Shadow Negotiator - Foad Forghani - E-Book

Shadow Negotiator E-Book

Foad Forghani

4,5

Beschreibung

Exotisch mutet der Begriff ,Shadow Negotiator' an. Dahinter verbirgt sich eine hochinteressante Tätigkeit: Verhandlungen im Auftrag eines Mandanten abwickeln und selbst im Verborgenen bleiben. Knifflige Fälle, oft mit delikaten Seiten, sind dabei nicht selten. Foad Forghani gehört zu den erfolgreichsten Shadow Negotiators Deutschlands. In seinem Buch ,Shadow Negotiator: Der Spezialist für besondere Fälle' plaudert er anonymisiert aus dem Nähkästchen. Die spannenden Fälle zeigen einen Beruf, der Verhandlungskönnen und Menschenkenntnis voraussetzt. Dieses Buch ist kein Ratgeber, sondern eine im belletristischen Stil verfasste Sammlung von reellen Verhandlungsfällen, die vollständig anonymisiert wurden.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das ist der persische Golf

Budapest

Whiskey Sour

Die Sache mit der Großmutter

Verratene Träume

Bis das Gleichgewicht wiederhergestellt ist

Anmut

Chilenischer Rotwein

Du lernst jeden Tag dazu

Da kann auch ich nicht mehr helfen

Unsere Stärken sind unsere Schwächen!

Hast du nach innen das Mögliche getan

So wurde aus Leidenschaft Beruf

Hinweis

Vorwort

Der Schriftsteller legt Informationen offen. Der Verhandler will Informationen gewinnen, bisweilen diese zurückhalten.

Vielleicht trifft der Satz oben nicht gänzlich, nicht immer zu. Als Grundsatz aber stimmt er.

Jeder Mensch ist seinem inneren Zwiespalt ausgesetzt – den konkurrierenden Kräften, den gegensätzlichen Polen. Je größer der Gegensatz, umso größer der mögliche Ertrag: der Gewinn. Je größer der Gegensatz, umso mächtiger die Kräfte, denen man ausgesetzt ist – umso wahrscheinlicher der tiefe Fall: das Scheitern, der Verlust!

Je größer der Gegensatz, umso beschwerlicher der Weg, umso qualvoller die Schmerzen. Da ist die Versuchung groß, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen, einen Pol zu vernachlässigen, zu verdrängen, auszublenden, zu vergessen. Der Preis – der Verlust – ist aber hoch: das halbe Leben!

Alles, was draußen passiert, jeder Zug, der vollzogen wird, jede Nuance, die angeregt und entfacht wird, ist ein Spiegelbild der inneren Kräfte. Verliere, verdränge ich einen Kräftepunkt, den einen Pol in mir, ist dieser gänzlich in meinem Leben verloren. Will ich ihn gewinnen, muss ich den Preis dafür zahlen: Schmerzen!

Das Schicksal dachte sich wohl etwas dabei, als es jeden von uns mit Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten ausstattete. Die Reise jedes Einzelnen geht vom Pol zum Gegenpol, von der Unzulänglichkeit zur Fähigkeit. Und sie hört auf in der Mitte!

Und es ist gleich, welchen Weg wir einschlagen. Ob den Weg der Unterwerfung unter die eigenen Ängste, den Gang in die Dunkelheit oder die Überwindung, die Befreiung, den Schritt in das Helle, mit Mut, Vertrauen und Furchtlosigkeit. Das Ende des Weges ist immer dasselbe!

Es ist gleich, ob ich all meine Ängste durchlebe oder sie mit Mut in mir bezwinge und mir ihr Durchleben erspare. Gewiss! Der Weg ist jedes Mal ein anderer. Aber das Ende des Weges ist immer gleich.

Manch einer braucht wenige Erlebnisse, um zu erfahren, umzudenken, umzulernen und zu überwinden. Und anderen genügt ein ganzes Leben nicht dafür.

Stets kommt es auf dasselbe an bei diesem Prozess der fortwährenden Anpassung, Veränderung und Entwicklung: die Leidensfähigkeit.

Denn es kann sehr, sehr schmerzhaft sein, wenn man auf halbem Wege stehen bleibt, sich umdreht und die Einsicht erlangt, viel verloren, viel verpasst und vieles unwiederbringlich versäumt zu haben, weil man ungute Entscheidungen getroffen hat. Weil man sich eigenen Ängsten unterworfen, die eigenen Unzulänglichkeiten als unveränderbar geduldet und akzeptiert hat. Weil man den einen oder anderen Pol vernachlässigt, ausgeblendet hat.

Es war der eigene Wille, die eigene Ent-scheidung. Und sie kostet einen das eine oder andere Mal das halbe Leben – eben den einen Pol.

Dies anzuerkennen tut sehr weh. Da sind viele bestrebt, Begründungen, Beweise und Rechtfertigungen zu finden und zu erfinden, um die qualvollen Schmerzen zu vermeiden, denen sie ausgesetzt sind. Der Selbstbetrug ist da der einfachere Weg – schmerzfreier.

Es ist trivial, dies zu sagen, aber die Wahrheit ist in diesem Falle eben schmerzhaft. Und sie, die Wahrheit, braucht Leidensfähigkeit.

Will ich aber den Rest meines Lebens nicht auch noch in der Dunkelheit meiner Unzulänglichkeiten verbringen, muss ich bereit sein, das Leiden zu ertragen, um zu erkennen, um Einsicht zu gewinnen und umzulernen. Den unvermeidbaren Weg in die Mitte, in meine eigene Mitte, zu beschreiten. Auch wenn ich diese vielleicht nie vollständig erreichen werde! Das Bestreben aber muss da sein.

Auch ich war und bin all diesen Kräften ausgesetzt: den Schmerzen des Verlorenen, der Niederlage und der Freude des Gelingens, dem Erfolg.

Und ich bin fortwährend diesen Kräften ausgesetzt, auch und insbesondere dann, wenn ich schreibe. Mit dem Verhandler in mir, der doch bedächtig mit Informationen umgehen und dem Schriftsteller, der diese kompromisslos offenlegen möchte. Und ich suche die Mitte! Ich suche sie, um allen Kräften in meinem Leben Rechnung zu tragen. Weil es um mehr geht als um Wörter und Zeilen.

So ist dieses Buch das Resultat dessen, wie der Verhandler in mir die Welt sieht und wahrnimmt und wie der Schriftsteller diese Erkenntnisse auf seine Art wiedergibt.

Ich hoffe, sie beide treffen sich auf halbem Wege.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gutes Gelingen und Glück in Ihrem Leben und natürlich auch viel Spaß beim Lesen!

Das ist der persische Golf

Eigentlich wollte ich Urlaub machen!

Doch um drei Uhr morgens klingelte das Telefon. „Herr Forghani!“, rief vorsichtig eine leicht zitternde Stimme. Die Stimme war die des Geschäftsmannes Hübsch.

Noch am Vorabend saß ich mit ihm und seinem Geschäftspartner in einem angesagten Restaurant in der achtzehnten Etage eines Hochhauses. Ich war der Einladung des Geschäftspartners von Hübsch gefolgt, der mich wohl kennenlernen wollte. Die Bezeichnung meiner Tätigkeit, „Shadow Negotiation“, hätte ihm gefallen – wie mir Hübsch berichtete.

Hübsch selbst war ein deutscher Geschäftsmann. Seit mehreren Jahren lebte er bereits in Dubai. Er war Ende dreißig, sportlich und immer gepflegt. Sein Geld machte er mit dem Verkauf von „Hightech-Küchen“, wie er sie nannte. Er verkaufte sie an Unternehmen, die ganze Hochhäuser oder Villenviertel damit ausstatteten. „Einmal so ein Deal, dann hast du ein paar Jahre Ruhe“, sagte er zu mir einmal. Und wie es schien, hatte er mehrere ruhige Jahre vor sich.

Hübschs Geschäftspartner hieß Steven Fence. Ein gewiefter Engländer, Anfang fünfzig. Steven war recht klein und humpelte auf dem rechten Bein. Es tat seiner kleinen Statur nicht gut, aber er war auch ein leidenschaftlicher Gourmet und hatte deshalb Übergewicht.

Als ich ihn zum ersten Mal sah, stand ich mit Hübsch wartend vor dem Eingang des Hochhauses, in dem sich ein angesagtes Restaurant befand.

„Die werden schon kommen“, sagte Hübsch geduldig zu mir, während er sich eine Zigarette anzündete. Mit „die“ meinte er Steven Fence und seine Ehefrau, die um 19 Uhr vor dem Eingang mit uns verabredet waren. Inzwischen war es 19.30 Uhr.

Das Warten ließ sich gut aushalten. Es waren noch angenehme 27 Grad. Der leichte Wind wirkte wie eine frische Brise, die man gerne willkommen hieß, um sie zu genießen.

Ich hatte eine weit geschnittene, khakifarbene Hose an, ebenso ein weit geschnittenes, weißes Hemd, das ich über der Hose trug. Hübsch trug eine eng anliegende, beigefarbene Hose. Sein ebenfalls weißes Hemd betonte seinen sportlichen Körper. Die oberen Knöpfe waren offen. So konnte man die frisch rasierte und gut gebräunte Brust sehen.

Hübsch wurde ungeduldiger mit der Zeit. Als er seine Zigarette auf den Boden warf, diese mit dem linken Fuß ausdrückte und nach oben sah, sagte er erleichtert: „Da sind sie“.

Steven Fence und seine Frau. Steven war komplett in Schwarz angezogen. Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd. Die Gürtelschnalle glänzte aus der Ferne und konnte gerade noch Stevens Bauch, der über seinen Körper hinausragte, Widerstand leisten. Stevens Frau war komplett in Weiß gekleidet. Der Inbegriff einer eleganten Frau. Weißer, figurbetonter Rock, weißes, offenes Hemd und ein leichtes Satintuch über den Schultern. Ihre dunkelblonden Haare hatte sie hochgesteckt. Und aus dem rotbraun gebrannten Gesicht stachen zwei smaragdgrüne Augen hervor.

„Die passen nicht zusammen“, ging mir durch den Kopf.

Wir begrüßten einander. Die Art der Begrüßung Stevens, diese Offenheit, die vorgespielte Herzlichkeit, die Lautstärke seiner Stimme, alles ließ auf einen Lebemann schließen. Er gab mir kurz die Hand, während seine Augen die Gegend erkundeten. Dann noch ein Händeschütteln mit Hübsch. Mit der linken Hand haute er auf Hübschs Schulter. „Das wird eine geile Nacht“, sagte er lächelnd.

Stevens Frau war distanziert-beobachtend, abwartend und registrierend. Sie schaute sich nicht um. Sie schaute uns an. Distanz haltend, gab sie erst mir, dann Hübsch die Hand. Ihr Lächeln bestand aus einem leichten Verziehen des linken Mundwinkels um höchstens einen Viertelzentimeter.

Als wir hineingingen, wurde der Größenunterschied nochmals deutlich. Sie überragte ihn um einen Kopf.

___

Zwei Stunden später waren die Einzigen, die im ganzen Restaurant nicht betrunken waren, der Kellner, Stevens Frau und meine Person. Immer wieder nahm Steven Stückchen vom ausgezeichneten gegrillten Lamm vom Tablett und reichte diese mit der Hand seiner Frau, die sie dann mit ihrem Mund entgegennehmen sollte. Sie tat es, wenn auch widerwillig. Das Lamm schmeckte ihr.

Als Steven sich mit vollem Mund zu ihr beugte, um sie zu küssen, beugte sie sich lächelnd vor. Ihr Lächeln verzog sich dabei zu einem Hochziehen der Mundwinkel, die die Nasenwand auf beiden Seiten nach oben drückten – die Lippen waren nun zusammengepresst. „Sie ekelt sich“, dachte ich mir.

Die rauchige Atmosphäre im Restaurant, die Wärme, die Musik im Hintergrund, all das hob die Stimmung, wohl auch die Stimmung Stevens. „Habe ich euch schon von meiner besonderen Reise nach Brasilien erzählt?“, fragte er uns, während er seinen Mund mit der Serviette abwischte. Seine Frau sah ihn aus den Augenwinkeln an, dann schaute sie zu Boden. Ihr Körper war angespannt. Steven war völlig gelöst, sein Gesicht war mit einem breiten Grinsen verziert.

„Also, das war so. Ich hatte diese Geschäftsreise nach Brasilien. Die Leute dort haben mich dann auch ein paar Tage durch das Land geführt, und dort, in Rio, da gibt es eine Straße …“, er lacht verschmitzt und schaut seine Frau an, die den Kopf nach unten hält und ihn weiterhin aus den Augenwinkeln anschaut, „ … also, in der Straße gibt es Prostituierte, Nutten. Männer und Frauen. Versteht ihr? Es gibt männliche Prostituierte, und es gibt weibliche Prostituierte. Jetzt passt mal auf“, er kann sich kaum vor Lachen halten, „die Frauen, die kosten 30 Dollar“, dann schaut er wieder seine Frau an, „… haben die mir erzählt“, und mit „die“ meint er seine Geschäftspartner, „und die Männer, die kosten 60 Dollar!“ Dann schaut er uns erwartungsvoll an, als wäre er eine Lachbombe, die jederzeit explodieren könnte. „Na! Na?… Wisst ihr, was das heißt?“, fragt er uns. Hübsch und ich schütteln beschämt, dennoch lächelnd den Kopf. „Na, das heißt, wenn du dich einmal ficken lässt, kannst du zweimal ficken. Das ist wie im Geschäftsleben“, sagt er und lässt einen lauten Lachschrei los.

Er konnte sich kaum auf seinem Stuhl bändigen und lachte sich halbtot. Ich schmunzelte, Hübsch auch, Stevens Frau schaute weiterhin zu Boden – sie lachte nicht, sie schmunzelte auch nicht. Es verging fast eine Minute, bis Steven sich beruhigen konnte.

Als er wieder im normalen Zustand auf seinem Stuhl saß, rief er: „Die letzte Runde!“ und meinte damit, wir sollten noch einmal Drinks bestellen. Ich winkte ab, die anderen auch. Er nahm das Tablett mit Lammfleisch in die Hand und hielt es mir unter die Nase: „Dann nimm noch davon etwas“, sagte er mit einem freundlichen Ton. „Danke“, sagte ich und wies das Tablett mit der Hand zurück. Mir war der Appetit vergangen.

___

Als wir uns an diesem Abend verabschiedeten, spazierte ich mit Hübsch noch eine Weile, um das halbe Kilo verdrücktes Lammfleisch zu verdauen. „Sie ist aus gutem Hause!“, so Hübsch zu mir.

„Und er?“

„Das sieht man doch.“

Steven Fence hatte der Familie seiner Frau, die er vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte, vorgegaukelt, dass er ein reicher Geschäftsmann aus gutem Hause wäre. Tatsächlich war Steven vor fünfzehn Jahren weder reich, noch war er je aus gutem Hause. Den Reichtum, das heißt, den Anschein davon, konnte er dank seiner Verschlagenheit im Laufe der Jahre wahren, die guten Manieren aber nicht.

Das war meine erste Begegnung mit Steven Fence und seiner attraktiven Ehefrau.

Nun erhielt ich um drei Uhr morgens, nachdem ich im Anschluss an den Spaziergang mit Hübsch gerade mal seit einer Stunde eingeschlafen war, einen Anruf – von Hübsch. Ich griff mit der linken Hand zur Seite und holte mir meine Uhr, während ich im Halbschlaf die Stimme Hübschs erkannte. „Hübsch! Herr Hübsch!“, rief ich. „Ja. Es tut mir furchtbar leid, Sie um diese Zeit zu wecken, aber es ist etwas Schlimmes passiert“, sagte Hübsch mit einer verzweifelten Stimme. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr Hübsch fort: „Steven, der Steven … den haben sie gefasst …“. Ich unterbrach ihn, „Steven Fence?“, fragte ich. „Ja …“, sagte er. Ich unterbrach ihn nochmals: „Wer hat ihn gefasst?“

Es handelte sich um russische Geschäftsleute, wie mir Hübsch dreißig Minuten später in der Hotellobby erzählte. Allerdings ging es hierbei nicht um irgendwelche Geschäftsleute. Eher die Sorte Geschäftsleute, mit denen man keine Geschäfte machen sollte.

Steven konnte sich seinen extravaganten Lebensstil auf die Dauer nicht leisten, vor allem dann nicht, wenn die Geschäfte nicht so gut liefen. Als er einmal finanziell unter Druck gewesen war, hatte er sich Geld bei Geldgebern ausgeliehen, die etwas mehr Zinsen berechnen, als es üblich ist. Sie haben auch andere Methoden, sich ihr Geld zurückzuholen – die russischen Kollegen eben.

Steven war mit den Zinszahlungen im Verzug.

___

Als Steven und seine Frau Minuten nach mir und Hübsch das Restaurant verließen, fuhr ein schwarzer Mercedes vor. Zwei große, kräftig gebaute Männer stiegen aus. Stevens Frau zuckte plötzlich am ganzen Körper, sie ahnte Ungutes. Die schwarz angezogenen Männer liefen direkt auf Steven und seine Frau zu. Sie baten Steven mitzukommen. Er leistete keinen Widerstand. „Mach dir keine Sorgen, Schatz“, sagte er noch zu seiner Frau.

Stevens Ehefrau rief am gleichen Abend Hübsch auf seinem Handy an. Sein Handy war aber ausgeschaltet. Daraufhin hinterließ sie weinend eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, die er mitbekam.

___

Darum ging es also.

„Und wie ist der Kontakt zu den Russen entstanden?“, fragte ich. Hübsch zögerte etwas, er wich meinem Blick aus, und dann: „Ich habe sie ihm empfohlen“, sagte er bedauernd. Ich schaute ihn verwundert an. Er ließ den Kopf fallen. „Sie haben sie ihm empfohlen?“

„Ja“, antwortete er und ließ den Kopf wieder fallen.

„Und jetzt wollen Sie eine Lösung finden, sonst wären Sie schuld an seiner Situation.“

„Ja.“

Hübsch schaute eine Weile zu Boden, dann blickte er auf.

„Sie sind doch Verhandlungsberater… Negotiator.“

„Ja!“

„Können Sie ihm da raushelfen?“

„Eigentlich will ich Urlaub machen“, ging mir durch den Kopf. Aber da saß ich nun, um drei Uhr morgens, mit der Anfrage, mit der russischen Mafia zu verhandeln.

„Herr Hübsch! Ich bin wirklich müde. Lassen Sie uns …“, wollte ich sagen, da unterbrach mich Hübsch.

„Herr Forghani! Bitte. Es geht um Leben und Tod. Wir haben keine Zeit. Bitte helfen Sie.“

Ich überlegte noch ein paar Sekunden, dann: „OK. Ich dusche noch rasch.“

___

Zwei Stunden später saß ich mit Hübsch in meinem Hotelzimmer und informierte mich über die Personen und das System der Russen. Ich fragte, wie viele sie insgesamt sind, wie viele davon in Dubai, wie viele weltweit? Wie funktioniert ihr „Unternehmen“? Welche Summen verleihen sie, und wie viele Zinsen berechnen sie? Welche Leute haben dort das Sagen und welche nicht? Wie viel Geld setzen sie im Jahr um, und welchen Teil davon macht Stevens „Fall“ aus? – Ich fragte und fragte. Einige Fragen konnte Hübsch beantworten und viele auch nicht.

Was Hübsch allerdings wusste, war, wer in der Gruppe in Dubai das Sagen hat. Er kannte ihn sogar persönlich. Genau mit diesem Herrn machte er für den nächsten Tag ein Treffen aus.

Am Vormittag des nächsten Tages saß ich mit Hübsch und Stevens Ehefrau in einem Café in der Nähe des Treffpunkts mit den Russen. Hübsch wirkte gestresst, sein Gesicht verrunzelt. Seichte Wutfalten und vor allem Sorgenfalten prägten seine Stirn. Müdigkeitsringe unter den Augen. Er saß leicht gebeugt am Tisch und vermied den Blickkontakt mit Stevens Frau – er schämte sich.

Stevens Frau wirkte gefasst. Keine Stressfalten, leichte Sorgenfalten, aufrecht sitzend. Als sie anfing zu sprechen, spürte man ihre Anspannung. Der unterdrückte Stress spannte ihre Muskeln an, die wiederum ihre Stimme höher und rauchiger klingen ließen.

„Sehen Sie eine Chance?“, fragte sie mit einem flehenden Ton.

„Kann ich noch nicht sagen. Ich brauche noch mehr Informationen.“

Ungeduldig schaute Hübsch auf seine Uhr. „OK. Welche Argumente sollen wir vorbereiten?“

„Gar keine!“, antwortete ich, „kein Argument wird sie dazu bewegen, auf ihr Geld zu verzichten.“

„Aber was werden wir dann tun?“, fragte er ängstlich.

„Zuhören!“

Zwei Stunden später standen Hübsch und ich vor einem luxuriösen Hochhaus. Der Pförtner fragte uns nach unseren Namen und meldete dies telefonisch an. Um uns herum schwarzer Marmor; die Wände, der Boden, die Decke. Die schwarze Aufzugtür war erst in dem Moment zu erkennen, als sie sich öffnete. Hübsch und ich betraten den Aufzug, der innen mit Kristallspiegeln bestückt war, welche von unten beleuchtet waren. Im Innenraum des Aufzugs keine Knöpfe, kein Etagendisplay, nur ein Kartenleser. Wir wurden hochbefördert – keine Ahnung, bis zu welchem Stockwerk. Die Aufzugtür ging auf, wir traten hinaus. Links und rechts standen zwei groß gewachsene, austrainierte Männer. „Bestimmt haben die Steven mitgenommen“, dachte ich mir. Der Raum war ausgestattet mit einem dunkellilafarbenen Teppichboden. Die Wände weinrot. Wandhohe Fenster im hinteren Teil, die den kompletten Bereich einnahmen. Davor ein Tisch, englischer Kolonialstil. Seitlich waren Stühle, ebenfalls im englischen Kolonialstil, aufgestellt. Hinter dem Tisch saß ein breitschultriger, hellhäutiger Mann. Er schrieb etwas, dann stand er auf und lief auf uns zu. Er schaute uns stechend an, erst gab er Hübsch die Hand, dann mir.

Ein Händeschütteln dauert normalerweise ein bis drei Sekunden. Als er mir die Hand gab, dauerte dies mindestens fünf Sekunden. Dabei stand er in einem Winkel von etwa 45 Grad zu mir und instruierte zugleich seine Leute. „Den Kampf um die Rangordnung erst mal verloren“, dachte ich mir. Dann setzten wir uns.

„Ihr Freund schuldet uns 560.000 Dollar, plus Zinsen von 30.000 Dollar“, sagte er mit einer eisigen Stimme und russischem Akzent. „Wenn Sie die zahlen, können Sie ihn mitnehmen.“

Wir schwiegen. Sekunden vergingen.

Ich hatte vorab Hübsch instruiert, kein Wort zu viel zu sagen, er hielt sich daran. Der hellhäutige Russe wurde unruhiger, allerdings nicht körperlich! Die Augen. Er schaute abwechselnd mich und Hübsch an, seine Blicke wurden schneller, beweglicher. Er wollte sein Geld.

„Zahlen Sie die Summe?“, fragte er.

„Wir bemühen uns zurzeit, eine Lösung zu finden“, sagte ich. Er verengte die Augen, wie ein Jäger, der die Beute in Reichweite sieht.

„Was meinen Sie mit Lösung?“, fragte er mit hochgehaltener Kinnspitze. Zögerlich antwortete ich: „Ja … eine Lösung … damit die offene Schuldigkeit beglichen wird – aber es ist sehr schwer.“

Er schaute weg. Wieder Schweigen. Keiner sagte etwas. Mehrere Sekunden vergingen, dann instruierte unser Gesprächspartner einen der Männer am Aufzug – auf Russisch. Der Mann ging in einen Nebenraum und kam mit Steven zurück. Wir sahen Steven. Hübsch zuckte am ganzen Körper, und ich tat es innerlich auch. Steven konnte kaum auf den Beinen stehen, seine Hände waren hinten zusammengebunden. Das rechte Auge dunkelblau bis schwarz gefärbt, das linke umrandet von Blutspuren. Die Oberlippe war auf der linken Seite zentimeterdick angeschwollen.

Steven erkannte uns, sagte aber kein Wort, sondern hielt beschämt seinen Kopf unten.

Die Angst, dass es uns auch so ergehen könnte, hing in der Luft. Der hellhäutige Russe beobachtete uns ganz genau. Er roch jede Bewegung, jedes Zucken, jede Schwäche – wie ein Hai vor dem Angriff. Hübschs rechter Mundwinkel zog sich nach unten, er schob einen Schmollmund nach vorne, dann riss er sich zusammen, er biss leicht auf seine Lippe und verhinderte damit das Weinen. Der hellhäutige Russe registrierte dies, alsdann nickte er signalisierend mit dem Kopf. Steven wurde abgeführt.

___

Der Schock saß noch tief, als Hübsch und ich in dem Café saßen, das wir vor dem Treffen aufgesucht hatten. Stevens Ehefrau sollte noch zu uns stoßen. Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, um das weitere Vorgehen zu besprechen, doch die Szene mit Steven ging mir nicht aus dem Kopf.

Aus der Ferne war Stevens Frau zu sehen, die auf uns zulief. Sie sah uns und lief schneller. Sie versuchte, aus der Entfernung unseren Gesichtsausdruck zu deuten. Was sie sah, gefiel ihr nicht.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte sie, an unserem Tisch stehend. Keiner sagte etwas. Ich schaute Hübsch an – rede du.

„Es geht ihm OK“, sagte Hübsch.

Als wäre sie dabei gewesen, merkte Stevens Frau sofort, was los war. Eine Träne lief aus ihrem linken Auge, dann aus dem rechten. Sie holte ein Taschentuch heraus und wischte die Tränen weg. „Was sollen wir tun?“, fragte sie weinerlich. Sie schaute mich an.

„Sie wollen 590.000 – Dollar. Haben Sie das Geld?“ Sie schüttelte verneinend den Kopf. „Wie viel haben Sie?“, fragte ich. Sie schaute Hübsch an. Hübsch schaute zurück und ließ die Augenlider fallen.

„20.000“, sagte sie.

Ich bestellte einen Tee und überlegte noch eine Weile, was zu tun sei. Hübsch tröstete Stevens Frau.

Ich trank noch etwas von meinem Tee. „Sie sollten nach England zurückfliegen“, sagte ich zu Stevens Frau. Mit weit geöffneten Augen schauten sie und Hübsch mich an. „Nein!“, rief sie. „Aber warum?“, fügte sie hinzu, „ich bleibe hier, bis er frei ist.“ „Sie sollten fliegen“, wiederholte ich. „Aber warum?“, fragte diesmal Hübsch, „wir brauchen sie noch hier.“ „Wofür?“, fragte ich. Schweigen!

„Hören Sie“, sagte ich zu Stevens Frau, „die wollen Geld. Dafür würden sie auch …“, ich suchte nach einem Wort, welches das Wort „töten“ hätte ersetzen können, ohne zu erschrecken. Stevens Frau merkte es. Sie hielt beide Hände vor die Augen und schüttelte verneinend den Kopf. Ich fuhr rasch fort: „Es gibt für sie nur einen Grund, mit Steven sanft umzugehen. Wenn sie merken, dass sie dadurch an ihr Geld herankommen. Es gibt nur einen Grund, mit Steven nicht zu hart umzugehen. Wenn sie merken, dass sie ihr Geld verlieren, wenn sie Steven verlieren.“ Stevens Frau folgte mir aufmerksam. „Wir sind deren Hoffnung! Sie glauben, dass sie durch uns an ihr Geld herankommen“, fuhr ich fort. „Und was hat das damit zu tun, dass sie gehen soll?“, fragte Hübsch. „Ganz einfach: Wenn die merken, dass er ihr wichtig ist, wird es teuer. Und das Geld haben wir nicht – wir haben nur 20.000.“ Stevens Frau verstand und nickte mit dem Kopf. „Also, Sie fliegen, heute oder morgen“, sagte ich weiter, „ich denke, das werden die registrieren, oder?“ Bejahend nickte Hübsch. „Sie sollten schauen, ob Sie in England noch Geld auftreiben können. Geben Sie uns dann Bescheid.“ „Und wir?“, fragte Hübsch. „Wir warten“, sagte ich.

Und wir warteten, aber die Gegenseite meldete sich nicht. Die Ungewissheit wurde größer und damit die Angst, dass das Warten Steven den Kopf kosten könnte.

Aus England kamen auch schlechte Nachrichten: kein Geld!

Stevens Frau rief fast alle zwei Stunden an. Was ich ihr am zweiten Tag ausreden konnte.

„Wir werden uns schon melden, wenn es etwas Neues gibt“, sagte ich zu ihr.

Es gab aber nichts Neues.

Hübsch gab ebenfalls keine Ruhe: „Werden die sich melden? Werden die Steven was antun?“ Diese Fragen stellte er so oft, dass ich sie schließlich auch dann hörte, wenn er nicht da war.

Am dritten Tag – gefühlte drei Monate für alle Beteiligten – erwog ich, die Strategie zu ändern. Ich dachte über die Risiken nach und überlegte, ob wir Alternativmöglichkeiten aufbauen konnten. Es war einer dieser Momente, wenn einem der Kopf raucht, ohne Resultate zu vollbringen. Da klingelte das Telefon!

„Ja … ja … ja, OK“, sagte Hübsch am Apparat und hörte wieder zu, „heute Abend. Zehn Uhr. Ja, in Ordnung. Wir werden da sein“, wiederholte er und schaute mich dabei an. Danach legte er den Hörer auf.

Es waren die Russen. Sie wollten mit uns reden. Wir waren dann auch pünktlich da, um zehn Uhr desselben Abends.

Das Gespräch begann recht ruppig.

Ob wir das Geld besorgt hätten? – Wir verneinten. Ob wir es besorgen könnten?

Ich fing das Gespräch unsererseits an. „Hören Sie. Dieser Mensch ist ein Loser. Seine Frau hat ihn inzwischen verlassen. Niemand will ihm Geld leihen.

Er ist nicht kreditwürdig.“ Die Mimik des Russen wurde zunehmend angespannter. Wutfalten auf der Stirn, Druck in den Kiefermuskeln. „Er schuldet auch Herrn Hübsch Geld. Wir haben auch ein Interesse daran, dass er seine Schulden zahlt.“ Der Russe sackte ein wenig in seinem Stuhl ein, öffnete unbewusst die Stellung seiner Beine und hielt den Kopf schief. Ich fuhr fort: „Aber so bescheuert er auch als Mensch ist, als Geschäftsmann ist er immer noch ganz gut.“ Der Russe wurde hellhörig. Hübsch verfolgte aufmerksam das Gespräch. „Es gibt nur einen Weg, damit wir alle unser Geld zurückkriegen“, fügte ich hinzu.

„Und welchen?“, sagte der Russe.

„Steven muss seine anstehenden Geschäfte abschließen. Dann kann er das Geld zurückzahlen – eben in Raten.“

Der Russe lächelte höhnisch. „So!“

„Ja“, nickte ich mit dem Kopf.

„Er hat die letzten Raten nicht bezahlt.“

„Die einzige Chance, damit er diese zahlt, ist, weiterhin Geschäfte zu machen.“

„Nein. Er kommt frei, wenn die Summe bezahlt ist.“

„Ja, aber …“, sagte Hübsch. Ich unterbrach ihn: „Das ist die einzige Chance.“

„Die einzige Chance, dass er lebend hier rauskommt, ist: erst das Geld! Und dann sehen wir weiter“, sagte der Russe, während er, wütend nach vorne gebeugt, mit seinem Zeigefinger auf uns deutete. Ich schüttelte leicht den Kopf und zog die Schultern hoch. Hübsch saß regungslos da und schaute mich an. Sekunden vergingen, drei, vier, fünf. Kugelrund vor Wut waren die Augen des Russen, kugelrund und unruhig um sich schauend.

„Dann muss er daran glauben“, sagte der Russe und stand auf. Er schaute uns stechend an und lief auf die Tür zu. Ich wartete, bis er vor der Tür ankam.

„Hören Sie“, sagte ich. „Das ist wirklich die letzte Chance. Sie sind Geschäftsleute. Ich verstehe das. Sie wollen Ihr Geld. Das verstehe ich auch…“

„Ohne Geld kommt er nicht frei“, unterbrach er mich und wollte gehen.

„Wir haben hier einen Teil der Rate“, ich schob eine kleine Tasche neben mir hoch. 20.000 Dollar waren darin. Skeptisch und irritiert lief der Russe auf mich zu. Er hob die Tasche mit der rechten Hand und öffnete sie. Kurz blickte er mich an, als ob er fragen wollte, warum ich dies nicht zuvor erwähnt hatte. Doch das Geld war ihm wichtiger. Wortlos schaute er in die Tasche hinein. Sein Gesicht entspannte sich. Die Augenlider senkten sich leicht. Die Mundwinkel wurden leicht gehoben. Er zählte das Geld. Er gab die Tasche einem der kräftigen Männer. „20.000“, rief er.

Ich reagierte sofort: „Das ist nur ein Teil. Ein kleiner Teil. Den Rest soll er zeitig nachzahlen.“

Der Russe überlegte. Der kräftige Mann fing an, mit tiefer, aggressiver Stimme auf Russisch zu sprechen. Was er auch immer sagte, es war nicht gut – nicht für Steven. Ich unterbrach ihn. Er starrte mich an. „Das ist der Anfang“, sagte ich. Mein Ton wurde bestimmter. „Wenn er tot ist, kann er bestimmt nichts mehr zahlen.“

Der kräftige Mann wollte weiterreden, doch sein Chef unterbrach ihn. „Wir haben sie“, dachte ich.

Ruhig und bestimmt sprach der Anführer mit seinen Leuten. Anschließend wandte er sich an uns: „Sie können gehen.“

„Aber … Steven!“, brach es aus Hübsch heraus. Ich schaute ihn stechend an, damit er nicht weiterredete.

„Ihr Freund hat erst mal eine Lektion bekommen. Jetzt soll er zeigen, ob er auch was gelernt hat“, tönte der Russe abschließend und bat uns hinaus.

___

Die Russen ließen Steven frei.

Im Nachhinein vermutete ich, dass sie dies ohnehin vorgehabt hatten und lediglich uns und vor allem Steven Angst einjagen wollten. Hübsch sah das anders: „Er wäre nicht der Erste, den sie erledigt haben“, sagte er.

Steven Fence war ein gewiefter Geschäftsmann. Aber so gewieft und vor allem so fleißig wie in den folgenden Monaten seines Lebens war er bestimmt noch nie zuvor gewesen. Er arbeitete ohne Unterbrechung, um die Raten rechtzeitig zahlen zu können. Der Lebemann kam da etwas zu kurz. Dafür aber durfte er weiterleben.

Seine Frau sah er eine Weile nicht mehr. Ich empfahl ihm, die Sache mit Vorsicht anzugehen. Wenn die Russen gemerkt hätten, dass ihr Rückflug nach England geplant gewesen war, wäre das mit Unannehmlichkeiten verbunden gewesen – nicht nur für ihn.

Am letzten Abend meines Urlaubs besuchten mich Steven und Hübsch im Hotel. Irgendwie hatte ich Steven nach all dem Auf und Ab lieb gewonnen.

„Ihr Honorar kann ich nicht so schnell zahlen“, sagte Steven entschuldigend zu mir.

„Das ist schon in Ordnung. Wenn es zu lange dauert, sage ich den Russen Bescheid“, sagte ich lächelnd. Wir lachten – Steven eher krampfhaft.

Zögernd und verlegen schaute er mich sodann an. „Ich habe hier etwas für Sie“, murmelte er.

Ein Umschlag, versiegelt. Ich öffnete ihn. Eine Einladung für einen exklusiven Lunch in einem Restaurant. „Eines der besten Restaurants“, sagte Steven – und damit kannte er sich wirklich gut aus.

Die Einladung war für den gleichen Abend. Ich sollte alleine hingehen – ein Solo-Essen sozusagen. „Mehr Geld habe ich leider zurzeit nicht“, flüsterte Steven beschämt.

Ich zog am Abend meinen besten Anzug an und fuhr zum gebuchten Restaurant. Das Taxi durfte den prunkvollen Eingang passieren. Das stählern-weiße Konstrukt vor dem Meer fesselte meine Aufmerksamkeit. Es war das Hotel. Dort befand sich das Restaurant. Der Aufzug war aus Glas. Jede Etage, an der wir vorbeifuhren, war farblich anders gestaltet. Oben angekommen, wurde ich von einer attraktiven Dame vom Service abgeholt. Als sie mir meinen Platz zeigte, blieb ich stehen. Ich war fasziniert von dem, was ich vom Fenster aus sah. „Bitte! Herr Forghani!“, wiederholte sie. Ich nahm Platz.

Den Ausblick werde ich nie vergessen. So weit das Auge blickte: Wasser. Und dahinter – am Ende des Horizonts: die untergehende Sonne. „Das ist der Persische Golf“, dachte ich mir. Ich lehnte mich zurück, genoss den Augenblick und ließ den Gourmetabend beginnen.

Budapest

Die anderen waren schon auf dem Weg! Unterwegs zu dem Etablissement am Stadtrand. Er hatte es abgelehnt mitzufahren. „Ist nichts für mich“, sagte er, als sein Arbeitskollege ihm beschrieb, wie es dort „abgeht“.

Irgendwann kamen sie an, die anderen. Arbeitskollegen aus Deutschland. Eigentlich waren sie in Budapest, um zu investieren. Es ging um hohe Summen. Doch man hatte sie eingeladen. „Das ist üblich so“, teilte ihnen ihre Kontaktperson mit – und sie freuten sich alle auf das „Übliche“. Die Gruppe betrat das Etablissement. Gespannt und interessiert schauten die Arbeitskollegen um sich. Nackte Frauen, so weit das Auge blickte. Keine war älter als fünfundzwanzig – alle waren sie hübsch und gut gebaut. Einer der Männer blieb mitten im großen Saal stehen. „Komm!“, sagte der Kontaktmann, „umziehen kannst du dich drüben.“ Das Umziehen war eher ein Ausziehen. Die Männer gingen alle rüber. Zurück kamen sie mit jeweils einem Handtuch bekleidet und Badelatschen.

Die Frauen schauten neugierig. Sie guckten sich aus, wer nett und großzügig sein könnte – wer zahlte, ohne zu stressen. Schon die ersten Mädchen bewegten sich in Richtung der Männergruppe. Sie lächelten, die jungen Frauen. Die Männer, die ihre Frauen zu Hause gelassen hatten, lächelten zurück. Sie fühlten sich begehrt, umgarnt. Das gefiel ihnen.

Meist trugen sie einen gewölbten Bauch vor sich her, die Männer. Die Haaransätze waren bei vielen weit oben, hinten licht. Einige wenige von ihnen waren jung, austrainiert – mit einem gewissen Stolz liefen diese in den großen Saal hinein.

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Am nächsten Tag erzählt einer der Arbeitskollegen seinem Freund, wie es am letzten Abend „abging“. „Du hättest dabei sein müssen. Waaaaahhhnsinn. Diese Frauen – so jung.“ Der Freund lächelt, der Arbeitskollege fährt fort: „Ich hatte gleich drei. Einmal einen Dreier mit zwei ganz Hübschen und eine Runde alleine. Ich glaub, die Kleine war achtzehn.“

„Ich gönne es dir. Aber das ist nichts für mich.“

Weitere Arbeitskollegen betreten den Raum. Begeistert, erfreut und protzend erzählen sie von ihren Begegnungen des letzten Abends. Die Rothaarige, die Dunkle, die Kleine, die Königin – von allen Frauen wird detailliert berichtet. Er hört nur zu.

Er heißt Martin. Er ist Experte für den Kauf von hochwertigen Immobilien. Er trägt seine Haare kurz, sehr kurz. Regelmäßig geht er zum Friseur. Er mag es nicht, wenn die Haare unordentlich werden. Er ist zuverlässig, kennt seinen Bereich. „Auf Martin ist Verlass“, sagt immer der Vorstandsvorsitzende – der auch im Etablissement war.

Martin hört sich die Beschreibungen seiner Kollegen ganz genau an. Die Kollegen erzählen gerne und gewissenhaft. Sie sind weit weg von zu Hause. Schuldgefühle sind ihnen fern.

„Der Martin, der macht so was nicht“, sagt einer.

„Ein Vorbild für alle Ehemänner“, ergänzt ein anderer.

„Weiß eigentlich deine Frau, was sie für einen Mann hat?“

„Das hoffe ich doch!“, antwortet Martin.

„Also, kommt jetzt, Leute. Jetzt ist gut. Ihr habt alle genug erzählt. Er muss das jetzt alles aushalten, bis er zu Hause ist“, sagt Martins Arbeitskollege.

Mit vorwitzigen Bemerkungen verlassen die Männer den Raum.

„Heute Abend hast du Ruhe. Da kannst du dann auch Dampf ablassen“, sagt der Kollege zu Martin.

„Neee. Ich fliege morgen.“

„Morgen!?“

„Ja, morgen. Ich besuche noch einen alten Freund hier in Budapest. Das habe ich ihm versprochen.“

„Ach, du Armer.“

Am Abend fliegen die Kollegen zurück nach Deutschland. Martin bleibt. Als es dunkel wird, bestellt er ein Taxi. Fahrziel: das Etablissement!

Martin betritt alleine die Räumlichkeiten. Er läuft, als würde er sich auskennen. Die ausführlichen Beschreibungen der Kollegen hat er nicht vergessen. Er geht in die hinteren Räumlichkeiten und zieht sich um. Mit einem Bademantel und Badelatschen bekleidet kommt er zurück.