Silvio scheitert an Gipsy - Lotar Martin Kamm - E-Book

Silvio scheitert an Gipsy E-Book

Lotar Martin Kamm

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Beschreibung

Silvio scheitert an Gipsy Stimmen im Hintergrund, eher flüsternd, nahezu ziellos miteinander tuschelten, während ich langsam zu mir kam aus einer schier endlos langen Nacht voller Unruhe. Ein heftiger Schlag gegen die Wand erschütterte sämtliche Gegenstände wie Tassen, Gläser, selbst das Besteck in der Schublande klapperte, eine Billiardkugel fiel auf den Parkettboden, rollte holpernd, ein wenig knirschend gen Glasvitrine.

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In Erinnerung an Gasbar (2001 – 2020)

Inhaltsverzeichnis

Alles nur Zufall?

Am Abend als National Crid in die Schlagzeilen geriet

Aufregung im Herbstlaub

Blick in die Zukunft keineswegs ein Hirngespinst

Bloß keine Bindung

Corona sei Dank – Peers Rückblick

Das Märchen vom Tarnkäppchen und dem scheinbar freien Wolf

Das Rätsel um Angelas Raute entlarvt

Dem Geheimnis des Weihnachtsmannes auf der Spur

Existenz des Menschen in Frage gestellt

Frühlingsanfang mit Rockaway Beach

Grenzenlose Gewalt auf ständiger Lauer

Herbstliches Sommermärchen in traumwandlerischer Wachsamkeit

Im Land der einsamen Wölfe

Im Rausch einer neuen Liebe

Im Reigen heftiger Unwetter

Neubeginn nach Lebensende

Neulich an einem Spätsommerabend

Offene Schnürsenkel mit Claptons „Cocaine“

Schulmädchenreport trägt beflügelte Gedanken hinfort

Silvio scheitert an Gipsy

Straffreier Raum Internet – wenn Zille sich austobt

Zwischenmenschliches auf stillem Örtchen

Alles nur Zufall?

Nachmittags in irgendeinem Industriegebiet

Prasselnder Regen erscheint manchmal völlig unerwartet die Gedanken in verschiedene Richtungen kreisenzulassen. Gerade mal noch alles weiß überzogen die Kälte des Winters den sehnsuchtsvoll erwarteten Frühling in weite Ferne verbannte, rückten milde Vorboten heran, um mit diesem Wolkenbruch einen Vorgeschmack lauer Tage zu liefern.

Ein blechern klingendes Geräusch gesellte sich zunächst kaum vernehmbar hinzu. Bei genauerem Hinsehen wurde schnell klar, wieso die Assoziation des Sounds dermaßen deutlich keinen anderen Grund zuließ. Eine Blechdose, gänzlich ohne Inhalt, das Etikett, welches mal einen Hinweis über ihn selbst lieferte, aufgeweicht ins Unleserliche nur am Bodenrand noch lose hing. Unweit der tristen Szene saßen zwei Obdachlose unter einem großzügigen Dachvorsprung einer Lagerhalle auf alten Matratzen, der eine in Gedanken versunken halb im Delirium vor sich hin-summend, der andere richtete sich just auf, verneigte sich und begann eine ernsthafte Rede vor imaginärem Publikum, welches tatsächlich außer der Blechdose nur noch aus ein paar eiligst davonhuschenden Mäusen bestand, die im nahen Gebüsch verschwanden.

„Meine sehr verehrten Damen und hochgeschätzten Herren, wie Sie allesamt sicherlich wissen“, verkündete er sichtlich bewegt, ein ganz klein wenig unmerklich schwankend, „überstürzten die Ereignisse der letzten Tage sich unaufhaltsam. Niemand hatte auch nur ansatzweise damit gerechnet, oder? Ob die plötzliche Amtsniederlegung des Heiligen Vaters, Pferdefleisch in Lasagne, in Pizzen oder sonstwo, die Gefahr aus dem All durch Meteoriten wie jetzt im Ural, Light-Limonade doch alles andere als gesund, um nur mal ein paar hier aufzuzählen, verdeutlichen sie uns etwas, dürfen wir als Hinweis werten, oder?“

Während der hagere, aber breitschultrige Mittvierziger kurzfristig innehielt, um sich umständlich eine schmale Flasche aus der grauen, langen Manteltasche hervorzukramen, streckte sein Kumpel sich der Länge nach hin, applaudierte heftig ohne bestimmte Rhythmik, sondern vielmehr unkoordiniert halbherzig, lachte kurz auf und drehte sich weg vom Geschehen. Angesichts der geringen Resonanz ob seiner Ansprache-Eröffnung, fühlte der selbsterkorene Redner sich aufgefordert, erst recht mit Nachdruck Argumente zu liefern.

„Was glauben Sie wohl, meine Herrschaften, was sich dahinter verbirgt? Haben Sie wirklich gedacht, daß alles sei purer Zufall oder geschehe einfach so? Nein, mitnichten!“, fuhr er sichtlich entrüstet fort, „man braucht nur eins und eins zusammenzählen, und schon haben wir nicht etwa zwei, sondern einen Zusammenhang, wer ihn denn sehen will.

Die einen bezeichnen es als Sodom und Gomorrha, andere wiederum als Vorsehung, Wink des Schicksals, der uns jetzt sämtlich erreicht, einige haben schon immer den Weltenuntergang prophezeit, denken wir an die Zeugen Jehovas, die nunmehr ihre Stunde wähnen, und so weiter. Na, klingelt’s bei Ihnen? Nein, nicht?“

Der Regen ließ genauso plötzlich nach wie er gekommen. Die gereinigte Luft nutzte ein kleiner Schwarm Spatzen, um sich zwitschernd ganz in der Nähe des Mäusegebüschs niederzulassen. Der Liegende schnarchte längst im Tiefschlaf versunken, was den Hageren nicht davon abhielt, seinen Redefluß zu beenden.

„Also gut, ich verrate es Ihnen!“, verkündete er sich etwas vorbeugend, seine Stimme senkend, als ob dort die erste Reihe des vermeintlichen Publikums ganz besonders konzentrierte Neugier ihm bescheinigen würde, „Sie müssen das in einem weitläufigen Kontext betrachten, sowie interpretieren und wie ein Puzzle zusammensetzen. Davor geschah schon allerhand, oder? Denken wir an 9/11, den weltweiten fortsetzenden Sozialabbau, die aus dem Hut gezauberten Krisen, die alles andere als echt waren, die steigende Arbeitslosigkeit, die daraus schneller wachsende Armut selbst im ach so reichen Westen, und so weiter. Immer noch alles purer Zufall?! Na, sicher doch, es passiert immer was, lassen wir es doch einfach geschehen.

Daß mein Kumpel und ich hier sind, daran sind wir doch selber schuld, sagen die Leute, die uns begegnen, ohne auch nur einmal ernsthaft uns zu fragen: wieso?! Ne ne, laßt man, ich habe schon verstanden. Wenn Sie nicht wollen, dann nur zu, einfach stets konsumieren, den Lauf der Zeit kritiklos hinnehmen, kann eh niemand ändern, hat bestimmt seine Richtigkeit.“

Ohne einen weiteren Kommentar sank er etwas in sich zusammen, schaffte gerade noch die paar wenigen Schritte zurück zum Matratzenlager und setzte sich im Schneidersitz neben seinen schnarchenden Kumpel. Die Spatzenschar fühlte sich nunmehr angegriffen und flog aufgeregt von dannen. Nur die Sonne zeigte ganz weit hinten am Horizont, daß der Nachmittag längst in den Abend überging. Wirklich ruhig war es nicht hier am Rande des zerfallenden Industriegebietes, irgendwo in der Ferne hörte man das Rauschen schnell fahrender Fahrzeuge.

Am Abend als National Crid in die Schlagzeilen geriet

Die einsetzende Dunkelheit überraschte nicht wirklich, schließlich gehörte dies zum Spätherbst an jenem Novembernachmittag, lediglich die Stille störte die beiden jungen Frauen, die nach langem Spaziergang endlich zu Hause wieder eintrafen. Als Cleo das Licht im Flur einschalten wollte, blitzte ganz kurz die Deckenlampe auf, im selben Moment spürte sie einen heftigen Schlag im Kreuz und fiel der Länge nach hin.

Mandy reagierte geistesgegenwärtig vollkommen richtig, ließ sich fallen, rollte schnellstmöglich in Richtung Kellertür, stieß diese mit dem linken Fuß auf und stürzte die Treppe hinunter, um den langen Gang bis zur Luke zu sprinten. Ein wenig später lief sie nach Luft schnappend in den nahen Buchenwald. Als sie die ersten Flammen aus den unteren Etagenfenstern sah, wußte sie, daß für ihre alte Schulfreundin keine Rettung mehr zu erwarten war und begab sich wie in Trance in Richtung Nordosten zu den nächsten Nachbarn, den Kimberleys.

Alle möglichen Gedanken schossen Mandy durch den Kopf. Wer sollte es auf sie abgesehen haben? Vielleicht war Cleo doch zuweit gegangen mit ihrer ungebremsten Neugier im Fall National Crid, dem größten Stromkonzern im Lande.

Dieser hatte still und heimlich etliche atomare Brennstäbe auf illegalem Weg abtransportieren lassen, ohne die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt zu haben. Ein Insider hatte Cleo Infos zukommen lassen, ein Date mit der BBC sollte nächsten Montag stattgfinden.

Hier im Süden Schottlands gönnten die beiden Freundinnen sich ein paar Tage Urlaub nach den zurückliegenden hektischen Wochen. Instinktiv duckte sich Mandy im nächsten Moment, irgendein merkwürdiges Geräusch ließ sie aufhorchen. Gerade noch rechtzeitig verschwand sie in einem Gebüsch, als lautlos eine Drohne an der Stelle vorbeischwirrte, wo sie Sekunden vorher noch langlief. „Die wollen es aber jetzt wissen“, murmelte sie ganz leise vor sich hin. Die dreiundzwanzigjährige Journalistin wußte, daß nur noch rund dreihundert Meter sie vom Nachbarhaus trennte.

Allerdings grübelte sie, ob man dort sie nicht bereits erwartete. Höchste Vorsicht war geboten, erst mal rantasten, überlegte sie. Ein fremder Rangerover stand im Hof, was ihren Verdacht somit bestätigte. Die Kühlerhaube war noch warm, im Wohnzimmerfenster brannte Licht, aber niemand schien sich im Raum aufzuhalten. Plötzlich trat Harriet Kimberley ins Wohnzimmer, jedoch per ungewohnter Körperhaltung. Stocksteif mit einer Pistole im Kreuz, die ein ziemlich großer Kerl hielt, gingen die beiden zur Couch, der Hüne stieß die Frau des Hauses, so daß Harriet unsanft aufs Sofa landete.

Ein knackender Ast verriet Mandy die nahe Gefahr, reflexartig schwang sie ihren Arm heftig um sich, ihr Angreifer ging im nächsten Moment zu Boden. Mit einem gezielten Schlag in dessen Nacken beförderte die junge Frau ihn ins Land der Träume. „Das war knapp!“, murmelte Mandy vor sich hin, durchsuchte die Taschen des Ohnmächtigen, fand ein Paar Handschellen, drehte dessen Arme nach hinten, und schloß sie über Kreuz an den Handgelenken. Ihr Schal sollte sich nunmehr als nützlich erweisen, einen Fuß verknüpfte sie nach hinten ziehend mit den gekreuzten Armen. Ein solches Paket würde nicht mehr laufen können, bemerkte grinsend die Journalistin.

„Bloß kein weiteres Risiko eingehen“, sagte sich Mandy, rief per Handy ihren Chef an, um in kurzen Sätzen das Neueste diesem zu erzählen, er solle die Polizei unterrichten, sie möge vor allem lautlos hier eintreffen.

Unterdessen schlich Mandy ganz vorsichtig tiefer in den dunklen Wald, den sie ziemlich gut kannte, die letzten Wochen machten sich insofern bezahlt, schließlich wollte sie kein weiteres Risiko mehr eingehen. Der Schock über den Tod von Cleo saß äußerst tief, Tränen liefen ihr über beide Wangen, sie konnte sich kaum beruhigen. Der Gedanke, National Crid das bösartige Handwerk zu legen, hielt sie gerade noch aufrecht, nur zu gut, daß die beiden Journalistinnen sämtliche Rechercheinfos an einen sicheren Ort hinterlegt hatten.

Cleos Tod war daher vollkommen umsonst. Doch mit Logik oder gezielter Berechtigung hatten derartige Verbrechen ohnehin nichts zu tun. Irgendwelche Handlanger für schmutzige Jobs fanden sich wohl stets, weiße Westen wähnten sich in Sicherheit. Das verhinderten die beiden Journalistinnen trotzdem, selbst wenn eine ihr Leben dadurch verlor.

Aufregung im Herbstlaub

Gruitburs Forderung

Mit den Laubbläsern war Schluß mit lustig, Kleintiere wurden regelrecht bei lebendigem Leib geröstet, einfach so mir nichts dir nichts umgebracht, weil gewissen- und gedankenlose Menschen auf die Schnelle jenes lästige Herbstlaub zusammenraffen wollten, ohne wie sonst üblich einen Rechen zu benutzen. Das schaut ja nach regelrechter Arbeit aus, menschlicher Erfindergeist erfand kurzerhand den Laubbläser. Basta.

Grund genug sich entsprechend zu wehren. Fraglich wie das denn vonstatten gehen sollte. Schließlich waren kleine Kobolde alles andere als groß zu bezeichnen, ein Eichenblatt diente ihnen auch noch im Spätherbst als Regenschirm, je nach Blattgröße konnten sie gar zu zweit darunter turteln, ohne naß zu werden. In manchen Märchenbüchern nannte man sie gar Däumling, was sie natürlich negierten. Kobolde wollten sie genannt bleiben.