kadaver aus dem angekokelten Weidengeflecht heraus und legte ihn in eine Kiste im Wagen. »Laura, komm!«
Wieder landeten sie bei Schorsch. Lax stürmte ins Haus und kam mit Schorsch im Schlepptau zurück.
»Da! Des geht zu weit!«
Schorsch brauchte eine Weile, um zu schalten. »Lax, i fackel doch kui Viech ab! Trausch du mir so was zua?«
Lax’ Blick besagte, dass er das eigentlich nicht tat.
»Aber wer macht so was?«, fragte Laura.
»Fahrts amol zur Beate. Dia isch mit der Amrei seit Jahr und Tag im Clinch.«
»Beate Ludwig?«
»Ja, dia macht Vorträge zu de Römer, kocht römisch, hot a römisches Kochbuch verlegt. Mei Anna hot des nachkocht. Zu viel Dill und Koriander und dann au no Sumen.«
»Was ist das?«
»Schweineeuter, i hob dann dia lukanischen Würschtle probiert. Dia hot man äßa kenna.«
»Echt, Schorsch«, sagte Lax nur, schien den Tipp aber zu beherzigen und bretterte auf der Gegenseite den Berg hinunter, wo ihnen Motorradfahrer und E-Biker entgegenkamen. Mitten in Bernbeuren wohnte dann diese Beate, die Bruno zu kennen schien. Er zerrte sie auch zum Kokeltier im Kofferraum.
»Warst du das? Hast das bei der Amrei abgebrannt?«
Beate sah erst Bruno, dann das Objekt an, nahm ein Stöckchen und drehte es um.
»Bruno, du traust mir Sachen zu! Diese Katze war schon vorher tot.«
»Wie kommst du drauf?«
»Weil die ausgestopft ist. Da!« Sie zog Draht aus dem Tier. »Da war ein Präparator am Werk.«
»Wer lässt denn seine Katze präparieren?«, fragte Laura fassungslos.
»Da gibt’s einige, die ihr geliebtes Haustier für die Ewigkeit erhalten wollen. Braucht dann auch kein Futter mehr, das Viecherl. Kommts mal rein!«
Beate Ludwig schien eine pragmatische Frau zu sein. Sie bekamen einen wunderbaren Cappuccino angeboten und Mohnkugeln, die laut Aussage der Bäckerin auch römisch waren.
»Du hast also nix damit zu tun?«, hob Lax wieder an. »Jemand will die Amrei ja wohl erschrecken und greift zu fiesen Mitteln. Der Schorsch sagt, er war das nicht. Du warst es angeblich auch nicht. Wer dann? Und komm mir jetzt nicht mit den Römern.«
Beate lächelte. »Fragt mal bei der Freifrau nach.«
»Bei wem?«
»Juliane Freifrau von Wartenfels. Ihre Firma will einen Solarpark bauen. Fast alle Bauern sind dafür, aber mittendrin liegen knapp 5.000 Quadratmeter, die Amrei gehören. Und die will dort keine Solarmodule, weil da auch ein Eingang in die unterirdischen Gänge ist, wo das alte Volk heute noch lebt.« Sie wiegte den Kopf hin und her. »Und noch eins, Bruno. Das Abbrennen ist natürlich eine Anspielung. Laut dem antiken römischen Denker Strabo trieben die Kelten Menschen und Tiere zusammen, steckten sie in Weidekorbfiguren und verbrannten sie dann lebendig als Opfer für ihre Götter. Es gibt Hinweise auf solche Opfer, es kann aber auch sein, dass es üble römische Propaganda war, um die Kelten und Heiden als besonders barbarisch darzustellen. Wer immer das war: Die wollen Amrei richtig Angst machen, die versteht diese Anspielung sicher.«
»Dann gibt es auch unter den Bauern genug, die Amrei vertreiben wollen?«, fragte Laura.
»Klar, denen geht Kohle flöten, wenn der Park nicht gebaut wird. Es geht auch um Grund für Zufahrtswege. Der Rauch Michl zum Beispiel hat schon ein Konzept zur Beweidung unter den Solarpanelen vorgelegt. Mit seinen Brillenschafen. Bei dem würden sogar die Schof Geld verdienen.« Sie lachte.
Und Lax sagte das, was Laura dachte. »Dann wird es aber uferlos mit Feinden?«
»Bruno, da sprichst du ein großes Wort gelassen aus.«
»Und es gibt niemanden, der auf Amreis Seite ist? Ich meine, diesen Solarpark betreffend?«, fragte Laura.
»Doch, schon. In Stötten drüben gibt es eine Gruppierung, die dagegen ist. Denen geht es aber um die Verschandelung der Landschaft. Bei Amrei geht es ums alte Volk, das sonst grollt. Sie glaubt das wirklich, sie glaubt, dass – sollte der Park gebaut werden – dunkle Mächte aus dem Berge kommen.«
»Puh!«, stieß Laura aus.
»Sie sagen es, junge Frau. Der liebe Himmelpapa hat einen großen Tiergarten.«
»Wo soll der Park denn hin?«
»Auf ein paar wertlose Wiesen beim Weiler Pracht, keine naturschutzrelevanten Flächen.«
Amrei kam einen Tag später aufs Revier und erstattete Anzeige gegen unbekannt, klar war aber auch, dass so was im Sande verlaufen würde. Einige Tage später fuhren Laura und Lax gerade Streife, als die Meldung hereinkam. Zwei Jakobswanderinnen hatte einen Toten gefunden. Oder auch nicht. Man könne sich keinen rechten Reim drauf machen. Der Fundort liege an einem See. Die Frauen hatten die Koordinaten hinterlegt, die Laura jetzt in ihr Handy eingab. Sie fuhren am Forggensee vorbei, auf dem Segelboote ein buntes Bild abgaben und das Linienschiff eine Spur zog. Sie ließen Rosshaupten links liegen und erreichten Steinbach. Für Laura waren das immer noch »Lerne-deine-neue-Heimat kennen-Touren«. Und für Lax wurde es alarmierend. Sie landeten wieder am Fuße des Auerbergs.
»Lecko mio«, sagte Lax. »Diesmal soll wer tot sein?«
Wer? Womöglich Amrei? Laura wagte das nicht auszusprechen.
Lax bog in Steinbach ab und folgte einem Schild Richtung Seehof. An einem Wald hielt er an. »Komm!«
»Wohin? Da ist ja nix.«
»Doch.« Er stapfte durch den Wald, eine Rückegasse hinunter, und inmitten sumpfiger Wiesen lag in der Tat ein See, den Laura eher als Weiher bezeichnet hätte. Obwohl es trocken war, hatte der Boden das Wasser gehalten, Lauras Schuhe erwiesen sich sofort als nicht wasserdicht. Zwei Frauen in kurzen Wanderhosen winkten hektisch. Sie kamen näher ans Ufer des Sees. Links befand sich ein Steg, rechts ein altes Bootshaus.
»Sie haben eine Tote gefunden?«, fragte Lax.
Die eine war so verstört, dass sie nur nicken konnte, die Zweite sagte tonlos: »Wir wissen es nicht. Wir glauben es. Das Boot.« Sie zeigte auf ein grünes Boot, das kieloben lag. Darunter stakten ein Arm und ein Bein heraus. Deshalb waren sich die Frauen nicht sicher gewesen! Vielleicht chillte da einer nur?
Lax nickte Laura zu. »Eins, zwei, drei«, sagte er leise. Sie kippten das Boot um, es war eine Sie. Seltsam verdreht und in ihrem Blut. Daneben ein Schwert. Laura fühlte für einen Moment nichts, dann rannte sie zur Seite hinter die Hütte und übergab sich. Es kostete sie eine gewaltige Überwindung zurückzugehen. Wo ihr Kollege stand und leise in sein Telefon sprach und Verstärkung durch die Kriminalpolizei anforderte.
»Ist das, ist das …?«, flüsterte Laura.
»Zumindest mal nicht Amrei Brutscher oder Fiona Arwen, aber wir sind am Bodenlosen See. Am Bodenlosen See, verdammt!«
»Lax?«
»Im Bodenlosen See hütet ein Ungeheuer in schauriger Tiefe einen riesigen Schatz. Zwei Jäger aus Sulzschneid wollten ihn einst heben, ruderten mit einem Kahn in die Mitte des Sees und ließen eine schwere Bleikugel als Lot in die Tiefe. Je tiefer die Kugel sank, desto schneller sauste die Winde, um die das Seil gewickelt war. Die Kugel erreichte jedoch nicht den Seegrund, und das Seil war aus. Mit einem gewaltigen Schlag kippte der Kahn um und verschwand mit einem unheimlichen Gurgeln im See. Die beiden Burschen waren ins Wasser gefallen und erreichten nur mit größter Not das rettende Ufer. So hat der See seinen Namen bekommen. Immer wieder versuchen Menschen, den Schatz zu finden. Es ist ein merkwürdiger Platz, geht ja nicht mal ein Weg hin«, sagte Lax düster.
»Diese Frau wollte auch einen Schatz heben?«
»Das werden wir kaum mehr erfahren. Lass uns mal absperren. Für solche Fälle gibt es die Kriminaler. Das wird mir auch zu blutig hier.«
Die Kollegen brauchten ein bisschen, in Lauras Kopf schlugen die Gedanken Purzelbaum, und sie war froh, dass ihr nur die Aufgabe zufiel, Gaffer wegzuhalten, denn auch in der Einöde war es aufgefallen, dass da was los war. Vom Hof weiter oben waren Kinder herbeigeeilt und ein paar Radfahrer.
Lax kam angestapft und sah fahl aus. »Die Tote ist Juliane Freifrau zu Wartenfels.«
»Diese Solarparkfrau?«, flüsterte Laura.
»Ja, sie hatte ihr Portemonnaie dabei. Kein Handy. Und wurde martialisch mit einem Schwert getötet.«
»Wer hat denn so ein Schwert? Es sah komisch aus«, sagte Laura.
»Was weiß ich. Die Kelten wahrscheinlich. Oder diese Männle und Weible, die da im Berg wohnen. Das werden die Kriminaler schon rausfinden. Ich gebe denen nachher mal Einblick in unsere Causa Amrei, und dann sind wir raus. Was für ein Sch…rott!«
»Du glaubst aber nicht, Amrei könnte so was tun? Die Widersacherin so töten?«
»Laura, dieser ganze Berg gehört gesprengt. Der zieht nur Irre an. Lass uns flüchten ins beschauliche Füssen, wo Asiaten ihren Bus nicht mehr finden. Oder Eishockeyfans kotzen. Oder sonst was Harmloses passiert.«
Zwei Tage später tauchte einer der Kriminaler bei ihnen auf. Er wollte Einsicht in weitere Akten nehmen und war so nett, sie einzuweihen.
»Eure Fiona-Amrei kann es eher nicht gewesen sein, sie war an dem Tag als Referentin bei einem Keltenvortrag in der Auerberghalle. Zuhauf Zeugen. Passt zeitlich nicht ganz. Könnte, kommt uns aber extrem unwahrscheinlich vor. Aber diese Kelten haben es in sich. Der Mord ist eine Anspielung, ohne Frage. Ein keltisches Menschenopfer. Die Kelten stießen dem Opfer ein Schwert in die Brust und erkannten aus der Art und Weise, wie es niederfiel, sowie aus den Zuckungen der Glieder und dem Ausströmen des Blutes das Zukünftige.«
»Ach du Sch…ande«, sagte Lax.
»Drum dachten wir ja primär an diese Amrei Brutscher, aber ihr glaubt gar nicht, wie viel mehr Kelten-Irre es gibt.«
Das glaubte Laura längst. »Und das Schwert? Kann man da nichts ableiten?«
»Ein Experte in der Archäologischen Staatssammlung ist ratlos. Er kann es nicht anders beschreiben als ein Schwert, das aus keltischer Produktion stammt. Es ist ein Knollenknaufschwert oder auch keltisches Rapier, ein eigentümlicher Schwerttyp, von dem rund 50 Exemplare europaweit fast ausschließlich in Flüssen oder Seen gefunden wurden.«
»Wer hat so etwas? Fehlt in einem Museum ein derartiges Schwert?«, fragte Laura.
»Gute Idee, Kollegin. Daran arbeiten wir gerade, sind mit Frankreich und der Schweiz in Verbindung. Aber wie es aussieht, ist das ein Schwert, das nirgendwo vorher aufgetaucht ist. Sehr merkwürdig. Wirklich sehr merkwürdig! Wir halten euch auf dem Laufenden.« Er schickte noch hinterher: »So eine Frau wie diese Unternehmerin hat natürlich Feinde.«
Aber doch keine keltischen, dachte Laura und schluckte das runter.
*
Eine gute Woche später, an einem freien Tag, beschloss Laura, eine Wanderung zu machen. Warum sie den Auerberg aussuchte, wusste sie nicht. Etwas zog sie dorthin. Sie parkte in Stötten und wählte den Römerweg hinauf zum Gipfel. Da war dann auch diese Georgskirche, wo Laura durch den engen Turm hochstieg, der oben sogar eine Aussichtsplattform hatte – mit großartiger Weitsicht. Auf dem Gipfel gab es zudem Rundwege und Erklärungstafeln, ein großnasiger Römer namens Crispus erklärte ihr die Welt von vor 2.000 Jahren in Sprechblasen. Faber est suae quisquis fortunae – Jeder ist seines Glückes Schmied, meinte Crispus. Laura stimmte ihm innerlich zu, so ein schöner Tag, gut, dass sie gegen den Schweinehund gewonnen hatte, der Balkonien bevorzugt hätte! Laura nahm eine andere Route talwärts, kam nach Salchenried, verfranste sich irgendwie und beschloss, einfach Luftlinie talwärts zu gehen. Sie rastete auf einer Bank und war überrascht, dass sie da unten Bekanntes entdeckte. Da lag dieser Bodenlose See. Laura wollte den Sonnenuntergang erleben, die Schatten waren schon lang geworden, sie trank ihr Iso-Getränk und biss vom letzten Landjäger ab. Das Licht wurde weicher, und plötzlich waren da kleine Lichtlein über dem See, die zuckten und tanzten. Und da war ein sirrender Klang. Laura wusste nicht, was Schalmeien genau waren, aber sie hätte spontan gesagt, das seien Schalmeienklänge. Sie sah sich um, da war nichts und niemand. Sie sprang auf, drehte sich um und blickte wieder zum See hinunter. Am Waldrand ritt jemand vorbei. Und winkte ihr zu. Die Person war kopflos. Laura raffte ihre Sachen zusammen und sprengte talwärts. Fand ihr Auto wieder. Fuhr davon in die Sommernacht, die nun dunkel geworden war. »Laura Bontempi«, sagte sie laut zu sich selber, »das waren Glühwürmchen, nur Glühwürmchen, und der Reiter hat den Kragen hochgeschlagen. Laura, das nächste Mal nimmst du dir einen anderen Berg vor.« Sie drehte das Radio auf, es erklang gerade Enyas mystische Stimme – und Laura rieselte es eiskalt über den Rücken.
Nahe dem beschaulichen Ort Eichelburg in Mittelfranken liegen die Überreste der Burg Wartstein. Diese wurde im Dreißigjährigen Krieg, der ganz Deutschland von 1618 bis 1648 heimsuchte, zerstört. An so manchem lauschigen Sommertag, umgeben vom satten Grün der umliegenden Wälder, mag die Ruine wie ein friedvoller Ort erscheinen. Wenn aber der unbarmherzige Herbstwind über die Anhöhe peitscht oder der Winter Einzug hält und die verbliebenen Grundmauern zeitlos eingefroren wirken, dann kann man sich die Schrecken vorstellen, die vor vielen Jahrhunderten dazu geführt haben, dass wir heute nur noch kalte Felsreste finden, wo einst die stolze Burg gethront hat.
Teil 1 – Mai 1631
Margit streicht über das weiche Gewand ihrer Herrin Hilde. Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich vorstellt, die feinen Sachen des Burgfräuleins zu tragen. Während ihre Finger über den samtenen Stoff gleiten, ertappt sie sich bei dem Gedanken, wie sie Albrecht wohl in diesem Kleid gefallen würde.
»Margit, bring mir meine Kleider, bevor ich mich im Wasser auflöse und meine Haut Runzeln bekommt.«
Die Stimme ihrer Herrin reißt sie aus ihrer Traumwelt. »Ich komme, Fräulein Hilde«, ruft sie rasch. Sie weiß, dass sie froh sein kann, bei so einem gnädigen Fräulein eine Anstellung gefunden zu haben. Ihre Schwester Martha hatte nicht so viel Glück und muss bei einem Landwirt im benachbarten Brunnau schaffen. Der Landwirt verdrischt gerne seine Bediensteten, und Martha ist nicht die Einzige, die unter seiner harten Hand zu leiden hat. Die ältere Schwester tut Margit leid, aber ihre Eltern sind arm, und so will Martha sie nicht mit zusätzlichen Sorgen belasten.
»Hier ist Euer Gewand, mein Fräulein. Soll ich Euch aus dem Trog helfen?«
»Ach, Margit, wenn das mit dir was werden soll, dann frag doch nicht wegen jedes einzelnen Handgriffs nach. Ich habe wirklich keine Zeit, dir alles doppelt und dreifach zu erklären.«
»Entschuldigt, Herrin.« Margit senkt den Kopf, um ihre Reue zu unterstreichen.
»Na los, ein bisschen schneller. Meine Haare müssen noch geflochten werden, schließlich soll alles gut sitzen. Bald werde ich den Mann kennenlernen, den ich heiraten soll, und da will ich einen guten Eindruck machen.« Die Wangen ihrer Herrin sind leicht gerötet, was Margit nicht ausschließlich auf das heiße Wasser zurückführt. Hilde ist mit ihren 17 Jahren nur drei Jahre älter als sie, aber sie ist adelig und ihr Vater ist mit ihrem Bruder zurzeit in Magdeburg, um ihren Verlobten Ekkehard von Hohenfelde endlich zu einem Treffen auf die Burg Wartstein zu bringen.
»Es kann jeden Tag so weit sein«, seufzt Hilde gedankenverloren. »Egon hat mir zugesichert, dass Ekkehard ein feiner Mann ist. Mein Bruder würde mich nie anlügen.« Das Gesicht ihrer Herrin erstrahlt für einen kurzen Moment. Margit wird selbst warm ums Herz, wenn sie sich die baldige Hochzeit vorstellt. Natürlich wird das Burgfräulein dann mit ihrem neuen Mann in den Norden ziehen. Margit hofft inständig, dass sie Hilde begleiten darf. Der Wunsch spornt sie an, die feinen langen Haare ihrer Herrin besonders gründlich auszukämmen und zu flechten. Was wäre für sie in Eckersmühlen, wo ihre verarmten Eltern wohnen, schon zu holen? Die Herrin würde Albrecht bestimmt mitnehmen. Er ist der beste Stallknecht, den man sich vorstellen kann, denn er versteht Pferde wie kein anderer. Margit versinkt in ihre eigene Gedankenwelt, während sie ihrer Herrin beim Ankleiden hilft. »Soll ich in der Küche Bescheid geben, dass man Euch Euer Abendmahl bereitet?«, fragt sie, nachdem die letzte Schnur verzurrt ist.
»Ja, und hilf unserer guten Köchin. Wenn du damit fertig bist, nimm dir selbst auch einen kräftigen Bissen. Du bist ganz dürr und musst doch bei Kräften bleiben, um mir zur Seite zu stehen, wenn ich Ekkehard endlich kennenlerne.«
»Danke, Herrin.« Margit knickst höflich. Sie muss sich zurückhalten, um nicht die Stufen hinunterstürzen. Ihre Pause ist kurz, aber vielleicht hat sie Glück und kann für ein paar Minuten ungestört mit Albrecht sein.
Die Köchin, Emilia, besteht darauf, dem Fräulein Hilde die Mahlzeit immer höchstpersönlich zu servieren. Es duftet nach einer feinen Zwiebelsuppe. Trotz allem Elend und der Armut, die der verdammte Krieg mit sich bringt, hat Emilia heute ein wahres Wunderwerk gezaubert.
»Jemand aus Eichelburg hat eine Wachtel für das Fräulein Hilde gebracht. Für alle anderen habe ich eine große Portion Bratkartoffeln mit etwas Speck zubereitet. Geh also geschwind zur Pfanne und teile für alle aus.«
Margit sieht ihre Möglichkeit, allein mit Albrecht zu sprechen, dahinschmelzen. Aber Hunger hat sie trotzdem. So schickt sie sich an, den Anweisungen der Köchin zu folgen.
Der Burgstall in Wartstein hat nur wenige Bewohner. Das liegt auch daran, dass der Krieg seit Jahren tobt. Hildes Vater und Bruder werden auf der Seite der Protestanten immer wieder zu Gefechten gegen die Katholiken gerufen. Margit versteht nicht viel von dem Konflikt, aber sie ist oft erschrocken, wenn der Burgherr oder Egon, sein Sohn, nach langer Abwesenheit wieder einmal heimkehren. Ihre Gesichter sind stets ausgezehrt, die Mienen grimmig und verschlossen. Einmal hat Egon sogar eine schwere Verletzung am Arm davongetragen. Margit kennt kein Leben ohne Krieg. Für ihr Empfinden ist es jedoch die letzten Monde schlimmer geworden und sie hat Angst davor, dass die Soldaten auch ihren noch recht friedlichen Winkel des Landes erreichen.
Nach und nach betreten die Bewohner der Burg Wartstein die Halle. Es sind die vier Wachmänner, die immer anwesend sind, um das Fräulein Hilde zu beschützen, der alte Kastellan Hubert, dem ein Augenlicht fehlt, Anton, der leicht schwachsinnig ist, sich aber gewissenhaft um Feuerholz und Reparaturen kümmert, die alte Silvia und ihre Tochter Konstanze, die für die Wäsche und die Kammern der Bediensteten zuständig sind, und Albrecht. Margits Herz hüpft, als er die Halle betritt. Er setzt sich an seinen gewohnten Platz. Von dort wirft er ihr immer wieder Blicke zu, die dafür sorgen, dass sie fast keinen Bissen hinunterbekommt. Albrecht ist etwas älter als sie – 18 Jahre – schon ein richtiger Mann. Er ist hochgewachsen und stark, hat dunkles, halblanges Haar und Augen, in denen Margit am liebsten versinken würde. Er hebt seinen Becher in die Höhe. Statt mit Wein ist er jedoch mit Gerstensaft gefüllt, der hier in der Gegend gebraut wird. Auch die anderen besetzen ihre Plätze und die Laune ist ausgesprochen gut, was an dem wunderbaren Duft liegt, den die Bratkartoffeln verbreiten. Ganz am Ende der Tafel, wo die Ehrengäste und die Hausherren sitzen, speist das Burgfräulein. Sie zieht es vor, unten bei den Bediensteten ihr Abendmahl einzunehmen.
Als die Mahlzeit beendet ist, bringt Margit Teller für Teller in die Küche. Als sie zurückeilt, um den Rest abzutragen, hört sie ein leises Zungenschnalzen aus einer der Mauernischen. Im nächsten Moment schnellt Albrechts Hand hervor und greift nach ihr. Willig lässt sie sich in seine Arme sinken. Sie spürt Schmetterlinge in ihrem Bauch, während er sie innig küsst und seine Hände über ihren Körper gleiten lässt. Viel zu schnell ruft die Pflicht sie aus der prickelnden Umarmung. Mit einem Seufzer trennt sie sich von Albrechts Küssen.
»Ach, Margit, hätte ich dich doch nur einmal ganz für mich.«
Die Aufregung treibt ihr die Röte ins Gesicht. Sie weiß, was Albrecht meint, und sie hofft, dass er anständig genug ist, ihr vorher einen Heiratsantrag zu machen. »Jetzt muss ich erst einmal abtragen. Und dann wartet die Herrin. Ihr Verlobter wird bald kommen, heißt es, vielleicht werde ich dann nicht mehr ganz so oft gebraucht.«
»Von mir wirst du immer gebraucht«, verabschiedet sich Albrecht mit einer höflichen Verneigung von ihr. »Ich begehre dich wie nichts anderes auf dieser Welt. Eines Tages werde ich genug Geld gespart haben, um dich um deine Hand zu bitten.«
Die Worte lassen Margit für den Rest des Abends schweben. Noch auf ihrem Strohbett, in der Kemenate ihrer Herrin, denkt sie an das Gesprochene zurück und schläft mit einem wohligen Gefühl ein.
Der nächste Morgen bricht mit einer bösen Überraschung an. Das Fräulein Hilde persönlich rüttelt sie aus dem Schlaf. Wo sie in ihren Träumen eben noch in Albrechts Armen am Schöttleinsweiher gesessen hat, hört sie das aufgebrachte Bellen der beiden Hofhunde. Ob es Hildes Verlobter ist, der endlich zu Besuch gekommen ist? Doch die Miene ihrer Herrin wirkt besorgt.
»Nun reibe dir endlich den Schlaf aus den Augen und komm«, ruft sie ihr zu.
»Was ist denn passiert?«, fragt Margit und schlüpft sogleich in ihr Kleid.
»Ein Bote aus Hilpoltstein ist angekommen. Er verlangt, sofort mit mir zu sprechen.«
Margit stockt der Atem. Schon oft haben Durchziehende aus Hilpoltstein auf Burg Wartstein eine Rast eingelegt, um die Pferde zu erfrischen und die Mägen zu füllen, und sind dann nach Nürnberg weitergeritten. Aber daran, dass jemand in aller Frühe ein dringliches Gespräch mit dem Burgfräulein Hilde gesucht hat, kann sie sich nicht erinnern.
Ob es wohl Neuigkeiten von Hildes Verlobtem gibt? Wird ihre Herrin bald nach Magdeburg aufbrechen müssen, oder sind es andere, düstere Nachrichten, die der Besuch bringt? Margit weiß, dass Magdeburg von den Kaiserlichen belagert wird, aber bis jetzt hat die Stadt standgehalten. Alles deutet darauf hin, dass der schwedische König Gustav Adolf den umzingelten Protestanten bald zu Hilfe eilen wird. Wenn Hilde nun zu ihrem Verlobten gerufen wird, muss dann auch ihr geliebter Albrecht mit? Und was wird in dem Fall aus ihr werden? Den Gedanken, getrennt von Albrecht zu sein, hält sie kaum aus. Bis jetzt hat sie sich noch nicht getraut, ihre Herrin zu fragen, ob sie sie begleiten dürfe. Sie muss einfach wissen, warum der Reiter hier ist. »Wie kann ich Euch helfen, Herrin?«, fragt sie.
»Richtet mir das grüne Kleid, das so gut zu meinen Augen passt. Und kämmt mir die Haare. Danach geleitet unseren Besuch in den Empfangsraum, wo ich ungestört mit ihm reden kann.«
Margit bewundert die tapfere Hilde. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter muss sie sowohl ihren Vater wie auch ihren Bruder in den Angelegenheiten, die die Burg betreffen, vertreten. Rasch befolgt sie die Anweisungen des Fräuleins, zupft sich selbst die Haare zurecht, bevor sie dem Kastellan mitteilt, dass Hilde den Reiter aus Hilpoltstein im Empfangszimmer erwartet. Im Vorbeigehen erhascht sie einen Blick auf den Mann, der so dringend mit dem Burgfräulein sprechen will. Es ist ein finsterer Geselle mit verschwitzten dunklen Haaren und starrer Miene. Kein Lächeln kann sie in seinem Blick erkennen, als dieser sie flüchtig streift. Was will dieser düstere Mann hier auf dem Wartstein?
Margit kann das flaue Gefühl in ihrem Magen nicht ignorieren. Sie ist sich sicher, dass etwas Schreckliches geschehen ist, deshalb beschließt sie, etwas zu tun, was sie alles kosten kann. Von der Küche aus führt ein kleiner Gang in das Empfangszimmer, damit das Personal im Winter den Ofen einheizen kann, ohne Unterredungen zu stören. Noch ist er nicht in Betrieb, aber wenn Margit es geschickt anstellt, dann kann sie von dort aus der Unterhaltung lauschen. Vorausgesetzt, sie kommt an der Köchin vorbei.
Dann, als Emilia für die Begleiter des Boten auftischt, siegt Margits Neugier. Mit klopfendem Herzen steigt sie in den Bedienstetengang. Sie wird später eine Ausrede finden, warum sie Emilia nicht geholfen hat. Voller Anspannung schiebt sie sich bis an die Wand vor. Dort befindet sich die Luke zum Ofen. Aus dem Empfangszimmer hört sie leises Schluchzen.
»Mein liebes Fräulein, es tut mir leid, Euch keine besseren Nachrichten überbringen zu können. Euer Bruder ist bei der Pfalzgräfin und ihren Töchtern in besten Händen. Unsere Feldärzte tun, was sie können, um ihn vor dem gleichen Schicksal, das Eurem Vater widerfahren ist, zu bewahren.«
»Ist es sicher, dass auch Ekkehard vom Hohenfelde gefallen ist?«
»Euer Bruder hat darüber keinen Zweifel gelassen. Ihm aber ist es als einem der wenigen gelungen, Magdeburg zu verlassen, die Kaiserlichen haben die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Es muss ein Blutbad nicht gekannten Ausmaßes gewesen sein.«
Hilde schluchzt noch lauter, verlangt danach, ihren Bruder zu sehen.
Margit kriecht den Gang zurück. Sie zittert am ganzen Körper, als sie endlich wieder auf beiden Beinen steht. Das Burgfräulein tut ihr schrecklich leid. Auch sie selbst ist tief erschüttert und weiß nur eine Person, bei der sie Trost finden kann.
Albrecht ist mit den Pferden der Besucher beschäftigt. Alle Tiere müssen getränkt und gefüttert werden. Eine Stute scheint sich am Huf verletzt zu haben, denn Albrecht tastet ihren Vorderfuß behutsam ab. Margit will schon wieder umdrehen. Sie möchte Albrecht nicht bei der Arbeit stören, doch da erblickt er sie und eilt auf sie zu. »Was ist los? Warum weinst du?«
Erst jetzt merkt Margit, dass ihr Tränen über die Wangen rinnen. Sie bringt kaum ein Wort heraus. Albrecht nimmt sie in die Arme. Erst nach einer Weile fasst sie sich. »Wie es scheint, ist unser Burgherr tot. Der Verlobte des Burgfräuleins ebenso. Die Kaiserlichen haben Magdeburg eingenommen und die Stadt zerstört.«
Albrechts Augen weiten sich. »Woher weißt du das? Haben die Reiter aus Hilpoltstein diese Nachrichten überbracht?«
Margit nickt. Sie hat keine Kraft, zu erklären, dass sie verbotenerweise gelauscht hat. Zu schrecklich sind die Bilder in ihrem Kopf. »Was ist, wenn der Krieg auch zu uns kommt?«
Albrecht hält sie ganz fest. »Magdeburg ist weit weg. Vielleicht zieht sich König Gustav Adolf jetzt zurück. Dann ist es gut möglich, dass die Mächtigen endlich Frieden schließen.«
Seine Worte trösten sie. Für einen kurzen Moment stellt sie sich ein Leben ohne Angst vor den Soldaten vor, eine Zeit, in der die Menschen in Frieden miteinander leben. Pferde wird man auch nach dem Krieg noch brauchen. Wenn Albrecht sie wirklich heiraten will, wird er für sie Sorge tragen und ein Auskommen für ihre Familie schaffen. »Hoffentlich hast du recht«, flüstert sie. Er küsst sie zum Abschied, denn Margit muss wieder zurück in die Burg, um ihrer Herrin beizustehen.
Teil 2 – September bis November 1631