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Erfahren Sie, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält! In Fantasy-Geschichten ist das natürlich ganz anders, als Sie möglicherweise gedacht haben. Siamsarah, die Elfe der Morgendämmerung, hütet dieses schöne und schreckliche Geheimnis. Eigentlich sollte es nur eine kleine Kurzgeschichte werden, aber die Gäste auf unseren Lesungen wollten, dass es weitergeht, und so sind im Laufe der Jahre diese elf Geschichten entstanden, die in keine Schublade passen. Was Sie für dieses Buch brauchen: ein bequemes Sofa, nervenberuhigende Getränke und Sinn für teilweise megaschrägen Humor, Fantasie, aber auch hoffnungslose Romantik. Es wird spannend und tiefgründig, wenn Theo Gremme Sie in die Welt von Siamsarah und all den anderen Wesen ihres Elfenreiches entführt.
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Seitenzahl: 293
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„Menschenwesen – glaubst du wirklich, es sei selbstverständlich, dass die Sonne jeden Morgen wieder aufgeht? Glaubst du das? – Dann träume weiter!“
Vorwort
Prolog
Die Berge des ewigen Lichts
Siamsarah, die Elfe der Morgendämmerung
Siamsarahs zweites Jahr
Siamsarahs drittes Jahr
Siamsarahs viertes Jahr
Siamsarahs fünftes Jahr
Siamsarahs sechstes Jahr
Vorwort zu „Hydrogen und Einstein“
Hydrogen und Einstein
Vorwort zu „Siamsarah und der Zeitkristall“
Siamsarah und der Zeitkristall
Vorwort zu „Die Antwort“
Die Antwort
Vorwort zu „FUMP“
FUMP
Anhang
Der Autor und Danksagungen
Ein Blick ins nächste Buch
Das Titelbild
Alle Namen und Orte in diesem Buch sind natürlich wie immer frei erfunden, Ähnlichkeiten mit existierenden Personen und Orten wären rein zufällig und natürlich nicht beabsichtigt.
Auch haften Autor und Verlag für keinerlei Schäden, die durch den Gebrauch dieses Buches entstehen. Jeder Mensch ist für sein eigenes Tun und Lassen verantwortlich.
Der Ich-Erzähler ist natürlich auch nicht mit dem Autor identisch. Es steckt aber eine besondere Magie darin, ein Buch in der Ich-Form zu schreiben, die hier als Stilelement genutzt wird.
Und geben Sie niemals einem Eichhörnchen Alkohol! Bitte versuchen Sie auch niemals Bucheckernschnaps oder gar Siebendimensionalen Sitnaltischen Grummelrakwurz herzustellen oder Wasserstoffgas einzuatmen! Und geben Sie Kurz- und Spitzohrrüsselspringern keine Mehlwürmer – sie sind ihnen NICHT zuträglich! Auch sollten Sie der Protonenquelle eines Teilchenbeschleunigers nicht zu nahe kommen. Und wenn Sie einer Elfe zu lange in die Augen schauen, wird nichts mehr so sein wie vorher – also Vorsicht!
Abends
Nahen
Nebel
Ein
Tag
Träumt
Ewigkeit
Die erste der Siamsarah-Geschichten schrieb ich im Jahr 2004. Sie wurde zum ersten Mal in dem Buch „Ta`Saghi“ im Jahre 2005 zweisprachig veröffentlicht. Die Übersetzung ins Englische machte damals Annette Willsch. Danach entstanden zunächst fünf weitere Geschichten, die zusammen mit der ersten Geschichte in dem Buch „Siamsarah – die Elfe der Morgendämmerung“ im Jahre 2008 veröffentlicht wurden. Insgesamt entstanden bis 2013 dann zehn Siamsarah-Geschichten, die in einer Fanausgabe mit dem Titel „Das Siamsarah-Lesebuch“ als limitierte Auflage ohne ISBN herauskamen. Eine Mischung aus der ersten und der zweiten Geschichte wurde dann von dem bekannten Naturfilmer Robin Jähne in einer wirklich traumhaft schönen, stimmungsvollen Video-Hörbuch-Version verfilmt. Die Filmpremiere war 2008 in Datteln. Es entstand natürlich auch eine Kauf-DVD1. Alle erwähnten Buchausgaben sind aber mittlerweile vergriffen und werden so nicht mehr nachgedruckt. Aus diesem Grunde gibt es nun dieses Büchlein, in dem Sie gerade lesen. Ich habe die Geschichten sozusagen „remastered“, ein paar Kanten geglättet und zusätzliche Absätze geschrieben. Damals ist jedes Jahr eine neue Geschichte dazugekommen, die in unseren Multimedia-Autoren-Lesungen jeweils im Herbst eines Jahres in Datteln in der Buchhandlung „Bücherwurm“ zusammen mit Geschichten anderer Autoren multimedial präsentiert wurden. Im Jahre 2012 hatten diese Lesungen ihr 20. Bühnenjubiläum!
Ganz neu ist die Geschichte „Die Berge des ewigen Lichts“. Es ist die Geschichte vor allen Siamsarah-Geschichten und schildert die Ereignisse, wie Siamsarah zu ihrer magischen Flöte kommt. Vorsicht, sehr schräg!
Da die einzelnen Geschichten seinerzeit in Abständen von jeweils fast einem Jahr entstanden, haben einige von ihnen ein eigenes Vorwort bekommen, das ich zwar überarbeitet, aber in diesem Büchlein beibehalten habe.
Viel Spaß nun beim Lesen! Ich wünsche Ihnen ein paar kurzweilige Stunden mit diesem Büchlein.
1 Bezugsquelle im Anhang
Die Erde hatte eine schlimme Krankheit – sie hieß Gier, Lüge, Neid, Fantasielosigkeit, Gedankenlosigkeit, Oberflächlichkeit, Dummheit und das Leid, das daraus erwächst.
Doch Der, der alles beseelt kann Namen geben, und „Namen geben“ bedeutet „erschaffen“, und wer den Namen kennt, hat unermessliche Macht. Das bloße Aussprechen des Namens genügt, um den Gegner zu vernichten – die Krankheit der Erde zu besiegen – zu heilen in nur einem einzigen Augenblick!
Die Menschenwelt und das Elfenreich waren untrennbar miteinander verbunden – ging die eine Welt unter, dann würde die andere folgen.
Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst und die Liebe zu diesem Leben. Da auch die Freude am Leben das Elfenreich durchdringt, musste es einschreiten. Es war sich darüber im Klaren, dass es gefährlich war einzuschreiten, aber Der, der alles beseelt sprach einen Namen aus! Auf diesem Namen ruhten nun alle Hoffnungen der beiden Welten, obwohl die Menschen nicht einmal den Hauch einer Ahnung davon hatten.
Auf der anderen Seite
Pfnörgel saß auf der bequemen Aussichtsbank in der Unterwasserkuppel von Terramaris und spielte auf der sitnaltischen Einlochflöte eine verträumte Melodie, bei der jedem Menschenwesen, das sie gehört hätte, die Tränen in die Augen gestiegen wären. Er sah den wunderschönen Wassernymphen zu, die jenseits der riesigen Glaskuppel im kristallklaren Wasser herumtollten. Plötzlich hörte er den kunstvoll mit Messing verzierten Zentralaufzug vom Tunnel aus nach oben kommen. Er hörte auf zu spielen. Einen Schlüssel zum Aufzug hatten nur sehr wenige Wesen hier auf Terramaris. Mit einem hydraulischen Summen hielt der Aufzug in der Kuppel an und Serana stieg in einem Gewand, das in allen Regenbogenfarben schillerte, aus dem Aufzug und kam geradewegs auf Pfnörgel zu. Pfnörgel erhob sich, wie sich das gegenüber der Stellvertreterin des Elfenstützpunktes geziemte, und verneigte sich würdevoll vor ihr.
„Verehrte Elfe des Lichtes, was führt Euch zu mir?“, sagte Pfnörgel leise und verstaute seine Einlochflöte in einer Gürteltasche.
„Ehrenwerter Meister Pfnörgel, ich störe Eure Meditation nur äußerst ungern.“ Sie blickte ihn dabei direkt aus ihren schönen Elfenaugen an, in die ein Menschenwesen hineinfallen würde, wenn es zu lange hineinblickte. Pfnörgel war aber weder ein Elfennoch ein Menschenwesen.
„Ich muss Euch auf eine lange und gefährliche Reise schicken, Meister Pfnörgel“, sagte Serana mit sanfter Stimme. Sie machte eine lange Pause und fuhr fort: „333 Jahre sind vergangen – Ihr wisst, was das bedeutet! Genau in diesem Augenblick wird eine neue Kristallflöte geboren und Ihr, verehrter Meister Pfnörgel, habt nun die Aufgabe, sie aus tiefster Dunkelheit und größter Kälte zu bergen und durch das blaue Tor in den Raum der Welten zu bringen. Dort wird sie im vorgeschriebenen magischen Ritual der neuen Elfe der Morgendämmerung übergeben, die noch nicht weiß, dass ihr Name von Dem, der alles beseelt ausgesprochen wurde.“ Wieder sah sie Pfnörgel lange an und etwas Flehendes lag in ihrem Blick. Pfnörgel bemerkte das wohl, aber er konnte nicht anders und sagte:
„Nun komm, Serana, lassen wir die Etikette mal komplett beiseite und machen klare Ansagen! So eine verfluchte Scheiße! Du weißt genau, was beim letzten Mal passiert ist?! Das violette Elfentor hat ja wohl heftig geklemmt und mich unten in der Kraterschüssel ausgespuckt – also draußen! Das kommt davon, wenn man immer mehr sparen will und ihr 333 Jahre lang keinen Wartungstechniker hinschickt, um mal den Staub runterzufegen von dem verfluchten Ding!“, keuchte Pfnörgel nun aufgebracht und sein Fell sträubte dich heftig, als er fortfuhr: „Ich musste, wie du weißt, meine atomare Struktur verändern, um nicht den Schirm zuzumachen und war drei Tage lang schockgefrostet, bis mich ein Techniker wieder aufgetaut hat! Das hat dann richtig Geld gekostet, aber das geschieht euch nur recht! Und dann, so ein Schwachsinn – wer hat denn die bescheuerte Idee gehabt, den verkackten Flöteninkubator ausgerechnet im Shackleton-Krater2am Südpol des Erdmondes zu vergraben?! Jaaa – in den Bergen des ewigen Lichts!3“, japste Pfnörgel nun mit sich schon fast überschlagender Stimme. „Wenn ich das schon höre – Berge des ewigen Lichts! Mein Licht wär da um ein Haar für immer ausgegangen – an einem der tödlichsten Orte, die man sich nur vorstellen kann!“
Serana nahm Pfnörgel sanft bei der Hand und sie setzten sich auf die Aussichtsbank. Serana kraulte Pfnörgel beruhigend das Fell und wandte auch heimlich ein wenig Elfenmagie an, um das kleine pelzige Wesen zu beruhigen.
„Ja, das weiß ich doch alles, Pfnörgeli“, sagte sie beschwichtigend. Aber so leicht war ein Elementarteilchenversteher nicht zu beruhigen. „Egbaeutel war’s!“, schrie Pfnörgel nun hysterisch. „Der ist völlig durchgeknallt und gemeingefährlich! Warum der hier Chef ist, war mir schon immer ein Rätsel! Eines Tages bring ich ihn zur Strecke – und wenn es das Letzte ist, was ich mache!“
Serana hatte großes Verständnis für den sitnaltischen Elementarteilchenversteher, der sich nur langsam wieder beruhigte – sie mochte und schätzte ihn sehr. Sie sah lange mit ihm in die terramarische Unterwasserwelt hinaus, wo nun tausende bunter Leuchtfische in Schwärmen vorbeizogen. Serana sprach nun leise: „Wir hatten Angst genug, dass unser Geheimnis im Shackleton-Krater entdeckt werden könnte. Wer konnte vor vielen Tausend Jahren auch ahnen, dass die Menschen eines Tages genau diesen Krater unter die Lupe nehmen würden, weil sie darin gefrorenes Wassereis vermuteten, das für den Bau einer Mondbasis wichtig gewesen wäre? Zum Glück waren nur geringe Spuren mit einer Spezialraumsonde, die den Krater über fünftausend Mal überflogen hatte, geortet worden. Von der Erde aus ist der Krater nicht einsehbar, er ist zudem sehr tief, immer dunkel im Inneren und sehr, sehr kalt. Die Sonde konnte das wirkliche Geheimnis des Kraters nicht sehen, weil es sich ständig zehn Minuten in der Zukunft befindet. Es gibt aber eine Art Zeitecho, und unser Geheimdienst hat nie zweifelsfrei herausfinden können, ob irdische Raumsonden das nicht irgendwie entdecken könnten. Soweit wir nun wissen, können sie es wahrscheinlich nicht – noch nicht. Aber du hast recht, es ist einer der tödlichsten Orte, die man sich vorstellen kann, deswegen haben wir dafür damals den Erdenmond ausgewählt.“
Pfnörgel hatte sich während Seranas Schilderung immer mehr beruhigt, sah sie nun mit seinen klugen Augen an und sagte: „Gut Serana – ich zieh das Ding durch, aber ich reise nicht mit dem verfickten violetten Elfentor, das könnt ihr vergessen – lasst euch also was einfallen, sonst ist der Drops gelutscht! Und kommt nicht auf die Idee, mich in einen Raumanzug stecken zu wollen“, fügte er noch mit gefährlich funkelnden Augen hinzu. Serana grinste breit, kraulte Pfnörgel mit beiden Händen hinter seinen spitzen, langen, löffelartigen Ohren und sagte aus ganzen Herzen liebevoll: „Danke, mein treuer Freund!“
Seine Erhabenheit, der ehrenwerte Elementarteilchenversteher Sir Pfnörgel, bei seiner abendlichen Meditation in der Parallelwelt sitnaltA, der Heimatwelt seiner Glorifizienz und Hochglanzwürden!
Porträtiert von Annette Willsch
Serana zog eine goldene Kreditkarte aus ihrem Gewand und überreichte sie Pfnörgel mit den Worten: „Der Überbringer der Kristallflöte ist berechtigt, für ein Jahr diese Karte uneingeschränkt zu nutzen – als Dank für seine gefährliche und verantwortungsvolle Tätigkeit für das Elfenreich und die Menschenwelt.“ Serana lächelte Pfnörgel zuckersüß an – jedes Menschenwesen hätte sich sofort unsterblich in die schöne Elfe verliebt. Nicht so unser Pfnörgel, er war gegen so etwas immun, aber er bemerkte ein winziges, schelmisches Funkeln in Seranas Augen, das er nicht deuten konnte, ihn aber zu erhöhter Vorsicht mahnte. Elfen konnten sehr listig sein. Pfnörgel nahm die Karte andächtig entgegen – über die goldene Elfenkarte der Elfischen Nationalbank zu verfügen war, wie in der Menschenwelt einen prall gefüllten Lottojackpot abzuräumen. Pfnörgel bedankte sich höflich bei Serana, die sich mit den Worten „Wir werden eine Lösung für dein Transportproblem finden, mein treuer Freund“ von ihm verabschiedete. Pfnörgel saß noch eine Weile auf der Aussichtsbank und hörte das Summen des Aufzugs, der runter in den Verbindungstunnel führte. Ein Grinsen erhellte seine Gesichtszüge, als er murmelte: „Na dann mal los!“ Er schnippte die goldene elfische Kreditkarte in die Luft und fing sie geschickt wieder auf.
Im Dimensionsloch, einer Szenekneipe der Parallelwelt sitnaltA, ging es wieder mal hoch her. Hier traf sich alles, was einfach nur abhängen wollte: Elfen, Trolle, Kobolde, sitnaltische Winzhühner4, Elementarteilchenversteher, Wald-, Nebel- und Feuergeister, Drachen, Zwerge, Heinzelfrauen5 und Heinzelmänner sowie Wesen, für die die Wissenschaft keine Beschreibung hat. Letztere wurden der Einfachheit halber unter dem Begriff Dinger zusammengefasst. Einige von denen trugen Gesichtsunterhosen6! Es gab sogar ein riesiges Aquarium für die für recht nymphomanisch gehaltenen Wassernymphen. Die meisten Wesen hielten einen respektvollen Abstand zu dem großen Becken, in dem die betörend schönen Wesen schwammen. Gerade kam eines von den kleinen Heinzeln, weil schon sturzstrulle, dem Becken zu nahe. Schon grapschte ihn eine Nymphe, zog ihn ins Becken und küsste ihn lange und leidenschaftlich – eine häufig missverstandene, ganz normale Transaktion bei den Wassernymphen, die einfach nur bewirkte, dass das unter Wasser gezogene Wesen weiteratmen konnte, also eine sehr atemberaubende Umstellung auf Kiemenatmung. Die Nymphen wollten einfach nur spielen und sich nett unterhalten. Sie verfügten über die Möglichkeit, temporäre Elfentore zu schalten, um wieder in ihre Heimatgewässer zu gelangen, wenn es auch eine Standardverbindung dorthin gab. Die von den Nymphen bestellten Drinks wurden von Amöbius Brackwater, dem Kneipenwirt, in temporäre Energiekugeln verpackt und schwungvoll ins Becken geworfen. Im Mund der Nymphen erloschen die Kugeln einfach und der Inhalt wurde freigesetzt. Wassernymphen vertragen aber nicht viel und werden von zu viel von dem Zeugs dann tatsächlich nymphomanisch. Amöbius gehörte zweifellos zu den Wesen, für die die Wissenschaft keine Beschreibung hat, also zu der Rubrik Dinger! Er konnte alle Formen annehmen und beliebig viele Pseudopodien ausbilden, also Beine, Füße, Hände und Arme, wo immer er sie gerade benötigte. Das war sehr praktisch in seinem Beruf. Beim Mixen und Schütteln der Drinks war das ein unschlagbarer Vorteil und er beherrschte die fast absolute Bewegung dabei – das bedeutete, er war so schnell, dass seine Bewegungen nicht mehr wahrgenommen wurden. Ein bestellter Drink war also augenblicklich fertig.
An der Theke kippten gerade ein paar Kobolde laut grölend samt ihren Barhockern und mit seltsam verdrehten Augen nach hinten rüber. Eigentlich vertragen Kobolde eine Menge Zeugs, aber irgendwo ist wohl immer eine Grenze.
Pfnörgel bahnte sich einen Weg durch die Menge zur Theke und hüpfte elegant auf einen Barhocker. Der Elementarteilchenversteher hatte sich echt in Schale geworfen, was hier bedeutete, dass er sich das sündhaft teure Hochglanzspray ins Fell gesprüht hatte – das war sein erster Kauf mit der goldenen Kreditkarte. „Hey Pfnörgel“, begrüßte ihn Amöbius herzlich, streckte so in etwa zwanzig blitzschnell gebildete Tentakel nach ihm aus und wuschelte ihm damit durchs sorgsam gestriegelte Fell. Wenn dies jemand durfte, dann war es Amöbius. Pfnörgel kicherte, weil er tierisch kitzelig war, protestierte aber nicht und ließ spielerisch die goldene Kreditkarte wie ein Magier durch seine Pfoten kreiseln.
„Bei Jupiter!“, japste Amöbius heftig beeindruckt. „Wo hast du die denn her? Oh, warte, lass mich raten … ähm … du musst doch nicht etwa …?!“
„Doch – genau das …“, grummelte Pfnörgel mit zusammengebissenen Zähnen. Amöbius wechselte die Farbe von regenbogenbunt auf leichenblass.
„Na, dann brauchst du jetzt was echt Hartes zur Nervenberuhigung“, blubberte es aus Amöbius heraus.
Man sah nur für den Bruchteil einer Sekunde ein schemenhaftes Wirbeln und schon stand eine brodelnde und violett leuchtende Flüssigkeit in einem ausgehöhlten Kristall vor Pfnörgel auf dem Tresen.
„Was ist das?!“, fragte Pfnörgel skeptisch, aber sehr interessiert. „Ein Brackwatischer Hirnhammer“, grinste Amöbius mit einem frisch gebildeten Mund. „Du wirst ihn dringend brauchen!“
Amöbius grapschte sich Pfnörgels goldene Kreditkarte und schob sie in den Schlitz der automatischen Kasse.
In den Tiefen der unterirdischen Kaverne, die den Zentralrechner beherbergte, gab es ein summendes Geräusch, gefolgt von einer Automatenstimme, die nur „Oh oh!!!“ sagte. Der Zentralrechner hatte erkannt, dass hier eine goldene Kreditkarte mit Transporterfunktion benutzt wurde. Das Ziel war allerdings schon vorprogrammiert worden und mit dem Autorisierungscode von keiner Geringeren als Serana signiert. Der Zentralrechner stellte diesen eindeutigen Transportbefehl selbstverständlich nicht in Frage und veranlasste sofort die nötige Schaltung. Hydraulische Arme schoben aus dem Magazin eine Rohrpostkapsel in Position, die sich auf den Weg machte, um ihren Fahrgast abzuholen.
Pfnörgel hatte gerade noch Zeit, den Brackwatischen Hirnhammer runterzustürzen, der ihn für ungefähr dreißig Sekunden in absolute Glückseligkeit hüllte. Die Schaltung des Zentralrechners wirkte sich aber schon nach fünf Sekunden aus:
Eine nach unten offene Rohrpostkapsel stülpte sich aus einem Loch, das sich in der Kneipendecke auftat, über unseren Pfnörgel samt Barhocker, verschloss sich klackend auch unten und sauste durch ein sich im Fußboden öffnendes, kreisrundes Loch fauchend und dampfend in die Tiefe. Pfnörgels Gehirn arbeitete normalerweise rasend schnell, aber nun liefen ja noch die fünfundzwanzig Sekunden der Glückseligkeit.
Das legendäre Pop-Star-Winzhuhn Deffy mit einem magischen Kronkorken7 als Sturzhelm. Es wurde berühmt mit seinem Hit Endlose Weiten.
Porträtiert von Annette Willsch
Beinahe wäre noch Deffy, ein berühmtes Popstar-Winzhuhn, mit in den Schacht gefallen, wurde aber noch von einem in absoluter Bewegung gebildeten Tentakel von Amöbius festgehalten und auf den Tresen gehoben, wo Deffy ein hysterisches GACK!!! ausstieß.
Nach weiteren fünf Sekunden sauste die Rohrpostkapsel durch das geheime Elfentor tief unter der Erde und wurde abgestrahlt in die Weiten des Weltalls. Weitere fünf Sekunden später materialisierte die Kapsel in einer großen Kuppelhalle, durch deren transparente Wandung man tausende Sterne, aber auch eine recht nah stehende Sonne erblicken konnte. Die Kapsel gab Pfnörgel samt Barhocker frei, ein armdicker, metallischer Rüssel postierte sich mit der Öffnung nach vorn und ein Strahl einer dunkelbraunen, weichen, faserigen Masse ergoss sich auf Pfnörgel und bedeckte dessen hochglänzendes Fell vollständig. Dann kam ein zweiter Rüssel und jauchte eine pinkfarbene, latexartige Masse über das nun recht unförmige Wesen. Diese Masse umschloss blitzschnell alles wie ein Schrumpfschlauch. Als es still wurde in der Kuppel, waren auch die dreißig Sekunden Glückseligkeit für Pfnörgel aufgebraucht. Ein Spiegel fuhr aus dem Boden empor, in dem Pfnörgel sich in voller Größe betrachten konnte. Er saß immer noch auf dem Barhocker in einer Art pinkfarbenem Taucheranzug, der mit irgendetwas stramm ausgestopft war. Selbst die spitzen Ohren waren darin eingehüllt – nur das Gesicht war noch frei von dem grotesk wirkenden Outfit. Pfnörgel war nun einem pinkfarbenen, unförmigen Hasen nicht unähnlich. Blanker Zorn stieg in ihm auf, als er sich in dieser lächerlichen Montur im Spiegel sah.
„Was bei Jupiter soll das hier werden???!!!“, kreischte Pfnörgel und hüpfte aufgebracht vom Barhocker.
„Wir stopfen den Schutzanzug immer mit Torfblumenerde aus, damit er auch stramm sitzt“, sagte eine feine, piepsige Stimme hinter ihm. Pfnörgel fuhr mit vor Zorn lodernden Augen herum und sah ein großes Schaltpult, auf dem eine winzige, mit Sand gefüllte, quadratische und oben offene Kiste an allen vier Ecken an dünnen Fäden an einem Rohr befestigt war und sanft hin und her schaukelte. Pfnörgel kam wutschnaubend näher, und die feine, piepsige Stimme, die eindeutig aus der kleinen, schaukelnden Sandkiste kam, sagte freundlich: „Willkommen auf Zeta UMi! – Ich bin Luise!“
Luise porträtiert von Annette Willsch
Luise gehörte zur Gattung der sprachbegabten Spitzohrrüsselspringer aus der Parallelwelt sitnaltA. Diese kleinen süßen Tierchen gab es auch in der Menschenwelt, aber da stellten sie sich natürlich stumm, um nicht aufzufallen. Sie heißen in der Menschenwelt Kurzohrrüsselspringer. Pfnörgel erkannte das kleine Wesen erst jetzt richtig, vergaß augenblicklich, wie absurd er gerade aussah und schaute verzückt in die kleine Sandkastenschaukel, in der Luise saß und ihn anlächelte. Pfnörgel fand natürlich erst einmal alle Wesen, die bepelzt waren, sympathisch, aber beim Anblick von Spitzohrrüsselspringern ging ihm immer das Herz auf.
„Hey Luise“, sagte er beinahe zärtlich. „Ich bin Pfnörgel und ehrlich gesagt weiß ich nicht, was hier abgeht, kannst du mir da weiterhelfen?“
Luise balancierte geschickt die kleine Schaukel aus, so dass sie nicht mehr hin und her schwang, und sagte: „Klar kann ich. Dies ist eine Großverteilerstation eines voll geheimen Transportsystems. Also diese Station umkreist die Sonne Zeta UMi und so haben wir auch die Station benannt. Damit das ganz klar ist: Diese Station gibt es nicht und mich gibt es auch nicht. Wir brauchten aber diese Station, um im Notfall agieren zu können, falls mal alle normalen Elfentore ausfallen. Auch alle Verbindungen, die von hier abgehen, gibt es natürlich nicht. Und du bist ja nun wohl ein Notfall“, grinse Luise schelmisch und fuhr fort: „Serana ließ mich wissen, dass du nicht durch das violette Tor zum Shackleton-Krater reisen willst – aus verständlichen Gründen. Du musst aber dort die Kristallflöte abholen. Tja, und so hat Serana deine goldene Kreditkarte präpariert. Sei nicht sauer auf Amöbius – der wusste von all dem nichts – auch nicht, dass seine Kneipe an unser Transportsystem angeschlossen ist. Er wird sich an nichts erinnern, wenn die Sache hier durch ist.“
Pfnörgel sah sich kurz in der Station um und sagte: „Respekt, kleine Maus – nun verstehe ich einiges. Aber bleibt die Frage: Warum sehe ich so aus wie ich nun aussehe?!“ Dabei nahm sein Gesicht, das als einziges Körperteil nicht pink war, wieder einen leicht grimmigen Zug an.
„Den Schutzanzug brauchst du, Pfnörgel, weil du zehn Minuten in die Zukunft reisen musst auf deinem Weg zum Shackleton-Krater – wir nennen die pinkfarbenen Schrumpfschläuche Time-Slip. Naja und warum ausgerechnet pink – das ist schon etwas peinlich, zugegeben. Aber wir beziehen die Masse aus Irland, da wird sie verwendet, um Radonfolien daraus herzustellen, die dort Pflicht sind. Wenn jemand neu baut, muss er so eine Folie in sein Fundament einbauen, um vor dem radioaktiven Radon-Gas geschützt zu sein, das aus dem Erdreich kommt. Und merkwürdigerweise ist das Zeug mit einem kleinen Zusatz von uns auch in der Lage, sich und seinen Träger unbeschadet durch die Zeit reisen zu lassen.“
Luise hielt inne, um Pfnörgels Reaktion abzuwarten, aber der nickte nur verständnisvoll und meinte: „Naja, außer dir sieht mich ja so niemand.“
„Das ist so nicht ganz richtig“, piepste Luise kleinlaut. Pfnörgel konnte nun seinen Unmut nicht unterdrücken und sagte leise aber schon recht bedrohlich: „Wer noch???!!!“ Luise duckte sich etwas erschrocken und piepste: „Naja, der Kraterwächter auf dem Erdenmond, er heißt Strull Struhlenpfohl und unterliegt der Schweigepflicht. Also alles easy – alles gut.“
‚Oh, ich möchte hier nicht sein‘, dachte Pfnörgel bei sich und seufzte so tief, dass beim Ausatmen Luises Fell ein wenig flatterte. „In Ordnung, Luise, du machst ja auch nur deinen Job hier und ich muss nun den meinen machen – wie geht’s also jetzt weiter?“
Luise hüpfte aus der Schaukel aufs Schaltpult und sagte: „Du steigst in eine andere Rohrpostkapsel um und ich schieße dich Richtung Sonne.“
„Geht’s noch?!“, polterte Pfnörgel lauter los, als er es beabsichtigt hatte.
Die Verteilerstation umkreist den Stern Zeta UMi. Das ist der Stern, an dem die Zugstange, also die Deichsel, an den Kasten des Kleinen Wagens sternbildmäßig angekoppelt ist. Eine andere Bezeichnung für das Sternbild ist Kleiner Bär.
Oh meine treuen, unerschrockenen Leserinnen und Leser, ich weiß, es ist nun unfair, hier den Fluss der Handlung ein wenig zu stauen, aber ich glaube, hier ist der richtige Moment, um Ihnen das Transportsystem der Elfentore und der geheimen Transportwege zu erläutern. Eigentlich ist alles ganz einfach, wie Sie der Grafik auf der nächsten Seite entnehmen können – ich erkläre es aber doch noch kurz:
Dreh- und Angelpunkt ist die Unterwasserkuppel auf der Insel Terramaris. Diese Insel liegt im Niemandsland zwischen den Welten. Auf Terramaris altert man nicht. Die Insel wird in den nachfolgenden Geschichten in diesem Buch noch ausführlich beschrieben. Terramaris ist die Urlaubsinsel der Elfen und zur Hälfte ein Elfenstützpunkt. Von hier aus gibt es Verbindungen in fast alle Richtungen. Ausnahmen sind der Shackleton-Krater auf dem Mond – diese Verbindung ist defekt und die Verbindung nach Zeta UMi gibt es offiziell gar nicht, so wie es den Verteilerknoten Zeta UMi selbst auch offiziell nicht gibt. Von Zeta UMi aus geht es natürlich im Prinzip auch überall hin und zusätzlich noch in den Shackleton-Krater sowie nach Isafjördur in Island. Aber da will eigentlich niemand unserer Protagonisten sein, obwohl es ein Ort ist, der mich persönlich irgendwie magisch anzieht, so wie Island ohnehin – wegen der Elfen wahrscheinlich. Vom Shackleton-Krater aus gibt es noch eine sehr verhängnisvolle Transferlinie ans Ende der Zeit ins NICHTS, und auch das NICHTS selbst kann befreit werden und über diesen Weg die Erde vernichten. Alles andere erklärt sich, glaube ich, ganz gut in den Geschichten selbst und so können wir nun mit der Handlung fortfahren.
Luise erklärte Pfnörgel, dass er sich nicht sorgen müsse. Ein im Weltall schwebendes Elfentor nahe der Sonne würde ihn – bevor es für ihn zu gefährlich wurde – zum Erdenmond abstrahlen. Dort würde er dann direkt in der Kraterstation bei Strull Struhlenpfohl am Südpol des Mondes herauskommen, um die neue Kristallflöte in Empfang zu nehmen. Dann sollte es über Zeta UMi in den Raum der Welten gehen und dort sollte dann feierlich die Flöte an die neue Elfe der Morgendämmerung übergeben werden. Damit wäre Pfnörgels Job dann erledigt und er könnte mit der goldenen Elfenkarte ein Jahr lang machen, was er wollte. Soweit der Plan. Aber das Böse lauert ja bekanntlich immer und überall!
Egigius Egbaeutel saß am großen Schaltpult in seinem Büro im unterirdischen Elfenstützpunkt auf Terramaris. Er war ein zu klein geratener, glatzköpfiger, fetter Elf mit Bluthochdruck. Er war durchtrieben, unbeherrscht, egoistisch, gemeingefährlich, verfügte über angeborene Bosheit und war zudem, das war das Gefährlichste, dumm wie Brot. Er war ein Blender und konnte all diese Eigenschaften gut verbergen. Er war Chef des Elfenstützpunktes auf Terramaris. Er hasste seinen Job, denn er fühlte sich zu Höherem geboren – zu wesentlich Höherem. Er hatte ein Problem – ein großes Problem. Und dieses Problem war die Menschenwelt – die Erde. Er war zuständig für die Menschenwelt und das stank ihm total. Hinter seinem Rücken wurde er Eggy genannt und Eggy wollte die Welt vernichten oder sie beherrschen – vernichten war zunächst mal die einfachere Möglichkeit, dachte er. Sein großer Fehler war stets, dass er nie einen wirklichen Plan B hatte, deshalb war sein Plan A immer so gefährlich wie ein herunterfallendes Feuerzeug in einem prall gefüllten Gasometer.
Es war natürlich nicht sein erster Versuch – bisher war er zwar immer gescheitert, aber nie damit aufgefallen. Nun war er sich sicher, dass es ganz einfach sein würde, die Erde zu pulverisieren. Der Wechsel der Elfe der Morgendämmerung stand unmittelbar bevor – das war die Gelegenheit. Wenn die neue, in wenigen Stunden amtierende Elfe keine Kristallflöte bekam, konnte sie die Flöte auch nicht auf der Erde spielen. Somit würde Strull Struhlenpfohl das NICHTS herauslassen müssen und das würde den Planeten verschlingen und er, der große Egigius Egbaeutel, war frei! Endlich frei! So dachte er. Aber er kapierte nach tausenden von Jahren immer noch nicht, dass das Elfenreich mit dem der Menschen eng verbunden war und dann langsam verblassen würde, um ebenfalls langsam unterzugehen. Die Elfen und all die kleinen liebenswerten Wesen des Elfenreiches würden verblassen, denn nur solange Menschen an Elfen glaubten, würde das Elfenreich bestehen. Aber wie sollte das ohne Menschen gehen?! Es stimmte, was man in Peter Pan lesen konnte: Immer, wenn ein Mensch sagte, dass er nicht an Elfen glaubt, dann starb im Elfenreich eine Elfe für immer – sie konnte dann nicht mehr ins Mondlicht gehen. Die Lampen brannten bei Eggy eben nicht so hell.
Eggy tippte mit recht flinken Wurstfingern auf der Tastatur des Stützpunkt-Zentralrechners herum und grinste grimmig. ‚Ja, das ist die perfekte Tarnung‘, dachte er bei sich. Er atmete tief durch und zog seinen schwarzen Umhang aus. Drunter trug er Feinrippunterwäsche und zur Krönung setzte er sich eine schweißerbrillenartige Nachtsichtbrille mit automatischer hell/dunkel-Umschaltung auf – für alle Fälle. Es klopfte an der Tür und er sagte nur mürrisch: „Stell es vor die Tür und verschwinde!“ Er wartete kurz, bis sich die Schritte vor der Tür entfernten. Vorsichtig öffnete er die Tür und holte die gefüllte Plastiktüte herein, die er sich aus der Menschenwelt von einem Agenten hatte herschaffen lassen. Er packte sie auf dem großen Konferenztisch aus – eine Quittung von Erwins Frittenschmiede fiel ihm entgegen. Er hob das in eine alte Bildzeitung gewickelte, noch heiße Paket vorsichtig heraus und förderte drei fetttriefende Hamburger und eine dreifache Portion Pommes mit sechsfach Majo zutage. Er stellte alles ausgepackt und verzehrbereit auf den Tisch, atmete tief durch und sagte: „Na, dann mal los!“
Er öffnete die Tür des Formwandlers und schloss sie sorgfältig hinter sich. Drinnen wählte er auf dem Display unter der Rubrik DINGER den Menüpunkt Spezial-Riesenkakerlake aus und drückte beherzt die Return-Taste.
Oh, meine treuen unerschrockenen Freunde, die Sie mir bis hierher mutig gefolgt sind, über den nun folgenden Vorgang hüllen wir lieber gnädig den Mantel der nur minimalen Beschreibung, denn es ist wahrhaftig kein schöner Anblick, das kann ich Ihnen versichern! Es rumorte und summte im Formwandler und eklige Flüssigkeiten und Gewebefetzen verteilten sich an der Panzerglastür. Das Ergebnis sah in etwa so aus, als wenn ein voll Verblödeter seinen Hund in einer großen Industriemikrowelle getrocknet hätte. Die Tür öffnete sich und heraus wankte eine echt schaurige, schleimtropfende Riesenkakerlake, die sich mühevoll und noch benommen von der Umwandlung zum Konferenztisch quälte, gurgelnd Verdauungssaft hochwürgte und über die Hamburger und die Pommes erbrach, die davon verflüssigt wurden und sodann von einem Saugrüssel der Kreatur, die unser Eggy nun war, geräuschvoll aufgesaugt wurden. Diese temporäre Verwandlung setzte voraus, dass die so getarnte Person eine gehörige Menge unnatürlicher Nahrung aufsaugen musste, um die Tarnung für ungefähr eine halbe Stunde aufrecht zu halten. Eggy glaubte, in der Zeit alles erledigen zu können. Ein kräftiges, abartiges Rülpsen kündete vom Abschluss der Nahrungsaufnahme und unser Kakerlaken-Eggy wankte in den hinteren Bereich des Büros, wo ein temporär geschaltetes violettes Elfentor leuchtete. „Von wegen defekt!“, grummelte es höhnisch aus den Tiefen des Chitinpanzers. Ein grünes Licht an den Kontrollen des Tors leuchtete auf. Die Kraterstation auf dem Mond hatte den Empfänger entriegelt. Das schaurige Wesen verschwand unter kurzem Aufleuchten des Portals im Torbogen.
Strull Struhlenpfohl genoss die Massage des Serviceroboters – die Automatik hatte ihn aus der Stasiskammer befreit. Das bedeutete, dass wieder mal 333 Jahre vergangen waren und er sich in Schale werfen musste, um den ehrenwerten Elementarteilchenversteher, seine Hochglanzwürden Sir Pfnörgel, zu empfangen, der die neue Kristallflöte für die ebenfalls neue Elfe der Morgendämmerung abholen kam. Er bildete schnell ein paar Pseudopodien aus und veränderte so lange vor einem großen Spiegel seine Farbe, bis er in allen Regenbogenfarben leuchtete – er war mit dem Ergebnis zufrieden. Strull war sozusagen ein DING wie Amöbius Brackwater, mit dem er gut befreundet war und den er alle 333 Jahre nach getaner Arbeit im Dimensionsloch traf, um sich richtig die Kante zu geben. Strull konnte es noch gar nicht fassen, dass über all die Jahre alles gut gegangen war, denn wenn das jährliche Flötenspiel der Elfe der Morgendämmerung einmal ausblieb, würde die Automatik ihn wecken und er hätte die absolut tödliche Aufgabe, das NICHTS aus den Tiefen zu befreien, auf dass es die Erde vernichtete und somit auch den Mond und ihn selbst. Keine schöne Sache – wirklich nicht! Aber er war der ebenfalls hochgeachtete Kraterwächter und ein Wesen des Elfenreiches – darauf war Strull sehr stolz. Er bekam ein autorisiertes Vorankündigungssignal des violetten Elfentors auf den Panoramabildschirm, der die Messwerte der Zeit anzeigte, die an der Station zerrte – sie befand sich ja zehn Minuten in der Zukunft, um unsichtbar zu sein – sowie alle andere Daten und die Südpolregion des Mondes. Das musste der Elementarteilchenversteher sein! Strull taperte mit einigen Pseudopodien, die er nach Belieben bilden konnte, auf das Tor zu, entriegelte es mit einem geheimen Code und wartete. Auf der Gegenseite wurde grünes Licht gegeben. Das Tor leuchtete auf und heraus trat nicht der erwartete ehrenwerte Elementarteilchenversteher, sondern eines der schaurigsten Wesen, die er je gesehen hatte.
Luise ließ eine neue Rohrpostkapsel aus dem Magazin in die Abschussvorrichtung transportieren und machte eine einladende Geste zu Pfnörgel. Dieser lächelte Luise an und sagte: „Behalte mich mal im Auge in der Kraterstation!“
„Kein Problem!“, rief Luise ihm grinsend über den Lärm der Hydraulik zu, die die Luke der Kapsel verschloss und die Kapsel ins Katapult der Schleuse beförderte. „Ich habe mehrere Hyper-Webcams in der Kraterstation, aber das hast du nun nicht gehört!“, rief sie noch schnell. „Was hast du gesagt?!“, rief Pfnörgel schelmisch zurück.
Eine monotone Computerstimme zählte einen Countdown von zehn auf null im Sekundentakt runter. Die Technik auf dieser Station war schon beeindruckend, die Kapsel hatte tatsächlich sowas wie Andruckabsorber. Pfnörgel bemerkte die Beschleunigung nicht im Geringsten. Bereits nach wenigen Sekunden schoss die Kapsel durch das Weltraumelfentor und er materialisierte in der Schleusenkammer der Mondstation. Die Luke öffnete sich und Pfnörgel stieg mit etwas zittrigen Knien aus. Die Innentür der Schleuse öffnete sich mit einem hydraulischen Geräusch und Pfnörgel betrat die Kraterstation. Mit einem lauten Knall platzte urplötzlich sein pinkfarbener Time-Slip Schutzanzug ab und die auspolsternde Torfblumenerde und die Reste des Anzugs verteilten sich in weitem Umkreis. Sofort eilte ein Serviceroboter herbei und saugte alle Verunreinigungen in hektischer Eile auf. Zufrieden sah sich Pfnörgel in der Empfangshalle der Station um und winkte in eine Webcam an der Decke.
Er konnte nicht wissen, dass Luise in diesem Moment noch ganz andere Dinge sah und er konnte auch nicht wissen, dass in der Verteilerstation Zeta UMi alle Alarmsirenen schrillten, weil Luise die Station in den Status Defense Condition 1 (kurz DEFCON 1) versetzt hatte. DEFCON 1 war der höchste Alarmzustand und sah alle nur technisch machbaren Maßnahmen gegenüber einer Gefahr von außen vor. Luise schwang sich auf eine kleine Schwebeplattform und steuerte sie zur Schleuse, die die Beiboote der Station beherbergte. Sie wählte einen Elfen-Jet vom Typ Neutrino, schwebte in die kleine Zentrale, die extra auf ihre Bedürfnisse angepasst worden war, und setzte sich den Servo-Helm auf den zierlichen, bepelzten Kopf. Zwei Löcher sorgten dafür, dass ihre spitzen Ohren nicht eingeknickt wurden. Sie saß im Pilotensessel und schaltete den Vogel auf Alarmstart. Das Außenschott der Schleuse war mittlerweile geöffnet und das Schleusenkatapult beförderte die Neutrino 1 mit unglaublicher Beschleunigung in den freien Raum. Luise hatte inzwischen den Kurs programmiert und lehnte sich zurück. Nach wenigen Sekunden hatte die Neutrino 1die Eintrittsgeschwindigkeit in den Hyperraum erreicht – so konnten unglaubliche Entfernungen in sehr kurzer Zeit überbrückt werden. Ein schräger, aber megagenialer Professor in der Menschenwelt hatte diesen Antrieb mal auf dem Papier erfunden, aber nicht die technischen Möglichkeiten besessen, ihn zusammenzuschrauben – das haben dann die Kobolde im Elfenreich erledigt.
Das Raum-Zeit-Gefüge wurde ein wenig erschüttert, als Luise mit der Neutrino 1 zurück ins Einsteinuniversum rauschte und der Mond bereits in Sicht kam. Heute hatte sie keine Augen für die bizarre Schönheit der Krater und Gebirge, als sie die Südpolregion des Mondes erreichte. Sie schaltete auf Handsteuerung um.
Der Südpol des Mondes und die von rechts unten aus eingezeichnete Flugbahn der Neutrino 1 zum Shackleton-Krater.
Gezeichnet von Theo Gremme
Unter ihr zog der riesige Krater Schrödinger8 vorbei, dann flog sie eine lange Linkskurve und schwebte, nun schon sehr langsam geworden, über Amundsen und dessen imposantem Zentralgebirge, dann folgte Faustini und endlich kam Shackleton in Sicht. Die Neutrino 1 senkte sich langsam auf Prallfeldern in den tiefen, dunklen und eisigen Krater. Luise sah ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die Kraterstation war als aus sich selbst heraus leuchtende Kuppel in der Mitte des sonst völlig finsteren Kraterinneren sichtbar! Das bedeutete, dass sie sich nicht mehr zehn Minuten in der Zukunft befand. Und das wiederum bedeutete, dass das erste Siegel, um das NICHTS freizulassen, bereits gebrochen war. In dem Falle machte eine Tarnung der Station keinen Sinn mehr, daher schaltete der Computer die Zeittarnung ab. Luise hatte so etwas wie einen Generalschlüssel für die Kraterstation in Form eines Codegebers, den sie nun betätigte. Die Schleuse der Station öffnete sich, Luise steuerte die Neutrino 1 hinein und setzte sanft auf. Ja, sie hatte den potthässlichen, schleimigen Riesenkäfer über die Hyper-Webcam gesehen und sich sofort auf den Weg gemacht.
Der Riesenkäfer schaltete das violette Portal wieder auf Sendung. So verhinderte er, dass ihm jemand folgen konnte und es gab ihm die Möglichkeit, sich nach getaner Arbeit blitzschnell wieder absetzen zu können. Dann wankte er grunzend auf den armen Strull zu, der immer noch wie erstarrt vor ihm stand. Eggy packte den zitternden Strull einfach mit seinen Käferzangen und röchelte dumpf grollend: „So, kleiner Strullemann, ich habe wenig Zeit! Wir gehen jetzt mal eben schnell das NICHTS rauslassen! Aber zackig! Wir essen zeitig!“