Seewölfe Paket 1 - Davis J. Harbord - E-Book

Seewölfe Paket 1 E-Book

Davis J. Harbord

0,0

Beschreibung

Die Männer vom Preßkommando der "Marygold" merkten zu spät, auf was sie sich eingelassen hatten, als sie den Mann aus Cornwall vor der Hafenkneipe einkreisten. Und als sie es merkten, war bereits der Teufel los - denn Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, war noch wilder als der Sturm, der gerade über Plymouth hinwegfegte...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 3586

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.ISBN: 978-3-95439-490-6Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nr. 3

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nr. 4

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nr. 5

Kapitel 1

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 6

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nr. 7

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 7/1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nr. 7/2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 7/3

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nr. 8

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nr. 9

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 10

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 11

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nr. 12

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Nr. 13

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 14

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Nr. 15

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 16

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nr. 17

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 18

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 19

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 20

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Der Wind orgelte von Süden heran. Er hatte Sturmstärke und stieß die Wassermassen in den Plymouth Sound, jagte sie vor sich her und schmetterte sie mit ungeheurer Wucht gegen die Hafenbollwerke. Sie ächzten und stöhnten, als litten sie Folterqualen.

Es war eine gespenstische kalte Nacht — eine jener rauhen Nächte im Oktober 1576, in denen die Herbststürme wie entfesselte Reiterscharen über den Atlantik tobten. Und es schien, als hätten sie zum Ziel, diesen lächerlichen Zipfel Cornwall an der südwestlichsten Ecke Englands wie ein dünnes Hemd zu zerfetzen.

Die Leute von Plymouth kannten das. Die Ängstlichen unter ihnen zogen sich die Bettdecke über die Ohren, beteten, bereuten ihre Sünden und lauschten dem Fauchen des Sturms, der durch die engen Häuserzeilen mit den vorgekragten Dächern fegte. Sie kannten diese Stürme — und doch zuckten sie jedesmal zusammen, wenn mit peitschenartigem Knall ein Fensterladen aufsprang und gegen eine Hauswand krachte.

Doch nicht alle zitterten um ihr Leben, nicht alle beteten zu Gott oder verkrochen sich im Bett. Zumindest nicht jene, die dem Teufel schon einige Male ein Ohr abgesegelt hatten und gegen den Wind spuckten, wenn er ihnen zu mickrig erschien.

Philip Hasard Killigrew betete nicht. Im Gegenteil, es war eine Nacht ganz nach seinem Geschmack, und er ließ sich vom Sturm keineswegs in die „Bloody Mary“ wehen.

Diese Kneipe stand unmittelbar an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street, die direkt vor den Great Western Docks zusammenstießen. Natürlich hätte die Schenke auch „St. Mary“ heißen können, denn mit ihrer einen Hälfte bildete sie das südliche Ende der St. Mary Street. Indes war der Großvater von Nathaniel Plymson, dem Wirt der „Bloody Mary“, alles andere als ein frommer Mann gewesen. Böse Zungen behaupteten, der Alte habe an der Küste von Cornwall die Strandräuberei betrieben und mit dem solchermaßen „verdienten“ Geld die „Bloody Mary“ aus der Taufe gehoben.

Sein Enkel Nathaniel hütete das Erbe, das ihm in den feisten Schoß gefallen war. Er scherte sich einen Dreck darum, daß die scheinheiligen Bürger von Plymouth die „Bloody Mary“ als Sündenpfuhl und Lasterhöhle bezeichneten. Für ihn war die „Bloody Mary“ eine wahre Goldgrube.

Hier versoffen die Seeleute ihren letzten Penny samt Hemd und Hose. Und wenn sie wieder aufwachten, war Plymouth samt seiner „Bloody Mary“ nur noch ein ferner Traum hinter der Kimm, und der fette Plymson war wieder einmal um zwei Pfund reicher. Der Jahreslohn eines Zimmermanns, der sich redlich mühte, betrug gerade sieben Pfund. So gesehen kassierte Plymson für den „Verkauf“ eines betrunkenen Seemanns eine horrende Summe. Dazu kamen noch Erlöse für bestimmte Beutewaren, die über oder unter der Theke der „Bloody Mary“ ihren Besitzer wechselten und dank Plymsons Beziehungen über allerlei dunkle Kanäle weiterbefördert und in klingende Münzen verwandelt wurden.

Der Sturmstoß, mit dem Philip Hasard Killigrew in die „Bloody Mary“ platzte, wirkte wie ein brettharter Scheuerlappen, der den Zechern um die jäh geduckten Köpfe geschlagen wurde.

„Tür zu!“ schrie Plymson.

„Ist zu.“

Plymson hielt die ordinäre Schwarzhaarperücke fest, die ihm der Sturmstoß schier von der Glatze gefegt hätte.

Der mumifizierte Stör über dem Tresen schaukelte sanft hin und her. Er war so lang wie ein kräftiger Männerarm und hatte sein Maul weit aufgerissen.

An dem rohen Holztisch hinten im Gewölbe kicherte jemand. Plymson starrte den großen, breitschultrigen Mann, der die Tür verdeckte und grinsend zwei Reihen weißer Zähne zeigte, strafend an.

Philip Hasard Killigrew nahm keine Notiz davon. Sein Gang war wie der einer Wildkatze. Als er an der Theke stand, mußte Plymson den Kopf in den Nacken legen um zu ihm hochzuschauen.

Er blickte in zwei eisblaue Augen.

Es waren junge Augen in einem Gesicht, das Härte verriet und bereits unauslöschlich von Wind, Wetter und Sonne gezeichnet war. Ein junges und doch schon altes Gesicht, braungebrannt und wild.

Über Plymsons Rücken huschte ein kalter Schauer. Aber er hätte nicht Plymson sein dürfen, wenn er nicht bereits im Geist überschlagen hätte, daß dieser gutaussehende Fremde mehr wert war als die üblichen zwei Pfund. Unter Brüdern vielleicht sogar drei Pfund. Seine Finger rückten erregt die schmierige Perücke zurecht.

„Ein wirklich hübsches Exemplar“, sagte Philip Hasard Killigrew.

„Meine Perücke?“ fragte Plymson irritiert.

Killigrew lächelte.

„Die natürlich auch“, sagte er. „Nein, ich meinte den Stör da oben.“

„Ein Erbstück“, sagte Plymson.

Mit einemmal tanzten tausend Teufel in Killigrews eisblauen Augen.

„Die Perücke?“

„Nein, der Stör“, erwiderte Plymson gereizt. „Sieht meine Perücke vielleicht nach einem Erbstück aus?“

Der junge Riese hob die breiten Schultern.

„Ich weiß nicht, wie ein Erbstück aussieht. Mein Alter lebt noch.“

„Wer ist Ihr Alter?“

„John Killigrew.“

Plymson starrte den jungen Mann an. Zwei Männer, die allein an einem Tisch hinter einem Pfeiler saßen, horchten auf.

„Sagten Sie John Killigrew, Sir?“

Der junge Riese nickte gleichgültig.

„John Killigrew aus Falmouth?“ fragte Plymson, der seine Erregung nun kaum noch verbergen konnte. Sein Blick suchte die beiden Männer hinter dem Pfeiler. Er konnte sie sehen, und er wußte, daß ihnen kein Wort der Unterhaltung entging.

Philip Hasard Killigrew sah sie nicht. Er nickte wieder, auch diesmal gleichgültig. Dennoch fragte er sich, was diesen feisten Wirt so heftig erregte. Daß die Killigrews aus Falmouth – voran Sir John – gewinnträchtig zur See fuhren, sollte auch in Plymouth bekannt sein.

„Ich habe da einen spanischen Wein, Sir – mhmm!“ Plymson verdrehte seine wäßrigen Äuglein, die schier im Fett verschwanden, und küßte verzückt die Spitzen seiner kurzen Finger. Dann flüsterte er: „Beuteware. Und umsonst für jeden, der zum erstenmal die ‚Bloody Mary‘ besucht.“

„Süß?“ fragte Philip Hasard Killigrew.

Plymson schien um mindestens zwei Fingerbreiten zu wachsen. Er wischte seine Perückenlocke aus der Stirn und starrte in die eisblauen Augen.

„Süß? So süß wie die Lippen einer feurigen Andalusierin!“

Sehr sachlich fragte Philip Hasard Killigrew: „Woher wissen Sie das?“

„Woher weiß ich was?“ fragte Plymson verdutzt.

„Das mit den feurigen Lippen.“

„Oh“, sagte Plymson und drohte mit dem Finger, „Sie sind ja ein Schelm!“

„Bestimmt“, sagte Philip Hasard Killigrew.

„Nun, das werden Sie bald selbst feststellen“, sagte Plymson bedeutungsvoll. Dann grinste er, und dieses Grinsen gefiel dem jungen Mann plötzlich überhaupt nicht mehr.

Hier war ein Spiel im Gange, bei dem er unvermittelt zur Hauptperson ernannt worden war.

Der Wirt tauchte unter den Tresen und schien in einem Regal herumzugrapschen. Jedenfalls war eine Zeitlang nur sein beschwerliches Ächzen und Schnaufen zu hören. Als er wieder hochkam, schwenkte er eine verstaubte Flasche.

„Dunkel wie eine andalusische Nacht.“ Er schenkte den öligen Wein in einen Zinnbecher.

Von der St.-Andrew-Kirche hallten Glockenschläge durch die Sturmnacht. Im Schankraum war es kühl und so finster, daß man nur wenige Schritte weit sehen konnte.

„Probieren Sie mal, Sir.“

Plymson schob den Zinnbecher über den Schanktisch.

Philip Hasard Killigrew stand ganz still und starrte auf den Becher mit dem rubinroten Wein. Er schien zu überlegen.

„Da fehlt noch ein Becher“, sagte er schließlich, ohne den Kopf zu heben. „Ich möchte mit Ihnen anstoßen.“

Plymson kicherte. „Denken Sie ...“

„Ja“, sagte Philip Hasard Killigrew hart. „Genau das denke ich.“

„Sie sind wirklich ein Schelm, Sir Killigrew.“

„Und was für einer. Den ‚Sir‘ können Sie sich von mir aus sparen.“

Plymson lächelte wie ein Faun und schenkte einen zweiten Zinnbecher voll. Er hob ihn an die Lippen.

„Zum Wohl, Killigrew. Bis zur Neige!“

„Bis zur Neige.“

Sie leerten die Becher, und Plymson schenkte sofort nach. Er blickte nun wieder recht zufrieden drein.

„Ein sehr guter Wein“, sagte Killigrew, „fast zu gut ...“

„Zu gut? Für was zu gut?“

„Für einen Schelm wie mich.“

„Nicht doch“, widersprach Plymson. „Sie sind mein Gast, und es ist mir eine Ehre, meinen besten Wein einem Killigrew anbieten zu dürfen. Setzen Sie sich, und genießen Sie Plymsons ‚Andalusische Nächte‘. Ich habe noch ein paar Flaschen.“

„Vorsichtig“, sagte Philip Hasard Killigrew, „im Saufen war ich noch allemal besser als der alte John.“

„Nur im Saufen?“

„Nein, auch im Entern“, sagte Killigrew, nahm die Flasche und den Becher und tigerte auf einen leerstehenden Tisch in einer Mauernische zu.

Hinter seinem Rücken warf Plymson einen schnellen Blick zu den beiden Männern hinüber, die bei dem Pfeiler saßen. Er nickte ihnen kaum merklich zu und winkte in einer drängenden Geste zur Tür hin. Als sich Killigrew mit dem Rücken zur Wand setzte und zu ihm hinüberschaute, widmete Plymson sich intensiv seiner Nase.

Eine graue Katze strich schnurrend um Killigrews Beine. Er nahm sie auf und streichelte sie. Ihr linkes Ohr war von wilden Kämpfen auf den Dächern von Plymouth zerfleddert und zernarbt. Als er den Zinnbecher vollschenkte, setzte sie mit einem eleganten Sprung auf den Tisch. Sie schnupperte, stellte den Schwanz hoch und tunkte das Mäulchen in den Wein.

„He, he!“ protestierte Philip Hasard Killigrew verblüfft.

Die Katze schlabberte, leckte sich die Barthaare und starrte ihn mit einem rätselhaften Blick an.

„Noch ein Schelm“, sagte Philip Hasard Killigrew.

Sie tranken abwechselnd – die Katze und er. Sie immer nur, wenn er wieder vollgeschenkt hatte.

Plymson hantierte mit Bechern und Flaschen und wischte geschäftig mit einem Lappen über den Schanktisch. Draußen jammerte der Sturm sein Lied. Ganz so wild klang es nicht mehr.

Zwei Männer tauchten hinter einem Pfeiler auf und schlenderten zum Tresen. Der eine hatte einen Ring im linken Ohrläppchen und blickte scheinbar gleichgültig weg, als Philip Hasard Killigrew ihn angrinste. Sie tuschelten mit dem dicken Plymson. Der redete gestenreich mit den Händen, verdrehte die Augen und schob seine Perücke auf der Glatze hin und her. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, blies die dicken Backen auf, pochte auf die Theke und deutete auf seinen Bizeps, auf seine Schultern und tippte sich schließlich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

Verrückt, dachte Philip Hasard Killigrew.

Der Mann neben dem Kerl mit dem Ohrring zog einen Ledersack aus dem Wams und stellte ihn auf den Schanktisch. Dort blieb der Beutel nur ein paar Sekunden stehen, dann hatte ihn der dicke Plymson weggezaubert. Nur ein bißchen geklingelt hatte es – so wie Münzen klingelten.

Die beiden Männer marschierten hintereinander zur Tür, schauten weder nach rechts noch nach links und schon gar nicht zu dem einsamen Zecher mit der Katze. Die Tür prallte ihnen entgegen, und wieder fegte ein Sturmstoß durch die „Bloody Mary“.

Der dicke Plymson watschelte hastig zur Tür und rammte sie hinter den beiden Männern dicht.

Philip Hasard Killigrew schüttelte die Flasche und stellte sie auf den Kopf – leer. Die paar Tropfen leckte die Katze vom Tisch. Sie war putzmunter, streckte den geschmeidigen Rücken und starrte Hasard erwartungsvoll an.

„Du bist dem Suff verfallen“, sagte Hasard zu ihr. „Mal sehen, vielleicht kriegen wir noch eine.

So war es.

Nathaniel Plymson brachte die zweite Flasche.

„Kusch!“ sagte er zu der Katze.

Die fauchte, stellte den Buckel hoch und fegte mit einem Satz unter Hasards Stuhl.

Der dicke Plymson gebärdete sich ziemlich wütend. Seine Wabbelkinns zitterten erregt. Er rückte ganz dicht an Hasards Stuhl und bolzte mit seinem Stiefel nach der Katze.

„Hau ab, du Mistvieh!“

Er roch nach Schweiß, und Hasard drehte seine Nase weg. Weiß der Teufel, er mochte diesen Geruch nicht. Männer, die Angst hatten, rochen wie dieses fette Mastschwein.

Die Katze unter seinem Stuhl fauchte erbittert. Ihre rechte Pfote zuckte hervor, blitzartig und wild, und hieb die gespreizten Krallen mit den winzigen Dolchspitzen in das Hosenbein des Dicken.

Plymson quiekte wie ein Ferkel und sprang zurück. Aus dem zerrissenen Hosenbein sickerte Blut.

„Wer eine Katze tritt, hat selbst schuld“, sagte Hasard und schenkte aus der neuen Flasche Wein in den Zinnbecher.

Nathaniel Plymson wankte zum Tresen zurück. Er jammerte und verschwand durch die Tür, die zur Küche führte.

„Brav“, sagte Hasard, nahm den Zinnbecher, bückte sich und stellte ihn zwischen seine Beine auf den Steinboden.

Das Katzenköpfchen erschien und schlabberte.

Und kurz darauf sank das Katzenköpfchen zur Seite und stieß dabei den Becher um. Der Wein lief blutrot über den Boden. Das Kätzchen schnaufte, rollte sich zusammen und fing tatsächlich an zu schlafen.

Philip Hasard Killigrew runzelte die Stirn und saß ganz still. Er starrte auf das Kätzchen hinunter und dachte, so ist das also. Andalusische Nächte! Na warte, du Bastard!

Er nahm den Zinnbecher auf, schenkte sich einen kleinen Schluck ein und kostete vorsichtig. Der Wein war süffig wie zuvor, und dennoch hatte er jetzt einen kaum wahrnehmbaren bitteren Nachgeschmack.

Hasard stand auf, griff sich Flasche und Becher und schlenderte durch die „Bloody Mary“. Aus der Küche klang die wütende Stimme von Nathaniel Plymson.

Vor einem Tisch hinter dem Pfeiler blieb Hasard stehen und schaute den beiden Männern zu, die miteinander würfelten und abwechselnd den ledernen Becher auf die Tischplatte droschen. Ihre Krüge mit Dünnbier waren leer.

„Verzeihung“, sagte Hasard. „Darf ich mir erlauben, Sie zu einem andalusischen Schluck einzuladen?“

„Was ist denn das?“ fragte der eine. Er sah ziemlich verludert aus, trug einen mehrfach geflickten Kittel, Kniehosen und Stulpenstiefel.

„Spanischer Wein“, sagte Hasard.

„Schenk ein“, sagte der Mann und schob seinen Humpen über den Tisch.

„Mir auch“, sagte der andere, ein dünnes Männchen mit einem Zickenbart. Er sah nicht ganz so verludert aus, trug Schnallenschuhe, zerschlissene Seidenstrümpfe, Kniehose und Wams, den eine schmuddelige Halskrause zierte.

Hasard schenkte ein.

„Wer bist’n du?“ fragte der erste und griff nach dem Humpen.

„König Artus“, sagte Hasard todernst.

Das Männchen mit dem Zickenbart kicherte.

Sein Kumpan riß die Augen auf. „Lebt’n der noch?“

„Er war nie tot“, erwiderte Hasard.

„Was du nicht sagst!“ Der Mann schüttete mit einem gewaltigen Zug den andalusischen Wein in die Kehle. „Ahh!“ Er wischte sich über den Mund. „Der geht einem richtig runter.“

Der Zickenbärtige trank ebenfalls. Hasard drehte sich um und blickte zur Theke. Nathaniel Plymson stand dort. Er hatte sichtliche Mühe, nicht umzufallen. Er hielt sich an der Schanktischkante fest und hatte hervorquellende Augen. Dabei schnappte er nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Hasard grinste ihn freundlich an und wandte sich wieder dem Tisch zu. Der Zickenbärtige schlief bereits. Sein Kopf hing nach rechts. Der andere blickte Hasard aus verträumten Augen an, hatte den Mund halb offen und wurde auf dem Stuhl zusehends kleiner. Dann verdrehte er die Pupillen nach oben und entschlummerte.

„Ts, Ts“, machte Hasard und schritt zum nächsten Tisch.

Der Mann, der dort saß, hatte ein liederliches Frauenzimmer auf dem Schoß und seine Hand dort, wo sie ein Gentleman nicht haben sollte, nämlich bis zum Ellbogen im Halsausschnitt des liederlichen Frauenzimmers.

Hasard war taktvoll genug, ihn nicht zu stören. Vielleicht hatte der Mann dort unten, zwischen, am oder über dem Busen des Frauenzimmers etwas verloren und suchte es jetzt. Das Frauenzimmer schien jedenfalls ob der Suche sehr glücklich zu sein.

Aber da sagte der Mann: „He, Langer! Gibst du uns einen aus?“

„Gern“, erwiderte Hasard.

Zwei Minuten später versteinerte das Paar zu einem schlafenden Denkmal. Es war, als habe sie ein Zauberstab berührt. Die Hand des Mannes, der kein Gentleman war, befand sich immer noch dort, wo sie nicht sein sollte.

Philip Hasard Killigrew schritt zur nächsten Tat, aber da hing der dicke Plymson an seinem Arm und zerrte daran.

„Bitte, Sir, nicht mehr“, sagte er weinerlich.

Hasard wischte die feiste Hand von seinem Arm und schob den Dicken zur Theke zurück. Der Wirt humpelte und hatte einen prächtigen Verband am Bein.

„So, Freundchen“, sagte Hasard und rammte den dicken Plymson gegen die Theke, „jetzt mal heraus mit der Sprache. Wieviel hast du für mich kassiert?“

„Ich – nichts“, stammelte Nathaniel Plymson, „wirklich.“

„Du hast die Wahl“, sagte Hasard mit einer sehr leisen und gefährlichen Stimme. „Entweder rückst du den Ledersack heraus, oder ich stopfe dir deine dreckige Perücke in den Hals. Such’s dir aus.“

„Ogottogott“, jammerte Nathaniel Plymson.

Hasard fackelte nicht lange. Mit einem kurzen Griff schnappte er sich die Perücke des Wirtes.

„Na?“ sagte er.

„Ich – ich hol den Ledersack“, stieß Nathaniel Plymson hervor.

„Wo ist er denn?“

„In – in der Schublade unter dem Schanktisch.“

Hasard umkreiste die Theke, fand die Schublade, öffnete sie und holte den Ledersack heraus. Er steckte ihn ein und warf dem Dicken die Perücke zu.

„Nun weiter“, sagte er mit seiner leisen, gefährlichen Stimme. „Angenommen, ich schliefe jetzt. Wie sollte die Sache weitergehen?“

Nathaniel Plymson schluckte. Er schien plötzlich eine dicke Kröte in seinem Hals zu haben. Dann zwang er sich ein vertrauliches Lächeln ab und schaute mit gesalbtem Blick zur Decke hoch. „Ich – ich hätte sie natürlich schlafen lassen, Sir.“

„Gewiß“, sagte Hasard und zeigte seine weißen Zähne, „das war ja auch der Zweck des andalusischen Schlaftrunks, du alter Betrüger. Fragt sich nur, wo ich aufgewacht wäre. Was meinst du?“

„Oh!“ Wieder der gesalbte Blick. „Aufgewacht? Im Bett natürlich, wo denn sonst?“

Hasard packte ihn an dem groben Leinwandhemd und zog ihn zu sich heran. „Dicker, sag die Wahrheit, sonst frißt du doch noch deine Perücke.“

Nathaniel Plymson schrumpfte unter dem eisblauen Blick Hasards zusammen. Schweiß sammelte sich auf seiner Glatze und perlte über seinen feisten Nacken. Wenn dieser verdammte Killigrew seine Zähne zeigt, dachte er, sieht er aus wie ein Seewolf.

„Na?“ fragte Hasard.

„Sie – sie warten draußen“, flüsterte Nathaniel Plymson und wischte sich mit der Perücke den Schweiß von der Stirn.

In den blauen Augen leuchtete es auf. Ohne jedes Weitere Wort wandte sich Hasard ab und glitt mit wenigen Schritten zur Tür.

Nathaniel Plymson hastete zur Küchentür. Rechts neben dem Türstock hing eine starke Kordel, an der er dreimal zog. Die Kordel lief über mehrere Rollen in ein Nebengemach und hatte die sinnvolle Funktion, dort vor einem kleinen Fenster eine Holzblende auf und ab zu bewegen. Das Fenster führte zur Millbay Road hinaus. Natürlich war das Gemach erleuchtet. Das dreimalige Ziehen Nathaniel Plymsons warf drei Lichtblinke auf die Millbay Road. Nach dem dritten Kordelzug brüllte Nathaniel Plymson los und bewaffnete sich mit einem Knüppel, den er unter der Theke hatte.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Philip Hasard Killigrew bereits vor der „Bloody Mary“.

2.

Sie kamen zu fünft.

Zwei schlichen von der Millbay Road heran – von links, und zwei näherten sich von der St. Mary Street – von rechts. Der Kerl mit dem Ohrring steuerte das Opfer direkt von vorn an. Er stieß den Kopf vor und glotzte verblüfft. Der Riese schwankte ja noch nicht einmal. Der stand da, etwas geduckt, sein schwarzes Haar flatterte in den Böen, wild und verwegen sah er aus – und gefährlich.

Hinter Philip Hasard Killigrew schrie Nathaniel Plymson Zeter und Mordio, und in der „Bloody Mary“ wurden die Zecher rebellisch. Die Katze, die beiden Männer und der Kerl mit dem liederlichen Frauenzimmer schliefen weiter. Nur die Hand des Kerls im Ausschnitt des liederlichen Frauenzimmers zuckte etwas. Und das liederliche Frauenzimmer stöhnte ein bißchen.

Der Kerl mit dem Ohrring stieß einen wüsten Fluch aus und fischte ein Messer aus dem Stiefelschaft.

Messer waren Hasard zuwider. Messer waren Waffen, die hinterrücks und aus dem Dunkel zustießen.

„Weg mit dem Messer!“ Seine Stimme war so scharf und schneidend wie das Messer selbst.

Sie lähmte den Mann mit dem Ohrring für einen entscheidenden Augenblick. Er empfing einen Tritt unter das Handgelenk, das Messer klirrte über die Pflastersteine, und dann explodierte sein Kopf. Diese Faust war aus Eisen. Er flog hinter seinem Kopf her und verschwand hinter der Kaimauer. Ein Aufklatschen verriet, daß er ein kühles Bad nahm.

Die beiden von der Millbay Road nahm Philip Hasard Killigrew geschlossen an. Er stieß ihre Köpfe zusammen und beförderte sie mit zwei kräftigen Fußtritten in den Hintern quer über die Millbay Road. Sie schrammten über die buckligen Katzenköpfe und blieben benommen liegen.

Hasard hörte die Schritte der beiden anderen von der St.Mary Street und fuhr herum. Sie griffen nicht Schulter an Schulter an, sondern umkreisten ihn vorsichtig.

Der Mann mit dem Ohrring planschte hinter der Kaimauer im Wasser und brüllte, er könne nicht schwimmen, und sie sollten ihn, verdammt noch mal, herausholen.

In der Millbay Road wurde ein Fensterladen aufgestoßen. Ein Topf eindeutigen Inhalts klatschte auf die Straße. Die beiden Kerle, deren Köpfe Hasard malträtiert hatte, schossen hoch wie kleine Teufelchen aus der Kiste und brüllten infernalisch.

Der Inhalt des Topfes hing teils in ihren Haaren, teils bahnte er sich einen Weg in die Ausschnitte ihrer Hemden. Aber sie waren auch davor keineswegs peinlich sauber gewesen.

Hasard schnüffelte angewidert.

Der Mann, der Topf samt Inhalt auf die Millbay Road gekippt hatte, hing mit dem Oberkörper aus dem Fenster und schrie: „Mörder! Halsabschneider! Trunkenbolde!“

Und aus der „Bloody Mary“ quollen die Zecher, aufgestachelt von dem hysterischen Geschrei Nathaniel Plymsons, der lamentierte, der blauäugige Teufel aus Cornwall habe ihm die Geldkatze geklaut.

An der Ecke Millbay Road und St.Mary Street entwickelte sich eine jener Schlachten, von denen Großväter ihren Enkeln zu erzählen pflegen – nie bedenkend, daß solcherlei Erzählungen in den Gemütern der unschuldigen Kleinen zwar einiges Erschauern, aber keineswegs Abschreckung hervorriefen. Im Gegenteil.

Denn in jener stürmischen Nacht entstand die Legende vom Seewolf.

Es war Nathaniel Plymson, der den Kriegsnamen Philip Hasard Killigrews aus der Taufe hob. Die Zecher hatten ihn eingekeilt und schwemmten ihn mit nach draußen vor die „Bloody Mary“. Dort schlug er mit dem Knüppel um sich und brüllte – eingedenk der weißen Zähne, die ihn angegrinst hatten –, der „Seewolf“ sei los und räubere unter den braven Bürgern von Plymouth.

Der Sturm pfiff dazu sein Lied.

Seewolf!

Das peitschte die Zecher in die richtige Stimmung. Vielleicht auch hatte ihnen der Sturm ein paar Flöhe unter die Hemden gepustet, und jetzt juckte ihnen das Fell. Prügeln macht Spaß, und jetzt wurde Dampf abgelassen.

Ein Bulle von Kerl rannte mit gesenktem Kopf einfach los und rammte ihn dem Seewolf ins Kreuz. Damit war die Partie eröffnet. Hasard fiel nicht um. Er langte lässig hinter sich, schnappte den Bullen am Kragen und warf ihn über die Millbay Road ins Wasser. Jetzt hatte der Ohrringmann Gesellschaft, und sie brüllten im Duett.

Gebrüllt wurde überhaupt sehr viel.

Der nächste sprang wie ein Affe auf die breiten Schultern des Seewolfes, klammerte sich dort fest, lachte wie ein Irrer und zerrte an Hasards schwarzen Haaren. Das war eine hundsgemeine Art zu kämpfen. Aber vielleicht wollte der Affe feststellen, ob der Seewolf eine Perücke trug. Er hätte es nicht tun sollen. Er hätte ihn ja auch fragen können, und Hasard, höflich, wie es seine Art war, hätte ihm Rede und Antwort gestanden.

So aber explodierte er. Das heißt, er warf sich zurück und quetschte den Affen an die Außenmauer der „Bloody Mary“. Der Affe vergaß sehr schnell, noch weiter an Hasards Haaren zu ziehen. Auch sein verrücktes Lachen brach abrupt ab. Wie ein Mehlsack rutschte er an der Mauer nach unten und fiel auf die Katzenköpfe.

Unfreiwillig stellte er Nathaniel Plymson ein Bein. Er hatte Hasard gerade den Knüppel über den Kopf dreschen wollen. Nathaniel Plymson stolperte und ruderte über die Millbay Road. Er fiel einem der beiden Männer, die nicht nach Rosen dufteten, um den Hals. Zwar fand er Halt, aber dabei griff er in etwas Weiches. Der Duft sagte ihm, was es war.

Von Jubel war Nathaniel Plymsons Entsetzensschrei weit entfernt.

Die Kämpfer zuckten für einen Moment zusammen, stürzten sich aber sofort wieder mit erneutem Ungetüm in wirbelnde Fäuste, Kopfstöße, Magenhiebe und Knierammen.

Jeder kämpfte gegen jeden. Da krachten Fäuste unter Kinnladen, bohrten sich in weiches Fleisch, da wurde geknurrt und geächzt und gestöhnt, da zerbrachen Nasenbeine, schwollen Beulen, wurden Augen dichtgehämmert.

Hasard war schwer in Aktion. Mit dem einen der beiden Männer von der St.Mary Street fuhr er Karussell – das schaffte Raum um ihn herum und senste alles von den Füßen, was ihm zu dicht auf die Pelle gerückt war. Er hatte den Mann bei den Stiefeln gepackt und drehte sich immer schneller im Kreise. Männer stürzten oder wurden einfach hinweggefegt.

Etwa bei der dreizehnten Umdrehung, als Hasard so richtig in Schwung war und überlegte, ob er jetzt loslassen sollte, da passierte das Unglaubliche.

Der Mann war plötzlich weg.

Hasard merkte es daran, daß jählings das Gegengewicht fehlte. Sein eigener Schwung riß ihn herum. Er hatte nur noch zwei Stiefel in den Fäusten. Der Mann, der zu ihnen gehörte, war verschwunden.

Hasard schwankte und stieß mit einem anderen Kerl zusammen. Kurz und hart drosch er ihm beide Stiefel über den Schädel. Von oben. Der Mann seufzte und ging kerzengerade in die Hocke. Dort gurgelte er, weil er sich die eigenen Knie in den Hals gerammt hatte. Und dann kippte er zur Seite.

Der stiefellose Mann bohrte sich – Kopf voran – durch einen Fensterladen. Holz splitterte berstend, und dann waren auch die Strümpfe nicht mehr zu sehen.

Begleitet hatte er seinen Flug mit einem Schrei, der erst abbrach, als der Fensterladen zerbarst.

Etwas Eigentümliches legte sich über die Kampfszene – jene momentane Stille, wie sie im Auge, dem Zentrum eines Wirbelsturms, herrschte.

Das Zentrum bildete der schwarzhaarige, blauäugige Riese, der verblüfft auf die Stiefel in seinen Fäusten starrte. Verdammt, dachte Hasard, der Kerl ist mir doch glatt aus den Stiefeln gerutscht. Dann wurde ihm die Stelle bewußt, und er mußte grinsen, als er sich umblickte.

Sie standen oder lagen um ihn herum und glotzten auf die Stiefel in seinen Fäusten, auf das runde Loch im Fensterladen und wieder auf die Stiefel. Sie sahen alle aus, als seien sie selbst mit den Köpfen gegen den Fensterladen gedonnert.

Als Zeugen eines nicht alltäglichen Kraftaktes spiegelten ihre Mienen ungläubiges Verwundern, Erstaunen, Furcht, Neid, Betroffenheit – und Wut.

Der Schrei aus dem Raum hinter der zerbrochenen Fensterlade zerstörte die Stille. Er war spitz und hoch, drückte aber keineswegs Entsetzen oder Angst aus.

Das Haus bewohnte die Witwe Abigail Adelaide Drummer, zweiundvierzig Jahre alt, adrett, mollig und seit anderthalb Jahren ungetröstet, aber durchaus nicht mehr trauernd, denn der verblichene Archibald Drummer war zeit seines Lebens eine glatte Null gewesen.

Der bestrumpfte, aber stiefellose Mann hatte seinen Flug dort beendet, wo Archibald Drummer sehr zum Kummer von Abigail Adelaide mehr zum Schnarchen als zur nächtlichen Kurzweil geneigt hatte.

Hasard hatte den stiefellosen Mann auf die eheliche Bettstätte katapultiert.

So lag denn, wieder ein Mann bei Abigail Adelaide, und sie war mehr entzückt, als erschrocken. Er lag zwar mit seinen Strümpfen bei ihrem Kopf, weil Abigail Adelaide mit dem Kopf zum Fenster schlief, aber vorsichtig tastend holte sie dieses Geschenk einer mitternächtlichen Straßenschlacht zu sich herum, und dabei stieß sie ihren spitzen Schrei aus.

Für den stiefellosen Mann war der Szenenwechsel zu abrupt. Benommen, wie er war, spürte er sehr viel Weiches, dem sich hinzugeben nichts entgegenstand – vor allem nach der wirbelnden Karussellfahrt. So sank er an den wogenden Busen von Abigail Adelaide.

Indessen hatte der spitze Schrei der Witwe vor allem die Gemüter der Wütenden wieder erhitzt, und einer von ihnen fand es an der Zeit, dem Riesen eine Lektion zu erteilen. Er brüllte urig und ließ die Fäuste wirbeln.

Hasard empfing ihn.

Den Wert der Stiefel hatte er erkannt. Er war mit den Händen hineingefahren wie in einen Handschuh und verpaßte nun – nur so versuchsweise – dem heranstürmenden Brüller einen Tupfer auf die Nase. Der Stiefelabsatz war benagelt. Die Nase des Mannes hatte dem nichts entgegenzusetzen, nur ein Nasenbeinknochen. Und der ging kaputt.

So blieb wieder einer vor Hasard liegen.

Der Kampfeslärm schwoll wieder an.

Von den fünf Kerlen, die angenommen hatten, mit Hasard infolge des andalusischen Schlaftrunkes leichtes Spiel zu haben, lag einer im Bett von Abigail Adelaide und beschäftigte sich in sündiger Art, während der Ohrringmann hysterisch im Wasser herumplanschte und auf seinen bulligen Mitschwimmer zu steigen versuchte. Die drei anderen hatten sich vereint und hielten abseits der kämpfenden Masse Kriegsrat. Zu ihnen stieß Nathaniel Plymson, der dicke Wirt.

„Du Bastard!“ sagte jener Mann, der Nathaniel Plymson den Ledersack mit dem klingelnden Inhalt über den Tresen geschoben hatte. „Du hast uns aufs Kreuz gelegt. Dieser Killigrew ist noch schlimmer als ein Seewolf.“

Und damit feuerte er dem feisten Nathaniel Plymson die Rechte unter das wabbelnde Kinn und die Linke in den Magen.

Nathaniel Plymson suchte die Katzenköpfe auf. Seine Perücke verschwand im Kampfgetümmel und wurde rücksichtslos zertrampelt.

Und links und rechts von dem Seewolf, der mit dem Rücken zur Wand kämpfte, knickten die Männer zusammen oder segelten über die Pflastersteine. Die Stiefel leisteten ganze Arbeit, klatschten in Gesichter, zerdroschen Nasen, rammten sich in zusammengekrümmte Leiber.

„Unfaßbar“, murmelte der Mann, der Nathaniel Plymson zu Boden gescickt hatte.

Und dann erstarrte er.

Neben dem Seewolf, ebenfalls mit dem Rücken zur Wand, war ein schmales Bürschchen aufgetaucht, blondhaarig, vielleicht sechzehn- oder siebzehnjährig, ja, schmal schon, aber wild.

„Arwenack!“ brüllte das Bürschchen begeistert und stach die Rechte vor. Einem Zecher flog der Kopf zurück, und er ging in die Knie.

„Arwenack!“ brüllte auch der Seewolf und drosch einem Angreifer den rechten Stiefel auf den Kopf.

„Wieso Arwenack?“ fragte der Mann.

„Da hausen die Killigrews“, erwiderte einer der beiden, über die sich der Topf ergossen hatte.

„Verdammt, dann hat er jetzt Verstärkung“, sagte der Mann, „aber wir schnappen uns das Bürschchen auch. Dann haben wir gleich zwei von der Sorte.“

„Und wie?“

„Von oben, du Idiot. Dort vom Fenster aus. Ich kenne Plymsons Bude.“

Die drei Männer umkreisten die Kämpfenden und huschten in die „Bloody Mary“. Zwei Minuten später öffnete sich über Hasard ein Fenster. Zwei Männer zwängten sich auf das Fensterbrett. Sie hatten abgebrochene Stuhlbeine in den Fäusten, nickten sich zu und ließen sich wie Säcke nach unten fallen.

Der eine sprang Hasard genau ins Kreuz und ging mit ihm zu Boden. Der andere setzte neben ihnen auf, federte hoch und knallte Hasard das Stuhlbein an die Schläfe – einmal, zweimal und ein drittes Mal.

Da erst erschlaffte der Seewolf.

Der dritte Mann krachte auf den blonden Jungen und begrub ihn unter sich. Das Bürschchen war fast genau so zäh wie der Seewolf. Es schnellte hoch, warf den Mann ab und brüllte: „Arwenack!“

Die zwei anderen machten ihn fluchend mit ihren Stuhlbeinen fertig. Über Hasard brach er blutend zusammen.

Inzwischen standen Millbay Road und St. Mary Street in heller Aufruhr. Aus den Fenstern beugten sich die Bürger und schrien um die Wette. Einige Mutige hatten die Häuser verlassen und bewegten sich auf die „Bloody Mary“ zu. Fackeln erleuchteten die wilde Szenerie.

Bei der Kaimauer stieg eine triefende Gestalt mit baumelndem Ohrring neben einem Poller hoch. Ein bulliger Kerl folgte.

Andere Gestalten lagen zusammengekrümmt oder ausgestreckt, blutend und ächzend oder sehr still auf den Pflastersteinen.

Andere wiederum keilten noch immer aufeinander los und wurden wieder wild, als sich die Fackeln näherten und frische Kämpfer die Lust zum Bolzen verspürten.

„Nichts wie weg!“ stieß der Mann hervor, der für Hasard bezahlt hatte.

Sie schnappten sich die beiden bewußtlosen Kämpfer aus Cornwall und schleiften sie über die Millbay Road in eine Seitengasse.

Hinter ihnen stießen die empörten, aus dem Schlaf gescheuchten Bürger der Millbay Road und St.Mary Street in den keilenden Haufen vor der „Bloody Mary“, und der Kampf setzte sich mit erneuter Wucht fort.

Zwar stand nicht mehr der Seewolf im Zentrum des Kampfgeschehens, aber zwei neue Fronten zeichneten sich ab: Millbay Road gegen St. Mary Street. Die Bewohner der beiden Straßen waren sich von jeher spinnefeind gewesen. Die Leute von der St. Mary Street behaupteten, die Millbay-Roader seien allesamt Tagediebe und Hurensöhne. Und die Millbay-Roader hatten einen Piek auf die Leute von der St. Mary Street, weil die sich einbildeten, sie seien der Nabel von Plymouth.

Das alles sowie alte Fehden und Händel zwischen den Familien der beiden Straßen war Anlaß genug, aufeinander loszugehen.

Der Ohrringmann, den Fluten entronnen, starrte verständnislos auf das Kampfgetümmel. Der Bulle neben ihm genauso. Was da im Gange war, hatte ja bereits die Ausmaße einer Straßenschlacht.

Der Bulle grunzte, denn ihm fiel ein, daß sich der Ohrringmann vorhin im Wasser wie ein Sack an ihn gehängt und ständig versucht hatte, ihn unter Wasser zu treten. Und bei den Steigeisen an der Kaimauer hatte er ihn weggerissen, war als erster hochgeentert und hatte ihn noch dazu mit dem Stiefelabsatz eine Kopfbeule verpaßt.

Kalte Wut stieg in ihm hoch. Er packte den Ohrringmann an der Schulter, zog ihn zu sich herum und feuerte ihm die Pranke zwischen die Zähne.

„Dir zieh ich die Haut vom Hintern“, blaffte er den Ohrringmann an.

Der spuckte ihm einen Zahn aufs rechte Auge, trat ihm vors Schienbein und zahlte zurück.

„Mir die Haut vom Hintern ziehen, wie?“ sagte er und spie einen Strahl Blut durch die Zahnlücke. Seine beiden Schwinger hatten den Bullen ziemlich durchgeschüttelt. Er setzte nach und ging zum Nahkampf über. „Da – und da“, sagte er, und jedesmal empfing der Bulle eine brettharte Faust. „Ich bin London-Jack, verstehst du?“ sagte der Ohrringmann. „Und solche Brummer wie dich hab ich schon als Säugling zum Frühstück verschluckt – da!“ Seine Faust krachte auf die Luftröhre des Bullen.

Der Bulle schnappte nach Luft und griff nach den Sternen, aber an denen konnte er sich nicht festhalten. Mit einem Tritt in den Unterleib segelte er zu Boden.

Über die Pflastersteine kroch Nathaniel Plymson auf der Suche nach seiner Perücke. Der Ohrringmann hievte ihn am Kragen hoch und schüttelte ihn.

„Du dreckige Wanze! Wo ist der Killigrew-Seewolf?“

„Weiß – weiß ich nicht.“

Nathaniel Plymson war völlig derangiert und verfluchte diese stürmische Nacht und seine Idee, diesen Seewolf an die Preßgang verhökern zu wollen.

„Du hast uns beschissen!“ sagte London-Jack grimmig und spie wieder einen Blutstrahl aus – gezielt auf die Glatze von Nathaniel Plymson. „Der hat gar nicht von deinem Wein gesoffen, du fettes Warzenschwein!“

„Das ist es ja“, jammerte Nathaniel Plymson, „diese dämliche Katze ist schuld, die ...“

Der Ohrringmann griff in Nathaniel Plymsons Hemd und zog ihn zu sich heran.

„Katze? Sagtest du Katze? Du denkst wohl, ich bin blöd, he?“

„Wirklich, er hat’s an der Katze gemerkt – bitte, nicht schlagen!“

„Wo ist das Geld? Wo hast du den Ledersack?“

„Den hat – hat der Seewolf.“

Nathaniel Plymson stand dicht vor einem Nervenzusammenbruch, aber vor dem rettete ihn der Ohrringmann, der ihm eine krachende Rechte unter das Kinn hieb.

Nathaniel Plymson träumte, er fahre zwischen blitzenden Sternen gen Himmel, und Petrus habe einen Ohrring und eine dicke Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen. Und Petrus sagte: „Sieh einer an, das alte Schlitzohr Nathaniel! Du hast dich in der Tür geirrt, mein Sohn. Zum Bruder Luzifer geht’s rechts um die Ecke.“

Vor Nathaniel Plymsons Nase wurde das Himmelstor mit einem Donnerschlag geschlossen.

Das war der Augenblick, in dem Nathaniel Plymson zum zweiten Male voller Schmerzen mit den Katzenköpfen der Millbay Road zusammenstieß.

Der Ohrringmann mit dem beziehungsreichen Namen London-Jack blies sich über die Handknöchel seiner Rechten, trat Nathaniel Plymson ziemlich sinn- und nutzlos zwischen die Rippen und erhielt dafür von einem Unbekannten ein Stuhlbein hinterrücks über den Schädel. Es war das Stuhlbein, mit dem der Seewolf niedergeschlagen worden war.

London-Jack wachte erst in einem Hospital wieder auf – und da fehlte ihm jegliche Erinnerung. In wirren Sätzen faselte er etwas von einem „Seewolf“, der Schiffe samt Masten, Takelage und Besatzung auffresse und demnach ein Monster sein mußte. Zweifelsohne hatte er einen Klaps, und die frommen Schwestern bekreuzigten sich, wenn sie ihn versorgten und dabei seine Schauermärchen hörten.

Die „Marygold“, zu deren Preßgang er als harter Schläger gehört hatte und auf der er laut Musterrolle Rudergänger gewesen war, lief am nächsten Morgen ohne ihn aus. Und ebenso wurde in der Musterrolle Tom Smith gestrichen, der nicht wieder an Bord fand, weil er an Bord des so lange verwaisten Ehelagers der Witwe Abigail Adelaide Drummer zwar auch stürmisch, aber weitaus angenehmer zuging als an Bord der „Marygold“.

Immerhin aber hatte die Preßgang als Ersatz zwei andere Fische gefangen, von denen der „Seewolf“ ein ganz dicker zu werden versprach, während das blonde Bürschchen, das mit ins Netz gegangen war, auch nicht so ganz ohne zu sein schien.

Außerdem hatte der Vormann der Preßgang, der Segelmacher Patrick Evarts, die Taschen des Seewolfs gefilzt und sich den Ledersack zurückgeholt.

Unterbemannt war die „Marygold“ keineswegs. Die Preßgang hatte in den Tagen zuvor bereits zehn Kerle aufgesammelt – zum Teil mit Hilfe des Plymsonschen Schlaftrunkes, vor allem aber ohne jeweilige Straßenschlacht.

Die Kunde von dieser Straßenschlacht durcheilte Cornwall und gelangte auch nach Arwenack, der Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth. Seufzend soll Sir John Killigrew gesagt haben: „Dieser Bengel ist der letzte Nagel in meinem Sarg.“

Und dabei muß er an jene Szene gedacht haben, bei der Philip Hasard, siebzehnjährig, seine letzte Ohrfeige von Sir John kassiert und darauf mit jäh zupackender Wildheit reagiert hatte.

Sir John hatte bei der Kunde über die Geschehnisse vor der „Bloody Mary“ sinnend auf das Hirschgeweih geblickt, das seit über hundert Jahren den Kamin in der Halle von Schloß Arwenack zierte.

Denn Sekunden nach der Ohrfeige hatte Philip Hasard zugelangt und den Alten in das Hirschgeweih über dem Kamin gehängt. Und seine drei Brüder, die den zappelnden und brüllenden Alten hatten herunterholen wollen, waren von dem Jüngsten der Sippe nach allen Regeln der Kunst verdroschen worden.

Am nächsten Morgen hatte Philip Hasard Killigrew vor versammelter Familie verkündet, daß er künftig jedem die Knochen zerbrechen werde, der es noch einmal wage, ihn anzufassen. Das gelte auch für den „Alten“, hatte er gesagt und dabei seine Zähne gezeigt.

Von da ab war Frieden auf Arwenack gewesen.

Eindeutig war Philip Hasard Killigrew intelligenter, kampfstärker, gerissener, tollkühner, aber auch charakterfester als seine drei Brüder. Dazu hatte er einen Charme, bei dem die alten Weiber von Falmouth wieder jung wurden, und die jungen Weiber wünschten, älter zu sein, um diesen schwarzhaarigen, blauäugigen, hartgesichtigen Teufel an die Brüste und unter die Bettdecke zu kriegen.

Geschafft hatte es keine.

Sie alle hörten bewundernd die Kunde vom Seewolf Killigrew, der ausgezogen war, um hinter die Horizonte zu schauen. Nur wußte die Kunde nicht zu berichten, was weiter geschehen war. Denn Philip Hasard Killigrew war spurlos verschwunden. Niemand hatte ihn mehr gesehen.

3.

Das Knarren der Rahen und Blöcke war vertraut – genauso wie die rollenden und stampfenden Bewegungen des Schiffes, das Klatschen der Wellen gegen die hölzerne Bordwand, das Trampeln nackter Füße über Deck, die Kommandos.

Der Seewolf richtete sich auf und betastete seine Schläfe. Die fühlte sich an wie rohes Fleisch.

„Hallo, Sir!“ sagte eine Stimme neben ihm. Sie klang so, als wisse sie noch nicht, ob sie sofort oder erst eine Woche später in eine tiefere Tonlage umsteigen solle.

Überrascht wandte der Seewolf den Kopf – etwas zu schnell, denn der Schmerz zuckte bis in die Zehenspitzen. Aber der Junge, der ihn angrinste, sah auch nicht viel besser aus – was dessen Kopf betraf.

Hasard grinste zurück.

„Hallo“, sagte er. „Du kennst mich?“

„Wer in Falmouth geboren ist, kennt Philip Hasard Killigrew, hinter dem die Weiber wie der Teufel hinter der armen Seele her waren.“

Der Bengel feixte so breit, daß er sich fast die Ohrläppchen abbiß.

Hasard räusperte sich.

Der Bengel feixte weiter.

„Mein Alter ist bei Sir John gefahren – oben in der Irischen See. Bei einem Gefecht mit einer schwedischen Kogge fehlte ihm plötzlich ein Bein. Sir John bestellte ihm bei dem verdammten Sargtischler von Falmouth ein neues. Kennen Sie die Geschichte, Sir?“

„Ist dein Vater etwa Donegal Daniel O’Flynn?“

Der Junge nickte.

„Ist er, und mit dem verdammten Holzbein hat er mir jeden Tag einen Tritt in den Hintern verpaßt, egal was anlag. Und dann sollte ich bei dem verdammten Sargtischler in die Lehre gehen. Da bin ich ausgerissen. Fein, daß ich Sie getroffen habe. Ich hab’s leider zu spät gemerkt, daß Sie das in der ‚Bloody Mary‘ waren, sonst wäre ich den Kerlen eher an die Gurgel gesprungen. Ich heiße übrigens wie mein Alter, Donegal Daniel, genannt Dan.“

„Danke, Dan – für die Hilfe bei der ‚Bloody Mary‘, Hat’s dich schlimm erwischt?“

Der Junge, der sitzend mit dem Rücken an einem Holzquerschott lehnte, richtete sich etwas auf.

„Ich bin doch ein O’Flynn, Sir. Und mein Alter hat sein Holzbein auch manchmal abgeschnallt und es mir um die Ohren geschlagen. Mit Holz klopft mich keiner mehr weich.“

Hasard lächelte. „Ich dachte immer, O’Flynn mit dem Holzbein hätte nur sechs Söhne gehabt.“

„Ich bin Nummer sieben, Sir. Nur hat mich der Alte immer unterschlagen. Ich sei zu dämlich, um in der Öffentlichkeit gezeigt zu werden, hat er gesagt. Finden Sie das auch, Sir?“

Aus dem Halbdunkel des Schiffsraums äffte eine Stimme: „Sir – Sir! Wenn ich den Scheiß schon höre. Euer Gequatsche geht mir allmählich unters Hemd. Zeig mal deine Schnauze, Sir, damit ich sie dir stopfen kann, Sir.“

Ein breitschultriger Mann tappte aus dem Halbdunkel heran. Hinter ihm begannen andere Stimmen zu murmeln.

„Los, gib’s ihm, Blacky, gib’s dem Sir. Und der Rotznase bei ihm versohl auch gleich die Jacke, damit das Bübchen weiß, woher hier der Wind weht.“

Der breitschultrige Blacky grunzte und stieß Hasard mit dem Stiefel an.

„Steh auf, Sir, damit du etwas davon hast, wenn du dich wieder schlafen legst.“

„Soll ich ihm ein Ding auf die Nase verpassen, Sir?“ wisperte Donegal Daniel O’Flynn, genannt Dan. Seine Stimme war scharf und zischend und verkündete, daß er vor Wut kochte.

„Das besorg ich, Dan“, sagte Hasard ruhig. „Bleib sitzen, mein Junge, und paß genau auf, wie man mit Idioten wie diesem Holzklotz das Deck aufwischt, zu mehr taugt er nämlich nicht.“

Blacky ächzte. „Sagtest du Holzklotz?“

Hasard schob sich an der Wand hoch, sehr langsam und sehr betulich. Als er stand, mußte er den Kopf einziehen, um nicht an die Decksbalken zu stoßen.

Der Breitschultrige mußte zu ihm hochstarren.

„Ich hab dich was gefragt, Sir.“

„Du bist ein Idiot und ein Holzklotz“, sagte Hasard, „und wenn du dir weh tust, fang nicht an zu jammern.“

Blacky nahm Maß und schlug zu. Er holte so richtig aus – von rechts unten nach links oben, dorthin, wo das weiße Gebiß ihn angrinste.

Als seine Faust landete, hielt das Schiff für einen Moment den Atem an – so schien es wenigstens. Und dann splitterte Holz. Blackys Faust steckte in einer Querplanke des Vorkastells. Immerhin war die Planke aus solidem Eichenholz.

Hasard stand einen halben Schritt daneben, die Arme über der Brust verschränkt.

„Ja, ja“, sagte er.

„Gib’s ihm, Blacky!“ sagte eine Stimme aus dem Halbdunkel.

Blacky brüllte und zerrte an seiner Rechten. Hasard half ihm.

Er umfing den breitschultrigen Mann von hinten, zog mit, und als er ihn aus der Planke hatte, schleuderte er ihn herum und warf ihn zwischen die murmelnden Männer.

„Von hier weht der Wind“, sagte er, „falls sich das noch nicht herumgesprochen hat.“

Blacky brüllte, als würde er am Spieß gebraten. Die Männer schrien durcheinander.

Der Seewolf setzte sich neben Donegal Daniel O’Flynn, genannt Dan, und lachte leise.

„Ich glaube, hier kriegen wir noch viel Spaß“, sagte er. „Hast du gut aufgepaßt, Dan?“

„Sie haben ihn auflaufen lassen, nicht wahr?“

„He!“ erwiderte Philip Hasard Killigrew. „Du bist ja gar nicht so dämlich. Dein Alter muß dich völlig verkannt haben. Ja, ich hab Blacky auflaufen lassen, aber vorher hab ich ihn ein bißchen gekitzelt. Und dann mußt du natürlich schnell sein, schneller als so ein Holzklotz. Ist das klar?“

„Jawohl, Sir. Von Ihnen lern ich noch ’ne Menge. Vor der ‚Bloody Mary‘, Mann, das war die Spitze. Verzeihung, Sir.“

„Meinde Brüder nannten mich Hasard, Dan, laß den ‚Sir‘ Wenn du ‚Mann‘ sagst, ist das genauso gut.“

„In Ordnung“, sagte Dan, und wieder war seine Stimme, als wisse sie noch nicht recht, ob sie sich für die hohe oder tiefe Tonlage entscheiden solle.

„Wie alt bist du, Dan?“

„Siebzehn“, sagte Donegal Daniel O’Flynn mit Grabesstimme.

„Oder sechzehn?“

„Vielleicht auch sechzehn“, sagte Donegal Daniel O’Flynn. „Mit den Jahren hängt einem das Zählen zum Halse heraus, verstehst du das?“

„Versteh ich“, sagte Hasard, „mir geht’s auch nicht anders.“ Er lauschte dem Knarren der Takelage. „Weißt du, in was für einem Kasten wir hier hokken?“

„Keine Ahnung.“

„Ich wollte zu Drake“, sagte der Seewolf leise und verfluchte still seinen Übermut, fünf Kerle vor der „Bloody Mary“ angegangen zu haben.

„Mann, zu Drake?“ fragte Dan entgeistert. „Zu dem würde ich auch gern, und jetzt sind wir hier gelandet. Weißt du was? Wir jumpen einfach außenbords, wenn wir an Oberdeck sind.“

„Kannst du schwimmen?“

„Ich bin ein O’Flynn“, sagte das Bürschchen empört. „Wir O’Flynns lernen schon das Schwimmen, wenn wir in den Windeln mit dem Wasser kämpfen.“

„Das ist zwar auch salzig“, sagte Hasard erheitert, „aber dieses Wasser hier hat keine Windeln, und wenn es welche hat, kriegst du sie um die Ohren geschlagen. Nein, gejumpt wird nur, wenn Land in Sicht ist. Ist das klar?“

„Jawohl, Sir“, erwiderte das Bürschchen. Es war keineswegs dämlich, sondern sehr helle. „Vielleicht sollten wie diesen Kahn einfach wieder mit der Schnauze nach Plymouth drehen und Mister Francis Drake zur Verfügung stellen. Du hast doch bei Sir John gelernt, wie man einen solchen Kasten segelt, oder?“

„Und ob“, sagte der Seewolf und dachte daran, wie der Alte ihn geschliffen hatte. Er war nur einmal seekrank geworden – mit sechs Jahren. Da hatte ihn der Alte vorn bei der Galion festgebunden und sich zehn Stunden halb totgelacht, als sich Philip Hasard Killigrew die. Seele aus dem Leib gekotzt und die Seefahrt verflucht hatte – bei einem handfesten Sturm wohlgemerkt, den Sir Johns Karacke nur beigedreht überstanden hatte. Die Galle war das Letzte gewesen, das Philip Hasard in die kochende See gespuckt hatte – trotzig und voll berstender Wut auf Sir John, das salzgewässerte Rauhbein. Und als er von dem Alten losgebunden worden war – mehr tot als lebendig –, da hatte er ihn kräftig ins Handgelenk gebissen, und der Alte hatte ihm fluchend eine gescheuert.

Hasard lächelte vor sich hin. Und im Hirschgeweih über dem Kamin hast du dann später gezappelt, Sir John, dachte er.

Aus dem Halbdunkel tauchten plötzlich drei Kerle auf. Sie hatten Mühe, bei dem rollenden Schiff die Balance zu halten. Einer torkelte etwas näher, aber nicht zu nahe. Er schielte auf die langen Beine von Hasard und fragte sehr sanft: „Wollt ihr abhauen?“

„Und wenn?“ fragte der Seewolf.

„Ja“, sagte der Kerl, „dann möchten wir gern mit dabei sein.“

„Blacky auch?“ fragte der Seewolf.

„Klar“, sagte Blacky im Hintergrund, „aber meine Rechte ist am Arsch, ich bin nicht mehr in Form.“

„Dann schlag links, du Holzklotz“, sagte der Seewolf brutal, „oder brauchst du die Linke, um am Daumen zu lutschen?“

„Pah!“ sagte Blacky und verdaute die Beleidigung.

„Ja“, sagte der Kerl, der vor Hasard stand, „wir möchten nämlich auch gern wieder nach Plymouth zurück. Die Hunde haben uns vor zwei Tagen eingesackt. Ich weiß auch nicht, wie. Plötzlich bin ich eingeschlafen ...“

„In der ‚Bloody Mary‘?“ fragte Hasard.

„Ja.“

„Bist du Seemann?“

„Nein“, sagte der Kerl. „Kutscher bei Sir Anthony Abraham Freemont.“

„Sir?“ fragte Hasard gedehnt.

„Na ja“, sagte der Kerl verlegen, „er ist studiert. Mister Freemont braucht mich. Er ist Arzt. Ich fahre ihn immer zu den Kranken.“

„Und jetzt fährst du zur See“, sagte Hasard, „da sind andere Gesetze gültig. Wer meutert, wird an der Rah aufgeknüpft, bis sein Hals doppelt so lang ist. Bist du auf einen solchen Hals scharf?“

„N-nein, Sir.“

Der Seewolf zeigte seine Zähne.

„Sir?“ sagte er gedehnt. „Ich bin kein ‚Sir‘. Rutsch mir den Buckel herunter, Mister.“

Der Mann hielt mühselig sein Gleichgewicht und ruderte mit den Armen.

„Ich – ich vertrag das alles nicht, Sir – eh, Mister. Mir – mir ist so furchtbar schlecht. Ich bin – ja, ich bin todkrank. Ich möchte wieder zu Mister Freemont, ich ...“

Das Querschott sprang auf, und ein Mann stand breitbeinig in dem Durchlaß. Licht flutete in den Raum des Vorkastells.

„Ihr Affenärsche“, sagte der Mann sehr deutlich und sehr langsam. „Alle wohlauf und ausgeschlafen? Na denn! Wer zur See fährt, muß arbeiten. Ohne Arbeit kein Fleisch in der Suppe. Oder wollt ihr eure Affenärsche frühstükken? Wie, was? Seid ihr noch nicht an Oberdeck? Weiter hier herumpennen, wie? Hopphopp, hoch mit euch, jetzt geht’s rund, alle Mann an die Brassen. He, glotz nicht so blöd, Mann!“

„Ich bin krank, Sir“, sagte der Kutscher, „und ich weiß auch gar nicht, was Brassen sind.“

Der Mann starrte den Kutscher verblüfft an, dann lachte er röhrend, drehte den Kopf und rief über die Schulter: „He, Männer! Habt ihr das gehört? Er ist krank, sagt er, und er weiß nicht, was Brassen sind!“

Hinter ihm standen muskulöse Gestalten, barfüßig, in grobleinenen Hosen und Hemden. Der Wind zerrte in ihren Haaren. Sie lauerten, grinsten, stießen sich an.

„Verdammte Landratten“, sagte einer, „wird Zeit, daß du ihnen die Haut vom Hintern ziehst, Profoß.“

Der Schiffsprofoß Edwin Carberry, ein Mann mit einem Kinn wie ein Amboß, einem zernarbten Gesicht und einem Brustkasten wie ein Bierfaß, ruckte wieder herum und blickte ins Vorkastell.

„Habt ihr’s gehört, ihr Rübenschweine? Seid ihr noch nicht an Deck? Oder wollt ihr die Neunschwänzige kennenlernen, wie, was?“

Der Kutscher zog den Kopf zwischen die Schultern und trottete nach draußen. Er war grün im Gesicht und sah aus, als nehme er an seinem eigenen Begräbnis teil. Die beiden anderen Kerle folgten ihm – ebenfalls mit Leichenbittermienen. Dann humpelte Blacky aufs Mitteldeck.

Der Profoß stieß den Kopf vor.

„He, was ist denn mit dir los, was, wie?“

Blacky hob seine Rechte.

„Bin – bin wo gegengerannt, Sir.“

„Gegen was?“

„Holz, Sir.“

„Selbstverstümmelung, was, wie?“

Blacky stierte den Profoß ratlos an. Allem Anschein nach wußte er mit dem Begriff „Selbstverstümmelung“ nichts rechtes anzufangen.

„Eh?“ sagte er.

Der Profoß schnippte mit den Fingern.

„Eine Pütz Seewasser für dieses Rübenschein. Tunkt seine Pfote ordentlich ins Wasser. Salz heilt, was, wie?“

„Weiß ich nicht“, sagte Blacky.

„Aber ich“, sagte der Profoß grimmig, griff sich Blacky und schob ihn zu den derb zupackenden Seeleuten.

Die stauchten ihn etwas zusammen, aus der einen Pütz Seewasser wurden zehn, denn sie badeten ihn gleich, und dann zogen sie ihm die Holzsplitter aus der verschwollenen Rechten, die mit Salzwasser eingeweicht wurde.

Immerhin mußten zwei starke Männer den tobenden Blacky bei dieser Prozedur festhalten.

„Sollen wir kämpfen?“ flüsterte Dan hastig Hasard zu.

„Nein, geh mit den anderen aufs Mitteldeck, Junge.“

„Und du?“

„Ich bleib hier noch ein bißchen und ärgere den Profoß.“

„O Mann“, sagte das Bürschchen begeistert, „kann ich ihn nicht mitärgern? Ich bin bestimmt gut.“

„Nein“, sagte der Seewolf, „raus mit dir.“

Donegal Daniel O’Flynn stand maulend auf und schloß sich den anderen an, die nach draußen drängten.

Hasard blieb allein zurück. Er zog die Beine an und faltete die Hände über den Knien.

„Alle raus?“ schrie der Profoß.

„Nein“, sagte Philip Hasard Killigrew.

Der Profoß schob sich ins Vorkastell und starrte auf Hasard hinunter. „Du brauchst wohl ’ne Extraeinladung, was, wie?“

Hasard schaute zu ihm hoch. In seine blauen Augen schlich sich ein gefährliches Funkeln. Er zeigte nur seine Zähne, aber er sagte nichts.

Der Profoß trat einen Schritt zurück, als spüre er plötzlich die Gefahr, die von diesem jungen Riesen ausging.

„Mister Evarts soll kommen!“ schrie er nach draußen.

„Aye, aye, Profoß!“

Vier Minuten später erschien Patrick Evarts, der Segelmacher, im Vorkastell.

„Ist das der Seewolf?“ fragte der Profoß und deutete auf Philip Hasard Killigrew.

Evarts zuckte zusammen, sagte kurz und knapp „ja“ und flitzte wieder aufs Mitteldeck, als sei der Teufel hinter ihm her.

„Steh auf“, sagte der Profoß.

„Nein“, sagte Hasard ruhig. „Mir hat keiner etwas zu befehlen. Ich wollte nicht auf dieses Schiff. Und was ich nicht will, zwingt mir auch keiner auf. Hau ab, du Rübenschwein, was, wie?“

Der Profoß lief blaurot an. Sein Faß von Brustkasten hob und senkte sich, als stünde es unter einem ungeheuerlichen Druck und müßte jeden Moment platzen.

„Hau ab!“ wiederholte der Seewolf und wedelte mit der Rechten. „Und vergiß nicht, Luft zu holen. Ich bleib noch ein bißchen hier. Vielleicht schau ich mir nachher mal den Kasten an, ob er mir gefällt. Und bestell deinem Kapitän einen schönen Gruß von mir. Wenn er was von mir will, darf er sich bei mir melden. Vergiß auch nicht, Mister Evarts meine Empfehlung auszurichten. Sag ihm, daß er vermeiden solle, mir über den Weg zu laufen – er und die beiden anderen. Ich hab was gegen Kerle, die mich von hinten anspringen und nicht ehrlich kämpfen. Hau ab, Rübenschwein!“

Jetzt war der Profoß Carberry weiß wie eine gekalkte Wand. Sein Mund war ein schmaler Strich über dem Amboßkinn.

Er schlich geduckt näher, seine Arme mit den klotzigen Fäusten pendelten wie Dreschflegel links und rechts an seinem massigen Körper.

Seine Stimme war heiser und bebte vor unterdrückter Wut.

„Du bist wohl lebensmüde ...“

„Was, wie?“ unterbrach ihn der Seewolf höhnisch.

Der Profoß brüllte auf und federte mit einem Riesensatz heran. Er prallte gegen die vorschnellenden Beine Hasards und flog zurück.

Da war Hasard schon wie der Blitz hoch, packte den Profoß am Hosenbund und Kragen und schleuderte ihn durch das Querschott nach draußen aufs Achterdeck.

Der Profoß schlitterte über die Planken und krachte gegen die Nagelbank. Er war ein harter Mann, alles was recht ist. Spätestens nach zwanzig Sekunden war er wieder hoch und riß einen Koffeynagel aus der Nagelbank. Der war aus Hartholz und gut über einen Fuß lang – eine mörderische Waffe.

Hasard erschien in dem Querschott und trat auf das Mitteldeck. Er blickte prüfend am Großmast hoch, schaute nach dem Flögel und Stand des Großsegels und schüttelte den Kopf.

Mehr zu sich selbst sagte er: „Könnte noch härter gesegelt werden, dieser Waschzuber.“

Der „Waschzuber“ hieß „Marygold“ und segelte über Backbordbug am Wind südlichen Kurs. Rings um die „Marygold“ lag die graue Weite des Atlantik, dessen mächtige Seen unaufhörlich heranrollten. Die „Marygold“ nahm sie eine nach der anderen, kletterte an ihnen hoch, bis ihr Bugspriet in den Himmel ragte, neigte sich dann noch weiter nach Backbord über, glitt dabei talwärts und schob sich an der nächsten See hoch. Durch die steifstehenden Luvwanten und Pardunen pfiff der Wind.

Hasard stand breitbeinig auf dem Mitteldeck und atmete tief durch. Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Profoß, der sich wie eine Katze heranschlich. Die Männer der Besatzung wichen zurück bis zum achteren Deck. Die Männer, die gepreßt worden waren, standen wie eine verlorene Hammelherde auf der Backbordseite. Nur das Bürschchen genoß die Szene. Es schaukelte auf einer Webleine der Hauptwanten, die Zunge spitz zwischen den Lippen und sichtlich begeistert, daß der Profoß bereits einmal die Planken hatte aufsuchen müssen.

„Weg mit dem Belegnagel, Profoß“, sagte der Seewolf. „Hier wird mit den Fäusten gekämpft. Wirf ihn weg, oder, ich schlag dir die Zähne in den Hals.“

Die Männer stöhnten auf, als der massige Carberry lossprang und den rechten Arm mit dem Koffeynagel hochschwang und niedersausen ließ.

Der Seewolf blockte den furchtbaren Hieb mit dem linken Unterarm ab, dann fuhr seine Hand blitzschnell zurück, umschloß das Handgelenk Carberrys, drückte dessen Arm nach unten und begann ihn mit erbarmungsloser Härte umzudrehen.

Der Profoß kämpfe verbissen gegen die Drehung an. Er knickte in der Hüfte ein und wand sich.

„Laß fallen“, sagte der Seewolf, „oder ich dreh dir den Arm aus der Schulter, du Miststück!“

Edwin Carberry keuchte. Der Riese da vor ihm würde es mit seiner barbarischen Kraft tatsächlich schaffen, seinen Arm in einen Korkenzieher zu verwandeln.

Er ließ den Koffeynagel fallen. Hasard stieß ihn mit dem Fuß weg, trat etwas zurück; ließ aber noch nicht los, sondern schlug dem Profoß die Rechte zwischen die Zähne. Ächzend sank der Profoß in die Knie. Hasard hielt ihn fest, hievte ihn wieder hoch und schlug noch einmal auf den Punkt. Erst dann ließ er los.

Edwin Carberry stöhnte, spuckte zwei abgesplitterte Zähne auf die Decksplanken, blickte mit glasigen Augen auf den Seewolf, wankte, riß sich zusammen und stürzte sich Hasard entgegen.

Hasard riß nur das rechte Knie hoch und rammte es dem Profoß unter das Amboßkinn. Carberrys Kopf flog zurück, seine Beine gaben nach, er vollführte eine Halblinksdrehung, torkelte und hielt sich an der Nagelbank zum Großmast fest.

Dort blieb er gebückt stehen und spuckte Blut. Sein Kopf schaukelte hin und her.

Hasard glitt geschmeidig zum Schanzkleid. Dort stand noch eine Holzpütz voll mit Seewasser. Er griff sie sich, umrundete den Großbaum und klatschte sie von unten in das niederhängende blutige Gesicht Carberrys.

„Aufpassen, Hasard“, sagte das Bürschchen scharf. „Hinter dir!“

Der Seewolf fuhr herum.

In der Kombüsentür auf der Steuerbordseite des Vorkastells stand ein schmieriger Mann mit einem schmierigen Grinsen, schmierigen Augen, schmierigem Haar, schmierigem Hemd und schmierigen Hosen. Seine Zähne, die er zeigte, wirkten zwar nicht schmierig, dafür aber waren sie schwarz und verfault. Er sah insgesamt so freundlich aus wie eine vergammelte Trosse aus Kokostauwerk.

Keineswegs schmierig aber war die Radschloßpistole, die er in beiden Fäusten hielt und auf Hasard gerichtet hatte.

„Was denn“, sagte Hasard und lächelte freundlich, „funktioniert der Kracher auch?“

„Worauf du einen Furz lassen kannst“, sagte der schmierige Kerl.

Hasard glitt langsam näher.

„Vorsichtig“, sagte der schmierige Kerl, „bleib lieber da, wo du bist. Das Loch, das dieses Ding pustet, flickt kein Arzt mehr zusammen.“

„Oh“, sagte der Seewolf. Und dann ruckte sein Kopf plötzlich hoch, und er starrte mit entsetzter Miene zum Vorkastell. „Geh da weg, Onkel!“ schrie er.

Der schmierige Mann riß den Kopf herum und spähte über die Schulter hoch zum Vorkastell. Aber da war gar kein „Onkel“. Und ihn selbst bewegte im selben Augenblick eine unsichtbare Kraft schwebend zurück durchs Kombüsenschott. Er segelte über den breiten Herd mit dem Holzkohlenfeuer, spürte die Hitze und zog den Abzug durch. Die Kugel durchschlug glatt die beiden Wandungen eines Kupferkessels und bohrte ein Loch in einen Mehlsack.