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Globales Unheil bahnt sich an. Die Welt, wie wir sie kennen, bricht auseinander. Die E-Book-Reihe zur Hörbuch-Serie von Bestsellerautor Andreas Brandhorst Das Hamburger Start-up Harmony bringt ein neues Medikament auf den Markt: Sleepless. Es bietet Menschen die Möglichkeit, teilweise oder ganz auf Schlaf zu verzichten, ohne müde zu werden – sie gewinnen die Zeit, die sie bisher schlafend verbrachten, als Lebenszeit hinzu. Als der große pharmazeutische Konzern Kruither & Voch eine Übernahme des schnell wachsenden Start-ups erzwingen will, gerät dessen ehrgeizige Gründerin Carolin Alberts unter Druck. Währenddessen sieht sich Hauptkommissar Alexander Rieker erneut mit einem Toten konfrontiert, der mit Harmony in Verbindung steht ...
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Cover & Impressum
2. Folge
Kaltes Gift
Was bisher geschah
1.
Christian Langwer
2.
Alexander Rieker
3.
4.
Carolin Alberts
5.
6.
Alexander Rieker
7.
8.
9.
Gilbert Fournier
10.
Alexander Rieker
11.
12.
Carolin Alberts
13.
14.
Black Lily
15.
Carolin Alberts
16.
17.
Alexander Rieker
18.
19.
Schlaf ist der größte Dieb, er raubt das halbe Leben.
Deutsches Sprichwort
Das Hamburger Start-up Harmony stellt Smart Drugs her, Lifestyle-Medikamente zur Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit. Von »Sleepless« erhofft sich das junge Unternehmen den Durchbruch. Das neue Produkt soll den Menschen mehr Leben schenken, indem es sie von der Notwendigkeit des Schlafens befreit. Wer Sleepless nimmt, bleibt wach und frisch, ohne müde zu werden, die Nacht ist als aktive Lebenszeit gewonnen. Die Vermarktung von Sleepless könnte Harmony vor dem Konkurs und der Übernahme durch den internationalen pharmazeutischen Konzern Kruither & Voch bewahren.
Adrian Ludson, der für Harmony Sleepless testete, wird tot aufgefunden, mit einem Dolch in der Schläfe. Es sieht zuerst nach Mord aus, aber Kommissar Rieker stellt bald fest, dass Ludson offenbar durchgedreht ist und Suizid verübte. Kurz darauf stirbt eine zweite Person, die mit Harmony und Sleepless in Verbindung steht, der bei Harmony arbeitende Laborassistent Manfred Henkens. Er wird vom Drogendealer Erik Meurer erschossen, der auf Notwehr plädiert und behauptet, Henkens hätte sich plötzlich in eine Furie verwandelt und ihn angegriffen. Rieker sieht einen Zusammenhang und ermittelt bei Harmony.
Carolin Alberts und Noah Gunnason, den beiden Inhabern von Harmony, steht das Wasser bis zum Hals. Die Banken geben keine Kredite mehr, und Kruither & Voch stellt ihnen ein Ultimatum: Wenn Alberts und Gunnason ihr Unternehmen nicht in wenigen Tagen an Kruither & Voch verkaufen, droht der Ruin.
Carolin Alberts nutzt ihre Beziehung zu Dr. Felix Arents vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, um vorzeitig eine Zulassung für Sleepless zu bekommen. Für den Beweis, dass Harmonys neue Smart Drug keine schädlichen Nebenwirkungen hat, nimmt sie selbst eine doppelte Dosis und gibt auch Arents eine Pille.
Als passionierte Hobbyfotografin nutzt Carolin die Nacht ohne Schlaf, um in Hamburg auf Motivsuche zu gehen. Dabei gerät sie in eine gefährliche Situation und reagiert auf eine Weise, die sie selbst verblüfft: Sie schlägt einen Mann nieder, der viel kräftiger ist als sie. Daraufhin wird ihr klar, dass in Sleepless noch viel mehr steckt, als sie dachte.
Christian Langwer, Krischi genannt, atmete die Nacht in tiefen Zügen und fühlte seine Flügel wachsen. Er hörte ihr Knistern, die dünnen Knochen in seinem Fleisch, die Federn im Wind.
Hinter ihm wurde die Musik etwas lauter und dann wieder leiser, als sich die Tür öffnete und schloss.
»Was machst du hier?«
Bettys Stimme. Sie war ihm gefolgt.
Er drehte sich nicht um und lächelte im kühlen Nachtwind. Der Mondschein spiegelte sich auf der nahen Außenalster.
»Ich fliege«, antwortete.
Betty hinter ihm lachte. »Wohin?«
Christian deutete nach oben. »Vielleicht zum Mond.«
»Nimmst du mich mit?«
Er warf einen Blick über die Schulter. Sie stand bei der Tür der Dachterrasse, in fransiger Jeans und dünnem, ärmellosem Shirt, etwas jünger als er, gerade erst zwanzig. Licht fiel aus den Fenstern neben ihr, Silhouetten tanzten.
»Ich weiß nicht, ob meine Flügel dafür kräftig genug sind.«
Betty kam etwas näher und fröstelte. »Es ist kalt hier draußen.«
Christian breitete die Arme aus. »Sieh sie dir an! Sind sie nicht wunderschön, meine Flügel?«
»Tolles weißes Gefieder«, sagte Betty. »Komm wieder rein und lass uns was trinken.«
Etwas an ihr hatte ihn den ganzen Abend und die halbe Nacht gestört. Jetzt wusste er, was ihm nicht gefallen hatte. Das Trinken. Alkohol war uncool.
»Meine Flügel sind rot«, sagte Christian. »Rot wie Rubin. Ich drehe eine Runde über der Außenalster.« Er stieg auf den Stuhl an der Brüstung.
»Ach, Krischi, lass den Quatsch.«
Die Tür öffnete sich erneut, das dumpfe Wummern der Musik wurde lauter.
»He, ihr beiden Turteltauben …« Die Stimme eines Mannes. Ronny oder vielleicht Tom. Christian sah nicht hin, es interessierte ihn nicht. Er beobachtete, wie der Mondschein die Außenalster in Silber verwandelte.
»Was macht er da?«, fragte Ronny oder Tom.
»Er will fliegen.« Betty kicherte. »Mit seinen tollen Flügeln, die nicht weiß sind, sondern rot.«
»Was?«
»Er spinnt.«
Christian schlug mit den Flügeln. Ja, sie waren groß genug, das Gefieder dicht. Er trat vom Stuhl auf die Brüstung.
»Mach keinen Unsinn«, erklang erneut die Stimme des Mannes. »Komm da runter.«
Zehn Stockwerke weiter unten parkten Autos zu beiden Seiten der leeren Straße. Zwei Passanten bemerkten die Gestalt oben auf der Brüstung. Beide holten ihre Handys hervor und filmten die Szene.
Christian beugte die Knie für den Sprung.
Betty quiekte einen halben Schrei.
Der Mann lief. Christian hörte seine schnellen Schritte und sah aus dem Augenwinkel eine Hand, die ihn festhalten und zurückziehen wollte.
Er sprang.
Etwas geschah mit seinen Flügeln. Sie schrumpften, das Gefieder verlor an Dichte, Federn lösten sich, Lücken entstanden.
Christian flog nicht, er fiel, stürzte senkrecht in die Tiefe.
Nach zehn Stockwerken schlug ihm das Pflaster ins Gesicht.
Alexander Rieker lief im Mondschein durch eine Stadt, die ihm weniger still erschien als sonst in den frühen Morgenstunden. Er hatte keine Schmerzen in den Füßen, die Beine fühlten sich auch nach fast zwanzig Kilometern noch leicht an, der Atem war synchron mit der Bewegung – alles fühlte sich gut an.
»Bist immer noch fit«, lobte sich Rieker selbst, als er nach einer Stunde und vierzig Minuten zu dem großen Neustadt-Wohnhaus zurückkehrte, in dem er seit der Trennung von Daniela in einem Zwei-Zimmer-Apartment wohnte. Der Berufsverkehr hatte eingesetzt und machte Hamburgs Straßen wieder laut. Trotzdem hörte Rieker ein Klappern, als er das Gebäude betreten wollte.
Der große Fahrrad-Unterstand neben dem vierstöckigen Wohnhaus war fast leer. Jemand machte sich dort an einem der beiden letzten Räder zu schaffen. Als Rieker genauer hinsah, stellte er fest, dass sein Sportrad das Objekt der Begierde war.
Rieker trat näher. »Kann ich helfen?«
Ein junger Mann – nicht älter als fünfundzwanzig, kräftig gebaut, mit struppigem Haar und in Jeans und abgewetzter Lederjacke – zerrte an der Kette. »Das verdammte Schloss geht nicht auf.«
»Na so was«, meinte Rieker. »Wollen Sie’s hiermit versuchen?«
Er hatte den kleinen Rucksack abgesetzt und entnahm ihm einen Schlüsselbund, an dem auch der Schlüssel für das Fahrradschloss hing.
Der junge Bursche drehte sich um. »Dein Rad, was?«
Rieker lächelte. »Bingo.«
»Und jetzt?« Der Mann trat drohend vor. »Was willst du alter Knacker machen? Die Polizei rufen?«
Riekers Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Brauch ich nicht. Die ist schon hier.« Er zeigte seinen Dienstausweis.
Der junge Mann sprang an ihm vorbei und lief zur Straße. Rieker sah ihm nach und beobachtete, wie er hinter der nächsten Ecke verschwand.
Neben der Einfahrt parkte eine Limousine mit getönten Scheiben. Die Fahrertür öffnete sich, und eine Frau stieg aus: um die vierzig, blond, schlank, elegant. Rieker erkannte sie sofort und fühlte sein Herz schneller schlagen, trotz allem.
»Bist früh auf den Beinen, Danny.«
»Sogar noch früher, als du denkst«, erwiderte Riekers Noch-Ehefrau Daniela. »Ich warte seit einer Stunde auf dich.«
Rieker deutete zur Limousine. »Dein neuer Wagen?«
»Nein. Er gehört Felix.«
Rieker nickte anerkennend. »Schick. Ich hab nur ein Sportrad zu bieten, das mir eben jemand klauen wollte.«
»Du hast den Dieb nicht festgehalten.«
Rieker zuckte mit den Schultern.
»Die Kleinen lässt du laufen und knöpfst dir stattdessen die Großen vor?«
»Besser als umgekehrt, nicht wahr?«, entgegnete Rieker. »Wem oder was verdanke ich die Ehre deines Besuchs?«
Daniela kam näher. Rieker roch ihr Parfüm, das er so gut kannte.
»Ich wollte dir nur etwas sagen.«
»Sag’s mir drinnen.« Rieker deutete zur Tür. »Wie du gesehen hast, komm ich gerade vom Laufen und hab feuchte Sachen am Leib. Du willst doch nicht, dass ich mir ’ne Lungenentzündung hole, oder?«
Er ging zur Tür, öffnete sie mit einem Schlüssel des Schlüsselbunds und hielt sie auf. Daniela zögerte kurz, bevor sie ihm ins Haus folgte.
In seinem Apartment sah sie sich um. Alles lag an seinem Platz. Das Bett war gemacht, Decke und Laken glatt. Es gab kaum persönliche Gegenstände, und es fehlte ein Fernseher. Dafür mangelte es nicht an Büchern. Sie standen dicht gedrängt und säuberlich nach Autorennamen sortiert in Regalen, die zwei Wände des Wohnzimmers bedeckten.
»Eine Junggesellenwohnung stellt man sich anders vor«, meinte sie.
»Ich bin kein Junggeselle, sondern verheiratet.«
»Aber nicht mehr lange. Ich habe die Scheidung eingereicht.«
Rieker blieb vor der Tür des Badezimmers stehen. »Wolltest du mir das sagen?«
»Das und noch etwas anderes.«
»Bitte gedulde dich ein paar Minuten, ich dusche nur schnell.« Er öffnete die Badezimmertür. »Willst du mit unter die Dusche?«
Daniela lachte auf. »Soll das ein Witz sein?«
Nein, dachte Rieker mit einem kurzen Anflug von Wehmut, als warmes Wasser auf ihn herabströmte. Es war kein Witz. Es wäre schön gewesen, wie in alten Zeiten.
Zehn Minuten später kehrte er in Jeans und Hemd ins Wohnzimmer zurück. Daniela saß am leeren Tisch.
Er deutete zur Küchennische. »Du hättest Kaffee kochen können.«
»Ich bin nicht mehr deine Bedienstete.«
»Das bist du nie gewesen. Und ich meinte: Du hättest Kaffee für dich kochen können, wenn du welchen möchtest. Dort steht alles bereit.«
Daniela sah auf ihre silberne Armbanduhr. »Den letzten Kaffee hab ich um vier getrunken.«
»Konntest du nicht schlafen?«, fragte Rieker erstaunt.
Daniela lächelte geheimnisvoll. »Ich musste nicht.« Sie deutete auf die Bücherregale. »Mir scheint, es sind noch mehr geworden. Was machst du nur mit all den Büchern?«
»Lesen.«
»Tolle Wohnung übrigens.« Daniela nickte wie anerkennend. »Mein Hobbyraum ist in etwa so groß. Wie viele Quadratmeter sind es? Fünfundvierzig?«
»Siebenundvierzig«, sagte Rieker. »Und es ist nicht dein Hobbyraum, sondern der von Felix. Er kann ihn leider nicht mehr genießen, weil er im Knast sitzt.«
»Wo du ihn hingebracht hast«, erwiderte Daniela kühl.
»Mit großer Freude.«
»Sollte ein Kommissar nicht neutral sein?«
»Das verwechselst du mit einem Richter, Danny. Kommissare fühlen mit den Opfern und verabscheuen den Täter. Das motiviert sie, ihn zu finden und zu überführen.«
»Felix hat niemanden umgebracht!«
Sie sprach anders, stellte Rieker fest. Nicht mit dem feurigen Zorn früherer Auseinandersetzungen, sondern mit Eiszapfen in der Stimme. Und auch ihr Gesicht war anders. Es wirkte nicht mehr so weich wie noch vor einigen Monaten, scharfe Kanten schienen sich darin gebildet zu haben.
»Er gehört zu der Finanzclique, die mit Manipulationen von Immobilienfonds Tausende um ihr Erspartes gebracht hat. Das hübsche Häuschen, in dem du jetzt wohnst, ist Teil der Beute.«
»Es gehört seinen Eltern!«
»Dein Felix hat es ihnen rechtzeitig überschrieben«, sagte Rieker. »Mittels einer Scheinfirma. Leider konnten wir es nicht beweisen – der Rest der Clique hielt eine schützende Hand darüber.«
Rieker suchte nach Worten, um das Gespräch in eine neue, bessere Richtung zu lenken. Er fand keine und fragte schlicht: »Warum bist du zu mir gekommen, Danny?«