Sleepless - Fatale Abgründe - Andreas Brandhorst - E-Book

Sleepless - Fatale Abgründe E-Book

Andreas Brandhorst

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Beschreibung

Globales Unheil bahnt sich an. Die Welt, wie wir sie kennen, bricht auseinander. Die E-Book-Reihe zur Hörbuch-Serie von Bestsellerautor Andreas Brandhorst Carolin Alberts, die Gründerin des Hamburger Start-ups Harmony, nutzt ihre gesteigerte geistige Leistungsfähigkeit, um ihr Unternehmen innerhalb weniger Monate in einen internationalen Konzern zu verwandeln. Dabei schreckt sie nicht davor zurück, die Übernahme ihres größten Konkurrenten Kruither & Voch zu planen. Moralische Bedenken wirft Carolin über Bord, nur persönlicher Ehrgeiz und Erfolg zählen. Ihr Geschäftspartner Noah Gunnason leidet unterdessen nach der Einnahme des Medikaments Sleepless an schrecklichen Nebenwirkungen ...

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Textnachweis:

»Schlaf«, aus: Theodor Fontane, Sämtliche Werke. Band 1-25, Band 20, München 1959-1975, S. 40.

 

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München), mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: DEEPOL by plainpicture/Andrew Brookes

 

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Inhalt

Cover & Impressum

4. Folge

Fatale Abgründe

Was bisher geschah

1.

Noah Gunnason

2.

3.

Carolin Alberts

4.

5.

6.

Richard M. Richardson

7.

8.

9.

Black Lily

10.

11.

12.

Oskar Brois

13.

14.

15.

16.

Alexander Rieker

17.

Noah Gunnason

18.

19.

Black Lily

20.

21.

Alexander Rieker

22.

Carolin Alberts

23.

Noah Gunnason

24.

Carolin Alberts

25.

Alexander Rieker

26.

4. Folge

Fatale Abgründe

Nun trifft es mich, wie’s jeden traf,

Ich liege wach, es meidet mich der Schlaf,

Nur im Vorbeigehn flüstert er mir zu:

»Sei nicht in Sorg’, ich sammle deine Ruh’,

Und tret’ ich ehstens wieder in dein Haus,

So zahl’ ich alles dir auf einmal aus.«

Theodor Fontane, Schlaf

Was bisher geschah

Das Hamburger Start-up Harmony stellt Smart Drugs her, Lifestyle-Medikamente zur Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit. Mit »Sleepless« gelingt dem jungen Unternehmen der Durchbruch, der es vor dem finanziellen Ruin und der Übernahme durch den pharmazeutischen Konzern Kruither & Voch bewahrt. Wer Sleepless nimmt, bleibt wach und frisch, ohne müde zu werden – die Nacht ist als aktive Lebenszeit gewonnen.

Carolin Alberts, Inhaberin von Harmony, träumt davon, das Unternehmen zu einem Global Player zu machen. Ihr Kompagnon und Partner, der idealistischer eingestellte Noah Gunnason, erhofft sich von Sleepless eine bessere, lebenswertere Welt und ahnt nicht, dass Carolin die Zulassungsunterlagen manipuliert hat, um die neue Smart Drug schneller auf den Markt bringen zu können und Harmony vor dem Bankrott zu bewahren.

Gilbert Fournier, der Unterhändler von Kruither & Voch, beauftragt den skrupellosen Informationsbroker Richard M. Richardson, Material über Harmony zu finden. Er will Carolin Alberts und Noah Gunnason erpressen, sie zwingen, ihr Start-up doch noch an K & V zu verkaufen.

Zudem gibt es seltsame Todesfälle, die offenbar mit Sleepless in Verbindung stehen – Menschen verlieren den Verstand und bringen sich um. Kommissar Rieker von der Hamburger Mordkommission – nach angeblicher Beweismittelfälschung im Immobilienskandal um Innensenator Brois in ein Altbau-Büro in St. Pauli verbannt – ermittelt und bittet seine Hacker-Freundin Lily, Nachforschungen im Cyberspace anzustellen. Lily hat gerade damit begonnen, als sich ein mysteriöser Hacker namens Hannibal mit ihr in Verbindung setzt und ihr ein Treffen vorschlägt. Danach ist sie spurlos verschwunden, und Rieker beginnt mit der Suche nach ihr.

Jemand dringt in das Computersystem von Harmony ein und erbeutet wichtige Daten, darunter die Zulassungsdokumentation von Harmony. Carolin Alberts vermutet, dass Gilbert Fournier dahintersteckt, und beschließt, dieses Problem »endgültig« aus der Welt zu schaffen.

Die ganze Nacht suchen Rieker und seine Assistentin Charlotte nach Lily, ohne Erfolg. Am Morgen, als er mit dem Fahrrad durch die Stadt unterwegs ist, sieht Rieker Lily im Wagen ihres Entführers, doch er kann sie nicht einholen und verliert endgültig ihre Spur. Kurz darauf erhält er die Nachricht, dass Gilbert Fournier tot aufgefunden wurde. Was zuerst nach einem natürlichen Tod durch Herzinfarkt aussieht, erweist sich als Mord mittels Ranazol, einer besonderen Substanz, die nur in einem gut ausgestatteten biochemischen Laboratorium hergestellt werden kann. Harmony verfügt über solche Laboratorien …

Die von Hannibal entführte Lily begegnet dem alten Richard M. Richardson, der ihre Entführung in Auftrag gab und ihr Fragen nach Riekers Ermittlungen stellt. Außerdem will er von ihr erfahren, ob und für welchen Geheimdienst sie arbeitet und was sie über »Zeta« weiß, doch er erhält keine Antworten von ihr. Lily glaubt, dass ihr Leben in Gefahr ist, denn sie könnte nun den Auftraggeber ihrer Entführung identifizieren.

Rieker spricht mit Noah Gunnason, der einen Zusammenbruch erlitt, weil ihm Carolin ohne sein Wissen Sleepless verabreicht hat. Carolin hat Noah gegenüber beteuert, nichts mit dem Tod von Gilbert Fournier zu tun zu haben, aber als er von Rieker erfährt, dass Fournier ermordet wurde, muss er erkennen, dass seine Partnerin nicht nur eine Lügnerin ist, sondern vielleicht auch eine Mörderin.

Hamburgs ehemaliger Innensenator Brois, von Rieker ins Gefängnis gebracht, wird vorzeitig aus der Haft entlassen. Er hat mit Riekers Ex-Frau Daniela seit langer Zeit ein Verhältnis. Bei einem Treffen mit einflussreichen Freunden wird deutlich, dass der Immobilienskandal nur die Spitze des Eisbergs war. Die Gruppe hat große Pläne: Brois soll bei der nächsten Bürgerschaftswahl in Hamburg kandidieren und Erster Bürgermeister werden. Und damit noch nicht genug: Seine mächtigen Freunde stellen ihm das Amt des Bundeskanzlers bei den nächsten Bundestagswahlen in Aussicht …

1.

Noah Gunnason

Ein »Bitte nicht stören«-Schild hing an der Tür des Besprechungszimmers – Noah öffnete sie, ohne anzuklopfen.

Carolin saß am rechteckigen Tisch, mit Helena vom Marketing, Nils vom Vertrieb, zwei am Vortag eingetroffenen Lizenznehmern aus Südamerika und einem Repräsentanten der Bank, die noch vor wenigen Wochen weitere Kredite verweigert hatte.

»Wir müssen reden, Carolin«, sagte Noah.

Alle sahen ihn an, die Besucher neugierig, Helena und Nils ein wenig verunsichert.

»Wir sind hier noch nicht fertig, Noah«, erwiderte Carolin sanft. Sie trug einen eleganten stahlgrauen Hosenanzug, wirkte ruhig und souverän. »In einer halben Stunde?«

»Nein, jetzt sofort!«

Ihre Augen waren anders, fand Noah. Sie schienen nicht mehr die von Carolin Alberts zu sein, sondern die einer Fremden.

Sekunden verstrichen.

Carolin wandte sich an die Besucher. »Bitte entschuldigen Sie. Helena und Nils werden Ihnen unsere Pläne für die nahe Zukunft erläutern und alle Ihre Fragen beantworten.«

Sie kam auf ihn zu. Noah wich in den Flur zurück, als Carolin das Besprechungszimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog.

»Was ist los?«, fragte sie.

»Bei mir«, sagte Noah knapp. »In meinem Büro.« Der Zorn brodelte noch immer in ihm, brannte aber nicht mehr ganz so heiß wie in der vergangenen Nacht. Ein Teil davon war tiefer Enttäuschung gewichen.

»Einfach so in eine wichtige Besprechung zu platzen …«

»Das hier ist wichtiger.« Noah trat vor die Tür seines Büros und ließ Carolin eintreten. Er folgte ihr und schloss die Tür.

Carolin blieb in der Mitte des Raums stehen und sah sich erstaunt um. »Was ist mit deinem Sinn für Ordnung passiert?« Überall lagen Ausdrucke mit Text, Datenkolonnen, Grafiken und chemischen Formeln. Sie bedeckten Tisch und Schreibtisch, lagen auf Sesseln und Regalen. »Du warst offenbar sehr fleißig.«

Auch ihre Stimme hatte sich verändert, fand Noah.

»Du hast mich belogen!«, entfuhr es ihm. Er trat hinter den Schreibtisch und deutete auf den Monitor. »Ich hab alles überprüft. Ich weiß Bescheid.«

Carolin nahm die Ausdrucke von einem der beiden Sessel, legte sie auf den Tisch und setzte sich. »Ach, Noah …«

»Ich habe die ganze Nacht hier verbracht und mir die Daten angesehen, und das diesmal ganz genau, und ich bin in den Laboratorien gewesen …«

»Du hättest zu Hause bleiben und dich ausruhen sollen.« Carolin schlug die Beine übereinander und faltete die Hände im Schoß. »Nach dem Zusammenbruch gestern, der dich ins Krankenhaus brachte …«

Noah ließ sie nicht ausreden. »Du hast von Vertrauen gesprochen. ›Vertrau mir‹, sagte die Frau, die mir heimlich Sleepless gegeben hat. Heute Nacht hab ich zwei weitere Pillen genommen, um für das hier wach zu bleiben.« Er deutete auf die vielen Ausdrucke. Die Halluzinationen erwähnte er nicht, die schwarzen Käfer, die aus der Dunkelheit gekrochen kamen, wenn die Wirkung von Sleepless nachließ, die Fratzen am Rand seines Blickfelds. »Wie kann man von Vertrauen reden und gleichzeitig lügen?«

Carolin schwieg einige Sekunden lang und musterte ihn. »Ich hab dich nicht belogen.«

»Das ist eine weitere Lüge!«, entgegnete Noah heftig und fühlte etwas zerbrechen, das sehr kostbar gewesen war. Er stand noch immer und bemerkte, dass seine Hände zitterten. »Du lügst und lügst.«

»Noah …«

»Du hast gesagt, mit den Zulassungsdaten sei alles in Ordnung. Ich habe sie kontrolliert, sie alle, auch die versteckten Dateien. Die Dokumentation ist nicht vollständig, und einige Daten wurden nachträglich geändert.«

»Vielleicht hast du nicht genau genug kontrolliert«, sagte Carolin langsam.

»Aus dem Inhalt der versteckten Dateien geht hervor, dass es bei mehreren Probanden zu gravierenden Nebenwirkungen kam.« Noah nahm einen Ausdruck, wedelte damit herum und legte ihn wieder beiseite. »Unter solchen Umständen hätte Sleepless nicht zugelassen werden dürfen. Es hätte weitere klinische Studien geben müssen.«

»Weitere Studien hätten den Ruin für uns bedeutet, das weißt du«, gab Carolin zurück. »Hast du bereits vergessen, dass uns die Banken keine Kredite mehr geben wollten? Wenn wir Sleepless nicht sofort auf den Markt gebracht hätten, wären wir von Kruither & Voch übernommen worden.«

»Und genau damit hat uns Gilbert Fournier erpresst, nicht wahr?«, fragte Noah scharf. »Der Einbruch in unser Computersystem, bei dem die Zulassungsdaten erbeutet wurden … Er steckte dahinter und fand heraus, dass du die Daten manipuliert hast!«

»Ich habe die Zulassungsdokumentation mehrmals bearbeitet, bevor sie ans Büro von Felix Arents weitergeleitet wurde«, sagte Carolin. »Von Manipulation kann keine Rede sein.«

»Du bist mit ihm ins Bett gestiegen!« Es gelang Noah nicht, die Worte zurückzuhalten. Ein alter Schmerz lag in ihnen.

Für einen Moment wirkte Carolin traurig. »Das bin ich, ja. Weil es um unser Überleben ging, um die Zukunft von Harmony. Wir brauchten die Zulassung für Sleepless möglichst schnell.« Sie seufzte leise. »Ich hab getan, was nötig war. Und was Gilbert Fournier betrifft … Er ist tot und kann uns nicht mehr erpressen.«

»Er wurde ermordet!« Noah stand noch immer hinter seinem Schreibtisch und fühlte, wie ihm die Knie weich wurden. Er sank auf den Drehstuhl.

»Er erlag einem Herzinfarkt«, entgegnete Carolin. »So was passiert. Pech für ihn.«

Noah holte tief Luft und spürte, wie der Zorn fast ganz aus ihm verschwand. Seine Enttäuschung wurde umso größer.

»Ich habe mit Rieker gesprochen«, sagte er. »Gestern Abend.«

Die fremden Augen sahen ihn ohne erkennbare Regung an. Doch tief in ihnen lag etwas Kaltes und Scharfes, wie ein Messer aus Eis. Noah fröstelte.

»Gestern Abend?«, wiederholte Carolin.

»Ja. Er kam zu mir in meine Wohnung und hat mir von Gilbert Fournier erzählt. Er hat mir gegenüber bestätigt, dass es sich um Mord handelt.«

»Kommissar Rieker sieht überall Mord und Totschlag.« Nichts schien Carolins Ruhe erschüttern zu können. »Ich habe den Eindruck, er meint es nicht besonders gut mit uns.«

»Ranazol«, sagte Noah.

Wieder verstrichen einige Sekunden.

»Was ist damit?«, fragte Carolin schließlich. Das Wort schien wirkungslos an ihr abgeprallt zu sein.

»Jemand hat Gilbert Fournier Ranazol verabreicht, das zusammen mit Koffein einen Herzinfarkt bewirkt.« Noahs Hände zitterten noch immer. Er legte sie auf die Beine. »Mord. Rieker meinte, dass daran kein Zweifel bestehen kann.«

Carolin schwieg.

»Mord«, betonte Noah. »Wer könnte Interesse daran haben, Gilbert Fournier zu ermorden?«

Carolin gab noch immer keinen Ton von sich.

»Wo bist du gestern Nacht und heute am frühen Morgen gewesen, Carolin?«

»Beschuldigst du mich?«

»Wie gesagt, ich habe mir die Laboratorien angesehen. Im Nebenlabor, in dem du manchmal experimentierst, habe ich etwas gefunden. Du scheinst es sehr eilig und nicht die Zeit gehabt zu haben, alle Spuren zu beseitigen. Wahrscheinlich hast du gedacht, dass bei einem Herzinfarkt niemand einen Mord vermutet.«

»Du hast mir nachspioniert?«, fragte Carolin.

»Eine doppelte Lüge«, sagte Noah. »Du hast behauptet, mit der Zulassungsdokumentation für Sleepless sei alles in Ordnung, doch das stimmt nicht. Und Gilbert Fournier starb nicht einfach an einem Herzinfarkt, er wurde umgebracht. Du hast ihn umgebracht.«

In Carolins Gesicht veränderte sich etwas, ohne dass Noah die Veränderung zu deuten wusste. »Ist dir klar, was du da sagst?«