Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Si vis pacem, para pacem - Schon Cicero stellte fest: "Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten." und interpretiert damit das römische Paradoxon "Si vis pacem, para bellum" - "Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten." neu. Mit diesem Themenheft leistet der Lateinkurs der Felix-Fechenbach-Gesamtschule Leopoldshöhe seinen Beitrag zu immer wieder auftretenden Diskussionen über Krieg und Frieden. Ist die weitere Aufrüstung notwendig? Wie beeinflussen politische Systeme unser Verständnis für Krieg? Gibt es überhaupt einen gerechten Krieg? Und wie stehen historische Persönlichkeiten dazu?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 105
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vorbemerkung
1 Si vis pacem
1.1
Si vis pacem, para bellum
- ein typisch römisches Paradox?
1.2
Si vis pacem, evita bellum
- Tagesexkursion nach Kalkriese als Ausgangspunkt des Kursprojekts
1.3
Si vis pacem, para pacem -
zivile Ordnungsformen, militärische Bündnisse
1.3.1 Etymologie und Wortfeld „
pax
“ (Charlotte Gäbel/Merle-Sophie Hoff)
1.3.2 Mika Nieminen: Römisches Recht und zivile Institutionen als Friedensgarant der Republik
1.3.2.1
concordia domi – foris pax
1.3.2.2
ius - ius Fetiale
–
bellum iustum
1.3.2.3
amicitia – societas – foedus
1.3.3 Das
amicitia-
Verhältnis am Beispiel von Caesars
Bellum Helveticum
(Tilo Nettelstroth/Leon Saalmüller)
1.3.4 Textquelle Q 1: Caius Julius Caesar:
Commentarii de bello Gallico
, 1, 13, 3-7, Text und Übersetzung
2
Est igitur res publica res populi
– Ciceros staatstheoretische Grundlagen
2.1 Textquelle Q 2: Marcus Tullius Cicero,
De re publica
, 1, 39ff. Übersetzung Nick Hofman/Yannick Schutzmeier
2.2 Begriffsinventar und Wortfelderschließung zu Cicero,
De re publica
, 1, 39ff.
2.3 Tim Fuhrmann:
bellum iustum
vs.
bellum iniustum
- theoretische Vorüberlegungen
2.3.1 Textquellen aus Ciceros
De re publica
und
De officiis
, Text, Übersetzung, Kommentar Textquelle Q 3: M. Tullius Cicero, de rep. 3, 33ff. Textquelle Q 4: Ergänzungen zu de rep. 3, 33ff. nach Augustinus und Isidor v. Sevilla Textquelle Q 5: M. Tullius Cicero, de off. 1, 34ff.
2.3.2 Cassandra Rempel: Philosophische Einflüsse auf Ciceros
bellum iustum
-Theorie
2.3.3 Caesars
Bellum Gallicum
als Beispiel eines
bellum iustum
oder
bellum iniustum
? (Gero Wittner)
2.3.4 Tim Fuhrmann: Der
bellum iustum-
Begriff im historischen Überblick bis heute
3
Bellum civile – bellum iniustum
und die Folgen für die römische Republik
3.1 Nick Hofman/Yannick Schutzmeier: C. Julius Caesar:
De bello civili
- Referat und Kommentar
3.2 Viviane Ens/Kim Schönefeldt Tilo Nettelstroth/Leo Piron: Ciceros
amicitia
-Verhältnis zu Caesar
3.3 Jonah Arlitt/Max Lorenz/Enes Özerdem: Caesar als Prototyp des „smarten Diktators“
4 Erasmus von Rotterdam:
Querela pacis
(1517) – das erste pazifistische Manifest in lateinischer Sprache
4.1 Textquelle Q 6: Erasmus von Rotterdam:
Querela pacis
4.2 Marie-Luisa Schlichting: Erasmus von Rotterdam –
Querela Pacis
(1517) Einführung in Biografie und Werk
5 Finja Sophie Kaminski/Melanie Koop:
Ideokratie - Akratie - Demokratie
Vortrag von Dr. Fritz U. Krause zum 8. Mai 2023
Ausblick – Danksagung
Literatur in Auswahl
„Frieden erwartet Lebenstüchtigkeit.
Die mit der Globalisierung sich ständig wandelnden und über die Gemeinschaft hinaus widersprüchlicher werdenden Konstellationen setzen eine anthropologisch reflektierte Bewältigungskompetenz voraus. Hier erweist sich als demokratischer Kern der gesellschaftliche Anspruch auf Gemeinwohl. Dieses Gemeinwohl beruht auf gelingender Arbeitsteiligkeit.
Wir erwarten ein Gelingen, wenn die allgemeine öffentliche Bildungsforderung jedem Individuum die Möglichkeit lässt, sich je nach seinen Möglichkeiten darzustellen und sich in Anerkennung zu behaupten. Gelingende Arbeitsteiligkeit ist gesellschaftliche Grundbedingung des Friedens.“
Fritz Udo Krause (Vortrag zum 8. Mai 2023)
Si vis pacem…
Das vorliegende Themenheft präsentiert die Ergebnisse des Jahrgangsprojekts „Si vis pacem, para pacem“ des Grundkurses Latein der Jahrgangsstufe 12 (Q1) der Felix-Fechenbach-Gesamtschule Leopoldshöhe aus dem Schuljahr 2022/2023.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen zur Gestaltung eines Jahrgangsprojektes mit dem Thema „Frieden“ und der Integration aller im Jahrgang erarbeiteten lateinischen Originaltexte unter dem Motto „Si vis pacem, para pacem“ („Wenn du Frieden willst, dann musst du Frieden schaffen.“) ist einerseits die Wahrnehmung einer grundlegend veränderten weltpolitischen Situation seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022, andererseits die Frage nach dem Selbstverständnis von Krieg und Frieden in der römischen Lebenswelt.
Frieden steht in diesem Heft an erster Stelle.
Das erscheint vielleicht auf den ersten Blick für die römische Antike etwas ungewöhnlich, wenn man dem bis heute oft zitierten Sprichwort „Si vis pacem, para bellum“ („Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.“) als Lebensweisheit der Römer Glauben schenken möchte.
Anhand ausgewählter historischer, staatstheoretischer und philosophischer lateinischer Originaltexte vom 1. Jh. v. Chr. bis zum Humanismus lässt sich mit den folgenden Beiträgen eine differenziertere Auffassung von einem als notwendiges Übel anerkannten bellum iustum (dem „gerechten Krieg“ oder „zu rechtfertigenden Krieg“) und den faktischen Auswirkungen römischer Expansionspolitik darlegen. Die Hauptautoren des Jahresprojektes, Marcus Tullius Cicero und Caius Julius Caesar, stehen darüber hinaus repräsentativ für den Gegensatz zwischen der demokratischen Verfassung Roms und der „smarten“ Autokratie eines Alleinherrschers. Hier verbindet sich der fachlich geforderte „Dialog mit der Antike“ mit dem Schulprogramm der Felix-Fechenbach-Gesamtschule, deren Spruchband über dem Eingang ein Engagement für „Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit“ fordert.
Das Jahresprojekt begann im September 2022 mit einem Unterrichtsgang nach Kalkriese zu dem vermeintlichen Ort der sogenannten Varusschlacht und endete im Mai 2023 in unserer Schule mit einem Zeitzeugen-Vortrag anlässlich des 78. Gedenktages des Kriegsendes in Europa.
Dass Krieg heute wieder Realität, nicht nur ein historisches Phänomen ist, hat die Schülerinnen und Schüler sehr bewegt und Diskussionen angestoßen, aber in gleichem Maße die Vorstellung, dass sich Frieden seit der Antike als ersehnter und zu bewahrender Normalzustand erwiesen hat. Die in diesem Heft zusammengestellten Unterrichtsbeiträge, die in Übersetzungsleistungen, Kommentierungen von gemeinsam erarbeiteten Quellentexten, in Wortschatz- und Begriffsinventar oder fachbezogenen Referaten, Portfolios und Präsentationen bestehen, repräsentieren leider aus praktischen Gründen nur einen Querschnitt des gesamten Jahrgangsprojektes, an dem sich alle 25 Schülerinnen und Schüler des Grundkurses Latein beteiligt haben.
„Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturzustand (status naturalis), der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er muss also gestiftet werden; denn die Unterlassung der letzteren ist noch nicht Sicherheit dafür, und ohne, dass sie einem Nachbar von dem anderen geleistet wird (welches aber nur in einem gesetzlichen Zustande geschehen kann), kann jener diesen, welchen er dazu aufgefordert hat, als einen Feind behandeln.“1
Am 14.07.2006 fand an der Universität Hamburg ein interdisziplinäres Symposium der Fakultät für Rechtswissenschaften zur Idee des internationalen Friedens in Anlehnung an Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ unter dem Titel2„Si vis pacem, para pacem? – Friede durch internationale Organisation als Option für das 21. Jahrhundert“statt.
Das Symposium aus Philosophie, Theologie, Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften und weiteren Disziplinen setzte sich zum Ziel, von Kants pazifistischer Grundidee ausgehend die Chancen internationaler Kooperation als realistische Alternative zu staatlicher Selbstbehauptung im Verteidigungsfall und der Einrichtung einer „globalen Zwangsgewalt“ als ultima ratio zu untersuchen.
Immanuel Kant – dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr begangen wird - fordert in seinem 1795 erschienenen Traktat „Zum ewigen Frieden“ die Aufhebung der aus der griechisch-römischen Antike und dem Mittelalter überlieferten, gewollt paradoxen Leitlinie
„Si vis pacem, para bellum.“ zugunsten der Idee eines weltumspannenden Friedens im Sinne einer pax perpetua, eines dauerhaften Rechtsfriedens. Angewandt auf die Gegenwart bedeutet es, den durch Rüstungswettlauf und Eskalation der Gewalt im Atomzeitalter („Gleichgewichts des Schreckens“) kaum noch aufrechterhaltenen Weltfrieden in einen nach Rechtsprinzipien sich entfaltenden internationalen und dauerhaften Friedenszustand zu verwandeln.
Frieden – Freiheit – Gerechtigkeit
Unter diesem Motto, das den Haupteingang der Felix-Fechenbach-Gesamtschule Leopoldshöhe weithin sichtbar überspannt, wollen auch die nachfolgend präsentierten Arbeitsergebnisse des Jahresprojekts der Schülerinnen und Schüler des Lateinkurses 12 (Latinum 2023) als ein kleiner Beitrag zur aktuellen Friedensdiskussion verstanden werden.
„Es geht hier nicht um Dialog, Toleranz, Schuld oder Vergebung. Sondern um Krieg, Verhandlung, Diplomatie, Friedensaufbau.“
Bruno Latour, Berlin 2003
Typisch römisch, möchte man denken: Wer Frieden will, muss Krieg vorbereiten.
Ein klassisches Paradox, das bis heute an Aktualität nicht verloren hat. Der oft zitierte Spruch findet sich ebenso bei Autoren des humanistischen Bildungskanons (Platon, Cicero, Nepos, Augustinus) wie bei dem spätantiken Militärschriftsteller Vergetius3:
Qui desiderat pacem, bellum praeparat.
Wer Frieden wünscht, bereitet Krieg vor.
Von Vergetius über den mittelalterlichen Ritterspiegel bis zum waffentechnischen Warenzeichen des „Parabellum“ oder dem US-amerikanischen Actionfilm „John Wick“ (2019) ist der Weg zu uns bedrückend kurz: seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es weltweit ununterbrochen Krisen, Konflikte, Kriege: mittlerweile über 140!
Das lateinische Sprichwort hat sich – so scheint es auf den ersten Blick – tatsächlich erfüllt. Auch wir sollen heute wieder, wenn man dem aktuellen (bildungs-)politischem Appell4 folgt, kriegstauglich5 gemacht werden und einen „unverkrampften Umgang mit der Bundeswehr“ (Stark-Watzinger) pflegen.
Si vis pacem, para bellum...?
Ausgehend vom Dialog mit der Antike und der Aktualität der Thematik stellten sich im Zusammenhang mit unserem Jahresprojekt viele Fragen: Waren die Römer, mit deren Werken wir uns im Lateinunterricht auseinandersetzen, tatsächlich bereit, Krieg als conditio sine qua non oder als Naturzustand der römischen Gesellschaft anzusehen? Und sind wir das heute auch? Gerät nicht gerade das Fach Latein mit seinen häufig als antiquiert bespöttelten Klassikern in Gefahr, durch besonders einprägsame Beispiele wie den seit dem Mittelalter als Schullektüre gelesenen
Commentarii de bello Gallico Caius Julius Caesars wirkungsvoll einem „smarten Autokraten“ zu huldigen und so die Vorstellung eines wie immer gearteten Krieges als eines bellum iustum zu rechtfertigen?
Müssten Lehrer*innen die zu lesenden Autoren und Werke nicht äußerst kritisch revidieren oder sollten Klassiker nur noch oberflächlich als „light“-Variante, als Comic und mit multimedialer Animation angeboten werden? Wie wollen wir mit den immer deutlicher formulierten Forderungen der Bildungspolitik nach krisen- und kriegsvorbereitendem Training, Widerstandfähigkeit und Kriegsbereitschaft in Schule umgehen? Sind wir tatsächlich bereit, in einen Krieg zu ziehen?
Ad bellum gestis?Primum inspice, cuiusmodi res sit pax, cuiusmodi bellum, quid illa bonorum, quid hoc malorum secum advehat, atque ita rationem ineas, num expediat pacem bello permutare.
Du drängst zum Krieg?Zuerst betrachte, von welcher Art der Frieden ist, von welcher Art der Krieg, was jener an Gutem, was jener an Bösem mit sich bringt, und dann mache die Rechnung auf, ob es sich lohnt, den Frieden gegen den Krieg zu tauschen.
Erasmus von Rotterdam, Querela pacis, 1517, dt. Übersetzung Kai Brodersen, Wiesbaden 2018
Die Tagesexkursion des Lateinkurses am 1. September 2022 zu Museum und Park Kalkriese bringt unser Jahresprojekt erst ins richtig ins Rollen.
Bei freundlichem Spätsommerwetter kommen wir nicht nur in den Genuss einer sehr kompetenten und motivierend gestalteten Führung durch Museum und Park des Ortes Kalkriese/Bramsche, um archäologische, militärhistorische und kulturelle Bezüge zur sogenannten Varusschlacht mit gegenwärtiger Friedenarbeit zu verknüpfen, sondern dürfen auch kurz einen Blick in die aktuelle Sonderausstellung zu „Pompeji“ werfen.
Zwei Katastrophen der Antike - ein Glücksfall für die Nachwelt.
Die historischen Quellen zur sogenannten „Schlacht im Teutoburger Wald“ (vgl. z. B. Tacitus/Mommsen), zur
„Hermannsschlacht“ (Kleist) bzw. zur „Varusschlacht“ sind vielfältig, jedoch nur eingeschränkt belegt und lassen bis heute den Standort des Geschehens nicht mit Sicherheit ermitteln.
So garantieren weder die mittlerweile beachtlichen (über 3000) Münzfunde mit dem Gegenstempel des römischen Statthalters Publius Q. Varus noch die legendäre Silbermaske in Kalkriese mehr, als dass an diesem Ort eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen im historischen Zeitraum Spätsommer bis Frühherbst des Jahres 9 n. Chr. stattgefunden hat.
Von den in den Quellen erwähnten drei Legionen, die im September des Jahres 9 n. Chr. mit Tross, Reiterei und Auxiliartruppen (ca. 20.000 Menschen) unter der Führung des neu ernannten Statthalters in Germanien, Publius Quinctilius Varus, von der Elbe ins Winterquartier nach Xanten unterwegs gewesen sind, gibt es bisher nur wenige verlässliche Spuren. Die Knochenfunde in Kalkriese lassen sich einer viel geringeren Anzahl von Menschen unbekannter Herkunft zuordnen. Dennoch sprechen einige Indizien dafür, dass an diesem Ort Römer und Germanen gegeneinander gekämpft haben.
Die von den antiken Schriftstellern gern zitierten Topoi des für Germanien typischen schlechten Wetters, der sumpfigen und unwegsamen Gegend, welche einen klaren Vorteil der aus dem Hinterhalt angreifenden Germanen boten, kann sich die Gruppe gut vorstellen. Die Quellen berichten, dass die römischen Legionen, die sich durch Tross und Gepäck im unwegsamen Gelände behindert sahen, erst nach und nach die Angriffe der Germanen realisierten, ohne die gewohnte Schlachtordnung aufstellen oder Hilfe herbeiholen zu können. Denn einerseits galt die künftige Provinz Germania so gut wie als befriedet, andererseits hatte Varus die Warnungen vor einem germanischen Aufstand augenscheinlich nicht ernst genommen, da der Cheruskerfürst Arminius und sein Bruder Flavus, als ehemalige Geiseln in Rom aufgewachsen, römische Offiziere und amici populi Romani waren. So wurden sie von Varus nicht als potenzielle Rebellen eingestuft. Im Museum wird uns der mögliche Schlachtverlauf an einem Modell veranschaulicht.
Kalkriese gibt der Gruppe einen Impuls, sich über den historischen Ausgangspunkt der Varusschlacht hinaus mit dem Thema Frieden und Krieg zu beschäftigen. Viele Fragen bleiben den Schülerinnen und Schülern dennoch offen: nach den germanischen Opfern, nach der Beteiligung der Bevölkerung an dem Schlachtgeschehen, nach weiteren Ausgrabungen und den dafür genutzten technischen Möglichkeiten.