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Vor dem Konvoi jagte ein Dreimaster auf die "Truelove" zu, und eins wußte Gilbert Batten, ihr Kapitän, sehr genau - daß er nämlich dieses Schiff in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde. Das Bild dieses eleganten Schnellseglers mit dem eleganten Riß hatte sich in sein Gehirn gebrannt - wie geätzt mit einer glühenden Nadel: die Schebecke Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs, und seiner Kerle! Batten mußte sich am Kompaßhaus festhalten, um nicht in die Knie zu sacken. Und schon blitzte es bei der Schebecke auf, und die "Truelove" segelte in einen Vorhang hoch aufgischtender Fontänen hinein, deren Wasser wie aus hunderten von Kübeln auf ihre Decks niederklatschten, so daß alles von vorn bis achtern unter dem Schwall fast erstickte. Das war eine Warnung...
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Impressum© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-96688-060-2Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Davis J. Harbord
Er räubert für den Earl – und wütet wie ein Schlächter
Dezember 1598, südöstlich der Scilly-Inseln.
Der Wind wehte ruppig aus Westen, grauschwarze Wolken trieben ostwärts, die Kämme der bleigrauen groben See brachen und zeigten hinter sich größere weiße Schaumflächen. Es sah aus, als koche dort das Wasser.
Drei Karavellen, formiert in breiter Dwarslinie, segelten von Norden her südwärts.
Weder die östlich noch die westlich segelnde Karavelle führte eine Flagge, sondern nur rote Wimpel an den drei Gaffelruten. Lediglich das Schiff in der Mitte hatte eine Flagge gesetzt, ein grün-weiß diagonal gestreiftes Tuch mit einer roten Rose in der Mitte, das an der Besangaffel flatterte.
Nur wenigen war bekannt, daß es sich bei diesem Tuch um die Hausflagge des Grafen von Essex handelte – wie auch kaum jemand wußte, daß diese drei Karavellen mehr oder weniger für ganz private Zwecke des ehrenwerten Grafen die See durchpflügten …
Gilbert Batten – der Ex-Hauptmann des Grafen von Essex plant den ganz großen Coup, um schnell reich zu werden.
Jeremy Potter – sein ehemaliger Bootsmann steht ihm dabei zur Seite, aber das bereut er schließlich.
Sir James Runciman, Earl of Derby – hält sich für eine sehr bedeutende Persönlichkeit, kann aber nicht schwimmen.
John Morley – ein Erzschurke, der eine Karavelle führt und mit ihr in den Tod segelt.
Philip Hasard Killigrew – ihm geschieht das seltene Wunder, daß er zu einem Mann erklärt wird, auf den Spanien stolz sein kann.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Sir Robert Devereux, Earl of Essex, Günstling Ihrer Majestät von England, befand sich nicht an Bord einer dieser drei Karavellen. Aber sie segelten in seinem Auftrag, der da in etwa lautete, der gräflichen Schatulle neuen Inhalt zu geben.
Denn sie begann sich mit Luft zu füllen – eine Folge jenes Zeitvertreibs, den man gemeinhin mit ausschweifendem Leben bezeichnet. Zwar Günstling Ihrer Majestät, huldigte Sir Robert aber auch anderen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts und war dem Trunke sowie dem Würfelspiel ebenfalls nicht abgeneigt.
Seine Barschaften schmolzen bei Weibern, Wein und Würfeln dahin wie Schnee in der Sonne. Und darum war Sir Robert auf die geniale Idee verfallen, diesem Schmelzen entgegenzuwirken – allerdings nicht in höchsteigener Person, denn er mußte sich ja zur Verfügung Ihrer Majestät halten.
Nein, er hatte drei Karavellen gechartert, bemannt und ausgerüstet – mit den letzten Reserven aus seiner Schatulle – und auf die Pirsch geschickt, um sie auf See das betreiben zu lassen, was auf dem Land Straßenräuber zu tun pflegen.
Straßenräuber maskieren sich zumeist. In dieser Beziehung aber war Sir Robert sehr eitel – oder sehr dumm –, denn er hatte seinem Flaggschiff, der „Truelove“, was soviel wie „Geliebte“ oder „Liebchen“ bedeutet, die Order erteilt, Flagge zu zeigen, die Hausflagge derer von Essex.
Ob nun Flagge oder nicht, die Räuberei auf See wurde davon auch nicht ehrenvoller. Allerdings konnte er jederzeit behaupten, damit nichts zu tun zu haben. Oder bei einem ganz großen Fisch konnte er den goldenen Schwanz abschneiden und Ihrer Majestät als Zeichen seiner Ehrerbietung zu Füßen legen – wie seinerzeit Francis Drake oder vor acht Monaten der verfluchte Killigrew, der ihr mal so eben eine spanische Schatzgaleone verehrt hatte.
Den Befehl über die drei Karavellen hatte Sir Robert einem sehr engen Vertrauten und Saufkumpanen übertragen – dem früheren Hauptmann der Seesoldaten Gilbert Batten. Dieser Mann war ehemals Kapitän der gräflichen Prunkyacht „Arrow“ gewesen, gegen welche die Arwenacks im April des Jahres auf der Themse eine Wettfahrt gesegelt und eindeutig gewonnen hatten.
Philip Hasard Killigrew war von dem Grafen von Essex zu dieser Wettfahrt herausgefordert worden und hatte als der Herausgeforderte eine Bedingung stellen können – daß nämlich der Verlierer der Wettfahrt fünftausend Pfund für zum Krüppel geschossene und daher zum Dienst nicht mehr taugliche Angehörige der Royal Navy zu spenden habe.
Da hatte der Graf also zahlen müssen als Verlierer, und das hatte seine Schatulle noch leerer werden lassen. Sein Luxusgefährt, die „Arrow“, hatte er auch verkaufen müssen, um die drei gecharterten Karavellen ausrüsten zu können. Aber die sollten ihm seine Verluste ja wieder einbringen.
Die Ausbeute war bisher mager genug gewesen.
Seit anderthalb Monaten kämmten die drei Karavellen das Seegebiet südlich von England ab, ohne den ganz großen Fisch, von dem der Graf träumte, gefangen zu haben. Was sie bislang erbeutet hatten, war gerade ausreichend gewesen, um davon in irgendeinem englischen Hafen an der Südküste Proviant und Schiffsmaterial einkaufen zu können – Segel und Tauwerk hatten ergänzt werden müssen. Die drei Karavellen waren keineswegs als neu zu bezeichnen.
Die Stimmung auf allen drei Karavellen war gereizt.
Auf dem östlichen Flügel segelte die „Lightning“, was soviel wie „Blitz“ hieß. Sie stand unter dem Kommando des früheren Bootsmanns der Prunkyacht „Arrow“, einem gewissen Jeremy Potter, mit dem der Profos der Arwenacks damals im April in einer Themsepinte aneinandergeraten war – sehr zum Nachteil Potters, der als gefürchteter Raufbold galt.
Diesen Kerl konnte man mit seinem Stiernacken, den zerfransten Ohren und der plattgeschlagenen Nase getrost als Kinderschreck bezeichnen. Ihm fehlten zwei Vorderzähne, die auf Kosten Carberrys gingen. Für die Visage Potters war das kein Zugewinn – mitnichten!
Der westliche Flügel war von der „Greyhound“ besetzt, also „Windhund“, aber schneller als die „Lightning“ und die „Truelove“ war sie trotzdem nicht. Auch bei der „Lightning“ war der Name geprahlt, zumal sie nichts Blitzendes an sich hatte und wie die „Greyhound“ reichlich vergammelt aussah.
Die „Greyhound“ nun unterstand einem schnöseligen Busenfreund des Grafen von Essex, einem jungen Adelssproß namens Sir James Runciman, Earl of Derby. Sir James hielt sich für sehr bedeutend, eine Meinung, die bar jeder Realität war. Von der Seefahrt verstand er so viel wie eine Wildsau von der Kirchenmusik, und daß Sir Robert den Befehl über die drei Karavellen dem Gilbert Batten übertragen hätte, war sowieso ein Anlaß zu ständigen Streitereien.
Aber zur Zeit war Sir James nicht disponiert, denn die Seekrankheit hatte ihn gepackt, und er fühlte sein Ende nahen. Sein Kammerdiener Henry, der sich gleichfalls für bedeutend hielt, war ihm auch keine große Stütze beim Sterben, weil er ebenso unter jener rätselhaften Krankheit litt, bei der einem der Magen ins Gesicht steigt und die Welt ein Jammertal ist.
Die „Greyhound“ wurde zur Zeit der Unpäßlichkeit Seiner Lordschaft von dem Bootsmann John Morley geführt, einem ähnlichen Kaliber wie Potter auf der „Lightning“, wobei zu bemerken ist, daß sowohl Morley als auch Potter ihr seemännisches Handwerk von der Pike auf gelernt hatten.
Morley und die Crew der „Greyhound“ an die zwanzig Kerle wie auch auf den beiden anderen Karavellen – hatten für die „sterbende“ Lordschaft und seinen Kammerdiener nur ein verächtliches Grinsen übrig, gepaart mit Schadenfreude, die darauf beruhte, daß sie es leid waren, ständig von dem quengelnden und alles besserwissenden Sir James angemosert zu werden.
Sie konnten endlich einmal aufatmen. Sir James samt seinem Kammerdiener Henry, der sich gottgleich über das Schiffsvolk erhaben fühlte, konnten ihnen gestohlen bleiben und waren an Bord der Karavelle so überflüssig wie zwei leere Rumfässer.
Diese Kerle auf der „Greyhound“ und auf den beiden anderen Karavellen waren allesamt Rabauken von der übelsten Sorte. Und nichts interessierte sie mehr als das Reißen von Beute, aus deren Erlös sie wiederum an Land in den Spelunken und Kaschemmen der Häfen die Puppen tanzen lassen konnten.
Eine wilde Bande war das – und entschlossen, die eigene Geldkatze aufzufüllen, nicht die ihres Eigners oder gar eines solchen Würstchens wie Sir James.
Gleiche Gedanken hegte Gilbert Batten auf der „Truelove“. Dieser bullige Mann mit der Knollennase, den fleischigen Lippen, dem brutalen Kinn und den verwässerten Blauaugen hatte nicht die Absicht, sehr viel Gutes für die Schatulle des Grafen zu tun. Da war ihm nun wirklich das Hemd näher als die Jacke, will sagen, der eigene Geldsack. Ganz abgesehen davon, daß er dafür Kopf und Kragen riskieren müßte.
Außerdem schwante ihm, daß der Stern des Grafen am Himmel Ihrer Majestät am Sinken war. Man munkelte, daß Lissy ihn nach Irland abschieben wollte, um dort die Rebellen zu „befrieden“, die wieder dabei waren, kräftig aufzumucken.
Gilbert Batten – bei aller Brutalität auch ein gerissener Hundesohn – war sich sehr klar darüber, daß der Graf von Essex in Irland Schiffbruch erleiden mußte. Er war zu überheblich, dieser Graf. Genauso wie dieser Fatzke drüben auf der „Greyhound“, der noch nicht mal wußte, wo an Bord eines Schiffes Luv und Lee waren.
Mit Genuß hatte Batten vor zwei Tagen, als es ruppiger geworden war, durch den Kieker beobachtet, wie Sir James die Fische gefüttert hatte – nach Luv! Und da war diesem Idioten die ganze Kotze prompt wieder entgegengeflogen und hatte ihm die blasse Visage verkleistert. Nicht anders war es seinem dämlichen Kammerdiener ergangen.
Das Gewiehere auf allen drei Karavellen war Musik in Gilbert Battens Ohren gewesen.
Seitdem hatte sich Sir James nicht mehr auf dem Achterdeck der „Greyhound“ blicken lassen. Und Morley hatte grinsend gemeldet, Seine Lordschaft seien unpäßlich.
Wie schön!
Denn wen die Seekrankheit gepackt hat, der sieht und hört nichts mehr. Der möchte nur noch sterben. Und die Beute interessiert ihn auch nicht mehr.
Genau in diesem Augenblick brüllte der Ausguck auf der „Truelove“: „Mastspitzen Backbord voraus!“
Gilbert Batten auf dem Achterdeck der „Truelove“ fuhr aus seinen Gedanken auf, seine verwässerten Augen belebten sich etwas.
Mastspitzen!
Er schmatzte mit den fleischigen Lippen. Vielleicht war das die große Beute, auf die sie alle lauerten wie Fleischerhunde auf den Knochen. Auch die verdrossenen Visagen der Kerle spannten sich. Mit Winkzeichen wurden die „Greyhound“ und die „Lightning“ alarmiert, das was in Sicht sei. Alle Blicke richteten sich nach Südosten.
Batten stierte durch den Kieker, ebenso Morley auf der „Greyhound“ und Potter auf der „Lightning“. Es dauerte an die zehn Minuten, bis sie bei den herrschenden Sichtverhältnissen und der kabbeligen See, deren Kimm verwaschen war, etwas entdeckten. Es riß sie zu wilden Flüchen hin.
Hart über Steuerbord liegend, kämpfte sich ein Zweimaster nordwestwärts. Ein Zweimaster! Bei einem Einmaster hätten sie noch wilder geflucht, bei einem Dreimaster wäre es ein Frohlocken gewesen, bei vielen Dreimastern ein Jubilieren.
Aber man mußte hinnehmen, was einem vor die Flinte lief, auch so einen Keucher mit läppischen zwei Masten, hol’s der Teufel. Der Spatz auf der Hand war einem lieber als die Taube auf dem Dach.