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Lehrer sind Lehrer – und keine Moderatoren!
Eigentlich mag man es kaum noch hören, das permanente Gerede von der Dauerbaustelle Schule. Es sei denn, es käme ein Praktiker, der sich ganz un-verschämt als Lehrer ("Schulmeister") versteht - und einem erklärt, warum man auf hohle Reformfloskeln pfeifen kann. Die leidige Strukturdebatte: eine Sackgasse; die euphorische Propaganda für's selbständige Lernen: ein Irrweg!
Dabei könnte Schule wortwörtlich begeistern - wenn ihre menschliche Dimension in den Mittelpunkt gerät, wenn Bildung zur Beziehungssache wird! Feltens großer Bildungsessay beleuchtet das komplexe Wechselspiel zwischen ein-und-dreißig Menschen: hier die Emotionen der Lehrer, da das Empfinden der Schüler. Sein Wissen um das Erfreuliche, Problematische und Mögliche in der Schule eröffnet eigensinnige Ansätze für die Bildungsarbeit.
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Seitenzahl: 71
Die hohen Herren machen es selbst, dass ihnen der kleine Mann Feind wird. Derhalben musst du, gemeiner Mann, selbst gelehret werden, auf dass du nit länger verführet werdest.
(Thomas Müntzer)
»Alle reden vom Wetter. Wir nicht.« Erinnern Sie sich noch an die clevere Werbekampagne der alten Bundesbahn vor 50 Jahren? Verlässlichkeit braucht keine langen Reden, hieß das – nur wer nicht vorankommt, muss viele Worte machen. Juckt es einen nicht in den Fingern, diese Weisheit auf die Bildungsdebatte der letzten Jahr(zehnt)e zu übertragen? Auch um die Schule wogt ja ein öffentliches Dauergerede – mit höchst zweifelhaftem Erfolg: Bildungsredakteure glauben Lehrern1 gute Ratschläge geben zu können, und die Kultusminister senden einen Reformimpuls nach dem anderen aus. Die Schulmeister vor Ort indes verdrehen angesichts nicht endender Innovationsrhetorik nur die Augen – und wichtige Expertenbefunde bleiben unbekannt.
Die Frage ist tatsächlich: Muss sich eigentlich alles ändern? Ist gute Schule wirklich so etwas Schwieriges, Neuartiges? Und diskutiert man überhaupt die richtigen Probleme, dreht an den passenden Stellschrauben? Eine Handvoll Pisa-Punkte mehr ist jedenfalls noch kein Beleg dafür, dass wir auf einem guten Weg sind. So dürfen Schüler im modernen Deutschunterricht zwar freier schreiben als früher und sie schwitzen kaum noch unter Diktaten; wenn sie aber bildungsfernen Familien entstammen, zeigen sie anschließend sowohl schlechtere Rechtschreibung wie auch geringeren Wortschatz. 2 Ein Bärendienst in Sachen Bildungsgerechtigkeit – und ein makabres Beispiel dafür, dass der Ertrag der ganzen Innovationshatz irgendwo zwischen herzlich bescheiden und ziemlich irreführend anzusiedeln ist.
Die Reformeuphorie hat eben auf eine ganze Reihe falscher Pferde gesetzt. Das fängt schon bei den Begriffen an. Wo vorwiegend von System, Evaluation, Standard oder Methode die Rede ist, da denkt man doch eher an Brötchenbackstraßen als an Menschenbildnerei! Nicht anders bei den Finanzen: Wenn für die stetige Aufrüstung der Computerarsenale und die Installation von Smartboards Milliarden locker gemacht, gleichzeitig die Stellen für Schulpsychologen aber halbiert werden*, dann scheint es im Schulwesen doch eher um gute Geschäfte als um breit angelegte Hilfe für Schwächere zu gehen. Oder nehmen wir die sich ständig weiter aufblähende Bildungsbürokratie: Nach außen hin geben sich Schulen immer selbstständiger, intern indes gebärden sie sich zunehmend berichtsversessener – Bildung wird dabei nicht nur zur »Ware« (Jochen Krautz), sondern auch zur Kontrollprozedur, im Rahmen behördlicher Qualitätsanalyse. Ähnlich zwiespältig liegt der Fall bei der leidigen Testeritis: Wie arglos wird getestet und evaluiert, was die Finanzen nur hergeben – dabei sind doch viele der Messkriterien umstritten, lassen sich Bildungsprozesse nur sehr bedingt durch eine »Invasion von Kennziffern« (Horst Bethge) beurteilen, verkommt das Lernen dann schnell zu einem teaching to the test! Dann der Fluch der Individualisierung: Als stärkeres Eingehen auf den Einzelnen beworben, mündet es ganz schnell in unverbindliche Atomisierung der Schülerschaft. Nicht zuletzt die unselige Schulformdebatte: Wie viel Zeit und Papier wurden über Jahrzehnte für die Einführung einer landesweiten Einheitsschule verschleudert, in Talkshows, Reden und Artikeln – dabei sagt alle Lernforschung, dass Schulerfolg und Bildungsgerechtigkeit nicht primär vom System und den Strukturen abhängen, sondern von Unterrichtsqualität und Förderintensität! Und jetzt als neueste Wunderwaffe: Inklusion, eine im Prinzip begrüßenswerte Anti-Benachteiligungsvision, das gemeinsame Beschulen aller Kinder von hochbegabt bis lernbehindert, bei der aber viel Förderqualität verloren gehen wird, wenn man sie vor allem als Sparprojekt betreibt.
Jede Menge umstrittener Baustellen also – manchem erscheint diese Dauerreformitis gar als neue Herrschaftsform. Denn wer permanent mit Neuerungen beschäftigt wird, hat keine Zeit mehr, sorgfältig zu prüfen oder gar kritische Fragen zu stellen.* Und alles nur wegen dem schlechten Abschneiden bei PISA 2000, dieser zum deutschen Bildungsverständnis nur bedingt passenden Massentestung – anscheinend funktioniert die »Schock-Therapie« (Naomi Klein) auch in Schulfragen.
Tatsächlich vernebelt das Bildungsgerede unterschiedlichster Couleur den Blick für das Wirkliche und Mögliche in Sachen Schule. Was an dieser Hochstapelei besonders ärgerlich ist: Der gemeine Lehrer in seinem Alltagshandwerk hat ganz andere Sorgen, steht damit aber ziemlich allein da. Wie man es anstellt, dass sich Kinder aus bildungsfernen Schichten tatsächlich mit anspruchsvollen Bildungsinhalten anfreunden; wie man es hinbekommt, dass verwöhnte Schüler doch noch Ausdauer und Sorgfalt entwickeln; was man tun kann, wenn desinteressierte Halbstarke nicht nur selbst schulisch entgleisen, sondern auch den restlichen Unterricht aufmischen – zu diesen Fragen liefern Ratgeberverlage wie Lernmittelindustrie eher Spreu als Weizen. Und auch die Lehrerfortbildung hat zu den Kernproblemen des Schulischen nur wenig zu bieten. Was Lehrer bei Attacken aufsässiger Schüler empfinden, wie schnell ihre Ansprache entmutigte Kinder verfehlt, das ganze hochkomplexe Wechselspiel zwischen einem älteren und 30 jüngeren Menschen – all’ das spielt, obwohl primär bedeutsam für den Lernerfolg, nur eine marginale Rolle. Während in den Klassen Führungsschwäche herrscht, stapeln sich in den Lehrerzimmern Motivationsreader und Diagnosechecklisten. Dass aber Bildung nicht nur Angebot, sondern auch Anspruch bedeutet, nicht nur Bedürfnisse erfüllt, sondern auch Bemühen erfordert, scheint in den Hintergrund getreten – wenn nicht vergessen. Nicht wenigen erscheint die Schule denn auch als »Tollhaus«, weniger als Lernort.
Besonders aktuell: das allgegenwärtige Tamtam um die Inszenierung von »eigenverantwortlichem Arbeiten«. Was sich modern und motivierend anhört, nutzt indes nur den leistungsstarken Schülern, während es schwächeren den Zugang zu Neuem und Anspruchsvollem erschwert.* Das unstrittige Ziel allen Lernens – Selbstständigkeit – ist eben gerade nicht der Königsweg dorthin! Und so ist der gesamte Prozess der derzeitigen Schulentwicklung geprägt von vielerlei Scheinplausibilitäten mit verborgenem Pferdefuß. Handfeste und ehrliche Evaluation dagegen: Mangelware. Schulen mit guten Leistungsbilanzen kann es durchaus passieren, dass ihnen die ministeriellen Qualitätsprüfer Fortbildungsbedarf attestieren*. Aber wo ist die offene Auseinandersetzung über derlei Widersprüche? Kritische Äußerungen aus der Lehrerschaft werden beschwiegen, belächelt oder beschimpft – oder sie unterbleiben von vornherein, gehorsamst vorauseilend. Kein Wunder, wenn auffällig viele Pädagogen vorzeitig verhärten, ihre Arbeit nur noch mit zynischem Unterton verrichten, womöglich gar resignieren und ins Burnout geraten. Kein Wunder, dass es zu wenig engagierten Lehrernachwuchs gibt.
Aber heißt es nicht neuerdings, Stuttgart sei überall? Wer sagt denn, dass sich das wachsende Bedürfnis nach Einmischung, nach direkterer Demokratie, nach einer Politik für die Menschen statt gegen sie, auf Bahnhofsverlegung und Energiewende beschränken muss? »Von wegen nix zu machen« (Jürgen Becker) ist das Gebot der Stunde! Vielleicht brauchen sich auch Lehrerkollegien nicht alles gefallen lassen, was Politiker und Lobbyisten miteinander auskungeln – und ihnen dann mit Hilfe cleverer, aber bildungsferner Organisationsentwickler einträufeln! Wenn ein weiser alter Franzose (Stéphane Hessel) seine zornige Stimme gegen den global galoppierenden Finanzkapitalismus erhebt, warum sollte sich nicht auch die Pädagogenzunft ein wenig entrüsten? Schließlich müssen auch Beamte nicht jeden offensichtlichen Unsinn ausführen, sie genießen ja ein Remonstrationsrecht, sind »zu Recht sehr autonom«, wie Jürgen Zöllner, ranghoher Kultuspolitiker im ZEIT-Interview* einräumte.
Solcher Eigensinn – Hermann Hesse zufolge eine der schönsten Tugenden – dürfte sich allerdings nicht auf die notorischen Klagelieder beschränken, müsste über ein »Empört euch!« in Bildungsbelangen hinausgehen. Sonst wär’s ja nur ein Kitzel für’s intellektuelle Gemüt – und viele Schüler würden weiterhin unterfordert durch ihre Schulzeit dümpeln, unter unnötigem Stoffdruck zusammenbrechen oder in der Bildungsferne ihres Milieus verharren. Nein, gefragt ist auch ein entschiedenes »Engagiert euch!« – die Frage ist nur: Wo denn, und wohin – und wie? Wissenschaftliche Detailanalysen gibt’s bereits zur Genüge, bildungspolitische Stimmungsmacher sind in der Regel nur selbstverliebt – man sollte das Ohr einmal an die pädagogische Basis selbst halten.
Denn von Praktikern, Menschen also, die täglich unterrichten und dies gerne und nicht gerade erfolglos tun, dringt merkwürdigerweise kaum ein Wort in die öffentliche Debatte – und das ist für diese verhängnisvoll. Dabei sind Praktiker keineswegs harmlos; aus ihnen spricht – sofern sie nicht im eigenen Saft schmoren – eine schwer bestreitbare Kraft des Faktischen. Auch im Pädagogischen vermag nämlich – mit Heinz Bude gesagt – die Intelligenz des gelebten Lebens die scheinbare Vernunft der großen Entwürfe zu überflügeln. Was gestandene und kundige Lehrer jedenfalls von Kultusbeamten und Bildungsjournalisten unterscheidet, ist ihr solides Erfahrungswissen um das Erfreuliche, Problematische und Mögliche in der Schule, quasi aus erster Hand, nicht von einzelnen Goodwill-Besuchen oder eiligen Internetrecherchen. Und deshalb sticht ihr Standpunkt auch aus dem üblichen Bildungsgerede heraus, dieser »Sphäre der vorgesagten und nachgeredeten Meinungen« (Peter Sloterdijk) – ist gewissermaßen emanzipiert von manch’ zeitgeistiger »Schwarmdoofheit« (Wiglaf Droste).