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Was Sie für dieses Buch brauchen: ein bequemes Sofa, nervenberuhigende Getränke und Sinn für teilweise megaschrägen Humor; Fantasie, aber auch hoffnungslose Romantik. Es wird spannend und tiefgründig, wenn Theo Gremme Sie in die Welt seiner Fantasy- und Schmunzelhorrorgeschichten, seiner Kurzkrimis und Liebesgeschichten entführt.
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Seitenzahl: 149
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Für Annette
Vorwort
Ta` Saghi
Der Baum
Traumgeister des Grenzlandes
Ein Loch in der Traumwelt
„Die Fahrkarten bitte!“
Die Sternenfrau
Eine Zeitgeschichte
Bumerangspiel
„Dies ist ein Überfall!“
Die Kaufhausdetektivin
Feuerwerk
Goldener Käfig
Telefonterror
Versunken
Die Durchgespülten
Der reinste Horror
Es wartet auf dich
Der Aufzug des Grauens
Schmunzelhorror am Kamin
Mikado
Monster-Gewerkschaft
Alte Geschichten
Das Lied des Seins
Diese Geschichten sind natürlich wie immer frei erfunden. Auch der Ich-Erzähler ist frei erfunden und mit dem Autor nicht identisch! Ähnlichkeiten mit real existierenden Wesen und Orten sind rein zufällig und selbstverständlich nicht beabsichtigt!
Autor und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für alles, was durch die Lektüre dieses Buches passieren kann!
Seit über 23 Jahren gibt es sie nun, die Multimedia-Autoren-Lesungen am Kamin in Datteln. In der Zeit sind viele Geschichten geschrieben und dort vorgelesen worden. Ein paar davon aus meiner Feder möchte ich in diesem Büchlein veröffentlichen. Einige davon sind auch schon früher in den Büchern „Ta`Saghi“, „Wenn die Grenzen zerfließen“, „Schmunzelhorror am Kamin“ und „Tagträume am Kamin“ erschienen. Auch in sogenannten Lesungsausgaben, die nur bei unseren Lesungen erhältlich waren (ohne ISBN), sind einige Geschichten, die Sie nun in diesem Büchlein finden, abgedruckt worden. Einige stammen noch aus der Zeit, als ich für eine Tageszeitung geschrieben habe – in der Zeit musste ich jeden Tag, außer sonntags, eine Geschichte abliefern. Dort war ich alleiniger Geschichtenlieferant und habe unter vier verschiedenen Pseudonymen geschrieben. Das war eine sehr schräge Zeit. Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß und kurzweilige Momente mit meinen kleinen sehr unterschiedlichen Geschichten. ☺
Prolog:
... in den Grotten der Felsen flackerte Kerzenlicht und ein vertrauter, liebevoller Gesang wie von vielen kleinen und doch machtvollen Stimmen floss aus den Höhlen ...
... der uralte Zauber der Ta’ Saghi jagte durch die Schluchten und Grotten... fegte in magischen Spiralen die Felsen empor ... fest verbunden mit diesem Ort ...
... die Menschen, die von diesem Ort angezogen wurden, konnten diese Kraft fühlen, obwohl viele nicht einmal ahnten, was hier geschehen war ...
„Auch am Nachmittag sonniges Herbstwetter mit Temperaturen bis zu 22 Grad. In der kommenden klaren Nacht sinkt das Quecksilber auf 8 bis 6 Grad. Morgens verbreitet Frühnebel, danach überwiegend heiter bei Temperaturen zwischen 18 und 20 Grad. Und die weiteren Aussichten: Das sonnige Herbstwetter bleibt uns noch einige Tage erhalten, es wird aber merklich kühler. - Und nun der Verkehrslagebericht: Stau und zähfließenden Verkehr meldet die Polizei von folgenden Autobahnen und Fernstraßen ...“
Darius hörte sich noch die Verkehrsnachrichten an – seine Fahrtroute war nicht von Staus betroffen – und schaltete dann auf Verkehrsdecoder um. Das Autoradio verstummte.
Dieser Ausflug war seit langer Zeit die erste Aktivität, die er sich gönnte und auf die er sich schon eine ganze Weile gefreut hatte. Das Wetter konnte gar nicht schöner sein, und die kommende Nacht würde eine klare und keinesfalls irgendeine Vollmondnacht werden.
Darius’ Gedanken glitten zurück in die Vergangenheit: Alina hatte ihn einfach kaltherzig abserviert, ohne ihm auch nur die geringste Chance zu lassen! Sie hatte ihn eines Abends telefonisch darüber informiert, dass sie sich in einen anderen verliebt hätte. – Feige war sie auch noch: Am Telefon muss man niemandem in die Augen sehen.
Sicher, Darius war auch mal „fremdgegangen“, weil es zwischen Alina und ihm ziemlich gravierende Spannungen gab, aber Alina hatte eine Chance gehabt, die sie auch wahrgenommen hatte, genau wie Darius eine Chance wahrgenommen hätte – aber er hatte keine bekommen. Einen simplen Seitensprung hätte er ihr sicher verziehen, obwohl sie ihm sehr weh damit getan hätte. Aber das hier war das sofortige und absolute Ende ohne Ultimatum – keine einfache Retourkutsche.
Es hatte Darius im Innersten verletzt. Von diesem Ereignis überrannt und mit einer noch nie so schlimm empfundenen Trauer in der Seele hatte er damals auf einer Bank in der Fußgängerzone seiner Heimatstadt gesessen. Alina war seine ganz große Liebe gewesen, war es immer noch. Um ihn herum hatte hektisches Treiben geherrscht, aber er hörte und sah das alles nicht. Das Einzige, was in sein Bewusstsein gedrungen war, war das dumpfe Dröhnen einer Trommel gewesen – einer indianischen Trommel, ein ruhiger dunkler Klang.
Darius hatte hochgeschaut und tatsächlich saß auf der anderen Straßenseite ein farbenprächtig gekleideter Indianer mit einem kantigen, aber sehr vertrauenswürdigen Gesicht und gebräunter Haut. Er hatte Darius direkt in die Augen gesehen und dabei seine Trommel geschlagen. Darius hatte noch andere Indianer durch die Fußgängerzone ziehen sehen. Einige Plakate hatten die Vorführung von indianischen Tänzen und Musik auf dem Marktplatz verkündet. Sein Gegenüber war langsam aufgestanden und zu ihm herüber gekommen, hatte sich einfach neben Darius gesetzt und mit einer sehr angenehmen dunklen Stimme gesagt: „Du trauerst um eine mächtige Liebe.“
Darius hatte erstaunt gestammelt: „Sieht man das?“
Der Indianer hatte nur gelächelt: „Den Schrei deiner Seele hört man bis zum Mittelpunkt der Erde!“
Darius hatte nur genickt und Tränen waren ihm in die Augen gestiegen.
„Am Ende einer mächtigen Liebe hast du nur eine Möglichkeit: Du musst durch die leeren Räume deiner Seele wandern ... durch die heilende Stille gehen ... die große und mächtige Musik der Sterne hören ... nur dann kann dir der Mensch begegnen, der dein Schicksal ist ... den du schon immer suchst ... sie ist dir noch nicht begegnet, obwohl du es oft geglaubt hast. Gehe durch die leeren Räume deiner Seele ... säubere sie von allen Resten der Vergangenheit ... stelle dich dem Nichts ... jeder, der das nicht tut, wird den ihm bestimmten Menschen niemals finden, auch wenn es so scheint, es ist niemals von Dauer ... und dann besuche den Mittelpunkt der Erde, mein Freund.“
So hatte der Indianer mit ruhiger Stimme gesprochen und einen einfach aussehenden Stein mit einem Mondsymbol auf der Vorderseite an einem Lederband um Darius’ Hals gehängt.
Danach hatte er ihm den Weg zum Mittelpunkt der Erde erklärt, und Darius war nicht nur darüber erstaunt, dass dieser Ort für die Indianer auf der Erdoberfläche zu finden war, sondern dass er diesen Ort bereits kannte. Als Kind war er schon mal dagewesen und bereits damals hatte ihn dieser Ort fasziniert. Der Mittelpunkt der Erde war für Darius gar nicht mal so weit weg und durchaus erreichbar....
Darius’ Gedanken wurden vom Autoradio wieder in die Gegenwart geholt: Staumeldungen, die ihn wieder nicht betrafen. Ja, er hatte die leeren Räume seiner Seele durchwandert ...
Tage ...
Nächte ...
Wochen ...
Monate ...
und heute war der Tag, den der Indianer ihm als den „Tag der Ta’ Saghi“ genannt hatte. Die Ta’ Saghi ist eine unsterbliche Wesenheit, welche im Körper eines auserwählten Menschen alle 200 Jahre einmal am Mittelpunkt der Erde in Erscheinung tritt und eine die Seelen heilende, friedenbringende, liebevolle Woge weit über das Land treiben und Suchende finden lässt.
Astronomisch konnte der Zeitpunkt nach den Angaben des alten Indianers sogar genau bestimmt werden. Genau bei der Deklination Null, die dem Himmelsäquator entspricht, würde heute Abend um 22.17 Uhr der Vollmond genau zwischen zwei bestimmten und ganz besonderen Felsen auf einen heiligen Ort strahlen und auf die Ta’ Saghi. Gestern hatte der Saturn direkt unter dem fast vollen Mond gestanden, auch das hatte der Indianer damals angekündigt.
Darius verließ die Autobahn. Es war nun Viertel vor Drei und er würde in etwa 30 Minuten sein Ziel erreichen.
Als er im Dorf angekommen war und vor einem kleinen Gasthof aus dem Auto stieg, umfing ihn warme, klare Herbstluft. Er fragte die freundliche Gastwirtin nach dem Weg zu seinem Zielpunkt. Sie lächelte wissend und sagte: „Die Indianer sagen, heute sei die Nacht der Ta’ Saghi.“
Ein Schauer durchlief Darius, als die Frau dies sagte und ihm den Weg auf einer sehr genauen Landkarte zeigte. Den Nachmittag verbrachte er im Garten des Gasthofes mit der Lektüre eines Buches über den Ort, den er gleich aufsuchen würde. Es beleuchtete nur wenige Geheimnisse dieses uralten, magischen und zugleich heiligen Ortes.
Als die Dämmerung hereinbrach, ging Darius in die Gaststube, um noch ein Abendessen einzunehmen. Als er sich gegen 20 Uhr, gehüllt in eine warme Jacke, bewaffnet mit der Landkarte und einer starken Taschenlampe auf den Weg machte, war es bereits dunkel und der Vollmond drang mit seinem bleichen, silbernen Licht durch die Bäume und beleuchtete schwach den schmalen Waldweg.
Darius beschloss, die Taschenlampe nur im Notfall zu benutzen, und ließ sie griffbereit in seiner Jackentasche. Rechts neben dem Weg spiegelte sich der Mond in der vom Wind leicht bewegten Wasseroberfläche eines kleinen Sees. Kaum merklich stieg der Weg an.
Die Bäume standen hier dichter und in der Ferne konnte Darius plötzlich einen ihm wohl vertrauten Klang hören, den Klang einer indianischen Trommel, die beruhigend und dunkel den Wald durchdrang.
An einer Weggabelung musste Darius nun doch die Taschenlampe benutzen, um sich nach einem Blick auf die Karte für den linken Weg zu entscheiden. Weit vor sich sah er helles Mondlicht. Seine Augen hatten sich schon gut an die Dunkelheit gewöhnt, so dass ihm das Licht des Mondes als sehr hell erschien. Es waren vielleicht noch fünfzig Schritte bis zum Waldrand. Ohne vorher auch nur das geringste Geräusch wahrgenommen zu haben, hörte er plötzlich neben sich eine vertraute Stimme sagen: „Da bist du ja, mein Freund!“
Zwei Schritte neben ihm stand der alte Indianer. Diesmal trug er jedoch keine indianische Kleidung, sondern eine blaue Jeans, ein kariertes Flanellhemd, dessen Farbe bei dem schwachen Licht nicht zu bestimmen war, und eine gefütterte Steppjacke ohne Ärmel.
Er lächelte und sagte: „Mein Name ist nicht so wichtig, gleichwohl sollst du ihn wissen. Ich bin Antehnu.“ Darius war erstaunlicherweise gar nicht erschrocken, dass Antehnu so plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er lächelte einfach nur zurück.
Gemeinsam gingen sie den Weg hinunter auf den nahen Waldrand zu. Hinter den Bäumen wurde es nun merklich heller, eine große weite mondbeschienene Grasfläche musste hinter den Bäumen liegen.
Antehnu sagte zu Darius: „Schließe jetzt deine Augen und öffne sie erst wieder, wenn ich es sage. Und noch eines merke dir gut: Du kannst in dieser Nacht nichts falsch machen. Denke daran, ganz gleich, was auch immer geschehen wird.“
Darius schloss die Augen und ließ sich von Antehnu bis auf die Grasfläche direkt hinter dem Waldrand führen. Er konnte hinter den Augenlidern das Mondlicht wahrnehmen.
„Wenn du bereit bist“, sagte Antehnu, „dann öffne deine Augen!“
Ein merkwürdiges Vibrieren drang durch Darius’ Füße in seinen Körper und breitete sich dort in jeder Zelle aus. Es war wie ein elektrisches Prickeln, und er hatte das Gefühl, mit seinen Füßen nicht richtig den Boden zu berühren. Er nahm nun all seinen Mut zusammen und öffnete die Augen.
Es ist nicht einfach zu beschreiben, was Darius nun sah, hörte und spürte. Zwei Ereignisse geschahen gleichzeitig in dem Moment, als er die Augen öffnete: Darius hörte ein dunkles, sehr intensives, warmes, erdiges Summen. Es war überall. Er badete darin. Es kam von den Sternen, aus den Felsen und aus der Erde. Ein summender, vibrierender Erdton wie von Millionen dunkler, warmer Stimmen.
Darius hielt sich vorsichtig die Ohren zu, aber das Summen war trotzdem noch da. Er hörte es nicht über seine Ohren, es war in ihm. Gleichzeitig sah er sie und zur selben Zeit mit dem Beginn des Summens nahm er das überwältigende, gigantische Panorama der hohen Steine und Felsen wahr. Darius stand auf einer weiten, mondbeschienenen Grasfläche. In weniger als zweihundert Metern Entfernung ragten sie auf, die Sternengöttersteine.
Darius hatte in seinem Buch bereits ein Bild davon gesehen, aber das war bei Tageslicht aufgenommen worden und eben nur ein Foto. Aber das hier ... fast zu viel für menschliche Sinne. Die Felsen schienen genau wie alles andere um ihn herum den Erdton zu summen, beschienen von Mondlicht. Rechts, ein Stück noch in einem großen Waldsee stehend, ragte der erste Felsen in den Himmel. Links davon reckte sich der Turmfelsen mit der Sonnenkammer auf seinem Gipfel in die sternklare Nacht.
Noch etwas weiter links in der gleichen Reihe der dritte Felsen, durch einen breiten Weg vom vierten Felsen getrennt, auf welchem ganz oben, deutlich gegen das Mondlicht zu erkennen, der riesige Wackelstein hing. Darunter der hängende steinerne Gott Odin. Hinter dem fünften Felsen versteckten sich noch eine große Anzahl weiterer Felsen im angrenzenden, hügeligen Wald.
Und alles summte tief im Innern das Lied der Erde. Es dauerte eine Weile, bis Darius seine Beine bewegen konnte und zusammen mit Antehnu langsam über die Grasfläche, auf der nur ein einziger großer Baum stand, auf den ersten Felsen und das Ufer des Sees zuging. Darius bemerkte, dass sie nicht allein waren, von überall her kamen Frauen und Männer, ganz junge, junge und alte, sternförmig auf den Felsen zu. Am Fuße des Felsens erkannte Darius das Bogengrab.
Davon war in seinem Buch auch ein Foto gewesen. Das Grab bestand aus einem kuppelartigen Felsen mit einer Bogenöffnung vorn, in dessen unterem Sockel ein steinerner Sarkophag in Menschenform eingearbeitet war. Dieser Sarkophag war allerdings nie für Tote erbaut worden, sondern für lebende Menschen, die dort besondere Kräfte empfangen konnten.
Rechts und links des Grabfelsens befanden sich ausgetretene Reste von Stufen, die zu einer kleinen Plattform auf dem Grabfelsen führten. Antehnu stand neben Darius und sagte: „Wenn die Zeit gekommen ist, wird der Mond genau zwischen dem Wackelstein auf dem vierten Felsen und der Felswand des ersten Felsens durchscheinen. Der Mond scheint dann genau oben auf den Grabfelsen und dort wird die Ta’ Saghi in diese Welt treten.“
Darius erschauerte bei diesen Worten und sah auf die Uhr. Das Ereignis würde in genau 14 Minuten stattfinden. Darius betrachtete die anderen Menschen um ihn herum. Nur manchmal hörte er leise Worte, alle schienen das Summen der Sterne, der Felsen und der Erde zu hören, und alle schienen mitzusummen.
Darius’ Blick wurde von einer jungen Frau angezogen, die ganz in ein langes, strahlend weißes Gewand gehüllt war. Ihr ebenmäßiges, ausdrucksstarkes Gesicht wurde von hüftlangen, dunklen, lockigen Haaren umrahmt. Sie war wunderschön. Sie sah Darius lange schweigend aus tiefdunklen Augen an, nur wenige Schritte von ihm entfernt.
Und plötzlich wusste Darius, was zu tun war: Er ging auf sie zu und hörte seine eigene Stimme sagen: „Geh nach oben auf den Grabhügel, ich helfe dir dabei.“
Sie sah ihn erschrocken an: „Das kann ich nicht“, sagte sie ängstlich mit einer leisen Stimme, die ihn tief in seiner Seele anrührte.
„Doch, du kannst es“, hörte Darius seine eigene Stimme sagen.
„Mach es einfach. Auch du kannst in dieser Nacht nichts falsch machen.“ Er nahm sie bei der Hand und führte sie die Stufen hinauf. Oben auf der Plattform drehte er sie mit dem Gesicht in Richtung Wackelstein. Der Mond war nur noch zweimal die Breite seines eigenen Durchmessers vom Wackelstein entfernt. Zwei Minuten würde der Mond benötigen, um einmal unter seiner eigenen Scheibe hervorzuwandern und in knapp vier Minuten würde er hinter dem Wackelstein verschwinden. Darius hielt die Frau sanft an ihren Armen und fragte: „Wie ist dein Name?“
„Kirana“, flüsterte sie.
„Dir kann nichts Böses geschehen, Kirana“, sagte Darius mit ruhiger Stimme.
Sie sah ihn mit ihren wunderschönen Augen, in denen sich nun der Mond spiegelte, an und flüsterte: „Ich habe Angst ...“
„Ich auch ...“, sagte Darius nur und ging die Stufen hinab.
Unten erwartete ihn Antehnu, nickte ihm ermutigend zu und sagte: „Deine Wahl war gut.“
Der Mond war nun hinter dem Wackelstein verschwunden, und wenn er auf der anderen Seite wieder hervortreten würde, zwischen dem Stein und der Felswand, dann würde die Zeit gekommen sein. Auf der rechten Seite des Wackelsteins nahm nun die Helligkeit zu und die Sichel des Mondes schob sich hervor, wurde rasch größer, und als die volle Mondscheibe erstrahlte, geschah es: Ein heller triumphaler Ton, wie von Tausenden Instrumenten eines kosmischen Orchesters, ließ das allgegenwärtige Summen eine Oktave höher klingen.
Kirana breitete die Arme aus und erstrahlte blendend hell in weißem Licht, welches den Augen nicht wehtat. Aus sich selbst heraus leuchtete sie. In ihrer unmittelbaren Nähe schien es keine Schwerkraft mehr zu geben, denn ihre langen Haare umwehten ihren Körper und Kopf wie im Wind.
Kiranas Gewand wehte langsam, als ob auch die Zeit anderen Gesetzen unterlag in diesem Wind aus uralter Zauberkraft. Sie öffnete die Lippen und begann, mit einer kristallklaren, silbernen, in jeden Winkel der Räume der Seele eindringenden Stimme das alte indianische Lied der Erde zu singen. Niemals im Leben zuvor hatte Darius eine solch reine, anmutige und doch mächtige Stimme gehört. Sie verströmte Liebe, Wärme und Frieden und ein nie gekanntes Gefühl von Geborgenheit.
Weit über das Land, die Felsen, den Wald und die Hügel trug ihre Stimme die Kraft der Liebe, des Erkennens und des sich Wiederfindens zu den schlafenden Menschen. Zeit verlor ihre Bedeutung. Alle Menschen an und um die hohen Steinen standen tränenerfüllt mit weit offenen Sinnen da und empfingen die Kraft der Ta’ Saghi ...
Es war ganz plötzlich zu Ende, als der Mond hinter der Felswand verschwand. Antehnu stand hinter Kirana, als sie wie tot in sich zusammensank. Er fing sie mit kräftigen Armen auf, trug sie die Stufen hinunter und legte sie Darius mit den Worten in die Arme: „Du bist in dieser Nacht für sie verantwortlich. Gib ihr deine Wärme, sonst stirbt sie. Sie hat fast all ihre Kräfte verbraucht.“
Kiranas Körper dampfte leicht in der Kühle der Nacht. Es herrschte völlige Stille. Das Summen war verstummt ... nein, es war nur ganz leise.
„Folge der Trommel und gehe in dein Leben“, sagte Antehnu und ging auf den Wald zu.
Wortlos folgten auch die anderen Menschen seinem Beispiel. Da stand Darius nun, auf seinen Armen trug er Kirana, die nur noch flach atmete. Er bekam Angst ... eine Riesenangst, sie könnte sterben. Er hörte die Trommel und stieg mit Kirana in die Hügel. Er musste aufpassen, nicht zu stürzen. Nach wenigen Minuten erreichte er eine große Felsmulde hoch auf einem Hügel über der großen Grasfläche, auf der nur ein einziger Baum stand.