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Erste Hilfe bei PTBS Wir haben wenig Einfluss darauf, ob wir in eine traumatische Situation geraten und wie wir darauf reagieren. Manchmal klingen die psychischen und körperlichen Beschwerden wieder ab, manchmal bleiben sie über längere Zeit bestehen. Statt diesen Zustand einfach nur auszuhalten oder zu vermeiden, können wir bewusst aktiv werden und eigene Stärken sowie Ressourcen aktivieren. Hierfür stellen die Autorinnen eine Vielzahl von Übungen entlang den Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vor. Jeder Mensch reagiert anders. Entsprechend individuell müssen auch Hilfemaßnahmen zugeschnitten sein. Über kognitive und imaginative Übungen wird das Denken angesprochen, über Übungen zur Affektregulation die Gefühlsebene und über stabilisierende Handlungen oder Körperübungen die physiologische Reaktion. Damit sind alle Bereiche erfasst, die durch das Trauma beeinträchtigt sind. Das Buch wendet sich an Betroffene, aber auch an therapeutisch arbeitende Menschen, die nach Übungen für die Stabilisierungsphase in der Traumatherapie suchen.
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Seitenzahl: 277
Veröffentlichungsjahr: 2018
Christine Rost & Bettina OverkampSelbsthilfe bei posttraumatischen SymptomenÜbungen für Körper, Geist und Seele
Erste Hilfe bei PTBS
Wir haben wenig Einfluss darauf, ob wir in eine traumatische Situation geraten und wie wir darauf reagieren. Manchmal klingen die psychischen und körperlichen Beschwerden wieder ab, manchmal bleiben sie über längere Zeit bestehen. Statt diesen Zustand einfach nur auszuhalten oder zu vermeiden, können wir bewusst aktiv werden und eigene Stärken sowie Ressourcen aktivieren.
Hierfür stellen die Autorinnen eine Vielzahl von Übungen entlang den Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vor. Über kognitive und imaginative Übungen wird das Denken angesprochen, über Übungen zur Affektregulation die Gefühlsebene und über stabilisierende Handlungen oder Körperübungen die physiologische Reaktion.
Das Buch wendet sich an Betroffene, aber auch an therapeutisch arbeitende Menschen, die nach Übungen für die Stabilisierungsphase in der Traumatherapie suchen.
Dr. med. Christine Rost, Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin. EMDR-Trainerin am EMDR-Institut Deutschland, Traumatherapeutin und Ausbilderin der DeGPT.
Dr. phil. Bettina Overkamp, Dipl-Psych., Traumatherapeutin, Ausbilderin in Traumapädagogik und -therapie. Abteilung Psychotraumatologie am Unfallkrankenhaus Berlin, BG-Ambulanzen.
Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2018
Coverfoto: © Diana Taliun – iStock
Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten.
Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2018
ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-823-7
ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-824-4 (EPUB), 978-3-95571-826-8 (PDF), 978-3-95571-825-1 (MOBI).
Bereits seit den 1990er-Jahren sind wir beide schwerpunktmäßig im Traumabereich aktiv. Im Verlauf dieser doch recht langen Zeit haben sich inhaltlich deutliche Verbesserungen in Bezug auf die psychotherapeutische Versorgung traumatisierter Menschen ergeben. So halten wir die Entwicklung und Aktivierung von Ressourcen und die Ausrichtung eines therapeutischen Fokus auf Selbstberuhigung, Distanzierung, Achtsamkeit und Dissoziationsstopp für wichtige und wesentliche Faktoren. Sie stärken die Selbstwirksamkeit von Betroffenen und erleichtern die Bearbeitung traumatischer Erinnerungen. Vieles von dieser Entwicklung ist u. a. unter dem Aspekt der „schonenden Traumatherapie“ von Martin Sack zusammengebracht worden.
In diesem Buch wollen wir nicht die Rahmenbedingungen eines traumafokussierten Ansatzes in der Psychotherapie vorstellen. Wir legen den Schwerpunkt auf die praktische Umsetzung konkreter therapeutischer Strategien, Haltungen und Techniken. Wie genau passen wir diese an die individuellen Bedürfnisse traumatisierter Menschen an, um ihnen bestmöglich zu helfen? Diese Frage hat uns beide unabhängig voneinander lange Jahre beschäftigt und vieles in unseren jeweiligen Kontexten ausprobieren lassen.
Mit diesem Buch haben wir unsere Erfahrungen zusammengetragen. Daraus ist ein bunter Strauß entstanden mit einer Vielzahl kleiner und größerer praktischer Übungen. Diese bieten wir Ihnen nun an.
Christine Rost
Bettina Overkamp
Dieses Buch ist als Hilfe für Menschen gedacht, die mit posttraumatischen Symptomen und Störungen konfrontiert sind. Dies sind die Betroffenen selbst, aber auch Angehörige, Freunde oder professionelle BegleiterInnen im Rahmen der Traumapädagogik und -therapie und TherapeutInnen. Wir wollen also zum einen Betroffenen Erklärungen und Handlungsideen an die Hand geben, die ihr Leben verbessern können. Zum anderen richtet sich dieses Buch aber auch an therapeutisch arbeitende Menschen, die nach konkreten Übungen für die Stabilisierungsphase einer Traumatherapie suchen.
Wir haben eine Vielzahl an Übungen zusammengestellt, unspezifische und spezifische Interventionen, die sich entlang der Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung orientieren. In den Kapiteln 3–10 beleuchten wir zusätzlich den jeweiligen Hintergrund dieser Symptomatik. In den entsprechenden Übungsangeboten versuchen wir, der Unterschiedlichkeit von Menschen gerecht zu werden. Deshalb finden Sie für jede Symptomatik Übungen mit jeweils drei Zugangswegen: kognitiv, imaginativ und Übungen, die den Körper nutzen.
In Kapitel 11 geht es um die Aktivierung der eigenen Stärken und Ressourcen, und für den Anhang haben wir für einige der kognitiven Übungen Arbeitsblätter und weitere Materialien zusammengestellt. Im Anhang finden Sie außerdem Informationen zur Therapieindikation und Therapieplatzsuche.
Traumatisierungen erschüttern innere Grundüberzeugungen. Sie haben Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden und die subjektive Kontinuität des Lebens. Hier erfolgt ein Bruch. Es ist, als bliebe ein Teil der Person wie erstarrt in der Traumatisierung hängen und erwartet nun, dass in Zukunft alles schlecht laufen wird. Es besteht eine starke Sehnsucht, wieder so „wie früher“ (vor der Traumatisierung) zu werden, so, als wäre es möglich, das Ereignis einfach ungeschehen zu machen. Teilweise sind das auch die Hoffnungen und Erwartungen des Umfelds.
Das ist leider nicht möglich, egal, wie sehr sich jemand anstrengen mag. Die Erfahrung der Traumatisierung verändert schlagartig das Denken, Fühlen und die Physiologie. Die Traumafolgesymptome (wie Intrusionen, Vermeidung, Über- und Untererregung) führen zu Veränderungen, die die Betroffenen sehr belasten. Dieser Zustand ist nachvollziehbarerweise nur schwer auszuhalten.
Die gute Nachricht ist: Man kann einen der aktuellen Situation angemessenen und gleichzeitig angenehmeren Zustand erreichen. Das Leben wurde durch eine traumatische Situation schwer beeinträchtigt, aber mit den Stabilisierungsübungen möchten wir eine praktische Hoffnung vermitteln, dass es wieder ins Lot kommen kann. Es ist möglich, die traumatische Erfahrung zu verarbeiten, sie zu integrieren und eine neue Lebensqualität zu gewinnen. Es gibt sogar manchmal Entwicklungen, die als posttraumatisches Wachstum oder posttraumatische Reifung („post-traumatic growth“) bezeichnet werden. Calhoun & Tedeschi (in Zöllner et al. 2006) benennen fünf potenzielle Bereiche persönlichen Wachstums oder Reifung als Folge von Traumatisierungen:
Eine intensivierte Wertschätzung des Lebens mit einem veränderten Bewusstsein für das Wesentliche;
eine Intensivierung persönlicher Beziehungen, zu den Menschen, die sich als wirkliche Freunde erwiesen haben, und / oder die Entwicklung eines vertieften Mitgefühls mit – insbesondere Not leidenden – Menschen;
Bewusstwerdung der eigenen Stärke angesichts des Erlebens der eigenen Vulnerabilität sowie Entwicklung des Vertrauens, schwerwiegende Ereignisse bewältigen zu können;
Entdeckung neuer Möglichkeiten als Orientierungsprozesse im Leben;
intensiviertes spirituelles Bewusstsein und Sinnfindung.
Zöllner et al. (2006) betonen, dass jeder dieser genannten fünf Bereiche paradoxe Elemente in sich zu tragen scheint, etwas, das auch auf die Gesamterfahrung posttraumatischen Wachstums zutrifft: Aus einem Verlust entsteht ein Gewinn. Durch die Erkenntnis der existenziell im Leben angelegten Paradoxe werden Traumabetroffene potenziell zu einem dialektischen Denken geführt, das Personen auszeichnet, die als „weise“ gelten (Baltes et al. 1995).
Dies bedeutet aber in keinem Fall, dass wir Traumatisierungen für „gut“ oder sinnvoll halten. Sie lassen sich aber manchmal nicht verhindern, und es kann jeden von uns treffen. Die Frage „Warum ich?“ ist schwer zu beantworten.
All die Anstrengungen, die ein traumatisierter Mensch „automatisch“ unternimmt, zielen darauf ab, Kontrollierbarkeit und Sicherheit im Leben wiederherzustellen. Leider ist auch das nicht möglich. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass wir das Leben niemals ganz unter Kontrolle haben. Das Leben geschieht, und teilweise geschehen Dinge, die wir nicht wollen. Was wir aber beeinflussen können, ist die Art, wie wir damit umgehen.
Die von uns in diesem Buch vorgestellten Stabilisierungsübungen sollen helfen, erschüttertes Vertrauen in sich selbst, in die Welt und in den eigenen Körper zurückzugewinnen. Die Übungen sind sowohl für mono- als auch für komplex-traumatisierte Menschen geeignet.
Manche Übungen lassen sich leicht alleine ausprobieren und einsetzen, andere sind leichter unter Anleitung zu erlernen, eventuell auch in Gruppen. Bei bestimmten Störungen bedarf es der therapeutischen Unterstützung (z. B. bei schweren dissoziativen Zuständen).
Deswegen lassen sich die Übungen in diesem Buch in drei Kategorien einteilen, die jeweils mit Icons gekennzeichnet sind.
Die Bedeutung von „Stabilisierung“ zeigt sich auch darin, dass die dreistufig konzipierte Traumatherapie damit beginnt. Diese besteht (nach Schnyder et al. 2015 bzw. Van der Hart et al. 2008) aus:
Psychoedukation mit Stabilisierung,
Bearbeitung der traumatischen Erinnerung(en) sowie der Folgen und
Integration mit Trauerarbeit und Unterstützung neuer Entwicklungen.
Dieses Buch beschränkt sich auf Übungen für diese erste Therapiephase, wobei auch in den späteren Phasen immer wieder auf Stabilisierungsübungen zurückgegriffen werden kann.
Es braucht Kraft, Mut und Ausdauer, die schwierige Lebensphase nach einer Traumatisierung zu bewältigen. Es ist kaum möglich, sich auf ein Trauma vorzubereiten, und viele Strategien und Einstellungen, die sich bei Belastungen und in schwierigen Situationen bewährt haben, sind für die Bewältigung nach einer Traumatisierung oft nicht ausreichend. Unter erschwerten Bedingungen gilt es nun, etwas Neues zu lernen. Mit den in diesem Buch beschriebenen Stabilisierungsübungen wollen wir Sie anleiten, bewusst andere Umgangs- und Erlebensweisen zu entwickeln. Vielleicht entsteht daraus eine neue innere Haltung.
Distanzierung, Selbstberuhigung und Selbstfürsorge sowie das Entwickeln von Verständnis – das sind die den Übungen zugrunde liegende Strategien. Achtsamkeit und Neugier – und teilweise Spaß am Ausprobieren – kennzeichnen die dafür notwendige innere Haltung.
Die Distanzierungstechniken (in Bezug auf traumatische Erfahrungen) ermöglichen einen angenehmer(en) körperlichen und geistigen Zustand. Der Körper soll Sicherheit, Ruhe und Entspannung erleben oder zumindest wieder eine Ahnung davon bekommen. Kopf und Geist sollen lernen, sich von quälenden Gedanken, Sorgen und Ängsten zu distanzieren. Achtsamkeit und Aufmerksamkeit für die Gegenwart, mehr Wahrnehmung für Angenehmes, Freude und Genuss und ein Sich-(wieder-)verbunden-Fühlen mit anderen Menschen und „dem Leben“ dürfen hingegen (mehr) Raum einnehmen.
All dies passiert nicht von alleine, sondern muss aktiv in Angriff genommen und regelmäßig geübt werden.
In unserer täglichen praktischen Arbeit wenden wir viele der beschriebenen Übungen in Einzelkontakten, manche auch in Gruppensettings an. Für die Bewältigung von Traumafolgesymptomen haben wir bewusst Übungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und mit gegensätzlichen Herangehensweisen ausgesucht; jeder Mensch hat unterschiedliche Fähigkeiten und Vorlieben. Probieren Sie deswegen unterschiedliche Übungen aus und schauen Sie, welche Ihnen zusagen oder leichter fallen. Mit diesen Übungen fangen Sie an. Üben Sie die einzelnen Techniken täglich für ungefähr zehn Minuten, bis sie Ihnen problemlos gelingen. Prüfen Sie, ob die gewünschte Wirkung eintritt bzw. in welchem Umfang eine Veränderung spürbar wird.
Machen Sie dann mit einer Übung weiter, die Sie auf Anhieb nicht so gerne mögen. Lassen Sie sich darauf ein, ohne schon vorher zu definieren, dass es nichts bringen wird. Überprüfen Sie die tatsächliche Wirkung. Manchmal sind es diese unerwarteten Übungen, die den eigenen Horizont erweitern und einen Unterschied machen. Üben Sie die beschriebenen Techniken mit dieser abwechselnden Strategie: etwas, das Ihnen voll und ganz entspricht, und dann wieder etwas, mit dem Sie zunächst etwas „fremdeln“.
Täglich üben – und das über einen Zeitraum von 1–2 Wochen hinweg: So erlernen Sie eine Technik am besten. Nicht alle Übungen sind in jeder Umgebung anwendbar. Deshalb empfiehlt es sich, für einen Beschwerdebereich auch immer Alternativen verfügbar zu haben. Viele der Übungen nutzen spielerisch Humor und Kreativität und aktivieren damit diese Ressourcen.
Es geht nicht darum, jedem Klienten, jeder Klientin alle in diesem Buch beschriebenen Übungen zu vermitteln. Orientieren Sie sich an den Beschwerden Ihrer KlientInnen und suchen Sie dafür Übungen aus, die unterschiedliche Herangehensweisen nutzen, denn jeder Mensch reagiert anders. Wenn eine Übung nicht klappt, versuchen Sie gemeinsam herauszufinden, woran es liegt. Lässt sich das Hindernis dennoch nicht ausräumen, probieren Sie es mit einer anderen Technik. Es gibt kein „Patentrezept“, es ist immer ein gemeinsamer Prozess. Manchmal ist dabei auch Ihr Mut gefordert, Dinge auszuprobieren und vorzumachen.
Nutzen Sie die Übungen gerne auch für sich selbst. Es ist wichtig, sekundäre Belastungen, die durch das Hören von traumatischen Erlebnissen oder durch empathisches Anteilnehmen entstehen können, wieder zu distanzieren und aufzulösen. Das Gleiche gilt für möglicherweise aktivierte eigene Belastungen. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran.
Für Sie als Betroffene kann es hilfreich sein, die Effekte und den besten Einsatz der Übungen in einem Heft oder in Ihrem Handy zu dokumentieren. Auf diese Art beginnen Sie damit, Ihren „Notfallkoffer“ zu packen. Wenn es mal schwierig wird, stehen Ihnen Ihre Notizen als Erinnerungshilfe zur Verfügung.
Die beschriebenen Techniken helfen, Beschwerden zu stoppen, sie lösen aber nicht das zugrunde liegende Problem: die unverarbeitete traumatische Erinnerung an ein reales Erlebnis. Bleiben die Beschwerden länger als drei bis vier Monate bestehen, ist eine traumatherapeutische Bearbeitung notwendig. In vielen Fällen unterstützen und ermöglichen stabilisierende Techniken diese Verarbeitung. Es ist also in jedem Fall sinnvoll, die beschriebenen Übungen zu erlernen und anzuwenden.
Ganz selten nur lernen wir, kurz innezuhalten, zweimal bewusst durchzuatmen und dann zu entscheiden, wie wir weitermachen wollen. Vielleicht geht es genauso weiter wie vorher, vielleicht ein bisschen anders. Allein diese Achtsamkeitslenkung macht bereits einen Unterschied, vergrößert unsere Wahlmöglichkeiten oder Freiheitsgrade im Leben. Und genau darum geht es in diesem Buch.
Unsere Hoffnung ist, über das Buch mehr Menschen zu erreichen als in Einzeltherapien. Wir wünschen Ihnen und uns von Herzen, dass es hilfreich ist. Wir erheben nicht den Anspruch, dass unsere Auswahl der Übungen abschließend und vollständig ist. Es gibt unendlich viele Ansätze. Wenn Sie für sich bereits etwas gefunden haben, das wirkt, machen Sie weiter damit.
Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir in allem, was ist, einen Sinn finden und uns entwickeln können, hin zu klarem Denken, tiefster Menschlichkeit und körperlichem Wohlbefinden. Und dass wir dabei Vertrauen erleben können. Deswegen möchten wir Ihnen Mut machen, sich auf den Weg der Heilung zu begeben.
Viel Erfolg und auch Spaß mit den Übungen!
Zusammenfassung
Eine Traumatisierung verändert schlagartig das Denken, Fühlen und die Physiologie der Betroffenen. Die Traumafolgesymptome sind sehr belastend und nur schwer auszuhalten.Stabilisierungsübungen helfen, trotz traumatischer Erfahrungen (wieder) eine bessere Lebensqualität zu gewinnen. Sie können die Verarbeitung und Integration der Erfahrungen unterstützen.Die Übungen tragen zu Distanzierung, Selbstberuhigung und Selbstfürsorge bei.Die Übungen nutzen verschiedene Zugänge: kognitiv, imaginativ oder über den Körper. Probieren Sie verschiedene Übungen aus, die Ihnen in unterschiedlichen Kontexten helfen können.Einige Übungen können Sie leicht selbst machen, bei einigen ist eine Begleitung empfehlenswert bzw. unbedingt nötig.Üben Sie kontinuierlich und regelmäßig, so eignen Sie sich eine Technik am besten an.Als potenziell traumatisch bezeichnen wir eine Situation, die eine Gefahr für das Leben oder die körperliche, geistige und seelische Unversehrtheit bedeutet. Im DSM-5, einem Klassifikationssystem für psychische Störungen, findet sich in der neuesten Ausgabe die Definition, dass ein Ereignis als traumatisch einzustufen ist, wenn es jemanden tatsächlich mit dem Tod konfrontiert oder er / sie sich (auch subjektiv) in Todesgefahr befindet. Das kann auch bei einer erheblichen körperlichen Verletzung der Fall sein oder bei einem sexuellen Übergriff. Die Person kann selbst davon betroffen sein, das Ereignis als Augenzeuge beobachtet haben oder erfahren haben, dass es einer nahestehenden Bezugsperson (Familie, enge Freunde) widerfahren ist (Falkai & Wittchen et al. 2015).
Eine solche traumatische Situation tritt meistens unerwartet und plötzlich auf. Typischerweise löst sie u. a. Gefühle von Schrecken, Angst, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein aus.
Von entscheidender Bedeutung ist, wie lange die Erfahrung andauerte und wie oft sie gemacht wurde. Ist sie einmalig und kurzzeitig – z. B. ein (schwerer) Verkehrsunfall oder ein Arbeitsunfall –, stellt sie einen Einbruch in eine sonst „normal“ verlaufende Lebensgeschichte dar. Hier sprechen wir von einer einmaligen Traumatisierung bzw. einem Monotrauma.
Anders sieht es aus, wenn Menschen unter traumatisierenden Umständen aufwachsen oder in Situationen geraten, in denen sich traumatische Ereignisse regelhaft oder häufig wiederholen, wie bei wiederkehrender sexueller oder körperlicher Traumatisierung, extremer Vernachlässigung in der Kindheit, während einer Geiselhaft, Inhaftierung, im Krieg oder auf der Flucht. Das negative Umfeld macht es notwendig, sich auf eine andauernde Lebensgefahr / Traumatisierung einzustellen. Die psychische Folgesymptomatik entspricht dann der einer komplexen Traumafolgestörung.
Wenn komplexe Traumatisierungen bereits in der Kindheit beginnen, entwickeln sich andere (stressanfälligere) innere Strukturen als bei jemandem, der relativ behütet aufwächst (Schore 2003). Zudem beeinträchtigen einmalige oder chronische Traumatisierungen in der Kindheit die körperliche und psychische Entwicklung des Kindes.
Je nachdem, in welchem Alter und in welcher Entwicklungsstufe die einmalige, mehrfache oder chronische Traumatisierung des Kindes stattgefunden hat, steigt auch das Risiko für die Entwicklung von körperlichen und psychischen Krankheiten (Felitti et al. 1998).
Wer unerwartet in eine gefährliche Situation gerät, bringt seine eigene Lebensgeschichte mit, seine Fähigkeiten, Erfahrungen, Erwartungen, Reaktionstendenzen, Vorerfahrungen mit guten und belastenden Erlebnissen. Er hat aber auch mit seiner Tagesform zu tun, ist beispielsweise fit oder müde, krank oder gesund … Diese zur Person gehörende Faktoren kommen in einer gefährlichen Situation immer mit den jeweils äußeren Umständen zusammen.
Je jünger ein Mensch ist, desto weniger ist er in der Lage, selbstständig mit schwierigen oder potenziell gefährlichen Situationen umzugehen bzw. diese überhaupt angemessen wahrzunehmen. Deshalb ist die Gefahr einer Traumatisierung in der Kindheit insgesamt höher als im Erwachsenenalter. Auch das Risiko, nach traumatischen Erfahrungen psychische und körperliche Beschwerden zu entwickeln, ist in der Kindheit höher.
Während der gefährlichen Situation kann es bei der betroffenen Person zu Veränderung in der Sinneswahrnehmung kommen, der sogenannten peritraumatischen Dissoziation, die sich folgendermaßen zeigen kann:
Die Zeit kann verlangsamt oder beschleunigt erlebt werden.
Die Orientierung und das Wissen, was gerade geschieht, können durcheinandergeraten; Verhalten läuft „automatisch“ oder wie fremdgesteuert ab.
Die Situation selbst erscheint als unwirklich, wie im Traum oder in einem „falschen Film“.
Das Sehen kann sich auf einen Tunnelblick oder einige wenige Details reduzieren.
Das Hören verstärkt oder vermindert sich.
Die Körper- oder Schmerzwahrnehmung kann vermindert oder ausgeblendet sein.
Es ist nicht ganz klar, ob die peritraumatische Dissoziation ein Risikofaktor für die Entwicklung einer nachfolgenden Posttraumatischen Belastungsstörung ist. Relevant ist jedoch, dass in der gefährlichen Situation die Integration und Verarbeitung von Informationen anders abläuft als unter normalen Umständen.
Wann fühlen wir uns sicher, wann nicht – und wie kommt es dazu? Das Nervensystem eines jeden Menschen verfügt über drei grundsätzlich unterschiedliche autonome neuronale Regelungskreisläufe der Wahrnehmung, die zusammen die sogenannte Neurozeption (Porges 2017) bilden.
Anders als unsere bewusste Wahrnehmung entscheidet diese im primitiven Teil des Gehirns stattfindende Wahrnehmung, ob wir uns in Sicherheit (Kreislauf 1) oder in Gefahr (Kreislauf 2) bzw. in Lebensgefahr (Kreislauf 3) befinden. Wenn wir unbewusst einen anderen Menschen oder eine Situation als sicher oder als gefährlich wahrnehmen, löst das jeweils eine spezifische neurobiologisch gesteuerte Reaktion und damit unterschiedliches Verhalten aus. Begegnen wir einem anderen Menschen, entscheiden u. a. Faktoren wie Körperhaltung, Bewegungen / Gesten, Mimik sowie die Stimme und deren Modulation darüber, ob wir ihn als „sicher“ oder „gefährlich / bedrohlich“ erleben.
Entscheidend für die Neurozeption sind unser sympathisches und unser parasympathisches Nervensystem, wobei das parasympathische System sich nochmal untergliedert in einen dorsalen und einen ventralen Vagusnerv. Bei einer als sicher empfundenen Situation oder Person (Reglungskreislauf 1) wird das System für Gefahr unterdrückt und das System für soziales Engagement aktiviert. Dies ermöglicht emotionale und / oder körperliche Nähe sowie soziale Verhaltensweisen, die zu positiven Begegnungen führen (können).
Wird eine Situation oder Person hingegen als gefährlich eingestuft, springt im vegetativen Nervensystem der Sympathikus (Regelungskreislauf 2) an und macht den Körper bereit für Kampf oder Flucht. Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet, die den gesamten Körper unter Spannung setzen. Dadurch steigen das Herzminutenvolumen, die Körperkraft (Muskeltonus) und die Atemfrequenz an. Kurzzeitig werden alle Energien aktiviert, damit wir in einen Kampf eintreten oder uns in Sicherheit bringen können. Bei einer Dauerbelastung werden zusätzlich stoffwechselanregende Hormone wie Cortisol von der Nebennierenrinde ins Blut abgegeben, die die Alarmreaktion wieder bremsen.
Wenn aber weder Kampf noch Flucht möglich erscheinen, springt im vegetativen Nervensystem als dritter Regelkreis für Lebensgefahr der hintere (dorsale) Teil des Vagusnervs an. Dieser Hirnnerv, den es schon bei den Reptilien gibt, reguliert normalerweise die inneren Organe unterhalb des Zwerchfells. Bei Todesgefahr beeinflusst er auch Herzschlag, Atmung und Schmerzwahrnehmung (Unempfindlichkeit), indem er eine Verlangsamung bis hin zur Erstarrungsreaktion verursacht. Zuerst kommt es zu einer Unterwerfungsreaktion, in der der betroffenen Person keine aktive Gegenwehr mehr möglich ist. Reicht das nicht aus, wird über das Herunterfahren des Kreislaufs der Totstellreflex aktiviert. Es kann zu einer Ohnmacht kommen, im Extremfall sogar zum Tod des Individuums.
Die in der Neurozeption ausgelöste chemische Reaktion dient immer dem bestmöglichen Schutz, mit dem Ziel, das Überleben zu sichern. Im vegetativen Nervensystem gibt es keine „gute“ oder „schlechte“ Reaktion bzw. Aktivierung. Es passt sich einfach an die vorhandenen Bedingungen an. Entscheidend ist aber: Bestehen nach Beendigung der Gefahr die Reaktionen des vegetativen Nervensystems fort und lösen sie jetzt auch bei zuvor als „ungefährlich“ eingestuften Reizen Kampf, Flucht oder den Totstellreflex aus, werden sie zum Problem. Das Nervensystem schafft nicht mehr den „Sprung zurück“ in die Wahrnehmung von Sicherheit.
Es ist normal, auf eine traumatische Situation mit Stresssymptomen zu reagieren. Laut Fischer (2011) handelt es sich um „normale Reaktionen auf eine unnormale Situation“. Wenn der Stress zu hoch wird, kann das Gehirn die aufzunehmenden Informationen aber nicht mehr vollständig integrieren und verarbeiten. Teile der Informationen werden dissoziiert, sie werden quasi in den Aufnahmezentren des Gehirns unverarbeitet liegen gelassen.
Was macht eine integriert verarbeitete Information aus? Integration bedeutet: Die Erinnerung an eine Erfahrung beinhaltet nur noch die subjektiv wichtigsten Informationen in Bezug auf das Erlebte. Ich kann akzeptieren, dass mir das passiert ist, und was ich erlebt habe, wurde abschließend beurteilt und seine Bedeutung in meine Lebensgeschichte eingeordnet. Doch damit das passieren kann, müssen die mit der Erfahrung verbundenen Gefühle, Körperempfindungen und Gedanken ins Bewusstsein kommen. Das gilt auch für das Wissen, wie ich mich selbst verhalten habe, sowie für den gesamten Ablauf und die Rahmenbedingungen des Ereignisses. Erst dann kann ein Erlebnis als integrierte Erfahrung innerlich abgelegt werden.
Dissoziation (siehe ausführlich dazu Kapitel 9) ist das Gegenteil von Integration und bedeutet, dass einzelne Aspekte kurz- oder langfristig nicht in den Fluss des Bewusstseins integriert sind. Beispielsweise wird Schmerz nicht so stark wahrgenommen oder überhaupt nicht empfunden (körperliche Anästhesie). Auch Gefühle können weniger intensiv oder überhaupt nicht empfunden werden (emotionale Betäubung) oder auch Fakten bzw. Wissen zum Ereignis können ausgeblendet sein (Amnesie). Diese Reduktion der Wahrnehmung und des Erlebens bezeichnet man als Untererregungssymptomatik (siehe Kapitel 8).
Parallel dazu kann sich aber auch eine Übererregungssymptomatik (siehe Kapitel 6) zeigen. Hierunter versteht man eine chronisch erhöhte vegetative Grundanspannung, also anhaltende Stresssymptome. Typisch hierfür sind Schlafstörungen (siehe Kapitel 7), intrusive Symptome (einschießende Erinnerung oder Wiedererleben des belastenden Ereignisses, siehe Kapitel 3, 4 und 5), eine erhöhte Wachsamkeit (Hypervigilanz) und Schreckhaftigkeit, belastende Gedanken und Gefühle, Verhaltensänderungen wie vermehrte Aggression (siehe Kapitel 10), sozialer Rückzug bis hin zu regressivem Verhalten; außerdem Vermeidungsverhalten in Bezug auf alles, was mit dem belastenden Ereignis zu tun hatte, sowie unklare körperliche Beschwerden, besonders im Magen- und Darmbereich (siehe Kapitel 5 und 6).
Im Anschluss an eine belastende Situation ist es also notwendig, den Betroffenen zu helfen, die vegetative Über- oder Untererregung wieder zu normalisieren.
Nach Hobfoll (2007) gibt es grundsätzlich fünf hilfreiche Unterstützungsmöglichkeiten:
den Betroffenen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln,
sie beruhigen,
ein Gefühl für die eigene und die kollektive Selbstwirksamkeit anstoßen,
ein Gefühl von Verbundenheit anstoßen (Bindungssystem aktivieren) und
Hoffnung vermitteln.
Allgemeine Empfehlungen für Betroffene sind:
alltägliche Routine möglichst beizubehalten,
mit verlässlichen Menschen (wenn möglich) über die Gefühle und das Erlebte zu sprechen,
Entspannungsübungen durchzuführen, um Ängste und Spannungen zu reduzieren,
sich regelmäßig sportlich zu betätigen, um Stress zu reduzieren,
regelmäßig und ausreichend zu schlafen,
keinen Alkohol zu trinken und keine Drogen zu nehmen.
Als nicht hilfreich in der Zeit nach einer Traumatisierung haben sich Beruhigungsmittel (Benzodiazepine) und Antidepressiva (WHO 2013) erwiesen. Benzodiazepine stören die Verarbeitung und die Speicherung von Informationen im Gehirn. Aufgrund ihres Suchtpotenzials sollten Schlafmittel nur sehr kurz (einige Tage) eingenommen werden. Sedierende Antidepressiva eignen sich wegen ihrer schlafanstoßenden Wirkung dafür besser (Leitlinie S2 für akute Traumatisierungen). Hilfreicher kann tatsächlich die Gabe eines Betablockers sein, wenn die Übererregung auch nach zwei Wochen nicht aufhört und der Puls dadurch weiterhin bei über 90 Schlägen pro Minute bleibt. Ein Betablocker reguliert die Erregung auf körperlicher Ebene, und mit einer Beruhigung im vegetativen Nervensystem erhöht sich die Chance für eine (spontane psychische) Verarbeitung. Aber auch Akkupunktur, soziale Kontakte oder selbst eine warme Hühnersuppe können hier helfen, also alles, was beruhigt.
Psychisch gesunden und widerstandsfähigen Menschen helfen diese Maßnahmen, besser mit der hohen Stressbelastung fertigzuwerden und auch eine traumatische Erfahrung schneller zu integrieren. Doch bei ca. einem Drittel aller Betroffenen erfordert es spezifischere Interventionen, die zum einen den Umgang mit den entstandenen Beschwerden betreffen (Übungen im Buch), zum anderen die Verarbeitung und Integration der traumatischen Erfahrung in die eigene Lebensgeschichte ermöglichen sollen (im Rahmen einer Traumatherapie).
Es ist also nicht notwendig, nach jedem belastenden Ereignis fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn bei vielen Menschen reichen die Selbstheilungskräfte aus, um die Erfahrung zu integrieren. Es ist jedoch völlig in Ordnung, sich dazu eine fachliche Meinung einzuholen, etwa bei Beratungsstellen, Opferhilfe-Einrichtungen, Trauma-Ambulanzen in Kliniken oder bei ambulant arbeitenden TraumatherapeutInnen. In einem ersten Gespräch lässt sich einschätzen, ob es Anzeichen für eine gute Verarbeitung gibt bzw. ob jemand bereits in der Frühphase unter starken Symptomen leidet und / oder ein erhöhtes Risiko aufweist, eine Traumafolgestörung zu entwickeln. In den ersten vier (Probe-)Stunden einer Psychotherapie wird erklärt, was ein Trauma ist, welche Folgen entstehen können (Psychoedukation), welche grundsätzlichen Techniken zur Affektregulation möglich sind, wie eine Therapie aussehen würde, welche Methoden dabei eingesetzt werden bzw. wo sie durchgeführt werden könnte.
Im privaten Bereich sind hier die gesetzlichen und auch die privaten Krankenkassen zuständig. Im Rahmen von berufsgenossenschaftlich versicherten Unfällen (Arbeits- oder Wegeunfällen) und Überfällen wurde über die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) nicht nur die durchgangsärztliche (medizinische) Versorgung geregelt, sondern auch ein Verfahren etabliert, das zeitnah die Einleitung psychologischer Interventionen und Frühinterventionen unterstützt (Psychotherapeutenverfahren).
Nahezu jeder Mensch zeigt nach einer Konfrontation mit einer traumatisierenden Erfahrung in den ersten drei Tagen psychische Belastungssymptome. Ein Großteil der Beschwerden klingt meistens schnell (innerhalb der ersten zwei Wochen) ab. Die restlichen Symptome brauchen etwas länger, aber nach drei bis vier Monaten sollten auch sie abgeklungen sein.
Seltener kommt es zu posttraumatischen Beschwerden, die erstmalig mit einer Verzögerung von bis zu sechs Monaten auftreten (late onset). Bei schweren Traumatisierungen wie Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch in der Kindheit und Kriegsgeschehen bleiben im Durchschnitt bei ungefähr 30–40 Prozent aller Betroffenen posttraumatische Beschwerden bestehen (Rothbaum 1992, Kessler 1999, Flatten et al. 2011) und chronifizieren.
Das Risiko, ein traumatisches Ereignis nicht zu verarbeiten, steigt, je mehr Gewalt im Spiel war, je jünger die Betroffenen und je geringer ihre Handlungsmöglichkeiten waren. Auch Vortraumatisierungen erhöhen die Vulnerabilität (= Anfälligkeit, eine langfristigere oder schwerere psychische Folgesymptomatik zu entwickeln) bei einem erneuten Vorfall.
Für die Verarbeitung eines traumatischen Ereignisses ist auch Unterstützung aus dem Umfeld sehr wichtig. Fehlt diese oder kommen weitere Belastungsfaktoren hinzu (wie z. B. Bürokratie, Ärger mit Versicherungen und Kostenträgern, Befragung bei der Polizei unter Druck, Schuldzuweisungen, Kündigung durch den Arbeitgeber u. Ä.), kann dies die Verarbeitung nachhaltig erschweren (Flatten et al. 2011).
Ist eine der Traumafolgen eine schwere körperliche Verletzung, fließt ein Großteil der Kraft und der Aufmerksamkeit in die medizinische Versorgung und die körperliche Heilung. Dies kann anfangs sogar die psychische Belastung durch den Vorfall überlagern, sodass die psychischen Folgen erst in Erscheinung treten, wenn die körperliche Heilung weit fortgeschritten oder abgeschlossen ist und der Alltag wieder seinen Lauf nimmt (S2 Leitlinien für akute Traumatisierung). Es können aber bereits von Anfang an auch Intrusionen wie Albträume (siehe Kapitel 4) und / oder Dauerintrusionen bestehen, und das nicht nur bei schweren körperlichen Folgen wie Verbrennungen oder bei Amputationen.
Wenn die psychische Belastung von Anfang an hoch ist oder über die ersten Tage hoch bleibt, z. B. wegen anhaltender Schlafstörungen und belastender Intrusionen, sollte auch zeitnah zum Ereignis eine professionelle spezifische traumatherapeutische Unterstützung gesucht werden. Auch bei Suizidgedanken ist es auf jeden Fall angeraten, umgehend professionelle Hilfe aufzusuchen.
Bei uns Menschen gibt es keine einfache Verbindung zwischen Ursachen bzw. auslösenden Ereignissen und Krankheiten. Immer spielen ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle, und deshalb gibt es auch etwas komplexere Modelle, um diese Zusammenhänge abzubilden. Für die westliche Medizin gibt es u. a. das biopsychosoziale Entstehungsmodell (Egger 2005) von Krankheiten.
Als psychische Traumafolgestörungen bezeichnen wir alle psychischen Symptome, Syndrome und Störungen, die nach einer Traumatisierung auftreten und mit dieser in Zusammenhang stehen. In diagnostischen Manualen wie der ICD-10 werden spezifische und ergänzende Störungen aufgelistet.
Spezifische Störungen:
Posttraumatische Belastungsstörung (F43.1)
Akute Belastungsreaktion (F43.0)
Anpassungsstörungen (F43.2)
Ergänzende Störungen:
Angststörungen (insbesondere die Phobien F40.2)
Dissoziative Störungen (F44)
Somatoforme Störungen (F45)
Depressionen
Die Prävalenz (also das Vorliegen der Störung zum Zeitpunkt der Erhebung) der Posttraumatischen Belastungsstörung in der Allgemeinbevölkerung in Deutschland liegt zwischen 1,5 und 2 Prozent (Flatten et al. 2011).
Nach Unfällen (also nach einem potenziell traumatisierenden Ereignis) kommt es zu mehr Angststörungen als zu der vermeintlich „typischen“ Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). In einer Untersuchung von Yehuda et al. (1998) an 174 Personen nach Verkehrsunfällen in Australien entwickelten nur 19 Prozent in der Folge das Vollbild einer PTBS, aber 37 Prozent regierten mit einer Angststörung, 17 Prozent entwickelten depressive Reaktionen und 15 Prozent eine Suchterkrankung. Diese Zahlen erfassen wohlgemerkt nur das Vollbild der Störungen. Es gibt natürlich häufiger auch Teilbilder oder ein gemeinsames Auftreten von Erkrankungen (Komorbidität).
Wenn bereits in der Kindheit Traumatisierungen stattfinden, steigt das Risiko deutlich an, im Lebensverlauf auch körperliche Erkrankungen zu entwickeln. Dies wurde in der ACE-Studie (Adverse Childhood Experiences, Felitti et al. 1998) erstmals explizit nachgewiesen. An dieser Untersuchung einer großen amerikanischen Krankenkasse nahmen über 17.000 Personen teil. Die Forscher untersuchten, welchen Einfluss unterschiedliche Belastungen in der Kindheit auf die Gesundheit hatten. Erfasst wurden zehn Risikofaktoren, die vor dem 18. Lebensjahr aufgetreten waren. Dazu gehörten wiederholte körperliche Misshandlung, schwerer emotionaler Missbrauch oder sexueller Missbrauch (mit Körperkontakt). Auch familiär-elterliche Belastungen (Dysfunktionen) wurden untersucht, z. B. dass ein Haushaltsmitglied im Gefängnis, alkohol- oder drogenkrank war, dass es häusliche Gewalt gegen die Mutter gegeben hatte, ein Familienmitglied chronisch depressiv, seelisch krank oder suizidal war oder dass die Untersuchten zumindest einen Elternteil in der Kindheit verloren hatten (Scheidung oder Tod). Je mehr Belastungsfaktoren zutrafen, umso höher war das Risiko für das Auftreten einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung, für ischämische Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Krebserkrankungen, aber auch für Depressionen, Suchtverhalten und Suizidalität (dt.: Felitti 2002; Felitti et al. 2007). Weitere Zusammenhänge werden aktuell erforscht.
In der Forschung wurden nicht nur Belastungen untersucht, sondern auch Faktoren, die Menschen widerstandsfähig gegenüber Belastungen machen. Man spricht hier von Resilienz, für die verschiedene Faktoren gefunden wurden (Werner 1971). Unterstützend für die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen wirken:
Die Fähigkeit, Probleme lösen zu können und in einer schwierigen Situation denkfähig zu bleiben.
Die Überzeugung, dass man etwas bewirken kann (Selbstwirksamkeit), weil man dann auch aktiver reagieren wird. Dies verstärkt das Vertrauen in sich selbst (Selbstvertrauen).
Das Bewusstsein, etwas wert zu sein.
Die Fähigkeit, sich sicher an andere Menschen zu binden. Bindung hilft auch bei der Regulation von Gefühlen und Erregung.
Sozial kompetentes Verhalten, da dieses wieder zu guten Beziehungen führt.
Eine zuversichtliche Lebenshaltung und Kreativität, die wiederum ihrerseits kreative Denkprozesse anstoßen und zu lösungsorientiertem Denken und Handeln führen.
Primäre Prävention: Training für gefährliche Situationen
Im beruflichen Umfeld, aber auch im privaten Bereich kann es hilfreich sein, potenzielle Gefahrensituationen zu trainieren und sich dadurch so gut wie möglich auf den Ernstfall vorzubereiten. Hierfür gibt es ganz unterschiedliche präventive Maßnahmen:
Schulungen für medizinisches Personal in medizinischen Notfällen,
Erste-Hilfe-Maßnahmen für die Allgemeinbevölkerung,
Ausbildung zum Rettungsschwimmer,
Deeskalationstraining für den Umgang mit aggressiven Menschen,
Einsatzübungen für Soldaten,
Übungen für Einsatzkräfte bei Großschadensereignissen,
Fahrtraining bei Glatteis etc.
All diese Maßnahmen sollen helfen, die Denkfähigkeit in den trainierten Situationen zu erhalten und schneller und besser reagieren zu können.
Sekundäre Prävention (1): Soziale Unterstützung
Soziale Unterstützung hilft in allen Lebenslagen und ist auch nach einer Traumatisierung ein relevanter Protektionsfaktor. Es gibt hilfreiche Interventionen, die von außen aus dem Umfeld kommen können und die die Verarbeitung und Bewältigung der Erfahrung unterstützen. Als hilfreich benannt werden zum einen Menschen, die „präsent“ bleiben und sich nicht zurückziehen, sowie praktische Hilfsangebote im Alltag. Dazu zählen z. B. Kochen (bekocht zu werden) oder Hilfe beim „Papierkram“ und all den Dingen, die man schon immer nicht mochte und mit denen man sich jetzt völlig überfordert fühlt.
Im beruflichen Kontext erweisen sich Vorgesetzte als hilfreich, die freundlich kommunizieren, für Entlastung und eventuell auch für Hilfe sorgen (Fullerton et al. 1992). Unterstützend wirken auch berufliche Strukturen, die einen Wiedereinstieg in die Arbeitstätigkeit z. B. nach einem Arbeitsunfall regeln.
Sekundäre Prävention (2): Unterstützung durch spezifische Interventionen
Egal, wie kompetent und fähig Menschen sind: Jeder von uns kommt irgendwann an seine Grenzen. Wenn einfach alles zu viel wird und sich Beschwerden einstellen, dürfen wir uns Unterstützung suchen.
Eine solche erste Hilfe will dieses Buch sein. In den folgenden Kapiteln stellen wir Übungen für die einzelnen Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörungen vor. Der Einsatz der Übungen beschränkt sich jedoch nicht auf die PTBS; sie können natürlich auch bei entsprechenden Beschwerden im Rahmen anderer Erkrankungen angewandt werden.
Zusammenfassung
Welche Folgen eine Traumatisierung hat, hängt von der Schwere der Erfahrung, der Stressempfindlichkeit des Gehirns und der nachfolgenden sozialen Unterstützung ab.Insgesamt ist die Gefahr einer Traumatisierung in der Kindheit höher als im Erwachsenenalter. Auch das Risiko, nach traumatischen Erfahrungen psychische und körperliche Beschwerden zu entwickeln, ist in der Kindheit erhöht.In Gefahrensituationen stellt sich unser Nervensystem auf Kampf oder Flucht ein. In Situationen, die als gänzlich ausweglos erlebt werden, kommt es zum Totstellreflex.Tausende von E-Books und Hörbücher
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