Sex verändert alles - Ann-Marlene Henning - E-Book

Sex verändert alles E-Book

Ann-Marlene Henning

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Beschreibung

Niemand hat mehr Fragen zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität als Jugendliche, die gerade erst beginnen, beides zu erkunden. Die erfolgreiche Sexologin Ann-Marlene Henning gibt Antworten. Sie erklärt die Anatomie, die Wirkung der Hormone, und sie macht deutlich, wie ähnlich sich beide Geschlechter sind. So ermöglicht sie eine Entdeckungsreise zu bisher unentdeckten erogenen Zonen und hilft jungen Menschen, ein «erotisches Profil» zu entwickeln, zu entdecken, wo die eigene Lust anfängt, ob es homo-, hetero- oder bisexuelle Tendenzen gibt, welche Körperteile welche Stimulationsmomente entwickeln können, von Ohren, Hals, Nacken, Füßen über die klassischen Sexualorgane. Ein wichtiges, modernes Buch über selbstbewusste Sexualität.

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Ann-Marlene Henning

Sex verändert alles

Aufklärung für Fortgeschrittene

Über dieses Buch

Niemand hat mehr Fragen zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität als Jugendliche, die gerade erst beginnen, beides zu erkunden. Die erfolgreiche Sexologin Ann-Marlene Henning gibt Antworten. Sie erklärt die Anatomie, die Wirkung der Hormone, und sie macht deutlich, wie ähnlich sich beide Geschlechter sind. So ermöglicht sie eine Entdeckungsreise zu bisher unentdeckten erogenen Zonen und hilft jungen Menschen, ein «erotisches Profil» zu entwickeln, zu entdecken, wo die eigene Lust anfängt, ob es homo-, hetero- oder bisexuelle Tendenzen gibt, welche Körperteile welche Stimulationsmomente entwickeln können, von Ohren, Hals, Nacken, Füßen über die klassischen Sexualorgane. Ein wichtiges, modernes Buch über selbstbewusste Sexualität.

Vita

Ann-Marlene Henning wurde in Viborg geboren und studierte in Hamburg Neuropsychologie und in Dänemark Sexologie. Anschließend führte sie diese Ausbildung in der Schweiz mit dem Sexocorporel-Konzept und in Deutschland mit einem Master in Sexologie fort. Sie bietet heute als niedergelassene Psychotherapeutin in ihrer Praxis in Hamburg Paar- und Sexualtherapie an. Ihre Bücher und Fernsehdokumentationen über Aufklärung und Sexualität machten sie bundesweit bekannt.

PrologWie sind die denn drauf, diese Jugendlichen?

Gleich sollte es so weit sein. Ich würde die jungen Schauspieler kennenlernen, die die Filmfiguren aus dem Drehbuch zu Get Lucky mit Leben füllen sollten. Bisher geisterten sie nur in meiner Vorstellung herum. Ja, für das Drehbuch der frechen Sommerkomödie wurde eigens eine Sexologin engagiert – vor fast drei Jahren war ich für diese Aufgabe angeheuert worden.

Das letzte Casting hatte stattgefunden, und es stand nun endlich fest, wer welche Rolle übernehmen sollte. Lange war an den verschiedenen Persönlichkeiten im Film gebastelt worden, die Charaktere sollten spannend sein. Auch irgendwie anders. Vielfältig.

Ich schlenderte den kurzen Weg von meiner Wohnung zu meiner sexualtherapeutischen Praxis, um die Darsteller das erste Mal zu treffen, die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel. Von weitem sah ich sie schon vor meiner Praxis stehen, eine Gruppe leicht aufgeregter und vor allem gut aufgelegter Jugendlicher. Auch Hannes war da, der großgewachsene, schlaksige Kameramann mit den Wuschelhaaren. Und Ziska, die Regisseurin. In vier Wochen würde der Dreh beginnen. Lauter freundliche Gesichter strahlten mich an, als ich näher kam. In Gedanken ging ich das Drehbuch und die Darstellerliste durch. Wer war wohl Hannah? Wer Julia, David und Mehmet? Nach und nach stellten sich die Jugendlichen vor, immer mit ihrem Filmnamen, ich brauchte gar nicht danach zu fragen. Ach, dieser junge Mann sollte Aaron spielen? Den hatte ich mir ganz anders vorgestellt.

Die «Dänin Ineke» reichte mir die Hand, und «ein Junge aus dem Dorf, Lukes», umarmte mich, als ob wir seit Jahren Weihnachten zusammen feierten. Klar, diese Filmfiguren existieren im wahren Leben nicht, aber die richtigen Namen der jungen Schauspieler, die sie mir gerade präsentierten, konnte ich mir beim besten Willen bei der Menge kaum merken. Wer war eigentlich überhaupt für die Rolle der Emma ausgesucht worden? Jedenfalls nicht die junge Frau, die sich mir als Emma vorstellte, da sie, wie sie sagte, im Film die Julia sein würde. Verwirrung pur!

Es zeigte sich: Die Film-Emma, die zwölfjährige Schwester der Film-Julia, musste erst noch gefunden werden. Emma, die freche präpubertäre Göre, die für ein paar Wochen mit älteren Jugendlichen, darunter ihre Schwester Julia, an die Ostsee fährt. Ohne Erwachsene. Doch Ellen, die vierunddreißigjährige Sexologin und Film-Tante von Julia und Emma, lebt dort im Feriengebiet. In einem schönen Reetdachhaus, in dem sie auch ihre sexualtherapeutische Praxis betreibt. Ellen ist zwar eine Erwachsene, benimmt sich aber nicht immer, wie man es sich als Eltern erhoffen würde, die ihre Kinder zu ihr in die Ferien schicken. In Ellen steckt einiges (viel!) mehr.

Für Interessierte: Eine Sexologin oder Sexualtherapeutin ist so etwas wie eine Psychologin, die aber sexuelle Themen behandelt. Psychologen schauen dir in den Kopf, Sexologen in die Hose. Herzlichen Glückwunsch, ich tue beides! Alles klar? Abgesehen davon, dass ich nur im übertragenen Sinn jemandem in die Hosen gucke, stimmt der Rest.

Ich schloss meine Praxis auf, alle stürmten rein und an mir vorbei. Draußen war es schlagartig still, dafür brummte es umso mehr in meinen Räumen. Die jungen Schauspieler warfen ihre Taschen auf den Boden und entschwanden in die kleine Küche, wo etwas zum Essen bereitstand. Die meisten kannten sich nicht, außer sie hatten beim Casting gemeinsam eine Szene angespielt. Alle waren neugierig auf die anderen, der Welt gegenüber offen. Was würde heute passieren? Worüber würden wir sprechen? Es war ein wenig heikel, einen Film über die Sexualität von Jugendlichen zu machen, und zwar mit Jugendlichen, die zum Teil so alt oder nur wenig älter als die Personen waren, die sie darstellen sollten.

Ich wollte mich mit ihnen über verschiedene Sex- und Gefühlsszenen unterhalten, die spezielle Aufmerksamkeit und Mut erforderten. Der wilde Haufen in meiner Praxis kannte natürlich das Drehbuch auswendig, in dem Szenen vorkamen, in denen einige sich küssen würden oder masturbierten, wohingegen andere ihr sexuelles Debüt oder ihr erstes Waxing erlebten. Autsch! Fast alle sollten in irgendeiner Form Leidenschaft vor der Kamera darstellen, und sogar orgastische Höhepunkte sollten gespielt werden. Keiner würde sie aber während der Arbeit vor der Kamera in Wahrheit haben. Was sich außerhalb des Drehs entwickeln würde, war Privatsache.

Ich freute mich auf die Gespräche, da ich selbst als Jugendliche eine schüchterne Spätstarterin gewesen war, die Partys und Knutschrunden nicht kannte, weil man mich nie eingeladen hatte. Mich fasziniert seitdem diese Zeitspanne, die Pubertät, im Leben eines Menschen. Hatte mir die Verzögerung etwa geschadet? Nö, ich holte dann einiges nach.

 

In dem Film Get Lucky und in diesem Buch wird es darum gehen, was in den verrückten, romantischen, schüchternen, spannenden, wilden, befremdlichen und auch mal traurigen oder gar enttäuschenden Jahren im Leben eines Menschen passiert – in der Pubertät. Welche Gefühle entwickeln sich auf einmal? Was ist mit Sex? Was soll man wissen? Welche Bedeutungen haben Erfahrungen – und was ist, wenn man unerfahren ist? Wie verführt man jemanden? Wie soll man sich am besten verhalten oder nicht verhalten? Wie funktioniert überhaupt das Liebemachen? Klappt Sex auch ohne Liebe? Sind Sex und Liebe vielleicht das Gleiche? Wieso fühlt es sich so schön und sicher an, angenommen zu werden, wie man ist? Was sind Orgasmen? Kann sie jeder haben? Wie küsst man richtig (und nicht nur auf den Mund)? Wie geht man mit Ablehnung um? Wie sage ich unangenehme und angenehme Dinge? Darf ich Nackt-Selfies posten? Oder etwa Fotos von anderen, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten? Und, und, und …

Was genau wir an diesem sonnigen Sommertag in meiner Praxis besprachen, geht niemanden etwas an. In einer Praxis herrscht Schweigepflicht, darauf muss sich jede(r) verlassen können. Ansonsten aber werdet ihr in diesem Buch von all dem lesen, was ich als Sexologin für wichtig halte, wenn es um euer Sex- und Liebesleben geht. Wer also herkömmlichen Biologieunterricht erwartet, wird umdenken müssen, es geht um mehr. Nämlich darum, was Sexualität alles noch sein kann – was über Kondome und Reproduktionsorgane hinausgeht. Immer wieder wird es um das Schöne gehen, um den Spaß und den Genuss.

 

So viel sei noch verraten: Der tolle Sonntag in meiner Praxis mit den Jugendlichen verging wie im Fluge – Sinn und Zweck erfüllt. Danach saß ich zu Hause auf meinem Balkon und dachte daran, wie ich selbst bald zum Drehort an die Ostsee fahren würde, im Gepäck diverse Bikinis und inspirierende Bücher zur Sexualität. In einem kleinen Haus in Strandnähe würde dieses Buch seinen Anfang nehmen und ich die Jugendlichen aus der Praxis näher kennenlernen, weitere Gespräche mit ihnen führen. Vielleicht beim Lagerfeuer am Strand? Wenn ich etwas vom Drehort erzähle, werdet ihr aber nie wissen, wer mir was gesagt hat. Das bleibt anonym. Verstanden? Los geht’s! Sex verändert alles.

EinleitungIch, eine Sexologin

Ich bin Ann-Marlene Henning, ich bin Sexologin. Aber das weißt du ja schon. Täglich spreche ich mit Menschen über ihre Sexualität und kläre sie auf. Probleme verschwinden dann, und der Sex macht endlich wieder Spaß. Vorher haben viele Klienten von mir nicht den Sex, den sie eigentlich wollen, sondern machen mit, was andere möchten. Dabei hat jeder Mensch ein Recht darauf, die eigene freie und selbstbestimmte Sexualität zu leben. Deine sexuelle Zufriedenheit, die sich dadurch verbessern kann, wirkt sich sogar auf deine Gesundheit aus. Wusstest du das? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich deswegen auch bemüht, sexuelle Gesundheit zu definieren. Ich habe ihre Definition etwas umgeschrieben, damit sie sich besser liest. Sie besteht aus vier Teilen:

Erstens: Deine sexuelle Gesundheit ist mit deiner allgemeinen Gesundheit, deinem Wohlbefinden und deiner Lebensqualität verbunden.

Zweitens: Sie ist ein Zustand des emotionalen, mentalen, körperlichen und sozialen Wohlbefindens in Verbindung mit Sexualität. Und viel mehr als nur die Abwesenheit von Krankheiten, Funktionsstörungen und Gebrechen.

Drittens: Jede(r) sollte angenehme und sichere sexuelle Erlebnisse machen können, ohne Zwang, Diskriminierung oder Gewalt. Dafür ist ein positiver und respektvoller Zugang zur Sexualität und zu sexuellen Beziehungen nötig.

Viertens: Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden.

Mir ist diese vierteilige Definition wichtig, weil sie kaum jemand kennt. Fast überall auf der Welt werden sexuelle Rechte missachtet, obwohl sie für jeden Menschen gelten. Hast du dir jemals Gedanken über sexuelle Rechte oder sexuelle Gesundheit gemacht? Um dies zu beantworten, müssen viele erst einmal in sich gehen. Was sind sexuelle Rechte eigentlich genau? Was bedeutet es, sexuell selbstbestimmt und frei zu sein? Im Lauf dieses Buchs werde ich versuchen, dir einige Inspirationen zu geben, damit du für dich dazu mögliche Antworten findest. Vielleicht veränderst du mit deiner Toleranz, deinem Verständnis und deiner Offenheit dann auch etwas in deiner Clique, in deinen Beziehungen – oder gibst sogar Anstöße für die Welt. Das wäre schon mal ein Ansatz. Also, es gibt viel zu tun, und du bist dabei, wenn du dir Gedanken machst, wie deine Sexualität sein soll, während du andere und ihre Ansichten respektierst.

Lies doch noch einmal die WHO-Definition durch, zeige sie einem Freund oder Freundin, denkt gemeinsam darüber nach, was sie bedeutet. Viele von uns sind weit davon entfernt, andere Menschen so sein zu lassen, wie sie sind oder sein möchten. Und davon, selbst frei zu sein. Ein Grund dafür ist, dass Sexualität noch immer ein Tabuthema ist. Dabei kann sie uns Menschen geradezu Flügel verleihen. Durch Gedanken, Werte, Praktiken, Verhalten, Beziehungen, Überzeugungen, Wünsche, Phantasien, Einstellungen und Rollen kann Sexualität bunt ausgedrückt und erlebt werden. Ja, all diese Dinge können mit einbezogen werden, müssen aber nicht. Lass dir folgenden, zugegebenermaßen wissenschaftlichen Satz durch den Kopf gehen: Sexualität entsteht durch die Interaktion von religiösen, politischen, juristischen, ökonomischen, historischen, psychologischen, biologischen, kulturellen, sozialen und spirituellen Faktoren. Ganz schön gemischt, oder? Jeder Aspekt berührt irgendwie die anderen. Kein Mensch zeichnet sich von Anfang an durch das ganze Paket aus, sondern lernt nach und nach hinzu. Es braucht Zeit, eine gute und selbstbestimmte Sexualität zu entwickeln.

Blöde Fragerei – was wollt ihr wissen?

Also, wie geht es jetzt weiter? Sicher werde ich einige deiner Fragen beantworten. Wer sexuelle Fragen hat, sollte fundierte Antworten bekommen. Das gilt für jeden, nicht nur für Teenager. Aber zu welchen Themen?

Als ich von meinem Sohn James, der heute sechsundzwanzig ist, erfahren wollte, was er als Jugendlicher hätte wissen wollen – ich hatte keine Ahnung gehabt, denn auch die Söhne und Töchter von Sexologen sprechen nicht unbedingt mit ihren Eltern über Sex –, sagte er: «Ich tue mich komischerweise schwer damit, mich zu erinnern, was ich mit vierzehn hatte wissen wollen. Ich hab mit meiner Freundin alles direkt gemacht oder mit ihr oder anderen darüber geredet, irgendwie.» Ich ließ meinen Sohn aber nicht vom Haken und bat ihn, noch einmal darüber nachzudenken. Er befragte Freunde, und einer meinte, es sei darum gegangen, Mädchen nackt zu sehen und um das, was man so machen kann. Das war nachzuvollziehen: Körper und Techniken sind wichtig beim Sex, und das Netz kann hier sehr verunsichern. Ein anderer Freund von meinem Sohn gestand: «Ich wollte immer herausfinden, wie man länger kann.» Ja, wie ein Mann sein Kommen hinauszögern kann, ist in der Tat etwas, das beschäftigt. Nicht nur junge Männer. Ich werde Tipps und Tricks dazu liefern. Versprochen. Das gehört auch zur Aufklärung.

Weiterhin habe ich viele wunderbare Fragen von Jugendlichen gesammelt, die mir auf Fortbildungen, Aufklärungstouren oder Lesungen gestellt wurden. Sie sind überall im Buch verteilt.

Natürlich schamhaft – Grenzen gibt’s überall

«Sind Sie rasiert, Frau Henning? Hatten Sie schon mal Sex mit einer Frau?» Sollte ich diese Fragen beantworten, die mir wirklich mal gestellt wurden? Nein. Weil sie sehr persönlich sind und dies niemanden etwas angeht. Niemanden, den ich nicht gut kenne. Hat das etwas mit Scham zu tun? Ja, auch. Ich möchte meine intimen Grenzen wahren, die allerdings bei jedem Menschen anders sein können.

Aber was ist eigentlich Scham? Wenn ich bedenke, wie viel Unheil Scham beim Sex angerichtet hat, gerate ich ins Grübeln. Wie ich das meine? Überleg mal, was Scham bedeutet: Du schämst dich, wenn andere etwas von dir mitbekommen, von dem du nicht wolltest, dass sie es erfahren. Dieses Schamgefühl, wenn andere zu viel oder Peinliches über dich wissen, ist ein Signal deines Gehirns für dich, von nun an «verschlossener» zu agieren. Du möchtest nämlich nicht, dass deine Clique dich eventuell für so merkwürdig oder anders hält, dass sie dich womöglich aus der Gemeinschaft ausgrenzt. Niemand will gern so aus dem Rahmen fallen. Halten wir uns aber nun bedeckt, passiert im Gegenzug oftmals, dass wir Dinge mitmachen, die wir nicht wollen. Oder die wir nicht tun sollten. Denk kurz darüber nach: Wenn du nicht merkst, wie es dir geht und was du möchtest, weil du einzig darauf achtest, was die anderen möchten, können sie erst recht mit dir machen, was sie wollen, und du fühlst dich danach vielleicht noch schlechter. Was das mit deiner Verletzlichkeit oder deinem sexuellen Selbstwert zu tun hat, mit dir als Mensch, so wie du bist, das erkläre ich dir jetzt. Weil es so wichtig ist:.

Eine Geschichte über Bindungstiere

Jeder Mensch wünscht sich Bindung, wünscht sich Zusammenhalt. Zu einer Gemeinschaft, einer Gruppe zu gehören oder von einem geliebten Menschen angenommen zu werden bedeutet Sicherheit. Warum? Das hat damit zu tun, dass die anderen Menschen genauso empfinden und denken wie du. Es bedeutet, dass man sich gegenseitig einschätzen, sich vertrauen und auf den anderen verlassen kann. In dem Moment, wo jemand ausschert oder spinnt, ist unter Umständen die ganze Gruppe gefährdet. Aus diesem Grund hat das Gehirn die Fähigkeit entwickelt, dich sofort spüren zu lassen, wenn du grenzwertig bist. Ein Schamgefühl steigt in dir auf, damit du schnell reagierst und dich wieder in den Griff bekommst. Es ist ein uraltes Muster, das fest in dir installiert ist, es ist deine Hardware, die aus Zeiten stammt, in denen der Mensch in kleinen Gruppen lebte, als Jäger und Sammler. Wer Teil einer Gruppe war, hatte größere Überlebenschancen.

Deine Scham hat also eine wichtige Funktion. Sie erinnert dich daran, welche Vorstellungen deine Gruppe davon hat, wie etwas sein sollte – und dass du dazugehören darfst, wenn du dich entsprechend benimmst. Du musst also merken, wann du dich anpassen sollst. Tust du das aber zu oft – manchmal auch ohne dass es dir bewusst wird –, hast du irgendwann keine eigene Meinung mehr, kein Standing.

In der Sexualität kann das unangenehme Folgen haben. Bindungswünsche hin oder her, manchmal ist es besser, eine eigene Meinung und klare Grenzen zu haben und diese auch zu kommunizieren. Du solltest also deine Grenzen kennenlernen und dich dabei nicht schämen, diese aufzuzeigen, wenn sie dir wichtig sind.

Jeder macht Fehler und startet neue Versuche. Das ist völlig normal. Erstaunlich ist dabei diese Erkenntnis: Wer sich traut, Fehler zu begehen, schämt sich weniger! Das fand Brené Brown, eine US-amerikanische Sozialforscherin, heraus. Sie untersuchte in den letzten zwanzig Jahren menschliches Verhalten in Verbindung mit Scham, Mut, Verletzlichkeit und Empathie. 2012 hielt sie dazu auf einer TED-Konferenz (TED ist die Abkürzung für Technology, Entertainment, Design) einen Vortrag. (Du findest ihn auf YouTube unter «Die Macht der Verletzlichkeit»; fast vierzig Millionen Menschen haben den Beitrag bislang angeklickt.)

Scham ist für Brené Brown die Angst, nicht dazuzugehören. Gibt es etwas an mir, das mich schlecht dastehen lassen würde, wenn andere Menschen es wüssten? Menschen fragen sich das täglich. Scham ist universal, jede(r) hat sie. Sie wird begleitet von dem fiesen Gedanken: Ich bin nicht gut genug. Scham bedeutet, sich schlecht zu fühlen und sich deswegen – um nicht aufzufallen – zurückzuhalten. Wie aber fand Brown das heraus? Sie entdeckte unter den Teilnehmern ihrer Studie zwei Gruppen von Menschen, die ersten hatten ein gutes Selbstwert- und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu anderen, die zweiten hatten lebenslang für ihr Selbstwertgefühl kämpfen müssen, um sich gut genug zu fühlen.

Brené Brown entschloss sich, die erste Gruppe von Menschen, die sie «Vollherzige» nannte, etwas genauer anzuschauen. Sie fand heraus: Diese hatten den Mut, nicht perfekt zu sein, auch zeichneten sie sich aus durch ein liebevolles Gefühl zu sich selbst und zu anderen. Sie mochten es, authentisch zu sein und sich so darzustellen, wie sie waren. Sie hatten sich von der Idee verabschiedet, in einer bestimmten Art und Weise sein zu sollen oder zu müssen. Sie gaben sich verletzlich und glaubten, ihre Verwundbarkeit würde sie gleichzeitig schön machen. Wow!

Verletzbar zu sein bedeutet, Dinge zu wagen, bei denen keine Erfolgsgarantie mitgeliefert wird. Wer mag das schon? Das Ergebnis ist unvorhersehbar und kann nicht kontrolliert werden. Für Brené Brown – und ich sehe das nicht anders – ist Verletzlichkeit der Geburtsort für Zugehörigkeit, Freude, Kreativität und Liebe. Es ist verbunden mit einem Leben aus vollem Herzen. Das lasse ich jetzt mal so stehen. Zack! Wer sich weniger schämt, wird sichtbar. Wenn du dich zeigst, wie du bist, können dich andere sehen, mit all deinen Ecken und Kanten. Und du vielleicht sie. So entsteht Nähe.

So was von intim

Eine der jungen Frauen, die bei Get Lucky mitspielten, sagte einmal zu mir: «Wir wissen schon so viel über Sex, aber wenn man darüber spricht, tauchen trotzdem noch Fragen auf – da will man dann doch mehr wissen.» Dieselbe junge Frau erzählte mir später, wie in der Schule beim Sexualunterricht mit erhobenem Zeigefinger gewarnt wurde: «Werdet nicht schwanger!» Oder: «Steckt euch nicht mit einer Sex-Krankheit an!» Das sei echt für Anfänger gewesen. Dann kam eine neue Lehrerin und berichtete auf einmal von Männern, die über die Prostata einen Orgasmus kriegen konnten. Das war einigen Schülerinnen und Schülern wiederum zu viel, andere fanden es aber spannend. Tja, damit wird klar: Jede(r) hat einen eigenen Wissensstand, und niemand kann es jedem recht machen. Hier wirst du deshalb auch manchmal etwas lesen, was dich nicht interessiert, andere aber sehr. Nach jahrelanger Erfahrung in meiner Praxis kann ich mir aber vorstellen, was besonders viel Spaß macht oder wichtig ist.

Wie? Du willst die eingangs an mich gestellten Fragen nun doch beantwortet wissen, nach dem Motto «Wer sich zeigt, schafft Nähe»? Also gut, versuchen wir es mal so:

Sind Sie rasiert, Frau Henning?

Das Thema Rasieren kommt in diesem Buch vor. Es gibt ein paar Kleinigkeiten dazu zu lesen – ich werde hier nicht persönlich.

Wann hatten Sie zum ersten Mal Sex?

Mit sechzehn, fast siebzehn, als zweitletzte Schülerin in meiner Klasse.

Wie oft im Monat haben Sie Sex?

Untersuchungen offenbaren, dass die Deutschen 2,6-mal pro Woche Sex haben sollen. Ich bin aber Dänin. Nun gut. Ich denke aber, dass 2,6-mal Sex pro Woche viel ist, es sei denn, jemand ist frisch verliebt. Viel wichtiger ist, ob deine Lust zu der deiner Partnerinnen oder deinen Partnern passt. Oft möchte eine Person mehr Sex als eine andere – und nein, es sind nicht immer nur die Männer. Wusstest du, dass frisch verliebte Siebzigjährige mehr Sex haben als Singles um die dreißig? Über meine Sexfrequenz werde ich hier nicht schreiben. Privat. Ha!

In welchem Alter haben Sie angefangen zu masturbieren?

Mit zwölf habe ich zufällig entdeckt, dass ich mich selbst anfassen kann. Internet und Co. gab es nicht, dann wäre ich wohl früher darauf gekommen. Herrlich!

Sind Sie sexsüchtig?

Nein. Doch was heißt das überhaupt? Darüber kannst du später mehr lesen.

Wie stehen Sie zu Fetischen?

Für mich ist ein Fetisch keine Krankheit, wie es lange Zeit behauptet wurde und zum Teil noch wird. Es bedeutet, auf etwas zu stehen, das besonders erregend wirkt – oft bestimmte Körperteile, Gegenstände oder Arten von Sex. Ein Fetisch kann zu einem Problem werden, wenn niemand da ist, der auf die gleiche Art von Sex steht. Hier kann das Internet eine große Hilfe sein, also beim Finden einer solchen Partnerin oder eines solchen Partners, wo die Vorlieben kompatibel sind ;-).

Haben Sie einen Fetisch? Wenn ja, welchen?

Ich habe keinen Fetisch.

Hatten Sie schon mal Sex mit einer Frau?

Nein. Es gab da mal einen missglückten Dreier …

Haben Sie schon mal als Prostituierte gearbeitet?

Nein.

Haben Sie einen Mann? Wenn ja, wie steht er zu Ihrem Beruf?

Ja, und er hat mich als Sexologin kennengelernt, ist es gewohnt, dass ich sexuelle Fragen stelle. Er ist er geradezu tiefenentspannt. Gut so.

Wie kommt man zu Ihrem Beruf?

Ein Erststudium in etwa Psychologie, Sozialwissenschaften, Medizin oder Ähnliches ist nötig. Danach: Einzigartig in Deutschland sind die Masterstudiengänge in Sexologie an der Hochschule Merseburg. Yup!

 

Eine letzte Frage noch, die mir immer wieder gestellt wird:

Klappt das mit dem Sex nicht ohnehin von allein?

Bei manchen ja, bei anderen weniger.

 

Bist du nun bereit, etwas dazuzulernen, egal wie deine Ausgangssituation ist?

Kapitel 1Sex verändert alles

Diese ganzen Fragen zur Sexualität! Ich musste schmunzeln, als ich sie wieder las. Ob ich rasiert bin? Oder ob ich einen Fetisch habe? Ganz schön neugierig, diese Teenies. Und nein – in welcher Schule ich war, als mir diese Fragen gestellt wurden, das behalte ich für mich. Aber was so alles auf einem Filmset los sein kann, darüber möchte ich dir etwas verraten. Witzig zum Beispiel, was alles auf einmal zweideutig wird, wenn sexuelle Themen in der Luft hängen. Viele Menschen sind dann nämlich befangen. Indem aber Witze darüber gemacht werden, verändert sich die innere Anspannung. Das Unausgesprochene ist raus. Wie weggelacht.

Eindeutig zweideutig

Der Fahrer parkte den Kleinbus am Filmset, und ich fand mich zu den ersten zarten Strahlen der frühen Morgensonne mitten im geschäftigen Treiben ein, zu den Vorbereitungen für die ersten Aufnahmen des Tages. Um mich herum eine fröhlich-entspannte Atmosphäre. Nach und nach tauchten Jugendliche auf, im «Look» ihrer Rolle. Spannend, sie so zu sehen. Ganz anders als vor Wochen in meiner Praxis, als sie noch als sie selbst mit mir diskutiert hatten.

Ich bestellte mir einen Kaffee beim Caterer, der mich fragte, ob er noch etwas für mich tun könne. Ja, sagte ich und orderte ein Spiegelei – kein sunny side up, sondern over easy, also von beiden Seiten gebraten, damit das Ei nicht so glibberig daherkommt. Ich mag kein glibberiges Zeugs. Der Caterer reichte mir ein perfekt gebratenes, knuspriges Frühstücksspiegelei. Als ich mich bedankte, zwinkerte er und sagte: «Gewusst wie! Alles eine Frage der Technik.» Ja, wie beim Sex auch. Wir verstanden uns.

Aus dem Wagen, in dem die Maskenbildnerin zugange war, hörte ich: «Oh, trockene Lippen, ich tue Glitsch darauf!» Die Stylistin hatte ebenfalls so einiges drauf, das mit einem gewissen Unterton gesprochen wurde: «Steck ihn nicht ganz rein.» Oder: «Haben wir einen dickeren, das Loch ist zu groß?» Gut auch: «Zieh mal über, das ist sicherer!» Oder: «Fummel nicht dran rum.»

Bei meiner Anprobe für den letzten Take, bei dem ich mit Ellen, der Sexologin, tanzen sollte, ging immer wieder der Knopf meiner Hose auf. Da sagte die Stylistin, nachdem sie ihren fünften Versuch gestartet hatte, den Hosenschlitz zu schließen: «Manno, das ist immer noch zu eng, böses Loch!» Meine Antwort: «Wusstest du, dass ich zweideutige Sätze sammele?» Ups!

Es gab auch völlig unbeabsichtigte sexy Untertöne, zum Beispiel von den Aufnahmeleitern: «Der Orgasmus kommt erst nach dem Mittagessen.» Oder: «Kann ich die Klitoris haben? Die ist gleich dran.» Und: «Er kann bis morgen stehen.» Auch bei der Cappuccino-Maschine ging es zweideutig zu: «Da drücken, dann kommt’s!» Der Dauerbrenner beim Lunch war: «Na, Schnitte – belegt?»

Überall am Set summte es umtriebig. Aus dem Maskenwagen dröhnte für eine halbe Minute «Bambolero» von den Gypsy Kings, während aus dem des Caterings dunklere Bässe zu hören waren, der Caterer hin und wieder sogar ein paar Schritte tanzte. «Latte bitte!» Was für eine Stimmung! Die perfekte Mischung aus Konzentriertheit und freudiger Erwartung. Was würde noch alles geschehen? Es hatte etwas von einem ersten Mal. Die jungen Schauspieler hatten ihre Texte gelernt, sich in Proben und Coachings vorbereitet, wussten, dass trotzdem etwas schiefgehen konnte, vielleicht schiefgehen würde. Ein Erlebnis fürs Leben war es allemal. Am Abend dann die Entspannung nach einem gelungenen Drehtag, wenn sich alle erschöpft, manchmal auch aufgedreht, in jedem Fall aber abgedreht, in den kleinen Häusern dicht am Steilhang einfinden würden, nur eine halbe Stunde vom Drehort entfernt.

Es war Sommer, der Himmel weit, die Wiesen grün. Gedreht wurde gerade das Ankommen der Jugendlichen bei Ellen, der Sexologin. Ich saß im Garten des reetbedeckten Hauses auf einem von der Sonne ausgebleichten Polstersofa und schrieb, während mein Ingwertee kalt wurde. Leckere Schokolade gab es auch. Die urlaubsgestylten Jugendlichen marschierten fröhlich plaudernd den staubigen Kiesweg zum Haus der Sexologin, Koffer und schwere Taschen hinter sich herziehend, bereit für einen Urlaub ohne Eltern. Das unauffällige Kamerateam folgte ihnen. Und wie beim Sex war es heiß, sehr heiß, der Schweiß lief allen Beteiligten herunter – schon früh am Morgen. Das störte aber niemanden. Der leichte Sommerwind und das Gefühl von Freiheit streichelten unsere Gesichter, die verankerten Segelboote in der nahen Bucht schaukelten im glitzernden Licht vor sich hin, ein perfekter Hintergrund für den Dreh. Kein Segler war schon wach – oder genoss etwa jemand gerade unter Deck schönen, verschlafenen Morgensex? Noch vorm Kaffee. In meiner Phantasie allemal. Wie geil.

Kapitel 2Anatomie und so? Nö! Doch!

Simon Blake, einst Vorsitzender von Brook, Englands größter Organisation für Sexualaufklärung für Jugendliche, brachte es vor einigen Jahren auf den Punkt: «Too little, too late and too biological.» Auch in Deutschland ist der Sexualunterricht «zu wenig, zu spät und zu biologisch». Dabei zeigen Studien, dass gut aufgeklärte Jugendliche seltener ungewollt schwanger werden, weniger Überschreitung ihrer Grenzen erleben und ein späteres erstes Mal haben. Das hört sich doch gut an. Und wie machen wir jetzt weiter? Wissen über Körper und Co. gehört zum Pflichtprogramm. Los geht’s!

Ans Eingemachte

Zu spät bin ich jetzt ebenfalls, denn du bist längst pubertär. Zu wenige Informationen werde ich dir aber sicher nicht geben, doch biologisch muss auch ich werden. Ich mache es allerdings anders, als es Biologielehrer wahrscheinlich tun würden, denn ich bin im Gegenteil zu ihnen besser darin ausgebildet, sexuelles Wissen zu vermitteln – und werde dabei keineswegs verlegen. Ich bin mir sicher, dass der Inhalt dann nicht mehr losgelöst von dir rüberkommt und du das Wissen für dich nutzen kannst. Um einen guten sexuellen Weg einzuschlagen, ist es notwendig, Ängste, Sorgen und falsches Wissen, was den Körper betrifft, loszuwerden. Klare und vor allem realistische Vorstellungen heben deinen sexuellen Selbstwert. Und hast du die Kapitel gelesen, bist du womöglich informierter als deine Eltern. Wirklich! Eine Mutter schrieb mir dazu einmal eine E-Mail, ihr Zwölfjähriger hätte zu ihr gesagt: «Mama, kennst du die Sendung Make Love, wo sie Erwachsene aufklären? Die ist gut, da könnt ihr, du und Papa, noch was lernen!» Make Love ist übrigens eine Fernsehsendung, in der ich mit Menschen völlig spontan über Sexualität spreche.

Genitale Ungerechtigkeit

Die lustigen und nicht so lustigen Namen für die Genitalien werde ich hier nicht aufzählen, sondern vielmehr den auffälligen Unterschied erwähnen, den es zwischen der Benennung von männlichen und weiblichen Genitalien gibt. Denn der macht was mit uns – auch mit dir. Wie sieht das in Worten aus?

Für kleine Mädchen gibt es Bezeichnungen wie «private parts» oder «da unten». Ein ganz bestimmter Ausdruck hat mich besonders geärgert, mittlerweile habe ich ihn schon einige Male gehört: «Popo vorne». Was um Himmels willen hat der Hintern mit der Vulva zu tun? Zwei gewölbte Bäckchen? Im Ernst – geht’s noch unpassender? Bei diesen Worten schwingt von Anfang an Scham mit. Bei den Jungs läuft es neutraler und aktiver ab, da geht es mehr um die Funktion, siehe das Wort «Pipi-Mann», oder es schwingt zusätzlich etwas Lustiges mit, etwa bei «Zipfel» oder «Rüssel». Es wird weniger negativ bewertet. Häufig werden weibliche Genitalien auch als passiv, minderwertig oder in Abhängigkeit zum Penis beschrieben. Damit wird unterschwellig zu verstehen gegeben, dass der männliche Körper als Gießform für den Menschen anzusehen ist. Wie in der Bibel, als Gott eine Rippe von Adam nahm und Eva erschuf. Dabei ist die Grundform des Menschen ein Neutrum, aus dem alle Geschlechter gleichwertig entstehen. Mehr dazu später.

Vagina und Vulva wurden über Jahrhunderte als etwas Mangelhaftes, als sexuell inadäquat, als viel zu verletzlich beschrieben. Oder noch merkwürdiger: als gefährlich. Googele mal Bilder zur Vagina dentata – der beißenden, der bezahnten Vagina. Das ist nichts für zarte Gemüter. Am schlimmsten ist aber (jedenfalls für mich), wie die Vagina in westlichen Medien vorherrschend als riechend und ekelhaft «verkauft» wird. Produkte zur Bekämpfung von nicht vorhandenem Geruch und von natürlich gesundem Ausfluss sind weit verbreitet.

Nomen est omen

In einer Studie zeigte sich: Die Hälfte aller befragten Frauen und viele Männer lernten als Kind überhaupt keine genitalen Namen. Nur sechs von hundert Frauen kannten die richtige Bezeichnung für ihr Genital. Himmel und Zwirn, es geht um den eigenen Körper! Immerhin wusste jeder zweite Mann die korrekten Bezeichnungen für das männliche Pendant. Und jede dritte Frau.

Warum ist das Vokabular so wichtig? Sprache spiegelt unsere kulturellen Werte und Einstellungen wider, über Sprache wird auch mit darüber entschieden, wie wir empfinden. Das Verstehen, Kennen und Benennen der sexuellen Anatomie prägt dein genitales Selbstbild, also wie du über deine Genitalien fühlst und denkst. Das wiederum beeinflusst deine erlebte Sexualität.

Wenn du gerade denkst: Puh, hier geht es aber viel um die Frau, dann schau dir kurz die gleich erwähnten Zahlen an. Vielleicht bist du genauso überrascht, wie ich es war, als ich sie zum ersten Mal las. Sie stammen aus einer Studie, bei der fast 10000 Frauen aus dreizehn Ländern teilnahmen. Dabei wurde Folgendes zum weiblichen Genital enthüllt:

47 Prozent der Frauen hatten Zweifel wegen der Größe.

61 Prozent Bedenken, was das Aussehen angeht.

Ein Drittel der Befragten hatte als Kind zu hören bekommen, es sei böse oder unrein, das Genital zu berühren.

Fast jede zweite Frau sah ihre Vagina als Körperteil, über das sie am wenigsten Bescheid wusste.

75 Prozent der Studienteilnehmerinnen waren der Meinung, gesellschaftliche Tabus seien für ihre Unwissenheit verantwortlich.

Stell dir nun vor, du bist ein Junge und zweifelst an der Größe deines Penis. Ja, das kann schon mal sein. Versuche dir nun einzureden, dass er schmutzig und muffig ist, dass es nicht gut ist, ihn anzufassen. Aus diesem Grund würde er zu dem Teil deines Körpers, über den du am wenigsten Bescheid weißt. Ginge das? Eher nicht, denn du könntest nicht mal pinkeln! Frauen können es jedoch komplett vermeiden, ihre Vulva anzufassen. Sie ignorieren einfach ihr «Unten». Jungs sind dann damit konfrontiert, wenn ihre Freundinnen keinen Oralsex mögen. Im besten Fall machen sie mit, wenn sie gerade geduscht haben.

Traurige Tatsache: Sehr kleine Mädchen sind an ihrem Genital genauso interessiert wie Jungs, fassen es gerne an und lernen dann aber auf dem Weg zur Frau, dies nicht mehr zu tun. Stell dir weiterhin vor, wie es wäre, wenn die Hoden im täglichen Sprachgebrauch «Schambeutel» oder «Schamsack» heißen würden – gleich den Schamlippen. Oder dass die Hoden zusammen mit dem Penis als «Zapfen» oder «Stöpsel» daherkommen würden, sie also gar keinen eigenen Namen hätten. Genauso wird mit dem Genital der Frau umgegangen.

Weil Worte so viel ausmachen, wurde zum Beispiel in Schweden auch offiziell und konsequent der Begriff «Jungfernhäutchen» aus dem Vokabular gestrichen. Dieses Häutchen gibt es nämlich biologisch nicht – mehr dazu in den Kapiteln 7 und 10.

Versuche diese Ausführungen insgesamt als genitale oder intime Gerechtigkeit aufzufassen, denn weibliche Genitalien wurden lange genug ignoriert, wissenschaftlich falsch beschrieben oder miesgemacht. Daran möchte ich etwas verändern, und alle Jungs können mitmachen. Indem auch sie das lesen, was hier zum weiblichen Körper steht. Danach liefert kein Junge mehr Futter für irgendwelche dummen Mythen. Das gilt auch für Mädchen und den männlichen Körper. So kann der Sex für euch nur entspannter werden!

Eine junge US-amerikanische Forscherin, Sara McClelland, sie lehrt an der University of Michigan, prägte den Begriff «intime Gerechtigkeit». Sie war der Meinung, dass die unterschiedliche Wertigkeit bei männlichen und weiblichen Genitalien dazu geführt hat, dass heterosexuelle Frauen eher Sex für den Mann und nicht für sich haben. Sex wird aber für beide besser, wenn auch Frauen ihren Körper mögen und spüren, inklusive der Genitalien. Lies also unbedingt neugierig weiter und staune! Und erzähl alles, was du lernst, weiter.

Hier schon mal ein erster Tipp: Ersetze ab sofort und für immer das Wort «Schamlippe» durch Venus- oder Liebeslippe. Oder sage innere oder kleine Lippen und äußere oder große Lippen. Und vergiss sofort wieder den Schamsack und den Schambeutel. Hodensack und Venuslippen entstehen übrigens im Mutterleib aus demselben embryonalen Gewebe. Tja!