Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf im Unterricht -  - E-Book

Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf im Unterricht E-Book

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Beschreibung

Die Umsetzung der Inklusion ist heute eine zentrale Aufgabe für alle Lehrkräfte der verschiedenen Schulformen, so auch für die Grundschule. Die Frage, was Inklusion ist, wurde bereits in verschiedenen Publikationen reflektiert. Deshalb rückt dieses Buch die unterschiedlichen SchülerInnen mit besonderem Förderbedarf im inklusiven Unterricht in den Fokus: SchülerInnen mit Beeinträchtigungen des Lernens, der Kognition, der Sprache, der Motorik, des Hörens, des Sehens und im Verhalten. Diese klassischen Förderbereiche (nach der KMK) werden um die Felder SchülerInnen im Autismus-Spektrum, mit traumatischen Erfahrungen, Rechenstörungen, Migrationshintergrund, psychischen Erkrankungen sowie Komplexbehinderungen erweitert. Die Beiträge weisen eine gleichbleibende Struktur auf: Nach einer Fallgeschichte werden die Ursachen und Folgen der Beeinträchtigungen, die lernpsychologischen und didaktischen Zugänge, die Methoden und Medien sowie entsprechende Beispiele des inklusiven Unterrichts und die möglichen Bildungs- und Erziehungspartnerschaften behandelt.

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Inhalt

Cover

Titelei

Einleitung

Literatur

1 Schüler*innen im Förderschwerpunkt Lernen

1.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit Lernbeeinträchtigungen

1.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen einer Lernbeeinträchtigung

Lernschwierigkeiten

Lernschwächen und Lernstörungen

Lernbehinderung

Sonderpädagogischer Förderbedarf Lernen

1.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

1.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

Stationenbetrieb

Schlüsselhinweise

Gruppenpuzzle

Schlüsselhinweise

1.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Erfahrungsberichte von Lehrkräften

Beziehungsarbeit und Rolle der Lehrkraft

Kommunikation und Klassengemeinschaft

Differenziertes Material und Motivation

Raumgestaltung und Zusammenarbeit

1.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

2 Schüler*innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

2.1 Fallgeschichte eines Schülers mit geistiger Behinderung

2.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen einer geistigen Behinderung

2.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

2.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

2.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern und Lernfeldern des inklusiven Unterrichts

Lernfeld: Lesen und Schreiben

Rechenunterricht

2.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

3 Schüler*innen im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

3.1 Fallgeschichten von Schüler*innen in Not

3.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen beeinträchtigter emotionaler und sozialer Entwicklung

3.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge des inklusiven Unterrichts

3.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

3.5 Beispiele und Ansätze inklusiver Pädagogik und inklusiven Unterrichts

3.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

4 Schüler*innen im Förderschwerpunkt Sprache

4.1 Fallgeschichten von Kindern mit sprachlichen Besonderheiten

4.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen einer Sprachbeeinträchtigung

Die Bedeutung der Sprache

Sprachliche Störungen in der kindlichen Entwicklung

4.3 Lernpsychologische und didaktisch-methodische Zugänge zu Themen des inklusiven Sprachunterrichts

4.4 Methoden und Medien der inklusiven Sprachförderung

4.5 Beispiele und Ansätze zur inklusiven Sprachförderung

4.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

5 Schüler*innen im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung

5.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen

5.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen körperlicher und motorischer Beeinträchtigungen

Motorische Behinderung im engeren Sinn: Körperbehinderung

Motorische Behinderung im weiteren Sinn: motorische Beeinträchtigung

5.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung

5.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

5.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

5.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

6 Schüler*innen im Förderschwerpunkt Hören

6.1 Fallgeschichte eines Schülers mit Hörbeeinträchtigung

6.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen der Hörbeeinträchtigung

6.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

6.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

6.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Sprache

Mathematik

Musik

6.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

7 Schüler*innen im Förderschwerpunkt Sehen

7.1 Fallgeschichte einer Schülerin mit Sehbeeinträchtigung

7.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen der Sehbeeinträchtigung

7.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

7.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

7.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Sport

Sachunterricht

7.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

8 Schüler*innen mit psychischen Erkrankungen

8.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit psychischen Erkrankungen

8.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen psychischer Erkrankungen

Vorbemerkungen

Entwicklungsaspekte bei Mark

Entwicklungsaspekte bei Betty

8.3 Psychisch erkrankte Kinder im (inklusiven) Unterricht

8.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

8.5 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit den Erziehungs- bzw. Personensorgeberechtigten

Literatur

9 Schüler*innen mit Teilleistungsstörungen Schwerpunkt Rechenschwäche

9.1 Fallgeschichte einer Schülerin mit Rechenschwäche

9.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen einer Rechenschwäche

9.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zum Thema Rechenschwäche

9.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

9.5 Beispiele und Ansätze für den inklusiven Unterricht

Spiele im Zahlenraum 10/20

Spiel zur Simultan- und Quasi-Simultanerfassung

Spiele zu Zahlzerlegungen (Teil-Ganzes-Verständnis) im Zahlenraum 10

Spiel im Zahlenraum 100

Spiel im Zahlenraum bis 1000

9.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

10 Schüler*innen im Autismus-Spektrum

10.1 Fallgeschichten von Schüler*innen im Autismus-Spektrum

10.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen von Merkmalen im Autismus-Spektrum

Beschreibung

Ursachen

Folgen

10.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

Vielfältige Möglichkeiten zur Motivation bereitstellen

Mehrere Darbietungsformen zur Verfügung stellen

Vielfältige Möglichkeiten für Handlungen und aktive Beteiligung bereitstellen

10.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

TEACCH

Social Stories

10.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Sportunterricht

Mathematikunterricht

Fremdsprachenunterricht

Musikunterricht

Fazit

10.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

11 Schüler*innen mit traumatischen Erfahrungen

11.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit traumatischen Erfahrungen

11.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen von traumatischen Erfahrungen

11.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

11.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

11.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Biologie/Sachunterricht

Sport

Musische Fächer

11.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

12 Schüler*innen mit Migrations- und Fluchterfahrungen

12.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit Migrations- und Fluchterfahrungen

12.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen von Migrations- und Fluchterfahrungen

12.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

12.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

12.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Kunst

Die Welt der Kreise (vierte bis sechste Klasse)

12.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

13 Schüler*innen mit Komplexbehinderungen

13.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit Komplexbehinderung

13.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen einer Komplexbehinderung

Komplexbehinderung

13.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

13.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

13.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

13.6 Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Erziehungsberechtigten

Literatur

Autor*innenverzeichnis

Die Herausgeber

Dr. Maximilian Buchka ist Professor für Sonder- und Kindheitspädagogik an der Alanus Hochschule in Alfter bei Bonn.

Michael Brockmann, M. A., leitet das Zentrum für Pädagogisch-praktische Studien an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule in Wien/Krems.

Maximilian Buchka,Michael Brockmann (Hrsg.)

Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf im Unterricht

Fallgeschichten – Fachwissen – Impulse für die Grundschulpraxis

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-042152-3

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-042153-0epub: ISBN 978-3-17-042154-7

Einleitung

Maximilian Buchka und Michael Brockmann

Jeder Mensch, mag er sich auch in seiner äußerlichen Gestalt, im psycho-sozialen Verhalten oder in der kognitiven Reife von anderen Menschen unterscheiden, hat das uneingeschränkte ethische Recht auf Achtung seiner Menschenwürde. Er gehört rechtlich und sozial zur Menschengemeinschaft bzw. Gesellschaft und darf daher nicht aus ihrer Mitte ausgeschlossen werden. Nach Speck (2018) ist es eindeutig, dass aus dem ethischen Gut der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft sich für jene die Verpflichtung ergibt, Menschen, die möglicherweise aus dem »Normrahmen« fallen, »mit gleichen Rechten an dieser Gemeinschaft teilhaben zu lassen, um ihnen konkret ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen« (ebd., S. 107).

In der deutschen Rechtsprechung wird diese ethische Aufgabe für die Gesellschaft im dritten Abschnitt des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) vom 27. Dezember 2003 (zuletzt geändert am 7. Mai 2013) unter der Überschrift »Bildung und Teilhabe« geregelt. Darunter werden die Bedarfe nach Bildung von Schüler*innen, die eine allgemeine oder berufsbildende Schule besuchen, erfasst und beschrieben sowie die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen nach Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Weitere Bedarfe von Schüler*innen wie Schulausflüge, eintägige Klassenfahrten, persönliche Schulutensilien, Schulwegbeförderung, ergänzende Lernförderungen zum Zweck der Erreichung des Schulzieles, gemeinschaftliche Mittagsverpflegung werden anerkannt und mitfinanziert ebenso jene zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben, wie z. B. Mitgliedsbeiträge für Sport und Kulturvereine, Musikunterricht oder Ferienfreizeiten (vgl. § 34 SGB XII, in: Nomos-Gesetze 2021).

Das eigentliche Schwerpunktgesetz zur Teilhabe findet sich im neunten Gesetzbuch (SGB IX) mit dem Titel: »Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen«, vom 19. Juni 2001 (zuletzt geändert am 14. Dezember 2013). Hier werden die Teilhabe am Arbeitsleben geregelt sowie allgemeine Leistungen zur Teilhabe und die Sicherung, Koordinierung und Durchführungsbestimmungen der Teilhabe (schwer-)‌behinderter Menschen.

Das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe wird auch in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), ratifiziert durch den deutschen Bundestag (24. Februar 2009), als ein eminent wichtiges beschrieben. Teilhabe ist demzufolge nicht nur ein Dabeisein der Menschen mit Behinderung, sondern die Gesellschaft soll diese auch miteinbeziehen und sie durch schulische Bildung befähigen, ihre Wünsche, Interessen und Belange selbst einzubringen, unabhängig davon, welche Kommunikationswege sie hierfür wählen. Die gesellschaftliche Teilhabe aller ihrer Mitglieder darf von der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr in Frage gestellt werden. Mit den Handlungsbegriffen Integration und Inklusion sollte das auch erreichbar sein.

Für Prof. Dr. Bielefeld ergänzt die UN-BRK nicht nur das Menschenrechtsschutzsystem durch die Aufnahme der Belange behinderter Menschen, sondern gibt auch »wichtige Impulse für eine Weiterentwicklung der Menschenrechtsdiskussion« (zit. n. Ellger-Rüttgardt 2016, S. 33). Unter dieser Vorgabe betont Ellger-Rüttgardt (2016, S. 45): »Inklusion ist ein allumfassendes gesellschaftspolitisches Ziel, das Bereiche wie Kultur, Politik, Bildung, Wirtschaft, Verwaltung, Verbände und Organisationen prägen soll« (ebd. 2016, S. 45).

Das vorliegende Buch setzt an diesem wichtigen Punkt an, indem es Aspekte der Inklusion und Teilhabe darstellt. Es richtet sich in erster Linie an Lehrkräfte der Grundschule und an Studierende des Lehramts für die Primarstufe, aber auch an interessierte Erziehungsberechtigte.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Werks stehen unterschiedliche Schüler*innen mit ihren individuellen Lern- und Bildungsbedürfnissen. Um Grundschul-Lehrkräften einen guten Überblick zu geben, werden in 13 Beiträgen Fallgeschichten mit unterschiedlichen Foki, Erklärungsansätzen und Impulsen für die Unterrichtspraxis dargelegt. Die einzelnen Autor*innen haben langjährige Erfahrungen mit Schüler*innen der jeweiligen Förderschwerpunkte sowohl in der Praxis als auch in der Theorie in Forschung und Lehre.

Die Auswahl der 13 Förderschwerpunkte orientierte sich insbesondere an den Angaben des Deutschen Bildungsrats, denen noch fünf weitere Bereiche hinzugefügt sind, die in der Praxis eine besondere Herausforderung darstellen, wie beispielsweise Komplexbehinderungen.

Das Buch erschließt demnach folgende Themenbereiche:

Schüler*innen im Förderschwerpunkt Lernen

Schüler*innen im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

Schüler*innen im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

Schüler*innen im Förderschwerpunkt Sprache

Schüler*innen im Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung

Schüler*innen im Förderschwerpunkt Hören

Schüler*innen im Förderschwerpunkt Sehen

Schüler*innen mit psychischen Erkrankungen

Schüler*innen mit Teilleistungsstörungen Schwerpunkt Rechenschwäche

Schüler*innen im Autismus-Spektrum

Schüler*innen mit traumatischen Erfahrungen

Schüler*innen mit Migrations- und Fluchterfahrungen

Schüler*innen mit Komplexbehinderungen.

Um den Leser*innen einen inhaltlichen Überblick über die einzelnen Förderbereiche zu erleichtern, sind die einzelnen Beiträge nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Dieses Schema geht auf Gespräche mit Rektor*innen und Lehrer*innen an Grundschulen zurück, die im Vorfeld der Erstellung des Buches mit dem Ziel einer möglichst hohen Praxisorientierung geführt wurden. Die Praktiker*innen wünschten sich:

Erstens: Informationen zu der Art der Beeinträchtigung der betreffenden Schüler*innen und Erklärungsansätze zu den Ursachen und Folgen der Beeinträchtigung.Dies geschieht jeweils in den ersten beiden Unterkapiteln eines Beitrags.

Zweitens: Keine fertigen Unterrichtsentwürfe, aufgrund der Nichtvergleichbarkeit von Klassen und individuellen Gegebenheiten, sondern allgemeine Erklärungen zu

-

lernpsychologischen und didaktischen Zugängen zu Themen des inklusiven Unterrichts,

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Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts.

Drittens: Bezüge und Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Erziehungsberechtigten der Schüler*innen.Diese Hinweise sind in den Beiträgen im letzten Unterkapitel zu finden.

Viertens: Die Zielgruppe wünschte sich eine Liste mit Hinweisen zu spezifischen Einrichtungen, Diensten und Selbsthilfegruppen mit Blick auf die jeweilige Beeinträchtigung.Diese Liste sowie die Literaturangaben zu den einzelnen Themenschwerpunkten finden sich jeweils am Ende des Kapitels.

Die Herausgeber bedanken sich herzlich bei den Rektor*innen und Lehrer*innen, die uns in gemeinsamen Gesprächen wertvolle Anregungen zum strukturellen Aufbau und zur inhaltlichen Gestaltung gegeben haben.

Darüber hinaus danken wir Cornelia Jachmann und ihrer Schwester Katharina Jachmann für ihre gewissenhafte und geduldige Korrekturarbeit.

Köln und Wien im Januar 2024Maximilian Buchka & Michael Brockmann

Literatur

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2011): UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen der Vereinten Nationen über Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland. Stand: August 2011. Online verfügbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/monitoring-stelle-un-brk/die-un-brk, Zugriff am 16. 07. 2023.

Ellger-Rüttgardt, S. L. (2016): Inklusion. Vision und Wirklichkeit. Stuttgart: Kohlhammer.

Nomos Gesetze (2023): Gesetze für die Soziale Arbeit. Textsammlung (13. Auflage). Baden Baden: Nomos.

Speck, O. (2018): Menschen mit geistiger Behinderung. Ein Lehrbuch zur Erziehung und Bildung (13., aktualisierte Auflage). München: Reinhardt.

1 Schüler*innen im Förderschwerpunkt Lernen

Michael Brockmann

Schulisches Lernen und alle Prozesse, die mit diesem zusammenhängen, prägen vielschichtig das (zukünftige) Leben von Schüler*innen. Bereits in der Grundschulzeit beeinflussen zahlreiche Aspekte das Lernen der Schüler*innen aus familiärer, sozialer und schulischer Sicht. Ein besonderer Fokus von Lehrer*innen liegt demnach darauf, die Lernmotivation der Schüler*innen zu stärken, die Lernfreude zu bewahren sowie möglichen Lernschwierigkeiten präventiv vorzubeugen oder, wenn sie bereits aufgetreten sind, die Schüler*innen dabei professionell zu unterstützen und zu fördern. Der folgende Beitrag gibt fachwissenschaftliche und praxisnahe Einblicke – auch mittels Expert*innen-Interviews – in den Bereich der Lernschwierigkeiten im Grundschulalter.

1.1 Fallgeschichten von Schüler*innen mit Lernbeeinträchtigungen

Hannah ist 11 Jahre alt und Schülerin einer vierten Klasse einer Grundschule in Bayern. Ihre Mutter war bei der Geburt von Hannah noch eine Jugendliche. Als Hannah im Säuglingsalter war, konsumierte ihre Mutter Drogen, oft auch im Beisein des Kindes. Hannah hatte in ihren Eltern keine Vorbilder zur Orientierung und lernte keine geregelten Tagesabläufe kennen. Auch regelmäßige Mahlzeiten und eine kindgerechte Versorgung über den Tag waren nur selten gegeben. Sie hatte keinen festen Schlafplatz und eine Struktur durch Regeln und Rituale erhielt sie nur bedingt. Sie erlebte von Geburt an in ihrer Familie Vernachlässigungen und Misshandlungen, dabei stand auch der Verdacht des sexuellen Missbrauchs im Raum. Gegenwärtig lebt Hannah bei Pflegeeltern. Sie hat weiterhin Kontakt zur leiblichen Mutter, den sie sich selbst wünscht. Sie ist in Sorge um ihre leibliche Mutter, zeigt jedoch oft nach Besuchen bei dieser psychosomatische Auffälligkeiten wie Bauchschmerzen, Verspannungen, Durchfall, Schlafstörungen, die so stark sein können, dass Hannah infolgedessen nicht in die Schule kommen kann.

In ihrer Bewegung und ihrer Körperhaltung zeigt Hannah Besonderheiten. Sie hält den Kopf häufig schief und tänzelt mehr, als dass sie geht oder läuft. Es wirkt so, als hätte sie Schwierigkeiten mit dem Gleichgewichtssinn. Sie ist in einer ständigen Unruhe und muss sich bewegen. Hannah neigt dazu, wie ein Kleinkind zu sprechen und ihre Stimme zu verstellen.

In der Schule ist es Hannah wichtig, immer genügend Essen zu haben. Aus Angst, dass sie nichts zu essen bekommen könnte, hat sie unter ihrem Schultisch ein kleines Lager angelegt. Außerdem achtet sie fast zwanghaft darauf, dass alle für sie wichtigen Gegenstände immer in ihrer Nähe sind und von ihr überblickt und kontrolliert werden können. Ist ihr dies nicht möglich, zeigt sie starke Unruhe und weitere Stresssymptome. Es muss alles für eine mögliche »Flucht« geregelt sein. Dieses Verhalten hat einen direkten Einfluss auf ihr Lernverhalten und ihre Konzentrationsspanne.

Einerseits ist ihr Bedürfnis nach körperlicher Nähe, nach einem Miteinander und nach Vorbildern groß, andererseits sucht sie Ruhe und das Alleinsein ohne Störungen von außen. Sie erfährt Akzeptanz bei Ihren Mitschüler*innen, möchte an Gruppenarbeiten aktiv teilnehmen und ihren Beitrag leisten. In der Klasse, im Umgang mit ihren Mitschüler*innen und im schulischen Tagesablauf geben ihr Regeln und Rituale Sicherheit. Bei Auseinandersetzungen und Konflikten ist sie jedoch überfordert, stößt andere vor den Kopf, fängt an zu weinen, zeigt aggressives Verhalten und benötigt Hilfe bei der Klärung. Hannah fühlt sich offenbar minderwertig und zeigt wenig Vertrauen in ihre schulischen Fähigkeiten. Sie geht sogar oft davon aus, dass ihre Arbeitsergebnisse falsch sind und entsprechend fragt sie ihren Lehrer wiederholt bei der Vorlage von bearbeiteten Aufgaben: »Ist das falsch?«

Sie spricht in einfachen Sätzen, oft mit grammatikalischen Fehlern, zudem ist ihre Aussprache undeutlich und verwaschen. Ihr Klassenlehrer beschreibt sie dennoch als wissbegierig. Sie zeigt sich entsprechend bereit, zu lernen, auch rechnet und schreibt sie gerne. Hannah ist ein Kind, das nach Möglichkeit zur Erschließung von Lernprozessen ihre Sinne einsetzt. Zum Beispiel bietet ihr Lehrer verschiedene Materialien zur Visualisierung in der Mathematik an. Versteht sie jedoch Aufgaben nicht, zeigt sie nur eine geringe Frustrationstoleranz. Bleibt der Erfolg aus, lässt sie ihre Aufgaben unvollendet und fängt an, das zu übermalen, was sie aufgeschrieben hat und von dem sie ausgeht, dass es falsch sei. Sowohl für den Lehrer als auch für Hannah ist es möglich, im Lernprozess an ihr bestehendes Wissen anzuknüpfen. Findet sie jedoch keinen Zugang, versucht sie der Lernsituation z. B. durch Toilettengänge zu entgehen. Wird sie in den Situationen, in denen neue Lernangebote bereitgestellt werden, individuell durch den Lehrer begleitet, kann das Verhalten des Ausweichens überwunden werden. Bei Lernprozessen unterstützt es sie, wenn der behandelte Sachverhalt sichtbar gemacht wird. Versteht sie die zu bearbeitende Aufgabe nicht oder falsch und findet sie keinen Zugang, wie z. B. bei Aufgaben in der Mathematik, bei denen auf bestimmte Regeln oder Zuordnungen zurückgegriffen werden muss, zeigt sie sogar aggressives Verhalten. Ihr fällt es schwer, notwendige abstrakte Zusammenhänge zur Bearbeitung verschiedener Aufgabenformate innerlich herzustellen, mit diesen weiterzuarbeiten und sie als ein bestehendes Repertoire zu festigen. Sachverhalte aus einer Metaebene zu betrachten und sich über die gemachten Erkenntnisse auszutauschen, gelingt ihr nur bedingt. Sie lässt sich leicht durch äußere Gegebenheiten ablenken, läuft z. B. zu ihren Mitschüler*innen oder schaut längere Zeit aus dem Fenster. Sich länger auf einen Sachverhalt zu konzentrieren, fällt ihr schwer. Bei Themen, zu denen sie einen emotionalen Zugang hat und eine positive Verbindung besteht, entwickelt sich in Folge leichter ein produktiver Lernprozess. Dies gelingt insbesondere bei ihren Lieblingsthemen Natur und Tiere im Sachunterricht.

1.2 Beschreibungen, Ursachen und Folgen einer Lernbeeinträchtigung

Ein zentraler Aspekt des Unterrichts in der Grundschule ist das gemeinsame Lernen der Schüler*innen im Klassenverband. Es gilt, ansprechende Unterrichtsthemen in den verschiedenen Fächern zu finden und durch das Angebot differenzierter Zugänge und Methoden Lernfreude zu ermöglichen, um eine bewusste, reflexive Einstellung zum eigenen Lernen zu gewinnen sowie die Grundlegung eines lebenslangen Lernens für die Schüler*innen zu schaffen (vgl. KMK 2015, S. 9).

In den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zur Arbeit in der Grundschule, in der Fassung von 2015, wird darüber hinaus die vorhandene Vielfalt als Ausgangspunkt des gemeinsamen Lernens und Lebens benannt. »Bereits erworbene fachliche und methodische sowie soziale und personale Kompetenzen werden weiterentwickelt und bilden die Grundlage, auf der die weiterführenden Schulen aufbauen« (KMK 2015, S. 5).

Lernen wird »als [...] eigenaktive, selbstgesteuerte Tätigkeit in Interaktion mit dem Umfeld in der funktionalen Verbindung von Wissen, Verstehen, Können und Wollen verstanden« (KMK 2019, S. 3 f.).

Somit kann Lernen bezogen auf Schüler*innen als ein individueller Prozess verstanden werden, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Neben der Qualität der Lehr- und Lernumgebung spielen auch die vorangegangenen Lehr- und Lernerfahrungen der Kinder und Jugendlichen, ihre Motivation, ihre Interessensgebiete und die erworbenen Lernstrategien eine entscheidende Rolle. Nach Ehm, Lonnemann und Hasselhorn (2021) lässt sich Lernen im schulischen Kontext aus »zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: aus der des Lernenden und aus der des Lehrenden« (ebd., S. 9). Erst der Perspektivwechsel, die Sicht des Kindes einzunehmen, ermöglicht es, das Kind in seinem Lernen angemessen zu unterstützen (vgl. ebd.). Darüber hinaus hat die Beziehungsgestaltung der Lehrkraft, zum einen bezogen auf die ganze Klasse und zum anderen bezogen auf jedes Kind einen direkten Einfluss auf die Lernentwicklung der Schüler*innen. Daneben jedoch können eine Reihe von Faktoren das Lernen erschweren oder verlangsamen. Deshalb sollen im Folgenden nichtförderliche schulische Lernprozesse ausgehend vom Begriff der Lernschwierigkeit, der als Oberbegriff für die verschiedenen Ausprägungsformen gesehen werden kann, dargestellt werden (vgl. Börnert-Ringleb 2023, S. 13).

Lernschwierigkeiten

»Lernschwierigkeiten sind besondere Schwierigkeiten der Auseinandersetzung mit Lernanforderungen aller Art, die sich in Minderleistungen beim Lesen, in der Rechtschreibung und/oder beim Rechnen niederschlagen« (Gold 2018, S. 10 f.).

Nach Breuer und Weuffen (2006) hängt der Erfolg beim Lernen insbesondere mit Blick auf die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen vom »Wissens- und Kommunikationspotenzial eines Kindes, seine‍[n] intellektuellen Fähigkeiten sowie seine‍[n] sozialen Kompetenzen ab« (S. 9). Es wird davon ausgegangen, dass Entwicklungsprobleme und Lernschwierigkeiten auch von der vorschulischen, individuellen Biografie des Kindes stark beeinflusst werden können. Schwierigkeiten beim Lernen und ein ausbleibender Lernerfolg erzeugen frustrierende Situationen und belasten »zunehmend die gesamte Befindlichkeit der betroffenen Kinder, ihre Lernfreude, Lernaktivität und Einstellung zur Schule« (ebd., S. 11). Außerdem zeigt sich, dass: »Lernschwierigkeiten beim Erwerb der Schriftsprache oder des Rechnens [...] für ca. ein Drittel aller Grundschulkinder zum schulischen Alltag [gehört]. Wenn diese Schwierigkeiten länger andauern, wird von Lernschwächen, Lernstörungen oder Lernbehinderungen gesprochen« (Mähler 2021, S. 217). Die Differenzierung der Schwierigkeiten in drei Dimensionen von Börnert-Ringleb (2023) lässt folgende Unterscheidung der Ausprägungsformen zu: »zeitliche Dimension der Schwierigkeit, Schwere der Schwierigkeiten, Umfang der Schwierigkeiten« (S. 13 f.).

Lernschwächen und Lernstörungen

Lernschwächen werden durch biologische (z. B. Schlaf- und Ernährungsmangel, Konzentrationsschwäche, körperlicher Entwicklungsrückstand), psychische (z. B. Bindungsschwäche, kognitive Beeinträchtigungen, Motivationsschwierigkeiten, traumatische Erfahrungen) und soziale Umstände (geringe Sozial- und Selbstkompetenz, Interaktions- und Kommunikationsschwierigkeiten) hervorgerufen (vgl. Börnert-Ringleb 2023; Kuhn/Vanauer 2023; Przibilla/Linderkamp 2014). Diese Umstände haben einen direkten Einfluss auf das Lernverhalten der Kinder. Sie zeigen sich darin, dass die Schüler*innen in ihrer psychosozialen Entwicklung zurückbleiben und/oder dass sie am Lernprozess der Klasse nicht teilnehmen; nicht, weil Sie nicht wollen, sondern weil ihnen die Zugänge im Augenblick zum Lernprozess entweder teilweise oder ganz verschlossen sind.

Lernstörungen umfassen die »Lese- und Rechtschreibstörung, Isolierte Rechtschreibstörung, Störung des schriftlichen Ausdrucks, Rechenstörung« (ICD-10-GM 2019) und werden über die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10) und den Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) erfasst. Es findet somit eine medizinische bzw. psychologische Zuordnung und Diagnose statt.

»Lernstörungen bezeichnen [...] Minderleistungen beim absichtsvollen Lernen. Sie äußern sich darin, dass das gewünschte Können, Wissen und Verhalten nicht in ausreichender Qualität, nicht in ausreichender Sicherheit sowie nicht in der dafür vorgesehenen Zeit erworben wird« (Lauth/Brunstein/Grünke 2014, S. 17). Sie lassen sich schon nach älteren Beobachtungen (nach Klauer/Lauth 1979) in vorübergehende und überdauernde Störungen unterteilen. Krisenhafte Situationen und/oder besondere Lebensveränderungen können zu einer vorübergehenden Störung führen. Hierzu können z. B. ein »Schul- und Klassenwechsel, Reifungskrisen, Erlebnisstörungen, Neuorientierungen« (ebd., S. 18) gezählt werden. Überdauernde Lernstörungen führen, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, zu Lernrückständen, die sich wie bei einer Verkettung oder Spirale negativ auf die schulische Entwicklung auswirken (vgl. ebd., S. 18 f.).

Lernbehinderung

»Im Gegensatz zur Lernstörung handelt es sich bei der Lernbehinderung nicht um ein klinisch definiertes Phänomen« (Börnert-Ringleb 2023, S. 16).

Nach Koßmann geht es bei der Lernbehinderung um eine schulorganisatorische Kategorie (vgl. 2019, S. 13). Sie wird durch ein Aufnahmeverfahren von Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen, vormals Sonderschulen für Lernbehinderte, festgestellt. Demnach besteht eine Lernbehinderung bei Schüler*innen, »wenn schwerwiegende anhaltende und umfängliche Schwierigkeiten bei der Bewältigung von intellektuellen Leistungsanforderungen festgestellt werden. Die Einschränkungen zeigen sich in erster Linie beim Erwerb kognitiv-verbaler und abstrakter Inhalte (v. a. Lesen, Rechtschreiben, Rechnen)« (Grünke/Grosche 2014, S. 76).

Die Rückstände der betroffenen Schüler*innen beziehen sich auf einen Lernrückstand von »mindestens zwei bis drei Schuljahren, [...] betreffen mehrere Unterrichtsfächer (v. a. Deutsch und Mathematik), [...] stehen im Zusammenhang mit Rückständen in der allgemeinen Intelligenz und [...] und können nicht auf eine Sinnesschädigung zurückgeführt werden« (ebd., S. 77 f.).

Sonderpädagogischer Förderbedarf Lernen

»Ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen besteht, wenn die Lern- und Leistungsausfälle schwerwiegender, umfänglicher und langdauernder Art sind« (Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung AO-FS NRW § 4 Abs. (2), 2005, in Ministerium des Inneren des Landes NRW).

Es gilt wie bei der Lernbehinderung, dass es sich beim Förderbedarf Lernen um eine schuladministrative Entsprechung handelt und keine Erfassung in ICD-10 oder DSM-IV wie bei der Lernstörung erfolgt (vgl. Börnert-Ringleb 2023, S. 16).

Zur gezielten Förderung der Kinder bedarf es einer regelmäßigen diagnostischen Einschätzung. Hier können alltagsintegrierte Beobachtungen im Unterricht, Lernstandsdiagnostiken und weitere Beobachtungs- und Diagnoseverfahren zum Einsatz kommen.

»Schülerinnen und Schüler mit erheblichen Schwierigkeiten im schulischen Lernen weisen in wesentlichen Grunderfahrungen und Grundvoraussetzungen zum Lernen (Vorerfahrungen, Interesse, Antrieb, Neugier, Durchhaltevermögen, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Motorik, sozial-emotionale Dispositionen etc.) sowie bei der Entwicklung von Kompetenzen und Lernstrategien Denk- und Lernmuster auf, die bei der Begegnung und Auseinandersetzung mit schulischen Lerngegenständen zu einer Irritation bzw. Desorientierung führen können« (KMK 2019, S. 5).

Es bedarf daher einer umfassenden Diagnostik mit anschließender Förderung, die auf verschiedene Ebenen abzielen kann. Exemplarisch seien u. a. folgende Bereiche für die Förderung genannt: Wahrnehmung, Motorik, sozial-emotionaler Bereich, Lesen, Rechtschreibung, Rechnen, Denken, Gedächtnis (vgl. Gruber/Ledl/Geiger 2014, S. 221 ff.).

1.3 Lernpsychologische und didaktische Zugänge zu Themen des inklusiven Unterrichts

»In einer inklusiven Schule kommt dem inklusiven Unterricht die Aufgabe zu, alle Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Bedürfnissen in das Unterrichtsgeschehen mit einzubeziehen und dabei von vornherein auf jegliche Form der Aussonderung zu verzichten« (Heimlich 2020, S. 82).

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, bedarf es einer gelingenden inklusiven Didaktik, die drei wesentliche Dinge mit Blick auf das Lernen voraussetzt:

»Lernen lässt sich durch unterschiedliche [...] Entwicklungsmodelle beschreiben, Kinder sind Konstrukteure ihrer Lernentwicklung und Lehrkräfte sind Begleiter der Entwicklung der Lernenden« (Benkmann 2020, S. 64).

Um den Schüler*innen in ihren kognitiven, moralischen und sozialen Entwicklungsprozessen im Bereich des Lernens bestmögliche Begleitung und Förderung zu gewährleisten, gilt es, sich als Lehrkraft mit den Modellen, welche diese Entwicklungsbereiche erfassen, auseinander zu setzen. Die Modelle von Piaget, Selman, Bourdieu und Kohlberg (vgl. ebd., S. 64 ff.) ermöglichen Zuordnungen und Einschätzungen von Schüler*innen bezogen auf die oben genannten Entwicklungsbereiche und sind für das schulische Lernen im inklusiven Unterricht elementar.

Bevor konkrete didaktische Überlegungen zur Gestaltung des Unterrichts getroffen werden können, müssen die Lernvoraussetzung, bezogen auf die einzelnen Schüler*innen und ihre Gruppierungen in der Klasse, sowie die Lernbedingungen der Klasse selbst bekannt und durchdrungen worden sein. Dementsprechend gilt: »Inklusive Didaktik konstituiert sich über einen diagnostischen Blick, der Gemeinsamkeit und Verschiedenheit sowie deren Verflochtenheit im sozialen Feld einer Lerngruppe zu erkunden sucht« (Seitz 2006, o. S.). Erst wenn die Lehrkraft durch entsprechende Beobachtungen im Unterricht und/oder über Beobachtungs- und Diagnoseverfahren sowohl den Entwicklungs- und Lernstand der Kinder als auch die im Zitat benannte Vielfalt erfasst und durchdrungen hat, gelingt es, den Unterricht entsprechend der Bedürfnisse der Klasse und der einzelnen Schüler*innen zu gestalten. Erst dann kann eine »[...] begründete Auswahl von Bildungsinhalten und die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen unter Berücksichtigung der Heterogenität der Lernenden [...]« (Simon/Rödel 2020, o. S.) vorgenommen und »[...] Lern- und Bildungsprozesse durch Differenzierungsmaßnahmen möglichst barrierefrei [...]« (ebd., o. S.) gestaltet werden.

In heterogenen Klassen gilt es, die Balance zwischen individualisierten Angeboten und einem Unterricht in einer inklusiven Klassengemeinschaft, in der das gemeinsame Lernen im Vordergrund steht, herzustellen. »Letzterer Punkt greift die Gefahr von starker Individualisierung auf, die sich zum einen als Gefahr einer sozialen Exklusion im (räumlich) gemeinsamen Unterricht identifizieren lässt, wenn die Idee einer inklusiven Gemeinschaft nicht umgesetzt werden kann« (Porsch/Korff 2023, o. S.).

Je mehr der Lerngenstand für die einzelnen Schüler*innen einen erkennbaren Sinn, bezogen auf deren (individuelle) Interessen und möglichst auch bezogen auf ihre Lebenswirklichkeit, hat, umso mehr kann die Motivation für das Lernen steigen. »Der Gegenstand muss für die Lernenden subjektiven Sinn haben« (Benkmann 2020, S. 67).

Im Idealfall erfährt das Kind im unterrichtlichen Geschehen eine Selbstwirksamkeit in dem Bewusstsein, sich nicht nur neue Lerngegenstände, sondern auch neue Lernprozesse (bzw. -methoden) erschließen zu können. Das Kind kann nach Benkmann als Konstrukteur seiner Lernentwicklung bezeichnet werden (vgl. ebd., S. 67).

Eine besondere Bedeutung fällt der Lehrkraft als Begleiter*in der Lernprozesse der Schüler*innen zu. Die Begleitung der Klasse und von Schüler*innengruppen sowie die Begleitung einzelner Schüler*innen setzt einen gelungenen Beziehungsaufbau mit diesen voraus, welcher durch das

»Interesse

an der Person des Schülers und an seinem Wohlbefinden [...]

für die Interessen der Schüler [...]

für die Entwicklungspotenziale und die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Schüler

für die schulischen und außerschulischen Erfolgs-/Misserfolgsfaktoren im Alltagsleben der Schüler

an stabilen Gruppenprozessen der Schüler im Schulalltag [...]« (Hermann 2019, S. 12)

positiv durch die Lehrkraft gestaltet werden kann.

Die Qualität der Beziehung der Lehrkraft zu den anvertrauten Schüler*innen ist zudem geprägt von der Beziehung der Lehrkraft zu sich selbst in ihrer Entwicklung als Mensch und in der professionellen Rolle als Lehrer*in. Für den gesamten Lernprozess (aber insbesondere auch für den jeweils individuellen Lernprozess der Schüler*innen) ist auch die Beziehung der Lehrkraft zum Lerngegenstand entscheidend. Benkmann (2020) konstatiert in dieser Hinsicht unter Bezugnahme auf Edelstein (1994): »Als Expertin für das Unterrichtsfach hat die Lehrkraft den mit dem Gegenstand verbundenen epistemischen Sinn zu analysieren und zu überlegen, wie sie ihn in die kognitiven Strukturen der Schüler und Schülerinnen einbindet« (Benkmann 2020, S. 68). Die Beziehung zum Lerngegenstand und die lebendige Vermittlung von diesem durch die Lehrkraft kann die Motivation der Schüler*innen positiv beeinflussen.

Neben den genannten zwei Beziehungsebenen ist auch die Beziehung der Kinder untereinander von besonderer Bedeutung. Die Chance, dass Kinder miteinander und voneinander lernen können, hat einen positiven Einfluss auf die Lernmotivation und die gesamte Lernentwicklung. Kinder können sich auf Augenhöhe begegnen und die lernhinderlichen Schwierigkeiten (z. B. Bewertung, Autorität, Macht), die sich in der (Lern-)‌Beziehung zur Lehrkraft zeigen, sind hier nicht gegeben. Auch das Austragen von Konflikten, das Zusammenhandeln und -wirken sowie sich selbst im Miteinander zu erfahren, sind Aspekte, die einen positiven Einfluss auf die soziale Entwicklung der Kinder haben.

»Entwicklungsorientierte Lehrkräfte sollten also dafür sorgen, dass Interaktionen und Beziehungen unter Gleichaltrigen in Unterricht und Schule ermöglicht werden. Für heterogene Lerngruppen mit Kindern aus unterschiedlichen sozialen Herkunftsmilieus ist die Förderung problemhaltiger und kooperativer Prozesse wichtig, um die Entwicklung sozialer, moralischer und kognitiver Kompetenzen aller Kinder zu stimulieren« (Benkmann, S. 68 f.).

Konkret dient auch der »Index für Inklusion« Lehrkräften, anhand der hier bereitgestellten Dimensionen, Bereiche und Indikatoren, den Unterricht kriteriengeleitet inklusiv zu gestalten. So finden sich dort auch alle in diesem Kapitel ausgewählten Aspekte in der »Dimension C: Inklusive Praktiken entwickeln/C2: Das Lernen orchestrieren« (Booth/Ainscow 2019, S. 19 ff.) wieder. Benkmann resümiert mit Bezug zu Rustemeier und Booth (2005): »Der Index für Inklusion [hat] sich als Instrument zur Unterstützung von inklusiven Schulentwicklungsprozessen in den letzten Jahren gleich in mehreren Ländern bewährt [...]« (2020, S. 83).

1.4 Methoden und Medien des inklusiven Unterrichts

In der Vorbereitung und Planung des inklusiven Unterrichts gilt es, neben den Lernvoraussetzungen und Sachinformationen, sowohl didaktische Zugänge festzulegen als auch methodische Entscheidungen zu treffen, aus denen sich die Planung des Stundenablaufs ergibt. Dieses Kapitel beschäftigt sich daher insbesondere mit den Unterrichtsmethoden, die sowohl mit Blick auf die individuelle Situation der Klasse und die jeweiligen Schüler*innen als auch mit Blick auf das aktuelle Unterrichtsthema festgelegt werden. Um die Frage, wozu die Methode im Unterricht dienen soll, sinnvoll beantworten zu können, kann »das Entscheidungsfeld der Unterrichtsmethoden« nach Wiechmann und Wildhirt (2016, S. 18 f.) Verwendung finden. Diese gehen von drei Dimensionen aus: 1) »Die Dimension des Vermittlungsstils – lehrendes vs. entdeckendes Lernen« 2) »Die Dimension der Unterrichtssteuerung – lehrergelenktes vs. schülergelenktes Lernen« und 3) »Die Dimension der Unterrichtsplanung«. Im Folgenden wird folgende Auswahl an Methoden dargestellt, die im inklusiven Unterricht sinnvoll eingesetzt werden können: Stationenbetrieb, Gruppenpuzzle, Projektunterricht.

Stationenbetrieb

Den Schüler*innen der Klasse werden Materialien an verschiedenen Lernstationen zur Bearbeitung zur Verfügung gestellt. Zum einen kann die Anzahl der Lernstationen, je nach Umfang der Lerninhalte, variieren und zum anderen kann, je nach Klassengröße, das Material mehrfach bzw. differenziert nach den Lernvoraussetzungen der Kinder an den Stationen angeboten werden. Sinnvollerweise können die Aufgaben von den Schüler*innen an den Stationen in unterschiedlicher Reihenfolge bearbeitet werden, sodass eine optimale Verteilung der Kinder an den Stationen stattfindet. Die Aufgaben können von Station zu Station ebenfalls einen Unterschied im Schwierigkeitsgrad aufweisen, müssen dies aber nicht. Darüber hinaus können, je nach den Bedürfnissen der Schüler*innen, die Aufgaben so konzipiert werden, dass entweder vielfältige (eigene) Lösungswege entwickelt und gefunden werden oder die Aufgaben einen stärker angeleiteten, vorgebenden Charakter haben. Auch eine Variation der Sozialformen ist möglich. Die Aufgaben an den Stationen können entweder in Einzelarbeit oder in einer Partner*innen-Konstellation bearbeitet werden. Zudem ist es möglich, ausgewählte Aufgaben so zu konzipieren, dass eine Auseinandersetzung im Rahmen einer Gruppenarbeit ermöglicht wird. Dies ermöglicht eine Interaktion zwischen den Kindern und eröffnet den Raum für Gespräche zwischen Kindern – Kinder erklären Kindern Zugänge, Lösungswege und Lösungsalternativen. Vor Beginn wird durch die Lehrkraft entschieden, ob alle Aufgaben vollständig oder nur teilweise (Pflichtaufgaben) in der vorgegebenen Zeit zu bearbeiten sind.

Ausgewählte Kinder können gegebenenfalls auch zu Verantwortlichen (zum Chef bzw. zur Chefin) einer Station benannt werden und bei Fragen oder Unklarheiten beratend für die anderen Kinder tätig sein. Dadurch, dass alle Kinder über die Vielfalt der Aufgaben in einen Lern- und Arbeitsprozess eingebunden sind, besteht für die Lehrkraft die Möglichkeit, einzelne Kinder individuell zu begleiten und zu fördern. Zu beachten ist, dass die formalen und sozialen Voraussetzungen vor dem Einsatz dieser Methode mit den Kindern besprochen und eingeübt werden. »Stationenlernen wird besonders empfohlen zur Vertiefung von Wissen, zur Übung und im Rahmen von fächerübergreifendem Unterricht« (vgl. Methodenkartei der Universität Oldenburg). Dieser methodische Ansatz öffnet den Raum auch für selbstentdeckendes Lernen und gibt durch wiederkehrende Formate Sicherheit im eigenständigen Lernen.

Schlüsselhinweise

Die Fülle der Lerninhalte und das Lerntempo kann von den Schüler*innen selbst festgelegt werden.

Es sind verschiedene Sozialformen für die Bearbeitung möglich. Dadurch erhöhen die Kinder ihre Kommunikations- und Interaktionsfähigkeit.

Die Sozialkompetenz, Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz der Kinder wird gefördert.

Lernschwierigkeiten können kompensiert werden, dadurch bleibt die Motivation bestehen.

Durch die Vielfalt der Aufgaben gibt es für jedes Kind Herausforderungen und Erfolgserlebnisse.

Die Methode lässt eine individuelle Förderung einzelner Kinder zu.

Gruppenpuzzle

Die Unterrichtsmethode Gruppenpuzzle gehört zum Bereich der kooperativen Lernformen, deren Einsatz

»für den inklusiven Unterricht bei Kindern mit Lernschwierigkeiten eine große Chance und eine ebenso große Herausforderung dar‍[stellt]: Das selbstständige Herangehen an Aufgabenstellungen, das eigenständige Bearbeiten von Texten, gegenseitiges Erklären und das Einbringen sozialer Kompetenzen wie Zuhören, Kompromissfähigkeit, Geduld, Hilfeleistung, Perspektivwechsel und Kritikfähigkeit sind zentrale Lernziele bei Schülern mit Lernschwierigkeiten« (Souvignier 2020, S. 159).

Beim Gruppenpuzzle wird im Vorfeld ein zu bearbeitendes Hauptthema festgelegt, welches in mehrere Unterthemen unterteilbar sein muss. Nach einem gemeinsamen Einstieg (erste Phase) werden die Unterthemen zunächst in der zweiten Phase von den Schüler*innen in Einzelarbeit und anschließend in den Gruppenarbeitsphasen in Expert*innen-Gruppen (dritte Phase) bearbeitet bzw. in den Stammgruppen (vierte Phase) präsentiert. Somit muss in der Planung beachtet werden, dass die Unterthemen in der Bearbeitung vom Umfang her ähnlich sind.

»Unerlässlich für den Erfolg des Arbeitsprozesses ist die präzise Vorbereitung des Lernmaterials, das die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern vorgibt. Wichtig ist dabei, die Lernvoraussetzungen möglichst gut zu erfassen und die Lernmaterialien darauf abzustimmen. Ziel ist es, dass zuletzt alle Schülerinnen und Schüler alle Teilthemen beherrschen« (Wildhirt 2016, S. 55).

Abb. 1.1:Phasen des Gruppenpuzzles

In einem ersten Schritt führt die Lehrkraft in die Methode Gruppenpuzzle und deren Besonderheiten ein. »Eine ausschließlich verbale Erläuterung der Methode ist äußerst schwierig! Sie sollte unbedingt auch grafisch unterstützt werden« (ebd., S. 55) (▸ Abb. 1.1). Es können folgende Themen zu Beginn oder den Arbeitsphasen entsprechend begleitend mit der Klasse besprochen werden:

Besonderheiten der Methode,

Arbeitsweise und Arbeitsphasen,

Regelwerk,

Ziel des gemeinsamen Arbeitens,

Ergebnissicherung etc.

»Spannender als ein informierender Einstieg ist es, bereits zu Beginn eine Fragehaltung zu erzeugen, welche die Aufmerksamkeit primär auf die Sache und sekundär auf die Abläufe richtet« (ebd., S. 55). Im gesamten Ablauf kommt der Lehrkraft eine moderierende, begleitende Rolle zu. Ein besonderer Fokus gilt den Übergängen in die jeweils neue Phase (▸ Abb. 1.1). Die Schüler*innen erhalten, neben den Aufgabenstellungen für die einzelnen Arbeitsphasen, auch differenziertes Material, welches zur Bearbeitung der Aufgaben Verwendung findet. Je nach Klassenkonstellation legt die Lehrkraft fest, in welcher Zusammenstellung die Kinder in den einzelnen Gruppen zusammenarbeiten. Nach der Einzelarbeit erschließen sich die Kinder der einzelnen Expert*innengruppen in der zweiten Phase die Themen gemeinsam und tauschen sich unterstützend aus. Fragen können geklärt und bei Bedarf eine individuelle Unterstützung angeboten werden. Im Übergang zur dritten Phase werden die Expert*innengruppen gebildet. »Hierzu werden – falls nicht schon vorher geschehen – Gruppenarbeitsplätze eingerichtet. Alle, die das gleiche Thema bearbeitet haben, versammeln sich nun« (ebd., S. 57). Die Schüler*innen jeder Gruppe erarbeiten nun gemeinsam, wie die Inhalte ihres Themas in den Stammgruppen vermittelt werden sollen. In den Stammgruppen (vgl. Abb. 1.1, vierte Phase) kommt jeweils ein Kind aus jeder Expert*innengruppe zusammen. »Reihum vermitteln die Expertinnen und Experten ihr vorbereitetes Thema« (ebd., S. 58). Für die Schüler*innen sind anschießende Quiz-Fragen zu den vermittelten Inhalten besonders motivierend, die ebenfalls in den Expert*innengruppen erstellt werden können. Abschließend erfolgt in der fünften Phase eine gemeinsame Reflexion mit der Klasse u. a. über den Ablauf der Phasen, über die Inhalte und über mögliche Lösungswege sowie über offen gebliebene Fragen.

Schlüsselhinweise

Die Kommunikationsfähigkeit der Schüler*innen sowie das soziale Miteinander wird gefördert.

Jedes Kind übernimmt eine verantwortungsvolle Position in der Vermittlung von Inhalten.

Der Selbstwert und das Selbstbewusstsein der Schüler*innen wird über die selbstständige Erarbeitung und über den Erfolg bei der Vermittlung der Inhalte gestärkt.

Die Methode lässt eine individuelle Förderung einzelner Kinder zu.

Weiterhin hat sich der Projektunterricht bewährt, da dieser, ähnlich wie bei den beiden vorherigen Methoden, eine Differenzierung und Individualisierung ermöglicht.

1.5 Beispiele und Ansätze zu ausgewählten Fächern des inklusiven Unterrichts

Erfahrungsberichte von Lehrkräften

Die Ausführungen dieses Kapitels basieren auf Expert*innengesprächen mit stellvertretenden Rektor*innen von Grundschulen in Deutschland sowie mit Direktor*innen und Lehrer*innen an Volksschulen in Österreich. Die Gesprächspartner*innen berichten von aktuellen Situationen aus ihrem Unterricht mit Kindern, die Lernschwierigkeiten haben. Somit behandelt dieses Kapitel auch nur selektive Themen, die von den Expert*innen anhand von Beispielen und persönlichen Erfahrungen dargestellt wurden. Zudem besteht als eine weitere Besonderheit, die in den Gesprächen mit den Lehrer*innen herausgestellt wurde, dass die benannten Themen einen generischen Charakter haben. Dies, so die Lehrer*innen, würden sie sich selbst zur Unterstützung sowie für den eigenen Erfahrungsschatz und zur eigenen Erweiterung des Handlungspotenzials als Leser*innen bezogen auf das Thema Kinder mit einer Lernschwierigkeit wünschen. Ihnen gehe es weniger um Unterrichtsplanungen, sondern sehr viel mehr um die Erörterung allgemeiner Themen des Unterrichts, die übertragbar seien. Dementsprechend wird weniger Wert auf spezifische Handlungsvorgaben gelegt, sondern auf unmittelbare Erfahrungen aus der professionellen Arbeit, die als Impulse für den eignen Unterricht und die persönliche Entwicklung als Lehrkraft Anwendung finden können – ungeachtet der Unterrichtsfächer.

Einleitend sind folgende aus den Gesprächen abgeleitete Themen zu nennen:

Beziehungsarbeit und Rolle der Lehrkraft

Kommunikation und Klassengemeinschaft

Material und Motivation

Raumgestaltung und Zusammenarbeit.

Beziehungsarbeit und Rolle der Lehrkraft

Als grundlegend für positive Entwicklungsfortschritte im Unterricht gelten der Beziehungsaufbau und das wachsende Vertrauensverhältnis zwischen der Lehrkraft und dem Kind.

»Deshalb ist für mich, egal welche Schwächen da sind, egal welche Problematik es gibt, [...] der Schlüssel zu all diesen Problemen [...] ist die Beziehungsebene« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Aufgrund des starken Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit und einer damit verbundenen geringen Frustrationstoleranz fordert das Kind ein, gesehen und beachtet zu werden. Es gilt für die Lehrkraft somit, das Verhältnis von Nähe und Distanz taktvoll auszutarieren. Das Vertrauen zur Lehrkraft und ihre Zuwendung zum Kind sind die Basis für alle weiteren Arbeitsschritte. Darüber, dass das Kind spürt, dass es in seinem Sosein angenommen ist, zeigt es eine Bereitschaft und erste Schritte in der Mitarbeit im Unterricht. Es wird sichtbar, dass diese Mitarbeit der Bezugsperson, also der Lehrkraft, zuliebe erfolgt.

»Durch die gute Beziehungsebene will er mir zeigen, was er kann. [...] Er möchte zeigen, dass er viel weiß, dass er mitarbeitet« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Es wird deutlich, dass die Beziehung zur Lehrkraft Ausgangspunkt für alle weiteren Schritte der Entwicklung ist. Dies setzt nicht nur ein hohes soziales, emotionales, menschliches sowie fachliches Potenzial der Lehrkraft voraus, sondern auch die Bereitschaft, in diesen Feldern eine professionelle Selbstreflexion und Psychohygiene zu betreiben sowie sich persönlich weiterzuentwickeln. Das heißt, für den Umgang mit dem Kind bedarf es eines positiven und reflektierten Selbstbildes der Lehrkraft, besonders hinsichtlich der eigenen Selbstwirksamkeit. Die Bereitschaft, sich mit der eigenen Verfasstheit auseinanderzusetzen, das wertfreie Sich-selbst-Annehmen, eine damit verbundene Fehlertoleranz sowie die Kenntnis der eigenen Bedürfnisse, Haltungen und Handlungen stehen hier im Sinne des lebenslangen Lernens im Mittelpunkt und können als Ausgang und Basis für eine gelingende Gestaltung des Unterrichts betrachtet werden. Zudem wirken sich jene Form der Professionalität und Haltung der Lehrkraft, nach Einschätzung der Befragten, vorbildhaft auf die Schüler*innen aus.

Kommunikation und Klassengemeinschaft

Mit Blick auf die Aspekte des Sozial-‍, Arbeits- und Lernverhaltens ist eine eindeutige und differenzierte Kommunikation mit dem Kind erstrebenswert und erleichternd. Es gilt, die Herausforderung anzunehmen und aufzeigen zu können, dass es mit Blick auf das Verhalten des Kindes im Unterricht Grenzen gibt, die einzuhalten und nicht zu überschreiten sind, und gleichzeitig vermitteln zu können, dass das Kind in seiner Person und auch mit seinen Besonderheiten angenommen und wertgeschätzt wird. Um diese Ziele in der Kommunikation zu erfüllen, bedarf es einer kindgerechten, einfühlsamen und klaren Herangehensweise. Über eine vertrauensvolle und klärende Kommunikation können fünf für das Kind erleichternde Aspekte berücksichtigt werden:

a)

das Verständnis des Kindes für sich selbst und seine Situation,

b)

das Verständnis für die Beziehung zur Lehrperson,

c)

das Verständnis für seine Rolle im Unterricht sowie

d)

seinen Mitschüler*innen gegenüber und

e)

im besten Fall ein Verständnis für die Lernsituation in ihrer Ganzheit.

»Bei ihm kann man viel auch auf der Vernunftsebene in Gesprächen [...] klären und er saugt das dann auch auf und versucht das auch umzusetzen« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Eine klare, eindeutige und flexible Kommunikation ist auch in der Vermittlung von Inhalten oder bei Instruktionen von (Arbeits-)‌Aufträgen notwendig. Als Grundlage für einen gelingenden, kindgerechten Vermittlungsprozess sind in diesem Bereich die Beobachtungen der Lehrkraft bezogen auf die Klasse im Ganzen und bezogen auf einzelne Kinder im Speziellen zu sehen. Aufbauend auf der Beziehungsebene ist eine wertschätzende Kommunikation, auch mit Blick auf das Leistungsvermögen des Kindes, ausschlaggebend. Das Anerkennen von Leistung und beispielsweise das Loben für positive Entwicklungsschritte, auch vor der Klasse, stärken den Selbstwert des Kindes und motivieren für eine weitere Mitarbeit. Hier gilt es, ein ausgewogenes Maß zu finden.

»Ich bin stolz auf dich. Das hast du großartig erklärt. Er hat dann auch diese Bühne vor den anderen Kindern. Das heißt, er fällt nicht nur mit Verhaltensmustern auf, die nicht in Ordnung sind, [...] aber dann hat er auch die positive Bestätigung während des Unterrichts, er hat etwas ganz toll gemacht« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Zur Stärkung des sozialen Miteinanders und zur Gestaltung einer förderlichen Lernumgebung gehört auch der gemeinsame Austausch in der Klasse zu annähernd allen Themen, die das Zusammensein ausmachen. So werden auch Verhaltensweisen, gefühls- und emotionsbezogene Themen sowie Lernsituationen etc. von Kindern oder Kindergruppen thematisiert, sodass ein Verständnis und ein Vertrauen untereinander und zueinander geschaffen werden kann. Die Kunst ist es auch hier, eine wertschätzende situations- und kindbezogene Kommunikation zu pflegen, insbesondere auch mit Blick auf Lern- und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern, sodass ein Verständnis füreinander geschaffen werden kann.

»Wenn einer [...] einmal mehr Aufmerksamkeit braucht, dann haben sie auch Verständnis dafür [...]« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

»Emotional und sozial positive wechselseitige Beziehungen sind im Lernen ausschlaggebend, weil die Lernenden nie nur für sich oder den Stoff lernen, sondern immer auch in einer Situation stehen, in der sie einer Lehrperson ihren Mitlernenden wie auch den weiteren Beteiligten im Umfeld verbunden sind« (Reich 2014, S. 67).

Differenziertes Material und Motivation

In einem weiteren Beispiel wird offenbar, dass das Kind mit einer Lernschwierigkeit bei der Einführung neuer Themen im Unterricht, und insbesondere zu Beginn der Beschulung, mit Rückzug reagieren kann.

»Ja, also wo er sich sehr schwer getan hat am Anfang, war das Lesen, das Lesenlernen. Da hat er sich dann eher zurückgezogen und ich habe dann versucht ihn immer wieder zu stärken [...]« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Dabei werden differenzierte (Lern-)‌Angebote und Aufgabenstellungen von Beginn an in verschiedenen Fächern bereitgestellt.

»Die Kinder sind gewöhnt, dass es verschiedene Texte gibt, verschiedene Arbeitsblätter gibt, verschiedene Aufgaben im Buch und daher ist es auch gar kein großes Thema« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Die Kinder sind gewöhnt, differenzierte Angebote zu erhalten. Verschiedene Kinder benötigen verschiedene Zugangswege zu Inhalten des Unterrichts. Wie der Unterricht – auch für Kinder mit einer Lernschwierigkeit –zu gestalten ist, erschließt sich zum einen durch genaue Beobachtungen im Unterricht und zum anderen durch die auf den Beobachtungen aufbauenden gezielten Vorüberlegungen.

»Also, wenn ich das wirklich ernst nehme und mir fünf Stunden am Tag vorstelle [...], dass ich da wirklich dranbleibe, dann braucht es ein schriftlich‍(es) [...] Festhalten von Überlegungen, sonst halte ich es nicht durch. [...] Aus dem Stegreif oder spontan, das ist zu wenig. Das wird nicht funktionieren« (Interview vom 22. 05. 2023 zum Thema Lernschwierigkeiten).

Es gilt, im Vorfeld u. a. verschiedene Fragen zur Vorbereitung (Methodik, Didaktik) zu klären.

Wie wird die Stunde inhaltlich und zeitlich strukturiert?

Welche Methoden, Materialien und Vorgehensweisen kommen für alle oder für ausgewählte Kinder zum Einsatz?

Wie werden den Kindern die Inhalte vermittelt?

Wie drücke ich mich den Kindern gegenüber aus?

Welche Worte wähle ich?

Wie gelingt es, alle Kinder abzuholen, zu motivieren und einzubinden?

Wie können Vorkenntnisse der Kinder aufgegriffen werden?

Wie werden Über- und Unterforderung vermieden?

Wie kann der Lernzuwachs sichtbar gemacht werden?

Wie können die erworbenen Kompetenzen von Kindern selbst erfahren werden (Selbstwirksamkeit)?

Raumgestaltung und Zusammenarbeit