Seaside Hideaway – Unseen - Leonie Lastella - E-Book

Seaside Hideaway – Unseen E-Book

Leonie Lastella

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Beschreibung

Zwischen tödlicher Bedrohung und der ganz großen Liebe Miller liebt es sich mit Partys und Alkohol zu betäuben – dann kann er die schreckliche Nacht in New York für kurze Zeit vergessen. Als er einen Job auf der Tillamook Ranch annimmt, entdeckt er nicht nur seine Leidenschaft für harte körperliche Arbeit, sondern auch seine Gefühle für die junge Farmerin Blake. Aber Miller weiß: Jeder, der ihm zu nahe kommt, schwebt in Gefahr. Trotzdem kann er sich nicht gegen seine Gefühle für Blake wehren. Mit ihr ist er das erste Mal seit Langem wieder glücklich – bis sich seltsame Vorkommnisse mehren. Holt Millers dunkle Vergangenheit ihn doch noch ein? - Eine mitreißende Lovestory voll untergründiger Spannung - Große Themen wie Vertrauen und Misstrauen, Verlust und Neuanfang sowie die Frage nach der eigenen Identität - Zwei Romane, zwei Geschwister, zwei Perspektiven  Alle Bände der ›Seaside Hideaway‹-Reihe: Band 1: Unsafe Band 2: Unseen Die Bände sind nicht unabhängig voneinander lesbar. Von Leonie Lastella außerdem erschienen bei dtv: Das Licht von tausend Sternen, Wenn Liebe eine Farbe hätte, So leise wie ein Sommerregen, Carry me through the night, Kisses in the Snow

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Seitenzahl: 532

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Über das Buch

Seine Vergangenheit: düster.

Seine Zukunft: ungewiss.

Seine Liebe: gefährlich?

 

Miller liebt es, sich mit Partys und Alkohol zu betäuben – dann kann er die schreckliche Nacht in New York für kurze Zeit vergessen. Als er einen Job auf der Tillamook Ranch annimmt, entdeckt er nicht nur seine Leidenschaft für harte körperliche Arbeit, sondern auch seine Gefühle für die junge Farmerin Blake. Aber Miller weiß: Jeder, der ihm zu nahe kommt, schwebt in Gefahr. Trotzdem kann er sich nicht gegen seine Gefühle für Blake wehren. Mit ihr ist er das erste Mal seit Langem wieder glücklich – bis sich seltsame Vorkommnisse mehren. Holt Millers dunkle Vergangenheit ihn doch noch ein?

 

Von Leonie Lastella sind bei dtv außerdem lieferbar:

Das Licht von tausend Sternen

Wenn Liebe eine Farbe hätte

So leise wie ein Sommerregen

Carry me through the night

Seaside Hideaway – Unsafe

Kisses in the Snow (zusammen mit Valentina Fast und Tonia Krüger)

Leonie Lastella

Seaside Hideaway

Unseen Band 2

Roman

Für Louis.

Trust me.

You are perfect. Just the way you are.

1. miller

So eine verfluchte Scheiße! Ich drehe den Schlüssel noch einmal. Als hätte ich das nicht bereits sieben Mal getan. Aber der Motor gibt nur ein ungesundes Geräusch von sich und dann ganz auf. Dampf steigt durch die Ritze der Motorhaube und vermischt sich mit dem Nebel zwischen den Bäumen. Für einen Moment lege ich den Kopf gegen den zerschlissenen Sitz und atme tief durch.

»Du hättest Jax mitnehmen sollen, dann hätten sie dich beim Kauf vielleicht nicht über den Tisch gezogen.« Meine Schwester sieht mich vorwurfsvoll an, weil ich meine letzten Kröten aus New York für einen vom Salzwasser zerfressenen Jeep ausgegeben habe, der uns jetzt mitten im Nirgendwo hängen lässt. Das kann Nevah gut – vorwurfsvoll gucken. Meistens liegt sie damit richtig. Zumindest was mich angeht. Trotzdem macht es mich wütend. So verdammt sauwütend.

»Der Wagen war in einem super Zustand«, knurre ich. Das hat der Käufer zumindest geschworen und ich habe ihm geglaubt. Jetzt ist es kurz nach sechs Uhr morgens, noch dunkel und wir stecken mitten im Tillamook Forest irgendwo zwischen der Küste und Portland fest, was beweist, dass ich ein Idiot bin und der Typ ein verfluchter Lügner. Die Bäume, die die Straße säumen, ragen in die Dunkelheit auf. Sieht aus wie eine Szene aus ›Texas Chainsaw Massacre 2‹. Ich hasse Horrorfilme. Und ich hasse den Tillamook Forest. Jedenfalls jetzt gerade. Weil ich aussteigen und nachsehen muss, ob ich den Jeep wieder zum Laufen bekomme, obwohl ich eine Scheißangst habe. »Fuck.« Ich fahre mir durch die Haare und reiße die Tür auf. Bringt ja nichts, es noch länger hinauszuzögern. Nevah hat Angst vor der Dunkelheit und dazu braucht sie nicht mal diesen Horrorwald, der das Ganze noch schlimmer macht. Da es meine Schuld ist – ihre Angst und dass wir liegen geblieben sind –, werde ich sie bestimmt nicht bitten an meiner Stelle da rauszugehen.

Ich laufe zur Kühlerhaube, versuche dabei, mich nicht panisch umzusehen, öffne sie und ziehe mein Handy aus der Hosentasche, um in den Motorraum zu leuchten. Jede Menge Dreck, Kabel und Schläuche. Keine Ahnung, was ich gehofft habe zu finden. Irgendetwas offensichtlich Loses vielleicht. Aber selbst dann hätte ich nicht gewusst, wie ich es reparieren soll. Ich klappe die Kühlerhaube wieder zu und sehe auf mein Handy. Kein Netz. Großartig. Der dichte Wald schluckt jedes Signal. Und um diese Uhrzeit kommt auch niemand hier lang. Ich werde laufen müssen. Wir werden laufen müssen. Denn ganz sicher trennen wir uns nicht. Immerhin sprechen wir hier von einer Autopanne in einem düsteren Wald, mitten auf einer einsamen Landstraße, ohne jeden Handyempfang.

Ich will gerade zur Beifahrerseite gehen und Nevah sagen, dass sie aussteigen soll, als mich Scheinwerfer blenden. Ich hebe meinen Arm, um das grelle Licht abzuschirmen. Es gibt also doch einen Gott.

Der Wagen hält ein Stück hinter uns, mit laufendem Motor. Aus dem Inneren ist aggressiver Punk zu hören.

Ich hebe die Hand, um zu signalisieren, dass wir Unterstützung brauchen. Aber der Fahrer steigt nicht aus. Warum steigt er nicht aus? Meine Kopfhaut prickelt und mein Herz schreit: »Renn!« Aber mir ist klar, das ist einfach nur irre und zeigt, wie kaputt ich bin. Es geht keine verdammte Gefahr von ihm aus. Keine. Vermutlich ist es nur irgendein Spießer, der sich zu schade ist, sich sein gestärktes Hemd schmutzig zu machen, wenn er mit anpackt. Und selbst wenn der Typ Pennywise höchstpersönlich wäre, wegrennen und Nevah mit ihm allein lassen ist keine Option.

»Alles okay?« Meine Schwester öffnet die Tür einen Spaltbreit und ich sehe Angst in ihren Augen. Natürlich hat sie Angst. Die Situation ist ein Scheißalbtraum in 3-D. Trotzdem nicke ich und garniere das Ganze mit einem zuversichtlichen Lächeln. Das ist das Mindeste, was ich für sie tun kann. Ihr nicht zeigen, wie sehr mich das hier aus der Bahn wirft, wie absolut nicht okay ich bin. »Wir haben Glück. Es hat sich noch jemand um diese Uhrzeit auf den Weg nach Portland gemacht. Vielleicht kann uns der Kerl mitnehmen. Wenigstens bis Hillsboro. Dort gibt es sicher eine Werkstatt.«

Nevah runzelt die Stirn und will aussteigen, aber ich schüttle den Kopf.

»Bleib im Wagen, okay?« Ich warte ihre Antwort nicht ab, schließe die Tür und sehe, wie sie sich auf dem Sitz umdreht, um alles im Blick zu behalten, als ich auf das andere Auto zugehe.

Ich mache ein paar Schritte, bevor ich zögernd am Heck des Jeeps innehalte, weil der Fahrer sich im selben Moment aus dem Wagen schält.

»Hey«, grüße ich. Laut genug, dass er mich über die Beats hinweg hören kann, und hebe die Hand, um ihm zu zeigen, dass ich keine Bedrohung bin. Leichte Beute für jeden Irren, der seine Opfer auf verlassenen Landstraßen sucht. Shit, diese Art des Kopfkinos ist ja wirklich extrem hilfreich. Ich schnaube nervös und würde meinen Gedanken am liebsten den Saft abdrehen. Denn sie geben einfach nicht auf mir einzureden, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Wahrscheinlich weil der Typ nur neben dem Wagen steht und verflucht noch mal nicht antwortet. Er hält den Kopf leicht gesenkt und hat die Kapuze seines Hoodies tief in die Stirn gezogen, sodass ich sein Gesicht nicht erkennen kann. So viel zum Thema gestärktes Hemd. Mein Blick irrt weiter über seine dunkle Jacke, die Jeans bis zu seinen Schuhen. Etwas verknotet sich in mir, schlägt wie ein Granitbrocken in meinem Magen auf. Weil mein Hirn Bilder zusammenfügt, die nicht zusammengehören. Diese Schuhe auf abgewetztem Parkett. In einer Wohnung in Queens. Neben Austins totem Körper.

Reiß dich verdammt noch mal zusammen, Hewitt!

Es funktioniert nicht. Vielleicht weil das nicht mein Name ist. Vielleicht weil es aussichtslos ist, meinen Kopf davon überzeugen zu wollen, dass es bloß stinknormale Sneakers sind, wie sie millionenfach in den USA verkauft werden. Sie sehen nur genauso aus wie in meiner Erinnerung. Ein dummer Zufall. Nicht mehr. Aber mein Kopf glaubt nicht an Zufälle. Und deswegen stehe ich kurz vor einem beschissenen Herzinfarkt.

»Könntest du die Musik ausmachen?«, frage ich gereizt. »Ist echt laut.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln, aber ich bin ziemlich mies darin, so etwas zu faken.

Der Typ hat noch immer nichts gesagt. Aber jetzt macht er einen Schritt auf mich zu. Und obwohl wir dringend Hilfe brauchen, will ich in diesem Moment einfach nur, dass er sich umdreht, in sein Auto steigt und verschwindet. Ich weiß, wie bescheuert das klingt. Er ist unsere einzige Chance, in den nächsten Stunden hier wegzukommen, wenn wir nicht zu Fuß durch den dunklen Wald irren wollen. Angespannt lecke ich mir über die Lippen. »Wir hatten eine Panne.« Ich deute über die Schulter. »Vielleicht könntest du uns bis Hillsboro mitnehmen.« Ich starre auf seine Schuhe. Keine Ahnung, ob ich es schaffe, zwanzig Meilen mit diesen Schuhen in einem Auto zu hocken. Dreck sprenkelt das Weiß. Sieht aus wie Blut.

Ich schließe die Augen. »Wenn du uns einfach bei einer Werkstatt mit Abschleppdienst rauslässt …« Ich klammere mich an der Karosserie meines Verräterwagens fest. Weil die Erinnerungen an mir zerren, mich schwindlig machen. Ich habe das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. »Handyempfang würde auch reichen. Dann rufe ich meinen Dad an und er regelt das.« Ich quatsche. Um mein verfluchtes Leben.

Er verringert die Distanz um weitere zwei Schritte. Scheiße, das ist zu nah. Viel zu nah.

Und dann greift er auch noch in die Innentasche seiner Jacke. So langsam, als hätte jemand den Film auf Zeitlupe gestellt. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Und da ist noch ein Geräusch. Das Dröhnen eines Motors. Ein zweiter Wagen, der auf meiner Höhe zum Stehen kommt. Erleichterung tritt der Panik in den Arsch. Ich spüre die Hitze des Motorblocks, höre das leise Brummen des Leerlaufs, doch ich kann nicht hinsehen. Dann müsste ich den Typen aus den Augen lassen. Und das geht nicht. Ich schaffe es einfach nicht.

Stattdessen starre ich weiter das Auto an, den Kerl, der mir eine Scheißangst macht, einfach weil er unbeweglich neben seinem Wagen steht. Wenn ich mich nicht zusammenreiße, kotze ich. Oder klappe zusammen. Vielleicht beides. Mein Herz hämmert unbeständig und hart gegen meine Rippen.

Aber gerade als ich denke, ich halte die Anspannung nicht mehr aus, wendet der Typ sich plötzlich ab und klettert in sein Auto. Der Motor heult auf und Sekunden später schießt er an den beiden parkenden Wagen vorbei. Ich erkenne den Arches-Steinbogen auf dem Nummernschild, Utahs Wahrzeichen.

»Ist bei euch alles klar?«, fragt die Stimme neben mir.

Ich kenne sie. Wie in Trance drehe ich mich um und erkenne Blake. Stirnrunzelnd stützt sie ihren Arm in das hinuntergelassene Fenster.

»Blake!« Nevah springt aus dem Wagen und umarmt ihre Freundin durch das Fenster. Eine adäquate Reaktion, während ich sie nur anstiere, als hätte ich nicht mehr alle beieinander.

Ihre Augen sind so blau wie das Wasser, das an Oregons Küste schlägt, und sie anzusehen und an die Weite des Ozeans zu denken sorgt irgendwie dafür, dass ich wieder atmen kann, auch wenn mein Puls noch immer rast. Ich sollte vermutlich endlich auf ihre Frage reagieren. Aber die Antwort wäre zumindest in meinem Fall erbärmlich und mein Hirn kriegt es einfach nicht auf die Kette.

»Was machst du hier?«, fragt meine Schwester und tippt mit dem Finger gegen das Logo der Tillamook Ranch auf der Fahrertür des Dodge Pick-ups.

»Ich komme aus Hillsboro. Musste vor der Uni noch Futter holen. Teures Spezialzeug für Moms Stute.« Sie sieht von meiner Schwester zu mir und wieder zurück. »Die viel interessantere Frage ist, was ihr hier macht.«

Nevah verzieht das Gesicht. »Ich hab dir doch von dem Aufbaukurs an der Portland State erzählt. Der beginnt heute.«

Jax’ Eltern wollen, dass er zurück an die Uni in Portland geht. Und da Nevah und er wie siamesische Zwillinge sind, versucht meine Schwester auch einen Platz dort zu bekommen, gemeinsame Wohnung und Poloshirts im Partnerlook inklusive. Ich finde den Plan zum Kotzen.

»Miller wollte mich fahren. Aber wie es aussieht, findet der Kurs ohne mich statt.« Nevah verdreht lächelnd die Augen und deutet auf meinen rostigen Jeep. »Sein tolles neues Spielzeug hat einfach den Geist aufgegeben und dann kam da noch dieser merkwürdige Typ.« Sie schüttelt sich. »Ist der jetzt echt abgehauen? Ziemlich schräg, oder?«, wendet sie sich an mich.

Ich nicke wortlos und glotze Blake an. Weil sie anzusehen dafür sorgt, dass sich mein Puls irgendwo zwischen »normal« und »ich reagier auf sie« einpendelt. Was bedenklich ist, irritierend, aber weit entfernt von Todesangst und damit ein echter Gewinn.

»Gatorade-Killer, bist du noch anwesend?« Blake sieht mich halb besorgt, halb belustigt an und wedelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht.

Wenn es eins gibt, was ich noch weniger will, als in diesem Wald von weißen Sneakers verfolgt zu werden, dann ist das Blake Wyatts Mitleid. »Nee, du redest mit einem verfluchten Hologramm«, knurre ich und klinge wie ein Arschloch.

»Es spricht also doch.« Sie steigt aus dem Pick-up. »Dachte schon, du hättest einen Kurzschluss im System, aber ganz so schlimm kann es ja nicht sein. Immerhin fällt dir noch auf, wie eindimensional du bist.«

Nevah lacht. Ich fasse es nicht. Es ist eine Sache, dass wir ständig miteinander streiten, aber sollte sie als meine Schwester vor anderen nicht loyal sein, verdammt? Ist sie aber nicht. Weil ich ihr höchstpersönlich allen Grund dazu gegeben habe, mich zu hassen. »Wenn ich Taschentücher dabeihätte, würde ich jetzt ganz bestimmt eine Runde weinen«, werfe ich Blake vor die Füße. Ich bin so wütend. Auf mich. Auf meine Schwester. Auf diese ganze beschissene Welt. Nicht auf sie. Aber das macht gerade keinen Unterschied. Ich presse meine Handfläche gegen die Brust, als hätte mich ihr Kommentar tatsächlich mitten ins Herz getroffen. Dabei ist da schon lange nichts mehr, das man treffen könnte.

Blake streicht sich eine Strähne hinters Ohr, die aus ihrem unordentlich geflochtenen Zopf gerutscht ist. Sekundenlang legt sie den Kopf in den Nacken, holt tief Luft, als bräuchte es eine besondere Atemtechnik, um mich nicht zu vierteilen. Im selben Wald wie ich zu stehen scheint eine Zumutung zu sein.

Diese offensichtliche Ablehnung sollte ausreichen, dass ich sie in Ruhe lasse, doch ich kann meinen Blick genauso wenig von ihr losreißen wie damals von Kurt Cobains 1959-Martin-Akustikgitarre, die für über sechs Millionen Dollar verkauft wurde. Keine Ahnung, warum.

»Was hat der Wagen denn für ein Problem?« Die Frage stellt sie Nevah, die gerade zurück auf den Beifahrersitz krabbelt. Nicht mir. Natürlich.

»Mich brauchst du nicht zu fragen.« Meine Schwester zuckt die Schultern. »Ich kann einen Schlüssel umdrehen, aber dann erschöpfen sich meine Kenntnisse über Autos.«

Blake verdreht die Augen und wendet sich seufzend an mich. »Okay, dann geht die Frage eben an dich, Gatorade-Killer: Was fehlt dem Strandbuggy?«

Ich stoße mich vom hinteren Kotflügel ab und verschaffe mir so zwei Sekunden, um klarzukommen, ehe ich antworte. »Vielleicht ist er beleidigt, weil du ihn Strandbuggy nennst.« Ich seufze. Blake ist nicht der Feind. Sie ist unsere Rettung. Und ich sollte dringend aufhören mich wie ein Arsch zu benehmen, sonst lässt sie uns am Ende noch hier stehen. »Er lief einwandfrei und plötzlich hat sich der Motor überhitzt und seitdem geht gar nichts mehr. Keine Chance, ihn wieder in Gang zu kriegen.« Und das gilt nicht nur für den Wagen …

2. blake

Ich trete vor das Auto, öffne die Kühlerhaube und sehe in den Motorraum. Hauptsächlich, um mich von Miller abzulenken. Der Typ bringt mich aus dem Konzept. Und das nicht auf die gute Weise. Ich habe keine Ahnung, wie er es schafft, aber selbst wenn er nur neben mir steht und sich wie jetzt durch die Haare fährt, wollen all die kratzbürstigen Teile in mir aufmarschieren, um ihn zu fragen, ob ein einfacher Motor wirklich eine unlösbare mathematische Gleichung für ihn darstellt. Was natürlich nicht fair ist. Nicht jeder wird mit Maschinen und technischen Geräten auf einer Farm groß.

Die Frage ist, ob ich das sein muss. Fair. Ich meine, er ist der Beachboy-Idiot, Nevahs offensichtlich adoptierter Bruder, so unterschiedlich, wie die beiden sind. Er hat meine Gatorade ausgetrunken und unsere Probierhäppchen vernichtet, als wäre es sein angestammtes Recht, als gehöre ihm die ganze Welt.

Nein, ich muss nicht nett zu ihm sein, nicht fair, ich muss ihn nicht einmal mögen. Oh Mann, und ganz sicher sollte ich nicht darüber nachdenken, dass er verdammt gut aussieht, mit seiner verwaschenen Jeans, dem schlichten grauen Shirt und den Tattoos, die sich darunter hervorschlängeln. »Starte ihn mal«, rufe ich Nevah zu, die im Innenraum sitzt.

Der Motor gibt ein klägliches Quietschen von sich. Mehr nicht. »Da haben wir es.« Ich halte den defekten Kühlwasserschlauch hoch. »Der Motor ist heiß geworden, weil du schon ’ne ganze Weile Kühlwasser verlierst. Hat dir mit Sicherheit die Zylinderkopfdichtung weggehauen. Der fährt nirgendwo mehr hin.« Ich sehe Miller herausfordernd an.

»Und das sagt dir dein Röntgenblick?« Seine Stimme ist dunkel und spöttisch.

Eher die Erfahrungen eines Lebens auf der Ranch, wo ständig Maschinen kaputtgehen. Aber ich werde mich nicht rechtfertigen. Besser ich bringe Nevah, mich und den Sixpack Gatorade auf meiner Rückbank in Sicherheit und rufe einen Abschleppdienst, sobald ich wieder Netz habe. Ich wische mir die Hände an der Jeans ab und will gehen. Wirklich. Doch dann siegt die Neugier und ich drehe mich noch einmal zu ihm um. »Wieso warst du eben so neben der Spur?«

Er starrt mich an, als wäre ich verrückt ihn danach zu fragen. Er hat recht, es geht mich absolut nichts an.

Aber anstatt mir einen Vogel zu zeigen, macht er einen Schritt auf mich zu und kommt mir so nah, dass ich die Wärme seines Körpers spüren kann. Ich sollte ihm sagen, dass er gefälligst Abstand halten soll, ich müsste gehen, etwas tun, aber ich atme nur. Atme seinen Geruch nach Seife und Ozean ein.

»Neben der Spur ist’s ganz schön«, murmelt er. »Solltest du mal ausprobieren.« Er weicht meinem Blick aus. Vielleicht weil seine Augen etwas ganz anderes sagen.

Ich will etwas erwidern. Etwas Schlagfertiges wäre gut, aber stattdessen starre ich wortlos auf die schwarze Tinte auf seiner Haut. Es sind Buchstaben, Formen, die sich von seinem Oberkörper über die Arme bis zu seinen Fingern ausdehnen. Ich strecke die Hand aus und verharre über den Worten Burn to ashes not dust auf seinem Unterarm.

Er zuckt zurück und legt seine Hand über das Tattoo. Er will nicht, dass ich es ansehe. Wow. Das ist so bescheuert. Als hätte er die Dinger nicht, damit man sie bewundert, ihn bewundert. Ich drehe mich um, ignoriere den Kerl und gehe zu Nevah. »Hey, das Ding ist ein Fall für die Werkstatt. Auf die Schnelle ist da nichts zu machen.«

Sie stößt die Luft aus. »Das kommt davon, wenn man keine Ahnung von Autos hat und unbedingt das erstbeste Teil kaufen musste, weil es cool aussieht.« Sie verdreht die Augen. »Kannst du uns vielleicht bis zur Ranch mitnehmen? Dad kann uns da sicher abholen.«

Ich schüttle den Kopf. »Auf keinen Fall.«

Nevah blinzelt erschrocken. Sie denkt, das wäre eine Abfuhr. Das, was ihr Bruder zu viel an Selbstsicherheit abbekommen hat, fehlt ihr leider manchmal. Ich lächle und stoße sie sanft mit dem Ellbogen an.

»Auf keinen Fall nehme ich dich mit zurück. Weil ich dich nämlich zur Portland State bringe, bevor dein superwichtiger Aufbaukurs anfängt.«

»Das wäre …« Sie strahlt, schüttelt aber den Kopf, als sie auf das Display ihres Handys guckt. »Das ist nicht deine Richtung. Du würdest zu viel Zeit verlieren. Immerhin musst du noch das Futter zur Ranch bringen und zur Uni fahren, bevor deine Kurse anfangen. Ich will nicht, dass du meinetwegen zu spät kommst.«

»Wenn überhaupt komme ich wegen deines Gatorade-Killer-Bruders zu spät.« Der immer noch unbeweglich vor dem Motorraum steht. »Wenn du dich von dem traurigen Anblick deines Motors losreißen kannst, fahre ich euch«, rufe ich Miller zu. Irgendwie wäre es mir sehr recht, wenn er Nein sagen würde. Andererseits kann ich ihn auch nicht einfach hier stehen lassen. Das würde vermutlich unter unterlassene Hilfeleistung fallen. Ein State Forest ist für ein Stadtkind wie ihn sicher zu viel Natur. Am Ende wird er noch von einer Ameise gefressen.

»Krieg ich nicht mal zwei Minuten, um zu trauern? Mein Wagen ist gerade gestorben.« Miller knallt die Motorhaube zu und zieht eine Beanie aus seiner Gesäßtasche. Er stülpt sie sich über den Kopf, sodass sein gesamtes Gesicht verdeckt ist, und schiebt sie dann in einer fließenden Bewegung so weit zurück, dass sie perfekt sitzt. Wirklich perfekt. Irgendwie rundet dieses blöde Stückchen Stoff auf seinem Schädel den verwegenen Rockstar-Look so sehr ab, dass ich ihn zwei Atemzüge lang anstarre und erst dann den Blick abwende.

»Okay.« Er kommt auf mich zu und streckt die Hand nach dem Schlüssel aus. »Lass mich fahren. Dann könnt ihr …« Er bricht ab und macht eine diffuse Handbewegung.

»Was?«, frage ich. Was, denkt er, haben Nevah und ich vor? Uns die Haare flechten, die Fingernägel lackieren und wegen Harry Styles ausflippen?

»Ihr könnt … Mädchenkram tun. Und ich bringe euch in der Zwischenzeit nach Portland.« Er legt die flache Hand auf die Beanie und rückt sie zurecht. Soll wohl lässig aussehen. Wirkt aber unsicher und zerstört den perfekten Sitz. Zumindest befindet er sich dank des Spruches und dieser Tatsache auf der Hot-Skala wieder da, wo er hingehört.

»Miller«, stöhnt Nevah und sieht mich entschuldigend an.

»Was, Beauvoir?«

Ich schiebe mich vor Miller, als würde er gar nicht existieren. »Schon gut, du kannst schließlich nichts für deinen Neandertaler-Bruder.« Ist ja nicht so, dass Nevah Einfluss auf ihn hat, nur weil sie genetisch verpflichtet ist ihn zu mögen. Ich nehme den Schlüssel aus meiner Hosentasche und drehe mich zu ihm um. »Ich würde dich nur über meine Leiche hinters Steuer lassen«, sage ich fest. »Denn wenn dir das Karma für den Spruch gerade in den Hintern tritt, will ich nicht, dass mein Auto als Kollateralschaden endet.«

3. miller

Sie riecht nach frisch gemähtem Gras. Und eisblauem Himmel. Das trifft mich völlig unvorbereitet, als Blake an mir vorbeistolziert und in den Wagen steigt. Ich stehe noch immer neben dem Kotflügel und schließe die Augen.

Der Spruch gerade war Scheiße. Nicht das, was ich eigentlich hätte sagen müssen: Lass mich fahren, damit ich etwas zu tun habe und nicht durchdrehe. Damit ich mich an etwas festklammern kann. Selbst wenn es nur ein Lenkrad ist. Damit ich nicht an diese verfluchten Turnschuhe denken muss. An die Angst, die noch immer meine Zellen lahmlegt. Aber mir ist es lieber, sie denkt, ich wäre einer dieser ätzenden Vollidioten, wegen denen es die MeToo-Bewegung gibt, als dass sie mitkriegt, wie kaputt ich bin.

Ich rutsche auf die Rückbank, die ich mir mit einem Sixpack Gatorade und jeder Menge Reese’s-Peanut-Butter-Bar-Papier teile. Ich muss grinsen und dafür ist sie verantwortlich. Wahrscheinlich sollte ich mich bei ihrer Vorliebe für Schokoladenriegel bedanken, aber stattdessen würge ich nur ein sarkastisches »Sieht nach einer ausgewogenen Ernährung aus« hervor und sehe sie herausfordernd an.

Blake wirft mir einen finsteren Blick im Rückspiegel zu. »Schokolade besteht aus Kakao und das ist eine Pflanze. Das ist gesund genug für mich. Auch wenn ich weiß, dass der Anbau nicht besonders nachhaltig ist. Nenn es mein Guilty Pleasure.« Sie wirft sich ihren Zopf über die Schulter und startet den Motor.

»Miller verdrückt dafür bergeweise Speck. Ein echter Arterienkiller«, fällt mir Nevah in den Rücken.

»Immerhin esse ich echte Lebensmittel und ernähre mich nicht nur von Slushys und Proteinpulver wie Jax.« Der Kerl hat wirklich eine Schwäche für merkwürdige Dinge. Und für Sport. Und für meine Schwester. Ich erkenne da ein gewisses Muster.

Eine Weile fahren wir schweigend, bevor Blake Nevah nach dem Kurs an der Uni fragt und damit eine Lawine lostritt. Seit Tagen höre ich nur noch, wie toll der Professor ist, wie interessant das Thema. Qualitäts- und Nachhaltigkeitsmanagement, was in etwa so aufregend ist wie Austins wissenschaftlich null fundierte Monologe über den Marihuana-Anbau, mit denen er mich regelmäßig in den Wahnsinn getrieben hat. Austin. Warum denke ich an ihn? Jetzt? Hier? Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Ich schließe die Augen. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Krampfhaft versuche ich meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Das Surfen mit Jax. Die Liedtexte in meinem abgegriffenen Notizbuch. Marsha und ihre True-Crime-Schwäche, die ich ihr nur verzeihe, weil sie die weltbesten Burger macht. Es funktioniert nicht. Ich sinke. In die Erinnerungen. Die Stimmen von Blake und Nevah klingen plötzlich verzerrt, weit weg. Als würde ich mich am Grund eines Scheißtümpels befinden. Ich kann nicht durch die verdammte Oberfläche stoßen, nicht auftauchen. Weil es fast nichts gibt, was diese Flashbacks beendet. Manchmal hilft Musik. Alkohol und Drogen sind in der Regel ganz brauchbar, wobei das auch schon oft genug nach hinten losgegangen ist. Und ich gebe es ungern zu, aber Sport dreht die Sache eigentlich immer. Allerdings kann ich nichts davon tun, während ich auf Blakes Rückbank hocke. Deswegen kralle ich mich am Sitz fest und tue so, als würde mich das Gespräch total langweilen. Fuck. Ich beiße die Zähne zusammen. Mit einem Ruck, der mir fast die Eingeweide zerfetzt, komme ich auf dem Grund auf. Dielenboden. Kein makellos polierter, wie der zu Hause. Dieser hier sieht aus, als hätte Austin darauf Eishockey gespielt. Mindestens hundert Drittel plus Verlängerung. Mit einem verdammt miesen Puck. Er ist die Art von Mensch, die genau so etwas tut und auf den Rest der Welt scheißt. Die Luft riecht abgestanden. Austin kifft zu viel, räumt zu selten auf und lüftet nie. »Mann, hier drinnen stinkt es, als würde ein Burger in deiner Sofaritze vor sich hin verwesen.« Ich klopfe gegen den Rahmen der Wohnzimmertür, obwohl ich mich längst selbst hereingelassen habe. Der Fernseher läuft, ist aber stumm gestellt. Irgendeine Talkshow, die nicht ohne Sicherheitsleute auskommt. Ohne Ton sieht das Handgemenge albern aus. Austins Handy liegt auf dem Tisch. Daneben eine Bong und mehrere leere Tütchen, in denen sich noch Reste von Gras befinden.

Wieso besteht er darauf, dass ich herkomme, wenn er sich längst weggeballert hat? Ausgerechnet heute, wo ich feiern war und er wusste, ich muss meine Schwester bitten mich zu fahren und dass ich das in etwa so gern tue, wie meinen Kopf in die Mikrowelle zu stecken und Popcorn aus meinen Synapsen zu machen. Wenn er jetzt pennt, trete ich ihm in den Arsch.

»Austin?« Keine Antwort. Ich rufe noch mal. Meine Kopfhaut prickelt. Irgendetwas stimmt nicht. Es ist zu leise. Selbst wenn Austin sich ausgeknockt hat, wäre er bei meinem Geschrei zumindest lange genug wach geworden, um mir zu sagen, dass ich Idiot gefälligst nicht so rumbrüllen soll. Ich starre in den Staub, der im dämmrigen Licht tanzt. So wie ich immer in die Dunkelheit meines Zimmers starre, nachdem Austin mich dazu überredet hat, einen Horrorfilm mit ihm zu gucken. Als würde man die Gefahr besser hören, wenn man genau hinsieht. Ich höre nichts, haste in Richtung Küche und sehe einen Fuß. Mache einen Schritt. Der Fuß hängt an einem verdrehten Bein. Mache einen Schritt. Das Bein gehört Austin. Mache einen Schritt. Sein Körper ist schlaff. Mache noch einen letzten Schritt. Und da ist Blut. Zu viel Blut. Mir wird schlecht.

Ich lasse mich neben ihn fallen, rüttle an seiner Schulter, umfasse Austins Kinn, zerre das Telefon aus meiner Hosentasche. Er atmet nicht. Da ist kein Puls. Nichts. Die Realität schwimmt hin und her. Das Telefon in meiner Hand verblasst. Ich blinzle, drücke zweimal auf den grünen Hörer. Warte, während mein Puls hämmert. So laut, dass es wehtut. Meine Schwester geht ran.

»Miller?«

Ich antworte nicht. Kann nicht. Das hier ist meine Schuld. Allein meine Schuld. Das ist nichts, was ich rückgängig machen kann. Und diese Erkenntnis nimmt mich gnadenlos auseinander.

»Miller.« Nevah klingt genervt. Natürlich. Weil ich sie immer nur dann anrufe, wenn sie etwas für mich tun soll. »Was ist los?«

»Er ist verletzt«, stammle ich. Mein Herz fühlt sich an, als würde es mir die Rippen brechen. »Austin, er … Du musst kommen.« Ich brauche meine Schwester. Ich schaff das nicht allein. »Hilf mir, verdammt … Bitte, hilf mir.« Meine Worte stolpern. Mein Kopf pulsiert. Ich fahre mir über das Gesicht. »Have … Er ist …« Ich spreche das Wort mit den drei Buchstaben nicht aus. Weil es dann wahr wird. Und es darf, darf, darf verdammt noch mal nicht wahr sein. Austin kann nicht tot sein.

Ein Geräusch hinter mir lässt mich zusammenzucken. Meine Schwester kann das unmöglich schon sein. Ich drehe mich um. Mir wird kalt, als ich ihn sehe. Eiswasserkalt.

Er steht im Flur. Ein Typ. Gut aussehend, normal. Und er lächelt. Sieht mich an, den Kopf leicht schräg gelegt und lächelt. Fuck. Gefahr ist unsichtbar, das weiß ich jetzt. Man hört sie auch nicht. Aber man spürt den Moment, in dem sie vor einem steht. Als würde sie in jede Zelle sickern.

»Hey, Mann.« Mein Blick irrt von diesem Lächeln zu seinen Sneakern, während ich instinktiv zurückweiche. Sie sind weiß. Aber besprenkelt. Kein Dreck. Ich starre die feinen Blutschlieren an, schlucke, starre noch immer, sehe, wie er seine Hand ausstreckt. Eine Waffe darin. Und dann drückt er ab.

In der Stille nach dem Knall breitet sich ein statisches Summen aus. Als wäre ein Bienenschwarm in meinem Kopf. Aber er katapultiert mich immerhin zurück in Blakes Pick-up. Ich fahre mir über die linke Brust. Kein Blut. Kein Schmerz, der mich ins Nichts stößt. Der Knall war nur die Beifahrertür. Nevah hat sie zugeschlagen. Sie lehnt am offenen Fenster, bedankt sich bei Blake, während ich versuche nicht ins Auto zu kotzen.

Ich suche nach dem verdammten Griff und drücke die Tür auf, als ich ihn endlich finde. Mit wackligen Knien springe ich auf den Parkplatz der Portland State und sauge gierig frische Luft in meine Lunge. Asphalt. Ich stehe auf rissigem, schmutzigem Asphalt. Kein zerkratztes Parkett. Mir ist noch immer schlecht, aber ich bin erleichtert genug, dass ich es fertigkriege Nevah zuzuwinken und zu lächeln.

Blake starrt mich an. Als ich mich nicht rühre, sondern zurückstiere, schüttelt sie mit einem Schnauben den Kopf. »Was ist, willst du hier campen oder steigst du wieder ein? Wir müssen noch zur Ranch und das Futter abladen, bevor wir zur Uni können. Und es ist schon verdammt spät.« Ihr Blick streift meine zerwühlten Haare, die Autotür. »Sag mal, alles okay?«

Nichts ist okay. Ich bin vollkommen durch. Am liebsten würde ich ihr genau das sagen. Aber ich reiße mich zusammen. »Alles gut«, murmle ich. Geht doch. Ich werfe die hintere Tür zu, gehe zur Beifahrerseite und suche krampfhaft nach einer Erklärung für mein Verhalten. »Ich hatte nur kurz Panik, ob du den Pick-up im Griff hast.« Ich zucke mit den Schultern und lächle schwach.

»Dein Ernst?« Ein Lachen rutscht über ihre Lippen. Vermutlich weil ihr in diesem Moment klar wird, dass ich einen Scherz gemacht habe. Ich bin zwar ein Idiot mit zweifelhaftem Humor, aber kein frauenfeindliches Arschloch.

Ich schiebe mich auf den Sitz und für einen Moment sieht sie mich an, als wollte sie, dass ich mich wieder nach hinten verkrümle. Doch das wird nicht passieren. Die Rückbank befindet sich viel zu nah an zerkratztem Parkett. Und ich werde ganz sicher nicht noch einmal in ihrer Nähe ertrinken.

4. blake

Der Stierkopf, das Emblem der Ranch, und die Buchstaben Tillamook County Ranch sind in das schwere Stück Eichenholz gebrannt, das in etwa acht Fuß Höhe von Schieferpfeilern getragen wird und den Eingang zu unserer Ranch bildet. Die Auffahrt wird von sanft abfallenden Weideflächen gesäumt, die gut eine Meile weiter unten im Tal an das Ranchhaus stoßen. Wie immer, wenn ich durch das Tor fahre, purzeln alle Teile in mir an ihren Platz. Egal was passiert ist, über wen ich mich geärgert habe oder welche Dramen gerade anliegen, es reicht, Ranchboden unter den Reifen zu haben, und alles ist irgendwie gut. Ich sehe kurz zu Miller hinüber. Ist sogar egal ob der Beachboy-Idiot neben mir sitzt.

Der Wind verwirbelt meine Haare und ich atme tief durch. Mein Zuhause riecht nach Gras, Blumen und Erde. Unserer Erde. Ich lächle und versuche zu ignorieren, dass mich Miller deswegen mustert, als hätte ich nicht alle Ponys am Halfter. Aber das funktioniert nicht, denn noch ein Geruch mischt sich mit dem vertrauten. Irgendwie frisch. Irritierend gut. Als hätte jemand den Ozean mit teurer Seife gekreuzt. Miller. Mist. Mir sollte ganz sicher nicht gefallen, wie er riecht. Meine Hand beschreibt Wellen im Fahrtwind und ich summe die Melodie des Countrysongs mit, der aus dem Radio dringt, um mich abzulenken. Der Wagen rumpelt über die Holzbrücke, unter der der Kilchis River entlangführt. Der Fluss teilt die Ranch und ist eine natürliche Wasserquelle für unsere Tiere und Moms halb wilden, quietschbunten Blumengarten, der die Scheunen und Stallungen umgibt. Ein Fünf-Sterne-Zuhause für unsere Bienen, die ihre Miete in süß-aromatischem Naturhonig zahlen.

Ich parke den Wagen dicht neben den flammend lilafarbenen Hortensien. Die mögen die Insekten am liebsten. Vielleicht erbarmt sich ja eine Biene und sticht Miller in seinen selbstgefälligen Hintern.

Das sollte ich mir echt nicht wünschen. Was, wenn der Kerl eine Allergie hat und ich ihn am Ende wiederbeleben muss? Mit einem leisen Stöhnen rutsche ich vom Sitz auf den Kies des Vorplatzes und öffne die Klappe der Ladefläche. Dann ziehe ich den ersten Zwanzigkilosack zu mir und wuchte ihn auf meine Schulter.

Miller steigt aus und mustert mich irritiert. »Warum sagst du denn nichts?« Er deutet auf mich und das Gewicht des Sacks, das auf mir lastet.

Weil ich keinen Typen brauche, um meine Arbeit zu erledigen. Ich puste mir die Haare aus der Stirn. »Ich lade nur eben ab. Ist kein großes Ding«, sage ich. »Warte einfach hier.« Am besten im Wagen. Dann steht er mir nicht im Weg.

Aber Miller hält offenbar wenig von warten. Und noch weniger davon, das möglichst weit weg von mir zu tun. Er zieht ebenfalls einen Sack an den Rand der Ladefläche und hievt ihn hoch. Sieht aus, als hätte er das noch nie gemacht.

»Zu zweit ist es ein noch kleineres Ding«, erwidert er schulterzuckend und kämpft mit seinem Gleichgewicht. Ich könnte ihm sagen, dass es leichter wäre, wenn er den Futtersack nicht vollkommen unpraktisch vor dem Oberkörper balancieren würde, aber ich bleibe stumm.

»Und wo müssen die Drecksdinger jetzt hin?«, ächzt Miller. Ich sollte ihm schnell den Weg zeigen. Sonst bricht er womöglich zusammen und lässt den Sack so fallen, dass er aufplatzt. Was teuer wäre und eine Riesensauerei. Eilig gehe ich vor ihm her zur Scheune, stütze mit einer Hand das Gewicht auf meiner Schulter und schiebe mit der anderen die Seitentür auf. »Komm mit.«

Miller folgt mir ins Innere. Nachdem ich den Sack an der hinteren Wand neben den Futtertonnen abgestellt habe, lässt er seinen danebensinken. Ich sehe ihn prüfend an, weil er seine Schultern kreisen lässt, als hätte er bereits einen ganzen Tag Arbeit auf dem Feld hinter sich. Die Tinte auf seiner Haut tanzt und macht es schwer, die Buchstaben zu entziffern, die sich um seinen Arm schlingen. Miss me, just pick me from your dreams, lese ich. Und umarme mich, als wäre ich real, beende ich das verkürzte Zitat von Charlie Brown, das sich unter dem Arm seines Shirts verliert. Er steht auf die ›Peanuts‹. Das sollte mich nicht beeindrucken. Mein Blick gleitet hinunter über sein Shirt zu der Jeans. Sie sitzt ihm etwas zu tief auf den Hüften und aus der vorderen Tasche ragt ein Smartphone heraus. Es ist irgendein altes Modell, zerkratzt und ein Sprung zieht sich quer über das Display. Offenbar sind Handys nur ein Gebrauchsgegenstand für ihn, kein Statussymbol. Ich hätte ihn eher für die Sorte Mensch gehalten, die 24/7 auf Social Media abhängt und immer den neuesten technischen Schnickschnack besitzt. »Du brauchst das wirklich nicht zu tun«, murmle ich und schiebe mich an ihm vorbei, weil ich Gefahr laufe, nur noch den Beachboy ohne den Idioten in ihm zu sehen.

Er folgt mir, aber setzt sich nicht zurück ins Auto, sondern nimmt mir den Sack aus der Hand, den ich gerade hochwuchten will.

»Ich suche schon eine ganze Weile nach einem Hobby, in dem ich Jax ausstechen kann.« Er grinst. »Und ich glaube kaum, dass unser Mister Supersportler das hier schon mal gemacht hat. Ergo kann er darin nicht besser sein.«

Das bezweifle ich. Jax ist um einiges muskulöser als Miller und durch die Arbeit bei Pete ist er es gewohnt, den ganzen Tag schwere Dinge zu schleppen. Außerdem würde ich auch nicht so weit gehen, Futtersäcke abladen als Hobby zu betrachten. Aber es ist nett, dass er helfen will, deswegen tue ich dasselbe: Ich bin nett und behalte meine Einschätzung für mich.

Ich ziehe die restlichen Futtersäcke an den Rand der Ladefläche und folge Miller mit einem weiteren. In der Tür kommt er mir wieder entgegen. Der Rahmen ist zu schmal, als dass wir zusammen hindurchpassen. Aber anstatt zu warten, legt er mir seine Hand auf die Schulter und schiebt sich so an mir vorbei, dass unsere Körper für den Bruchteil einer Sekunde aneinandergepresst werden.

Ich schnappe leise nach Luft, obwohl der Moment bereits vorbei ist. Alles, was bleibt, ist der Geruch nach Ozean und Seife und ein heißes Ziehen in meinem Unterleib. Shit. Das ist wirklich nichts, was ich will. Immerhin habe ich eine eindeutige Meinung zu Nevahs Bruder.

Ich stelle das Futter ab und gehe dann mit schnellen Schritten nach draußen, um weiterzumachen. Eine Weile schaffen wir schweigend Sack um Sack nach drinnen. Miller sieht aus, als wäre er ziemlich am Ende. Aber er ist stur genug, es bis zum Schluss durchzuziehen. Respekt.

»Das war der letzte.« Miller lässt den Futtersack von seiner Schulter rutschen und stellt ihn vorsichtig gegen die übrigen an der Wand. Er wischt sich die Hände an der Jeans ab und wirkt ruhiger als vorhin. Zufrieden. Seine Mundwinkel ziehen sich sogar ein wenig nach oben. Und dieses halbe Lächeln knallt mitten in meinen Bauch.

Ich schüttle den Kopf. Was ist denn los mit mir?

»Was? War es das etwa noch nicht?«, stöhnt er. Er fährt sich in einer verzweifelten Geste durch die Haare. »Alter, ich krieg jetzt schon einen Muskel-Tyrannosaurus-Rex, aber okay, sag an, was gibt’s noch?«

»Wir sind fertig«, beruhige ich ihn und grinse, weil seine Steigerungsform von einfachem Muskelkater echt kreativ ist.

Draußen nähert sich ein Wagen. Es ist Mom. Das höre ich daran, wie unrund der Motor läuft und – es knallt ohrenbetäubend laut – an den Fehlzündungen. Ich muss das unbedingt reparieren, auch wenn ich keine Ahnung habe, wann ich das neben all den anderen Aufgaben erledigen soll.

Ich atme tief durch. Muss Mom ausgerechnet jetzt auftauchen? Fünf Minuten und wir wären weg gewesen. Fünf Minuten, die uns vor dem Rose-Wyatt-Verkupplungswahnsinn bewahrt hätten, der anspringt, sobald sie ein männliches Wesen in meinem Alter erblickt.

Ich sehe hoch und direkt in Millers Augen. Sie sind weit aufgerissen und so dunkel, dass ich das Gefühl habe hineinzufallen. Wie in ein tiefes, schwarzes Loch. Seine Muskeln zittern und er atmet schwer. Blind stolpert er einen Schritt auf mich zu, greift nach irgendetwas, bekommt mein Shirt an der Schulter zu fassen und schließt seine Faust um den Stoff. Das ist keiner seiner blöden Witze. Er steht völlig neben sich.

Erst kapiere ich nicht, wieso, aber dann dämmert mir, dass es der Knall gewesen sein muss. »Das war nichts. Nur eine Fehlzündung«, murmle ich. So ruhig, wie ich unseren Jungpferden erkläre, dass sie ein Reiter auf ihrem Rücken nicht umbringen wird. Er reagiert gar nicht. Als wäre er schockgefroren. Ich muss etwas tun. Ihm helfen. Weil das das ist, was man tut, wenn jemand neben einem durchdreht. »Das Auto meiner Mom ist noch kaputter als deine Kiste. Das ist alles.«

Er rührt sich nicht, lässt mich nicht los. Sieht aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Und dass er sich mir so zeigt, so verletzlich, verändert etwas. Alles. Es verrückt mein Bild von ihm komplett, berührt mich.

»Hey, es ist alles okay«, flüstere ich und fühle mich machtlos, weil ich nicht weiß, wie ich ihm helfen soll. »Du kannst mich jetzt loslassen.«

Er beißt die Kiefer hart aufeinander, sieht durch mich hindurch in eine Wirklichkeit, die schrecklich sein muss, und ich frage mich, was ihm passiert ist. Wieso ihn eine Fehlzündung so aus der Bahn wirft.

Mit pochendem Herzen schiebe ich meine Hand über seine Faust, umschließe sanft seinen Handrücken. Er reagiert kaum darauf. So erreiche ich ihn nicht.

Wenn er Nevah wäre, Mom oder Jack, der seitdem ich ein kleines Kind bin für uns arbeitet, würde ich ihn in den Arm nehmen. Selbst Jax würde ich so zurückholen. Es bei ihm nicht zu tun, nur weil unser Kennenlernen ziemlich danebenlief, ist bescheuert und unfair. Vorsichtig mache ich einen Schritt auf ihn zu. Das ist keine große Sache. Ich nehme ihn einfach nur in den Arm. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass körperliche Nähe bei Panikattacken hilft, also …

Seine Muskeln zucken vor Anspannung, als ich meine Arme an seinem Shirt entlang den Rücken hinaufschiebe. Sein ganzer Körper versteift sich, was endlich eine Reaktion ist, wenn auch keine gute.

Sekundenlang stehen wir so da. Ich umarme ihn, während er es völlig erstarrt geschehen lässt. Aber dann seufzt er leise und legt die Hand, die nicht mit dem Shirt kämpft, auf meine Taille. Sein Atem verlangsamt sich. Der Herzschlag wird ruhiger. Seine Muskeln entspannen sich.

Und ich wünschte, ich könnte dasselbe tun, aber unter meiner Haut kribbelt Hitze, weil wir uns so nah sind. Er fühlt sich gut an. Fest und stark, obwohl er gar nicht besonders muskulös ist, was mir irgendwie gefällt.

Aber es ist Miller, verdammt. Das hier ist rein therapeutisch. Nicht mehr. Und effektiv, denn es geht ihm besser.

Er lässt mein Shirt los, schluckt, klemmt sich die Lippe zwischen die Zähne und ich kann sehen, dass ihm unangenehm ist, was gerade passiert ist. Doch er entfernt sich nicht von mir, während ich seine Lippe anstarre. Seine Zähne, die sich hineingraben. Seine andere Hand liegt noch immer auf meiner Taille und ich fühle die Wärme seiner Fingerkuppen durch den Stoff.

Unsere Lippen sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Er wirkt erschöpft und gleichzeitig so, als wolle er mich küssen. Um sich abzulenken, um mich von dem Zuviel abzulenken, das ich von ihm gesehen habe.

»Was war das gerade?«, frage ich leise, nur um nicht danach zu fragen, was gerade zwischen uns geschieht. Unser Atem mischt sich.

Miller zuckt die Schultern. Eine halbe, schwache Bewegung, in der so viel Schmerz und Verzweiflung liegen, dass ich alles tun würde, nur damit er etwas anderes fühlt. Sogar meine Lippen auf seine pressen.

»Weiß nicht«, murmelt Miller in diesem Moment und entfernt sich einen Schritt. »Nichts«, schiebt er fast trotzig hinterher und legt sich die Hand in den Nacken, atmet schwer. »Mein Leben besteht einfach fast ausschließlich aus verdammten Montagen, nicht mehr. Ist nicht dein Problem.«

Natürlich ist das mein Problem. Zumindest dann, wenn er sich deswegen an mir festhält und ich mir am Ende ausmale, wie es wäre, ihn zu küssen. »Das Leben ist kein Mittelfinger-Montag, sondern schön«, flüstere ich. Ich höre mich an wie ein wandelnder Kalenderspruch, aber ich will die Verzweiflung aus seinem Blick wischen. Egal wie.

»Klar, ist ein verdammter Sonntagsspaziergang.« Er lacht tonlos. »Im scheiß Jurassic Park.« Kraftlos rutscht seine Hand von meiner Taille. »Okay, hör zu.« Er sieht auf seine Schuhspitzen. »Ich will kein Mitleid von dir. Und ganz sicher kann ich es nicht gebrauchen, dass Nev erfährt, was hier gerade passiert ist. Ich mache alles kaputt. Immer. Aber dieses Mal nicht. Sie ist glücklich und das werde ich auf keinen Fall gefährden. Sie soll sich keine Sorgen machen, weil ich nicht klarkomme.« Er sieht mich eindringlich an. »Könntest du ihr also bitte nichts hiervon erzählen?«

Ist das sein Ernst? »Du hattest eine Panikattacke«, stoße ich hervor. »Meinst du nicht, dass du mit irgendwem darüber reden solltest?« Vielleicht nicht mit mir. Aber Nevah verzeiht ihm ständig jedes noch so idiotische Verhalten. In so einer Situation wäre sie auf jeden Fall für ihn da.

»Ich brauche keine Hilfe. Von niemandem.« Er runzelt die Stirn und seine Kiefer mahlen. »Es geht mir gut.« Seine Stimme ist dunkel. Wie seine Augen. »Es geht mir gut.« Es klingt wie eine Tatsache, aber dass er sich wiederholt, zeigt, es ist keine.

Ganz sicher ist er nicht in Ordnung. Trotzdem nicke ich. Weil ich ihm diesen Gefallen aus irgendeinem Grund tun will. Weil er mir noch immer nah genug ist, dass wir dieselbe Luft atmen, und er mich ansieht wie etwas, das er will. Und weil zu viele Teile von mir in diesem Moment dasselbe empfinden, obwohl ich auf keinen Fall der Rettungsanker für jemanden sein sollte, der nach eigenen Angaben nicht mit seinem Leben klarkommt.

»Ah, hier bist du. Ich habe dich schon überall gesucht.«

Es gelingt mir gerade noch, einen Schritt rückwärts zu machen, bevor Mom um die Ecke biegt. Miller tut dasselbe, vergräbt seine Hände in den Hosentaschen und zieht die Schultern hoch. Wir sehen aus wie das personifizierte Schuldbewusstsein.

Ein Funkeln stiehlt sich in Moms Augen. Natürlich zählt sie eins und eins zusammen. Nur ergibt das bei Miller und mir nun mal nicht zwei. Aber ihr das zu erklären ist zwecklos. Begeistert, dass sie mich mit einem männlichen Wesen allein im Halbdunkel der Futterkammer erwischt hat und dass offenbar doch noch Hoffnung für mein Liebesleben besteht, sieht sie zwischen uns hin und her. »Ich wusste gar nicht, dass du Besuch mitbringst.« Sie lächelt wissend, kommt auf Miller zu und streckt ihm die Hand entgegen. »Ich bin Rose, Blakes Mom. Und du bist …?«

»Zu spät dran«, platzt es aus mir heraus. Auf keinen Fall warte ich, bis Miller seine Hände aus den Taschen befreit hat und in Moms Fänge gerät. Ich liebe sie, doch sie hat ein unglaubliches Talent dafür, mich mit ihren Verkupplungsversuchen in Verlegenheit zu bringen.

»Aber …« Mom sieht enttäuscht aus. Das bin ich: eine ewige Enttäuschung in Sachen Romantik. Allerdings hat Mom genug Enthusiasmus für uns zwei. Und wenn ich es nicht verhindere, wird sie Miller in Rekordzeit zu einem Date mit mir nötigen.

»Viel zu spät«, konkretisiere ich und da Miller nicht reagiert, packe ich seine Hand und ziehe ihn hinter mir her aus der Scheune und zum Wagen. Erst als wir den Truck erreichen, lasse ich ihn los und verschließe die Ladefläche.

Mom ist uns gefolgt. »Wie wäre es, wenn du später zum Dinner vorbeikommst? Ich würde mich sehr freuen«, fügt sie mit einem Augenzwinkern hinzu. Eins muss man ihr lassen. Sie gibt wirklich nie auf.

Aber Miller hat offenbar kapiert, dass Mom eine Gefahr für sein heiliges Party-Singleleben bedeuten könnte, und schüttelt bedauernd den Kopf. »Ich kann leider nicht. Meine Eltern warten nach der Uni auf mich, aber vielen Dank für die Einladung. Hat mich sehr gefreut Sie kennenzulernen.« Die perfekte Schwiegersohnantwort. Wo sind bitte seine Flüche hin, wenn man sie mal braucht?

5. miller

Keine Ahnung, was mich mehr aus der Bahn geworfen hat: der verfluchte Wald, der Flashback in der Futterkammer oder die Tatsache, dass ich mich ausgerechnet an Blake festgeklammert habe, um den Bildern zu entkommen. Ich war am Ertrinken, verdammte Scheiße, und sie die einzige Hilfe weit und breit. Bleibt trotzdem die Frage, wann sie bitte zu einem fucking Rettungsring mutiert ist. Wieso der Moment, in dem sie mich umarmt hat, sich wie der beste Part eines Feuerwerks angefühlt hat. Wie die Pause zwischen zwei Explosionen. In der es absolut still ist und dunkel. Und die Detonation lautlos im tiefen Schwarz nachbebt. Ich wünschte, ich könnte dieses Gefühl als Textzeile in mein Notizbuch schreiben.

In the aftershock you silently become my darkness.

Aber dann würde Blake es sehen und mich fragen, was ich da tue, und ich hätte wie vorhin keine Antwort. Also ziehe ich nur mein Handy aus der Tasche und öffne den Chat der melancholischen Beachboys, um Jax eine Nachricht zu schicken.

Hey, Sadist. Mir ist der Jeep verreckt. Blake hat Nevah nach Portland gefahren und nimmt mich jetzt mit zur Uni. Der Tag war so beschissen, dass selbst mein Essen hochkommt, um ihn zu sehen. Kannst du mich gleich vom TBCC abholen? Miller

Ich lösche meinen Namen und setze stattdessen Dornröschen unter die Nachricht. Dann schicke ich sie ab. Es dauert keine Minute, bis seine Antwort eintrudelt.

Bin in zwanzig Minuten da. Du müsstest noch zu zwei Häusern mitkommen, bei denen ich heute eingeteilt bin, aber nach Feierabend können wir den Rost auf vier Rädern aus dem Wald holen. Bis gleich.

Jax bohrt nicht nach, was passiert ist, obwohl er eigentlich gerade bei der Arbeit ist. Er versucht auch nicht mich dazu zu überreden, mich in meine Kurse zu quälen. Er ist einfach da, weiß, dass ich ihn nicht bitten würde mich abzuholen, wenn es nicht unbedingt nötig wäre. Auf dem Campus sind zu viele Menschen. Zu viele Eindrücke. Zu viel Lärm für meine überreizten Nerven. Mein Kopf bringt mich um. Mit geschlossenen Augen lehne ich mich im Sitz zurück.

»Alles okay?«

Das ist das dritte Mal, dass Blake mich das heute fragt. Als wäre ich irgendein Scheißsozialprojekt. »Ja.« Ich darf nicht Nein sagen. Weil sie mich dann noch ein viertes, fünftes und sechstes Mal fragen wird. Und ich darf mich auch nicht an ihrem Shirt festkrallen, sie nicht umarmen. Ihr nichts erzählen. Rein gar nichts. Niemand darf wissen, warum wir verdammt noch mal hier sind. Es reicht, dass Jax eingeweiht ist und damit tiefer in diesem Dreck drinhängt, als mir lieb ist.

Außerdem ist Blake Nevahs Freundin, keine Ablenkung, die ich von mir stoßen kann, wenn es mir zu eng wird. Was es zu einer echt masochistischen Nummer macht, auch nur zu denken, da könnte mehr zwischen uns passieren. Verdammter Mist, sie denkt, ich wäre ein Idiot ohne Perspektive. Ich halte sie für eine Streberin, die zu viel arbeitet und zu wenig lebt. Und als wären das noch nicht genug Gründe, ist da die winzige Tatsache, dass mein bester Freund sterben musste. Meinetwegen. Da können mir die Anzugträger des Marshals-Services hundertmal sagen, dass die Gefahrenlage für Leute, die mir nahestehen, unter Kontrolle ist, das Risiko, jemanden in mein Leben zu lassen, und sei es nur für Sex, werde ich bestimmt nicht eingehen.

»Wir sind da.« Blake berührt meine Hand. Wie vorhin in der Scheune. Und fuck, das fühlt sich so gut an, dass ich es für den Bruchteil einer Sekunde zulasse, bevor ich die Hand wegziehe und aus dem Wagen steige. Ich lehne mich gegen die Ladefläche und recke das Gesicht in die Sonne.

»Kommst du mit rein oder hast du vor hier Fotosynthese zu betreiben?«

Blakes Lachen zupft an meinen Mundwinkeln. Trotzdem schüttle ich den Kopf. »Ich muss vor meinem Kurs noch in die Bibliothek.« Eine Lüge, aber ich werde ihr ganz sicher nicht stecken, dass ich nicht in der Lage bin dieses Gebäude zu betreten und noch länger zu faken, dass es mir gut geht. Ich stoße mich vom Wagen ab, gehe jedoch nicht. Wieso gehe ich nicht? Wieso mache ich einen verdammten Schritt auf sie zu und komme ihr damit so nah, dass ich ihren Geruch nach Gras und glasklarer Luft einatme?

»Danke fürs Retten heute Morgen und …« Ich deute auf den Pick-up und das TBCC. »… fürs Mithierhernehmen.« Ich fahre mir durch die Haare und strecke ihr die Hand hin. Als wäre ich ein echt schlechter Politiker auf Wahlkampftour. Dabei will ich sie einfach noch mal berühren, will, dass sie die Scheiße in meinem Hirn wie vorhin beiseiteschiebt und … Niemand wird diesen Tag besser machen. Auch nicht Blake. Vor allem nicht Blake. Das ist verrückt. Doch dann schiebt sie ihre Hand in meine und – fuck – das ist besser.

»Kein Ding. Ist doch klar, dass ich Nevah helfe. Sie ist meine Freundin. Bei dir habe ich zwar kurz überlegt, dich einfach dort stehen zu lassen, aber dann hätte dich am Ende noch ’ne Horde Waschbären angefallen. Das Risiko wollte ich nicht eingehen.« Sie zuckt mit den Schultern und grinst.

Das Problem mit Scherzen ist, dass sie immer einen Funken Wahrheit enthalten. Blake hat das nicht für mich getan, sondern für Nevah. Sie hatte keine Wahl, als mich auch mitzunehmen. Nur deswegen stehe ich jetzt hier und nicht mehr auf der Route 6. Und das ist auch der einzige Grund, aus dem sie mir in der Futterscheune geholfen hat. Es ist alles, was sie mit mir verbindet. Gut, dass sie das so sieht. Alles andere würde mich in echte Schwierigkeiten bringen. Also, wieso bin ich dann so verflucht angefressen? So frustriert, dass ich am liebsten etwas kaputt schlagen würde? Ich entziehe ihr meine Hand und will gehen, aber Blake hält mich am Arm zurück und das reicht aus, damit ich stehen bleibe.

»Was passiert jetzt mit deinem Wagen?«, fragt sie und kaut auf ihrer Unterlippe herum. »Ich könnte ihn nach der Uni zur nächsten Werkstatt schleppen, wenn du willst.«

Ich starre auf ihre Lippe, auf die zarte Haut, die sie einsaugt, und will mit dem Daumen über die Stelle streichen. Scheiße, Hewitt, reiß dich zusammen! Wieso bietet Blake überhaupt an mir zu helfen? Muss ihr verfluchtes Pflichtbewusstsein sein. An ihrem Heiligenschein ist bestimmt gerade das Kontrolllämpchen angesprungen. Sie sollte sich wirklich um ihren eigenen Kram kümmern. Ganz sicher nicht um mich. »Jax kommt später«, erwidere ich leise. Keine Lüge. Er müsste in etwa zehn Minuten hier sein. Das läuft definitiv unter später. »Er hilft mir mit dem Jeep. Du bist mich also los.« Ich grinse unverbindlich. Sie muss nicht länger nett zu mir sein.

»Oh, gut.« Sie lächelt und atmet leise aus.

Fuck, sie müsste allerdings auch nicht so eindeutig erleichtert sein. Fühlt sich an wie ein Schlag mit dem Vierkantholz. Aber bevor ich ihr genau das an den Kopf knalle, drehe ich mich lieber um und laufe mit langen Schritten davon.

6. blake

Ich werde einfach nicht schlau aus dem Typen. In einer Sekunde ist Miller so verletzlich, dass er mich damit aus dem Gleichgewicht bringt. Und im nächsten ist er wieder der Beachboy-Idiot, den ich würgen will.

Ich puste mir die Haare aus dem Gesicht und zwinge mich ihm nicht nachzustarren. Ich habe echt keine Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, warum er so merkwürdig ist oder sich ständig betrinkt, was ich zutiefst verabscheue. Oder warum er Drogen nimmt und nichts und niemanden ernst. Am allerwenigsten sich selbst. Im Gegensatz zu ihm habe ich eine ellenlange To-do-Liste auf dem Handy und strukturiere schon das Aufstehen durch, weil ich sonst niemals mein Pensum schaffen würde. Ich kann niemanden gebrauchen, der das durcheinanderbringt. Denn der Tag hat nun mal nur vierundzwanzig Stunden.

Trotzdem sehe ich auf dem Weg zu meinem Kursraum aus dem Fenster des Gangs. Miller sitzt auf dem Kantstein der Parkplatzumrandung und sieht … verloren aus. Eine andere Bezeichnung fällt mir dazu nicht ein. Die Beanie hat er sich so tief ins Gesicht gezogen, dass sie seine Augen verdeckt. Seine Arme umschlingen die Knie und ich habe das unbändige Bedürfnis, zu ihm zu gehen, mich neben ihn zu setzen und seine Hand zu halten. Wie vorhin.

Ich berühre bereits den Türgriff des Seiteneingangs, als Jax’ Pick-up auf den Parkplatz rollt. Er hält neben Miller, der aufspringt, sich die Mütze aus der Stirn schiebt und Jax mit einem Handschlag begrüßt. Sie reden kurz, lachen. Mit der Aussicht aufs Blaumachen scheint es ihm schlagartig blendend zu gehen. Ich kann nicht fassen, dass ich ihn retten wollte und meinen Kurs dafür hintangestellt hätte. Ich setze meine Prioritäten sonst sehr konsequent. Keine Ahnung, wie Miller das einfach aushebelt. Ich sollte gar keinen Gedanken an ihn verschwenden. Niemand wird vom hoffnungslosen Fall, dem seine Zukunft egal ist und der wegen eines einzigen nicht so glatt gelaufenen Morgens schwänzt, zum Traumtypen, nur weil plötzlich das richtige Mädchen auftaucht und einen neuen Menschen aus ihm zaubert.

Das ist vielleicht der Stoff, aus dem Blockbuster gemacht werden und Bücher, aber die Realität sieht anders aus. Sonst wäre Dad keine wandelnde Katastrophe gewesen, sondern ein guter Vater und Ehemann.

Miller ist mittlerweile eingestiegen. Sein Arm hängt an der Beifahrertür hinab. Lässig klopft er dagegen. Wahrscheinlich im Takt irgendwelcher Partymusik. Wie kann ihm nur alles so gleichgültig sein? Ich verdrehe die Augen und schlüpfe gerade noch rechtzeitig vor dem Professor in den Kurs für Agriculture Management und Marketing. Mein üblicher Platz am Fenster ist noch frei. Ich begrüße leise ein paar meiner Kommilitonen, setze mich und breite meine Unterlagen aus.

Professor Auburn geht die Anwesenheitsliste durch und erinnert mich an ein Faultier im Winterschlaf. Kein Wunder, dass wir nicht im Zeitplan liegen. Das stört mich generell und heute noch mehr, weil es meinem Hirn zu viel Zeit lässt zu Miller zurückzukehren.

Das ist total bescheuert. Und irre. Und überflüssig. Total überflüssig. Es gäbe so viel sinnvollere Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen könnte. Warum Regenbogen bei Nacht Mondbogen heißen zum Beispiel. Oder wieso Vampire nicht auch nachts verbrennen. Schließlich reflektiert der Mond auch nur Sonnenlicht. Und was ist eigentlich die perfekte Geschmacksrichtung von Popcorn? Stattdessen grüble ich über der Frage, wieso Miller auf all die privilegierten Voraussetzungen scheißt, die er hat. Seine Schwester würde alles für ihn tun. Eigentlich für jeden. Sie ist die netteste Person auf diesem Planeten. Seine Eltern sind laut Nevah gebildet, liebevoll, zugewandt und stehen immer hinter ihren Kindern. Er hat ein Zuhause und finanzielle Sicherheit. Also, was ist sein Problem? Ich bezweifle, dass es darauf eine Antwort gibt. Ich meine, was war Dads Problem? Er würde behaupten: Mom war es. Ich war es. Die Ranch. Nur dass das nicht wahr ist. Er war das beschissene Problem. Seine Alkoholsucht. Dass er sich nicht helfen lassen wollte. Dass er sich entschieden hat nur das Schlechte zu sehen. Nicht das, was er hatte, uns. Nicht die Chancen und Möglichkeiten.

Ich kann nicht verstehen, wieso er uns nicht lieben konnte. Der Gedanke daran macht mich traurig. Ich wollte ihn hassen. Vor allem dafür, dass er nicht gegangen ist, bevor er fast alles zerstört hatte. Die Ranch. Mom. Mich. Aber alles, was von der anfänglichen Wut übrig ist, ist dieser Druck in meiner Brust, ein Meer aus Gefühlen, das jetzt brachliegt.

Millers Worte schießen mir durch den Kopf. Ich mache alles kaputt. Immer. Wie eine Bombe, die nichts als Asche und Stille hinterlässt. Ich musste schon einmal alles von Grund auf wiederaufbauen. Das ist ganz sicher nichts, was ich wiederholen will, weil ich denselben Fehler mache wie Mom und einem Mann erlaube mein Leben umzupusten.

7. miller

Ich sitze am Pool einer völlig überdimensionierten Villa nördlich von Rockaway Beach. Es gibt niemanden auf diesem Planeten, der zehn Badezimmer und doppelt so viele Schlafzimmer braucht. Meine Beine habe ich ins Wasser des riesigen Pools gehängt. In der Mitte formen dunklere Fliesen auf dem Boden ein Delfinmosaik. Durch die Lichtbrechung wirken die Tiere unförmig. Ich habe die Jeans hochgekrempelt. Trotzdem leckt das Wasser am Stoff und zieht sich feucht immer weiter die Fasern hinauf. Ist pisswarm, deswegen stört es mich nicht.

Jax hantiert hinter mir an einer Palme herum. Mit einem dumpfen Rums schlägt eine Kokosnuss auf dem mit Sand durchsetzten Rasen auf. Dann eine weitere. Rums. Rums. Rums. Klingt wie der Soundtrack meines Lebens.

Jax’ Einsatz soll verhindern, dass die Dinger den Ferienhausbesitzern und deren Gästen auf den Kopf fallen, wenn sie sich ab kommendem Freitag für die letzten schönen Wochen der Saison hier in der Wärme aalen. Ich lege mich auf den Rücken und blinzle gegen die Sonne an. Und gegen die Müdigkeit, die sich nach allem, was heute passiert ist, in mir breitmacht. Fuck. Ich könnte echt eine Runde Schlaf vertragen. Aber da habe ich die Rechnung ohne Jax gemacht.

»Verfall nicht schon wieder in den hundertjährigen Schlaf, Dornröschen. Wir haben zu tun.«

»Sadist«, murmle ich. Gerade so laut, dass er es hört und eine Kokosnuss nach mir wirft. Rums. Das Ding rollt gegen meinen Arm.

»Bewegst du dich jetzt oder muss ich erst noch besser zielen?«

»Hast du nicht gesagt, ich soll verschwinden, solange du an der Scheißpalme herumrüttelst, damit du mir nicht aus Versehen meinen überaus wertvollen Schädel spaltest?«

»Bin längst fertig mit rütteln.« Er klettert von der Leiter. »Was du wüsstest, wenn du nicht melancholisch vor dich hin brüten würdest. Und als wertvoll habe ich die Rübe bestimmt nicht bezeichnet.« Er schlägt mir sanft gegen den Kopf, als ich mich aufgerappelt habe. Das Kinn stützt er nachdenklich auf der zusammengeklappten Leiter auf, während ich die Kokosnüsse aufhebe und in die Schubkarre werfe.

Er denkt darüber nach, wie er mir helfen kann. Nicht mit den Kokosnüssen, da hat er offenbar keine Skrupel, mich die verdammte Arbeit allein machen zu lassen, aber er sieht aus, als würde er ernsthaft darüber nachdenken, mir die Hand zu halten. Das hätte kaum dieselbe Wirkung wie bei Blake und die effektivste Art mir zu helfen war sowieso schon immer, wenn man genau das nicht versucht. »Hör auf mich anzugucken, als hätte die Evolution bei mir Pause gemacht«, knurre ich.

»Würde mir nie einfallen. Hab mich nur gerade gefragt, wie es sein kann, dass du noch immer solche Pommes-Pikser-Ärmchen hast.« Kritisch betrachtet er meinen Oberarm. »Ich meine, es gibt schließlich so etwas wie Muskelgedächtnis. Du hast doch früher geboxt. Müsste da nicht langsam mal was passieren?«

»Das Boxen ist Jahre her.«

»Trotzdem. Wie lange trainieren wir jetzt schon zusammen?«