Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1 - Davis J. Harbord - kostenlos E-Book

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1 E-Book

Davis J. Harbord

5,0

Beschreibung

Die Männer vom Preßkommando der "Marygold" merkten zu spät, auf was sie sich eingelassen hatten, als sie den Mann aus Cornwall vor der Hafenkneipe einkreisten. Und als sie es merkten, war bereits der Teufel los - denn Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, war noch wilder als der Sturm, der gerade über Plymouth hinwegfegte...

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Impressum© 1975/2012 Pabel-Moewig Verlag GmbH,Pabel ebook, Rastatt.ISBN: 978-3-95439-090-8Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

1.

Der Wind orgelte von Süden heran. Er hatte Sturmstärke und stieß die Wassermassen in den Plymouth Sound, jagte sie vor sich her und schmetterte sie mit ungeheurer Wucht gegen die Hafenbollwerke. Sie ächzten und stöhnten, als litten sie Folterqualen.

Es war eine gespenstische kalte Nacht — eine jener rauhen Nächte im Oktober 1576, in denen die Herbststürme wie entfesselte Reiterscharen über den Atlantik tobten. Und es schien, als hätten sie zum Ziel, diesen lächerlichen Zipfel Cornwall an der südwestlichsten Ecke Englands wie ein dünnes Hemd zu zerfetzen.

Die Leute von Plymouth kannten das. Die Ängstlichen unter ihnen zogen sich die Bettdecke über die Ohren, beteten, bereuten ihre Sünden und lauschten dem Fauchen des Sturms, der durch die engen Häuserzeilen mit den vorgekragten Dächern fegte. Sie kannten diese Stürme — und doch zuckten sie jedesmal zusammen, wenn mit peitschenartigem Knall ein Fensterladen aufsprang und gegen eine Hauswand krachte.

Doch nicht alle zitterten um ihr Leben, nicht alle beteten zu Gott oder verkrochen sich im Bett. Zumindest nicht jene, die dem Teufel schon einige Male ein Ohr abgesegelt hatten und gegen den Wind spuckten, wenn er ihnen zu mickrig erschien.

Philip Hasard Killigrew betete nicht. Im Gegenteil, es war eine Nacht ganz nach seinem Geschmack, und er ließ sich vom Sturm keineswegs in die „Bloody Mary“ wehen.

Diese Kneipe stand unmittelbar an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street, die direkt vor den Great Western Docks zusammenstießen. Natürlich hätte die Schenke auch „St. Mary“ heißen können, denn mit ihrer einen Hälfte bildete sie das südliche Ende der St. Mary Street. Indes war der Großvater von Nathaniel Plymson, dem Wirt der „Bloody Mary“, alles andere als ein frommer Mann gewesen. Böse Zungen behaupteten, der Alte habe an der Küste von Cornwall die Strandräuberei betrieben und mit dem solchermaßen „verdienten“ Geld die „Bloody Mary“ aus der Taufe gehoben.

Sein Enkel Nathaniel hütete das Erbe, das ihm in den feisten Schoß gefallen war. Er scherte sich einen Dreck darum, daß die scheinheiligen Bürger von Plymouth die „Bloody Mary“ als Sündenpfuhl und Lasterhöhle bezeichneten. Für ihn war die „Bloody Mary“ eine wahre Goldgrube.

Hier versoffen die Seeleute ihren letzten Penny samt Hemd und Hose. Und wenn sie wieder aufwachten, war Plymouth samt seiner „Bloody Mary“ nur noch ein ferner Traum hinter der Kimm, und der fette Plymson war wieder einmal um zwei Pfund reicher. Der Jahreslohn eines Zimmermanns, der sich redlich mühte, betrug gerade sieben Pfund. So gesehen kassierte Plymson für den „Verkauf“ eines betrunkenen Seemanns eine horrende Summe. Dazu kamen noch Erlöse für bestimmte Beutewaren, die über oder unter der Theke der „Bloody Mary“ ihren Besitzer wechselten und dank Plymsons Beziehungen über allerlei dunkle Kanäle weiterbefördert und in klingende Münzen verwandelt wurden.

Der Sturmstoß, mit dem Philip Hasard Killigrew in die „Bloody Mary“ platzte, wirkte wie ein brettharter Scheuerlappen, der den Zechern um die jäh geduckten Köpfe geschlagen wurde.

„Tür zu!“ schrie Plymson.

„Ist zu.“

Plymson hielt die ordinäre Schwarzhaarperücke fest, die ihm der Sturmstoß schier von der Glatze gefegt hätte.

Der mumifizierte Stör über dem Tresen schaukelte sanft hin und her. Er war so lang wie ein kräftiger Männerarm und hatte sein Maul weit aufgerissen.

An dem rohen Holztisch hinten im Gewölbe kicherte jemand. Plymson starrte den großen, breitschultrigen Mann, der die Tür verdeckte und grinsend zwei Reihen weißer Zähne zeigte, strafend an.

Philip Hasard Killigrew nahm keine Notiz davon. Sein Gang war wie der einer Wildkatze. Als er an der Theke stand, mußte Plymson den Kopf in den Nacken legen um zu ihm hochzuschauen.

Er blickte in zwei eisblaue Augen.

Es waren junge Augen in einem Gesicht, das Härte verriet und bereits unauslöschlich von Wind, Wetter und Sonne gezeichnet war. Ein junges und doch schon altes Gesicht, braungebrannt und wild.

Über Plymsons Rücken huschte ein kalter Schauer. Aber er hätte nicht Plymson sein dürfen, wenn er nicht bereits im Geist überschlagen hätte, daß dieser gutaussehende Fremde mehr wert war als die üblichen zwei Pfund. Unter Brüdern vielleicht sogar drei Pfund. Seine Finger rückten erregt die schmierige Perücke zurecht.

„Ein wirklich hübsches Exemplar“, sagte Philip Hasard Killigrew.

„Meine Perücke?“ fragte Plymson irritiert.

Killigrew lächelte.

„Die natürlich auch“, sagte er. „Nein, ich meinte den Stör da oben.“

„Ein Erbstück“, sagte Plymson.

Mit einemmal tanzten tausend Teufel in Killigrews eisblauen Augen.

„Die Perücke?“

„Nein, der Stör“, erwiderte Plymson gereizt. „Sieht meine Perücke vielleicht nach einem Erbstück aus?“

Der junge Riese hob die breiten Schultern.

„Ich weiß nicht, wie ein Erbstück aussieht. Mein Alter lebt noch.“

„Wer ist Ihr Alter?“

„John Killigrew.“

Plymson starrte den jungen Mann an. Zwei Männer, die allein an einem Tisch hinter einem Pfeiler saßen, horchten auf.

„Sagten Sie John Killigrew, Sir?“

Der junge Riese nickte gleichgültig.

„John Killigrew aus Falmouth?“ fragte Plymson, der seine Erregung nun kaum noch verbergen konnte. Sein Blick suchte die beiden Männer hinter dem Pfeiler. Er konnte sie sehen, und er wußte, daß ihnen kein Wort der Unterhaltung entging.

Philip Hasard Killigrew sah sie nicht. Er nickte wieder, auch diesmal gleichgültig. Dennoch fragte er sich, was diesen feisten Wirt so heftig erregte. Daß die Killigrews aus Falmouth – voran Sir John – gewinnträchtig zur See fuhren, sollte auch in Plymouth bekannt sein.

„Ich habe da einen spanischen Wein, Sir – mhmm!“ Plymson verdrehte seine wäßrigen Äuglein, die schier im Fett verschwanden, und küßte verzückt die Spitzen seiner kurzen Finger. Dann flüsterte er: „Beuteware. Und umsonst für jeden, der zum erstenmal die ‚Bloody Mary‘ besucht.“

„Süß?“ fragte Philip Hasard Killigrew.

Plymson schien um mindestens zwei Fingerbreiten zu wachsen. Er wischte seine Perückenlocke aus der Stirn und starrte in die eisblauen Augen.

„Süß? So süß wie die Lippen einer feurigen Andalusierin!“

Sehr sachlich fragte Philip Hasard Killigrew: „Woher wissen Sie das?“

„Woher weiß ich was?“ fragte Plymson verdutzt.

„Das mit den feurigen Lippen.“

„Oh“, sagte Plymson und drohte mit dem Finger, „Sie sind ja ein Schelm!“

„Bestimmt“, sagte Philip Hasard Killigrew.

„Nun, das werden Sie bald selbst feststellen“, sagte Plymson bedeutungsvoll. Dann grinste er, und dieses Grinsen gefiel dem jungen Mann plötzlich überhaupt nicht mehr.

Hier war ein Spiel im Gange, bei dem er unvermittelt zur Hauptperson ernannt worden war.

Der Wirt tauchte unter den Tresen und schien in einem Regal herumzugrapschen. Jedenfalls war eine Zeitlang nur sein beschwerliches Ächzen und Schnaufen zu hören. Als er wieder hochkam, schwenkte er eine verstaubte Flasche.

„Dunkel wie eine andalusische Nacht.“ Er schenkte den öligen Wein in einen Zinnbecher.

Von der St.-Andrew-Kirche hallten Glockenschläge durch die Sturmnacht. Im Schankraum war es kühl und so finster, daß man nur wenige Schritte weit sehen konnte.

„Probieren Sie mal, Sir.“

Plymson schob den Zinnbecher über den Schanktisch.

Philip Hasard Killigrew stand ganz still und starrte auf den Becher mit dem rubinroten Wein. Er schien zu überlegen.

„Da fehlt noch ein Becher“, sagte er schließlich, ohne den Kopf zu heben. „Ich möchte mit Ihnen anstoßen.“

Plymson kicherte. „Denken Sie ...“

„Ja“, sagte Philip Hasard Killigrew hart. „Genau das denke ich.“

„Sie sind wirklich ein Schelm, Sir Killigrew.“

„Und was für einer. Den ‚Sir‘ können Sie sich von mir aus sparen.“

Plymson lächelte wie ein Faun und schenkte einen zweiten Zinnbecher voll. Er hob ihn an die Lippen.

„Zum Wohl, Killigrew. Bis zur Neige!“

„Bis zur Neige.“

Sie leerten die Becher, und Plymson schenkte sofort nach. Er blickte nun wieder recht zufrieden drein.

„Ein sehr guter Wein“, sagte Killigrew, „fast zu gut ...“

„Zu gut? Für was zu gut?“

„Für einen Schelm wie mich.“

„Nicht doch“, widersprach Plymson. „Sie sind mein Gast, und es ist mir eine Ehre, meinen besten Wein einem Killigrew anbieten zu dürfen. Setzen Sie sich, und genießen Sie Plymsons ‚Andalusische Nächte‘. Ich habe noch ein paar Flaschen.“

„Vorsichtig“, sagte Philip Hasard Killigrew, „im Saufen war ich noch allemal besser als der alte John.“

„Nur im Saufen?“

„Nein, auch im Entern“, sagte Killigrew, nahm die Flasche und den Becher und tigerte auf einen leerstehenden Tisch in einer Mauernische zu.

Hinter seinem Rücken warf Plymson einen schnellen Blick zu den beiden Männern hinüber, die bei dem Pfeiler saßen. Er nickte ihnen kaum merklich zu und winkte in einer drängenden Geste zur Tür hin. Als sich Killigrew mit dem Rücken zur Wand setzte und zu ihm hinüberschaute, widmete Plymson sich intensiv seiner Nase.

Eine graue Katze strich schnurrend um Killigrews Beine. Er nahm sie auf und streichelte sie. Ihr linkes Ohr war von wilden Kämpfen auf den Dächern von Plymouth zerfleddert und zernarbt. Als er den Zinnbecher vollschenkte, setzte sie mit einem eleganten Sprung auf den Tisch. Sie schnupperte, stellte den Schwanz hoch und tunkte das Mäulchen in den Wein.

„He, he!“ protestierte Philip Hasard Killigrew verblüfft.

Die Katze schlabberte, leckte sich die Barthaare und starrte ihn mit einem rätselhaften Blick an.

„Noch ein Schelm“, sagte Philip Hasard Killigrew.

Sie tranken abwechselnd – die Katze und er. Sie immer nur, wenn er wieder vollgeschenkt hatte.

Plymson hantierte mit Bechern und Flaschen und wischte geschäftig mit einem Lappen über den Schanktisch. Draußen jammerte der Sturm sein Lied. Ganz so wild klang es nicht mehr.

Zwei Männer tauchten hinter einem Pfeiler auf und schlenderten zum Tresen. Der eine hatte einen Ring im linken Ohrläppchen und blickte scheinbar gleichgültig weg, als Philip Hasard Killigrew ihn angrinste. Sie tuschelten mit dem dicken Plymson. Der redete gestenreich mit den Händen, verdrehte die Augen und schob seine Perücke auf der Glatze hin und her. Er schüttelte ein paarmal den Kopf, blies die dicken Backen auf, pochte auf die Theke und deutete auf seinen Bizeps, auf seine Schultern und tippte sich schließlich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

Verrückt, dachte Philip Hasard Killigrew.

Der Mann neben dem Kerl mit dem Ohrring zog einen Ledersack aus dem Wams und stellte ihn auf den Schanktisch. Dort blieb der Beutel nur ein paar Sekunden stehen, dann hatte ihn der dicke Plymson weggezaubert. Nur ein bißchen geklingelt hatte es – so wie Münzen klingelten.

Die beiden Männer marschierten hintereinander zur Tür, schauten weder nach rechts noch nach links und schon gar nicht zu dem einsamen Zecher mit der Katze. Die Tür prallte ihnen entgegen, und wieder fegte ein Sturmstoß durch die „Bloody Mary“.

Der dicke Plymson watschelte hastig zur Tür und rammte sie hinter den beiden Männern dicht.

Philip Hasard Killigrew schüttelte die Flasche und stellte sie auf den Kopf – leer. Die paar Tropfen leckte die Katze vom Tisch. Sie war putzmunter, streckte den geschmeidigen Rücken und starrte Hasard erwartungsvoll an.

„Du bist dem Suff verfallen“, sagte Hasard zu ihr. „Mal sehen, vielleicht kriegen wir noch eine.

So war es.

Nathaniel Plymson brachte die zweite Flasche.

„Kusch!“ sagte er zu der Katze.

Die fauchte, stellte den Buckel hoch und fegte mit einem Satz unter Hasards Stuhl.

Der dicke Plymson gebärdete sich ziemlich wütend. Seine Wabbelkinns zitterten erregt. Er rückte ganz dicht an Hasards Stuhl und bolzte mit seinem Stiefel nach der Katze.

„Hau ab, du Mistvieh!“

Er roch nach Schweiß, und Hasard drehte seine Nase weg. Weiß der Teufel, er mochte diesen Geruch nicht. Männer, die Angst hatten, rochen wie dieses fette Mastschwein.

Die Katze unter seinem Stuhl fauchte erbittert. Ihre rechte Pfote zuckte hervor, blitzartig und wild, und hieb die gespreizten Krallen mit den winzigen Dolchspitzen in das Hosenbein des Dicken.

Plymson quiekte wie ein Ferkel und sprang zurück. Aus dem zerrissenen Hosenbein sickerte Blut.

„Wer eine Katze tritt, hat selbst schuld“, sagte Hasard und schenkte aus der neuen Flasche Wein in den Zinnbecher.

Nathaniel Plymson wankte zum Tresen zurück. Er jammerte und verschwand durch die Tür, die zur Küche führte.

„Brav“, sagte Hasard, nahm den Zinnbecher, bückte sich und stellte ihn zwischen seine Beine auf den Steinboden.

Das Katzenköpfchen erschien und schlabberte.

Und kurz darauf sank das Katzenköpfchen zur Seite und stieß dabei den Becher um. Der Wein lief blutrot über den Boden. Das Kätzchen schnaufte, rollte sich zusammen und fing tatsächlich an zu schlafen.

Philip Hasard Killigrew runzelte die Stirn und saß ganz still. Er starrte auf das Kätzchen hinunter und dachte, so ist das also. Andalusische Nächte! Na warte, du Bastard!

Er nahm den Zinnbecher auf, schenkte sich einen kleinen Schluck ein und kostete vorsichtig. Der Wein war süffig wie zuvor, und dennoch hatte er jetzt einen kaum wahrnehmbaren bitteren Nachgeschmack.

Hasard stand auf, griff sich Flasche und Becher und schlenderte durch die „Bloody Mary“. Aus der Küche klang die wütende Stimme von Nathaniel Plymson.

Vor einem Tisch hinter dem Pfeiler blieb Hasard stehen und schaute den beiden Männern zu, die miteinander würfelten und abwechselnd den ledernen Becher auf die Tischplatte droschen. Ihre Krüge mit Dünnbier waren leer.

„Verzeihung“, sagte Hasard. „Darf ich mir erlauben, Sie zu einem andalusischen Schluck einzuladen?“

„Was ist denn das?“ fragte der eine. Er sah ziemlich verludert aus, trug einen mehrfach geflickten Kittel, Kniehosen und Stulpenstiefel.

„Spanischer Wein“, sagte Hasard.

„Schenk ein“, sagte der Mann und schob seinen Humpen über den Tisch.

„Mir auch“, sagte der andere, ein dünnes Männchen mit einem Zickenbart. Er sah nicht ganz so verludert aus, trug Schnallenschuhe, zerschlissene Seidenstrümpfe, Kniehose und Wams, den eine schmuddelige Halskrause zierte.

Hasard schenkte ein.

„Wer bist’n du?“ fragte der erste und griff nach dem Humpen.

„König Artus“, sagte Hasard todernst.

Das Männchen mit dem Zickenbart kicherte.

Sein Kumpan riß die Augen auf. „Lebt’n der noch?“

„Er war nie tot“, erwiderte Hasard.

„Was du nicht sagst!“ Der Mann schüttete mit einem gewaltigen Zug den andalusischen Wein in die Kehle. „Ahh!“ Er wischte sich über den Mund. „Der geht einem richtig runter.“

Der Zickenbärtige trank ebenfalls. Hasard drehte sich um und blickte zur Theke. Nathaniel Plymson stand dort. Er hatte sichtliche Mühe, nicht umzufallen. Er hielt sich an der Schanktischkante fest und hatte hervorquellende Augen. Dabei schnappte er nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Hasard grinste ihn freundlich an und wandte sich wieder dem Tisch zu. Der Zickenbärtige schlief bereits. Sein Kopf hing nach rechts. Der andere blickte Hasard aus verträumten Augen an, hatte den Mund halb offen und wurde auf dem Stuhl zusehends kleiner. Dann verdrehte er die Pupillen nach oben und entschlummerte.

„Ts, Ts“, machte Hasard und schritt zum nächsten Tisch.

Der Mann, der dort saß, hatte ein liederliches Frauenzimmer auf dem Schoß und seine Hand dort, wo sie ein Gentleman nicht haben sollte, nämlich bis zum Ellbogen im Halsausschnitt des liederlichen Frauenzimmers.

Hasard war taktvoll genug, ihn nicht zu stören. Vielleicht hatte der Mann dort unten, zwischen, am oder über dem Busen des Frauenzimmers etwas verloren und suchte es jetzt. Das Frauenzimmer schien jedenfalls ob der Suche sehr glücklich zu sein.

Aber da sagte der Mann: „He, Langer! Gibst du uns einen aus?“

„Gern“, erwiderte Hasard.

Zwei Minuten später versteinerte das Paar zu einem schlafenden Denkmal. Es war, als habe sie ein Zauberstab berührt. Die Hand des Mannes, der kein Gentleman war, befand sich immer noch dort, wo sie nicht sein sollte.

Philip Hasard Killigrew schritt zur nächsten Tat, aber da hing der dicke Plymson an seinem Arm und zerrte daran.

„Bitte, Sir, nicht mehr“, sagte er weinerlich.

Hasard wischte die feiste Hand von seinem Arm und schob den Dicken zur Theke zurück. Der Wirt humpelte und hatte einen prächtigen Verband am Bein.

„So, Freundchen“, sagte Hasard und rammte den dicken Plymson gegen die Theke, „jetzt mal heraus mit der Sprache. Wieviel hast du für mich kassiert?“

„Ich – nichts“, stammelte Nathaniel Plymson, „wirklich.“

„Du hast die Wahl“, sagte Hasard mit einer sehr leisen und gefährlichen Stimme. „Entweder rückst du den Ledersack heraus, oder ich stopfe dir deine dreckige Perücke in den Hals. Such’s dir aus.“

„Ogottogott“, jammerte Nathaniel Plymson.

Hasard fackelte nicht lange. Mit einem kurzen Griff schnappte er sich die Perücke des Wirtes.

„Na?“ sagte er.

„Ich – ich hol den Ledersack“, stieß Nathaniel Plymson hervor.

„Wo ist er denn?“

„In – in der Schublade unter dem Schanktisch.“

Hasard umkreiste die Theke, fand die Schublade, öffnete sie und holte den Ledersack heraus. Er steckte ihn ein und warf dem Dicken die Perücke zu.

„Nun weiter“, sagte er mit seiner leisen, gefährlichen Stimme. „Angenommen, ich schliefe jetzt. Wie sollte die Sache weitergehen?“

Nathaniel Plymson schluckte. Er schien plötzlich eine dicke Kröte in seinem Hals zu haben. Dann zwang er sich ein vertrauliches Lächeln ab und schaute mit gesalbtem Blick zur Decke hoch. „Ich – ich hätte sie natürlich schlafen lassen, Sir.“

„Gewiß“, sagte Hasard und zeigte seine weißen Zähne, „das war ja auch der Zweck des andalusischen Schlaftrunks, du alter Betrüger. Fragt sich nur, wo ich aufgewacht wäre. Was meinst du?“

„Oh!“ Wieder der gesalbte Blick. „Aufgewacht? Im Bett natürlich, wo denn sonst?“

Hasard packte ihn an dem groben Leinwandhemd und zog ihn zu sich heran. „Dicker, sag die Wahrheit, sonst frißt du doch noch deine Perücke.“

Nathaniel Plymson schrumpfte unter dem eisblauen Blick Hasards zusammen. Schweiß sammelte sich auf seiner Glatze und perlte über seinen feisten Nacken. Wenn dieser verdammte Killigrew seine Zähne zeigt, dachte er, sieht er aus wie ein Seewolf.

„Na?“ fragte Hasard.

„Sie – sie warten draußen“, flüsterte Nathaniel Plymson und wischte sich mit der Perücke den Schweiß von der Stirn.

In den blauen Augen leuchtete es auf. Ohne jedes Weitere Wort wandte sich Hasard ab und glitt mit wenigen Schritten zur Tür.

Nathaniel Plymson hastete zur Küchentür. Rechts neben dem Türstock hing eine starke Kordel, an der er dreimal zog. Die Kordel lief über mehrere Rollen in ein Nebengemach und hatte die sinnvolle Funktion, dort vor einem kleinen Fenster eine Holzblende auf und ab zu bewegen. Das Fenster führte zur Millbay Road hinaus. Natürlich war das Gemach erleuchtet. Das dreimalige Ziehen Nathaniel Plymsons warf drei Lichtblinke auf die Millbay Road. Nach dem dritten Kordelzug brüllte Nathaniel Plymson los und bewaffnete sich mit einem Knüppel, den er unter der Theke hatte.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Philip Hasard Killigrew bereits vor der „Bloody Mary“.

2.

Sie kamen zu fünft.

Zwei schlichen von der Millbay Road heran – von links, und zwei näherten sich von der St. Mary Street – von rechts. Der Kerl mit dem Ohrring steuerte das Opfer direkt von vorn an. Er stieß den Kopf vor und glotzte verblüfft. Der Riese schwankte ja noch nicht einmal. Der stand da, etwas geduckt, sein schwarzes Haar flatterte in den Böen, wild und verwegen sah er aus – und gefährlich.

Hinter Philip Hasard Killigrew schrie Nathaniel Plymson Zeter und Mordio, und in der „Bloody Mary“ wurden die Zecher rebellisch. Die Katze, die beiden Männer und der Kerl mit dem liederlichen Frauenzimmer schliefen weiter. Nur die Hand des Kerls im Ausschnitt des liederlichen Frauenzimmers zuckte etwas. Und das liederliche Frauenzimmer stöhnte ein bißchen.

Der Kerl mit dem Ohrring stieß einen wüsten Fluch aus und fischte ein Messer aus dem Stiefelschaft.

Messer waren Hasard zuwider. Messer waren Waffen, die hinterrücks und aus dem Dunkel zustießen.

„Weg mit dem Messer!“ Seine Stimme war so scharf und schneidend wie das Messer selbst.

Sie lähmte den Mann mit dem Ohrring für einen entscheidenden Augenblick. Er empfing einen Tritt unter das Handgelenk, das Messer klirrte über die Pflastersteine, und dann explodierte sein Kopf. Diese Faust war aus Eisen. Er flog hinter seinem Kopf her und verschwand hinter der Kaimauer. Ein Aufklatschen verriet, daß er ein kühles Bad nahm.

Die beiden von der Millbay Road nahm Philip Hasard Killigrew geschlossen an. Er stieß ihre Köpfe zusammen und beförderte sie mit zwei kräftigen Fußtritten in den Hintern quer über die Millbay Road. Sie schrammten über die buckligen Katzenköpfe und blieben benommen liegen.

Hasard hörte die Schritte der beiden anderen von der St.Mary Street und fuhr herum. Sie griffen nicht Schulter an Schulter an, sondern umkreisten ihn vorsichtig.

Der Mann mit dem Ohrring planschte hinter der Kaimauer im Wasser und brüllte, er könne nicht schwimmen, und sie sollten ihn, verdammt noch mal, herausholen.

In der Millbay Road wurde ein Fensterladen aufgestoßen. Ein Topf eindeutigen Inhalts klatschte auf die Straße. Die beiden Kerle, deren Köpfe Hasard malträtiert hatte, schossen hoch wie kleine Teufelchen aus der Kiste und brüllten infernalisch.

Der Inhalt des Topfes hing teils in ihren Haaren, teils bahnte er sich einen Weg in die Ausschnitte ihrer Hemden. Aber sie waren auch davor keineswegs peinlich sauber gewesen.