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Im Morgengrauen entdecken Hasard und seine Männer in einer Bucht eine schlanke Zweimastgaleone. Auf dem Schiff rührt sich nichts. Das ist ungewöhnlich. Hasards Männer entern zur Galerie hoch. Alles leer. Schließlich finden sie einen Mann, den die Spanier hier abgemagert, zerlumpt und halbverhungert zurückgelassen haben. Der Seewolf hört eine Geschichte von diesem Mann, die phantastisch wie ein Märchen und dann wieder so grausam wie ein Alptraum ist. Und plötzlich sieht Hasard, welche Gefahr ihm von diesem Schiff drohen wird. Er hat kaum noch Zeit, einen Plan zu entwickeln, um die Spanier mit ihren eigenen Waffen zu schlagen...
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Seitenzahl: 2701
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Impressum© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.ISBN: 978-3-95439-491-3Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Nr. 21
Kapitel 1
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 22
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Nr. 23
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 24
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 25
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 26
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Nr. 27
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 28
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 29
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 30
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 31
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 32
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Nr. 33
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 34
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 35
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 36
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 37
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 38
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Nr. 39
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 40
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nebeliggraue Schleier kündigten das Heraufziehen des neuen Tages an. Das schale Licht des Morgengrauens verlieh dem Himmel über der chilenischen Küste eisengrauen, matten Glanz. Der Wind stand von Westen und blies gegen den schwärzlichen Uferstreifen an, hinter dem sich bald der Feuerball der Sonne erheben würde.
Mit sattem Schmatzen schlugen die Wellen gegen die Bordwände der Segelpinasse, die in Sichtweite der Küste südwärts fuhr. Sie lag ziemlich tief. Bisweilen senkten sich Heck oder Bug so bedrohlich nach unten, daß Wasser übers Dollbord schwappte und Philip Hasard Killigrews Männer fast nasse Hintern kriegten.
Den Seewolf mitgerechnet, befanden sich zehn Männer an Bord. Darüber hinaus barg die Pinasse eine Ladung, die schwer wie ein Haufen Kanonenkugeln wog – mit dem Unterschied, daß sie weitaus wertvoller war und ganz bestimmt nicht in Waffenrohre gestopft werden würde. Pures Silber schleuderte man nicht zurück in des Feindes Rachen. Pures Silber würde Kapitän Francis Drake im Triumphzug zurück nach England segeln, zu Ehren und zum Nutzen der Lissy.
Es war der 22. Dezember 1578. In Chile herrschte nicht Winter, sondern Sommer, weil sie sich ja auf der unteren Halbkugel befanden. Ben Brighton, der die Wache übernommen hatte und ruhig wie immer am Ruder hockte, vergeudete einen flüchtigen, etwas wehmütigen Gedanken an die „Bloody Mary“, Nathaniel Plymons Spelunke in Plymouth. Sicherlich ging es dort so kurz vor Weihnachten hoch her. Die Kerle drängten sich vor der Theke, hoben ihre Humpen, schlugen einen Heidenspektakel, und Plymsons Perücke hing mal wieder schief.
Kapitän Drakes Männer war ein solches Vergnügen nicht vergönnt. Sie befanden sich auf großer Entdekkungs- und Kaperfahrt, hatten die Magellanstraße passiert und dem Teufel dabei wahrhaftig ein Ohr abgesegelt. Die höllische Fahrt hatte bis aufs äußerste an ihren Kraftreserven gezehrt – bis sie endlich die Insel Mocha und nun den 30. Breitengrad erreicht hatten.
Drake ankerte mit der „Golden Hind“ im Mündungsgebiet des Coquimbo. Philip Hasard Killigrew hatte den Auftrag erhalten, die Küste mit der Segelpinasse abzugrasen und nach dem Verbleib der „Elizabeth“ und der „Marygold“ zu forschen. Beide Schiffe hatten sie bei den Stürmen unten am Kap aus den Augen verloren. Doch immer noch hoffte Drake, sie hätten wie die „Golden Hind“ alles glimpflich überstanden und wären zum 30. Breitengrad gesegelt, der als Treffpunkt vereinbart war, falls der Verband auseinandergerissen wurde.
Ben Brightin grinste. „Bloody Mary“ oder nicht, dachte er, dieser vertrackte Törn trägt endlich auch seine Früchte. Zufrieden blickte er auf die Ladung, die da unter einem Stück Segeltuch versteckt lag: Silberbarren. Sie hatten sie den Dons abgeknöpft, ehe diese richtig begriffen hatten, was überhaupt los war. Das Maultier, das die Barren hatte tragen müssen, hatte sich über die unerwartete Erleichterung gewiß gefreut. Ben Brighton grinste bei diesem Gedanken von einem Ohr zum anderen.
In der ersten Nacht ihrer Küstenfahrt mit der Pinasse hatten sie in der Nähe der Landspitze Punta Lengua de Vaca – das bedeutete übersetzt „Kuhzungenspitze“ – ein spanisches Silberbergwerk entdeckt, in dem Indianer als Sklaven unter den höllischsten Bedingungen schufteten. Tausend Teufel hatten den Seewolf plötzlich geritten.
Für einige Zeit hatten sie ihren eigentlichen Auftrag vergessen und waren an Land gegangen. Hasard hatte gewußt, daß er hoch spielen und einiges riskieren konnte, denn mit ihm auf der Segelpinasse fuhren neun Männer, die außer einem zur alten „Isabella“-Crew zählten: Ben Brighton, Batuti, der riesige Gambia-Neger, Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, und das Bürschchen Dan O’Flynn, Gary Andrews und Blacky. Nur Richard Minivy, der zehnte Mann, ein Kleiderschrank von Kerl, stammte aus Drakes Mannschaft. Ein Schnelldenker war er nicht, doch er glänzte als hervorragender Ruderschlagmann.
An Waghalsigkeit mangelte es wahrhaftig nicht – nach den Ereignissen auf der Mocha-Insel und der bitteren Niederlage der Dons hatte sich an der chilenischen Küste rasch herumgesprochen, daß der berüchtigte „El Draque“ – Kapitän Drake – aufgetaucht sei und auch schon Beute geschlagen habe. Der Gouverneur in Lima hatte die einzelnen Häfen warnen lassen. Spanische Schiffe waren nach Süden ausgelaufen, um Drake abzufangen. Allgemein wurde angenommen, er würde durch die Magellanstraße wieder zurücksegeln. Bekannt war allenthalben, daß Drake mit den Indianer zusammenarbeitete, gegen die die Spanier sowieso einen ausgeprägten Haß hegten.
Unterdessen ankerte die „Golden Hind“ vor der Mündung des Coquimbo, doch in Anbetracht der brenzligen Lage hatte Drake dem Seewolf nur zwei Tage Zeit gewähren können, um die „Elizabeth“ und die „Marygold“ zu finden. Hasards Abstecher an Land hatte also flink abgewickelt werden müssen.
An der Küste hatten sie während der Nacht bereits die ersten Gegenmaßnahmen der Spanier bemerkt. Indianerdörfer wurden in Brand gesteckt, die Bewohner niedergemetzelt. Gewaltsam sollten die Menschen daran gehindert werden, Drake zu unterstützen. Hasard hatte kalte Wut gespürt, und die hatte ihm den letzten Auftrieb zu seinem Entschluß gegeben.
Sie hatten die Maultierkolonne überfallen, die die Barren von dem Bergwerk abtransportierte. Mit ihrer Silberlast hatten sie sich wieder zum Strand abgesetzt und waren in der Dunkelheit mit ihrer Pinasse nach Süden verschwunden.
Hasard und die Hälfte der Männer schliefen jetzt mehr schlecht als recht auf den Bodenbrettern unter den Duchten. Außer Ben hielten noch Batuti, Pete Ballie, Dan O’Flynn und Gary Andrews die Augen offen.
Dan spähte voraus und sichtete als erster, wie sich der düstere Küstenstreifen weiter in die See hinausschob. Ein Kap. Durch eine Gebärde bedeutete er Brighton, nach Steuerbord auszuweichen. Sie umsegelten das Kap. Außer dem Plätschern des Wassers und dem leisen Knattern des Tauwerks war nichts zu vernehmen. Es herrschte gleichsam Totenstille an Bord.
Dan stieß plötzlich einen leisen Pfiff aus.
Ben Brighton richtete sich auf der Ruderbank auf, und auch Batuti und die anderen wachen Männer strafften ihre Körper. Alle sahen nun, auf was Dan sie hingewiesen hatte.
Das Kap bildete die nördliche Spitze einer schlauchartigen Bucht. In dieser, dicht unter Land, erhob sich ein dunkler, schlanker Rumpf mit unbeleuchteten Aufbauten und Masten mit ausgegeiten Segeln.
„Hol’s der Teufel“, sagte Pete Ballie. „Eine Zweimastgaleone. Und was für ein schnittiger Kahn!“
„Ein Schnellsegler“, stellte Ben Brighton fest. Er blickte aus schmalen Augen zu dem Schiff hinüber und erkannte, daß es an seiner Steuerbordseite in Höhe der Kuhl vier Geschützluken zeigte. „Los, weckt den Seewolf und die anderen!“
Batuti versetzte Hasard einen leichten Stoß. Der war sofort wach, blinzelte und richtete die eisblauen Augen auf die Bucht. Pete Ballie und Gary Andrews rüttelten die anderen auf die rücksichtsvolle Art wach, die sie so an sich hatten. Blacky erhielt eine Ohrfeige, weil er nicht gleich schaltete. Fluchend zog er sich am Dollbord empor.
Hasard schaute an Dan O’Flynn vorüber. Sein Blick tastete die Umrisse der stolzen Galeone ab. Der Wind fuhr in seine schwarzen Haare und zerzauste sie. Er reckte sich, wandte sich um und zeigte den achtern sitzenden Männern seine große, breitschultrige Gestalt. Plötzlich legte er seine weißen Zahnreihen frei.
„Also, was haltet ihr von dem Pott?“
„Alles andere als ein müder Waschzuber“, entgegnete Ben Brighton gelassen.
„Ein verdammter Don“, gab Blacky seinen Senf dazu.
„Kurzum, es würde sich schon lohnen, ihn zu entern“, verkündete das Bürschchen O’Flynn fröhlich in Hasards Rücken.
Ohne den Kopf zu wenden, sagte der Seewolf: „Habe ich das Wort Entern gehört? Na schön, wenn ihr so versessen darauf seid, den Spaß will ich euch nicht nehmen. Ben, nimm Kurs auf den Don. Ihr anderen, macht euch bereit!“
Sie umrundeten das Kap und gingen vor den Westwind. Brighton bugsierte die Pinasse sicher in die Bucht. Philip Hasard Killigrew stieß seine Kommandos halblaut aus. Er ließ wieder anluven, dann steuerten sie am Wind von achtern an die Galeone heran.
Noch regte sich nichts an Bord des Schiffes, noch hatte sie niemand bemerkt. Dan O’Flynn richtete sich in seinem Ausguck am Bug der Pinasse auf, so hoch es ging. Im Osten schob sich die Sonne hinter bizarren Bergkuppen hoch und schickte ihre Strahlen aus. Dan deckte die, Augen schützend mit der Rechen ab. Angestrengt hielt er Ausschau.
„Ein Landesteg aus Holz“, meldete er plötzlich. „Ein Beiboot ist dran vertäut.“ Hasard grinste. „Aha. Und was siehst du sonst noch?“
„Nichts außer einem Pfad, der zwischen Felsen und Steilküste ins Innere des Landes führt.“
Hasard ließ sich von Dan den Kieker aushändigen. Aufmerksam schaute er hindurch und suchte das Oberdeck der Galeone ab. Kein Mensch ließ sich sehen. Hasards Blick wanderte weiter nach vorn, auf die Back, über Bugspriet und Klüverbaum hinweg, dann zurück bis an die Bordwand, wo er den Namen des stolzen Spaniers erkennen konnte. „Valparaiso“ hieß er.
„In den Wind gehen, Ben“, sagte der Seewolf zu seinem Bootsmann.
Die Segelpinasse drehte und lief querab vor der Steuerbordseite der „Valparaiso“ aus, bis die Heckgalerie erreicht war. An Bord der Pinasse setzte rege Tätigkeit ein. Stenmark, Batuti und Pete Ballie warfen die Leinen aus und machten fest. Gary Andrews, Blacky und Richard Minivy geiten das Segel auf.
Matt Davies, Dan O’Flynn und Hasard nahmen am Bug Aufstellung und ließen die Enterhaken an ihren Tampen über ihre Köpfe wirbeln. Surrende Geräusche entstanden. Hasard ließ seinen Haken emporschwingen. Er krallte sich mit seinen eisernen Spitzen hinter einem hölzernen Wulst fest, der die Achtergalerie umspannte.
Dan und Matt hatten nach einigen Versuchen auch Erfolg. Hasard hangelte als erster nach oben. Auf dem Wulst angelangt, verlagerte er die Position der Haken, indem er sie hinter das Schanzkleid klemmte und ihnen so mehr Halt verschaffte. Männer wie Batuti oder Blacky Wogen mehr als Hasard, und er wollte auf keinen Fall riskieren, daß einer von ihnen zurück auf das Deck der Pinasse krachte.
Er gab den gespannt Wartenden ein Zeichen.
Sie kletterten einzeln an den Tauen hoch und hatten die Entermesser und Dolche zwischen die Zähne geklemmt. Dan O’Flynn bewegte sich wie ein Affe nach oben. Er hätte es ohne weiteres mit Arwenack, dem Schimpansenjungen, aufnehmen können.
Nachdem Ben Brighton, Batuti und Stenmark die Achtergalerie hochgeentert waren und neben ihm kauerten, riskierte Hasard einen ersten Blick über das Schanzkleid. Er hatte sich mit einem Kurzsäbel bewaffnet, den er jetzt in der rechten Faust hielt, bereit, es gleich mit einer ganzen Handvoll Dons aufzunehmen.
Das Achterdeck der Galeone war wie leergefegt. Er ließ den Blick wandern, sah den Besanmast in voller Größe, entdeckte das herrenlose Steuerrad und nichts als verlassene Planken. Er runzelte die Stirn. Was war das? Ein „Geisterschiff“?
Er drehte sich zu Ben Brighton, Batuti und den anderen um, die inzwischen den hölzernen Wulst erklommen hatten. Unter ihnen hob und senkte sich die leere Segelpinasse auf den flachen Wellen, ihr Baum schwankte leicht hin und her. Nur noch Ballie und Minivy turnten an den Tauen herum.
„Fertig?“ fragte Hasard leise.
„Aye, aye, Sir.“ Der Neger antwortete für alle.
„Dann nichts wie ran an den Feind.“ Hasard ließ sich als erster über die Brüstung des Schanzkleides gleiten. Er kam lautlos auf, duckte sich und schlich an der Backbordseite über die Poop weg. Hinter der Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Decks auf dem Achterkastell bildete, schob er sich langsam wieder hoch.
Die „Valparaiso“ war doch nicht ganz und gar verlassen.
Auf der Kuhl hockte ein Mann.
Batuti arbeitete sich auf Händen und Füßen an Hasard heran. Er hielt seinen Dolch immer noch zwischen den Zähnen, seine Augen funkelten. Ben Brighton folgte ihm dichtauf, dann kamen die anderen. Dan bewegte sich wie ein Wiesel. Er überholte Pete Ballie und Matt Davies und befand sich neben Batuti, als dieser den Seewolf erreichte.
Hasard sagte gar nichts, er wies nur grinsend über die Schmuckbalustrade.
Dan O’Flynn musterte interessiert den hockenden Mann. Er saß mit dem Rükken zum Großmast und hatte sich dem Achterkastell zugewandt. Sein Gesicht konnte man nicht sehen, denn er hatte den Kopf auf die Knie gesenkt und die Arme davor verschränkt.
„Der pennt“, tuschelte Dan respektlos. „Sollen wir ihm ein Messer zwischen die Rippen setzen?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Ich möchte, daß er weiterschläft.“
„Verstehe.“ Dan glitt hinter Batuti her. Der pirschte bereits die Stufen des nächsten Niedergangs hinunter. Dan holte ihn ein, gelangte an eine Luke und bückte sich nach den dort aufgereihten Koffeynägeln. Er zog einen hervor und warf ihn Batuti zu.
Geschickt fing der Neger ihn auf. Im nächsten Moment war er neben dem sorglos schlummernden Don. Batuti schnitt eine gespielt bedauernde Miene, holte aus und ließ den hölzernen Belegnagel auf den Schädel des Mannes niederkrachen.
Der zuckte ein bißchen zusammen und hob die Arme an. Danach stieß er einen Seufzer aus, kippte auf die linke Körperseite – und schlief tatsächlich weiter, wie der Seewolf es gewollt hatte. Dan ließ ein unterdrücktes Lachen hören.
Hasard sprang vor den übrigen Männern den Backbord-Niedergang hinunter. Durch Gesten gab er ihnen zu verstehen, wie sie vorzugehen hatten. Er selbst nahm sich mit Batuti, Dan, Brighton und Richard Minivy das Achterkastell vor. Die anderen schwärmten zum Vorschiff hin aus.
Hasard nahm mit pantherhaften Sätzen einen Niedergang, der in die ersten Kammern des Achterdecks hinabführte. Er stieß Türen auf, untersuchte Kojen und schaute nach, ob eventuell jemand daruntergekrochen war. Schließlich geriet er in die Kapitänskammer. Sie war ebenfalls leer.
Hinter seinem breiten Rücken drängten sich Batuti, Ben und die anderen beiden.
„He“, sagte Dan plötzlich. „Hört ihr das nicht? Das kommt vom Oberdeck.“
Der Seewolf fuhr herum. Oben war wirklich Gepolter zu hören, irgend jemand fluchte, was das Zeug hielt. Die fünf kehrten an den Niedergang zurück und hasteten nach oben.
Stenmark, der große blonde Schwede, schleppte einen zappelnden Mann heran. Pete Ballie, Matt Davies, Gary Andrews waren im Hintergrund zu sehen, sie hatten sich auf Vorkastell und Back verteilt.
„Noch so ein Bursche wie der, den wir schlafengelegt haben“, bemerkte Stenmark. Er hielt seine Hand, groß wie eine Bratpfanne, auf den Mund des Gefangenen gepreßt und schleifte ihn zu Hasard hinüber. „Sieh bloß mal, was der für einen Aufstand macht.“
„Auch Don“, stellte Batuti fest.
Stenmark blieb vor dem Seewolf stehen. Seine Hände hielten den Spanier wie Eisenklammern. Auf Hasards Wink hin gab der Schwede den Mund des Mannes frei.
„Wie viele Männer halten sich noch an Bord auf?“ erkundigte sich Hasard auf spanisch. „Rede!“
„Ninguno.“ Der Mann zitterte vor Angst und hatte jetzt jeglichen Widerstand aufgegeben. „Niemand.“
„Er lügt“, sagte Pete Ballie. Er nahm eine drohende Haltung ein. Der Spanier schien buchstäblich in sich zusammenzuschrumpfen. Hasard verzichtete darauf, ihn weiter zu vernehmen. Er ließ ihn wie ein Paket zusammenschnüren und zu dem anderen legen. Der schlief zwar nach wie vor tief und sorglos, wurde aber ebenfalls gefesselt. Hasards Männer schwärmten wieder aus, um den Rest der Galeone zu durchsuchen.
Wenig später steckte Blacky den Kopf aus einer Luke. „Der Frachtraum ist bis obenhin voll mit Pulverfässern. So, wie die Stapel aussehen, kommt es mir aber vor, als fehlten bereits einige.“
„Warte auf mich“, sagte Hasard. „Ich komme selbst runter und sehe mir das an.“
„Aye, aye, Sir.“
Philip Hasard Killigrew kletterte in den Bauch des Schiffes hinunter. Er benutzte einen Niedergang unterhalb der Kombüse, als er Gebrüll vernahm. Es klang dumpf, aber sehr nah, und schien aus dem vordersten Bereich des Vorschiffes zu dringen. Blackys mächtige Gestalt schob sich aus dem düsteren Gang, der sich vor ihm erstreckte. Er zeigte eine fragende Miene. „Was ist denn da los?“
„Wenn ich das wüßte. Los, laufen wir erstmal wieder nach oben.“
Sie waren kaum wieder auf dem Oberdeck, als Ben Brighton auftauchte. Ein ziemlich ratloser Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Das Rumoren war mit unverminderter Stärke zu vernehmen.
„Da unten schlägt einer Rabatz“, sagte Ben. „Er steckt in der Piek, wo sich auch der Raum für die Ankertrosse befinden muß. Die Piek ist abgeschlossen, und da hab ich gedacht, bevor ich sie aufbreche ...“
„Ist schon in Ordnung.“ Hasard schloß sich ihm an. Gemeinsam suchten sie den Bereich unter dem Vordeck auf. „Wir fragen ihn jetzt ganz höflich, was er auf dem Herzen hat“, meinte Hasard unterwegs.
Die Vorpiek war so etwas wie der Eingang zur Hölle, ein finsteres und muffiges Loch im untersten Bugraum, in dem sich alle Gerüche sammeln, die selbst dem grimmigsten Kerl den Magen umdrehen können. Hasard selbst hatte schon Bekanntschaft mit der Vorpiek der „Marygold“ gemacht, stinkiges Bilgewasser schlucken müssen, und seine ganze aufgestaute Wut gegen Carberry, den Profos, in die Jauche gespuckt, bevor dieser ihn endlich anerkannt hatte.
Als er vor dem hölzernen Querschott stand, das die Piek der „Valparaiso“ abschloß, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie dem Mann dort drinnen zumute sein mochte. In dem Höllenloch war schon so mancher aufsässige Bursche weichgeklopft worden.
Der Gefangene tobte und brüllte. Er fluchte auf spanisch und hatte Ausdrükke auf Lager, die einfach nicht versiegten und von denen „Vayase al diablo“ – „geht alle zum Teufel“ – noch einer der gelindesten war.
„Caballero!“ rief Hasard.
Das Stakkato von Flüchen verstummte mit einem Schlag. Hasard malte sich aus, wie der Mann dahockte – verschwitzt, schwer atmend, einen gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht.
„Caballero, oiga me“, sagte er laut. „Hör mir gut zu!“
Der Gefangene rasselte mit den Ketten, an die man ihn gefesselt hatte, gab jedoch keine Antwort.
„Wer bist du?“ fragte der Seewolf auf spanisch.
Endlich erwiderte die zornige, grollende Stimme: „Von Hutten, Hölle und Teufel noch mal! Hier sitzt Karl von Hutten, der von den gottverdammten Spaniern, diesen räudigen Söhnen verlauster alter Hafenhuren, gefangengenommen wurde. Und wer, beim Satan, bist du?“
„Bestimmt nicht der König von Spanien.“
„Sondern? Der Klabautermann, wie?“
„Du machst mir Spaß, von Hutten.“
„In einer prunkvollen Kammer wie dieser hier verlernt man den Humor weiß Gott nicht.“
„Wir wollen dich befreien.“
Von Huttens Stimme dröhnte: „Dann, zum Henker, wartet nicht länger und öffnete endlich das verfluchte Schott. Ich bin ganz versessen darauf, eure Gesichter kennenzulernen und eine Nase voll frischer Luft zu genießen.“
Hasard lächelte. „Geh in Deckung, amigo. Wir müssen das Schott aufbrechen.“ „Nicht nötig“, sagte der Mann. „Pablo, dieser dreckige Bastard, hat den Schlüssel zur Piek und für die verdammten Ketten.“
„Pablo?“
„Der Kerl, den ihr, wenn ich mich nicht verhört habe, vor ein paar Minuten geschnappt und aufs Oberdeck gebracht habt.“
„Ist gut“, entgegnete der Seewolf. Er wandte sich um. Ben Brighton, Blacky, Stenmark, Batuti und Dan O’Flynn hatten sich genähert, die übrigen stießen durch den Niedergang nach. „Also“, sagte Hasard. „Ihr habt doch verstanden, oder?“
„Aye, aye. Wir Pablo holen.“ Batuti kehrte um und lief nach oben. Ben folgte ihm auf dem Fuß. Kurz darauf kehrten sie mit dem Spanier zurück. Er war so prächtig verpackt worden, daß er nicht einmal den kleinen Finger bewegen konnte. Zwischen seinen Lippen schaute ein zum Knäuel zusammengeballter bunter Lappen hervor.
Ben nahm ihm den Knebel ab.
„Hör gut zu, Pablo“, sagte Hasard zu ihm. „Meine Männer könnten dich ein paarmal kräftig durchkneten und dann auf den Kopf stellen, es würden bestimmt ein paar Schlüssel herausfallen. Habe ich recht?“
Pablo nickte hastig.
„Du könntest aber auch gleich reden und dir eine Menge Ärger und Gliederreißen ersparen. Also: Wo stecken die Schlüssel?“
„Unterm Hemd. Auf meiner Brust“, gestand der angstschlotternde Don.
Ben Brighton schaute nach. Er zerrte tatsächlich einen kleinen Rohlederbeutel aus dem Hemdausschnitt des Mannes hervor. Ein dünner Lederriemen hielt ihn am Hals Pablos. Mit verdrossenem Gesicht zückte Batuti seinen Dolch. Er ging zu Pablo, und der ließ vor Grauen einen erstickten Schrei vernehmen. Brummend durchtrennte Batuti den Lederriemen. Als er fortrückte, gab der Spanier einen Laut der Erleichterung von sich. Ben gab ihm wieder den Knebel zu schmecken.
Hasard nahm den Lederbeutel in Empfang, öffnete ihn und holte ein Schlüsselbund heraus. Rasch hatte er den für das Schott passenden gefunden. Er riegelte auf. Das Schott knarrte in angerosteten Eisenangeln Hasard begab sich gebückt in die Piek. Seine Männer lugten neugierig hinein.
Vor ihnen erhob sich ein bärtiger, abgemagerter Mann. Seine dunkle, ledrige Haut spannte sich über groben Gesichtsknochen und deutete Höhlungen an. Tiefe Ränder zeichneten sich unter seinen dunklen Augen ab. Er war ein gemarteter Mann, nicht, weil man ihn körperlich halb zu Tode gepeinigt hatte, sondern ihm das Essen seit so langer Zeit entzogen hatte, daß er beinahe verhungert war. Seine hageren Gliedmaßen steckten in zerlumpter Kleidung. Er war groß, hatte breite Schultern, blonde Haare und wirkte wegen der schattigen Tönung seiner Haut irgendwie fremdartig. Dennoch war ihm anzusehen, daß er europäischer Abstammung war. Sein Gesicht wies regelmäßige Züge auf, die jetzt lediglich stark verzerrt waren. Er mochte Anfang der Dreißig sein, sah aber um einiges älter aus.
„Danke“, sagte er. „Bei Gott, ich wäre in diesem stinkenden Loch umgekommen, wenn ihr nicht ... wer seid ihr eigentlich?“
„Philip Hasard Killigrew und neun Männer von der ‚Golden Hind‘.“
„Engländer?“
„Ja, Engländer.“
„Das gibt es nicht – in diesem Land! Chile wird von den verfluchten Spaniern beherrscht, und kein Engländer hat in all diesen Jahren auch nur einen Fuß hier an Land gesetzt, geschweige denn, ein Schiff wie dieses geentert.“ Er schaute sie verblüfft an und bewegte die Arme, so daß die Ketten wieder klirrten. „Ich kann es einfach nicht glauben.“
„Er hält uns für Gespenster“, sagte Ben Brighton.
„Das ist ein schlechtes Omen“, murmelte Matt Davies düster.
Pete Ballie hielt ihm unversehens die Faust unter die Nase und schob sie so weit hoch, daß seine Knöchel die aufgeblähten Flügel von Matts Nase berührten. „Fängst du jetzt auch mit dem blöden Quatsch an?“
„Pete, ich ...“
„Hört auf“, sagte der Seewolf. „Karl von Hutten, ich möchte erfahren, wie und warum du auf dieses Schiff gekommen bist.“
„Matt Davies redet dummes Zeug daher wie Mac Pellew, der abergläubische Narr“, sagte Pete maulend. „Ich kann’s einfach nicht mehr mitanhören. Wenn ich dann auch noch an Francis Fletcher mit seinen weisen Bibelsprüchen denke ...“
Ein Blick Hasards brachte ihn zum Verstummen. Karl von Hutten räusperte sich laut und hob die Ketten so, daß sie rasselten. „Könnt ihr mich nicht erstmal von den Eisenmanschetten befreien?“
Der Seewolf benutzte den anderen Schlüssel von Pablos Bund. Knarrend fielen die Ketten zu Boden. Von Hutten rieb sich die Bein- und Armgelenke, versetzte seinen metallenen Fesseln noch einen erbosten Tritt und trat dann zu den Männern, um seine Geschichte zu erzählen.
„Eigentlich bin ich Deutscher“, begann er. „Der Sohn Philipp von Huttens und einer indianischen Häuptlingstochter. Ich weiß nicht, ob ihr euch auskennt, was die Belange meiner Familie betrifft.“
„Kaum“, gab Ben Brighton zu.
„Es wäre wohl auch zuviel verlangt.“ Karl blickte von einem zu anderen, dann fuhr er fort. „Mein Vater war der Generalkapitän und Gouverneur von Venezuela, einer Kolonie des deutschen Handelshauses der Welser. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, denn ein halbes Jahr vor meiner Geburt geschah das Schreckliche: mein Vater wurde zusammen mit Barthel Welser, einem Sproß der Welser aus Augsburg, von den Spaniern ermordet. Das war 1556. Venezuela ging wieder in den Besitz der Spanier über. Ein Jahr verging, und die elenden Hurensöhne ermordeten auch meine arme Mutter. Eine indianische Amme brachte mich zum Stamm, dem sie angehört hatte. Eine Zeitlang durfte ich in Frieden leben, doch dann erschienen wieder die Spanier und rotteten den Stamm aus. Ich überlebte das Massaker wie durch ein Wunder. Seit ich denken kann, kämpfe ich auf Seiten der Indianer gegen die Spanier.“ Er legte eine kleine Pause ein, doch niemand ergriff das Wort. Hasard musterte ihn mit seinen eisblauen Augen, ohne eine Miene zu verziehen. Die neun Männer schauten von Hutten in einer Mischung aus Spannung, Mißtrauen und Erschütterung an.
„Ich muß allerdings hinzufügen, daß ich von meinem zehnten bis siebzehnten Lebensjahr in einem spanischen Kloster gewesen und von Mönchen unterrichtet worden bin“, erklärte er nun. „Schließlich gelang mir eine lange geplante Flucht. Ich erlebte Schreckliches, schier Unglaubliches, aber ich will das alles nicht schildern. Ich würde euch langweilen. Ich konnte mich bis zu den Araukanern durchschlagen. Bei einem Gefecht, das östlich von Valparaiso stattfand, wurde ich am Kopf verwundet. Die Spanier nahmen mich gefangen und führten mich auf dieses Schiff. In der Piek durfte ich schmachten und auf meinen Prozeß warten. Man wollte mich nach Lima bringen. Vor ein Gericht. Könnt ihr euch vorstellen, was mir blüht?“
„Nichts weniger als der Tod“, sagte Hasard.
„So ist es. Ihr habt mir das Leben gerettet.“
„Das freut mich. Du hast uns eine ziemlich wilde Geschichte erzählt, aber sie erscheint mir glaubhaft.“
„Sie ist wahr. Ich schwöre es.“
Hasard blickte ihm ernst in die Augen. „Wir sind Drakes Männer, wir haben mit ihm die Magellanstraße durchfahren und sind auf der Insel Mocha gelandet. Wir haben die Dons schädigen können, aber jetzt sind sie hinter uns her. Wir können dich an Land bringen.“
„An Land? Ich meine – wie komme ich dort weiter? Wohin kann ich noch gehen?“
„Du kannst auch bei uns bleiben. Ganz wie es dir gefällt.“
Karl von Hutten ballte die Rechte zur Faust und schlug damit in die geöffnete linke Hand, daß es klatschte. „Teufel auch, Killigrew! Du glaubst, ich habe nichts von den tollkühnen Unternehmungen des ‚El Draque‘ gehört? Mann, die sind doch so etwas wie eine Legende. Jedesmal, wenn ich einen Bericht über die Kaperfahrten aufgeschnappt habe, die er gegen die Spanier geführt hat, habe ich ihm Glück und Erfolg gewünscht. Und da fragst du noch, wofür ich mich entscheide?“
Hasard verschränkte die Arme und erkundigte sich förmlich: „Wie lautet also dein Entschluß?“
Karl streckte die Hand aus. „So wahr ich von Hutten heiße, ich will bei euch bleiben, mit euch kämpfen, so gut ich kann – bis ich von einer Kanonenkugel zerfetzt, einer Musketenladung durchbohrt oder einer Säbelklinge aufgeschlitzt werde. Nimm meine Rechte an, Killigrew, sie gehört einem ehrlichen, wenn auch im Augenblick etwas verkommenen Mann.“
Philip Hasard Killigrew ergriff die ihm dargebotene Hand. Er drückte sie und grinste plötzlich verwegen. Dan O’Flynn stellte sich dicht neben von Hutten und versetzte in der ihm eigenen vorlauten Art: „Übrigens, wir nennen ihn den Seewolf, unseren Kapitän Killigrew.“
Von Hutten hielt die Hand immer noch fest und betrachtete Hasard ungeniert von oben bis unten. „Jetzt kapier ich. Über den Seewolf gehen ja auch die tollsten Geschichten reihum. Nur einer Mannschaft wie euch konnte es gelingen, einfach so mir nichts, dir nichts die ‚Valparaiso‘ zu entern. Gratuliere! Das geht noch in die Geschichte ein!“
„Na, na“, sagte Hasard. „Nun übertreibe mal nicht. Los, wir schauen uns die Kombüse an. Hoffentlich haben die Dons ihren Koch darauf getrimmt, immer gute Vorräte zu halten.“
Karl von Hutten tat ein paar unsichere Schritte auf den Niedergang zu und knickte dann jählings in den Knien ein. Hasard und Ben Brighton fingen ihn auf. Das tagelange Schmachten in der Piek hatte gehörig an den Energien des Mannes gezehrt. Er wollte nicht zugeben, daß er sich schlecht auf den Beinen hielt und ihm rundum miserabel zumute war.
„Laßt mich los“, sagte er. „Bin doch kein Wickelkind.“
Sie taten ihm den Gefallen, und prompt strauchelte er auf den Stufen. Es polterte gehörig. Er rutschte ihnen wieder ein Stück entgegen, fluchte, rappelte sich auf und stützte sich ab. Dann mußte er es sich doch gefallen lassen, daß sie ihm unter die Arme griffen und ihn auf das Oberdeck beförderten.
Gemeinsam marschierte die elfköpfige Mannschaft über die Kuhl. Pablo wurde wieder zu seinem Kameraden an den Großmast gelegt. Der Mann schlief immer noch. Hasard ließ Karl von Hutten los und gab dessen linken Arm an Batuti ab. Er schritt auf das Kombüsenschott zu und öffnete es.
Was er im Halbdunkel des Raumes entdeckte, entlockte ihm einen Pfiff. „Dreimal dürft ihr raten, was es hier zu kauen gibt, Männer.“
Matt Davies verzog den Mund. „Bestimmt schimmeligen Schiffszwieback, total versalzenes Pökelfleisch und schlabberiges Dünnbier. Er will uns auf den Arm nehmen, Jungs.“
Dan drängelte sich durch und nahm die Kombüse selbst in Augenschein. „He!“ rief er. „Laß dich doch nicht ins Bockshorn jagen, Matt. Seht euch das an: Schinken, Würste, Frischfleisch, Hühner, Eier, Salat und anderes Grünzeug – alles, was das Herz begehrt! Und, wenn mich nicht alles täuscht, spanischer Rotwein!“
Karl von Hutten stöhnte auf. Batuti und Ben Brighton dirigierten ihn in die Kombüse.
„Du immer Hunger wie Gorilla, kleines O’Flynn“, sagte Batuti. „Aber Karl Kohldampf wie zehn Gorillas.“
Blacky und Gary Andrews übernahmen es, die unter den Deckenbalken baumelnden Schinken und Würste zu prüfen und die besten Stücke auszuwählen. Blacky holte einen Schinken herunter und warf ihn auf eine Tischplatte, daß es donnerte. Mit einem Entermesser schnitt er ihn in dicke Scheiben. Gary beschäftigte sich ausgiebig mit dem Zerteilen der Würste.
Batuti raffte Salat, Tomaten, Fenchel und andere Gemüsesorten zusammen, zerpflückte sie über einer Schüssel und goß Öl und Essig darüber. Dan O’Flynn hatte bereits mit seinen flinken Fingern eine Korbflasche geöffnet und schickte sich an, ihr auf den Grund zu gucken.
Hasard packte ihn am Kragen. „Das Besäufnis findet nicht statt“, sagte er. „Du schenkst jedem eine gerechte Ration Wein ein, verstanden?“
„Aye, aye, Sir.“
„Karl darf vorerst nur Wasser trinken.“
„Sonst kippt er vollends von den Sohlen“, fügte Ben Brighton hinzu.
Sie setzten sich. Blacky und Gary teilten Fleisch und Brot aus. Von Hutten stöhnte wieder und verdrehte die Augen, als er eine dicke Scheibe Schinken zwischen den Fingern hielt. Gierig schlug er seine Zähne hinein. Für die nächste Viertelstunde war er nicht zu sprechen.
Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. „Iß langsam. Du weißt, wie gefährlich es sein kann, alles hastig herunterzuwürgen, wenn man lange nichts zwischen den Zähnen gehabt hat.“
Von Hutten nickte, erwiderte nichts, kaute weiter. Er hielt sich aber an den Rat des Seewolfes. Auch Hasard und seine Männer verspürten ein unangenehmes Knurren in den Mägen. Es war schon einige Zeit her, seit sie das letzte Mal Nahrung gefaßt hatten. Voll Genuß widmeten sie sich den Köstlichkeiten, die die Kombüse bot. Der Wein war tief rot, jedoch nicht besonders schwer, er rann leicht die Kehlen herunter. Sicherlich hatten die Spanier von der „Valparaiso“ die Vorräte erst vor kurzem aufgenommen, und ganz bestimmt waren die Lieferanten irgendwelche Indianer, die unter dem Druck der Dons auch noch ihr letztes Huhn hergeben mußten und dann am Hungertuch nagen durften.
Blacky war als erster fertig. Hasard schickte ihn als Wachposten nach oben. Etwas später mußten sich Pete Ballie und Matt Davies in den Kammern des Achterkastells umtun und nach frischer Kleidung für Karl von Hutten suchen. Von Hutten lehnte sich zurück, stieß einen zufriedenen, satten Laut aus und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. „Teufel auch, war das gut. Ich lebe auf.“ Er reckte sich, daß die Armknochen knackten, nahm seinen Wasserkrug zur Hand und entleerte einen Schub Flüssigkeit über seinem Gesicht. Mit behäbigen Gesten massierte er seine Haut.
Dan O’Flynn beobachtete ihn und kratzte sich dabei am Hinterkopf. „He, Karl!“
Von Hutten hob den nassen Kopf. Er verstand auch die englische Sprache recht gut, nur beim Reden bediente er sich ausschließlich des Spanischen. „Che pasa? Was ist los?“
„Drüben neben dem Kochkessel steht eine Pütz voll Wasser. Wenn du so aufs Waschen versessen bist, warum gehst du nicht hin und steckst deinen Schädel rein?“
„Das ist eine Idee!“ Karl erhob sich, ging zu der Pütz und tauchte sein bärtiges Haupt hinein, daß die Flüssigkeit überschwappte. Batuti klatschte grinsend in die Hände, die Männer johlten Beifall. Karl richtete sich wieder auf, trocknete sich ab und setzte sich neben den Seewolf.
„Ich fühle mich wie neugeboren. Hör zu, ich glaube, es wird Zeit, daß ich einiges über die Besatzung dieses verdammten Schiffes berichte.“
„Ich bin ganz Ohr“, entgegnete Hasard.
Pete Ballie und Matt Davies kehrten in die Kombüse zurück. Sie hatten ein paar einfache Kleidungsstükke aufgetrieben. Sofort entledigte sich Karl der Fetzen, die er noch auf dem Leib trug. Er stieg in die neue Hose und streifte sich das saubere Hemd über. Die Sachen waren ihm etwas zu groß, aber das spielte keine Rolle.
„Sehe ich jetzt aus wie ein Don?“
„Ja“, gab Stenmark zurück. „Himmel, Arsch und Zwirn.“
Karl von Hutten nahm wieder Platz, wurde mit einem Mal sehr ernst. „Also, paßt auf. Die ‚Valparaiso‘ hat mit einem klaren Auftrag diese Bucht angesteuert – oder besser, mit einem Doppelauftrag. Ihr habt die Pulverfässer im Frachtraum gesehen. Sie sollen an verschiedenen Küstenorten abgeladen werden. Das habe ich mitgekriegt, als die Dons mich auf diesen Kahn geschleppt haben. Ich habe auch in der Piek die Ohren gespitzt und ein paar andere Kleinigkeiten aufgeschnappt, wenn ich mal Besuch kriegte: Das Pulver dient zum Sprengen von Stollen in den verschiedenen Silberbergwerken bis hinauf nach Lima.“
„Das ist starker Tobak“, sagte Hasard. „Und wieso hat die Besatzung die Galeone verlassen?“
„Ganz einfach, weil in der Bucht die ersten Fässer entladen worden sind. Habt ihr nicht das Beiboot am Landesteg gesehen?“
„Ja. Damit sind die Dons an Land, nachdem sie zwei Bordwachen zurückgelassen hatten.“
„Richtig. Mit ihnen sind dreißig Soldaten unterwegs.“
„Soldaten?“
Karl nickte. „Die sind für den anderen Auftrag eingeteilt. Es sollen hübsche junge Indianerinnen gefangengenommen werden. Sie werden an Bord geschafft und dann nach Lima gebracht.“
Alle Männer hoben jetzt die Köpfe. Richard Minivy hatte einen eigentümlichen Blick. „Indianerinnen“, wiederholte er und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Was er dachte, ließ sich unschwer erraten.
„Jetzt erklär’ mir mal, was die Indianermädchen in Liman sollen“, sagte der Seewolf. „Ich bin vielleicht ein bißchen schwer von Begriff, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, welchen Zweck so ein Unternehmen haben sollte.“
Von Huttens Gesicht verzog sich zu einer erbitterten Grimasse. „Denk mal scharf nach. Kannst du dir die gierigen, lüsternen Blicke des spanischen Vizekönigs und seiner Höflinge in Lima ausmalen, wenn die halbnackten, verstörten Mädchen in den Palast geführt werden? Diese Bastarde wissen doch nicht mehr, womit sie die Zeit totschlagen sollen, die sie müßig verbringen.“
„Die Mädchen sollen ihnen zur Kurzweil dienen?“ fragte Hasard.
„Ja.“
„O verflucht!“
Sie begaben sich auf das Oberdeck. Der Morgen war nun vollständig angebrochen, die Schatten der Dämmerung waren gewichen. Im Osten stand der gleißende Feuerball der Sonne über den Bergmassiven. Hasard trat an die Backbordreling und schaute zur schroffen Küste hinüber. Er bedachte das am Anleger vertäute Beiboot der Spanier mit einem langen, nachdenklichen Blick. Sodann wandte er sich um und schaute zu Blacky hinauf, der an der Balustrade des Achterdecks erschien.
„Keine Neuigkeiten, Sir.“
„In Ordnung. Weitermachen, Blakky. Matt und Dan, ihr besetzt die Back und haltet gleichfalls die Augen offen. Ich möchte nicht, daß uns die Spanier mit einer kleinen Überraschung bedenken.“
Ben Brighton und Karl von Hutten waren neben ihm. Ben sagte: „Was tun wir also?“
„Ich überlege noch. Eigentlich hätte ich nicht übel Lust, die gottverfluchte ‚Valparaiso‘ mit dem Pulver in die Luft zu jagen, das sie im Bauch trägt. Wir würden mit der Segelpinasse abhauen und weiter nach der ‚Elizabeth‘ und ‚Marygold‘ forschen.“
„Moment mal“, sagte von Huttern. „Ich will mich nicht dazwischenstekken, schließlich ist es deine Mannschaft, Seewolf. Aber ich hätte eine Kleinigkeit zu bemerken.“
„Sag ruhig deine Meinung.“
„Habt ihr euch die Galeone gut angesehen? Sie ist ein schnelles, wendiges Schiff, ein richtiges Schmuckstück.“
Hasard legte den Kopf ein wenig zurück. Sein Blick wanderte am Großmast empor. Die Segel waren aufgegeit worden, aber es ließ sich dennoch erkennen, daß das Großsegel kein Rah-, sondern ein Gaffelsegel war. Außer diesem und der Fock verfügte das Schiff noch über ein Großmars- und Vormarssegel sowie am steil aufragenden Bugspriet über die Blinde. Hasard schaute nachdenklich über Deck und betrachtete die je vier Neunpfünder auf jeder Seite der Kuhl. „Stimmt, es ist ein schönes Schiff.“
„Wir könnten es als Prise nehmen“, sagte Ben Brighton.
Hasard spann den Faden weiter: „Und dann nichts wie zurück zu Kapitän Drake. Die Zeit drängt sowieso. Schön und gut, aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit. Wir könnten versuchen, die gelandeten Dons in die Pfanne zu hauen – und die bis dahin entführten Indianermädchen zu befreien.“
„Großartig wäre das“, sagte von Hutten ehrfurchtsvoll.
„Großartig schon“, meinte der Seewolf. „Wenn du mich fragst, was mir mein Gefühl sagt, so muß ich eingestehen: ich würde die zweite Möglichkeit vorziehen – ankerauf gehen und schleunigst seewärts nach Norden klüsen.“
„Aber Drake sagt doch immer, man müsse den Indianern helfen“, warf Ben ein. „Stimmt. Wir sollten sie als Bundesgenossen gewinnen. So wie auf der Mocha-Insel, als wir den Spaniern das kalte Grausen beigebracht haben und die Araukaner unsere Freunde geworden sind.“ Hasard ging zu den beiden gefesselten Spaniern am Großmast hinüber. Ben und Karl von Hutten schlossen sich ihm an.
„Nehmen wir mal an, wir schlagen den Spaniern dieses Schnippchen – was wird dann aus unserer Suche nach der ‚Elizabeth‘ und der ‚Marygold‘? Die müßten wir abbrechen.“ Hasard baute sich vor dem Mann auf, der ihnen die Schlüssel für die Piek geliefert hatte. „Escuchame, Pablo – hör mir gut zu, ich habe dir eine Frage zu stellen.“
Brighton befreite Pablo von dem Knebel. „Sind in der letzten Zeit in dieser Gegend zwei fremde Schiffe gesichtet worden?“ wollte Hasard wissen.
Pablo schüttelte den Kopf. Daraufhin zückte Ben sein Entermesser, hielt die Spitze unter das Kinn des Mannes und drückte ein bißchen zu. Ein kleiner Blutstropfen quoll aus der Wunde hervor. Pablo begann zu jammern, beteuerte aber immer wieder, daß er nichts Derartiges gesehen habe. Hasard knöpfte sich auch den zweiten Gefangenen vor. Er war endlich zu sich gekommen, konnte jedoch auch keine Auskunft über die beiden gesuchten Galeonen geben.
„Wann erwartet ihr die Besatzung und die Soldaten zurück?“ fragte der Seewolf.
„Gegen Mittag“, antwortete Pablo wie aus der Pistole geschossen.
Ben Brighton zog drohend die Augenbrauen zusammen. „Wenn du lügst, Hund, lasse ich dich an der Rahnock baumeln, darauf kannst du Gift nehmen.“
Hasard ließ sie vorerst wieder knebeln. Er ging mit Ben und von Hutten zum Achterkastell. Kurz vorher stoppte er, drehte sich abrupt zu ihnen um und sagte: „Also gut. Mein Entschluß steht fest. Wir bleiben und stellen den Dons eine Falle. Aber alles muß auf das genaueste vorbereitet werden.“
Karl von Hutten salutierte. „Aye, aye, Sir. Die Sache ist ganz nach meinem Geschmack.“
An Bord der „Valparaiso“ setzte fieberhafte Tätigkeit ein. Die Hälfte von Philip Hasard Killigrews Mannschaft suchte den Frachtraum auf. Gittergrätings wurden hochgestemmt und von den Luken gezogen. Pulverfässer wurden von unten heraufgereicht, auf dem Oberdeck in Empfang genommen und ans Backbordschanzkleid auf der Kuhl gewuchtet.
Auf Hasards Zeichen hin kehrten die Männer aus dem Frachtraum zurück. Ben Brighton und Dan O’Flynn hangelten derweil an der Achtergalerie nach unten und stiegen in die Segelpinasse. Ben bediente das Ruder. Dan dirigierte ihn an der Leeseite der Galeone entlang.
Mittschiffs wurde wieder festgemacht. Oben ließ Hasard eine Jakobsleiter ausfahren, die bis auf das Dollbord der Pinasse herabbaumelte. Blacky stieg bis auf die Mitte der Leiter hinunter. Dann hievten Stenmark, Matt Davies, Pete Ballie und Batuti das erste Pulverfaß in die Tiefe. Behäbig sackte es außenbords hinunter. Blacky korrigierte noch zusätzlich seine Richtung, so daß es genau zwischen den Duchten der Pinasse aufsetzte.
Ben Brighton und Dan O’Flynn lösten die Vertäuung des Fasses. Der Tampen schwang wieder hoch, und es ging weiter. Tiefer und tiefer senkte sich der Rumpf der Pinasse in die Fluten. Das Dollbord hatte die Wasserlinie beinahe berührt, als der Seewolf aufhören ließ und Batuti und Minivy zum Pullen nach unten schickte. Schließlich befand sich die Pinasse im Windschatten. Ohne daß sich jemand an die Riemen schwang, kriegte sie mit ihrer Last keine Fahrt.
Hasard und die anderen Männer auf der „Valparaiso“ verfolgten von der Backbordseite aus, wie sich die Pinasse dem Anleger näherte. Die Sonne war höhergekrochen und goß goldenes Licht über die Bucht. Vor den Felsen und der Steilküste lagen verstreut mattgrüne Buschgruppen, deren Farbe einen reizvollen Kontrast zur übrigen Umgebung bildete. Die Wasserfläche war ein glitzender, türkisfarbener Spiegel.
„Wild-romantisch“, sagte Hasard grinsend.
„Ja.“ Karl von Hutten lächelte nicht. Seine Augen hatten einen harten Glanz bekommen. „Für die Dons wird es ein richtiges Gedicht werden.“
„Wenn alles klappt.“
„Skeptisch?“
„Mein Plan ist verdammt riskant.“
„Es wird alles gutgehen. Ich spüre das.“
„Na, dann kann ja nichts mehr schieflaufen.“ Hasard widmete seine Aufmerksamkeit der Besatzung der Pinasse. Brighton, Dan, Batuti und Minivy hatten soeben am Steg festgemacht und löschten nun die Pulverfässer. Dan blieb als Posten zurück. Die anderen drei legten ab und hielten in geradlinigem Kurs auf die Galeone zu.
Sie gingen längsseits und nahmen Hasard, Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies, Gary Andrews und Karl von Hutten auf. Mit der Pulverlast an Bord hätte die Pinasse niemals auch noch die komplette Crew befördern können. Jetzt setzten sie über, um das Pulver zu verteilen und Zündschnüre zu legen. Blacky wurde als Wache für die beiden gefesselten Spanier zurückgelassen.
Sofort nach dem Festmachen zog Hasard seine Kleidung aus. Stenmark tat es auf seinen Befehl hin ebenfalls. Sie ließen sich ins Wasser gleiten und schwammen unter den Landesteg. Hasard prüfte sehr eingehend, wie sich die Ladungen am besten anbringen ließen. Dann gab er seine Anweisungen.
„Schafft Taue aus der Pinasse heran! Wir keilen ein paar Fässer unter den Planken fest, verstanden? Willig, willig, soll ich euch erst Beine, machen, ihr Teufelsbraten?“
Es wurde das schwierigste Stück Arbeit, vier Fässer unter dem Steg festzuzurren. Hasard und Stenmark werkten von unten, Batuti, von Hutten, Ben Brighton und die anderen leisteten von oben her Hilfestellung. Die Sprengladungen mußten so vertäut werden, daß weder von der Landseite noch vom Wasser aus oder vom Steg selbst her etwas von ihnen zu sehen war. Hasard dachte daran, wie gut es gewesen wäre, Al Conroy, den Waffenfachmann, bei diesem Unternehmen dabeigehabt zu haben. Was Aufgaben wie diese betraf, war er ein hervorragender Spezialist.
Hasard kannte sich aber auch genügend mit der höllisch explosiven Materie aus. Schließlich war er bei seinem Alten, Sir John Killigrew, dem alten Rauhbein, in die Lehre gegangen. Schon mit sechs Jahren war er kräftig von ihm geschliffen worden, hatte alle Handgriffe und Tricks kennengelernt, mit denen man sich in den scheußlichsten Situationen durchschlagen konnte, Die Schule war hart gewesen, aber mehr als einmal hatte sich ihre Nützlichkeit bewiesen.
Hasard schaffte es mit Stenmarks Unterstützung, den gefährlichen Ballast unter dem Anleger festzuzurren, Die Sonne stand schon fast im Zenit, als sie auf die feuchten Planken des Steges krochen und sich aufrichteten – zwei muskulöse, hartgesichtige Männer, von denen jeder mühelos eine Tür verdekken konnte.
„Weiter“, trieb Hasard seine Leute an. „Schützt keine Müdigkeit vor. Verteilt jetzt die restlichen Fässer an Land. Der schmale Streifen Strand ist weich genug, daß ihr ihn aufgraben könnt.“
Mit vereinten Kräften hoben sie Löcher in der Nähe des Landesteges aus und bugsierten die restlichen vier Fässer hinein, die sie mit der Pinasse herübergepullt hatten. Da wurde an den Behältern gewackelt und geruckt, wurde geschwitzt und geflucht, bevor sie richtig im Boden saßen, Batuti, Pete Ballie, Dan O’Flynn und Stenmark schoben weißen Sand über die Gruben, Hasard beschäftigte sich bereits mit den Zündschnüren.
Der Untergrund wurde wieder gut eingeebnet, der restliche, ausgehobene Sand verschwand im flachen Uferwasser. Hasard führte die Lunten mit Stenmarks Unterstützung an ein nahegelegenes, dichtes Mangrovengebüsch. Er überzeugte sich davon, daß wirklich sämtliche Spuren verwischt worden waren. Natürlich wurde auch die Zündschnur sorgsam eingegraben. Die Spanier mußten schon durch puren Zufall mit der Nase daraufstoßen, um etwas von den acht gut verteilten „kleinen Überraschungen“ zu entdecken.
Hasard versammelte seine Männer um sich.
„Nur Stenmark und ich bleiben zurück. Die anderen kehren zurück zur Valparaiso‘. Ihr versteckt euch an Bord.“
„Und die beiden gefangenen Spanier lassen wir im geeigneten Moment Parade laufen“, sagte Ben Brighton.
„Du hast es erfaßt. Sobald wir euch abgesetzt haben, verstecken wir die Pinasse. Wir brauchen sie nachher noch, um verschwinden zu können.“
„Wohin bringen wir sie am besten?“ erkundigte sich Stenmark.
Dan O’Flynn meldete sich zu Wort. „Ich habe im südlichen Teil der Bucht etwas entdeckt. Vielleicht finden wir dort eine Art Nebenbucht, in der die Pinasse verborgen werden kann.“
„Wir sehen uns den Winkel an“, sagte Hasard, „Los jetzt, nichts wie an Bord. Setzt das Segel und pullt, damit ihr schneller vorankommt.“
Kurz darauf glitt die vollbesetzte Pinasse zur „Valparaiso“ zurück. Blacky wartete mit gespannter Miene hinter dem Schanzkleid, dort, wo die Jakobsleiter war. Hasard und die anderen machten die Pinasse fest und hangelten an der Bordwand der Galeone hoch. Auf der Kuhl gab der Seewolf seine letzten Anweisungen.
„Ich würde dich gern begleiten“, sagte Karl von Hutten.
Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kann zwar deinen Haß auf die Dons lebhaft nachempfinden. Aber auch wenn du ein noch so erfahrener und harter Kämpfer bist – du bist geschwächt, und das könnte dir einen üblen Streich spielen.“
„Du meinst, du kannst mir noch nicht voll vertrauen ...“
„Ich meine, wenn es an Land zu einer Auseinandersetzung mit den Spaniern kommt, könntest du umkippen, abgemagert, wie du bist“, versetzte Hasard scharf.
„Gut“, erwiderte der bärtige Mann. „Ich werde meine Probe bestehen und dir zeigen, aus was für einem Holz ich geschnitzt bin.“
Hasard klopfte ihm auf die Schulter. „Recht so. Sieh die Dinge bloß nicht allzu verbissen.“ Er wandte sich zu den anderen um. „Ben, du übernimmst für die Zeit meiner Abwesenheit das Kommando an Bord dieses Schiffes.“
„Aye, aye, Sir. Als ob es schon unseres wäre.“
„Es ist bereits unser Schiff. Ihr wißt, was ihr zu tun habt.“ Mit diesen Worten kletterte der Seewolf über die Reling, stieg nach unten und begab sich wieder an Bord der Pinasse. Stenmark gesellte sich zu ihm.
Sie legten ab und pullten, bis der stolze Bug der „Valparaiso“ an ihnen vorüberglitt. Der Westwind strich über ihre Gesichter. Rasch erhoben sie sich von den Duchten, legten die Riemen fort und setzten das Segel. Die frische Brise griff hinein, straffte es und verlieh der Pinasse mehr Schub. Hasard steuerte dem südlichen Teil der Bucht entgegen.
Dan hatte ihm genauer bezeichnet, was er dort entdeckt hatte. Jetzt hob der Seewolf das Spektiv ans Auge, linste hindurch und sah eine Unterbrechung des flachen Uferstreifens, die sich wie ein dunkler Fleck im Schatten der nahen Felswände ausnahm. Eine Art Bresche befand sich auch in dem steil aufragenden Gestein.
Hasard nahm Kurs darauf.
Bald stellte sich heraus, daß das Bürschchen O’Flynn mit seinen scharfen Augen mal wieder richtig gesehen hatte. Was sich vor dem Bug der Segelpinasse öffnete, war nichts anderes als der schmale Einlaß zu einer verschwindend kleinen Nebenbucht. Wäre der Felsen nicht nach oben hin offen gewesen, hätten sie eine Grotte aufgesucht. Aber auch so wirkte das Gebilde eher wie eine Höhle als wie eine Lagune oder Bucht. Kein Licht fiel auf die Oberfläche des Wassers, der Einlaß wirkte abweisend und trügerisch, das ganze Loch war wie eine Laune der Natur.
„Bravo, Dan“, sagte Hasard. „Das ist das ideale Versteck für unser Boot.“
Stenmark hockte im Bug und gab seinem Kapitän Handzeichen. Hasard steuerte mit dem nötigen Feingefühl und konnte doch nicht verhindern, daß die Steuerbordwand gegen den Fels stieß. Ein häßliches, schabendes Geräusch ertönte. Eine Welle hatte die Pinasse hochgehoben und im Moment des Einlaufens gegen die rechte Seite des Einlasses gedrückt.
„Verdammter Mist!“ rief Stenmark.
Hasard beendete das Manöver. Die Pinasse dümpelte in der winzigen Bucht. Sie konnten aufblicken und die schroffen Felswände bestaunen, die sich wie die Mauern einer Kathedrale erhoben. Einen zweiten Eingang gab es nicht. Die Bucht war so groß, daß höchstens die „Golden Hind“ und noch ein zweites, kleineres Schiff hineingepaßt hätten, falls sie sich jemals überhaupt durch die viel zu enge Passage hätten zwängen können.
Ein schmales, steiniges Ufer umschloß die Bucht. Hasard und Stenmark suchten sich die Stelle aus, an der sie am besten landen konnten. Mit Routinegriffen holten sie das Segel ein und pullten schließlich noch ein paar Schläge, um ans Ufer zu gelangen.
Nachdem sie festgemacht hatten, stieg Hasard ins Wasser. Gleich hinter dem Ufer fiel der Grund abrupt ab. Er mußte schwimmen. Neben der Steuerbordwand der Pinasse tauchte er.
Als er wieder auftauchte, sagte er: „Kein Leck, nur ein paar harmlose Kratzer. Die kleine Bucht ist erstaunlich tief, ungefähr zehn Faden.“
„Hätte ich gar nicht gedacht.“ Der blonde Schwede hob den Kopf und bedachte die Felswände, auf die die Sonne hoch über ihnen scharfe Muster zeichnete, mit einem mißbilligenden Blick. „Also, sehr gemütlich finde ich es hier nicht. Man hat den Eindruck, alles könnte jeden Augenblick zusammenfallen.“
„Fängst du auch wie Mac Pellew an?“ Der Seewolf kehrte mit wenigen Zügen an Land zurück, richtete sich auf und fuhr sich mit den Händen über die klatschnassen Haare.
„Ach was. Wie kommen wir jetzt wieder raus?“
„Warte ab.“ Hasard entnahm der Pinasse ihre Waffen und das sonstige Zubehör, das sie für ihr riskantes Unternehmen benötigten. Dann schritt er vor Stenmark her auf dem schmalen Uferstreifen entlang. Sie gelangten wieder an die Passage und drückten sich an dem zerklüfteten Felsen vorbei. Sie liefen Gefahr, abzurutschen und ein Bad zu nehmen, so wenig Platz blieb ihnen.
Erst am Ufer der großen Bucht gab es wieder genügend flachen Untergrund, auf den man die Füße setzen konnte. Sie liefen zu dem Mangrovengebüsch, das Hasard ausgesucht hatte, verdrückten sich hinter die üppigen grünen Blätter und legten sich flach auf den Boden. Hasard hob die Enden der Lunten auf und bereitete sich fachmännisch auf die Sprengung vor.
„Also, erklär’s mir noch mal“, sagte Stenmark mit verhaltener Stimme. „Ich hab’s immer noch nicht richtig kapiert.“
„Ich gehe davon aus, daß Pablo die Wahrheit gesprochen hat und die Dons in Kürze auf dem Landesteg erscheinen.“
„Soweit ist mir alles klar.“
„Das Beiboot, das dort vertäut liegt, faßt zehn, höchstens vierzehn Menschen.“
„Auch sonnenklar. Die Dons sind ein viel stärkerer Trupp und müssen zwei oder drei Fahrten unternehmen, um alle an Bord der Galeone zu kommen.“
„Ich nehme stark an, daß die Spanier zuerst die gefangenen Indianerinnen rüberbringen. Auf dieser Hauptüberlegung beruht der Rest – die Berechnung der Zeit, in der ich den Steg in die Luft jagen will.“
Stenmark nickte. „Schön und gut. Aber nehmen wir einmal an, wir kriegen überhaupt keine Indianermädchen zu sehen, weil die Kerle es nicht geschafft haben, welche zu fangen.“
„Das wäre auch kein Beinbruch.“
„Aber nehmen wir mal an, sie haben doch welche gefangen und lassen sie zuerst noch auf dem Anleger zurück, ich meine, bei der ersten Tour, die die gottverdammten Bastarde zur ‚Valparaiso‘ pullen ...“
„Dann“, entgegnete Philip Hasard Killigrew ernst, „können wir wohl nur noch beten.“
Die Sonne stand im Zenit und brannte auf die wartenden Männer herab. In der Bucht herrschte Stille. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Hätte nicht das Glucksen und Schwappen des Meereswassers fortgedauert, hätte nicht bisweilen der helle Ruf einer Möwe oder eines anderen kreisenden Vogels die Ruhe und Eintönigkeit unterbrochen – das Warten wäre zur Qual geworden. Hasard hielt Feuerstein und Feuerstahl bereit. Man konnte damit alles entfachen, was brennbar war, Kerzen oder Kombüsenfeuer oder Lunten. Hundertmal hatte er sich vergewissert, daß die Spuren am und um den Anleger auch wirklich sauber verwischt worden waren. Es gab nichts, daß noch in irgendeiner Weise stutzig machte.
Das Mangrovengebüsch befand sich in südlicher Richtung abseits der Landestelle, unter einem Felsüberhang, zusätzlich noch gedeckt durch herumliegende Felsbrocken und Quader. Stenmark lag flach, atmete ziemlich geräuschvoll und beobachtete eine schwarz und gelb gezeichnete Schlange, die auf der Oberseite eines der Brocken entlangglitt.
Hasard hatte die Hauptlunte direkt neben sich liegen. Er hatte ihre Brenndauer berechnet, so gut das überhaupt möglich war. Gleichzeitig hatte er die Ruderzeit vom Anleger zur spanischen Galeone kalkuliert. Etwa sieben Minuten mußten es sein.
Er hoffte inständig, daß alles so auslief, wie er es geplant hatte. Gleichzeitig schickte er einen prüfenden Blick zur „Valparaiso“ hinüber. An Bord waren lediglich Pablo und der andere Bursche zu sehen. Hasard wußte, daß Ben Brighton sie mit der Radschloßpistole in Schach hielt.
Spielten sie nicht mit, würde Brighton sie ohne Zögern niederschießen.
Hinter dem Backbordschanzkleid kauerten die übrigen Männer aus Hasards Crew. Karl von Hutten hatte sich eingereiht. Irgendwie hatte Hasard Vertrauen zu ihm, er machte sich keine allzu großen Sorgen, was seine Rolle in der Sache betraf.
„Nun schau dir das Biest an“, stieß Stenmark plötzlich aus.
Der Seewolf duckte sich und folgte mit den Augen der Blickrichtung des Schweden. Am liebsten hätte er laut losgeflucht. Mit seiner Bemerkung hatte Stenmark auf die verflixte Schlange hinweisen wollen. Sie hatte gemächlich ihren Felsbrocken verlassen und glitt nun ebenso gemächlich auf die beiden Männer zu.
„Ruhig Blut, Stenmark.“
„Was für ein Biest ist das, Hölle und Teufel?“
„Siehst du das nicht?“
„Ich meine, eine giftige oder nicht giftige Schlange?“
„Frag sie mal, ich kenne die Sorte nicht.“
„Mannmann,“ keuchte Stenmark.
Die Schlange hatte sie gewittert und bäumte züngelnd den Oberkörper auf. Drohend pendelte sie hin und her. Wie eine Tänzerin, rhythmisch und geschmeidig in ihren Bewegungen, schob sie sich weiter auf sie zu.
„Ich krieg zuviel,“ flüsterte Stenmark. „Das ist eine giftige Sandviper, ich würde mit Matt Davies um seine Hakenhand wetten.“
„Reiß dich zusammen.“
„Aye, aye, Sir.“
Hasard stockte plötzlich der Atem, denn hinter der Schlange und den herumliegenden Steinen hatte sich etwas bewegt. Er sichtete zuerst die Helme, dann tauchten die waffentragenden Männer auf – die Dons marschierten heran.
„Stenmark, bau jetzt keinen Mist,“ sagte Hasard gepreßt. „Wir kriegen Besuch. Ich dreh dir den Hals eigenhändig um, wenn du dir wegen der blöden Schlange in die Hosen machst.“
Stenmark fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Er wartete mit weitaufgerissenen Augen die Ankunft der Schlange ab, griff dann kurzentschlossen zu und packte sie dicht unterhalb des Kopfes, bevor sie auf ihn zustoßen konnte. Blitzschnell trennte er ihr mit seinem Messer den Kopf ab.
„Jetzt kriegen wir nicht mehr raus, ob sie tatsächlich giftig war,“ flüsterte er grimmig.
Hasard hörte nicht hin. Er hatte nur Augen für die Mannschaft, die etwa einen Steinwurf entfernt den hölzernen Landesteg aufsuchte. An der Spitze des Trupps ging der Capitan, mit arrogant erhobenem Kopf und herablassender Miene. Es folgten zwölf Mann der Besatzung, dann dreißig Soldaten mit einem Leutnant – und zuletzt sechs junge Indianerinnen.
Es handelte sich wahrhaftig um ausgesucht schöne Mädchen. Sie waren nur um die Lenden herum bekleidet, wie es auch bei den Araukanern üblich war. Hasard und Stenmark sahen große, feste Brüste wippen. Unwillkürlich glitten ihre Blikke tiefer, verharrten auf den wiegenden Hüften und wanderten schließlich weiter zu den gut geformten Waden.
Hasard riß sich zusammen und musterte die Mienen der Mädchen. Verzweiflung und Angst waren in ihren Augen zu lesen. Sie schritten hintereinander und hielten die Köpfe halb gesenkt. Der Wind strich durch ihre langen schwarzen Haare und zerzauste sie. Die Handgelenke der Ärmsten waren mit Tampen gefesselt worden. Mit Tauen hatte man sie zusätzlich wie Tiere aneinandergebunden, damit keine ausbrechen und fliehen konnte. Liefen alle zugleich los, so war es für die Bewacher leicht, sie wieder einzuholen.
„Die Dons, diese miesen Kakerlaken,“ wetterte Stenmark leise.
„Still!“
„Geht dein Plan auf?“
„Das sehen wir gleich. Halt die Luft an!“
„Aye, aye, Sir.“ Stenmark zog ein Gesicht, als wollte er’s wirklich tun.
Die Spanier bevölkerten den Landesteg und benahmen sich dabei nicht gerade diszipliniert. Sie trampelten derart darauf herum, daß Hasard befürchtete, eins der Pulverfässer könnte sich lösen und ins Wasser klatschen. Dann war alles aus!
„Atencion!“ rief der Kapitän. Der Leutnant brachte seine dreißig Kerle ebenfalls mit einem scharfen „Achtung“ zur Räson. Dann wurden Befehle ausgestoßen und das Beiboot flottgemacht. Die Spannung des Seewolfes und seines Begleiters stieg ins Unermeßliche. Zuerst nahmen fünf Mann von der Besatzung im Boot Platz. Dann stieg der Kapitän zu. Er winkte herrisch, und nun wurden die sechs Indianermädchen nach vorn geschubst und in das Boot dirigiert.
Hasard atmete auf.
Die Mädchen mußten sich auf die Duchten des Bootes kauern. Ein Bursche der Besatzung faßte eine von ihnen an und tastete über ihre Brüste. Das Mädchen gab einen erstickten Laut von sich, und der Capitan rief seinen Mann sofort zur Ordnung. Das Beiboot lag tief im Wasser, schaukelte und drohte, Wasser überzunehmen.
Ein paar barsche Kommandorufe des Capitans ertönten und wehten zu Hasard und dem Schweden herüber. Stenmark rieb sich die Hände, als zwei der auf dem Landesteg Zurückgelassenen gegen das Heck des Bootes stießen. Es setzte sich träge in Fahrt. Die Dons legten die Riemen in die Dollen und begannen angestrengt zu pullen.
„Los geht’s,“ versetzte der Seewolf leise.
Er beugte sich über das Ende der Hauptlunte, betätigte Feuerstein und Feuerstrahl und entfachte die Schnur. Knisternd fraß sich die Glut ihren Weg, ließ schwärzliche, schwelende Aschereste hinter sich zurück und verschwand unter dem Boden. Hasard und Stenmark blickten sich an. Ohne ein Wort zu sprechen, stellten sich beide die gleiche Frage: Würde die Zündschnur unter dem Sand erlöschen?
Das Beiboot glitt der „Valparaiso“ entgegen.
An Deck der Galeone waren die Gestalten von Pablo und seinem schlafbedürftigen Compadre zu erkennen. Rollengemäß winkten sie. Der spanische Kapitän im Beiboot quittierte dies mit einer knappen Geste und drehte sich dann wieder zu seinen pullenden Kerlen um. Die sechs Indianermädchen hockten wie verängstigte Vögel auf den Duchten geduckt, scheu, verstört.
Hasard behielt den Steg im Auge. Die Soldaten und der Rest der Besatzung lungerten teils auf den Planken, teils an Land herum. Jemand ließ eine Bemerkung fallen – Hasard erfaßte den Wortlaut, es war eine obszöne Anspielung auf die sechs Mädchen. Die übrigen lachten und schlugen sich auf die Schenkel.
Stenmark lugte unausgesetzt zum Anleger hinüber, während Hasard jetzt wieder das Beiboot beobachtete. Inzwischen hatte es die Galeone erreicht und ging längsseits. Der Capitan streckte befehlend die Hand aus, stippte mit dem Finger in die Luft und bestimmte drei Männer, die als erste die Jakobsleiter erklimmen und oben auf die anderen warten sollten. Die Betroffenen erhoben sich und holten die Riemen ein.
Hasard sah sie aufentern. Gleichzeitig stellte er sich die Szenerie hinter dem Schanzkleid vor, das geduckte Lauern seiner Männer, die Pablo und seinen Landsmann als Marionetten vorgeschoben hatten. Das Hochklettern der drei Dons an der Backbordwand mutete plötzlich unendlich langsam an.
Hasard zählte die Sekunden.
Wie lang konnten sieben Minuten sein?
Wie eine Ewigkeit!
Philip Hasard Killigrew stand der Schweiß in kleinen Perlen auf der Stirn. Stenmark erging es ebenso. Der Schwede hielt die Hände zu Fäusten geballt, Hasard schickte eine Art Stoßgebet zum Himmel. Francis Fletcher, der feiste Kaplan von der „Golden Hind,“ hätte ihn geradewegs in die Hölle verdammt, wenn er den Wortlaut gehört hätte.
Noch nicht, dachte der Seewolf flehentlich, jetzt noch nicht, nur ein paar Sekunden, aber dann, dann muß es passieren, falls das verflixte Luntenfeuer nicht unter dem Ufersand erstickt ist.