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Während eines Interviews mit dem TV-Produzenten Franke-Welser wird der Reporter Harry Gundlach vor dem Bildschirm Zeuge, wie sich ein Attentäter während der Sendung "Livehaftig! Euer Ronny" in die Luft sprengt. Dabei wird der beliebte Moderator Ronny Akkermann schwer verletzt. Gundlach nimmt Kontakt zu dem Klatschreporter Manni Jaeger auf, der ihn in die Münchner Szene einführt. Denn Gundlach vermutet den TV-Mogul Geo Kapellmann hinter dem Anschlag. Bei einem Besuch auf dessen Anwesen auf Sylt macht Kapellmann Gundlach ein Angebot: Er soll das Drehbuch eines Bestsellers, "Der Seifensieder von Marseille", für Kapellmanns Film- Firma verfassen, da der Autor, der von der Szene verschwunden ist, daran gescheitert war. Wollte Kapellmann Gundlach kaufen, um ihn vom Fall Akkermann abzuziehen? Später wird der TV-Mogul tot am Sylter Roten Kliff gefunden - Unfall oder Suizid? Auf Sylt begegnet Gundlach auch der hinreißenden Maklerin Charlotte, doch die unterschiedlichen Temperamente der beiden machen eine Beziehung schwierig.
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Seitenzahl: 293
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Michael Fischer
Seifenoper
Eine Mediensatire
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Der lachende Produzent und sein trauriger Entertainer
Der wütende Papst und der Prominenten-Jaeger
Kluge kommt in die Klinik und Lollo ins Spukschloss
Cindy führt mit Harry frivole Tischgespräche
Grosse, der große Boss von Studio Wandsbek
Die Insel der Schönen, Berühmten und Reichen
Die Entführung des Entertainers oder kein Glück gehabt
Der Ghost-Writer oder das Gespenst vom Bodensee
Die Idylle auf der schönen Nordseeinsel - trügerisch
Der berühmte Dichter, dem der Freund die Feder führte
Impressum neobooks
„Eins, zwei. Sprechprobe. Drei, vier. Sprechprobe.“
Harry Gundlach, freier Reporter für das berühmte Hamburger Magazin und andere überregionale Zeitschriften und Zeitungen, hielt sein winziges digitales Aufnahmegerät an und prüfte die Aufnahme.
„Eins, zwei. Sprechprobe. Drei, vier. Sprechprobe“ echote es aus dem kleinen Lautsprecher. Alles o.k. murmelte Harry in seinen grauen, gestutzten Schnauzbart. Und diktierte:
„Am Ende der Zufahrt erscheint das Anwesen des bekannten Fernsehmoderators und TV-Produzenten Alf Franke-Welser, ein, so kann man sagen, postmodernes Gebäude. Es ist ein Kubus, der von spielerischen Elementen wie einem auf vier Säulen ruhenden Portikus vor der Eingangstür geschmückt wird. Geschmückt? Oder eher verschandelt. Egal. Im Parterre glotzen den Betrachter getönte, undurchsichtige Fenster dumm an. Darüber, im ersten und zweiten Stock, hat der Architekt oder welche Berufsbezeichnung auch immer dieser Verunstalter im Namen führt, veritable Bullaugen als Fenster eingesetzt. Bullaugen!“ wiederholte er empört. „Darüber wölbt sich ein rotes Ziegeldach wie eine fernöstliche Pagode. Einfach hässlich, grottenhässlich, das Gebilde.“
Hätte man dem Haus eine rote Schleife umgebunden, hätte es auch als Geschenkkarton für ein süßliches Parfum durchgehen können.
So also sprach der Reporter Harry Gundlach, Hamburg, in sein unscheinbares, fast unsichtbares Minimikrophon, das er wie ein Schmuckstück am Revers seines dunkelgrauen Armani-Sakkos trug. Ein Sakko aus dem Second-Hand-Shop. Darunter trug er ein beiges Polohemd mit dem Krokodil über dem Herzen. Eine schwarze Jeans und ebensolche Slippers vervollständigten sein Outfit.
„Der Farbton das Hauses, Terracotta“, fuhr der Reporter fort, gleicht einem dieser putzigen Anwesen in der Toskana, dem Lieblingsaufenthaltsort des Bauherrn, der es dem TV-Produzenten verkauft hat.“ Der selbst schätzt die raren verborgenen Buchten auf der Balearen-Insel Mallorca. Da ist er seinem Publikum nahe und dennoch ohne peinigenden Kontakt.
„ Also“, fuhr der Reporter in seiner Rede, die er nur für sich selbst und sein kleines Aufnahmegerät hielt, fort: „ Terracottafarben. Die Säulen des Portikus, sehr auffallend, sind weiß gestrichen, richtig unschuldig weiß“, lachte er. „Neben dem Eingang wiegen sich riesige Oleanderpflanzen in dicken Weinfässern leise im Wind. Auch etliche Palmen aus dem fernen Süden. Wir befinden uns hier schließlich im Westen von Mittel-Deutschland. Genauer: Im Saarland. Exakt nahe der kleinen Landeshauptstadt Saarbrücken.“
Warum hat sich der Produzent eigentlich im Saarland angesiedelt, fragte sich der Reporter auf dem Weg von dem schäbigen Provinzflughafen, wo er in einem staubigen Verschlag seinen Mietwagen in Empfang genommen hatte. Die Lufthansa hatte ihn dorthin mit einer klapprigen, engen Turbopropmaschine geschafft, grauslig. Auf dem windigen Hochplateau, wo der Flughafen lag, hatte der fliegende Kasten beinahe noch die Landebahn verpasst.
Also, warum das Saarland? Wegen der Nähe zu Luxemburg, der Wiege des einfältigen Unterhaltungsfernsehens vermutlich, gab er sich selbst als Antwort. Alf Franke-Welser schuf seine Unterhaltungskleinodien sowohl fürs Kommerz-, als auch fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen.
In letzter Zeit sprach unser Reporter gerne laut mit sich selbst, Zeichen beginnender Verkalkung? Ach, egal. Auch das Saarland hat eine Vergangenheit beim Seichtrundfunk, man denke nur an die legendäre Europawelle Saar, erinnern Sie sich an Namen wie Dieter Thomas Heck, Rainer Holbe und den Mann mit dem Sex in der Stimme und im Namen, Manfred Sexauer? Oder Camillo Felgen? Hallo, schon mal gehört? Von Radio Luxemburg, auch nur ein` Steinwurf entfernt, colourful radio Luxembourg. Auch die größte deutsche, ja europäische Fernsehanstalt, ein Hort von Volksmusik und anderen tümlichen Zerstreuungen auf dem Mainzer Erlenberg liegt für Alf Franke-Welser sehr nah, wie alles Gute, wie man so sagt.
Ob sich das Knirschen des schneeweißen Kies`, der die Einfahrt bis hin zum Portikus bedeckte, auf seinem Interviewband wiederfindet, fragte sich der Reporter in dem Moment, als er seinen Mietwagen stoppte. Schnell warf er noch im Innenspiegel einen Blick auf sein Äußeres, das leicht gebräunte Gesicht mit dem grauen, kurzgeschnittenen Bart, den hellblauen Augen, die unter buschigen Brauen hervorlugten. Und strich sich über jenes, was man so hässlich eine Halbglatze nennt. Fünfzig Jahre hatten ihren Tribut gefordert.
Gundlach lugte in die offenstehende Garage neben dem Anwesen, aus der ein Jaguar-Oldtimer blitzte. Den Haufen Blech und Chrom hatte wohl der Butler eben erst poliert. Ja, ja, Alf Franke-Welser hatte eine Schwäche für alte Autos und ganz, ganz junge Mädchen. Lolitas.Lolita, light of my life, fire of my loans.My sin, my soul. Lo-lee-ta. Die Zeile konnte Gundlach tatsächlich auswendig, by heart. Und musste dabei lachen. Nabokov vom Feinsten.
Im selben Moment, in dem er den Schlag des Mietwagens, eines Audi 6, zuwarf, öffnete sich die grellgelb lackierte Tür des schmucken Anwesens und Hausherr Franke-Welser knipste sein berühmtes Plastik-Fernsehmoderatoren-Lächeln an. Dann tänzelte er die paar Stufen hinunter, als wäre es die Showtreppe aus einer seiner Spaß- und Musiksendungen. Er war adrett in dunkelblaues Tuch gewandet, aus dessen Brusttäschchen ein helles Tüchlein lugte. Das einstmals hübsche, ebenmäßige, also nichtssagende Gesicht war von den vielen Aufenthalten auf Mallorca und den Sonnenbänken ledrig geworden und runzlig und rundlich vom steten Tropfen Johnny Walker, still going. Der ging immer, der gute Tropfen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Sah der Reporter auf Franke-Welsers Haupt ein dunkelblondes Haarteil schimmern?
„Schön!“, brüllte Franke-Welser mit seinem berühmten, sonoren Bass, der einst beim Radio geschulten Stimme. „Der Reporter von der Frankfurter ist eingetroffen. Treten Sie doch näher, Herr, Herr, wie war noch der Name?“
„Nicht von der Frankfurter, Herr Franke-Welser, vom Magazin. Demjenigen aus Hamburg!“
Die Enttäuschung über diese Mitteilung ließ Franke-Welser plötzlich fahl erscheinen. Als ob alles Leben seinen gepflegten Körper verlassen hätte.
„Harry Gundlach vom Magazin aus Hamburg, Herr Franke-Welser. Unter diesem meinem Namen waren wir auch verabredet.“
Franke-Welser, immer noch wie leergepumpt, zuckte mit den Schultern und ließ dem Reporter artig den Vortritt. Die alten Fernsehhasen hatten noch Manieren.
Franke-Welser hatte die sechzig bereits überschritten, sich jedoch dank regelmäßiger Massagen, Wald- und Wiesenläufe prima gehalten, dachte Gundlach neidisch. Und fühlte, wie sein Bauchansatz unangenehm beim Stufensteigen wabbelte.
Dann bekam Franke-Welser ein Stück Stoff des Sakkos des Reporters zu greifen und flüsterte: “Was war denn nun mal wieder unser Thema, Herr? Herr?“
„Gundlach. Harry Gundlach. Vom Magazin aus Hamburg. Unser Thema? Aber Herr Franke-Welser! Unser Thema, das sind Sie und Ihre Produktionen und die Schwierigkeiten, die derzeit am Horizont der gesamten deutschen und europäischen Fernsehunterhaltung drohen!“
Dräuen hatte er beinahe gesagt, weil er das so am liebsten hinschrieb.
„Der Rückgang der Zuschauerzahlen! Das Ausbleiben der Werbetrailer. Der finanzielle Absturz. Undsoweiter, undsofort.“
„Rückgang? Niedergang? Probleme?“, echote AFW, wie er in der Branche genannt wurde, und tat baff. „Aber mein Herr, Herr Gundlach. Probleme haben wir mitnichten.“
Wir! Dabei machte er eine schwärmerische Handbewegung, drehte sich einmal um seine eigene Achse, wohl, um auf die Dutzenden TV-Geräte und Breitwandmonitore hinzu weisen, die hier in der Eingangshalle seines Anwesens allesamt kunterbunt unter Strom standen und stumm vor sich hinflimmerten.
„Sehen Sie sich einfach um. Schauen Sie in meine Sendungen. Hier“, und wieder diese prahlerische Handbewegung, „sehen Sie alles, was meine Firma derzeit zu bieten hat, livehaftig und in Schnürsenkel-Aufzeichnungen. Schnürsenkel? Kennen Sie den Begriff aus unserer Branche? Nun, so nennt man auch die Endlosschleifen im Jargon. Lustig, nicht wahr?“
Ja, ja, lustig, nickte der Reporter und besah sich die TV-Bescherungen, während der Produzent wie ausgeknipst verschwunden war, wie in den Kulissen verloren. Woraufhin eines von Franke-Welsers blonden, blutjungen Dingern durch den Raum huschte, ohne Gundlach nur eines Blickes zu würdigen.
Auf den Monitoren, acht, neun, zehn an der Zahl, sah Gundlach Ausschnitte aus Welsers televisionären Schaffen, tonlos, stumm, doch in allen Farben des Regenbogens glühend: Dicke Sänger wiegten sich vor Fachwerk und Brunnen und blühenden Geranien; Nurejew selig als sterbender Schwan auf einer leeren Bühne und nebenan rockte tatsächlich Rod Stewart über die Bretter einer Open-Air-Szenerie. Daneben tobten Schlachtenszenen, Männer meuchelten einander von Pferden aus, wohl aus der Abteilung Historie kompiliert, während auf einem anderen Bildschirm barbusige Blondinen einander beschmusten. Nachtprogramm.
Auch Wettervorhersagen hat Franke-Welser in seinem TV-Portfolio, eine lange Blondine mit hervorstechendem Busen wies eben neckisch auf ein Hoch, als ob es ihr persönliches wäre.
Endlich hatte der Reporter auf einem weiteren Großbildschirm den großgewachsenen Ronald Akkermann, von aller Welt nur Ronny genannt, entdeckt. Ronny war auch eine von Franke-Welsers Entdeckungen, Schöpfungen, ja künstlichen Kreationen. Ronny geisterte seit über einem Vierteljahrhundert unverwüstlich, unangreifbar und unbekümmert über seine vom Vorabend bis ins Hauptabendprogramm ausschweifende Unterhaltungssendung mit dem sprechenden Titel „Livehaftig, Euer Ronny!“ Ein stundenlanger Programm-Mix aus Spielen, Rätseln, Schlagern, Artistik, Witzen, Wetten und Karaoke-Gesang.
Auf dem Riesenbildschirm sah Gundlach deutlich, wie alt der Junge geworden war, runzlig und fahl und schon ein wenig fett und schmierig. Schmuddelig. Das Haar war strähnig wie eine schlechte Clowns-Perücke an das Haupt geklebt, das schmale Menjou-Bärtchen wie auf die Oberlippe gemalt, die Augenbrauen schienen nachgefärbt und wucherten die Stirn empor, die tiefen Hautporen wurden nur schlecht von der Schminke verdeckt. Mit den langen, von irgendeinem Bühnenfigaro schwarzgefärbten und ondulierten Locken erinnerte er Harry immer an den guten, alten Abi Ofarim, freilich an einen Abi Ofarim im Rentenalter.
Irritierend drang Ronnys gellende Stimme plötzlich in den multimedialen Raum, Franke-Welser hatte dafür wohl ein mysteriöses Kommando per Fernbedienung gegeben.
„Jawoll“, hörte man Ronny sagen und „prima gemacht. Doch jetzt zu unserem nächsten Spiel, der nächsten Wette“, schnitt er dem auf Abgang programmierten Kandidaten schnöde das Wort ab, und wandte sich mit mürrischer Miene einem neuen Gast zu. Als Franke-Welser wie aus dem Nichts wieder an Gundlachs Seite erschien, zuckte der kurz zusammen, doch der Reporter hatte wirklich nichts Unrechtes getan. Hatte nur geschaut und sich seine Gedanken dazu gemacht.
„Na, mein Lieber“, meinte Franke-Welser zu Gundlach und berührte ihn dabei wieder am Arm, so sanft, als hätte ihn eine Katze gestreift. Pfoten weg, dachte Gundlach und schüttelte sich ein wenig.
„Der ist immer noch unser Renner. Ich meine, Ronny macht seine Sache doch immer noch gut, finden Sie nicht auch?“
Doch der Reporter war zu abgelenkt, um Franke-Welser zu antworten. Auf dem Bildschirm tat sich nämlich Ungewöhnliches, ja Ungeheuerliches.
Aus der Drehtür trat der nächste Kandidat, ein Mann, den Ronny eben noch als Mehdi angekündigt hatte, ein Türke oder Algerier oder Marokkaner mit deutschem Pass oder so. Der war in einen weiten weißen Kaftan gehüllt, öffnete den wie ein Exhibitionist, man sah einen fetten Gürtel blitzen, an dem unzählige gleichförmige Dinge klebten, die aussahen wie metallene Säckchen oder Schachteln. Sahen aus wie, na wie denn?, fuhr es Gundlach durch den Sinn.
Leicht panisch blickte er zu seinem Gastgeber, dem berühmten TV-Produzenten Alf Franke-Welser, doch der starrte auch nur stumm auf das Geschehen auf dem Bildschirm.
„Was gilt die Wette“, ließ sich jetzt Mehdi aus dem Studio vernehmen, „wenn ich mich jetzt mitsamt diesem ganzen Scheiß in die Luft...“
Die folgende Detonation schluckte nicht nur Mehdis letzte Worte, sondern ließ auf dem Fernseher einen bunten Feuerball aufleuchten, rot, weiß, rot, weiß, purpurn glimmte der Bildschirm, ehe ein grauer Schleier aus Rauch und Staub und Kummer ihn verdunkelte. Darauf das Insert: „Für die Bild- und Tonstörungen bitten wir um Entschuldigung.“
Entgeistert von dem, was er auf dem Bildschirm zu sehen bekommen hatte, hatte Franke-Welser Harry Gundlach seines Anwesens verwiesen. Die Blonde hatte als seine Begleitung fungiert. Er solle sich morgen noch einmal melden, hatte Franke-Welser gehaucht, morgen, wenn er Rücksprache mit dem Sender getätigt hätte. Wenn er mehr über das wüsste, was sie beide eben erlebt hatten.
Harry hatte sich in einem Hotel in der Saarbrücker Innenstadt ein Zimmer reserviert, das er eben bezogen hatte. Der Fernsehapparat lief bereits und auf dessen Hintergrund in einer Art Endlosschleife das Attentat. Im Vordergrund saßen Teilnehmer einer Diskussion und brabbelten Unverständliches, weil Gundlach den Ton weggedreht hatte.
Zunächst richtete er sich in dem Hotelzimmer ein. Dann nahm er ein Bier aus dem Kühlschrank und trat ans Fenster, einen Blick auf die Landschaft zu werfen. Unten mäanderte die Saar träge in ihrem Bett, auf der anderen Seite des Flusses sah man das Saarbrücker Schloss am Hang hocken. Darin ist das Landesparlament untergebracht, erinnerte er sich. Im Staatstheater, hatte er gesehen, als er vorbei fuhr, spielte man Becketts Warten auf Godot, den guten, alten Absurd-Klassiker. Vielleicht würde er sich bei dem heute Abend noch zerstreuen? Sonst gibt’s heute nichts mehr zu tun,rien a faire, herrlich, wie lakonisch das Stück beginnt.
Als die SchriftRonny lebt! – Das Ärztebulletin morgen – Ronny lebt! – Das Ärztebulletin morgenüber das Bild des TV-Geräts lief, sprangen die Diskutanten wohl auf Kommando des Aufnahmeleiters auf und umarmten einander wie Fußballer beim Torschuss.
Harry drehte den Ton wieder lauter. Ein Nachrichtensprecher wurde in die laufenden Sendung geschnitten, der mit Routine-Stimme das eben gezeigte noch einmal wiederholte und berichtete, dass der beliebte Moderator an einen unbekannten Ort, in eine verschwiegene Prominentenklinik verbracht worden sei. Um da zu genesen.
Prima, Ronny lebt, dachte Harry und fragte sich, wie er den in den nächsten Tagen erreichen könnte.
Über Franke-Welser? Dann fiel ihm Manni Jaeger in München ein, auch Prominenten-Jaeger genannt. Der hatte für die größte Boulevard-Zeitung die Klatschspalte bedient, bis er wegen Steuerhinterziehung in den Knast wanderte.
Ob der wohl wieder draußen in Freiheit ist? Promi-Jaeger jedenfalls hatte immer beste Kontakte. Ich glaube, den Beckett-Abend lasse ich sausen und mach` mich auf zu einer Sause in einer obskuren Bar. Wo langbeinige Damen in Anführungszeichen und sonst wenig am Leib auf Barhockern lungerten. Davon, erinnerte er sich, gab`s in der Saarbrücker Innenstadt ein halbes Dutzend. Überhaupt gab es in Saarbrücker Kneipen viel zu lachen, weil die Ureinwohner sich immer so tüchtig französisch geben.
Ich bin blind, mein Gott, ich bin blind. Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich. Und taub und taub und taub. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.
Wie in alten Messdiener-Zeiten schwappt das Urgebet der Christenheit durch Ronnys Hirn. Blind und taub und lahm.
Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Ronny kann weder sehen, noch hören noch seinen Körper bewegen. Nur noch beten.
Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.
Mach einfach deine Augen auf, befielt Ronny seinem eigenen Leib, und höre einfach und bewege deinen Körper, fauler Sack.
Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Übel. Amen. Und führe uns nicht in Versuchung. Versuchung. Versuchs einfach!
Langsam erscheint ein Schimmer unter den geschlossenen Augen, ein lichtdurchflutetes Zimmer, Ronny muss nur noch die Augen öffnen und die Linsen fokussieren, dann sieht er, dasser in einem Krankenzimmer liegt. Liegt. Und fest verbunden ist. Und angebunden.
Und führe uns nicht in Versuchung.
Wie ein obszöner Refrain fährt diese Zeile immer wieder durch sein Hirn. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern.
Kann er sprechen?
Wo? Bin? Ich?
Da hört er ein Rascheln gleich neben dem Ohr. Ronny kann auch wieder hören.
Und führe uns nicht in Versuchung.
Ein Schatten tritt daraus hervor.
Ohr. Hervor.
Eine Schwester in raschelnder Kluft. Kluft? Tracht! Die sich zärtlich lächelnd zu ihm nieder bückt. Und etwas sagt, was Ronny nicht verstehen kann. Er ist zu sehr eingewickelt. Kommt ihm so vor. Mull um Kopf und Arme und Beine. Davon eines in Habachtstellung. Sieht komisch aus. Dann ist die Schwester schon wieder verschwunden.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen. Amen. Amen.
Wie ein Refrain. Schön, wie sich manche Zeilen unauslöschlich ins Gedächtnis geschrieben haben.
Amen.
Bewegst sich da etwas unter der Decke? Ach, es ist nur sein Händchen, das nervös zuckt.
Ein Blitz, ein Donner, einstürzende Kulissen, Staub und grässliches Geschrei. Das war das letzte, an das er sich erinnern kann. Und, wie dämlich, seine Abmoderation der dämlichen Boygroup Aha.
Aha, aha, aha, sind die Schwulen alle da?
Gegrüßt seiest Du Maria, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter.
Gebenedeit. Heißt das tatsächlich so. Gebenedeit?
Ronny will die Hand von unter der Decke auf die Decke legen, doch sie lässt sich nicht bewegen. Von der linken, die eh auf der Decke liegt, fallen Schläuche und Sensoren das Bett hinunter, wo sie, denkt Ronny jetzt, wohl in einen Monitor münden, der den Ärzten und den Schwestern Bescheid gibt, pling, pling, pling. Alles im grünen Bereich.
Pling. Pling. Pling.
Gebenedeit unter den Weibern. Weibern. Und gebenedeit ist die Frucht deines Leiben, Jesus. Jessas.
Jetzt kommen sie zurück. Ein ganzer Schwarm Weißkittel. Und in der Mitte der Chef. Der beugt sich zu Ronny herab.
„Und wie geht es heute unserem Patienten?“
Ronny macht den Mund auf, doch es kommt nur Luft heraus. Stinkt die so, die Atemluft, dass sich der Medizinmann gleich wieder abwenden muss? Angeekelt? Schwester, übernehmen Sie!
Heilige Maria Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Nochn Gebet. Amen.
„Aber Herr Ackermann, Ronny, darf ich doch sagen! Sie müssen doch gar nicht sterben. Sie befinden sich auf dem Weg der Besserung. Gell!“
So spricht die Schwester. Dann dreht sie an einem Knopf und der Patient versinkt wieder in tiefem Schlaf. Amen. Schön, wenn man noch beten kann.
Ich bin blind, ich bin taub, ich bin stumm.
Ronald Ackermann, Ronny genannt, fühlt sich, als ob er aus einem schwarzen Tunnel langsam ins Licht trete. Oder aus einer Kulisse ins Scheinwerferlicht,hooper trooper, dadadadada, island in the sky.Alles ist ihm schwer, sein Körper und sein Geist sowieso. Guter, alter Abba-Song.
Habe ich so lange geschlafen, dass mir immer noch ganz schummrig, schwindlig, übel ist, fragt er sich ein ums andere Mal.
Wie aus einem schwarzen Tunnel ins Licht. Das Bild gefällt ihm. Er sieht sich quasi wie von außen, wie von hoch oben gesehen oder gefilmt aus einem Helikopter, durch einen schwarzen Tunnel wanken, an dessen Ende ein Licht scheint, jedenfalls etwas Helles, Strahlendes. Nur für ihn. Haben davon nicht auch Menschen berichtet, die knapp dem Tod von der Schippe gesprungen sind? Grenzwerterlebnisse. Erlebnisse aus dem Grenzwertigen. Von der Schippe gesprungen – was für eine alberne Ausdrucksweise, denkt er leicht amüsiert. Amüsiert?
Da berührt ihn jemand an der Schulter, kaum spürbar.
Wie ich nur hierher gekommen bin? Ronny erinnert sich lediglich an die letzten paar Sekunden seiner Erfolgssendung „Livehaftig! Euer Ronny“, als sich ein Mann im weißen Kaftan daran machte, seine Wette auszusprechen. Vorher war der Idiot, der am Reißen des Fließes die Marke des Toilettenpapiers raten konnte. Idiotisch, vollkommen idiotisch. Dann war da noch diese Boygroup, die er angekündigt hatte, tralala und hopssassa, klingelingeling. Schwulies, verdammte.
Dann ein Blitz und ein Knall und eine Staubwolke, alles brach irgendwie zusammen, vor ihm und neben ihm und hinter ihm. Geschrei von denen, die sonst zum Applaus verdonnert waren. Dann war ich weg, denkt Ronny, weggetreten. Und bin erst hier wieder aufgewacht.
„Wie spät haben wir eigentlich?“
„Er spricht, unser Ronny hat gesprochen! Na endlich. Nach neun Tagen des Schweigens!“
Das Schweigen. Kennen Sie den Film?
„Und welchen gottverdammten Tag haben wir! Werktag und Uhrzeit bitte!“
„Unser Ronny ist wieder der Alte. Aus einem langen Koma und den starken Beruhigungsmitteln erwacht. Und möchte den Tag und die Uhrzeit wissen. Köstlich.“
Die beiden Schwestern, die am Bett des Verletzten Wache halten, scheinen erleichtert. Eine, eine kleine dunkle Philippinin, eilt nach draußen, um dem diensthabenden Arzt und Oberschwester Yvonne Bescheid zu sagen, die andere, eine rothaarige, so ganz nach Ronnys Geschmack, tätschelt dem Erwachten die linke Schulter, die am wenigsten lädiert scheint und redet beruhigend auf ihn ein. Was sie routiniert beherrscht.
„Ich möchte meine Schwester und meinen Produzenten sprechen“, sagt nun Ronny, der wohl lange an diesem Satz gefeilt hat, so makellos kommt er ihm über die Lippen.
„Meine Schwester und meinen Produzenten!“ wiederholt er streng.
„Das ist alles organisiert. Bald, wohl morgen früh, werden beide an Ihrem Bett erscheinen. Ihre Schwester und ihr Produzent.“
Doch zunächst erscheint der diensthabende Arzt, der zufällig heute Chefarzt Professor Doktor Schneider ist, in Gefolgschaft von einem halben Dutzend Schwestern, kommt es dem immer noch wie in Watte gepackten Ronny vor, darunter Oberschwester Yvonne, sowie Studenten, die neugierig auf den Star und den Zustand seiner Genesung sind.
Getuschel kann der Patient ausmachen, seine Augen hält er wieder geschlossen, um sich den Anblick dieser neugierigen Meute zu ersparen. Vielleicht auch, weil er einfach noch zu müde ist.
„Setzen Sie die Beruhigungsmittel langsam wieder ab, Oberschwester,“ vernimmt der Patient noch wie von Ferne, ehe er wieder in den süßen Schlaf hinüber dämmert.
Seit eine Münchner Bank in den achtziger Jahren Pleite gegangen ist, residiert Georg Kapellmann unter der frommen Adresse Kardinal-Döpfner-Passage inmitten der Münchner Innenstadt.
Den Besucher empfing ein Palais aus dem neunzehnten Jahrhundert, erstellt aus Marmor, Stein und Schmiedeeisen, prunkend mit einem Portal, über dem das Bayern-Wappen schwebte, von dicken Putti gehalten, spätes neunzehntes Jahrhundert.
An zwei mächtigen Marmorsäulen vorbeischreitend, betrat der Magazin-Reporter Harry Gundlach ein Foyer, das eines Staatstheaters würdig gewesen wäre. Säulen trugen einen Himmel, der von allerlei Getier und ätherischen Wesen bevölkert war. Rechts vom Eingang befand sich eine Loge, wo zwei Pförtner gelangweilt Wache schoben.
Als der Reporter den weiten Raum betrat, merkte einer von ihnen auf, erhob sich, verließ seinen durch Glas gesicherten Verschlag und trat auf den Eindringling zu, noch lächelnd, noch höflich.
„Guten Tag, der Herr. Was kann man für Sie tun?“
Als Harry Gundlach vom Magazin, Hamburg, stellte sich der Reporter vor. Und er habe eine Verabredung mit Herrn Georg Kapellmann.
„Um diese Zeit?“
Dabei sah der Pförtner, Herr Matuschke las der Reporter auf einem winzigen Schildchen, stirnrunzelnd auf seine Uhr, ein glitzerndes Rolex-Ding.
„Um diese Zeit, mein Herr, feiert Herr Kapellmann doch die Heilige Messe!“
Georg Kapellmann, den sie in der Branche nur Geo den Großen nennen, heißt auch „der Papst“, weil er erstens sich so fromm wie jener in Rom gebärdet, und zweitens, weil er in dem selben Dorf wie der Benedikter-Papst aufgewachsen ist.
Dort betrieb Georgs Vater das Dorfkino. Geo ist also von Kindesbeinen an mit Kino und Film, der Vorführung in dunklen Sälen, dem Verleih und dem Handel desselben aufgewachsen. Nach dem Krieg ist Geo dann selbst in den Filmhandel eingestiegen, wobei er sein Vermögen mit einem einzigen Film aus dem
Nachkriegsfrankreich gemacht hat: Kinder des Olymp, ein Werk von betörender Poesie, ein schwarz-weiß Schmankerl für Nachkriegscineasten, noch während des Kriegs in Frankreich von Marcel Carne´ inszeniert. An dem ein wenig der haut gout der Kollaboration haftete.
Kapellmann wird auch deswegen der Papst genannt, weil er über ein Konglomerat aus verschiedenen Fernseh- , Video-, Phono- und Filmproduktionsfirmen gebietet, auch Geos Kirchen und Kapellen genannt. Einerseits hält er Beteiligungen an Kommerz-Fernsehsendern, Tageszeitungen, Zeitschriften, Frauenblättern und der kunterbunten Unterhaltungspresse; andererseits arbeiten seine Produktionsfirmen vor allem für das öffentlich-rechtliche Fernsehen; eine Art sichere Bank, auf die Geo immer setzen konnte.
„Eins, zwei. Sprechprobe. Drei, vier. Sprechprobe. Besuch bei Papst Geo dem Großen“, murmelte Gundlach in sein Mini-Mikro, wobei er sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
Im Palais befand sich, extra für den frommen Mann eingerichtet, seine private Kapelle. Tief unten im Keller, wo einst das Allerheiligste der Bank war, der Tresor.
„Was lachen Sie, mein Herr. Wir sind ein frommes Haus.“
Ich weiß, ich weiß, nickte der Reporter und fragte nach dem Zeitpunkt seines Rendezvous.
Wieder dieser grübelnde Blick auf die Rolex.
In einer Viertelstunde sei er wohl so weit. Der Herr könne so lange in der Halle warten. Wobei Matuschke diesmal vage raumgreifend in eine der vielen Nischen wies.
Als ob dem Depp dieses alles gehörte, dachte der Reporter, ehe er es sich bei den diversen Hochglanzbroschüren, die von den medialen Aktivitäten von Papst Geo prahlten, gemütlich machte.
Auf die von weit her gerufene Frage nach einem Kaffee nickte der Reporter zufrieden. Stil hat man hier wenigstens, wenn auch keinen Geschmack. Das Interieur muss ein Dekorateur entworfen haben, der eine heftige Abneigung auf die Gesetze der Geometrie, der Proportionen und die natürliche Ordnung der Dinge gehabt haben muss.
Als plötzlich Bewegung in die starren Pförtner kam, als sich in der Ferne eine Tür öffnete und Stimmen bis ins Foyer trugen, schien die Messe beendet.
Amen. Gehet hin in Frieden.
Es erschien Papst Geo, geleitet von einem in grau gehaltenen Herrn. Seitdem er vom Alterszucker gezeichnet ist, ist Geo Kapellmann fast blind. Also führte ihn sein Begleiter nun direkt auf den Reporter zu, der sich von den Broschüren losgerissen und sich erhoben hatte.
„Eins, zwei, eins zwei“, murmelte er in sein winziges Aufnahmegerät, „Aufnahme: Der Papst hält Audienz.“ Und ließ es in der Innentasche seines Sakkos verschwinden.
In Kapellmans Begleitung befand sich ein Dutzend Menschen: Der Pfarrer, der die Messe gelesen hatte mitsamt einem Ministranten strebten geziert dem Ausgang zu. Die anderen, in dunkles Tuch gehüllte Männer und eine Frau liefen zu den Aufzügen. Endlich war Papst Geo beim Reporter angelangt.
„Herr Gundlach, nehme ich an.“
Während der nickte, hielt Kapelmann Gundlach die Rechte hin. Geos warme, trockene, traf auf Harrys kalte, feuchte.
„Gehen wir in mein Büro. Da ist bereits alles vorbereitet.“
Im Schlepptau der beiden betrat der Reporter einen vierten um die Ecke gebauten Aufzug, der nur dem Papst vorbehalten war. Darin ging es ohne Aufenthalt in den siebten Stock des ehrwürdigen Hauses, zu den Zimmerfluchten, wo Geo Kapellmann seine Wohn- und Arbeitsräume hatte.
Auch sein Büro, dessen Türen sich magisch öffneten, war mit etlichen Monitoren und Breitwandapparaten vollgestellt. Riesige Lautsprechertürme deuteten auf das Handicap des Gebieters über ein Medien-Imperium hin. Geo Kapellmann war zudem fast taub und konnte nur mit Hilfe einer grotesk großen Brille, in deren Bügel Hörgeräte versteckt waren, hören, eher Geräusche wahrnehmen.
Als ob er seine Gedanken hätte lesen können, sagte der Medien-Papst:
„Ich kann meine eigenen Produktionen kaum noch, äh, betrachten, äh, verfolgen, wenn ich mal so sagen darf.“
Darauf brach er in ein kleines, kokettes Lachen aus, das dem Reporter die Spannung nahm. Eine Spannung die, so oft er auch bereits solcherart Persönlichkeiten besucht und befragt hatte, dennoch sein ständiger, unangenehmer Begleiter blieb.
„Waren Sie schon dabei, als Ihr Chefredakteur mich und mein Haus vernichten wollte?“, fragte Kapellmann nun kalt und schneidend seinen Besucher. „Beim Magazin, meine ich?“
„Sie vernichten? Nein, damals war ich noch nicht beim Magazin.“ Und über diese Geschichte wisse er nichts Näheres – außer, dass das Magazin einst, lang ist`s her, über die fruchtbaren Beziehungen zwischen Kapellmanns Firmenkonglomerat und einem der größten europäischen öffentlich-rechtlichen Sender berichtet hatte. Mit eidesstattlichen Erklärungen der Beteiligten. Mit Beweisen der Bestechungen und Bestechlichkeit. Beim öffentlich-rechtlichen Sender flogen daraufhin ein paar Redakteure raus, andere wurden degradiert oder in andere Redaktionen abgeschoben, es gab, so erinnerte sich Gundlach vage, auch einen Selbstmord auf dem Mainzer Erlenberg.
Bei Geos Firmen hinterließ der Skandal keine Spuren.
Deswegen auch heute diese gewisse Leutseligkeit des Chefs.
Wenn das so sei, so solle er sich doch setzen und sich bedienen, meinte Kapellmann noch, ehe er mit einer Fernbedienung einen der Flachbildschirme zum Leuchten brachte.
„Deshalb sind Sie doch hier. Schauen wir uns zusammen die Bescherung an“, sagte er, indem er sich in seinen Lesersessel sinken ließ.
„Livehaftig! Euer Ronny“, das Logo der Sendung erschien quietschbunt auf der Mattscheibe, musikuntermalt mit Fanfarenstößen. Man sah Ronny inmitten der Bühne seiner Sendung, alles wie immer so schön bunt hier. Sah die Ab- und Ansage des Moderators und wie Ronny zu erstaunen schien, als ein Mann im weißen Kaftan erschien. Wie sind wir hier doch multikulti schien Ronnys Miene zu sagen. Und wie Ronny noch dummdreist blickte, als der Neue den Kaftan öffnete, wie ein Exhibitionist. Und wie Ronnys Lächeln gefror und die Augenbrauen unter die grässlich schwarz gefärbte Haarpracht zu schlüpfen schienen. Und wie sein Gesicht verfiel, als man diesen fatalen Satz, „was gilt die Wette, wenn ich mich jetzt mitsamt dem Scheiß hier in die Luft...“ .
Das Wort sprenge war bereits in dem darauffolgenden Getöse untergegangen.
Aus der Ecke des Papstes hörte der Reporter einen tiefen Seufzer.
„Ich sehe keinen Sinn in diesem Akt. Keinen Sinn. Keinen Sinn“, murmelte er stetig. „Keinen Sinn.“ Und schüttelte dabei betrübt sein Haupt.
„Darin liegt auch kein Sinn, meiner Meinung nach lediglich Unsinn“, ließ sich der Reporter vernehmen.
„Halten Sie den Mund!“, raunzte ihn Geo Kapellmann an. „Schauen wir uns gemeinsam die anderen Aufzeichnungen an. Dann können wir darüber debattieren.“
Man hörte die überlauten Singles einer Sondersendung. Achtung, Sondersendung. Achtung. Sondersendung, bleckte es aus dem Apparat. Dann erschien ein Mann in Schwarz, blickte freudlos in seine Kamera und verlas mit belegter Stimme seinen Text.
Während unserer beliebten live-Sendung Livehaftig!Euer Ronny verschaffte sich ein Attentäter muslimischer Herkunft Zugang ins Studio, zündete eine an seinem Körper angebrachte Bombe und tötete sich dabei. Auch der Moderator der Sendung, Ronny Akkermann, wurde schwer verletzt und ringt mit dem Tod. Über die Beweggründe des Attentats tappen die Behörden noch im Dunkeln. Wir schalten jetzt in unser Studio, um ihnen das Ausmaß der Zerstörungen zu zeigen. Hallo, Irmgard, kannst du mich hören?
Es folgte ein Schnitt ins Studio Fünf, in dem noch vor zwei Tagen und etlichen Stunden die Sendung lief, live und mit Publikum. Die Reporterin Irmgard, ebenfalls in Schwarz gewandet, stand inmitten der Bühnen- und Kulissen-Trümmer, ein schauriger Anblick. Und überall dieses Blut, oder was auch immer das ist, dachte der Reporter vor dem Bildschirm zynisch. Rote Farbe. Damit kennen sich die Kulissenmaler doch aus.
Ja, meine Damen und Herren, Sie sehen mich hier inmitten der Szenerie des Schreckens, der vor kurzem in unsere beliebte Unterhaltungssendung gefahren ist. Doch wer verbirgt sich hinter dem Attentäter? Welches kranke Hirn? Welcher verquere Geist? Welche tödliche Ideologie? Wir und die Ermittler wissen das noch nicht, und die Betonung liegt auf dem Wörtchen noch. Seien Sie gewiss, meine Damen und Herrn, dass wir Sie auf dem Laufenden halten und auch auf das warum bald eine Antwort haben.
„Mit der Betonung auf dem Wörtchen bald“, ließ sich Reporter Harry Gundlach vernehmen. Doch Geo Kapellmann fuhr ihm noch einmal mit einer Geste über den Mund. Dann lauschten beide den Erklärungen auf einem anderen Kanal, derselbe Text, dieselben Bilder.
Gundlach sah sich den großen Geo Kapellman, den sie den Papst nannten, genauer an. Fotos von ihm waren seit zwanzig, ja dreißig Jahren Mangelware; oder eben so alt. Kapellmann ließ sich womöglich aus Gründen der Eitelkeit nur ungern fotografieren, der Reporter sah einen unförmigen Riesen, der seine Augen hinter einer großen Sonnenbrille verbarg. Den Anzug von der Stange sprengte ein Wulst von einem Bauch fast aus den Nähten. Die Hosenbeine waren zu kurz für die langen, feisten Beine, so dass zwischen den Socken und dem Hosenschlag bleiches Fleisch zu sehen war. Kappellmanns Füße steckten in ausgelatschten, ungepflegten schwarzen Tretern, Größe fünfundvierzig schätzte der Reporter. Die Hände, von Gichtknoten grotesk verkrampft, fuhren ihm immer wieder wie unter Zwang ins Gesicht, an Mund und Nase, als ob sie da etwas verscheuchen wollten, Fliegen oder anderes eingebildetes Ungeziefer.
Sehen so millionenschwere Film-Produzenten aus, fragte sich Gundlach.
Da knipste der Papst mit leichtem Druck den Ton der Monitore aus. In dem Moment betrat ein anderer Anzugträger den Raum und flüsterte dem Chef etwas ins Ohr. Der sah nur in Richtung des Reporters, schüttelte dann, er schien enttäuscht, sein Haupt und bellte:
„Verlassen Sie sofort mein Büro und mein Haus. Sie sind gar nicht derjenige, als den Sie sich ausgegeben haben. Sie sind ein Betrüger, jawoll! Raus jetzt!“
In beschwichtigender Geste hob der Reporter die Hände in die Höhe, hörte noch mal Geos „raus!“, murmelte, o.k. ich bin kein Redakteur mehr bei dem Magazin, o.k., o.k., doch immer noch dessen Freier Mitarbeiter. Und bei einem Dutzend anderer Blätter auch noch.
Doch das ging im Getöse der Monitore, die Kapellmanns Adlatus laut aufgedreht hatte, unter.
„Manni Jaeger?“
Keine Antwort.
„Hallo! Ist da Manfred-Manni Jaeger? Auch Prominenten-Jaeger genannt?“
„Ja“ kam es zögerlich von anderen Ende der Leitung. Es folgte wieder Stille.
„Hier spricht Harry Gundlach. Vom Magazin, Hamburg.“
Stille, nur ein leises Rauschen der Verbindung, und immer noch keine Reaktion.
„Herr Jaeger, wir haben uns vor langer Zeit mal zu einem Gespräch getroffen. Erinnern Sie sich?“
Schweigen am Ende der Leitung. Dann ein Seufzer.
„Zusammen mit dem Kollegen Wendig und einem Fotografen. Erinnern Sie sich jetzt? Wir sprachen damals über die TV-Serie, die nach Ihrem Bild, nach Ihrer Person gestrickt wurde. Promi-Klatsch und Tratsch.“
„Ja, jetzt ist der Groschen gefallen. Wir zogen damals zu dritt durch die Gemeinde, gell.“
Die TV-Serie hatte jedoch wenig mit seinem wirklichen Leben und seiner Arbeit zu tun gehabt, erklärte Jaeger. Die beiden Erfinder, Regisseur Helm Blum und sein Storyflüsterer Pierre Kindler, hätten das Blaue vom Himmel fabuliert, fantasiert, berichtigte Jaeger sich. Das sei dann auch das Ende ihrer Freundschaft gewesen. Der Freundschaft von Helm Blum, Pierre Kindler und Manni Jaeger, erklärte er für Begriffsstutzige.
Gundlach nickte, aber das konnte Manni Jaeger ja nicht sehen.
„Und seit er mit dieser Historienplotte Der Seifensieder von Marseille reich und berühmt geworden ist, ist Kindler wie vom Erdboden verschluckt, von der Bildfläche verschwunden, merkwürdig, gell.“
„Ja, merkwürdig“, wiederholte Gundlach.
Manni Jaeger war einmal eine bekannte Münchner Medienfigur gewesen. Unter der Marke Prominenten-Jaeger hatte er zunächst für eine Münchner Boulevard-Zeitung, später dann für das berüchtigte Bundesboulevard-Blatt mit den extragroßen Lettern und dem vielen Blut auf der Tittenseite eine tägliche Klatschkolumne geschrieben. Tausend Mark hatte er dafür bekommen, täglich, hieß es.
Jaeger war in München nicht nur als Klatschreporter berüchtigt, sonder auch ein bekannter Prominentenwirt, der im Hinterzimmer seiner Schickeria-Kneipe auch ein Kabarett betrieb und noch, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, andere spaßige Dinge, Glücksspiel, Drogenspielchen. Die und das Spießerdelikt Steuerhinterziehung brachten ihn schließlich ins Gefängnis Stadelheim, wenn auch nur für acht Monate. Der Rest war auf Bewährung.
Heute, so ist zu hören, ist Manni Jaeger gänzlich Pleite und soll von der Sozialhilfe leben. Deshalb die kargen Reaktionen, dachte der Reporter.
„Ich bin hier in München auf einer interessanten Fährte, um nicht zu sagen, auf einer heißen Spur. Doch plötzlich verstummten meine Gesprächspartner oder legten auf...“
Ein Kichern als Reaktion auf der anderen Seite der Leitung. Damit kannte sich Promi-Jaeger aus. Mit vor der Nase zufallenden Türen und aufgelegten Telefonhörern.
„Und jetzt denken Sie, dass ich Ihnen als Türöffner dienen könnte. Nein, danke, mein Lieber.“
„Genau das dachte ich mir. Sozusagen aus Kollegialität.“
Es springe auch ein Informationshonorar dabei heraus, fügte er noch an.
Wieder dieses Jaegersche Kichern.
„Sie wissen doch, dass ich kein Kollege mehr bin. Mein Kollege ist derzeit mein Bewährungshelfer und der Sachbearbeiter beim Sozialamt“, sagte Jaeger.
„Was man so hört. Wenn Sie mir helfen...“
Gundlach hörte, wie Jaeger den Hörer beiseite legte, irgendwo kramte, irgendetwas notierte.
„Geben Sie mir ihre Mobilnummer. Ich melde mich bei Gelegenheit.“
„Bei Gelegenheit ist mir zu vage. Meine Nummer müsste auf ihrem Display aufscheinen. Wollen wir uns nicht mal irgendwo treffen? Ich würde Ihnen gerne unter vier Augen von den Recherchen erzählen.“
„Holen Sie mich morgen um zehn ab. Haidhausen, Sie kennen die Adresse? Ich ahne, worum es Ihnen geht. Der Fall Ronnie A., gell!“