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"Ich bin Alex Gantry." Die junge Witwe Olivia ist erstaunt: Sollte das charmante Raubein vor ihr tatsächlich der Sohn ihres verstorbenen Ehemanns sein? Oder ist er bloß ein gerissener Betrüger, der an ihr Millionenerbe will? Ein erotisches Katz-und-Maus-Spiel beginnt.
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Seitenzahl: 200
IMPRESSUM
So reich, so schön, so einsam erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 1982 by Anne Mather Originaltitel: „Smokescreen“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1382 - 2000 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Irmgard Sander
Umschlagsmotive: ViewApart / Getty Images
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733778835
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen … Asche zu Asche, Staub zu Staub …“
Die Worte drangen wie aus weiter Ferne an Olivias Ohr. Kaum nahm sie die strahlende Februarsonne wahr, die zu dem ernsten Anlass einen so unangemessenen Kontrast bildete, oder die verstohlen neugierigen Blicke, die sie, als die junge, trauernde Witwe, auf sich zog. Mit ihrem tiefschwarzen Haar, noch unterstrichen durch ihren eleganten schwarzen Pelzmantel, wirkte sie wie ein Fremdling in dieser typisch englischen Umgebung. Doch sie schien abgehoben von den Ereignissen um sie her, unbeeindruckt von den getuschelten Spekulationen der übrigen Trauergäste.
Eine große Zahl hatte sich um das Grab von Henry Gantry versammelt: Geschäftspartner, die übrigen Direktoren des gewaltigen Chemieunternehmens, das er gegründet hatte, Angestellte – kurz, jeder, der glaubte, durch sein Erscheinen irgendetwas beweisen zu können. Henry Gantry war ein mächtiger Mann gewesen. Selbst im Tod verlangte er seinen Mitmenschen noch großen Respekt ab – und obwohl keiner der Anwesenden es zugegeben hätte, hatte jeder von ihnen ihn zumindest zeitweise gefürchtet.
Olivia bildete die Ausnahme. Sie hatte nie Angst vor ihm gehabt. Noch bevor sie ihn gekannt hatte, hatte sie ihn schon gehasst, und in jüngerer Zeit hatte sie ihn verachtet genauso wie sich selbst. Dennoch hatte sie durch das Zusammenleben mit ihm in seinem Haus gelernt, ihm so etwas wie Respekt zu zollen, auch wenn sie ihm nie verzeihen konnte, was er getan hatte. Nun war das alles vorbei. Oder sollte es erst beginnen …?
Die Beerdigungszeremonie war beendet, der schwere Eichensarg ins Grab hinabgelassen worden, und Francis Kennedy, der Henry Gantrys persönlicher Assistent gewesen war, berührte Olivia sacht am Arm.
„Darf ich Sie nach Hause fahren, Mrs. Gantry?“, bot er ihr in seiner zuvorkommenden Art an. „Sie müssen durchgefroren und müde sein und sollten sich einen ordentlichen Brandy gönnen.“
Olivia wandte sich ihm zu. Mandelförmige grüne Augen leuchteten auffallend hell und klar in ihrem schönen, ebenmäßigen Gesicht. „Danke“, sagte sie höflich, „aber ich komme zurecht, Francis. Ich werde wie üblich mit Forsyth fahren. Trotzdem weiß ich Ihre Geste zu schätzen.“
Francis Kennedy nickte galant. „Es war mir ein Vergnügen, Mrs. Gantry. Wir sehen uns dann in Ihrem Haus.“
Olivia nickte ihrerseits und lächelte dem Priester flüchtig zu. Armer Pater Donovan, dachte sie, während sie an den Gräbern entlang zum Parkplatz ging. Auch er hatte sich der Macht von Reichtum und Besitz gebeugt. Obwohl Henry Gantry zu Lebzeiten nie einen Fuß in eine Kirche gesetzt hatte, wäre der feierliche Trauergottesdienst zu seinen Ehren des frommsten Gläubigen würdig gewesen. Wie hieß es noch in der Bibel von dem reuigen Sünder? Dass Gott sich über die Reue eines einzigen Ungläubigen mehr freuen würde als über den Glauben vieler? Das Problem war nur, Henry Gantry hatte sein Leben so geführt, wie es ihm gepasst hatte, und bis zum Schluss nichts bereut.
Plötzlich schoben sich graue Wolken vor die Sonne. Obwohl es gerade erst drei Uhr nachmittags war, würde es schon bald dunkel werden. Olivia fröstelte und beschleunigte ihre Schritte dorthin, wo Forsyth, der Chauffeur, neben dem Rolls wartete.
Als Forsyth ihr den Wagenschlag öffnete, traten einige der Trauergäste näher, um ihr zu kondolieren. Malcolm Birk, Henrys Geschäftsführer, und seine Frau, Barry Freeman, der Prokurist, Sean Barrett, einer der Direktoren, und einige mehr. Olivia nahm ihre Beileidsbekundungen höflich und ernst entgegen, wobei ihr bewusst war, dass jeder von ihnen nur an seine eigenen Interessen dachte. In einem Punkt hat Henry recht gehabt, überlegte sie, als sie sich in die luxuriösen Lederpolster des Rolls zurücklehnte: Sie alle waren wie ein lauerndes Rudel Wölfe. Und wenn ihre, Olivias, Position nicht so gesichert gewesen wäre, wäre sie zweifellos das erste Opfer gewesen.
Sie seufzte nachdenklich und merkte, dass Forsyth sie im Rückspiegel beobachtete. Doch sein Blick verriet ernst gemeinte Sorge, weshalb Olivia ihm beruhigend zulächelte.
„Ich werde zurechtkommen.“ Sie zog sich die schwarzen Wildlederhandschuhe von den zierlichen Händen und betrachtete nachdenklich den rechteckigen Saphir, der ihren breiten goldenen Ehering zierte. „Ich werde zurechtkommen, Forsyth“, wiederholte sie. „Sie werden schon sehen.“
Am Tor des Friedhofs wartete ein Pulk von Reportern, um wenigstens noch ein Foto von der jungen Witwe zu schießen. Denn die Geschichte war natürlich ein gefundenes Fressen für die Presse: eine schöne junge Frau, nur zweiundzwanzig Jahre alt, die durch ihre Heirat mit einem Mann, der mehr als vierzig Jahre älter gewesen war als sie, Berühmtheit erlangt hatte und nach nur sechs Monaten Ehe durch den Tod ihres kranken, alten Mannes zu einer der reichsten Frauen der Welt geworden war.
Olivia versuchte erst gar nicht, sich vor dem Blitzlichtgewitter zu verstecken. Kühl und gefasst saß sie auf dem Rücksitz des Rolls und wusste, dass sich die klatschsüchtigen Leser der Boulevardpresse auch darüber den Mund zerreißen würden. Sowieso glaubte jeder, dass sie Henry nur seines Geldes wegen geheiratet hatte – und in gewisser Weise traf das sogar zu. Aber nicht so, wie man es gemeinhin annahm, nicht einmal, wie es seine Geschäftspartner annahmen und schon gar nicht aus den Gründen, die Henry selbst aufgeführt hatte.
Es waren nur fünfzehn Minuten Fahrt vom St. Saviour’s Friedhof zu dem Haus, das Olivia in den vergangenen sechs Monaten mit Henry geteilt hatte. Auf Flitterwochen hatten sie verzichtet, das wäre eine unerträgliche Ironie gewesen. Überdies war Henry bereits eins schwer kranker Mann gewesen. Er hatte gewusst, dass ihm nur noch wenige Monate blieben.
Wider Willen bewunderte Olivia die Willenskraft, mit der er dieses Wissen in seinem täglichen Leben verdrängt hatte. Nur seine engsten Vertrauten, wie Francis Kennedy, hatten gewusst, wie schlecht es wirklich um ihn stand. Er war bis zum Schluss ein Kämpfer gewesen, und nur seine abgezehrten Gesichtszüge in den letzten Wochen hatten ahnen lassen, welche Schmerzen er insgeheim ertrug. Henry Gantry war immer ein stattlicher Mann gewesen, groß und breitschultrig, und als die Hochzeitsfotos in den Zeitungen erschienen, hatten längst nicht alle nur ihn um sein Glück beneidet. Einige hatte auch Olivia beneidet und das nicht nur, weil Henry Gantry zu den fünfzehn reichsten Männern der Welt gezählt wurde.
Der Rolls bog langsam in die Virginia Drive ein, eine Sackgasse, zu beiden Seiten von hohen Mauern gesäumt, die Henry Gantrys Anwesen vor neugierigen Blicken abschirmten. Große schmiedeeiserner Tore, die Tag und Nacht von Wachen mit Hunden bewacht wurden, markierten den Eingang zu dem Privatgrundstück. Für den Rolls schwangen die schweren Tore sofort auf. Olivia hob automatisch die Hand, um den höflichen Gruß der Wache zu erwidern. Anfangs hatte sie diese Respektbekundung jedes Mal in Verlegenheit gebracht, doch inzwischen verschwendete sie keinen Gedanken mehr daran.
Eine kiesbedeckte Auffahrt führte in weitem Bogen zwischen großen Hortensien- und Rhododendronbüschen auf einen großen Platz vor dem Haus. Die Villa selbst war in neogeorgianischem Stil erbaut, dezent elegant mit einer Säulenveranda und einem holzvertäfelten Eingangsportal. Gestutzte Hecken säumten die Terrasse, hinter der sich ein ausgedehnter perfekter englischer Rasen erstreckte, nach sorgsamem Plan durch einen Seerosenteich und verschiedene Blumenbeete unterbrochen. Alles machte einen makellos gepflegten Eindruck … so makellos, wie es eine Armee von Gärtnern schaffen konnte.
„Brauchen Sie den Wagen heute noch einmal, Mrs. Gantry?“
Forsyths höfliche Frage riss Olivia aus ihren Gedanken. „Nein“, antwortete sie zerstreut. „Nein, ich glaube nicht, Forsyth. Sie können sich den Rest des Tages freinehmen.“
„Vielen Dank, Mrs. Gantry!“ Forsyth kam um den Wagen herum und hielt ihr den Wagenschlag auf. „Nehmen Sie’s nicht so schwer, hm?“, fügte er fürsorglich hinzu, als er ihr beim Aussteigen half.
„Danke.“ Ein Lächeln huschte über Olivias Gesicht. Dann wandte sie sich ab und ging zum Haus. Hinter ihr fuhren weitere Wagen vor.
Die Eingangshalle der Villa war luftig und geräumig. Ein gewaltiger Kristallleuchter hing von der hohen Decke herab, ein wertvoller Teppich in Blau und Gold bedeckte den Boden. Weitere Lampen entlang der Wände beleuchteten einige der zahlreichen Originalgemälde, die Henry Gantry im Lauf seines Lebens gesammelt hatte.
Das Haus war auf zwei Ebenen erbaut. Dort, wo Hamish Murdoch, der Butler, Olivia jetzt aus dem Mantel half, befanden sich neben der Eingangshalle die Salons und die Bibliothek. Eine Treppe führte hinauf in den ersten Stock, wobei die Wände der Galerie weitere Stücke aus Henrys Gemäldesammlung zierten. Direkt vor Olivia ging es durch einen Türbogen über flache Stufen hinunter in das Esszimmer, den Wintergarten und das Arbeitszimmer ihres verstorbenen Mannes. Dieser Teil des Hauses lag nach Süden, und durch Verandatüren in jedem Zimmer gelangte man auf eine Terrasse mit Pool, den Henry bei gutem Wetter häufig benutzt hatte. Jenseits der Terrasse fiel das Gelände sanft zum Fluss hin ab. Die Themse war an dieser Stelle tief und breit genug, um eine natürliche Barriere gegen Eindringlinge zu bilden.
In einem der Salons war auf Olivias Vorschlag hin ein kaltes Büfett angerichtet worden. Wie üblich traf Francis Kennedy als Erster ein und übernahm unaufdringlich die Rolle des Gastgebers, um Olivia zu entlasten. Sie wusste, dass sie ihm dafür dankbar sein musste, doch es gelang ihr nicht ganz, die Motive zu vergessen, die sich hinter seinem verbindlichen Lächeln verbargen.
Henrys Anwalt war gekommen. Adam Cosgrove hatte Henry während seiner gesamten Unternehmerkarriere begleitet, und es war daher naheliegend, dass er ein gewisses Maß an Trauer fühlte. Dennoch kam es Olivia so vor, als würde auch er sie auffällig berechnend betrachten. In der Tat war es ein unangenehmer Gedanke, wie viele Menschen in finanzieller und beruflicher Hinsicht von Henry abhängig gewesen waren und nun von ihr abhingen. Wie würden sie alle sich fühlen, wenn sie erfuhren, was sie, Olivia, zu tun beabsichtigte? Olivia machte sich nichts vor. Man würde sie dafür nicht bewundern.
„Olivia!“
Eine spöttische Frauenstimme veranlasste Olivia, sich umzudrehen. Drusilla Stone war das Abbild kühler Eleganz in einem dunklen Pelzmantel über einem grauen Flanellkostüm. Mit ihrem makellos gefärbten blonden Haar und einem perfekten Make-up sah sie deutlich jünger aus, als sie war. Drusilla würde, daran zweifelte Olivia nicht, von allen Getreuen Henrys am meisten profitieren. Aber vielleicht war das ja auch nur gerecht, denn immerhin war sie viele Jahre und bis zu seiner Heirat mit ihr, Olivia, seine Geliebte gewesen.
„Hallo, Drusilla“, antwortete sie ausdruckslos. „Wie lieb, dass Sie gekommen sind.“
Um Drusillas Mundwinkel zuckte es. „Es war das Mindeste, was ich zu Henrys Andenken tun konnte, meinen Sie nicht? Schließlich habe ich von allen Schmarotzern hier – Ihnen eingeschlossen – das größte Recht, eine gewisse Anerkennung zu erwarten.“
Olivia nahm es Drusilla nicht übel. Sie hatte es Henry nie verziehen, eine andere und noch zudem eine so viel Jüngere geheiratet zu haben. „Sie werden bestimmt nicht enttäuscht werden, Drusilla“, antwortete sie nun friedfertig. „Sicherlich können wir unsere Differenzen jetzt vergessen. Wir haben doch so viel gemeinsam.“
„Ich habe nichts gemeinsam mit einer geldgierigen kleinen Erbschleicherin, wie Sie es sind!“, zischte Drusilla giftig. „Und wenn Henry nicht so versessen darauf gewesen wäre zu verhindern, dass sein selbstsüchtiger Sohn an sein Geld herankommt, hätte er sich nie von so einer lüsternen kleinen …“
„Das genügt, meinen Sie nicht?“, mischte sich Francis Kennedy ruhig ein. „Meine liebe Drusilla, Sie haben noch nie zwischen gutem und schlechtem Geschmack unterscheiden können, nicht wahr? Und meinen Sie nicht, dass Henry das gewusst hat? Sonst würden Sie jetzt an Olivias Stelle stehen.“
„Halten Sie sich da raus, Kennedy!“, fuhr Drusilla ihn feindselig an. „Glauben Sie nicht, dass ich Ihr Spiel nicht durchschaue! Jetzt, da Henry tot ist, müssen Sie Ihre Strategie ändern, stimmt’s? Und es hat gewiss seinen Reiz, die reiche Witwe zu umwerben.“
Francis zuckte kaum mit der Wimper, aber seine Augen blitzten wütend auf. Olivia legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. „Bitte, Francis, es ist sehr nett von Ihnen, mich zu verteidigen, aber ich komme allein zurecht.“
„Oh ja, das kommt sie, Francis!“, spottete Drusilla boshaft. „Und vergessen Sie nicht … sie ist Mrs. Gantry, und Sie und ich, wir sind noch nicht einmal arme Verwandte!“
„Halten Sie den Mund, Drusilla …“
„Oh bitte!“ Olivia drehte nervös den Stil ihres Glases zwischen den Fingern. „Dies ist die Beerdigung meines Mannes, Francis. Ich wüsste es wirklich zu schätzen, wenn Sie das nicht vergessen würden. Wären Sie so nett, nach den übrigen Gästen zu sehen, ja? Sie kennen sie so viel besser als ich.“
„Natürlich, Mrs. Gantry.“ Ohne den bösen Blick zu beachten, den Drusilla ihm zuwarf, kam Francis Olivias Bitte nach.
Da in diesem Moment weitere Trauergäste hinzukamen, um Olivia zu kondolieren, zog Drusilla sich schmollend zurück. Olivia schaffte es, die Unterhaltung mit ihren Gästen souverän zu führen. In ihrer kurzen Ehe mit Henry hatte sie gelernt, ihre wahren Gefühle zu verbergen und die Leute aus seinem Umfeld so zu nehmen, wie sie waren. Sie wusste, dass man ihr gegenüber Vorbehalte hegte und ihren Plänen jetzt, da Henry tot war, mit Misstrauen begegnete. Es konnte für diese Leute nicht leicht sein, sich so unerwartet mit einer Fremden konfrontiert zu sehen, die zudem nun die Macht besaß, über das Wohl und Wehe so vieler zu entscheiden.
„Olivia …“ Adam Cosgrove tauchte plötzlich mit ernster und nachdenklicher Miene an ihrer Seite auf. „Ich schlage vor, dass wir die Formalitäten hinter uns bringen, ja? Mir ist klar, dass Sie im Augenblick vielleicht keinen Sinn dafür haben, aber es muss nun einmal erledigt werden. Ich denke, dass wir Henrys Letztem Willen schnell gerecht werden, wenn Sie sich für kurze Zeit mit mir in die Bibliothek zurückziehen würden.“
Olivia horchte auf. „Sie kennen das Testament?“
„Selbstverständlich, da ich es für ihn aufgesetzt habe.“
„Natürlich.“ Olivia zögerte. „Und … wann genau war das?“
„Wenige Tage nach Ihrer Heirat“, antwortete Adam sachlich. „Aber sicher hat Henry Ihnen gesagt, was er vorhatte, oder?“
„Ja, ja, natürlich. Ich habe mich nur gefragt …“
„… ob er auch Wort gehalten hat?“, ergänzte Adam, als sie verstummte. „Nun, das hängt davon ab, was Sie erwartet haben. Sie sind eine sehr reiche junge Frau, Olivia. Und was den Rest betrifft …“
„Den Rest? Sie meinen Henrys Nachlass?“
„Ich meine natürlich seinen Nachlass: seine Aktienmehrheit am Unternehmen, seine Anteile an Bank- und Bergbaugeschäften, seine Beteiligung an der Erdölförderung in der Nordsee, seine Häuser hier und in New York und in Südfrankreich, seine Gemäldesammlung, seine Rennpferde …“
„Schon gut, schon gut.“ Olivia trank in banger Vorahnung den letzten Schluck Brandy aus ihrem Glas, doch auch davon wurde ihr nicht wärmer.
„Schön.“ Adam nickte nachsichtig. „Ich schlage vor, dass wir dieses Gespräch in ungestörterer Umgebung fortsetzen. Gehen Sie schon einmal voraus in die Bibliothek? Ich möchte noch ein Wort mit Kennedy wechseln.“
Mrs. Winters, die Haushälterin, hatte in dem großen Kamin der Bibliothek ein Feuer entfacht, das eine gemütliche Wärme verbreitete. Olivia hatte viele Stunden hier verbracht und in den Büchern geschmökert, die sich in den hohen Regalen an den Wänden reihten. Da es inzwischen draußen ganz dunkel war, waren die Fenster hinter schweren Samtvorhängen verborgen, die einen stilvollen Hintergrund zu dem massiven Schreibtisch bildeten.
Olivia ging nervös auf und ab und spielte gedankenverloren mit der doppelten Perlenkette, die ihren schlanken Hals schmückte. Echte Perlen, genauso wie es echte Diamanten in ihren Ohrringen waren und ihr schlichtes Jerseykleid ein Vermögen in einem Pariser Modehaus gekostet hatte. Henry Gantry hatte keine Kosten gescheut, sie auch äußerlich so auszustatten, wie es seiner Frau gebührte.
Es kam Olivia wie eine Ewigkeit vor, bis Adam ihr schließlich in die Bibliothek folgte. Sie hatte damit gerechnet, dass er Francis und vielleicht auch Drusilla mitbringen würde, aber er kam allein und schloss die Tür hinter sich.
„Möchten Sie sich nicht setzen?“ Adam stellte seinen Aktenkoffer auf den Schreibtisch und blickte sie ein wenig tadelnd an. „Meine Liebe, Sie haben absolut keinen Grund zur Besorgnis. Henry hat Sie zur Alleinerbin bestimmt, entgegen meiner wiederholten Bitten, Alex zu berücksichtigen, und kein Gericht in England könnte dieses Testament anfechten.“
Olivia ließ sich in einen der dunkelgrünen Ledersessel nieder. Es war seltsam, Alex Gantrys Namen zum ersten Mal in diesem Haus ausgesprochen zu hören. Henry hatte den Namen seines Sohnes nie in den Mund genommen, sondern allenfalls von „diesem undankbaren Flegel“, oder „Elises Balg“ gesprochen. Olivia hatte nie in Erfahrung gebracht, was Alex getan hatte, um sich den Hass seines Vaters zuzuziehen. Aber es musste sich schon um eine ziemlich schwerwiegende Verfehlung gehandelt haben, wenn Henry ihn deswegen enterbt hatte.
Sie, Olivia, war lediglich das ungewollte Instrument seiner Entscheidung gewesen, seinen Sohn aus seinem Testament auszuschließen, und nun, da sie ihrer eigenen Rache zum Greifen nahe war, sollte sie es nicht bereuen. Henry Gantry war ein skrupelloser Mann gewesen, und so war es nur gerecht, dass er von einer skrupellosen Frau hereingelegt würde. Wobei es sich noch erweisen musste, ob sie genauso stark in der Verfolgung ihrer Ziele sein würde, wie er es gewesen war.
„Stimmt etwas nicht, Olivia? Sie wirken zerstreut.“ Adams Bemerkung schreckte sie aus ihren Gedanken. „Sie haben doch nicht etwa Angst vor der Verantwortung, die jetzt auf Ihnen lastet? Das brauchen Sie nicht. Einige der besten Köpfe der Wirtschaft werden Ihnen zur Seite stehen.“
Wenn er wüsste! dachte Olivia und schüttelte den Kopf. „Verzeihen Sie, Mr. Cosgrove. Ich habe nur über etwas nachgedacht. Was sagten Sie gerade?“
Adam zögerte. „Sie haben nicht zufällig etwas von … Alex gehört?“
Olivia sah ihn erstaunt an. „Nein. Sollte ich?“
„Nun …“ Adam zuckte die Schultern. „Wurde er vom Tod seines Vaters informiert?“
„Da ich keine Ahnung habe, wo er sich befindet, wäre das etwas schwierig gewesen“, antwortete Olivia. „Henry erwähnte etwas davon, dass Alex in Afrika leben würde, aber Afrika ist groß, und Henry hat nie wieder etwas von ihm gehört.“
„Nein, natürlich nicht.“ Adam öffnete seinen Aktenkoffer. „Sollen wir beginnen?“
Olivia lauschte der kurzen Präambel nur mit halbem Ohr. Henry hinterließ keine nahen Verwandten außer ihr, Olivia, und Alex natürlich und hatte bezeichnenderweise nur wenige seiner Angestellten in seinem Testament bedacht. Fünfhundert Pfund hier, fünfhundert Pfund da. Francis Kennedy erhielt einen Bonus in Form eines Aktienpakets von „Gantry Chemicals“ im Wert von fünftausend Pfund. Ansonsten aber übergab Henry seinen gewaltigen Nachlass ungeteilt in die Hände seiner Frau, Olivia – vorausgesetzt, bestimmte Bedingungen wurden eingehalten.
An diesem Punkt horchte Olivia auf. „Was für Bedingungen?“
Adam seufzte. „Nichts Dramatisches, denke ich. Henry wollte lediglich den Fortbestand seines geschäftlichen Imperiums über seinen Tod hinaus sichern.“
Olivia sprang auf. „Sie haben gesagt, der gesamte Nachlass würde mir gehören!“
„Ich habe gesagt, Sie seien die Alleinerbin“, verbesserte Adam sie freundlich. „Und ich denke, meine Liebe, ein Jahreseinkommen von einer Viertelmillion ist eine angemessene Provision dafür, dass Sie Henrys kontrollierende Aktienmehrheit im Unternehmen wahren, oder?“
„Was soll das heißen? Kann ich es nicht verkaufen?“
Adam sah sie verblüfft an. „Warum sollten Sie das wollen? Olivia, Sie haben alles, was man sich nur wünschen kann: Geld, Macht, Rang und Namen.“
„Aber keine vollständige Macht!“, rief sie erregt aus. „Das Erbe ist unveräußerlich.“
Adam wusste wirklich nicht, was er davon halten sollte. „Meine Liebe, selbst wenn Sie es könnten, wäre es dumm, zu verkaufen. Das Unternehmen hat selbst in Zeiten der Rezession beträchtliche Gewinne für die Aktionäre abgeworfen, und nun, da sich der Aufschwung abzeichnet …“
„Ich weiß.“ Olivia wandte sich ab und presste die Hände an ihre heißen Wangen. Sie war eine Närrin gewesen! Ihre Mutter war eine Närrin gewesen! Sie hätten wissen müssen, dass Henry einen Weg finden würde, seinen Namen in seinem Unternehmen auch nach seinem Tod auf Dauer festzuschreiben. Er hatte sein Gewissen erleichtert, hatte sie großzügig abgesichert, aber die Kapitalanlage blieb über seinen Tod hinaus fest in seiner Hand.
„Noch eins“, fügte Adam zögernd hinzu. „Sollten Sie wieder heiraten, wird Ihnen die Position als nominelles Oberhaupt des Unternehmens entzogen. Sie erhalten eine Abfindung in Höhe von dreihunderttausend Pfund, aber Ihr Mehrheitsanteil geht in einen Treuhandfonds zugunsten von Henrys Enkelkindern über, sollte Alex je Kinder haben.“
Olivia drehte sich langsam zu ihm um. „Und was ist mit diesem Haus?“
„Alle Häuser Henrys gehören Ihnen, solange Sie darin wohnen möchten“, erwiderte Adam.
„Und wenn … ich wieder heirate?“
„Das würde die Sachlage ändern. Die Häuser sind Teil des Gesamtnachlasses.“
Olivia nickte müde. Alles war umsonst, dachte sie deprimiert. Die Pläne ihre Mutter, der Wunsch nach Vergeltung … alles vergeblich. Oh ja, sie war jetzt reich, aber das war gerade Teil ihrer Enttäuschung. Sie hatte Henrys Geld nicht gewollt. Und obwohl sie es ursprünglich als grausame Ironie des Schicksals empfunden hatte, war es jetzt besser so, dass ihre Mutter nicht mehr erfahren würde, wie unnötig ihr Opfer gewesen war.
Es war so unfair! Sie hatte sich zu einer Ehe überreden lassen, die ihr zutiefst zuwider gewesen war, in der festen Überzeugung, dass es der einzige Weg wäre, die Gesundheit ihrer Mutter wieder herzustellen. Doch ihre Mutter war inzwischen verstorben, und nun musste sie, Olivia, feststellen, dass Henrys Wiedergutmachungsbeteuerungen nur leere Reden gewesen waren. Er hatte lediglich einen Sündenbock gesucht, um seinen Sohn um sein Erbe zu betrügen.
Adam legte das Testament in seinen Aktenkoffer zurück. „Ich schlage vor, dass Sie darüber schlafen, Olivia. Sie sind offensichtlich nicht in der Verfassung, weitere Einzelheiten zu besprechen. Vielleicht machen wir einen Termin in ein oder zwei Tagen und reden dann weiter.“
„Warten Sie … Ich möchte Ihnen danken.“ Olivia sah ihn entschuldigend an. Schließlich war das alles nicht Adams Schuld, und es wäre nicht ratsam gewesen, ihn sich zum Feind zu machen. „Sie müssen mich für sehr undankbar halten, aber ich denke, dass ich einfach Henrys Tod noch nicht wirklich begriffen habe.“
Das war eine Lüge, und sie vermutete, dass Adam sie auch als solche erkannte. Dennoch schien er bereit, ihr Verhalten zu ihren Gunsten auszulegen, und drückte ihr zum Abschied freundlich die Hand.
Ungläubig wurde Olivia bewusst, dass sie aus Adams Sicht trotz allem eine gewaltige Macht innehatte. Henry hatte die Verwaltung seines Mehrheitsanteils in ihre Hände gelegt. Es blieb allein ihre Entscheidung, wie sie diese Macht benutzen wollte. Sie konnte, wie man allseits von ihr erwartete, ein symbolischer, stiller Teilhaber sein oder auch ihre Rechte zur Meinungsäußerung tatkräftig wahrnehmen. Wobei sicher niemand, weder Adam Cosgrove noch Francis Kennedy und schon gar nicht Henry erwartet hätte, dass sie sich in die Unternehmensgeschäfte einmischen würde.
Adams Abschied war auch für die übrigen Gäste das Zeichen zum Aufbruch. Francis erbot sich fürsorglich, ihr noch zum Abendessen Gesellschaft zu leisten, doch Olivia lehnte ab.
„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Francis, aber ich möchte lieber allein sein. Ich … muss über vieles nachdenken. Kommen Sie doch morgen zum Frühstück her. Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.“
Natürlich war er neugierig und auch misstrauisch, was ihre möglichen Vorschläge betraf. Aber wie bei Adam zuvor flößte ihm ihre Position genügend Achtung ein, um sich ihren Wünschen zu fügen.
Olivia verspürte einen Anflug von Mitleid, als Drusilla Stone auf dem Weg zu ihrem Wagen an ihr vorbeikam. Henry hatte seine Exgeliebte in seinem Testament nicht bedacht – was für ihn typisch war. Er hatte nie eine Beleidigung verziehen, und Drusilla hatte anlässlich seiner Heirat für eine hässliche Szene gesorgt.
„Es tut mir leid“, sagte Olivia schlicht, aber Drusilla war nicht für Großmut zu haben.
„Es wird Ihnen noch leidtun!“ Ihre Augen funkelten hasserfüllt. „Eines Tages werden Sie es bereuen, dass Sie Henry Gantry je begegnet sind, und ich werde ganz bestimmt als Zuschauer dabei sein!“