Inselkoller - Lotar Martin Kamm - E-Book

Inselkoller E-Book

Lotar Martin Kamm

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Beschreibung

Ian nickte dem Pförtner zu, der den Ingenieur wortlos passieren ließ, jetzt am frühen Samstagmorgen war weniger los wie unter der Woche, dennoch trafen manche Beschäftigte ein, schließlich galt es, etliche Zeitvorgaben einzuhalten, die Mitarbeiter nahmen ihren Job durchaus ernst, zumal angesichts der weltpolitisch angespannten Lage mitten im Kalten Krieg die Erwartungshaltung entsprechend hoch sich gestaltete. Dessen war sich bisherig auch Ian stets bewußt, doch die jüngsten Ereignisse hatten ihn erschrocken, ein wenig aus dem Gleich-gewicht gebracht.

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Personen

Ian McDowell - Flugzeugingenieur

Lorraine Chester - Chefredakteurin

Robert Bast - Journalist

Lothar Kleinschmitt - Maschinenbaustudent

Harry Sassenrath – Maschinenbaustudent

Stefan Friese – Maschinenbaustudent

Ellen Curley – Diplomatenwitwe

Frau Knesebeck – Nachbarin von Ian

Rosanna - Haushälterin von Lorraine

James – Butler von Ellen

Arthur Foster – Sicherheitsbeamter

Joachim Piefke – Freund von Robert Bast

Joe Burt – rechte Hand von Arthur Foster

Emil Stade – Freund von Harry Sassenrath

Helga Stade – Ehefrau von Emil

Sarah Stade – Tochter von Helga und Emil

Axel Wülzow – Journalist

Jenny Hunt – Ians Sekretärin

Jason Bonnet – Sohn von Deborah

Deborah Bonnet – Mutter von Jason

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Jasons Entdeckung

Viele unbeantwortete Fragen

Quellenangaben

„Der Krieg“, hat mal ein sterbender französischer Offizier gesagt, „ist eine viel zu ernste Sache, als daß man ihn den Militärs anvertrauen könnte.“

Kurt Tucholsky

1

Hastig zog Ian sich an, ohne dabei das Uhrenradio aus den Augen zu verlieren. Die Zeit schien gegen ihn zu arbeiten. Und wie das stets in solch überhetzten Situationen vorkommt, verhedderte er sich in seinem grauen Hemd, der oberste Knopf fiel auf den Parkettboden, rollte am linken unteren Bettpfosten entlang und kam dann abrupt zum Liegen.

Ian bückte sich, um den Knopf aufzuheben. Im gleichen Augenblick rappelte das Telephon, und er sah noch den zerknäulten Zettel, der neben dem Knopf lag. Geistesgegenwärtig griff er zum Hörer, überlegte es sich aber, ließ es weiterläuten und hob den Zettel auf. Als er diesen entfaltet hatte, schaltete sich der Anrufbeantworter ein.

»Hallo, Ian. Du mußt sofort alles stehen- und liegenlassen, es ist etwas Schreckliches passiert!«, meldete sich eine ihm wohl vertraute Stimme.

»Ich befinde mich im Cafe M. Komm so schnell es geht, danke.«

Ian zog die Jeans an, schlüpfte in die Stiefel, schnürte sie zu und schnappte sich die Lederjacke. Dabei stopfte er den Zettel in die linke Hosentasche, fuhr sich schnell durch die grauen Haare und verließ seine Wohnung.

***

Städte mögen vieles gemeinsam haben, aber keine hat ein solch internationales Flair wie West-Berlin. Eine pulsierende Trutzburg, umringt vom erschöpften Atem des untergehenden, angeblich real existierenden Sozialismus, die vielleicht gerade deshalb so kämpferisch allen Widrigkeiten trotzt und sich so vielfältig präsentiert.

Eben jene Vielfältigkeit veranlaßte Ian damals in der Mitte der Siebziger dazu, sich diese Stadt auszusuchen und nicht Hamburg, München oder Frankfurt. Nirgendwo sonst leben Künstler neben Geschäftsleuten, Türken neben Punks und Aussteiger neben Rentnern.

In keiner Stadt gibt es so viele gegensätzliche Menschen, die obendrein eine Gemeinsamkeit haben, nämlich mit der Mauer fertig zu werden. Und was machen Menschen, wenn sie auf Grenzen stoßen? Sie suchen nach Ausweichmöglichkeiten, setzen sich zur Wehr, finden sich mit ihrem Schicksal eben nicht ab. Dies kann Jahre oder Jahrzehnte dauern, aber die Geschichte hat sie gelehrt, daß jede Unterdrückung beendet wurde.

***

Als Ian auf die lärmende Straße trat, kollidierte er mit einem Penner, der sich lauthals beschwerte und fluchend weitertorkelte. Eine Gruppe junger Schüler überquerte kichernd, sich über den Penner lustigmachend die Straße, während Ian vermeintliche Bakterien von der Jacke wischte.

Dabei bemerkte er nicht, daß ihm ein schwarzer Volvo folgte. Wo hatte er nur seinen Wagen abgestellt?

Jedesmal machte er sich aufs Neue Gedanken, da die Parkplatzknappheit in den letzten Jahren merklich zugenommen hatte. Doch dann fiel es ihm wieder ein, er hatte seinen Mazda in der Turmstraße abgestellt. Raschen Schrittes ging er zu seinem Wagen und fuhr sofort los. Ihm fiel nicht auf, daß der Volvo die Verfolgung aufnahm. Nachmittags um diese Uhrzeit hatte der Berufsverkehr bereits begonnen, und Ian kam nur schleppend voran.

Diese Gelegenheit nutzte er aber, seine Gedanken zu ordnen. Warum hatte Lorraine angerufen? War es wieder eine ihrer spontanen, völlig überstürzten Aktionen, die alles andere als dringend waren? Oder bestand diesmal wirklich eine Notwendigkeit, ihn zu sich zu zitieren? Ian wunderte sich zunehmend, je länger er darüber grübelte.

Gerade wollte er an einer Kreuzung erneut anfahren, als ihm der Gang raussprang, und er den Mazda abwürgte.

Dieses hatte zur Folge, daß der schwarze Volvo von hinten auffuhr. Trotz unerwarteten Aufpralls stieg Ian langsam aus und begab sich zum Unfallverursacher. Der Volvo heulte auf, fuhr mit quietschenden Reifen erst rückwärts, um anschließend knapp an Ian vorbei davonzurasen. Einige Passanten, die sich inzwischen neugierig eingefunden hatten, riefen dem Unfallflüchtigen fluchend nach.

Die Kfz-Nummer konnte jedoch niemand sehen, da dem Volvo beide Schilder fehlten. Ian beruhigte so gut es eben ging die aufgebrachte Menge und setzte seine Fahrt fort. Den nunmehr folgenden blauen BMW bemerkte er auch nicht.

***

Die Goltzstraße entsprach vom Flair nicht unbedingt ihrem Namen. Benannt wurde sie nach dem Grafen Karl-Friedrich von Goltz (1815-1901), aus einem Märkischen Geschlecht stammend. Sie entzückte viele Schöneberger mit ihren Szene-Cafés, Buchläden und Antiquitätengeschäften. Das Café M hieß noch Ende der Siebziger Mitropa und war ein Szenetreffpunkt für Punks und New Wave-Bummler.

Inzwischen wurde es von allen Strömungen der unterschiedlichsten Musikfreaks heimgesucht. Viel Neonlicht, Stühle, Tische und eine Musikbox aus den Fünfzigern. Musik aus kleinen Drei-Wege-Boxen hinter Palmen, die sich in großen Spiegeln präsentierten, knallige, farbenfrohe, zeitgemäße Kunst an den Wänden, durch gute Beleuchtung betont, verzauberten die Gäste des Café Ms. Neben den üblichen Snacks gab es noch speziell frisch gepreßte Obstsäfte oder Müslis. Es machte also nicht nur Spaß, sich dort aufzuhalten, sondern fürs Leibliche Wohl wurde aufmerksam gesorgt.

Lorraine saß schon länger im Café M gegenüber der Theke, mit dem Rücken zur Wand, so daß sie Eingang und Raum im Überblick hatte. Nach dem zweiten Cappuccino entschied sie sich, um ihren Magen zu schonen, für einen Bananenmilchshake. Sie paßte ohne weiteres in die Szene. Ihr knallig orangefarbener, kurzer Rock und das giftgrüne, ärmellose Shirt, sowie die cremefarbenen Sandalen mit dem geknüpften bunten Band über der rechten Ferse entsprachen dem Zeitgeist des Cafés, vor allem der frühen Achtziger. Endlich betrat Ian den Raum und setzte sich hastig zu ihr.

»Du hast angerufen, und ich bin direkt da, wie du siehst. Also, was ist so schreckliches geschehen?«, fragte Ian mit hochgezogenen Augenbrauen. Lorraine setzte das Glas ab, zupfte sich das Shirt zurecht.

»Als ich heute morgen wach wurde, hatte ich so ein merkwürdiges Gefühl, und dies bestätigte sich im gleichen Moment. Durch die offene Schlafzimmertür konnte ich das Ausmaß der Zerstörung erkennen. Die ganze Wohnung war durchwühlt worden, den Bücherschrank hatte man umgeschmissen. In der Küche lag sämtliches Geschirr, der Inhalt des Kühlschranks befand sich verteilt darunter. Du wirst dich jetzt fragen, warum ich nichts gehört hatte. Nun, ich hatte gestern Abend drei Schlaftabletten genommen, weil ich in letzter Zeit viele unruhige Nächte hatte. Ian, du kannst dir vorstellen, daß ich ziemlich schockiert war«, erwiderte sie völlig aufgeregt.

Er strich ihr behutsam über den linken Arm und drückte sie an sich, um sie zu beruhigen.

»Stell dir vor, unterwegs ist mir an einer Kreuzung hinten ein Volvo aufgefahren, weil ich blöderweise den Mazda abgewürgt hatte. Doch der ist dann getürmt, und niemand konnte die Nummernschilder sehen, weil da keine waren«, bemerkte Ian.

»Glaubst du, das steht im Zusammenhang mit dieser Verwüstung?«, fragte Lorraine erstaunt.

»Das ergibt keinen Sinn. Ich denke, das war eher ein Zufall», erwiderte Ian lakonisch.

Sie bemerkten nicht den BMW, der direkt vor dem Café hielt. Und auch, als der Fahrer ausstieg und sich zwei Tische weiter setzte, schöpften sie keinen Verdacht. Lorraine hängte sich ihre Handtasche um und ging zum WC. Ian bestellte gerade einen Milchkaffee, als der Fahrer sich unaufgefordert an seinen Tisch setzte.

»Herr Ian McDowell?«, fragte ihn der kräftige, gut gekleidete Mann, Mitte fünfzig.

»Woher kennen Sie meinen Namen?«, antwortete Ian erstaunt.

»Nun, ich denke, Sie sind in Gefahr, und ich möchte Ihnen helfen, soweit es in meiner Macht steht. Ich bin Journalist und heiße Robert Bast. Seit geraumer Zeit recherchiere ich im Fall Wedekind, der Ihnen sicherlich bekannt sein dürfte«, beschwichtigte ihn Robert.

»Außerdem habe ich Ihren Crash an der Kreuzung beobachtet. Ist Ihnen der Volvo vorher nicht gefolgt?«, fragte er.

»Ich kann mich nicht erinnern, ihn gesehen zu haben, aber es wäre schon möglich. Für welche Zeitung schreiben Sie? Und wieso glauben Sie, daß ich mit dem Fall Wedekind in Verbindung stehe?«

»Für die Berliner Morgenpost. Der Fall Wedekind taxiert selbst Kreise, die niemals auf die Idee kämen, sie hätten mit ihm etwas zu tun. Arbeiten Sie nicht für die Amis in Tempelhof?«, fragte Robert mit gesenkter Stimme, die Musik hatte gerade aufgehört, und er wollte es vermeiden, daß jemand das Gespräch verfolgte. Schwungvoll setzte sich Lorraine zu ihnen.

»Willst du mich nicht vorstellen, Ian?«, fragte sie leicht gereizt.