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Psychotherapie hilft dabei, Leiden zu mindern, es aufzuheben oder zumindest handhabbar zu machen. Psychoanalytische Therapie will die Symptome zugleich verstehen; sie sieht in ihnen nicht nur eine Störung, sondern geht von ihrem – oftmals verborgenen – subjektiven Sinn aus, der sie mit den persönlichen Erfahrungen, Wünschen, Konflikten und Traumata der Lebensgeschichte verbindet. Psychoanalyse nutzt in besonderer Weise die therapeutische Beziehung als Erkenntnismittel. Der Andere in der Beziehung ist notwendig, damit die Selbsterkenntnis sich erweitert und Selbsttäuschungen aufgehoben werden können. Mit dem Anderen und durch ihn kann das Andere der Erfahrung, das bislang ausgeklammert blieb und sich nicht darstellen konnte, erkennbar und vielleicht verstehbar werden. Joachim Küchenhoff beschreibt die spezifischen Erkenntniswege in der Psychoanalyse. Sie nachzuzeichnen ist nicht allein erkenntnistheoretisch, sondern zugleich klinisch-praktisch von Belang.
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Seitenzahl: 99
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Herausgegeben von
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Joachim Küchenhoff
Sich verstehen im Anderen
Erkenntniswege der Psychoanalyse
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.de abrufbar.
© 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 GöttingenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlagabbildung: Paul Klee, Geöffnet, 1933/akg-images
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISSN 2566-6401ISBN 978-3-647-99920-3
Vorwort zur Reihe
Vorwort zum Band
Vorbemerkungen
Teil 1: Der Andere
1.1Der Andere/die Andere als Alter Ego
1.1.1Alter Ego als Seelenbegleiter
1.1.2Alter Ego als Identifikationsobjekt
1.1.3Alter Ego als Vorbild
1.2Der Andere/die Andere als Fremde(r)
1.2.1Der/die Fremde als Voraussetzung jeder Erfahrung
1.2.2Der Fremde als der unverfügbar Andere (vom Objekt zum Anderen)
1.2.3Wunsch (désir) und Neugier vis-à-vis dem Fremdem
1.2.4Der Fremde als Spiegel der Fremdheit im Selbst
1.3Der Andere als Dritter
1.3.1Die Anerkennung der Beziehung der Anderen untereinander
1.3.2Die Entlastung durch die dritten Anderen
1.3.3Die Dritten als Geschwister in Solidarität
1.4Zusammenfassung
Teil 2: Das Andere
2.1Das Negative in der Psychoanalyse
2.2Die produktive Seite des Negativen aus Sicht der Psychoanalyse
2.3Klinische Dynamik der Negativität
2.3.1Die Ebene der Verdrängung
2.3.2Die Ebene der Spaltung
2.3.3Die Ebene der Verwerfung
2.4Grenzen der Positivierung des Negativen
2.5Zusammenfassung
Teil 3: Therapeutische Beziehung und die Gabe
3.1Austausch von Worten – der privilegierte Erkenntnisweg in der Psychoanalyse?
3.2Hören und Sprechen als Erkenntniswege der Psychoanalyse
3.3Das Begehren in der Sprache und im Gespräch
3.4Limitationen der Tauschbeziehung
3.5Gabe statt Tausch
3.6Die psychoanalytische Situation als Gabe
Teil 4: Verstehen und Negative Hermeneutik
Literatur
Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.
Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten und Patientinnen hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich die Leserin, der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.
Themenschwerpunkte sind unter anderem:
–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.
–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.
–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.
–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.
–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Soziale Arbeit, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.
–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.
Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Die Anliegen der Psychoanalyse erfordern angemessene Erkenntnismethoden: Kann manchmal ein Denken jenseits von Eindeutigkeit und Geradlinigkeit dem Erkenntnisgegenstand des seelischen Innenlebens eher angemessen sein? Schon der Titel des Buches ist zweideutig gewählt. So bildet »der Andere« das menschliche Gegenüber, dem wir dialogisch zugewandt sind, »das Andere« hingegen umfasst jene Intentionen und Gefühle, über die das Selbst nicht jederzeit selbstreflexiv verfügen kann. Innere und äußere Spiegelungen stehen in einem dynamischen Wechselverhältnis.
Im ersten Teil des Buches geht es um die Frage, wer der Andere »als Mitmensch« ist. Der Andere kann als »Alter Ego« das zweite Ich sein oder als Seelenbegleiter und Identifikationsobjekt fungieren. Der Andere kann aber auch das Fremde verkörpern und als unverfügbares Wesen oder als Wunschobjekt unerreichbar bleiben. Jedenfalls ist der Fremde ein Spiegel der Fremdheit im Selbst. Im Anderen als Dritten kommt zum Ausdruck, dass der Andere noch Anderen verpflichtet sein kann. In jeder Form unterstützt der Andere das Selbst in seinem Wachstum. Die Erkenntnis der Differenz geht mit einem doppelten Gewinn einher: Im Dialog entwickelt sich das Selbst, die Verankerung der Erfahrung »in dem Zusammenwirken mit Dritten« gibt auch Sicherheit. Das soziale Miteinander bedeutet den Verzicht auf utopische Wünsche des »im Anderen Gehaltenseins« zugunsten einer wechselseitigen Solidarität, die Zugehörigkeit ermöglicht.
Der zweite Teil definiert das Andere in der Person über den Begriff des »Negativen«. Das Negative ist das, was fehlt. Es handelt sich dabei um die unvermeidbare Unvollkommenheit, den Mangel, aber auch um das Übel, das dem Menschen Leid und Krankheit zufügt. Diesem »Malum physicum« wird ein »Malum metaphysicum« gegenübergestellt. Damit sind die Brüche im Selbstverhältnis durch das Unbewusste, die Brüche zwischen Trieb und Sprache sowie die Brüche in den Beziehungen als »konstitutive Mängel« gemeint. Dem Negativen wird auch eine produktive Seite abgewonnen. Aber nicht in allen klinischen Phänomenen, denen wir begegnen, kann ein Sinn gefunden werden. Es gibt auch unverstehbares Leid, das nicht »in Sinn umgemünzt« werden kann und soll.
In Teil drei wird die therapeutische Beziehung näher analysiert. Hören und Sprechen bilden dabei Erkenntniswege der Psychoanalyse. Der Austausch von Gedanken und Worten kann jedoch nicht als Tauschbeziehung konzeptualisiert werden. Vielmehr geht es um das Konzept »der Gabe« nach dem Ethnologen Marcel Mauss. Die Beziehung in der Psychoanalyse ist nicht nach dem Prinzip des Warentausches zu denken, sondern durch das »Schenken« als wechselseitiger Prozess charakterisiert. Dieser definiert sich nicht durch Reziprozität, sondern als eine »rückkehrlose Aussendung« und die Annahme derselben durch den Anderen. Psychoanalytische Erkenntnis bildet sich aus der Gabe des Gesprächs nachträglich heraus. Ebenso werden in der Sprache Zusammenhänge aufgedeckt, die zuvor verborgen geblieben waren, als auch Worte in anderen klinischen Zusammenhängen gefunden, wo vorher Zusammenhänge gar nicht denkbar waren.
Teil vier handelt vom Verstehen, das als negative Hermeneutik konzeptualisiert wird. Etwas verstehen zu wollen, bedingt »im Verfahren selbst eine Negativität«, was eine »Einklammerung« der normalpsychologischen Erklärungsversuche bedeutet. Das Andere als das Negative ist der Erkenntnisgegenstand. Zuhören und freie Assoziation bemühen sich, »eine Leere herzustellen«, eine Voreingenommenheit zu suspendieren. Die Negation des eingespielten Verstehens ist die Voraussetzung. Sie soll eine Öffnung auf ein neues ungewohntes Verstehen ermöglichen. Ein solcher Prozess kommt an kein dauerhaftes Ende.
Sich auf dieses fundierte Buch einzulassen, sich den eröffneten Perspektiven zu stellen, die kulturphilosophisch klargestellten Zusammenhänge zu erfassen und einfach die unterschiedlichen Erkenntniswege zu ermessen, ist keine »risikoreiche Beziehung«, sondern eine bereichernde Begegnung mit dem Autor.
Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke
Wer einmal an Leitlinien-Konferenzen teilgenommen hat, hat erlebt, wie wissenschaftstheoretische Standpunkte keineswegs abstrakt, sondern höchst folgenreich sind. Denn was als empirisch belegt gilt, das allein hat in den Leitlinien eine Chance. Was aber als Datum ernst genommen wird, darüber entscheidet das gerade gültige epistemologische Modell. Die Psychoanalyse hat auch da durchaus keinen schlechten Stand. Mehr und mehr werden Untersuchungen publiziert, die den Standards der positivistischen Wissenschaften genügen und belegen, dass psychoanalytisch fundierte Verfahren wirksam sind. Und dennoch hinkt psychoanalytische Forschung den Ansprüchen der Scientific Community, die das Terrain sichtet und aufteilt, hinterher. So sehr zu wünschen ist, dass ihr auch in diesem Bereich Flügel wachsen, so gut verständlich bleibt, dass viele Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker sich nicht beflügelt, sondern auf ihrem Weg behindert fühlen. Denn die Wege der psychoanalytischen Erkenntnis folgen anderen als den gängigen empirischen Richtungen.
Für viele Wissenschaftsbereiche bleibt unwidersprochen, dass sie für sich in Anspruch nehmen, ihrem Erkenntnisgegenstand angemessene Erkenntnismethoden einzusetzen. Die Psychoanalyse hat es da schwerer, weil sie sich – als eine Querschnittswissenschaft – ihren Weg durch sehr heterogene Felder bahnen muss. Sie soll der Medizin genügen, weil sie doch auch Heilkunst ist. Sie soll sich im Bereich der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften und der Psychologie behaupten. Sie wird von Philosophen und Kulturwissenschaften rezipiert und zu einem gehaltvollen Gespräch herausgefordert. Sehr leicht kommt sie dabei von ihrem eigenen Weg ab oder findet ihn gar nicht erst. Angemessen aber muss für die Anliegen der Psychoanalyse ihre ganz eigene Erkenntnismethode sein. Unbewusstes lässt sich nun einmal nicht in einer umstandslosen Unmittelbarkeit erfassen, sonst wäre es nicht mehr unbewusst. Dass aber der beste Weg der Erkenntnis nicht immer die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten sein kann, sondern dass der Umweg, die Mäander, vielleicht sogar die Weglosigkeit privilegiert und nobilitiert werden müssen, das fällt vor allem den Geradlinigen unter den Forschern und Praktikern oftmals schwer.
Der Titel des vorliegenden Buchs ist bewusst zweideutig gewählt. Die Formulierung »sich verstehen im Anderen« erlaubt es, dem Anderen zwei Bedeutungen und zwei Geschlechter zuzuordnen; einmal lässt sie sich lesen als »das Andere«, dann wieder als »der Andere«. Sich selbst zu verstehen, bedeutet immer auch, das Andere seiner selbst, die Intentionen und Gefühle, über die das eigene Selbst nicht verfügt und die ihm widerfahren, sehen und berücksichtigen zu können. Das aber gelingt nicht allein in der stillen Selbstreflexion. So wie die eigene Person sich von Anfang an in Beziehungen und im Bezug zu anderen Menschen bildet, so erweitert sich das Verstehen meiner selbst durch den Anderen, durch meine Spiegelung im und durch den Anderen, durch die gemeinsame Gestaltung von Beziehungen vor aller Reflexion. Deshalb beanspruchen Beziehungsqualitäten in der Psychoanalyse nach wie vor einen herausragenden Stellenwert, von denen Übertragung und Gegenübertragung, freie Assoziation und gleichschwebende Aufmerksamkeit am häufigsten betont werden.
Im Buchtitel enthalten ist bereits die einfache Gliederung der Inhalte. Wie sich über den Anderen das Andere anzeigt und vermittelt, um das Verstehen zu fördern, diese Wege werden in diesem Buch beschrieben. Daher werden die im Titel verwendeten Begriffe nacheinander aufgegriffen und bearbeitet: der Andere, das Andere, die Erkenntniswege der psychoanalytischen Praxis und schließlich das Verstehen.
Das Buch beginnt im ersten Teil mit einer Klärung der Rollen, die der oder die Andere in der Beziehung überhaupt einnehmen kann. Denn die Rede vom Anderen soll nicht zu einer Leerformel werden, sondern anschaulich und greifbar werden. Es geht im zweiten Teil ein auf die Qualität der Andersheit; wenn etwas anders ist, dann bestimmt es sich ja gerade durch etwas Negatives, dadurch also, dass es nicht so ist, wie es der Erwartung entspricht, dass es sich dem reflektierenden Zugriff oder der Handlungskompetenz entzieht. Die Andersheit wird daher durch das Merkmal der Negativität zu fassen versucht. Im dritten Teil werden die Erkenntnisse der ersten beiden Teile zusammengeführt und auf die analytische Erfahrung in der Therapie bezogen. Dabei steht die therapeutische Beziehung im Mittelpunkt, die es ermöglichen kann, sich im Anderen zu verstehen. Im vierten Teil wird das Verstehen allgemein und insbesondere das psychoanalytische Verstehen untersucht und gezeigt, dass dieses sich durchaus mit den neuen Ansätzen der Hermeneutik als einer Lehre vom Verstehen vereinbaren lässt.