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Die Frau, die er nicht vergessen konnte, ist die Schwester seines größten Rivalen im Team!
Vaughn ist neu im Team der Slayers und hat ein Problem: Nicht genug, dass er mit seinem Team-Captain nicht auskommt - nun hat sich auch noch herausgestellt, dass die Frau, mit der er vor einigen Monaten eine unvergessliche Nacht verbracht hat, dessen Schwester Allie ist. Die Anziehungskraft zwischen ihnen ist genauso stark wie damals, doch Vaughn weiß, dass er seinen Platz im Team gefährden würde, wenn er sich auf eine Beziehung einlässt. Auch Allie steht vor einem Dilemma. Zwar sieht sie überhaupt nicht ein, warum sie auf das Ego ihres Bruders Rücksicht nehmen soll, doch sie hat sich geschworen, niemals die Frau eines Profi-Spielers zu werden - zu gut kennt sie die Probleme, die das mit sich bringen kann. Doch die Leidenschaft zwischen ihnen ist zu stark und die Gefühle, die sie bald verbindet, lassen sich nicht mit Vernunft zähmen.
Band 1 der Slayers-Hockey-Reihe
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Seitenzahl: 312
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
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Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Mira Lyn Kelly bei LYX
Leseprobe
Impressum
MIRA LYN KELLY
Slayers
DIE NACHT MIT DIR
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michael Krug
Die Frau, die er nicht vergessen konnte, ist die Schwester seines größten Rivalen im Team!
Vaughn ist neu im Team der Slayers und hat ein Problem: Nicht genug, dass er mit seinem Team-Captain nicht auskommt – nun hat sich auch noch herausgestellt, dass die Frau, mit der er vor einigen Monaten eine unvergessliche Nacht verbracht hat, dessen Schwester Allie ist. Die Anziehungskraft zwischen ihnen ist genauso stark wie damals, doch Vaughn weiß, dass er seinen Platz im Team gefährden würde, wenn er sich auf eine Beziehung einlässt. Auch Allie steht vor einem Dilemma. Zwar sieht sie überhaupt nicht ein, warum sie auf das Ego ihres Bruders Rücksicht nehmen soll, doch sie hat sich geschworen, niemals die Frau eines Profi-Spielers zu werden – zu gut kennt sie die Probleme, die das mit sich bringen kann. Doch die Leidenschaft zwischen ihnen ist zu stark und die Gefühle, die sie bald verbindet, lassen sich nicht mit Vernunft zähmen.
Für Jessica Alcazar
Ich bin stinksauer, aber nicht, weil mein Agent angerufen und mich gewarnt hat, dass ich aus der Aufstellung fliege, wenn ich mein »streitsüchtiges« Verhalten nicht in den Griff bekomme.
Der Grund ist auch nicht, dass ich im Belfast – der einzigen Bar, die ich in dieser Stadt mag – Zeuge werden muss, wie der dämliche Greg Baxter und unser halbes Team irgendeinen Trottel umjubeln, der seinem Mädchen die Frage aller Fragen stellt.
Es liegt auch nicht daran, dass ich kein verdammtes Bier kriege, weil alle Kellnerinnen verträumt dastehen und schmachten, oder weil ich meine Pläne, heute Nacht vielleicht flachgelegt zu werden, endgültig vergessen kann. Mein bestes Stück in eine Tussi stecken, die gerade einen Heiratsantrag mitangesehen hat? Verzichte. Da könnte ich ebenso gut selbst ein dickes Loch in den Gummi stechen.
Aber nein. Was mich echt stinksauer macht, ist sie und die Tatsache, dass ich kurzzeitig überhaupt nicht wütend war.
Eine Sekunde lang dachte ich nur: Sie ist hier.
In Chicago.
In der Bar, die ich seit anderthalb Monaten einmal die Woche besuche.
Allie. Die Frau aus Vancouver vor acht Monaten. Die mit den dunklen Locken, den strahlend blauen Augen und dem süßesten Mund, den ich je gekostet habe. Die Frau, die mich erst umgehauen hat und dann aus meinem Leben verschwunden ist, ohne mir ihre Nummer zu geben.
Ich bin schon halb vom Barhocker gerutscht und habe den Ansatz eines aufrichtigen Lächelns in meinem sonst dauermürrischen Gesicht, als mir klar wird … Sie ist nicht allein.
Und es ist kein dahergelaufener Hipster oder Anzugträger, der den Arm um ihre Schultern gelegt hat. Es ist Ruxton Meyers, mein Teamkollege. Baxters bester Freund.
Das macht mich stinksauer.
Ich dachte, sie wäre anders.
Verdammt, ich wusste, dass sie ein Fan ist. An dem Abend, an dem ich sie das erste Mal sah, trug sie ein Trikot der Canucks und hing mit ein paar Spielern in einer Bar ab. Allerdings war sie nicht auf Beutezug. Sie musterte nicht jeden Spieler wie einen Preis, den es zu erobern galt. Statt eines hautengen Kleids, das praktisch nichts der Fantasie überließ, trug sie Jeans – weit, abgewetzt, mit ausgefransten Säumen. Dazu weiße Chucks. Ihre lockige dunkelbraune Mähne war wahnsinnig sexy, und ich beobachtete sie dabei, wie sie sich mitten in der Bar ohne Spiegel einen Pferdeschwanz band, während sie sich mit einem Spieler unterhielt. Ihr war völlig egal, wie sie aussah. Es kümmerte sie nicht, was irgendjemand über sie dachte. Sie holte nicht mal ihr Handy für Selfies raus.
Sie war absolut kein Puck-Bunny.
Darauf hätte ich mein Leben verwettet. Erst recht, als ich sie am nächsten Abend in der Lobby des Hotels sah. Sie kaufte sich gerade einen Schokoriegel und eine Limonade in dem kleinen Hotelshop. Dabei schaute sie auf und lächelte mich an. Als wären wir alte Freunde oder so. Als hätte sie mich auf Anhieb erkannt. Auch ohne den Rest des Teams. Nur mich. Ich stand in der Schlange hinter ihr, um mir ein Wasser zu kaufen, das ich gar nicht wollte, nur weil ich sie dort gesehen hatte.
Doch Stunden später, als ich sie noch auf meiner Haut riechen konnte, hatte ich von ihr lediglich eine Nachricht in der Hand, wie sie kein Puck-Bunny je geschrieben hätte: Ich kann das nicht. Tut mir leid.
Das hatte sie mir von Anfang an gesagt. Sie lässt sich nicht mit Spielern ein. Was zum Teufel macht sie also bei Rux?
Hat sie gelogen? Denn sie scheint sich unter seinem Arm ziemlich wohlzufühlen.
Meine Knöchel knacken, als ich meine Hände an den Seiten zu Fäusten balle.
Genau solchen Mist sollte ich meiden, wenn ich einen Vertrag bei Oregon will. Und verdammt noch mal, Allie gehört mir nicht. Sie ist bloß eine Frau, die nicht so anders ist, wie ich dachte.
Ich kann einfach verschwinden und vergessen, dass ich sie gesehen habe.
Ich gehe in eine andere Bar, reiße eine andere Frau auf.
Guter Plan.
Tatsache ist nur, dass ich nirgendwohin gehe.
* * *
Das Leben ist nicht fair.
Nachdem ich nun monatelang Pläne umgeworfen und Spiele ausgelassen habe, die ich eigentlich um keinen Preis verpassen wollte, stoße ich für einen einzigen Abend zu den Jungs, um einen Moment mitzuerleben, dem beizuwohnen eine Ehre für mich ist. Und ausgerechnet an dem einen Abend taucht der eineSpieler auf, den ich seit seinem Wechsel zu den Slayers diesen Sommer meide wie der Teufel das Weihwasser.
Vaughn Vassar.
Er ist Mittelstürmer unseres zweiten Blocks, der härteste Rivale meines Bruders – und eine Unbesonnenheit meinerseits. Ich hätte wissen müssen, dass mich die Sache noch mal einholen würde.
Ich schlucke und wage einen weiteren flüchtigen Blick vorbei an Rux’ muskulösem Arm. Mein Magen krampft sich zusammen, trotz der Schmetterlinge, die wie wild durch meinen Bauch flattern, seit der Mann die Bar betreten hat. Es ist eindeutig Vaughn. Selbst wenn mir nicht jedes Gesicht im Team meines Bruders und eigentlich im Großteil der Liga bekannt wäre, seines würde ich kennen … obwohl ich mich lieber in heißen Kohlen wälzen würde, als den Grund dafür zuzugeben.
In den acht Monaten, seit ich ihm zu nahegekommen bin, hat er sich nicht verändert. Sein dunkles welliges Haar umrahmt immer noch locker sein Gesicht und das breite, kantige Kinn. Aber vor allem erkenne ich diese harten Züge, die davon künden, dass er nicht gut mit anderen auskommt. Allerdings weiß ich, was passiert, wenn sein Gesichtsausdruck sanfter wird – wenn sich kleine Fältchen um seine Augen bilden, wenn sich seine Mundwinkel heben und seine Ausstrahlung sich völlig verändert.
Der Kontrast ist genauso schwer zu vergessen wie der Rest von ihm.
Dabei sollte ich eigentlich überhaupt nicht an ihn denken.
Verdammt, warum muss er so gut aussehen? Die dunklen Jeans liegen eng an seinen muskulösen Oberschenkeln an, und der tiefe V-Ausschnitt seines T-Shirts, das seinem Oberkörper kaum gewachsen ist, bietet einen kleinen Ausblick auf seine verschiedenen Tätowierungen. Ich bin schon den Großteil meines Lebens von Kerlen mit ähnlicher Statur umgeben – die ich alle wohlweislich nicht an mich heranlasse. Warum also fällt es mir so schwer, gerade diesen Kerl zu ignorieren?
Ein stockender Atemzug entweicht meinen plötzlich trockenen Lippen, und ich lehne mich wieder zurück.
Das ist übel.
Die Chancen, dass er sich an eine Frau erinnert, mit der er vor acht Monaten ein paar Stunden verbracht hat, gehen gegen null. Die meisten Singles der Liga, die ich kenne, würden es jedenfalls nicht tun. Aber Vaughn Vassar ist ein Mann, den zu viele Menschen unterschätzen. Ich will nicht das Risiko eingehen, denselben Fehler zu begehen.
Deshalb muss ich schleunigst verschwinden. Und deshalb werde ich auch weiterhin Spiele verpassen und mich vor Unternehmungen mit dem Team drücken, bis Vaughns Vertrag ausläuft und Chicagos widerwilligster Spieler zu einem Team wechselt, für das er wirklich spielen will.
Ich schaue zu Rux auf und gebe ihm einen leichten Klaps auf die Schulter. »Du, es war echt toll, euch alle zu sehen, aber ich muss jetzt los.«
Er blickt auf seine Armbanduhr und schüttelt den Kopf mit dem zu langen, rötlich braunen, strubbeligen Haar, das er liebevoll als seinen Flow bezeichnet. »Musst du zum Training oder was?«
Das wäre eine tolle Ausrede. Leider trainiert die U12-Hockeymannschaft der Mädchen, deren Coach ich bin, erst wieder am Dienstag. »Heute Abend nicht. Ich bin nur total erledigt.«
Mit einem verständnisvollen Nicken zieht er mich an seine mächtige Brust und erstickt mich beinah in seiner Achselhöhle, bevor er mich mit einem Zwinkern freigibt. »War schön, dich zu sehen.«
Verstohlen werfe ich einen letzten Blick zu Vaughn. Eine Kellnerin nimmt gerade seine Bestellung entgegen. Oder vielleicht baggert sie ihn auch nur an. Ich kann kaum an ihrem Vorbau vorbeisehen, den sie ihm zehn Zentimeter vor seiner Nase präsentiert. Subtil.
Als mich ein Anflug von Eifersucht durchzuckt, weiß ich, dass es definitiv Zeit ist zu gehen.
Ich bewege mich um unsere Gruppe herum und husche hinaus in den kühlen Oktoberabend. Die Straßenlaternen sind bereits an. Aus beiden Richtungen strömt steter Verkehr an mir vorbei, allerdings entdecke ich kein freies Taxi, also bestelle ich mir ein Uber mit weniger als zwei Minuten Wartezeit.
Hinter mir öffnet sich die Tür der Bar. Ich drehe mich um, als Gelächter, Musik und Licht auf den Bürgersteig herausdringen – und erstarre.
Er ist es nicht, kann es gar nicht sein.
Immerhin hat er noch nicht mal sein Bier bekommen.
Außerdem hat er mich nicht gesehen. Und selbst wenn, hätte er mich nicht erkannt.
Also ist es nicht …
Mein Magen krampft sich zusammen, als Augen wie Granit in meine blicken. Ausgerechnet der Mann, den ich meiden wollte, zieht die Tür hinter sich zu. »Ich dachte, du lässt dich nicht mit Spielern ein.«
Gott, aus der Nähe ist er sogar noch attraktiver.
Mit vor der Brust verschränkten Armen kommt er auf mich zu und lehnt sich mit einer breiten Schulter an die Straßenlaterne.
Der Atem strömt aus meiner Lunge, und mir rutscht sein Name als zittriges Flüstern heraus. »Vaughn. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich an mich erinnerst.«
Tatsächlich hatte ich mich darauf verlassen.
Seine Augenbrauen heben sich. Und sein Mund … Also, es ist nicht wirklich ein Lächeln, eher die Abwesenheit seiner sonst üblichen finsteren Miene. »Ach nein?«
Er scheint darauf zu warten, dass ich etwas sage. Als ich es nicht tue, kehrt der finstere Blick zurück, und er deutet mit dem Kopf in Richtung Bar. »Also, du und Meyers?«
Was? »Rux?« Gott, nein. Während mich der Großteil von Gregs Mannschaft gewissermaßen als kleine Schwester betrachtet, nimmt Rux seine Aufgabe als Reservebruder für mich besonders ernst. »Wir sind Freunde. Mehr nicht.«
Er gibt einen Laut von sich, als wäre es ihm egal. Nur die Art, wie er mich ansieht, sagt mir etwas anderes.
Daran erinnere ich mich sehr gut aus Vancouver: an dieses schwindelerregende Gefühl, als bekäme ich nicht genug Luft zum Atmen, wann immer er mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Dieses Gefühl, unweigerlich von einem Objekt von viel größerer Kraft angezogen zu werden. Das Verlangen, die Hand auszustrecken und ihn zu berühren, lässt sich fast nicht beherrschen. Wie gern würde ich mit den Fingern über die Muskeln seines Unterarms streichen und die Linien der schwarzen Tinte nachfahren.
Als sich die Tür der Bar erneut öffnet, zucke ich mit rasendem Herzklopfen zusammen. Es sind nur ein paar junge Frauen, die dicht beisammen herauskommen, während ihre Daumen über ihre Handys wischen. Aber es hätte auch mein Bruder sein können. Oder Rux oder einer der anderen Jungs, die sicher auf dem Absatz kehrtmachen und Greg drinnen sagen würden, mit wem ich gerade rede. Dann würde gleich hier auf dem Bürgersteig vor dem Belfast der Dritte Weltkrieg ausbrechen.
Ich räuspere mich und schüttle den Kopf. »Also, äh, war schön … dich wiederzusehen. Aber jetzt, äh … muss ich nach Hause.«
Der Kiefermuskel unter seinen Bartstoppeln zuckt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Knirschen seiner Zähne hören kann, obwohl der Wind rauscht und ein Motorrad vorbeibraust.
»Zurück nach Washington? Dann hast du ja ’nen ganz schön weiten Weg vor dir.«
Ich öffne den Mund. Allerdings habe ich ihm schon beim letzten Mal, als wir zusammen waren, sämtliche erdenklichen Lügen erzählt. Doch auch jetzt kann ich ihm nicht die Wahrheit sagen. Vaughn ist ein anständigerer Kerl, als die meisten Leute glauben. Aber da ich weiß, wie er über meinen Bruder denkt … bin ich mir nicht sicher, ob er der Versuchung widerstehen könnte, Greg unsere Affäre unter die Nase zu reiben.
Ein blaugrüner Prius rollt an den Straßenrand, und ich atme erleichtert aus. »Das ist mein Uber«, sage ich entschuldigend und öffne die Autotür. Mir ist bewusst, dass mein Verhalten nicht fair ist, aber es ist der einzige Ausweg. »Pass auf dich auf.«
* * *
Pass auf dich auf?
Verdammt, das ist doch nicht wirklich gerade passiert.
Und dennoch stehe ich hier auf der Straße vor dem Belfast, und die Stelle, an der Allie eben noch gestanden hat, ist so verwaist wie mein Bett in jener Nacht, in der sie sich davongestohlen hat.
Ich sollte sie ziehen lassen. Denn nun hat sie mich schon zum zweiten Mal abgeschüttelt. Zweimal habe ich diese seltsame Hingezogenheit zu einer Frau empfunden, die ich kaum kenne. Zweimal war ich bereit, gegen einige meiner Regeln zu verstoßen. Und zweimal hat sie mich einfach ratlos stehen gelassen.
Den Scheiß brauche ich nicht, schon gar nicht im Augenblick. Nur …
»Herrgott, Vassar, du wolltest Baxter doch in Ruhe lassen.«
Ich drehe mich um und erblicke meinen linken Außenstürmer Quinn O’Brian hinter mir auf dem Bürgersteig. Vorwurfsvoll starrt er mich an.
Schon klar. Baxter zu Beginn der Saison niederzuschlagen war ein Fehler – für den ich seither bezahle. Und wenn ich wieder Mist baue, bringe ich Wirbel in unsere Line. Eigentlich in die gesamte Mannschaft. Doch obwohl ich im Grunde nur darauf warte, dass Oregon mich aufnehmen kann, werde ich dieses Team auf keinen Fall zu Verlierern machen.
»Hör mal, Mann, ich bin nur für ein Bier hergekommen. Ich hatte echt keine Ahnung, dass Baxter und die halbe Mannschaft hier sein würden.« Oder Allie.
Ist das ihr Stammlokal?
»Aha. Und was ist mit ihr?«
Ihr? Schlagartig gilt ihm meine volle Aufmerksamkeit. »Was soll mit ihr sein? Wer ist sie?«
»Das weißt du nicht?« Er durchbohrt mich mit einem mürrischen Blick, für den ich nicht in Stimmung bin. »Natalie Baxter. Greg Baxters kleine Schwester. Und sie ist tabu, du Vollidiot.«
Das darf verdammt noch mal nicht wahr sein …
Es ist eine Stunde her, seit ich die Bar verlassen habe. Eine Stunde, seit Vaughn mich bei dem Versuch ertappt hat, mich davonzuschleichen. Schon wieder. Eine Stunde, seit er mich gehen ließ.
Wenn er auch nur eine Person nach mir fragt, ist es vorbei. Dann erfährt er es. Und wenn er es erfährt …
Ich beiße mir auf die Unterlippe, schalte von der Wiederholung des Spiels von gestern Abend auf die Lokalnachrichten um und betrachte den Ticker am unteren Bildschirmrand, bis ich sicher bin, dass über keine Verhaftung des halben Teams der Slayers im Belfast wegen einer Schlägerei berichtet wird.
Das bedeutet, Greg weiß nichts. Vorläufig ist mein Geheimnis sicher.
Ich wechsle zurück zum Spiel und beobachte Vaughn bei einem Breakaway. Er stürmt über das Eis, läuft den Gegnern davon, spielt den Goalie von Tampa Bay aus und erzielt ein Tor. Die Kameras zeigen, wie er zum Abklatschen mit der Mannschaft eine Runde dreht, aber mir jagt der Moment, bevor er die anderen erreicht, einen wohligen Schauder über den Rücken. Er ist völlig auf sich selbst konzentriert, und die Intensität in seinen Augen verschlägt mir den Atem.
So hat er mich heute Abend nicht angesehen. Aber vor acht Monaten … Mann, ich will gar nicht daran denken, wie es damals war. Wie sich seine Hände in meinem Haar und an meinen Schenkeln angefühlt haben. Wie er mich angesehen hat, als er stöhnend meinen Namen flüsterte, und …
Klopf, klopf, klopf.
Die Fernbedienung fällt mir aus der Hand und landet klappernd auf dem Boden, als ich abrupt von der Couch aufspringe und zur Eingangstür starre, als stünde ein Poltergeist dahinter. Oder schlimmer noch … mein Bruder.
Er weiß Bescheid. Das ist der einzige Grund, warum er hier auftauchen würde, ohne vorher anzurufen oder mir zu texten. Er ist gekommen, um mir zu sagen, dass ich die Mannschaft mitten in der Saison einen Topspieler gekostet habe, weil ich …
Klopf, klopf, klopf.
Mit trockenem Mund und einem mulmigen Gefühl im Bauch gehe ich zur Tür.
Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt – zu alt, um mich davor zu fürchten, von Greg angebrüllt zu werden. Trotzdem zittere ich wie Espenlaub. Er würde mir zwar nie auch nur ein Haar krümmen, und es macht mir auch keine Angst, dass er in die Luft gehen könnte, aber ich will seine Enttäuschung nicht sehen. Er wäre maßlos enttäuscht, weil ich vor acht Monaten in Vancouver etwas Egoistisches und Dummes getan habe, das Auswirkungen auf ein ganzes Team von Jungs haben könnte, an denen mir etwas liegt. Ein Team, das meinem Bruder alles bedeutet.
Der Türknauf fühlt sich kühl in meiner Hand an. Ich atme tief ein, bevor ich die Schultern straffe und ihn drehe.
Als ich schon zu einer Entschuldigung ansetze, erblicke ich vor meiner Tür einen 1,95 Meter großen, muskelbepackten Eishockeyspieler, der sich mit seinen starken Armen zu beiden Seiten der Tür abstützt. Aber statt Augen in demselben Blauton wie meine zu sehen, begegne ich dem harten grauen Blick, der mich schon beim Belfast durchbohrt hat.
»Vaughn.«
»Was für ein Spiel treibst du eigentlich, Natalie?«
* * *
Kein Leugnen. Damit habe ich auch nicht wirklich gerechnet. O’Brian hat alles andere als unsicher gewirkt. Hinzu kommt, wie Allie – Natalie – mit den Jungs der Mannschaft umgegangen ist. Mit Baxters Freunden. Und dass sie mich in Vancouver auf Anhieb erkannt hat. Als hätte sie mich schon seit Jahren im Blick … oder vielleicht miterlebt, wie ich seit der Highschool mit ihrem Bruder konkurriere.
Ich murmle einen Fluch, sie beißt sich auf die Unterlippe und schaut weg. Schuldig.
»Kein Spiel, Vaughn.« Ein leises Seufzen. »Ich … hätte nur nicht gedacht, dass ich dich je wiedersehen würde. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass du mal hier spielen würdest.«
Richtig. Sie hat sich bloß gedacht, sie benutzt mich mal eben für eine heimliche Rebellion gegen ihren Bruder.
Herrgott noch mal, wie konnte ich das nicht merken?
Gut, ich habe sie in einem anderen Land kennengelernt, nach einem Spiel, bei dem ihr Bruder nicht dabei war. Und ich habe die zwei nie zusammen gesehen. Aber diese blauen Augen, die mir seit Monaten nicht aus dem Kopf gehen … Er hat dieselben. Das gilt auch für die Haare. Dunkelbraun, gewellt, ein bisschen wild.
Dann ist da noch der Name.
Für mich ist sie Allie. Aber Baxter redet mindestens einmal die Woche in der Umkleide von Natalie.
Ich wünschte gerade, meine erste Reaktion in den letzten Monaten hätte nicht darin bestanden, mir sofort einen Kopfhörer aufzusetzen, sobald der Typ den Mund aufmachte. Vielleicht hätte ich dann etwas über die Frau erfahren, die so schnell aus meinem Leben verschwunden ist, wie sie darin aufgetaucht ist. Vielleicht aber auch nicht, denn ich würde mein linkes Ei darauf verwetten, dass Greg Baxter nicht die geringste Ahnung davon hat, was in Vancouver gelaufen ist.
Natalie mustert mich. Besorgt ziehen sich ihre Augenbrauen zusammen, während ihr Blick über mein Gesicht und meine Hände wandert.
Schaudernd stößt sie den Atem aus, und ihre steife Haltung lockert sich ein wenig. »Er weiß es nicht.«
Ah. Mit einem freudlosen Lachen halte ich ihr meine Fingerknöchel zur Begutachtung hin.
»Richtig, Süße. Er weiß es nicht.«
Ihre sichtbare Erleichterung ärgert mich, denn natürlich geht es hier darum, wer ihr Bruder ist, aber gleichzeitig geht es hier nicht im Geringsten um ihren verdammten Bruder. Sondern um sie und mich und eine Nacht, die zu früh geendet hat, und warum sie mir damals nicht gesagt hat, wer sie ist. Es geht auch darum, was sie sich dabei gedacht hat, als sie mich mit diesem halb schüchternen, halb entschlossenen Blick angesehen hat, bei dem ich so hart geworden bin wie noch nie zuvor in meinem Leben. Warum sie mich geküsst, sich auf die Zehenspitzen gestellt und entschuldigt hat, bevor sie ihre kirschroten Lippen zum zärtlichsten, süßesten, heißesten Kuss meines Lebens auf meine gedrückt hat.
Eigentlich sollte ich einen Dreck auf diese Frau oder ihren Bruder geben. Das will ich auch. Dennoch stehe ich hier und zucke praktisch vor Anspannung, weil ich es unbedingt wissen muss. Weil ich es verstehen muss.
Der Gedanke, ich könnte mich so sehr in ihr getäuscht haben, treibt mich in den Wahnsinn. Fast so sehr wie die Erkenntnis, dass der verdammte Baxter an noch etwas näher dran war, von dem ich dachte, es gehöre mir.
Ich habe eine Vorgeschichte mit dem Kerl. Wir waren früher zwar nicht auf derselben Highschool oder haben in derselben Mannschaft gespielt, aber schon damals sind wir so oft aneinandergeraten, dass bei meinem ersten Interview als Profi gleich zu Beginn die Frage nach der Rivalität zwischen uns kam.
Vollidiot.
Er wurde direkt nach der Highschool als Profi rekrutiert, während ich ein Jahr hinterherhinkte und in Notre Dame in der College-Liga spielte, bevor ich es in die NHL schaffte. Und jetzt, wo mein Vertrag nur noch ein Jahr läuft, bin ich an die Slayers ausgeliehen worden – um in der zweiten Reihe hinter ihm zu spielen.
Natalie steht vor mir und knetet ihre Hände, während sie nach wie vor auf ihrer Unterlippe kaut. Sie sieht so echt aus, so authentisch. Ich kann einfach nicht glauben, was hier abgeht.
»Ich weiß, dass du sauer bist …«
»Oh, ich bin sogar stinksauer.« Sie weicht zur Seite, und ich betrete ihre Wohnung. Sie lebt in einem hübschen kleinen Stadthaus im Ranch Triangle. Eher klein. Ihr Arsch von einem Bruder könnte ihr wirklich etwas Besseres besorgen. Und der Sicherheitsstandard ist unter aller Sau, wenn man bedenkt, wie mühelos ich hier direkt vor ihrer Eingangstür aufgetaucht bin.
»Erstens«, beginne ich und zähle die Gründe an meinen Fingern ab, »bin ich sauer, weil es scheiße war, wie du dich aus dem Staub gemacht hast. Zweitens hast du mich belogen. Drittens bist du Baxters Schwester. Seine kleine Schwester. Viertens bin ich sauer, weil ich’s ihm nicht mal unter die Nase reiben kann.«
Dabei wäre es so genial. Ich sehe es direkt vor mir, wie er in der Umkleide zusammenbrechen würde. Er würde sein Trikot in die Ecke pfeffern wie ein Vollidiot. Seine Augen würden sich röten und wässrig werden.
Was würde ich nicht alles geben, um den Penner auch nur eine einzige Träne vergießen zu sehen.
Natalie stockt der Atem. Zaghaft kommt sie einen Schritt auf mich zu. Völlig anders als in jener Nacht in der Bar. Damals schien es, als könnte sie es einfach nicht lassen, immer wieder auf Tuchfühlung mit mir zu gehen. Sie berührte mich, während sie redete, und wenn es ihr auffiel, lief sie bezaubernd rot an, bevor sie ihre Hand zurückzog und sich entschuldigte … bevor sie es eine halbe Minute später erneut tat.
Sie ist so echt rübergekommen.
Nichts an ihr hat gekünstelt gewirkt.
Normalerweise irre ich mich bei so etwas nicht. Nur in ihrem Fall offenbar doch.
Ihre hellblauen Augen halten meinen Blick fest. »Du wirst es ihm nicht sagen?«
Ich stecke die Hände in die Taschen und stoße frustriert den Atem aus. »Nein. Ich werd’s ihm nicht sagen.«
»Warum nicht?«, fragt sie leise.
Weil ich ihm damit etwas geben würde, das ich lieber für mich behalten möchte. »Weil ich’s mir nicht leisten kann, etwas mit ihm anzuzetteln.«
Abgesehen davon, ich bin vielleicht ein Arsch, aber ich benutze Frauen nicht. Nicht mal Frauen, die mich benutzt haben.
Die Wahrheit ist: Ich bin vor allem deshalb so sauer, weil ich dachte, dass es in dieser Nacht allein um uns gegangen wäre. Und jetzt muss ich mich fragen, ob ich als Mensch dabei überhaupt je eine Rolle gespielt habe, oder ob Baxters kleine Schwester ihm nur eins auswischen wollte, indem sie den Kerl, den er in der Liga am meisten hasst, in ihr Höschen gelassen hat.
Daran will ich gar nicht denken. Vor allem nicht, während sie direkt vor mir steht und wie dieselbe Frau aussieht, die sie vor acht Monaten war. Sie strahlt dieselbe eigenartige und zugleich heiße Mischung aus kess und schüchtern, scharf und sanft, süß und sexy aus. Herrgott.
Seine Schwester.
Das erklärt, warum sie mir weder ihren Nachnamen nennen noch ihre Telefonnummer geben wollte. Weil sie von Anfang an gewusst hat, dass sie mich nicht wiedersehen würde. Wäre schön gewesen, das zu erfahren, bevor ich die halbe Nacht gedacht habe, ich hätte vielleicht ausnahmsweise mal jemanden gefunden, der anders ist. Jemand Besonderen.
Mit zu Schlitzen verengten Augen mustere ich sie. Warum hat sie es getan?
Mir kommt ein anderer Gedanke. »Warum hab ich dich noch nie bei einem der Spiele gesehen? Nirgendwo?«
Laut O’Brian betrachtet die Hälfte der Mannschaft sie als Ersatzschwester. So was ergibt sich nur, wenn man verdammt viel Zeit miteinander verbringt.
Sie wird sichtlich verlegen. »Ich wollte nicht riskieren, dass wir uns über den Weg laufen, falls du … dir Gesichter gut merkst.«
Falls ich mir Gesichter gut merke. Als wäre sie für mich nur ein Pausenfüller an jenem Abend gewesen. Austauschbar durch die üblichen Puck-Bunnys. Damit liegt sie so weit daneben, dass es nicht mal mehr lustig ist. »Verstehe.«
Ich wage mich einen weiteren Schritt in ihr Zuhause vor, sehe mich um. Alles wirkt sauber und ordentlich. Helle Holzböden, cremefarbene Wände. Schlichte, robust wirkende Möbel, eigentlich ein bisschen zu groß für den Raum, aber wahrscheinlich gut geeignet für ihren verdammten Bruder und ihre Freunde.
In dem Moment erregt der Fernseher meine Aufmerksamkeit, denn er zeigt mein Gesicht, vergrößert auf die volle Diagonale von hundertfünfundsechzig Zentimetern.
Allie hat sich gerade mich angesehen.
Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem Grinsen, das ich nicht verberge, drehe ich mich zu ihr um. »Hab ich dich bei etwas gestört?«
Als ich mit dem Kinn zum Fernseher deute, schaut sie hin. Ihre Wangen laufen hochrot an, und sie plappert schnell drauflos. »Ich hab mir nur das Spiel von gestern Abend angeschaut – noch mal. Das Spiel. Nicht dich.« Obwohl ich es nicht für möglich gehalten hätte, lodern ihre Wangen noch röter. »Na schön. Ich hab mir dein Tor ein paarmal angesehen, aber nicht in Dauerschleife oder so. Es war einfach ein echt tolles Spiel, und … und … und …«
»Und du bist ein Fan«, helfe ich ihr aus und fühle mich schlagartig viel besser dabei, dass ich hier so hereingeplatzt bin.
Natalie nickt und stößt den Atem hörbar aus. »Ich bin ein Fan.«
Ein Herzschlag verstreicht …
Sie runzelt die Stirn, und ihr Blick schnellt von meiner Visage auf dem großen Bildschirm zurück zu meinem wissenden Grinsen. »Des Spiels«, fügt sie ein wenig atemlos und hoffnungslos verspätet hinzu. »Ich bin ein Fan des Spiels.«
Mein Grinsen wird breiter, denn das ist die Frau aus Vancouver.
»Ja. Schon kapiert.« Sie ist nicht nur ein Fan des Spiels.
»Vaughn!« Oh ja, da ist es, das ausgelassene Lachen, das sie mir in jener ersten Nacht mehrfach geschenkt hat.
»Vaughn«, ahme ich sie nach und nähere mich ihr wieder einen Schritt, weil ich einfach nicht anders kann, wenn ihr Lächeln so aufblitzt.
»Ich hab mir das Spiel angesehen. Die Highlights.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust und schiebt keck die Hüfte raus. »Was immer du gehofft hast, dass hier gelaufen ist … schlag’s dir aus dem Kopf.«
Mein Lächeln verblasst, und ich zucke mit den Schultern. Dann warte ich kurz und beuge mich schließlich näher zu ihrem Ohr. »Also hast du dir nicht mein Gesicht angesehen und daran gedacht, wie es sich angefühlt hat zwischen …«
Sie kneift die Augen zu und klatscht mir eine Hand auf den Mund.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich mit der schockierten Empörung nicht ermutigen will. Aber obwohl wir nur eine einzige Nacht miteinander verbracht haben … sollte sie es besser wissen.
Mittlerweile stehe ich nah bei ihr. Und als sie mir mit in den Nacken gelegtem Kopf in die Augen sieht, ist sie Allie. Dann blinzelt sie und zieht die Hand zurück.
Das ist die Frau, deren Lachen und Lächeln und leises, verlangendes Stöhnen mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ich bin durchgedreht, als sie einfach so abgehauen ist. Keine Telefonnummer. Keine Ahnung, wie ich sie erreichen könnte.
Aber jetzt ist sie hier. Ihre strahlend blauen Augen blicken in meine, und ihre Atmung wird flacher, während die Sekunden verstreichen. Meine Finger jucken vor Verlangen, sie zu berühren.
Sie steht direkt vor mir.
Ich könnte es tun. Ich könnte die Hand ausstrecken und die Finger in ihre weichen Locken schieben, sie an mich ziehen, bis ihr perfekter kleiner Busen gegen meine Brust drückt – und ihren Mund erobern.
In jenes süße, feuchte Paradies eintauchen und …
Aber jetzt weiß ich, wer sie ist. Und dies ist der Grund, weshalb sie gegangen ist. Schon bevor ich in der Mannschaft ihres Bruders gespielt habe, wäre die Hölle losgebrochen, wenn jemand herausgefunden hätte, dass sie mir erlaubt hatte, sie anzufassen. Früher hätte mir das nichts weiter ausgemacht. Jetzt jedoch steht für mich zu viel auf dem Spiel, und Natalie Baxter verkörpert ein Risiko, das ich nicht eingehen kann.
Ich trete zurück und verschränke die Arme vor der Brust. Der Abstand fühlt sich nicht groß genug an, aber bis ich den ersten Schock überwunden habe, wäre für mich wohl keine Entfernung weit genug.
Für Natalie vielleicht schon, denn sie lächelt, steckt die Hände in die Taschen und zieht die Schultern hoch. Sie beißt sich auf die Unterlippe und wendet den Blick ab. »Und was machen wir jetzt? Ich meine, jetzt, da du es weißt?«
Jetzt, da ich weiß, dass sie Baxter heißt und eine falsche Entscheidung meinerseits das Ende meine Karriere bedeuten könnte? Und ich dachte, sie hätte mich schon in Vancouver aus der Bahn geworfen.
»Zum einen fängst du an, zu den Spielen zu gehen. Und zu dem ganzen gesellschaftlichen Scheiß, den du in letzter Zeit ausgelassen hast, um mir aus dem Weg zu gehen. Beim Großteil davon wirst du mich sowieso nicht sehen. Und selbst wenn, was soll’s? Ich bin bloß ein weiterer Spieler der Mannschaft, und du bist nur eine weitere Angehörige.«
Die rosa Unterlippe löst sich aus der Umklammerung ihrer Zähne. Sie sieht weich und voll aus. Und wahrscheinlich sollte ich mich nicht fragen, ob sie nach dem Kirscharoma des Lippenpflegestifts schmeckt, den sie bestimmt noch immer in der Jeanstasche hat.
»Sollen wir so tun, als würden wir uns nicht kennen? Vielleicht so, als würden wir uns zum ersten Mal begegnen?«
Ich wische mir mit der Hand über den Mund und lache. »Auf keinen Fall.«
Natalie hat es ziemlich gut hinbekommen, bei unserer ersten Begegnung ein paar bedeutsame Fakten unerwähnt zu lassen. Dennoch sagt mir mein Gefühl, dass sie als Schauspielerin nicht gut genug ist, um glaubhaft vorzutäuschen, sie hätte mich noch nie getroffen. Nicht nach dem, was wir miteinander gemacht haben.
»Nein. Die Leute werden merken, dass wir uns schon mal begegnet sind. Niemand wird es hinterfragen oder allzu sehr auf uns achten.«
»Klingt einleuchtend.«
Keine Ahnung, was ich mir davon versprochen habe, herzukommen. Es fühlt sich zwar nicht wirklich so an, als hätte ich irgendwas erreicht, trotzdem ist es an der Zeit zu gehen. Ich steuere auf die Tür zu. Als Natalie neben mir stehen bleibt, drehe ich mich ihr zu. Während ich sie mustere, atme ich langsam aus. Sie ist Baxters kleine Schwester, und meine Karriere steht kurz vor der nächsten Stufe. Zwischen uns wird nichts passieren.
Und dennoch – dieser Mund … Unwillkürlich denke ich daran zurück, wie es sich angefühlt hat, ihn zu erobern.
Natalie blinzelt zu mir hoch, nervös und so süß. »Was ist?«
Ich muss nicht darauf antworten. Ich könnte auch den Kopf schütteln und zur Tür hinaus verschwinden. Stattdessen streiche ich mit dem Daumen über die seidige Haut ihrer Wange. »Du hättest mir sagen können, dass du gehst.«
»Und dann?«, fragt sie mit zittriger Stimme.
»Dann hätte ich dich zum Abschied so geküsst.«
Mit dem Finger an der weichen Stelle unter ihrem Kinn hebe ich ihr Gesicht und drücke ihr einen letzten Kuss auf den Mund. Zärtlich und langsam. Einen Herzschlag lang lasse ich den Kontakt andauern. Lange genug, um zu spüren, wie sie unter meinem Kuss bebt und wie sich ihre Hände federleicht auf meine Brust legen … und um zweifelsfrei zu erkennen, dass ich mir besser keine weitere Kostprobe gestattet hätte.
»Wir sehen uns, Allie.«
»Hallo? Erde an Natalie«, singt Helene Bomer und legt zusammengerollte Widerstandsbänder auf die Arbeitsplatte, auf der ich die Akte meines letzten Physiotherapiepatienten aktualisiere.
Ich schaue mit zerknirschter Miene zu ihr. »Entschuldige! Was hast du gesagt?«
»Ich hab gefragt, warum du dir schon den ganzen Tag mit den Fingern über den Mund fährst.« Sie verschränkt die Arme vor dem üppigen Busen, legt den Kopf schief und verengt die Augen zu Schlitzen. »Aber jetzt frage ich dich, ob du mir was verheimlichst. Irgendwas ist hier nämlich eindeutig im Busch.«
Es stimmt. Erneut streichen meine Finger über meine Lippen … und ich habe ihr tatsächlich etwas verschwiegen. Zwei Tage sind seit meiner Begegnung mit Vaughn vergangen. Zwei Tage seit dem Kuss, von dem ich nicht aufhören kann zu träumen. Zwei Tage, in denen ich meiner ältesten Freundin nicht in die Augen sehen konnte.
Aber so kann es nicht weitergehen. Ich muss mit jemandem reden. Bisher bin ich bloß zu feige dafür gewesen.
Ich stoße den unbewusst angehaltenen Atem aus, lasse die Schultern sinken und flüstere: »Es ist passiert.«
Sanfte braune Augen sehen mich groß an, bevor sie mich an der Hand durch die Klinik zu ihrer bevorzugten Abstellkammer zum Tratschen schleift. Ich leiste keinen Widerstand – und das nicht nur, weil sie wesentlich stärker ist, als man bei ihrer Größe von gerade mal 1,60 Meter erwarten würde. Ich kenne Helene, seit wir am College zusammen gespielt haben, und genau wie damals lässt diese Frau auch heute nie locker.
Sie zieht die Tür der Abstellkammer zu und wirbelt zu mir herum. »Weiß George davon?«
Sie meint Georgia Bowen, Torhüterin während unserer Zeit in Wisconsin und die einzige andere Person, die weiß, was in Vancouver passiert ist.
Ich durchstöbere die Regale und greife mir eine Schachtel Kinesiotape. »Noch nicht.«
Nach ein paar Daumenbewegungen lehnt Helene ihr Handy so gegen einen orthopädischen Wanderschuh, dass wir beide von der Kamera erfasst werden. Auf dem Display sehen wir George vor einer Wand voller Fahrrädern. Sie wischt sich eine lockige rote Strähne ihres Kurzhaarschnitts aus dem Gesicht.
Helene beugt sich näher zum Telefon. »Es ist passiert.«
Auf Georges Seite fällt etwas Schweres, das metallisch klingt, auf den Boden. Dann schwenkt das Bild nach oben, und der Hintergrund rotiert. Als das Display zur Ruhe kommt, erkenne ich, dass sie sich im Treppenhaus hinter dem Laden befindet. »Du hast ihn gesehen? Weiß er Bescheid?«
»Er ist vor meiner Tür aufgetaucht.«
Helene schnappt nach Luft. »Weiß Greg davon?«
»Vaughn hat versprochen, ihm nichts zu sagen.«
George schnaubt. »Wir reden hier von dem Kerl, der deinem Bruder nach einer Woche gemeinsamen Trainings ins Gesicht geschlagen hat. Das zeugt nicht gerade von Zurückhaltung.«
Ich schüttle den Kopf. »Mag sein, aber Rux zufolge war Greg selbst nicht gerade ein Opfer. Er hat bloß das Glück, dass er in seiner Heimatstadt als Held gilt, während Vaughn neu im Team ist und keinen allzu guten Ruf hat.«
»Wie auch immer.« George dreht den Strohhalm ihrer Wasserflasche zu sich und trinkt einen Schluck. »Ich hab gewusst, dass der Typ zu einem Problem für dich wird.«
George hat die Eigenart, dass sie Eishockey zwar liebt – selbst spielt und gern zusieht –, aber kein Fan der Profis ist. Überhaupt nicht. Der Hintergrund ist mir nicht wirklich klar, aber sie will nicht darüber reden.
Ich habe sie nie besorgter erlebt als damals, als ich ihr von Vancouver erzählt habe. Ein Lächeln trat erst wieder in ihr Gesicht, als ich gestand, dass ich Vaughn nicht meinen richtigen Namen genannt und mich rausgeschlichen hatte, während er schlief. An der Stelle sprang sie jubelnd auf die Couch und schnappte sich meine Hand zum Abklatschen, wonach mir nicht wirklich zumute war.
Aber im Grunde wartete sie seit acht Monaten auf die Hiobsbotschaft.
»Ich glaub wirklich, dass er nicht reden wird. Er hat zu viel zu verlieren, wenn sie ihn auf die Bank setzen, bis sein Vertrag ausläuft.« Allerdings denke ich auch aus einem anderen Grund, den ich nicht recht erklären kann, dass er schweigen wird.
Meine beiden Freundinnen plappern wie verrückt drauflos. Helene will wissen, ob die Chemie zwischen uns noch vorhanden war. George fragt, für wen sich Vaughn eigentlich hält, dass er einfach so bei mir aufgetaucht ist. Sie verlangen weitere Einzelheiten über Vancouver, und schon bald will ich nur noch die Flucht ergreifen.
Helene tippt sich an die Lippen. »Ich finde, wir sollten uns bei mir treffen, um ausführlicher darüber zu reden. Ich hab Doritos zu Hause.«
George bietet an, Eis mitzubringen. Bevor die beiden ein komplettes Büfett planen können, hebe ich abwehrend die Hand. »Tut mir leid, Mädels. Heute Abend ist ein Heimspiel gegen Avalanche, und ich gehe mit Julia hin.«