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Als "Schnipsel" wird gemeinhin ein kleiner abgerissener Fetzen Papier bezeichnet. Es ist darüber hinaus aber auch ein Puzzlestück, ein integraler Bestandteil des großen Ganzen. Viele versuchen das Bild zu erkennen, begnügen muss man sich aber zumeist mit Schnipseln. Einige davon sind hier vorzufinden.
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Seitenzahl: 266
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Vorwort
ins Neue schauen
Glück
Platz
Fragen
Widerspruchslehre
Maltersack
Zweifel am Bein
ein Lotterietraum
kann Disziplin schön sein?
der Teufel
am laufenden Bande
ein voller dicker Bauch
von einem der auszog, ein Geheimnis zu suchen
denk ich an Deutschland
das unlesbare Buch
der Waldspaziergang
Wurfmaschine
das Urteil
was fehlt, wenn Gott fehlt?
Eine neue Weihnachtsgeschichte
der Wunschzettel
eine Schneemanngeschichte
der Teller Suppe ist leer
Vorsicht
Terrorismus
Hunger
zwei Minuten anklopfen
Die Zeit danach
Berufswahl: Politiker
Arbeit - welche Metapher gefällt dir?
der Hartz IV Rollstuhl
Rhythmus
was tun?
Höflichkeit
Handgranate
was würde ich tun?
eine Skizze
der Unterricht
Zeit für Homeschooling
80%
Fußball
Aufklärung
der aufgeregte Osterhase
Herr Koente ist zu Besuch
der letzte Absatz
Gewohnheiten
Ich glaub’ ich hab’s
Ultracrepidarianismus
Das glaubst du nicht!
Wer bist du?
Selbstfindung
Lockdown
der Tänzer Corona Migra
Warum ist es so schwer, sich zu ändern?
Was ist Wissen?
Grenzzäune
zum Geburtstage
Ich sitze in der Wiese
Schattenspringen
die Extrameile
Stein der Weißen
Im vorliegenden Band sind kurze Geschichten versammelt, die eine besondere Sicht auf die Welt vermitteln. Es ist ein Querschnitt von mehreren Jahren.
Schreiben ist en vogue. Jeder wird dazu animiert. Jedes Jahr werden in Deutschland allerdings über 60 000 neue Bücher veröffentlicht. Warum also auf diesen Haufen oder in diese Wiese noch ein Buch legen. Es ist eh nur ein kleines Gänseblümchen, das bald verblüht, gepflückt, zertrampelt ist. Doch es ist diese große blühende Wiese, die attraktiv ist. Die Meinungsvielfalt ist interessant und ein Ansporn für jeden Schreiber. Unterhaltung ist es allemal. Der Betreffende wird für die Umgebung sichtbarer, es ist ein Zeitzeugnis, ein Stimmungsbild der Gegenwart.
Ein Kennzeichen der aktuellen Zeit ist die Schnelligkeit, der Fokus auf Schnelligkeit. Vieles soll schneller geschehen, damit mehr in einer bestimmten Zeiteinheit verarbeitet oder konsumiert werden kann. Informationen werden schneller generiert und aufgenommen. Ich wünsche mir, daß der Leser sich Zeit beim lesen läßt. Zeit nehmen ist Luxus, den können wir uns ab und zu gönnen. Das Buch regt vielleicht zum Denken an in dieser aufregenden Zeit. Denken kann man nicht beschleunigen, das führt nur zu oberflächlichen oder skurrilen Ergebnissen. Viel Spaß!
Und er stieg aus der Ebene auf den Berg, den Gipfel des Gebirges und sah das ganze Land bis weit an das Meer im Westen. Es ist ein Land voller Möglichkeiten. Wir wollen in das neue Jahr, in einen neuen Lebensabschnitt schauen. Es ist das Land, das vor uns liegt und das wir in den kommenden Monaten durchstreifen werden.
Doch wo willst du hin? Welche Gegenden willst du dir anschauen?
Welche Orte entdecken, welchen Pfaden folgen, welche Berge erklimmen? Willst du an die tränenreichen Flüsse oder in die Wälder voller Abenteuer; in die Wiesen voller Lachen oder in die Steppen voll von Langeweile? Sicher, du kannst einfach loslaufen, alles auf dich zukommen lassen. Das ist okay. Oder du setzt dir Ziele, sinnvolle Ziele, an denen du wächst und dich entwickelst. Du kannst im Beruf weiterkommen, aber auch Beziehungen zu anderen aufbauen, Emotionalität und Herzenswärme lernen, Freundschaften pflegen, Wissen aufnehmen, die Kürze des Lebens verstehen.
So stehst du auf dem Berg, schaust in das weite Land und siehst Gegenden und Erfahrungen, die du gern erleben möchtest. Doch wie gelangst du dahin? Du kannst dir preußisch ambitionierte Ziele setzen, feste Vorsätze anpinnen, hohe Meilensteine errichten: gesünder essen, mehr bewegen, mehr schlafen, nicht faulenzen, weniger fernsehen … Hab Mitleid, Mitgefühl mit dir selbst, überfordere dich nicht, geh langsam.
Das Leben zeigt dir von der Höhe des Berges das ganze Land. Der innere Blick zeigt dir, was vor dir liegt, die ganze Zeit. Stell dir vor, du stehst oben auf dem Berg und schaust in die üppige Zukunft herunter. In eine Landschaft, die sich weit vor dir ausstreckt. Spüre nach, wo es dich hinzieht.
Wir wissen, es kann anders kommen als wir denken, aber es ist auch gut, klar zu fühlen, was uns tief bewegt.
Wo wollen wir hin? Wo möchtest du gern ankommen? Welche Wege erkunden, welche Dinge lernen, wen willst du treffen?
Stell dir vor, du bist schon da. Kannst du die Freude fühlen, die dich dann umfängt? Kannst du die staunenden Augen sehen, die das Erreichte überblicken? Kannst du deine Erleichterung spüren, wenn der Weg geschafft ist?
Ich stehe hier und weiß nicht, wie es wird. Aber ich spüre tief drinnen eine Sehnsucht. Ich bitte das Leben um die Kraft für den Weg, um die richtige Entscheidung nach der rechten Abbiegung.
Was ist notwendig und was ist überflüssig? Ich brauche Orientierung und eine schützende Hand.
Schreib dir eine Karte, wohin du willst, welchen Weg du einschlägst, wie du deine Zeit nutzen willst. Er begleitet dich. Er schützt dich. Er hilft dir.
Letztens ging ich spazieren und kam vor ein Haus. An dem Haus stand: Glück. Da muß ich rein! Im Erdgeschoß gab es lauter Zufälligkeiten. Einer wird von einem dicht vorbeifahrenden Auto verschont. Bei einem Unfall gibt’s nur Blechschaden. Ein Meteor fliegt haarscharf am Kopf vorbei, ein Ball rollt vom Tisch und wird aufgefangen – Glück gehabt. Und da strahlt ja auch ein Lottogewinner. Ich stieg eine Treppe höher. Auf dem Boden liegt eine Euro- Münze. Toll! - An der Wand hängen Urkunden. Diese Prüfung habe ich nur mit Glück bestanden denke ich. Und den Job habe ich auch nur mit Glück bekommen. Aber der andere nicht – des einen Glück ist des anderen Pech. Die Treppe führt mich höher.
Ein warmer Frühlingstag umgibt mich. Welch schöne Gefühle. Ein Glück, daß ich 'rausgegangen bin. Ein Schmetterling umschwirrt mich. Schmetterlinge im Bauch sind schön. Wie lange kann man Glücksgefühle festhalten? Im darüberliegenden Stockwerk sind vergangene Glücksmomente. Ein Glück, daß ich diese Leckereien damals nicht gegessen/ getrunken habe. Und daß ich nicht in dieses Auto eingestiegen bin, daß ich mich beherrschen konnte. Ein Glück, daß ich mit dem Rauchen aufgehört habe. Mit Drogen wollen viele Glücksmomente erleben. Wie viele Tonnen Rauschgift wurden letztes Jahr sichergestellt?
Ich gehe höher und sehe mich selbst, wie ich nachts nach Hause komme. Der Schlüssel steckt von außen, ein Glück, daß ihn kein Fremder abgezogen hat. Im Zimmer läuft ein Fernseher, eine Castingshow. Ich sehe ein junges Mädchen und denke: ein Glück daß sie schon am Anfang 'rausgeflogen ist. Manchmal ist es ein großes Glück, wenn man nicht gewinnt, wenn man zweiter wird.
Von der Wand blickt ernst Britney Spears. Im nächsten Stockwerk heißt es Glück in der Liebe. Der selbstverliebte Narziss schreckt mich ab. Am Stockwerk darüber steht an der Tür Glück im Beruf.
Florian Silbereisen winkt, ich gehe die Treppe hoch. Ich höre eine bekannte Musik. Günter Jauch öffnet die Tür zu Wer wird Millionär? Hat man meine Bewerbung doch gezogen! Er quatscht aber die ganze Sendung mit einem Kandidaten, kein neuer kommt in die Raterunde, so ein Pech. Frank Elstner geleitet mich zur Tür.
Verstehen Sie Spaß? Ich könnte ihm eine reinhauen.
Auf der Treppe nach oben werde ich von einem Polizisten abgefangen. „Sie sind verhaftet. Sie haben eine Passantin beschmutzt, indem Sie durch eine Pfütze fuhren. Sie hat Sie wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung verklagt.“ Oje. Vor Gericht und auf hoher See hilft nur der liebe Gott – oder das Glück.
Mein Anwalt weist den Polizisten ab. Im Stockwerk darüber scheint es nur Kuriositäten zu geben. Die älteste ist vom 10.04.1912. Ein Mann sagt: „Ein Glück, daß ich noch ein Ticket für die Titanic bekommen habe.“ Oder der Kaufmann: “diese Eier kommen von glücklichen Hühnern!“ Eine Zeitung mit einer Umfrage die besagt, die glücklichsten Menschen wohnen in Norwegen. Vielleicht führen solche Nachrichten zum Fatalismus. „Die Eier schmecken immer nach Fisch, weil die Hühner nur Fischmehl bekommen. Sei froh, daß es täglich Eier gibt!“ welch ein Glück!?
Im nächsten Stockwerk sehe ich alte Fotos an der Wand. Meine Eltern vor einem Haus mit Stroh gedeckt. Ein Glück, daß ich in Deutschland geboren wurde und diese Eltern hatte. An einer anderen Wand ist ein Foto von Robinson Crusoe. Er fand nach dem Schiffbruch eine Insel und kam 1709 zurück nach England. Freuen sich die afrikanischen Migranten, wenn sie Lampedusa erreicht haben?
Ich steige die Treppe hinauf. Ein Offizier steht vor einem Soldat.
„Sie haben das große Glück, daß Sie ausgewählt wurden. Sie dürfen an die vorderste Front!
Für Ehre, Volk und Vaterland!“ Schnell will ich mich verdrücken, da höre ich Lärm. Ich finde mich in der Schlacht um Waterloo wieder. General Wellington ruft: „Ich wollt' es werde Nacht oder die Preußen kommen!“ Und er hatte Glück, Feldmarschall Blücher rückt mit seiner Reiterarmee an. Daneben ist die Schlacht bei Asculum zu Ende. Feldherr Pyrrhus jammert: “Noch so ein Sieg und wir sind verloren, die Verluste sind zu groß.“ Ja, das Kriegsglück ist schwierig zu interpretieren. In der Ecke verstaubt das Pferd von Troja. Also geht’s ab nach oben. Ich finde mich in einer Sammlung von Unglücksfällen. Im Gefängnis sehe ich Kaufhauserpresser Dagobert, Reinhold Messner auf dem Gipfel mit erfrorenen Zehen, Paddy Kelly im Kloster als buddhistischer Mönch. Alles Beispiele, bei denen Unglück in Glück verwandelt wurde. Alle haben schwere Dinge überlebt und sind daraus reifer, klüger geworden und haben ihr Glück gemacht. Kann man ohne Pech zu haben lernen? Soll man Glück über die Erfahrungskurve definieren? Im Hintergrund steht Opa und hebt den Finger: „Ein jeder ist seines Glückes Schmied. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.“
Nachdenklich steige ich in das?wievielte? Stockwerk. Ein Moderator empfängt mich. „Sie haben das große Los gezogen! Sie dürfen sich eine neue Biografie aussuchen! Mit wem möchten Sie tauschen?“ Im Angebot sind Adele, Baron von Münchhausen, Michael Jackson, Nena, Meryl Streep, Till Schweiger, Leonardo di Caprio.... Ich kann mich nicht entscheiden. Mit wem würde ich tauschen? Nein - außerdem bin ich gegen Haustürgeschäfte. Ich flüchte nach oben und sehe mich auf der Schulbank, lernen. Ich habe in meinem Leben einige Abschlüsse gemacht und damit neue Jobs bekommen. Wie kann man Chancen erkennen? Wer kann begreifen, in welchen Glücksumständen er gerade ist oder die ihn erwarten? Im Stockwerk unter mir höre ich Leute meckern: „es gibt schon wieder keine Katzenstreu und dieses Makeup ist auch Schrott!“
Einige Stufen höher sehe ich einen Beduinen in der Wüste sitzen.
Gegenüber ist ein Tourist im Supermarkt, der sich aus der Fülle des Angebotes nicht für einen Snack entscheiden kann. Der Beduine denkt: welch Glück, daß ich nicht vom Überfluß verleitet, korrumpiert, genervt, überhäuft werde. Daß ich die Unschuld des Nichtwissens habe. In der Mitte auf dem Tisch ist ein Märchenbuch aufgeschlagen. Hans im Glück mit einem Goldklumpen und später leicht beschwingt ohne einen Pfennig. Ist das glaubwürdig? Die Brüder Grimm hatten auch einen wolkigen Begriff von Glück. Auf der anderen Seite ein Ehepaar an der Küste in einem Gartenstuhl, aufs Meer blickend. Ein Glück, daß wir nicht dort auf dem Kahn unter den 2000 Traumschiffreisenden sind...
Das nächste Stockwerk ist voll von Bekannten. Sofort denke ich: ein Glück, daß ich auf die Nase da nicht reingefallen bin – und daß ich den getroffen habe.
Im nächsten Stockwerk sehe ich die Mauer. Walter Ulbricht steht davor. „Keiner hat die Absicht...“ Ein Glück, daß wir die Wende miterleben durften. Ist jede Zeit eine historisch bedeutsame Zeit? Im Hintergrund hängt ein Cartoon mit Karl Marx. „Sorry, war halt nur so eine Idee.“
Ich habe sicher einige Etagen übersprungen. An einer stand Heureka. Die Erfinder hatten auch viel Glück. Es wäre schlimm, wenn es heute kein Insulin gäbe oder Prothesen oder den DNA-Nachweis. Eine andere Etage ist nach Entdeckern benannt. Wer hat nochmal Westindien entdeckt? Im obersten Stockwerk begegne ich Philemon und Baucis. Er sieht wie ein Astrophysiker aus. Ein Gedanke kommt mir in den Kopf. Welch ein Glück, daß ich in der Weite des Kosmos und der Unendlichkeit der Zeit den gleichen Planeten und die gleiche Epoche getroffen habe wie meine Frau, und das Glück hatte, sie zu heiraten. Ich sehe in die Ferne und freue mich, denke an die gemeinsame Zeit. Ich gehe nach unten. Als ich aus dem Haus trete wache ich auf. Wie viele Stockwerke hatte eigentlich das Haus? Ob jeder bis in die oberste Etage kommt?
Was ist Glück? Mir fällt eine Begebenheit aus dem Jahre 2002 ein.
Ich saß in einem Vortrag in der Technischen Universität Berlin. Es sprach Herr Schmiehl, Leiter Qualität von BMW- Motorrad Spandau. Er sagte einleitend: Glück trifft meist den gut vorbereiteten Geist.
- Oder ein Spruch von Rumi, einem alten Iraner. Er schrieb vor 800 Jahren: Ergebenheit und Amor Fati – sonst Kopf und Stein* Das Wort Glück ist vielgesichtig. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr verändert das Wort seine Bedeutung, verliert seinen Glanz. Das Glück ist ein Chameleon, es strahlt nur kurz - doch manchmal kann man es fangen.
Was ist Glück? Die Schaltkreise im Kopf funktionieren noch. Und der Kollege da oben hat noch nicht die Reset- Taste gedrückt.
Glück auf!
*Liebe zum eigenen Schicksal – sonst zerschellen die Pläne an der Realität
Zwei Spaziergänger laufen über den Friedhof. “Und diese Stelle gefällt Ihnen?” fragt der Jüngere. “Da habe ich wohl meinen Platz gefunden” antwortet die 90 jährige Charlotte.
Schuld ist ein eigenartiges Wort. Es muß Fehlverhalten gegeben haben. Mea culpa – ich bin schuldig. Aber wem gegenüber?
Als erstes will ich mich als Dualität sehen. So wie Mann und Frau zwei Hälften eines Körpers sind so sind Körper und Geist in einem Menschen vereint. Der Gedanke, den Menschen aufzuteilen, ist gut.
Das Bild wird klarer. Wenn ich auf dem Tisch einen Haufen Erdnüsse sehe ist das eine Einheit, wie ein Mensch. Wenn ich ihn näher betrachte und alles zähle, liegen da 69 Erdnüsse. Die Ansicht wird deutlicher. 69 steht für den Geist und die Erdnüsse stehen für den Körper.
Mir fällt eine Bemerkung aus dem Radio ein. Ein Autor sprach über das Buch Kohelet. Es ist kritisch und untypisch für die Bibel.
Es beginnt mit: Windhauch, alles ist Windhauch. Im Fazit des Rezensenten heißt es, der Schreiber des Buches will ausrufen: Seht her, ich bin noch da! Die Vergänglichkeit ist ewig, ich bin aber jetzt noch da.
Ich bin mir etwas schuldig, meinem Körper und meinem Geist. Ich stelle mich gerade hin, schließe die Augen und blicke weit nach vorn. Was bin ich mir schuldig? Als erstes ein Ziel zu haben und meinen Platz zu finden. Ich kann zu mir ehrlich sein, ich kann meine Talente suchen und konsequent sein. Ich schulde mir, mit der UV-Lampe meine unsichtbare Hülle der Selbstsicherheit und Engstirnigkeit sichtbar zu machen. Mir sichtbar zu machen. Ich schulde meinem Körper mehr Bewegung, daß ich beim Öffnen des Mundes zwecks Nahrungsaufnahme in mich hineinhöre, ob es einen emotionalen oder körperlichen Grund gibt. Ich schulde mir mich zurückzuhalten und zu fragen, ob der andere nicht Recht haben könnte. Ich bin mir schuldig, aufmerksam, vorsichtig, bewußt, tolerant, verantwortungsvoll ... zu sein. Es gibt vieles.
Langsam nehmen die Schuldgefühle überhand. Vielleicht sollte ich das Vorzeichen umdrehen, die Schuldgefühle in neue Aufgaben verwandeln. Ich habe so viele tolle Sachen vor mir. Ich kann meinen Körper, meine Seele, meinen Nächsten noch so oft positiv überraschen.
Wie kam ich hierher? Wo wollte ich hin? Wie bin ich gewachsen?
Ich bin nicht kerzengerade wie eine deutsche Eiche gewachsen. An manchen Stellen bin ich ziemlich verwachsen. Doch ich sehe noch Licht, ich weiß wo es lang geht. Ich sehe meinen Platz. Kennst du deine Talente, deinen Platz? Wirf dein Herz über den Graben, dein Pferd springt ihm nach. Über den Friedhof werde ich noch früh genug schleichen.
Was macht eigentlich die Lederschildkröte oder der Kreuzschnabeltaucher gerade?
Wir laufen eine Runde um den See. Plötzlich bekomme ich von einer Möwe einen weißen Fleck auf die Schulter. “So ein Mist, warum muß mir das passieren?” - “War das eine ernstgemeinte Frage?” ist die Antwort. Wir sprechen über das Thema Fragen. Gibt es ungelöste Fragen? Gibt es unbeantwortbare Fragen? “Welche Frage hast du denn?” fängt mein Freund an. Ich überlege. Warum fühle ich mich manchmal traurig/ glücklich/ einsam/ wütend/ froh?
“Gibst noch andere Fragen? Ich weiß nicht, mit welchem Bein du heute aufgestanden bist.” Mal sehen. Warum hat sich das Promipaar getrennt? Hat Shakespeare alle seine Werke selbst geschrieben?
Stimmt Murphys Gesetz? Wo liegt das Bernsteinzimmer? Warum ertrinken so viele Menschen im Mittelmeer? Warum gibt es so viele Kriege und keinen Weltfrieden? Wieviele Leute wohnten am Fuße des Krakatao, als er 1883 ausbrach? “Ganz schön viele Fagen. Und das willst du alles wissen?” fragt mein Freund zurück. Eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten ist die älteste Taktik. Das hält alles in der Schwebe. Wir sprechen über Fragen allgemein. Eine Frage kann viele Funktionen haben z.B. Ablenkung oder Provokation. Eine Frage kann die Faulheit des Denkens indizieren.
Eine Klassifizierung kann helfen. Es gibt z.B. die Eigentorfrage.
Wenn etwas sehr offensichtliches gefragt wird, dann ist der Sinn der Frage zu überdenken. Bin ich schön? Ganz nah dran ist die rhetorische Frage. Da ist die Antwort schon in der Frage drin.
Werde ich Morgen schön sein oder wird die Sonne scheinen?
Oder die Windfrage. Wenn es noch genügend willkürliche Faktoren gibt, die das Ergebnis beeinflussen, dann ist die Antwort reine Spekulation. Werde ich im Lotto gewinnen? Dann noch die historische Frage. Wieviel Paar Schuhe besaß Friedrich Schiller?
Hier gibt es keine Aufzeichnungen, deshalb ist die Antwort Spekulation.
Es gibt keine dummen Fragen sagt der Volksmund. Saudumme Fragen gibt es zuhauf. Wenn ein 80jähriger Fußballfan fragt: Wäre ich vor 60 Jahren ein Fußballprofi geworden und hätte in der Bundesliga gespielt, wieviel Tore hätte ich da geschossen? Naja.
Eine große Klasse bildet die Statistikfrage. Wann wurde Schmidtchen Schleicher geboren? Da kann aber jeder selbst recherchieren. Oder die Künstlerfrage. Wer bin ich und wie viele?
Erstaunlich ist, daß bei vielen Fragen die Suche nach einer Antwort recht schnell eingestellt wird. Fragen sind wie ein Stoppschild an der Straße. Wie lange einer an dem Stoppschild stehen bleibt ist individuell.
Gibt es ungelöste Fragen? Dazu sollte man vorab klären, welchen Sinn bzw. Nutzen eine Lösung darstellt. Prinzipiell kann der menschliche Geist alles erschließen. Es gibt auf alle Fragen eine Antwort. Natürlich schließt sich an jede Antwort eine neue Frage an. Nur der, der im Grunde keine Antwort will, läßt sich die Hintertür mit der Ausrede “Das-kann-keiner-wissen” offen. Die Antwort ist nur das Statement eines einzelnen Protagonisten. Es kann in vielen Fällen kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Die Frage ist oft nur eine subtile Provokation, die andere Meinung zu hören. Oder anders: Fragen sind ein Schutzkomplex.
Ich will nicht alles preisgeben und locke den anderen aus der Reserve.
Eine Menge Leute verstecken sich hinter einer Frage. Oder sie haben Angst, daß ihre Unwissenheit zutage tritt. Dabei ist gerade Fragen stellen die beste Methode Unwissenheit zu verdrängen. Die Scham, etwas sehr einfaches nicht zu wissen, ist ein großer Stolperstein. Um darüber zu steigen braucht’s schon etwas Größe.
Wer keine Fragen stellt hat Angst, Probleme aufzudecken. Ist der Partner fremd gegangen? Wer fragt führt in der Diskussion. Fragen führen zu Lösungen, auch zu Patenten. Deshalb sind intelligente Fragen das wesentliche in der Weiterentwicklung.
Wenn das Management in schwieriger Lage keine unliebsamen Fragen stellt holt es eine Beraterfirma. Die legt den Finger in die Wunde und schlägt Kürzungen vor, die das Management selbst nicht vorbringen wollte.
Ein probates Mittel um eine Antwort zu bekommen ist, nach einer Frage den Gegenüber bzw. Fragenden ruhig und erwartungsvoll anzuschauen. Nach einigen Sekunden Stille beginnt dieser, sich die Frage selbst zu beantworten. Meist hat man damit Erfolg.
Die Eigentümlichkeit, daß vieles nicht bis zu Ende gedacht wird, zeigt einen Konflikt von Moralvorstellungen oder von widersprüchlichen politischen Standpunkten.
“Hast du noch mehr Fragen?” fährt mein Spazierspezi fort. Das ist typisch. Die ersten Fragen nicht beantworten und neue stellen. Ich setze erneut an. Warum vergesse ich so viel? Bin ich zu unproduktiv? Kann der Krebs besiegt werden? Ist gendern sinnvoll?
Was ist divers oder ein nichtbinäres Geschlecht? - “Das willst du gar nicht wissen” returniert er sofort.
Nach langer Diskussion bei dem Rundgang um den See kommen wir zu dem Schluß, daß vieles unausgesprochen bleiben muß. Es braucht eine Grauzone des nicht Definierten. Sobald nämlich der Intellekt des Menschen eine Frage in seine Klauen bekommt wird er sie zerreißen, analysieren, beantwortet nach hinten werfen und vergessen. Es muß nicht alles gefragt bzw. hinterfragt werden.
Warum bist du so dumm, du kannst keine Fenster putzen? Ich bin nicht dumm, ich will keine Fenster putzen.
Haben Sie noch Fragen? Wenn Sie keine Fragen mehr haben dann möchte ich für heute damit schließen. Und überlegen Sie, bevor sie die nächste Frage stellen, lieber etwas länger.
Hat Shakespeare alle seine Werke geschrieben? (Shakespeare wurde nur 52 Jahre alt. Natürlich hat er auf vorhandenes zurückgegriffen wie Goethe beim Erlkönig oder Faust. Wie stark seine Veredlungsleistung war ist nicht mehr nachzuvollziehen.)
Wieviele Leute wohnten am Fuße des Krakatao, als er 1883 ausbrach? (Da es damals keine zeitnahe Volkszählung gab bleibt nur Spekulation.)
Warum hat sich das Promipaar getrennt? (Das wissen nur die beiden bzw. heute schon nicht mehr.)
Warum gibt es so viele Kriege und keinen Weltfrieden? (Ich kenne Ihre politische Einstellung nicht, daher bin ich vorsichtig. Ein Hinweis: zu wenig politischer Wille. Die Frage, wessen politischer Wille ist schon vermintes Gelände.)
Wo liegt das Bernsteinzimmer? (Da die jahrzehntelange Suche keinen Erfolg brachte ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß es nicht mehr existiert.)
Stimmt Murphys Gesetz? ( Nein im umgangssprachlichen Sinne.
Das Gesetz besagt, daß alles, was passieren kann auch mal passiert.
Ein Stein kann z.B. nach oben fliegen wenn alle atomaren Kräfte sämtlicher Atome im Stein zur selben Zeit entgegen der Schwerkraft nach oben wirken. Das ist nur theoretisch zu berechnen. Oder ein Lotto- Gegner, der nie spielt aber im Lotto den Jackpot gewinnt, weil er einen Lottoschein geschenkt bekam. Das kann vorkommen, ist jedoch bei der geringen Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Murphys Gesetz ist hilfreich bei der Extremwertbetrachtung.)
Warum ertrinken so viele Menschen im Mittelmeer? (s.Weltfrieden) Bin ich zu unproduktiv? (Auf diese Frage gibt es nur eine subjektive Antwort.)
Warum vergesse ich so viel? (Das Wort viel ist unscharf. Vergessen ist normal und gesund.)
Kann der Krebs besiegt werden? (Nein, es treten ständig Mutationen auf, der Mensch lebt nicht unendlich. Dieser Wunsch wird ihm ständig eingeredet.)
Ist gendern sinnvoll? Was ist divers oder ein nichtbinäres Geschlecht? (Gendern ist ein Kotau vor der Psychologie bzw. in der Politik. Das anatomische biologische Geschlecht ist definiert. Die Diskussion zeigt aus der Perspektive ärmerer Länder unsere Luxusprobleme.)
Im Radio höre ich die Nachricht, daß ein junger Syrer einen Touristen aus Krefeld in Dresden erstochen hat. Er war schon als gefährlich eingestuft, durfte aber nicht in sein Heimatland zurückgebracht werden. Warum kann solch ein Täter nicht ausgewiesen werden? Ist das ein Widerspruch?
Da ist er wieder, der Knacks in unser schönen heilen Welt. Warum diese Widersprüche? Ich will mich nicht damit beschäftigen.
Überall Widersprüche. Ich soll leistungsfähig und gesund bleiben, will aber chillen, Bier trinken und üppig essen. Ich will in Ruhe leben, muß aber “Gefährder” in meiner Nähe dulden. Ich höre von Hunger in der Welt und der Vernichtung von Nahrungsmittelmassen. Ich schaudere noch von den Katastrophen von Tscherobyl und Fukushima und habe um die Ecke ein Atomkraftwerk. Ich trinke gerne günstigen Kaffee und bedaure das arme Leben der Kaffeebauern. Warum ist Paul dick und Emma klein? Warum kann Frieder gut rechnen und Lena gut malen? Warum wächst soviel Unkraut in meinem Garten obwohl ich dauernd jäte? Und warum sagt das Unkraut, ich sei das Unkraut?
Was sind eigentlich Widersprüche? Nur das gesprochene Wort des anderen? Sind es Gegensätze oder Unterschiede? Es gibt Konditionen, die gegensätzlich sind, sich ausschließen und auch bedingen, warm und kalt. Antagonismen.
Es beginnt mit Begriffen und deren Definition. Darüber muß ich nachdenken, analysieren. Alle Menschen haben unterschiedliche Wahrnehmungen. Damit zugleich unterschiedliche Erfahrungen und Schlußfolgerungen. Es gibt so viele kluge Leute, warum gibt es so viele fragwürdige Entscheidungen? Widersprüche werden oft bewußt erzeugt mit dem Ziel divide et impera. Bei kriminalistischen Befragungen werden Widersprüche genutzt um die Wahrheit zu finden. Widersprüche werden bewußt ignoriert, manchmal auch ausgesessen bis einer aufgibt oder stirbt. Gegensätze ziehen sich manchmal an, machen sympathisch. Es ist doch schön, wenn ein hübscher junger Mann mit flacher Stirn und eine Frau mit kantigem Kinn und hoher Stirn zusammenkommen.
Wie mit Widersprüchen umgehen? Sofort den Finger heben: Hallo, ich weiß was! ist meist kontraproduktiv. Ein indisches Sprichwort sagt: wenn jeder Fehler angemerkt wird hört jeder Umgang auf. Selbst auf den Widerspruch stoßen und den eigenen Fehler korrigieren hilft mehr. Wenn meine Tochter sagt, ich esse zuviel Kuchen und Süßes bleibt das nur einige Sekunden in meinem Kurzzeitgedächtnis haften. Wenn ich die schlechten Auswirkungen auf meinen Stoffwechsel beobachte ist das wirkungsvoller.
Kann jeder Widerspruch aufgelöst werden? Antisemitismus ist ein negatives Phänomen. Luther, Wagner und andere waren Antisemiten, soll man sie verdammen, ihre Leistungen in den Müll treten? Die Judensau in Wittenberg hängt noch, die Mohrenstraße in Berlin wurde umbenannt. Denkmäler von Militaristen stehen noch, entsprechende Straßennamen werden kritisch hinterfragt. Früher gab’s mal den Kolonialwarenladen. Der Zwarte Piet, die Heiligen drei Könige und der Negerkuss sind im Fokus der Sprach- und Antidiskriminierungspolizei. Gibt es Gender-gerechte, “saubere” Sprache? Sind die Sackgasse oder das Sackloch männerfeindlich?
Warum nur Mutterboden und Muttersprache, Vaterland und Vaterstadt? Ich will Mutter-und-Vaterboden. Es gibt sehr unterschiedliche Gewichtungen der Fälle. Es sind politisch gegensätzliche Positionen von Idealisten und Praktikern zu erkennen.
Ich wähle eine politische Richtung und höre Halbwahrheiten aus dieser Richtung. Warum müssen die Bootsflüchtlinge ins Mittelmeer springen und können nicht sofort in ein Rettungsboot steigen? Ich kann mich noch an die Bau- Pleite in Leipzig 1994 und den Betrüger Jürgen Schneider erinnern und höre, daß viele Leipziger froh über die Bauleistungen sind. Sind das Widersprüche oder einfach das Leben?
In der USA sind Wahlen ante portas. Donald hat trotz seiner Politik gute Chancen. Er polarisiert den Staat und das Land, macht die Schwächen deutlich. Widersprüche sind die Triebkräfte der Entwicklung. Die Demokratie in den USA braucht einen neuen Schub. Den könnte der Trampel auslösen.
Warum will ich alles Brauchbare aufheben und doch nicht im Messihaushalt enden? Warum kann ich nicht meine wertvollen Erfahrungen maximal nutzen und soll den Jungen eine Chance geben. Ich bin doch kein Diktator. Warum kann ich nicht artig auf meine Frau hören und trotzdem keine Kopfschmerzen von den Ungereimtheiten bekommen?
Ich schlage für die Bildung der Jugend ein neues Unterrichtsfach vor – die Widerspruchslehre. Nach der anfänglichen Definition der Worte sollten alle Widersprüche klassifiziert werden, z.B. in uns selbst, in der Familie, im Lande und in der Welt. Danach kann der kultivierte Umgang mit Widersprüchen gelehrt werden. Ein großes Hindernis ist die Gedankenfaulheit. Ich will das nicht wissen. Ich will das nicht bedenken und entscheiden. Weitere Hindernisse sind Hysterie und Ignoranz, erzeugt durch den Informationsüberfluß. Es gibt zuviel Unglück, Unheil, Katastrophen. Wenn ich mich mit allem beschäftige und tief einsteige werde ich verrückt. Das ist für meinen kleinen Kopf zuviel. Und viele kluge Leute wissen es besser. Wirklich?
Die ungeschminkte Wahrheit irritiert nur den größten Teil der Bevölkerung. Die Welt ist für die meisten unerklärbar bzw. zu kompliziert geworden. Mit diesen Aussagen versuchen smarte Politiker die Widersprüche darzustellen bzw. sie den Leuten vorzuenthalten. Dabei ist die nüchterne Betrachtung der Widersprüche ein Weg aus dem Dilemma. Widersprüche sind mannigfaltig in Wort und Schrift zu finden. Auch die Bibel beinhaltet viele davon. Ein glaubens- und bedenkenswertes Bibelzitat lautet: Gott gebe mir die Kraft Gegensätze aufzulösen. Er gebe mir die Geduld, die nicht auflösbaren Gegensätze auszuhalten.
Und er gebe mir die Weisheit, die lösbaren von den unlösbaren zu unterscheiden.
Es gibt jede Menge objektive Widersprüche, z.B. der Widerspruch zwischen den körperlichen und geistigen Fähigkeiten in der Jugend und im Alter (wenn die Jungen wüßten, wenn die Alten könnten).
Wir müssen aushalten können.
Ich habe noch Kraft und Ehrgeiz, Dinge zu ändern. Viele Puzzleteile liegen falsch. Sie müssen in die richtige Ordnung.
Warum bleiben sie nicht in der richtigen Ordnung liegen? Vernunft gegen Lebenskraft? Ist das ein Widerspruch? Das Leben ist wie Wasser pflügen. Trotzdem ist eine Richtung erkennbar.
Was heißt eigentlich Gelassenheit?
Ich sitze in einem Haus am Dorfrand und schaue aus dem Fenster.
Aus dem gegenüberliegenden Haus kommt ein Mann und läuft die Straße hinunter. Er geht jeden Tag in die gleiche Richtung. Ich bleibe sitzen und trinke meinen Kaffee; ich weiß, der Mann kommt bald wieder. Er trägt dann einen leeren Sack über der Schulter, einen Maltersack. Ich habe ihn mal nach dem leeren Sack gefragt.
Er sagte, er holt ein Behältnis. Wenn es ein großer Sack ist ist er froh. Manchmal bekommt er nur eine Schüssel oder eine Tasse.
Traurig ist er, wenn er ohne Behältnis zurückkommt.
Im Laufe des Tages sehe ich den Mann Sachen in den Sack stecken. Er packt sie behutsam ein und verstaut sie. Am Abend hat der Mann seinen Maltersack meist gefüllt. Wenn der Sack leer ist weiß ich, sein Tag war trostlos oder hektisch. Am Abend bringt er den Sack wieder zu der morgendlichen Stelle. Ich weiß nicht, wo er ihn abgibt, auf jeden Fall kommt er ohne Maltersack zurück. So geht das jeden Tag. Mich wundert, daß er trotz der schweren Sachen am Abend immer gute Laune hat. Einmal fragte ich ihn nach dem Sack. Er druckste herum, es war ihm peinlich. “Es ist privat” sagte er. Ich blieb vor ihm stehen und schaute ihn wortlos an, solange bis er zu erzählen anfing.
“Ich hole mir jeden Morgen ein Behältnis” begann er. “Ich weiß nicht, was ich bekomme, aber ich freue mich auf diesen Besorgungsgang. Ein großer Maltersack ist schön, ich habe ihn den ganzen Tag dabei. Ich sammle alle Erlebnisse und stecke sie in den Sack. Natürlich kommen die schönen Erlebnisse rein z.B. das Fahrradfahren an der frischen Luft, ein interessantes Gespräch mit Freunden, eine stille Verschnaufpause, das Angesicht eines schönen Menschen. Die schlechten Erlebnisse springen von selbst in den Sack. Sie haben meist Stacheln und scharfe Kanten, die kriegt man nicht mehr aus dem Sack raus. Trotzdem bin ich froh, wenn abends der Sack voll ist.”
Der Mann erzählte, daß er den Sack immer dort abgibt, wo er ihn geholt hat. Es ist eine Stelle am Fluß. Der Inhalt des Sackes wird in den Fluß geschüttet, es ist der Fluß der Erinnerung und des Vergessens, ein breiter tiefer Strom. Jeden Morgen zieht der Mann los und holt sich seinen Sack. Sein Gesicht ist mürrisch, doch das trügt. Im Grunde ist er froh. Er freut sich darauf, jeden neuen Tag Erlebnisse einsammeln zu können. Er hofft, daß er einmal einen Diamanten findet. Faule Äpfel und Hundekot hat er schon zur Genüge.
Nachdem mir der Mann das Geheimnis des Sackes verraten hat bin ich ins Dorf gegangen und habe versucht, die Behältnisse der Bewohner zu sehen. Oberflächlich gesehen fällt nichts auf. Beim näheren Hinsehen merke ich, wie jeder sein Behältnis sorgsam versteckt. Mal unter dem Mantel oder hinter dem Rücken, mal in der Tasche oder in den Schuhen. Den Inhalt aber kann man an dem Gesicht ablesen. Manche Leute scheinen vergessen zu haben den Sack auszuschütten. Das Strahlen oder das grimmige Gesicht, die Lethargie oder Verschlossenheit kann nicht von einem Tage herrühren. Manchmal frage ich, ob ich mal in den Maltersack eines Passanten schauen kann. Und manchmal habe ich Glück und der Angesprochene holt ein Stück heraus. Dann fängt das Erlebte wieder an zu leuchten.
Ich sitze am Morgen beim Frühstück und schaue aus dem Fenster.
Mit welchem Sack wird der Mann wohl heute zurückkommen?
Letztens ging ich spazieren und trat in einen Haufen Hundegold.
Das versaut dermaßen die Schuhe, das kriegst du nicht ab, das bleibt ewig am Hacken kleben. So ähnlich geht’s mir mit dem Zweifel.