Sozialarbeiterisches Case Management -  - E-Book

Sozialarbeiterisches Case Management E-Book

0,0

Beschreibung

Case Management ist ein zentrales Handlungskonzept der Sozialen Arbeit. Es ist jedoch nicht geklärt, was Sozialarbeiterisches Case Management z.B. im Vergleich zu Case Management in der Pflege ausmacht. Das Buch löst daher Case Management aus dem professionsübergreifenden Diskurs, bettet es in den Fachdiskurs der Sozialen Arbeit ein und nimmt dabei auch die Praxis in den Blick. Auf diese Weise schließt es eine Lücke in der Fachdiskussion. Es umreißt die Konturen des Sozialarbeiterischen Case Managements und wendet sie auf verschiedene Arbeitsfelder Sozialer Arbeit an. Das Lehr- und Praxisbuch bietet so Studierenden und Fachkräften Orientierung im Fachdiskurs und konkretes Handlungswissen für die Soziale Arbeit in verschiedenen Feldern.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 453

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Titelei

1 Einleitung

I Grundlegungen

2 Sozialarbeiterisches Case Management: Einleitende Begründung zur Strukturierung der Arbeitsfeldartikel

2.1 Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements für die verschiedenen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit

2.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Theorien Sozialer Arbeit

2.3 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Arbeitsfeldtheorie, Wissen über das Arbeitsfeld und Werteausrichtung

2.4 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management

2.5 Evaluationswissen: Evaluationsergebnisse und Bias zum Sozialarbeiterischen Case Management im Feld

2.6 Ausblick

3 Transdisziplinarität und Sozialarbeiterisches Case Management

3.1 Begriffliche Setzungen

3.2 Sozialarbeiterisches Case Management

3.3 Transdisziplinarität im Sozialarbeiterischen Case Management

4 Beziehungsarbeit im Sozialarbeiterischen Case Management

4.1 Einleitung

4.2 Differenzierung der Beziehungen im Case Management

4.3 Die Beziehung zwischen Case Manager:in und Klient:in: Grundlagen der Beziehungsgestaltung

4.3.1 Prozedurale Fairness

4.3.2 Vertrauensvolle Arbeitsbeziehung

4.3.3 Beziehungskontinuität

4.3.4 Anerkennung in distanzierter Nähe

4.4 Die Beziehungen von Klient:innen zu ihrem sozialen Umfeld

4.5 Die Beziehung zwischen Case Manager:in und Angehörigen der Klient:innen

4.6 Die intermediierende Beziehung zwischen Case Manager:in und professionellen Helfer:innen der Klient:innen

4.7 Fazit und Ausblick

II Handlungsfelder

5 Sozialarbeiterisches Case Management in der Sozialen Altenarbeit

5.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

5.1.1 Theorien Sozialer Arbeit in der Sozialen Altenarbeit

5.1.2 Arbeitsfeldtheorie: Spezifisches Wissen zur Pflegeberatung

5.2 Verfahrenswissen: Das Sozialarbeiterische Case Management in der Pflegeberatung

5.2.1 Die (Versorgungs-)‌Systemebene

5.2.2 Fallebene

5.3 Evaluationswissen

5.3.1 Forschungen zum Sozialarbeiterischen Case Management in Pflegestützpunkten

5.3.2 Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler (Bias) bei der Umsetzung des Sozialarbeiterischen Case Managements in der Pflegeberatung

6 Sozialarbeiterisches Case Management in der institutionalisierten Behindertenhilfe

6.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Soziale Arbeit in der institutionalisierten Behindertenhilfe. Praktische Bedeutung und theoretische Bezüge

6.1.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Sozialarbeitstheoretische Bezugspunkte

6.1.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Spezifisches Feldwissen: Institutionalisierte Behindertenhilfe

6.1.3 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Das BTHG und seine Bedeutung für Sozialarbeiterisches Case Management

6.2 Verfahrenswissen: Das Sozialarbeiterische Case Management

6.3 Evaluationswissen: Was zu bedenken wäre – Herausforderungen und Evaluationsbedarf

7 Sozialarbeiterisches Case Management in der Beschäftigungsförderung

7.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

7.1.1 Theoretische Verortung der Beschäftigungsförderung

7.1.2 Spezifisches Feldwissen: Das Arbeitsfeld der Beschäftigungsförderung

7.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management im SGB II

7.3 Evaluationswissen

7.3.1 Evaluationswissen zum Case Management im Feld

7.3.2 Bias und Herausforderungen bei der Umsetzung eines Sozialarbeiterischen Case Management

7.4 Fazit

8 Sozialarbeiterisches Case Management in der Kinder- und Jugendhilfe

8.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

8.1.1 Soziale Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe: Historische Entwicklungen und theoretische Bezüge

8.1.2 Spezifisches Feldwissen in der Kinder- und Jugendhilfe (Arbeitsfeldtheorie)

8.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management in der sozialpädagogischen Familienhilfe

8.2.1 Fallebene

8.2.2 Strukturelle Verhältnisse: (Versorgungs-)‌Systemebene

8.3 Evaluationswissen

8.3.1 Evaluationswissen im Feld zur Sozialpädagogischen Familienhilfe

8.3.2 Schwierigkeiten im Feld und Ausblick

9 Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus

9.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

9.1.1 Theoretische Fundierung Sozialer Arbeit für das Handlungsfeld Krankenhaus

9.1.2 Soziale Arbeit und Case Management im Krankenhaus – ein aktueller Überblick

9.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus – ein Feld der ungenutzten Möglichkeiten

9.2.1 Der pflegerisch-rehabilitative Ansatz eines pflegerisch besetzten Case Management

9.2.2 Der lebensweltlich-teilhabeorientierte Ansatz eines Sozialarbeiterischen Case Management

9.2.3 Einsatzmöglichkeiten für ein Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus

9.2.4 Die Phasen eines Sozialarbeiterischen Case Management im Krankenhaus

9.3 Evaluationswissen: Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler bei der Umsetzung

10 Sozialarbeiterisches Case Management in den Migrationsfachdiensten

10.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

10.1.1 Theorien Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten im Feld

10.1.2 Spezifisches Feldwissen der Migrationsfachdienstarbeit

10.2 Verfahrenswissen: Stärkenorientiertes Migrationsfachdienst-Case-Management

10.2.1 Fallebene

10.2.2 Strukturelle Verhältnisse (Versorgungs-)‌Systemebene

10.3 Evaluationswissen im Feld und Bias

11 Sozialarbeiterisches Case Management für lebenslimitierend erkrankte Kinder und Jugendliche und ihre Familien: Die spezialisierte ambulante pädiatrische Palliativversorgung

11.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

11.1.1 Soziale Arbeit in der pädiatrischen Palliative Care: praktische Bedeutung und theoretische Bezüge

11.1.2 Das Feld der pädiatrischen Palliative Care

11.2 Verfahrenswissen: Das Sozialarbeiterische Case Management im Rahmen der SAPPV

11.2.1 Fallebene

11.2.2 Ebene des Versorgungsmanagements

11.3 Evaluationswissen: Schwierigkeiten und Grenzen der Umsetzung

12 Sozialarbeiterisches Case Management im außerklinischen Bereich der psychiatrischen Versorgung

12.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Verortung des Sozialarbeiterischen Case Managements in der Psychiatrie

12.1.1 Theorien (Klinischer) Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten im Feld

12.1.2 Von der Generalisierung zur Spezialisierung: Das Arbeitsfeld der (Sozial-)‌Psychiatrie

12.1.3 Soziale Arbeit in der Psychiatrie

12.2 Verfahrenswissen: Case Management in der psychiatrischen Versorgung

12.2.1 Besonderheiten von Case Management auf der Fallebene

12.2.2 Sozialarbeiterisches Case Management

12.2.3 Besonderheiten von Case Management auf der Feldebene

12.3 Evaluationswissen

12.3.1 Forschungsbefunde

12.3.2 Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Bias

13 Sozialarbeiterisches Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe

13.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Praktische Bedeutung und theoretische Bezüge

13.1.1 Theorien Sozialer Arbeit: Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten in der Sucht- und Drogenhilfe

13.1.2 Spezifisches Feldwissen: Sucht- und Drogenhilfe in Deutschland – Professionen, Adressat:innen, Organisationen und Interventionen

13.2 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe

13.3 Evaluationswissen

13.3.1 Stand der Forschung zu Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe

13.3.2 Ausblick: Hemmnisse und Potenziale

14 Sozialarbeiterisches Case Management in der Wohnungslosenhilfe

14.1 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Das Phänomen der Wohnungslosigkeit in Deutschland und in Europa

14.1.1 Theorien Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsmöglichkeiten im Feld: Die Lebenssituation wohnungsloser Menschen

14.1.2 Spezifisches Feldwissen: Das Arbeitsfeld der Wohnungslosenhilfe in Deutschland in der Disziplin Sozialer Arbeit

14.2 Verfahrenswissen: Der Capabilities Approach als Rahmenkonzept des Sozialarbeiterischen Case Managements in der Wohnungslosenhilfe

14.2.1 Das Sozialarbeiterische Case Management in der Wohnungslosenhilfe

14.2.2 Fallbezogen und systembezogen: Intensive Betreuung und Schaffung von Verbindungsstellen

14.3 Evaluationswissen: Herausforderungen und Möglichkeiten

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Literatur

Autor:innenverzeichnis

Die Herausgebenden

Matthias Müller, Dr. phil., Diplom-Sozialarbeiter/-Sozialpädagoge, Soziologe (Dr. phil.), Case Manager und Case Management Trainer (DGCC), Dialogischer Qualitätsentwickler (KK), ist Professor für Pädagogik, Sozialpädagogik und Hilfen zur Erziehung an der Hochschule Neubrandenburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Aufsuchende Hilfen/Sozialpädagogische Familienhilfe, Familienbildung, Migration und Sozialarbeiterisches Case Management.

Annerose Siebert, Dipl. Soz. Päd., Case Managerin (DGCC), Dr. phil.; Professorin für Sozialarbeitswissenschaft an der Hochschule Ravensburg Weingarten (RWU). Ihre Themenschwerpunkte sind Theorie-Praxis Transfer, Professionelle Begleitung und Assistenz von Menschen mit Behinderungen, Teilhabe, Wissenschaft der Sozialen Arbeit, Methoden der Sozialen Arbeit, Case Management.

Corinna Ehlers, Dr. PH, Case Managerin und Case Management Trainerin (DGCC), ist Professorin für »Theorien und Methoden Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunkt Case Management« an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der HAWK in Hildesheim. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Gestaltung von stärkenorientierte Unterstützungs- und Bildungsprozessen, Leiten und Führen von Organisationen, Care und Case Management im internationalen Kontext.

Matthias Müller,Annerose Siebert,Corinna Ehlers (Hrsg.)

Sozialarbeiterisches Case Management

Ein Lehr- und Praxisbuch

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-037270-2

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-037271-9epub: ISBN 978-3-17-037272-6

1 Einleitung

In diesem Herausgeber:innenband finden Sie bezogen auf verschiedene Arbeitsfelder für die praktische Arbeit und Lehre des Case Managements (CM) relevante Wissensbestände Sozialer Arbeit systematisch erfasst und arbeitsfeldbezogen aufbereitet. Das Konzept des Buches wurde mit dem Ziel entwickelt, Studierenden, Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen stärker als bisher eine sozialarbeitswissenschaftlich Fundierung des CM zur Verfügung zu stellen. Das in diesem Anliegen entwickelte Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Kap. 2) ist basierend auf den Überlegungen der Fachgruppe »Case Management in der Sozialen Arbeit« der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) und der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA)1 von uns Herausgeber:innen diskursiv weiterentwickelt worden. Das Modell des Sozialarbeiterischen CM unterscheidet sich von einem generalistischen CM-Verständnis dahingehend, dass es die Wissenschaft der Sozialen Arbeit dem Handlungskonzept CM überordnet und damit die Wissensbestände der Wissenschaft Sozialer Arbeit bestimmen, wie das CM fachlich ausgestaltet werden soll (vgl. M. Müller 2018, 337).

»Ein generalistisches Case Management ist aus Sicht der Sozialen Arbeit zu problematisieren, weil es nicht den Theorien der Sozialarbeitswissenschaft untergeordnet, sondern als ein von Disziplinen unabhängiges Verfahren verstanden wird. Damit ist das Verfahren der Referenzpunkt und weder die Disziplin noch die Profession dienen durch ihre Expertise als Rahmung des Case Managements« (M. Müller 2018, 336 ff).

»Die Bedeutung der Sozialarbeitswissenschaft liegt [...] darin, dass nicht die Methoden oder Arbeitsverfahren, also hier das Case Management, die Problembearbeitung bestimmen, sondern die sozialen Probleme als Gegenstand und die Theorien der Sozialen Arbeit vorgeben, welche Vorgehensweise sinnvollerweise eingesetzt werden können« (Neuffer 2013a, 8).

Das Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Kap. 2) dient den Arbeitsfeldbeiträgen dieses Herausgeber:innenbandes als orientierender Rahmen und strukturiert sie in ihrem Aufbau weitestgehend.

Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im CM ist unerlässlich. Sie benötigt aber auch eine konturierte Verortung in der eigenen Disziplin und Profession (z. B. der Sozialen Arbeit). Erst so wird klar, was die jeweilige Disziplin und Profession in der interdisziplinären Bearbeitung von Problemen überhaupt an Expertise bereitstellen kann. Die Disziplinen und Professionen, die das CM umsetzen, erzeugen, wenn man die Wissenschaft (z. B. die Wissenschaft Sozialer Arbeit, die Pflegewissenschaft) dem Handlungskonzept CM überordnet, notwendigerweise unterschiedliche disziplinär und professionell geprägte CM-Ansätze. Interdisziplinarität und -professionalität kann unseres Erachtens daher nur dann gut gelingen, wenn die zusammenarbeitenden Disziplinen und Professionen ihre eigenen theoretischen Grundlagen und Bezüge kennen und benennen können. Gerade dafür soll das hier vorliegende Buch Studierenden und Praktiker:innen Sozialer Arbeit eine Unterstützung sein. Darüber hinaus erfordert das CM ein Verständnis darüber, wie zwischen den verschiedenen Disziplinen und Professionen Übergangswissen hergestellt werden kann, um die unterschiedlichen disziplinären und professionellen Wissensdomänen für die Nutzer:innen produktiv zu verbinden. Vor diesem Hintergrund klärt Matthias Müller in seinem Beitrag »Transdisziplinarität und Sozialarbeiterisches Case Management« (▸ Kap. 3) die Frage, was ein transdisziplinär verstandenes Sozialarbeiterisches CM in der Kooperation mit anderen Disziplinen und Professionen charakterisiert.

Die US-amerikanische Fachgesellschaft der Sozialen Arbeit, die National Association of Social Work (NASW), beschreibt 1992 umfassend, was ein Sozialarbeiterisches CM ausmacht. Sie betont die Berücksichtigung von bio-psycho-sozialen Aspekten sowie eine enge Beziehungsarbeit, die ein Sozialarbeiterisches CM charakterisiert. Zudem wird die systemische Vorgehensweise auf der Fall- und Systemebene hervorgehoben. Die NASW unterscheidet Sozialarbeiterisches CM von anderen Programmen, die eher mit einem bestimmten System- oder Organisationsbezug agieren, wie es bspw. im Entlassmanagement oder dem beschäftigungsorientierten Fallmanagement erfolgt.

Mit den NASW-Standards von 2013 (vgl. NASW 2013, 13) gilt nun in Anlehnung an Barker (2003) folgende Definition von Sozialarbeiterischem CM2:

Ein Verfahren zur Planung, Erkundung, Befürwortung und Überprüfung von Dienstleistungen verschiedener Sozial- oder Gesundheitseinrichtungen im Namen eines:einer Klient:in. Der Prozess ermöglicht es Sozialarbeiter:innen in einer Organisation oder in verschiedenen Organisationen, ihre Bemühungen zur Betreuung eines:einer bestimmten Klient:in durch professionelle Teamarbeit zu koordinieren und so das Angebot an benötigten Dienstleistungen zu erweitern. CM begrenzt Probleme, die sich aus der Zersplitterung der Dienstleistungen, der Personalfluktuation und der unzureichenden Koordination zwischen den Anbietern ergeben. CM kann innerhalb einer einzelnen, großen Organisation oder innerhalb eines kommunalen Netzwerkes stattfinden, das die Dienstleistungen zwischen den verschiedenen Einrichtungen koordiniert.

Weiterhin werden in den NASW-Standards von 2013 in Anlehnung an die berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit (vgl. ebd., 19 ff) ethische Ausrichtungen des Sozialarbeiterischen CM beschrieben, Qualifikationen (vgl. ebd., 22 ff) und Wissensbestände (vgl. ebd. 24 ff) sowie die Arbeitsphasen (vgl. ebd. 30 ff) und die unterschiedlichen Rollen (vgl. ebd., 38 ff) dargestellt. Für den deutschsprachigen Raum sind in dem hier entwickelten Verständnis des Sozialarbeiterischen CM die berufsethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit normativ bindend (vgl. DBSH 2014). Für das CM hat die Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) »Case Management Leitlinien« (2020b) als Rahmenempfehlungen für die Umsetzung herausgegeben. In diesem Zusammenhang wurden auch ethische Grundlagen formuliert (vgl. DGCC 2020b, 37 ff). Von der Österreichischen Gesellschaft für Soziale Arbeit (ogsa) wurde 2019 das Positionspapier »Standards für Social Work Case Management« veröffentlicht. Die Standards erheben als erste deutschsprachige Publikation einen normativen Anspruch für die Umsetzung eines Sozialarbeiterischen CM und sollen Fachkräften eine Grundlage für ihr professionelles Handeln bieten. Ziel ist es, fachliches Vorgehen sozialarbeiterisch zu begründen und Fachkräften sowie Organisationen bei der Umsetzung von Sozialarbeiterischem CM in den Arbeitsfeldern zu unterstützen. Die vorangehenden Definitionen und Ausführungen aufgreifend möchten wir zusammenfassend Sozialarbeiterisches CM wie folgt beschreiben:

Sozialarbeiterisches CM ist ein Handlungskonzept, das basierend auf den Theorien und den Forschungsergebnissen Sozialer Arbeit einen systematischen Prozess für die Arbeit mit Personen in komplexen Problemlagen bietet. Ziel ist es, passgenaue Unterstützung zu bieten, die dem Bedarf und Bedürfnissen von Personen entsprechen. Ein Sozialarbeiterisches CM zeichnet sich durch eine enge Beziehungsarbeit auf der Fallebene (Mikro-‍, Mesoebene) und ein vernetztes Handeln auf der Systemebene (Meso-‍, Makroebene) aus (▸ Tab. 2.1).

Deutlich wird in den internationalen Entwicklungen, dass das Verständnis der Beziehungsarbeit sich in den letzten hundert Jahren in der Sozialen Arbeit verändert hat. Verstanden sich am Anfang des 20. Jahrhunderts Sozialarbeiter:innen als fürsorgende Helfer:innen, wurde in den 1970er und 1980er Jahren der therapeutischen Beziehung mehr Bedeutung beigemessen. Mittlerweile wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, in der Sozialarbeiter:innen auf gleicher Augenhöhe mit den Adressat:innen arbeiten, in den Vordergrund gestellt (vgl. Herman 2013). Die Beziehungsarbeit steht als ein zentrales Moment eines Sozialarbeiterischen CM immer wieder zur Diskussion und begegnet uns besonders in Gesprächen mit Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen der Sozialen Arbeit. Das Thema Beziehung im Sozialarbeiterischen CM auf der Fall- und (Versorgungs-)‌Systemebene arbeiten Karin Goger und Christian Thordy in ihrem Beitrag »Beziehungsarbeit im Sozialarbeiterischen Case Management« (▸ Kap. 4) differenziert aus.

An die zuvor genannt und grundlegend zu verstehenden Beiträge dieses Herausgeber:innenwerks schließen sich die Arbeitsfeldbeiträge zum Sozialarbeiterischen CM an. Sie folgen in ihrem Aufbau dem im ersten Beitrag differenziert dargestellten Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Kap. 2). Mit den verschiedenen Arbeitsfeldbeiträgen wird nicht der Anspruch erhoben, einen umfassenden systematischen handlungswissenschaftlichen Wissenskorpus, wie ihn Sommerfeld für die »Klinische Soziale Arbeit und Psychiatrie« (2016) vorgelegt hat, zu entfalten. Ziel ist es vielmehr – angelehnt an die Sommerfeld'schen Systematisierungsvorschläge – gut begründete Zusammenhänge und Befunde für die jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansätze in den verschiedenen Arbeitsfeldern darzustellen und einen sozialarbeitstheoretisch begründeten Rahmen für die Praxis darin zu liefern. Mit diesem Anliegen wurde im Laufe des Prozesses der Erstellung dieses Buches deutlich, dass in verschiedenen Arbeitsfeldern, wie z. B. der pädiatrischen Palliativ Care (▸ Kap. 11) oder der Sozialen Arbeit im Krankenhaus (▸ Kap. 9), ungenutzte Potenziale für Sozialarbeiterisches CM liegen und latent vorhandene CM-Ansätze in der Praxis sozialarbeitstheoretisch begründet eine Bereicherung für das jeweilige Arbeitsfeld sind. In diesem Sinne werden die folgenden, in alphabetischer Reihenfolge geordneten, Sozialarbeiterischen CM-Beiträge zu den verschiedenen Arbeitsfeldern in diesem Herausgeber:innenband dargestellt:

▸ Kap. 5:Sozialarbeiterisches Case Management in der Sozialen Altenarbeit (Grit Annemüller & Matthias Müller)

▸ Kap. 6:Sozialarbeiterisches Case Management in der institutionalisierten Behindertenhilfe (Annerose Siebert)

▸ Kap. 7:Sozialarbeiterisches Case Management in der Beschäftigungsförderung (Björn Sedlak & Oliver Köttker)

▸ Kap. 8:Sozialarbeiterisches Case Management in der Kinder- und Jugendhilfe (Matthias Müller & Vera Taube)

▸ Kap. 9:Sozialarbeiterisches Case Management im Krankenhaus (Denise Lehmann & Johannes Petereit)

▸ Kap. 10:Sozialarbeiterisches Case Management in den Migrationsfachdiensten (Matthias Müller)

▸ Kap. 11:Sozialarbeiterisches Case Management für lebenslimitierend erkrankte Kinder und Jugendliche und ihre Familien (Christine Moeller-Bruker & Annerose Siebert)

▸ Kap. 12:Sozialarbeiterisches Case Management im außerklinischen Bereich der psychiatrischen Versorgung (Lisa Große & Karsten Giertz)

▸ Kap. 13:Sozialarbeiterisches Case Management in der Sucht- und Drogenhilfe (Martin Schmid & Ines Arendt)

▸ Kap. 14:Sozialarbeiterisches Case Management in der Wohnungslosenhilfe (Karsten Giertz, Corinna Ehlers & Christof Gebhardt)

Neben der weiteren Fundierung des Sozialarbeiterischen CM ist es uns mit diesem Buch ein Anliegen, die sozialarbeiterische Praxis darin zu unterstützen, ihre CM-Praxis fachwissenschaftlich zu unterfüttern und damit die Konturen ihrer CM-Praxis gut kommunizieren zu können. Beides scheint uns elementar für die Sichtbarmachung der professionellen Potenziale der Sozialen Arbeit für das Case Management.

Dieser Herausgeber:innenband ist durch die verlässliche, fleißige und gründliche Unterstützung bei der Manuskripterstellung von Silke Schnabel, Julia Sprick und Jeremias Weiher ermöglicht worden. Wir danken allen dreien sehr für ihre wichtigen und anregenden Beiträge zu diesem Buch!

Neubrandenburg, Weingarten, Hildesheim im September 2022Matthias Müller, Annerose Siebert & Corinna Ehlers

Endnoten

1An der Entwicklung waren beteiligt: Ines Arendt, Corinna Ehlers, Karsten Giertz, Lisa Große, Matthias Müller, Anita Nelson, Ruth Remmel-Fassbender, Annerose Siebert, Alexander Thomas.

2Eigene Übersetzung mit kleinen sprachlichen Anpassungen.

I Grundlegungen

2 Sozialarbeiterisches Case Management: Einleitende Begründung zur Strukturierung der Arbeitsfeldartikel

Matthias Müller, Annerose Siebert & Corinna Ehlers

2.1Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements für die verschiedenen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit

2.2Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Theorien Sozialer Arbeit

2.3Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Arbeitsfeldtheorie, Wissen über das Arbeitsfeld und Werteausrichtung

2.4Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management

2.5Evaluationswissen: Evaluationsergebnisse und Bias zum Sozialarbeiterischen Case Management im Feld

2.6Ausblick

2.1 Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements für die verschiedenen Arbeitsfelder Sozialer Arbeit

»Professionalität entsteht [...] durch den Aufbau eines systematischen handlungswissenschaftlichen Wissenskorpus über die Zeit, der sich nicht immer wieder neu in pragmatischen Verstrickungen und endlosen Versuch-Irrtum-Ketten verfängt und in wechselnden sozialpolitischen Strukturierungen verliert, sondern einen soliden, wissenschaftlich ausgearbeiteten Bezugsrahmen für die Professionellen bereitstellt, der als ›state of the art‹ bezeichnet, gelehrt und gegenüber Zumutungen von außen dargestellt und verteidigt werden kann. In dieser Form (nicht in der Form von Handlungsanweisungen) wird Verbindlichkeit erzeugt. Und diese Art von Verbindlichkeit ist eine notwendige Voraussetzung für die Identitätsbildung einer Profession« (Sommerfeld 2013, 164).

Das Modell des Sozialarbeiterischen CM baut auf einer handlungstheoretischen Programmatik auf, wie wir sie auch bei Staub-Bernasconi (2018, 285 ff) oder Sommerfeld (2013, 161) finden1. Ausgangspunkte des Sozialarbeiterischen CM sind immer die Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft generiert Wissensbestände, die der Profession Sozialer Arbeit als fachliche Grundlage dienen. Die Soziale Arbeit braucht aber selbstverständlich auch Erkenntnisse der anderen Disziplinen. Die Wissenschaft Sozialer Arbeit bündelt das Wissen der anderen Disziplinen auf ihren Problemhorizont in den verschiedenen Arbeitsfeldern. Sie bezieht dieses Wissen demnach auf ihren Gegenstand und kommt erst in einem weiteren Schritt zum konzeptionellen und methodischen Handeln – also auch dann erst zum CM (▸ Kap. 3). Die folgende Abbildung zeigt das allgemeine Modell des Sozialarbeiterischen CM (▸ Abb. 2.1).

Abb. 2.1:Das Modell des Sozialarbeiterischen Case Managements

Das Modell liefert den Rahmen zur systematischen Strukturierung der in den verschiedenen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit vorhandenen Wissensbestände und die sich daraus ergebenden Begründungen und Konsequenzen für das Sozialarbeiterische CM im jeweiligen Arbeitsfeld. Es thematisiert zudem die Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler (Bias), die in der Praxis bei der Umsetzung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes bestehen. Das Begründungsmodell fokussiert drei Ebenen.

1.

Ebene: Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen

-

Theorien Sozialer Arbeit, Problemlagen und Handlungsnotwendigkeiten im Arbeitsfeld,

-

spezifisches Feldwissen, das von der Disziplin Sozialer Arbeit unter Einbeziehung der Bezugsdisziplinen zur Verfügung gestellte Wissen.

2.

Ebene: Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches CM

-

fallbezogen,

-

systembezogen.

3.

Ebene: Evaluationswissen

-

Darstellung des Evaluationswissens zum CM im Arbeitsfeld,

-

Schwierigkeiten und Fehler (Bias) bei der Umsetzung des Sozialarbeiterischen CM im Arbeitsfeld.

In den Ausführungen auf der Ebene des phänomen- und disziplinbezogenen Wissens wird herausgearbeitet, was aus Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit (der Disziplin) als relevante Aspekte in die Begründung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes einfließt. Auf den Ebenen des Verfahrens- und Evaluationswissen wird dann der Blick ins Arbeitsfeld und auf die professionelle Handlungspraxis gelenkt. Das Wissen der Disziplin Sozialer Arbeit wird so unter Einbezug der Inhalte der Ebene des phänomen- und disziplinbezogenen Wissens für die Praxis transformiert und dient als Begründung, Ableitung und Evaluation des Handelns der:des Sozialarbeiter:in im Sozialarbeiterischen CM.

Das Sozialarbeiterische CM wird damit als Verfahrenswissen im Arbeitsfeld auf der Fall- und Systemebene formuliert und konkretisiert. Dies geschieht vor der Hintergrundfolie des Sozialraums als Realisierungsort der Praxisvollzüge des Sozialarbeiterischen CM.

Das bereits vorhandene Evaluationswissen in Bezug auf das CM im jeweiligen Arbeitsfeld und die Forschungsdesiderate werden abschließend aufgezeigt, um Wirksamkeitsbelege für das CM im Arbeitsfeld zu sammeln. In diesem Kontext werden auch Schwierigkeiten und Fehler (Bias) bei der Umsetzung des Sozialarbeiterischen CM im Arbeitsfeld formuliert.

Im Folgenden werden die Ebenen und Elemente des Modells des Sozialarbeiterischen CM differenziert erläutert und konkretisiert.

2.2 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Theorien Sozialer Arbeit

Im Sozialarbeiterischen CM wird das CM als Arbeitsverfahren oder auch Rahmenkonzept der Wissenschaft der Sozialen Arbeit untergeordnet (vgl. M. Müller 2020c) (▸ Kap. 3). Das CM formt sich in einem solchen Verständnis immer unter den Prämissen der das CM integrierenden Disziplin (Wissenschaft) aus. So muss ein Sozialarbeiterisches CM im Detail anderen Prämissen folgen als bspw. ein CM in der Pflege (vgl. Ewers 2011), das von der Pflegewissenschaft bestimmt wird. Wir bewegen uns damit in einem Verständnis, dass die Disziplin mit ihrer jeweiligen Gegenstandsbestimmung das jeweilige CM-Verständnis prägt. Die Gegenstandsbestimmung oder auch der »Aufmerksamkeitsfokus der Praxis der Sozialarbeit« (Pantuček 2019, 26) ist aus wenigstens zwei Gründen (ebd.) wichtig. Gerade in der Zusammenarbeit mit anderen Professionellen, wie es ja im CM gang und gäbe ist, ist es wichtig, ein klares Verständnis von den eigenen – sozialarbeiterischen – Wissensbeständen zu haben, um diese benennen und auch von den Wissensbeständen anderer Professionen abgrenzen zu können. »Der eigene fachliche Beitrag der Sozialarbeit bedarf also einer klaren Formulierung, so dass er auch nachvollziehbar zu den Beiträgen der anderen Professionen in Bezug gesetzt werden kann« (Pantuček 2019, 26). Des Weiteren bedarf es bei der Dominanz medizinischer, pflegerischer und auch psychologischer Deutungen – gerade im Kontext des CM – einer offensiven Gegenstrategie der Sozialen Arbeit, um ihre spezifische Qualität zu zeigen.

Wir gehen zunächst davon aus, dass der Gegenstand der Sozialen Arbeit in einer Form des »kleinsten gemeinsamen Nenners«, wie es Klüsche (1999) genannt hat, wie folgt formuliert werden kann: »Soziale Arbeit in der Praxis befasst sich mit dem Verhindern und Bewältigen sozial problematisch angesehener Lebenssituationen« (Borrmann 2016, 63). In dieser Definition ist der Blick auf die Nutzer:innen Sozialer Arbeit und die Kontexte gerichtet, die darin involviert sind, sozial problematische Lebenssituationen hervorzubringen. Für die Darstellung eines Arbeitsfeldes Sozialer Arbeit, in dem CM praktiziert werden soll, ergibt sich somit die Notwendigkeit, die sozial problematisch angesehenen Lebenssituationen zu konkretisieren. Wie stellen sich sozial problematisch angesehene Lebenssituationen im Feld der Migration, der Wohnungslosenhilfe, der Behindertenhilfe usw. dar? Dieses Konkretisieren vollzieht sich aber ganz wesentlich vor der von der jeweiligen Theorie Sozialer Arbeit bestimmten Gegenstandsbestimmung. Eine sozial problematische Lebenssituation liegt nicht an sich vor, sondern sie stellt eine soziale Konstruktionsleistung dar, die in unserem Falle aus Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit vollzogen wird. »Soziale Arbeit als Wissenschaft reflektiert die Theorien kritisch, die von der Praxis der Sozialen Arbeit als relevant zum Verhindern und Bewältigen sozial problematischer Lebenssituationen angesehen werden« (Borrmann 2016, 63). Der Gegenstand der Praxis Sozialer Arbeit, »eine sozial problematische Lebenssituation«, wird somit durch die Theorien der Wissenschaft der Sozialen Arbeit zu einem wissenschaftlich formulierten Gegenstand Sozialer Arbeit. Es besteht daher in der Sozialen Arbeit keine gegenstandsbezogene Eindeutigkeit, wie sie z. B. in der Medizin oder in der Jurisprudenz zu finden sind.

Lambers greift die theoretische Vielfalt der Gegenstandsbestimmung Sozialer Arbeit auf und führt die Bezugsprobleme Sozialer Arbeit an, unter denen er die allgemeinste, aber dennoch unverwechselbare Beschreibung des wissenschaftlichen Gegenstandes versteht (vgl. Lambers 2016, 211 f). Er nennt dies eine »Gegenstandsbestimmung im weitesten Sinne« (ebd., 212) und nutzt die vierteilige Kategorisierung von Rauschenbach und Züchner (2012, 169 f), um den Stand der Theorienentwicklung an den Bezugsproblemen und der damit entstehenden Konnotierung des Gegenstandes der Sozialen Arbeit darzustellen:

1.

»Soziale Arbeit als Reaktion auf die Erziehungstatsache [...] (Erziehung, Sozialisation. Vertreter: Natorp, Nohl, Mollenhauer, Winkler)

2.

Soziale Arbeit als Reaktion auf die soziale Ungleichheitstatsache (soziale Probleme, Armut, Bedürfnisbefriedigung, Probleme der Inklusion und Exklusion, Soziale Teilhaben. Vertreter: Pongratz, Dewe und Otto, Staub-Bernasconi, Bommes und Scherr, Kleve)

3.

Soziale Arbeit als Reaktion auf die Bewältigungstatsache [...] und Probleme der Lebensführung (Lebenslage, Lebensbewältigung, Lebensführung. Vertreter: Hege, Lowy, Germain und Gitterman, Wendt, Thiersch, Böhnisch) und damit gekoppelt

4.

Soziale Arbeit als Bildung und Befähigung. (Vertreter: Otto und Rauschenbach, Sünker, Röh, Scheu und Autrata, Sommerfeld u. a., Wirth)« (Lambers 2016, 221 f).

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der vier Kategorien ist der Beobachtungsstandpunkt zum Verhältnis von Individuum und Gesellschaft (Erziehung, soziale Ungleichheit, Bewältigung, Bildung und Befähigung) und die sich daraus ergebende Konstruktion einer sozial problematisch angesehenen Lebenssituation. Die vier Kategorien bilden ein theoretisches Spektrum Sozialer Arbeit, die hitzige theoretische Abgrenzungskämpfe hervorbringen können, aber letztlich als gleichwertig nebeneinanderstehend zu sehen sind. Aus der Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit ist damit die Begründung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes mit einer Theorie oder auch mit mehreren Theorien Sozialer Arbeit verbunden. Für diesen, alle weiteren Beiträge dieses Buches rahmenden, Text ist die Reduktion auf eine theoretische Schwerpunktsetzung unangebracht. Ein solches Vorgehen würde den Blick auf die Vielfalt der Sozialarbeiterischen CM-Ansätze verengen.

In den arbeitsfeldbezogenen Beiträgen dieses Buches wurden von den Autor:innen (▸ Teil II) jeweils angemessene sozialarbeitstheoretische Bezüge gewählt. Mit Blick auf eine gelingende Praxis können daher auch transtheoretisch (vgl. Sommerfeld 2013, 163 ff) Verbindungen von mehreren Theorien vorliegen.

Wenn es darum geht, die besonderen Problemlagen in einem Arbeitsfeld zu beschreiben, ist es außerdem hilfreich, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zu bestimmen, um so auch in Bezug auf die theoretische Fundierung größere Klarheit zu erlangen. Alle Theorien der Sozialen Arbeit beschäftigen sich mit dieser Schnittstelle, die auch in dem Begriffspaar Verhalten und Verhältnisse verwendet wird (vgl. Heiner 2010, 101 ff). Exemplarisch können genannt werden:

·

Böhnisch, der auf das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft mit dem Begriff der »Lebensbewältigung« zugreift (Böhnisch 2016),

·

Thiersch (2020), der den »Alltag« und die »Lebenswelt« zentral stellt,

·

Staub-Bernasconi (2018), die »Gerechtigkeit« und »Macht« als systemischen Zugang zu sozialen Problemen identifiziert und

·

Röh (2013), der die »Daseinsmächtige Lebensführung« mit Bezug zum Capability Approach als Schnittstellenbegriff benennt.

Im Bereich der institutionalisierten Behindertenhilfe wäre Soziale Arbeit z. B. als Reaktion auf die Bewältigungstatsache in Koppelung mit Bildung und Befähigung zu sehen und Theorien der Sozialen Arbeit, die hier Orientierung geben könnten, wären u. a. sowohl die Lebensweltorientierung nach Thiersch als auch die Daseinsmächtige Lebensführung nach Röh. An diesem Beispiel zeigt sich bereits, dass eine transtheoretische Verbindung mehrerer Theorien für einen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz mit Blick auf das jeweilige Arbeitsfeld sinnvoll sein kann. Die Vermittlung von Individuum (Verhalten) und Gesellschaft (Verhältnisse) (vgl. Heiner 2010, 101 ff) wird einerseits und wie bereits erwähnt in nahezu allen Theorien Sozialer Arbeit thematisiert und sie ist andererseits ein wesentlicher Anknüpfungspunkt an das CM, das zwischen der Fall- und der (Versorgungs-)‌Systemebene unterscheidet und damit genau an den generellen Doppelfokus der Sozialen Arbeit Individuum (Verhalten) und Gesellschaft (Verhältnisse) anschließt.

Während die bereits vorgestellte Systematisierung nach Lambers (2016) große theoretische Linien Sozialer Arbeit beschreibt, schlägt Borrmann (2016) eine sachlogische Differenzierung vor. Er unterscheidet

·

Theorien, die Soziale Arbeit als Funktionssystem beschreiben (z. B. Bommes & Scherr),

·

Theorien, die methodisches Handeln fundieren (z. B. Germain & Gitterman),

·

Theorien, die methodisches Handeln und theoretisches Denken verorten (z. B. Dewe & Otto),

·

Theorien, die auf Gründe für soziale Probleme rekurrieren (z. B. Böhnisch; Addams) oder

·

Theorien, die Hauptbezugspunkte Sozialer Arbeit beschreiben und systematisch verbinden (z. B. Staub-Bernasconi; Röh) (vgl. ebd., 28 ff).

Jede dieser Theorien leistet etwas anderes und hat natürlich ihre Berechtigung. Hier zeigt sich eine nächste Variante, wie auf dieser Ebene Theorien zur Begründung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes im Arbeitsfeld herangezogen werden können. Auch hier sind wieder transtheoretische Begründungen naheliegend. Wobei die theoretische Erörterung sich sowohl auf das Individuum als auch auf die Gesellschaft beziehen sollte. Für das CM bisher am deutlichsten herangezogen sind in der Sozialen Arbeit wohl die Theorien, die methodisches Handeln fundieren. Dazu gehören das sozialökologische Life Modell von Germain und Gitterman (vgl. Engelke 2018, 337 ff), oder aufbauend darauf, der ökosoziale Ansatz von Wendt (2010), das motivationstheoretische Modell von Miller und Rollnick (2015) bei Schmid, Schu und Vogt (2012), das an die systemische Soziale Arbeit anschließende Modell von Kleve, Haye, Hampe und M. Müller (2021) sowie von Neuffer (2013a) und der in der Stärkenorientierung begründete Ansatz von Ehlers, M. Müller und Schuster (2017). Unabhängig davon, welche Theorien zugrunde gelegt werden, ermöglichen sie Fundierung und Klärung des CM aus der Sicht der Wissenschaft der Sozialen Arbeit und stehen zu Beginn der Ausführungen zum Sozialarbeiterischen CM in den Arbeitsfeldern (▸ Teil II).

Durch die Diversität der Arbeitsfelder Sozialer Arbeit ergeben sich in den verschiedenen Arbeitsfeldern verschiedene Schwerpunktsetzungen für den generellen Theoriebezug. Ausgehend von den vorangestellten Ausführungen können Fragen nach dem Verständnis des Individuums, der Gesellschaft und Bezugsproblemen im Arbeitsfeld angeschnitten werden, aber es erfolgt i. d. R. auch eine Nennung der sich daraus ergebenden Besonderheiten für das Arbeitsfeld.

Dies kann bspw. die historische Entwicklung eines Arbeitsfeldes, eine besondere sozialpolitische Einordnung, eine spezielle rechtliche Voraussetzung etc. sein, die – mit Nutzung der Bezugsdisziplinen, z. B. Geschichte, Politik, Recht – im zweiten Element des phänomen- und disziplinbezogenen Wissens (siehe unten) ausgeführt wird.

»Die Thematisierung der Sozialen Arbeit als Handlungswissenschaft ermöglichte und ermöglicht prinzipiell, einen disziplinären Zuschnitt zu formulieren, in dem das fragmentierte Wissen, das die Bezugswissenschaften liefern, mit den Theorien der Sozialen Arbeit und der Methodologie integriert werden könnten« (Sommerfeld 2013, 157).

Bezogen auf die Handlungsfeldbeiträge (▸ Teil II) wird zunächst das für den jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz geltende theoretische Verständnis dargestellt, und da selten eindeutige theoretische Verortungen gewählt wurden, werden meist mehrere sozialarbeitstheoretische Bezugspunkte benannt, die für das Arbeitsfeld relevant sind und gelten.

2.3 Phänomen- und disziplinbezogenes Wissen: Arbeitsfeldtheorie, Wissen über das Arbeitsfeld und Werteausrichtung

Konkretisierend werden aufbauend auf die theoretischen Ausführungen Wissensbestände zum Arbeitsfeld dargelegt. Die generelle Feldbegründung thematisiert, wie ein soziales Problem überhaupt eine solche Prominenz entwickeln kann, dass es die gesellschaftliche Beauftragung für die Soziale Arbeit gibt. Nach Pantuček (2019) erfordert dies »in der Regel, das Problem nicht als individuelles, sondern als soziales zu beschreiben: Es muss eine relevante Zahl von Personen betreffen und es muss so formuliert werden, dass damit eine Handlungsanforderung an die Gesellschaft (Politik) enthalten ist« (S. 31). Die Besonderheiten der verschiedenen Felder und die sich daraus für die Klient:innen der Sozialen Arbeit ergebenden Problemlagen lassen sich also zusätzlich als einen gesellschaftlich-politischen Diskurs skizzieren, der die Praxis in einem Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit hervorbringt. Da sich soziale Probleme in modernen Gesellschaften nicht exklusiv bearbeitet lassen, »steht ein Spektrum möglicher Maßnahmen zur Verfügung, das von Repression über Änderung im rein rechtlichen Rahmen bis zur Etablierung (Veränderung, Ausweitung) von Sozialprogrammen reicht« (ebd.). Die Bearbeitung sozialer Probleme kann demnach als schlichte Bestrafung, den Versuch der juristischen Regulierung oder durch den Einsatz der sozialen Hilfe erfolgen. Wobei diese drei gesellschaftlichen Bearbeitungsweisen in der Praxis nicht klar voneinander zu trennen sind und changieren oder in Mischformen auftreten (vgl. ebd., 32 f).

Für den Schritt der Arbeitsfeldkonkretisierung des Sozialarbeiterischen CM ist es von Bedeutung, welche Facetten des Arbeitsfeldes zu thematisieren sind. Die meisten Arbeitsfeldbeschreibungen Sozialer Arbeit fokussieren historische, lebenslaufbezogene, aufgabenbezogene, institutionenbezogene und rechtliche Aspekte. Auf die Konstituierung der Arbeitsfelder Sozialer Arbeit wirken somit unterschiedliche Faktoren, die wiederum die verschiedenen Arbeitsfeldtheorie in unterschiedlichen Gewichtungen bestimmen.

Für die Konkretisierung eines Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes für ein Arbeitsfeld scheinen uns folgende Arbeitsfeldfacetten relevant:

·

eine historische und gegenwärtige Perspektive auf das Arbeitsfeld,

·

die Adressat:innen der sozialen Hilfe im Arbeitsfeld,

·

die sozialen Probleme und Problemlagen, die im Arbeitsfeld bearbeitet werden,

·

die rechtlichen Regelungen im Arbeitsfeld,

·

das Wissen anderer Disziplinen und Professionen, das im Arbeitsfeld genutzt wird,

·

die Organisationen, die das Arbeitsfeld prägen,

·

die weiteren neben dem CM im Arbeitsfeld praktizierten Handlungsmethoden

·

...

Da die Etablierung der Sozialen Arbeit eng mit der Industrialisierung und Modernisierung der Gesellschaft und der Bewältigung der sozialen Frage verbunden ist (vgl. Hering & Münchmeier 2014, 21), lässt sich i. d. R. auch eine historische Genese des jeweiligen Arbeitsfeldes darstellen. Die Arbeitsfelder sind somit wesentlich von den gesellschaftlich-historischen Verhältnissen geprägt. Diese Aspekte der Konstituierung des jeweiligen Arbeitsfeldes Sozialer Arbeit prägen diese mitunter noch heute. Konkretisierend ist z. B. das Feld der Behindertenhilfe ohne eine historische Einordnung der Institutionsgeschichte genauso wenig zu verstehen, wie die Kinder- und Jugendhilfe ohne die Entstehungsgeschichte des Kinder- und Jugendhilfegesetzes oder die Migrationssozialarbeit ohne die sogenannten Gastarbeiter:innen in den 1960er Jahren und die gegenwärtigen globalen Fluchtbewegungen. Daher erfolgt i. d. R. eine Darstellung der relevanten Aspekte der Geschichte und Gegenwart des Arbeitsfeldes in den für den jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz relevanten Ausschnitten. Im Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe kann sich so z. B. die historische Darstellung aus der Perspektive des Sozialarbeiterischen CM auf ein spezifisches Segment (z. B. der öffentlichen Jugendhilfe) beziehen. In diese und die gegenwärtige Darstellung eines spezifischen Segments des Arbeitsfeldes Sozialer Arbeit werden außerdem empirische Beschreibungen zur Konturierung des Arbeitsfeldes genutzt.

Neben der historisch gesellschaftlichen Darstellung eines Arbeitsfeldes bedarf es auch der Beschreibungen der Nutzer:innen im Arbeitsfeld. Daran wird deutlich gemacht, in welchen Lebensphasen und Lebenslagen sich die Menschen befinden, die die Zielgruppe des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatzes sind. Hier können etwa das Wissen aus Adressat:innenforschungen, die Darstellung von Bewältigungsaufgaben in spezifischen biografischen Phasen oder auch andere Beschreibungen hilfreich sein.

In den Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit sind unterschiedliche soziale Probleme von Relevanz. So sind die Probleme, die im Feld der Suchthilfe bearbeitet werden, andere als die, die in der Behindertenhilfe relevant sind. Auch wenn gerade die Diskurse zur sozialen Diagnostik sehr klar herausarbeiten, dass in der sozialarbeiterischen Fallarbeit soziale Probleme zwingend in ihrer individuellen Nutzer:innenkonstruktion rekonstruiert werden müssen (vgl. Buttner et al. 2018) und mitunter dieselben sozialen Probleme unterschiedliche Arbeitsfelder Sozialer Arbeit berühren, so können dennoch spezifische Probleme in den verschiedenen Arbeitsfeldern umrissen werden, mit denen die Fachkräfte im jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz konfrontiert sind. Diese generelle Sicht auf die Probleme in den Arbeitsfeldern kann mit empirischen Forschungen zum Feld unterlegt sein. Neben diesem empirisch deskriptiven Blick können aus den Bezugstheorien, die den jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz begründen, soziale Probleme, deren Determinanten, ursächliche Bedingungen und eventuelle Folgen im Hinblick auf das Ausgangsproblem formuliert werden. An den sozialen Problemen können auch die Eignung bestimmter sozialarbeiterischer Bezugstheorien für den jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz begründet werden.

Die Realisierung sozialarbeiterischer Hilfen im gesellschaftlichen Auftrag vollzieht sich in weiten Teilen über das Recht. Das Recht und hier insbesondere das Sozialrecht hat eine starke bindende Kraft hinsichtlich der professionellen Möglichkeiten der Fachkräfte. Darüber hinaus kann das Recht auch bestimmte sozialarbeiterische Arbeitsweisen festlegen. So ist z. B. in den Förderrichtlinien zur Durchführung einer Migrationsberatung für erwachsene Zuwander:innen (MBE) (BMI 2020a) CM als das zu verwendende Arbeitsverfahren in der Arbeit mit Migrant:innen genannt. Neben der Steuerung der professionellen Praxis sind rechtliche Ansprüche auch relevant, um berechtigte Leistungen zu beziehen (z. B. Arbeitslosengeld II aus dem SGB II). Die Nennung der für die verschiedenen Sozialarbeiterischen CM-Ansätze relevanten rechtlichen Bezüge für die Sozialarbeiter:innen selbst und für die Nutzer:innen ist daher zur arbeitsfeldbezogenen Konkretisierung i. d. R. unerlässlich.

Die Soziale Arbeit versteht sich als interdisziplinäre oder transdisziplinäre Wissenschaft und als interprofessionelle oder transprofessionelle Praxis. Sozialarbeiterisches CM muss daher ebenso verortet werden (▸ Kap. 3). Ein Folgeeffekt dieser Disziplin- und Professionsverständnisse ist, dass die Sozialarbeiterischen CM-Ansätze in den Arbeitsfeldern nicht nur durch exklusives Wissen der Sozialen Arbeit bearbeitet werden, sondern auch das Wissen anderer Disziplinen und Professionen von Bedeutung sein kann (z. B. bei Menschen mit Beeinträchtigungen, im Alter etc.). Es ist daher ggf. nötig das Wissen anderer Disziplinen und Professionen zu benennen, das für den jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz relevant ist (z. B. medizinisches Wissen über bestimmte Erkrankungen oder gerontologisches Fachwissen).

Die professionelle Soziale Arbeit realisiert sich weitestgehend über Organisationen (vgl. Heiner 2010, 53 ff). Diese lassen sich in die sehr großen Gruppen der öffentlichen und freien Träger unterteilen, die auf der Bundesebene, der Landesebene und der kommunalen Ebene agieren. Darüber hinaus sind auch private Träger von Relevanz und zu einem kleineren Teil wird Soziale Arbeit auch in freiberuflicher Tätigkeit praktiziert (z. B. in der rechtlichen Betreuung). Ähnlich wie beim Recht sind aber für das Sozialarbeiterische CM in den Arbeitsfeldern nicht nur die Träger von Relevanz, die die Sozialarbeiter:innen beschäftigen und die über ihre organisationale Struktur das CM wesentlich mitprägen können (z. B. im Fall des Jobcenters), sondern auch die Organisationen, die Leistungen für die Nutzer:innen zur Verfügung stellen (z. B. die Sozialhilfeträger) sind für den Sozialarbeiterischen CM-Prozess wichtig. Bezogen auf das Arbeitsfeld wird daher auch aufgezeigt, welche Organisationen das Sozialarbeiterische CM beheimaten und welche Organisationen für den nutzer:innenzentrierten Hilfeprozess von Relevanz sind. In diese Darstellungen können z. T. auch Forschungsergebnisse zu den verschiedenen Organisationen im Kontext des Arbeitsfeldes mit aufgenommen werden.

Abschließend ist von Bedeutung, welche weiteren Handlungskonzepte im Arbeitsfeld noch von Relevanz sind. Dies zum einen, weil es zum erweiterten Feldverständnis beiträgt, und zum anderen, weil es fokussiert, in welche Hilfen die Vernetzung des jeweiligen Sozialarbeiterischen CM möglich und sinnvoll ist. Das erweiterte Feldverständnis öffnet damit das Spektrum dafür, wie die professionellen Dienste zentriert um die individuellen Hilfeanliegen der Nutzer:innen in das Sozialarbeiterische CM integriert werden können.

Das Handlungskonzept CM ist zu einer politisch gewollten Gestaltungsweise personenbezogener Versorgung im Sozial- und im Gesundheitswesen generell geworden (Wendt 2007, 460). Die Handlungsspielräume Sozialer Arbeit als sozialstaatlich abhängige Profession sind, bezogen auf den staatlich definierten Zuschnitt ihres Aufgabenfeldes und ihrer Ausstattung, jedoch eng. Personale und soziale Probleme können von der Sozialen Arbeit nur in dem Maß und in der Form bearbeitet werden, wie dies politisch notwendig, wünschenswert und finanzierbar erscheint. Der Auftrag der Sozialen Arbeit, zur sozialen Gerechtigkeit und Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte beizutragen, wird dadurch mitunter konterkariert. Die das Doppel- und Tripelmandat konstituierenden Aspekte der Soziale Arbeit in den Arbeitsfeldern sollten zumindest erkannt werden. So stellt »wissenschaftliches Wissen, kommunikative Kompetenz und eine wertebezogene, biographisch verankerte reflexive Grundhaltung [...] die Voraussetzungen einer ethisch fundierten Expertise professioneller Sozialer Arbeit dar« (Heiner 2010, 185). Humandienstleistungen sind ohne Gestaltungsspielräume der Beteiligten nicht denkbar, die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung im Sinne von Koproduktion steht zentral und dieser Spielraum kann z. B. mit CM fachlich gestaltet werden.

Die Disziplin Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft impliziert den Glauben an die Möglichkeit etwas zu verändern. Es wäre nicht notwendig, die Handlungsprobleme der (professionellen) Praxis zu identifizieren und Forschung und Theorie zu entwickeln, um einen Wissenskorpus für die Praxis zu entwickeln, wenn nicht auch davon ausgegangen würde, Veränderung erzielen zu können. Wissenschaftlich erzeugtes Wissen führt nicht umstandslos zu ethischen Urteilen, es kann für dargestellte (politische) Zielsetzungen gebraucht bzw. missbraucht werden. Verfahren und Methoden Sozialer Arbeit müssen ethischen Beurteilungen unterzogen werden (vgl. Staub-Bernasconi 2018, 298). Es braucht eine bewusste Wertausrichtung der Professionellen zur Zielsetzungsfrage und damit verbunden auch zur Wahl der Ressourcen, Arbeitsweisen bzw. Methoden.

Für die Soziale Arbeit können zur Wertausrichtung verschiedene Referenzen hinzugezogen werden. Zum einen kann das berufsethische Wissen genutzt werden. Berufsethisch gilt vorrangig die Definition der Sozialen Arbeit von 2014, in der die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, der Menschenrechte, der gemeinschaftlichen Verantwortung (gelebte Solidarität) und die Anerkennung der Verschiedenheit (um der Gleichheit Willen) richtungweisend sind (Fachbereichstag Soziale Arbeit 2016). Die ethischen Grundlagen der Sozialen Arbeit sind im Code of Ethics dargelegt, die Fassung der IFSSW (Ethik in der Sozialen Arbeit – Darstellung der Prinzipien. Ethics in Social Works, Statement of Principles 2000) ist hier zu nutzen, ebenso die Grundlagen für die Arbeit des DBSH e. V. Ethik in der Sozialen Arbeit (2009). Auch die DGCC hat für das Handlungskonzept CM ethische Grundlagen erarbeitet und verabschiedet (DGCC 2020a, 37 ff). Zum anderen bieten die Theorien Sozialer Arbeit, auf die sich das jeweilige Sozialarbeiterische CM bezieht, auch Werteorientierungen. Bei bestehenden Schwierigkeiten, ethischen Dilemmata und Fehlern (Bias) in der Praxis-Umsetzung des CM kann im Theoriebezug daher auch auf die theorieimplizierten Werte eingegangen werden, um die Praxisprobleme einzuordnen und sozialarbeiterisch werteorientiert auszurichten.

2.4 Verfahrenswissen: Sozialarbeiterisches Case Management

Ein wichtiges Merkmal von CM ist eine Erfassung von komplexen Hilfe- und Unterstützungssituationen (Intake). Viele Methoden und Arbeitsweisen, die im Rahmen von CM zum Einsatz kommen, können aber auch in weniger komplexen Fallsituationen, bspw. in Beratungssituationen, hilfreich sein. Die intensive Arbeitsweise im CM ist angezeigt, wenn die Problemlagen der Klient:innen vielschichtig sind und viele Akteur:innen an der Problemlösung beteiligt werden müssen.

Das CM als Verfahren realisiert sich auf der Fallebene und der (Versorgungs-)‌Systemebene. Beide Ebenen werden von Sozialarbeiter:innen systematisch zusammengedacht und aufeinander bezogen. Sie werden in den folgenden Ausführungen weiter inhaltlich differenziert (▸ Abb. 2.2).

Abb. 2.2:Ebenen des Case Management (Ehlers, C. & Müller, M. (2013): Implementierung von Case Management in Organisationen des Sozial- und Gesundheitswesens. In C. Ehlers & W. Broer (Hrsg.), Case Management in der Sozialen Arbeit. Theorie, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit (Bd. 7, S. 107 – 125). Opladen, Berlin & Toronto: Budrich, 112)

CM zeichnet sich auf der Fallebene durch ein Phasenmodel aus, das sich entlang einzelner Arbeitsschritte und der Anwendung von Methoden in diesen ausrichtet. Grundlegend sind folgende Phasen (vgl. DGCC 2020a, 7; Ehlers et al. 2017; Siebert 2018):

1.

Access, Case Finding, Intaking (Klärungsphase),

2.

Assessment (Falleinschätzung),

3.

Serviceplaning (Zielformulierung und Hilfeplanung),

4.

Linking und Monitoring (Vernetzung und Umsetzung des Hilfeplans),

5.

Evaluation und evaluierende Nachsorge (Beendigung und Auswertung).

Ziel von CM auf der Fallebene ist es, individuelle und adressat:innenorientierte Hilfe- und Unterstützungsarrangements zu gestalten. Fallbezogen werden die Anliegen der Nutzer:innen, ihre Bedürfnisse und ihre Bedarfe erkundet und unterschiedliche Unterstützungsleistungen passgenau vernetzt. Wie dies im jeweiligen Sozialarbeiterischen CM-Ansatz realisiert wird, zeigt sich in den Arbeitsfeldbeiträgen. Im Gegensatz zu CM-Konzepten in anderen Handlungskontexten steht in der Sozialen Arbeit insbesondere eine beratende und unterstützende Arbeit im Vordergrund. Löcherbach (2019) bezeichnet diese CM-Formate als Begleitendes CM. Gruber und M. Müller (2020), Goger (2020) und Goger und Thordy (▸ Kap. 4) in diesem Herausgeberwerk heben zudem die explizite Beziehungsorientierung im Sozialarbeiterischen CM hervor.

Parallel zur Fallarbeit werden im CM auch die Versorgungssysteme und -strukturen gestaltet. Unter (Versorgungs-)‌Systemebene werden Strukturen und Rahmenbedingungen im Sozial-‍, Gesundheits- und Bildungswesen verstanden. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen (Makroebene) prägen die Arbeit in den unterschiedlichen Organisationen und ihre Kooperationen mit anderen Einrichtungen (Mesoebene). Die Gegebenheiten in Organisationen wiederum haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Fallarbeit. Im CM werden die Meso- und die Makroebene zusammen als (Versorgungs-)‌Systemebene bezeichnet. Die nachfolgende Tabelle (▸ Tab. 2.1.) veranschaulicht die unterschiedlichen Realisierungsebenen von CM. Ersichtlich wird, dass der Mesoebene eine Scharnierfunktion zwischen der Makroebene (Strukturebene) und der Mikroebene (Fallebene) zukommt. Organisationen arbeiten nach sozialrechtlichen Vorgaben, sie reagieren auf gesellschaftliche Problemlagen und leiten hieraus ihre Dienstleistungsangebote ab. Die Sozialarbeiter:innen bzw. Mitarbeiter:innen in Organisationen haben i. d. R. keinen direkten Kontakt zu den politischen Entscheidungsträger:innen oder Kostenträger:innen. Absprachen wie bspw. (Budget-)‌Verhandlungen erfolgen überwiegend über Geschäftsführer:innen oder Fachverbände, also auf der Makro- oder/und Mesoebene.

Ziel des Case Management

Ziel des CM auf der (Versorgungs-)‌Systemebene ist es, das Zusammenspiel der Akteur:innen auf den verschiedenen Realisierungsebenen zu analysieren und ggf. bedarfsbezogen für die Einzelfälle so zu gestalten, dass die Arbeit im Einzelfall bestmöglich umgesetzt werden kann.

Dieses wird in dem hier dargestellten Rahmenmodell unter Bezugnahme auf die theoretischen Begründungen (▸ Kap. 2.2) für das jeweilige Sozialarbeiterische CM und die Arbeitsfeldkonkretisierungen (▸ Kap. 2.3) realisiert.

Das, was die Sozialarbeiterischen CM-Ansätze charakterisiert, ist auf der Fallebene und der (Versorgungs-)‌Systemebene von den gewählten Theoriebezügen und der jeweiligen Arbeitsfeldtheorie gekennzeichnet und wird in den Arbeitsfeldbeiträgen skizziert.

2.5 Evaluationswissen: Evaluationsergebnisse und Bias zum Sozialarbeiterischen Case Management im Feld

Einig sind sich vermutlich alle am CM Interessierten hinsichtlich des Bedarfs an Studien und Forschung zum CM und im besten Falle an Wirksamkeitsnachweisen. Allgemein liegen für den deutschsprachigen Raum wenig Überblicksarbeiten zum Forschungsstand vor. Schmid und Ehlers (2016) beschreiben es als problematisch, dass es sich i. d. R. um sehr unterschiedliche CM-Konzepte handelt und der Standard von experimentellen randomisierten Kontrollgruppendesigns nur schwer oder mit hohem Aufwand umsetzbar ist. Tendenziell lässt sich jedoch aus der Studienlage schlussfolgern, dass CM-Programme eine Vermittlung von Dienstleistungen an Menschen verbessern können.

Zum CM in verschiedenen Arbeitsfeldern liegen einzelne Forschungsbefunde vor (z. B. Wendt & Löcherbach 2017), die in den Arbeitsfeldbeiträgen dieses Bandes, falls vorhanden, überblickartig und kommentierend dargestellt werden. Die Kommentierung bezieht sich i. d. R. vor allem auf eine Einschätzung der Aussagekraft der Forschungen. So liegen z. B. Forschungen zum CM im Suchtbereich (Schmid & Arendt 2018), in der Kinder- und Jugendhilfe (Löcherbach et al. 2009) und in der Beschäftigungsförderung (BMFSFJ 2013a, 2013b) vor.

Die durchaus in der Praxis zu findenden Widerstände gegen das CM liegen zumeist darin begründet, dass die theoretisch formulierten Prämissen des Verfahrens in der Praxis nicht eingehalten werden und mitunter auch nicht eingehalten werden können. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Es kann an den unzureichenden am CM ausgerichteten Rahmenbedingungen in der Praxis, an der schlichten Unkenntnis über die Komplexität des Verfahrens oder an anderen Ursachen liegen. So entstehen z. B. in der Praxis Umsetzungsschwierigkeiten, weil im Arbeitsfeld so starke prägende Kräfte wirken, dass die Nutzer:innen in der Frage darüber, wie geholfen werden kann, determiniert sind und individualisierte Hilfewege, wie sie das Sozialarbeiterische CM verfolgt, blockiert sind. Damit sind die Möglichkeiten für die Nutzer:innen im Hilfeprozess limitiert und die Organisation professioneller Hilfe Sozialer Arbeit konterkariert.

Auch die Frage der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit wird in der Praxis mit dem CM verbunden. Dabei stehen ökonomische Parameter sozialarbeiterischen Prämissen einer nutzer:innenzentrierten CM Hilfegestaltung durchaus im Wege. Die Soziale Arbeit und damit auch das CM wird so in der Praxis inhaltlich ausgehöhlt und steht in der Gefahr zu einer Sozialtechnologie der Kostenregulation zu degenerieren.

Ein weiteres Thema, das in der Praxis beim Thema CM relevant ist, ist das der Fallbelastung. Fallzahlen sind mitunter willkürlich festgelegt und dann so hoch, dass ein beziehungsorientiertes Sozialarbeiterisches CM unter dem Eindruck der Fallbelastung nicht möglich ist (z. B. in der Migrations- und Eingliederungsberatung). Die hier nur beispielhaft angerissenen Praxisprobleme erfordern die Reflexion der Schwierigkeiten eines Sozialarbeiterischen CM im jeweiligen Arbeitsfeld.

In den Arbeitsfeldbeschreibungen des Sozialarbeiterischen CM geht es also auch darum, relevante und möglicherweise widersprüchliche Aspekte für das Sozialarbeiterische CM in der Praxis im jeweiligen Arbeitsfeld zu thematisieren. Aufbauend auf die Reflexion der Schwierigkeiten, ethische Dilemmata und Fehler (Bias) in der Praxis, können so Ziele formuliert werden, die in den verschiedenen Arbeitsfeldern zur Verbesserung der Problemlagen erreicht werden sollen.

2.6 Ausblick

In den Gesprächen und Diskussionen im Entstehungsprozess des Herausgeber:innenbandes wurde uns bestätigend deutlich, wie herausfordernd, notwendig und hilfreich zugleich es ist, die Konturierung der sozialarbeiterischen fachlichen Perspektive im CM vorzunehmen. Der oftmals vorhandenen Sprachlosigkeit in der Benennung der eigenen Fachkonzepte kann mit diesem Band, zumindest in Bezug auf das CM, etwas entgegengesetzt werden. Spezifisch für ausgewählte Arbeitsfelder wird das Konzept des Sozialarbeiterischen CM ausformuliert und kann als Ausgangspunkt zur weiteren Entwicklung gesehen werden. Folgende drei wesentliche Elemente haben sich dabei als notwendige Komponenten einer weiteren Konkretisierung des Sozialarbeiterischen CM herausgestellt: Empirie, normative Ausrichtung und ein strukturierter Theorie-Praxis-Transfer.

Deutlich wurde, dass sozialarbeiterische Fachkonzepte oftmals in den verschiedenen Feldern von unsicheren Rahmenbedingungen begleitet werden und eine dem »State of the Art« entsprechende Umsetzung erschwert oder kaum möglich ist.

Das sich in dieser Dilemmasituation abbildende Tripelmandat fordert aus fachlicher Perspektive von der Profession zweierlei:

·

Zum einen die Komponente der Wissenschaftsbasierung der professionellen Praxis, die sich in diesem Falle auch eindeutig in mehr empirischer Forschung abbilden müsste. Hiermit besteht die Möglichkeit, die Wirkungen des Sozialarbeiterischen CM zu erschließen und das idealisierte Bild des CM an sich überhaupt an die sozialarbeiterische Praxis anpassen zu können.

·

Zum anderen die Komponente der berufsethischen Basierung der Profession, getreu der Formulierung »Nach bestem Wissen und Gewissen« (Staub-Bernasconi 2018, 114), um einer Aushöhlung und Degeneration des Konzeptes entgegenzuwirken.

Ohne Theorie-Praxis-Transfer wäre das Konzept des Sozialarbeiterischen CM sinnentleert. Unabhängig von den jeweilig möglichen zugrunde gelegten Ansätzen des Transfers gilt es auch im Kontext von Lehre und Weiterbildung im CM Sozialarbeiterisches CM stärker zu berücksichtigen.

3 Transdisziplinarität und Sozialarbeiterisches Case Management

Matthias Müller

3.1Begriffliche Setzungen

3.2Sozialarbeiterisches Case Management

3.3Transdisziplinarität im Sozialarbeiterischen Case Management

Der folgende Text1 erläutert, wie Transdisziplinarität und Transprofessionalität im Sozialarbeiterischen CM verstanden und verortet werden können. Damit wird, ohne es explizit zu thematisieren, deutlich, dass ein generelles von den jeweiligen Bezugsdisziplinen entkoppeltes generalistisches und transdisziplinäres Verständnis von CM theoretisch wie praktisch deutlich zu kurz gedacht ist und letztlich das CM in seiner differenzierten Weiterentwicklung blockiert.

Wenn die Frage nach Transdisziplinarität gestellt wird, dann öffnet sich der Blick auf Theorie. Sie ist nötig, um das Thema Transdisziplinarität und auch Transprofessionalität im Sozialarbeiterischen CM angemessen zu fokussieren. Meine folgenden Ausführungen sind daher theoretischer Art. Sie beginnen mit einigen begrifflichen Grundlegungen und Systematisierungen (1.), verweisen dann (2.) auf das in diesem Buch ausgeführte Modell des Sozialarbeiterischen CM und diskutieren dieses anschließend in einem transdisziplinären und transprofessionellen Verständnis. Abschließend werden knapp sich daraus ableitende Perspektiven für die Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit benannt (3.).

3.1 Begriffliche Setzungen

Gerade weil die Begriffe Disziplin und Profession mitunter willkürlich und ohne Kenntnis von deren genaueren Bedeutungen verwendet werden und auch weil dem CM eine generalistische Trans-Besonderheit nachgesagt wird, ist es wichtig zu klären, was überhaupt mit den Begriffen Disziplin, Profession, Transdisziplinarität und Transprofessionalität gemeint ist, welche Konzepte hinter den Begriffen stecken, und wie diese in Beziehung zueinanderstehen.

Disziplin

Als eine Disziplin wird eine Wissenschaft bezeichnet (Thole 2012, 21), wie z. B. die Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Wissenschaften sind Disziplinen. Sie sind der Theoriebildung und der Hervorbringung von empirischen Forschungsergebnissen verpflichtet. Die Felder, in denen sich die disziplinären – also wissenschaftlichen – Forschungs- und Theoriebildungsprozesse realisieren, sind bspw. Hochschulen, Bücher, Fachzeitschriften, Tagungen usw.

Die tatsächliche CM-Praxis mit den Nutzer:innen ist aus disziplinärer Perspektive der Forschungsgegenstand, der dazu dient, wissenschaftliche Wahrheiten (Merten 1997, 113) zu generieren. In welchem Verhältnis nun Wissenschaft zur Praxis steht, kann sehr unterschiedlich gesehen werden (z. B. Borrmann 2016, 23 – 24). Es zeigt sich aber, dass Disziplinen nicht selbstverständlich einen Zugriff auf die beruflichen Praxen haben, die man ihnen zuordnen kann. In den Praxen kann und wird durchaus auch fern bzw. ohne wissenschaftliches Wissen gehandelt.

Die Praxis ist das professionelle berufliche Tun – disziplinär ausgebildeter – Menschen. So wird bspw. von Sozialarbeiter:innen in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit das Handlungskonzept CM mit den Nutzer:innen angewendet.

Profession

Als Profession wird also die Tätigkeit von disziplinär ausgebildeten Fachkräften in einer beruflichen Praxis bezeichnet (Thole 2012, 21).

Die Praxis der Sozialen Arbeit vollzieht sich in den Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit (z. B. Kinder- und Jugendhilfe). Professionelle Praxen orientieren sich bei der Bewältigung der Praxisaufgaben nicht an den Wahrheitsprämissen der Disziplin, sondern an Nützlichkeitskriterien (Merten 1997, 113). Die wissenschaftlichen Wahrheiten der Disziplin sind für die Bewältigung der Praxisaufgaben einer Profession im Vergleich zur Nützlichkeit daher ein nachrangiges Kriterium. Das wissenschaftlich generierte Wissen der Disziplin muss daher i. d. R. in praktisches – nützliches – Wissen für die professionelle Praxis transferiert werden.

Es können mit der Monodisziplinarität, der Multidisziplinarität, der Interdisziplinarität und der Transdisziplinarität wenigstens vier Disziplinenkonzepte (Goll 1996) unterschieden werden. Diese lassen sich im gleichen Verständnis auch auf Professionen übertragen.

Monodisziplin

In einer Monodisziplin besteht ein Alleinerklärungsanspruch für einen wissenschaftstheoretisch fokussierten Forschungsgegenstand. In diesem wird z. B. der Mensch – im Falle der Medizin – als ein medizinischer Forschungsgegenstand gesehen.

Die verschiedenen Disziplinen spezialisieren sich auf humane, gesellschaftliche oder ähnliche Teilgebiete und differenzieren in diesen das wissenschaftliche Wissen über ihren Forschungsgegenstand aus und können so spezialisiertere Fragen bearbeiten und beantworten (z. B. Krebsbehandlung). In diesem Verständnis besteht ein wissenschaftlicher Alleinerklärungsanspruch (z. B. Medizin) und ein professionelles Berufsverständnis der Deutungshoheit der eigenen Profession (z. B. Ärzt:in), die Planung und Handeln in der Praxis bestimmen.

Multidisziplinarität

Ein solches Disziplinenverständnis liegt auch bei der Multidisziplinarität und Interdisziplinarität vor. Hier wird der Forschungsgegenstand (z. B. der Mensch) aber aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen gesehen. Der wissenschaftstheoretisch fokussierte Forschungsgegenstand Mensch ist damit differenzierter betrachtet (z. B. als biologischer, sozialer und psychischer Gegenstand). In der Multidisziplinarität (z. B. Medizin, Soziale Arbeit, Psychologie) bleibt es bei einem disziplinären Nebeneinander ohne Verbindung zueinander.

So ist es auch bei der Multiprofessionalität. Die jeweiligen Professionen erfassen zusammen ebenfalls mehr, bleiben aber in ihrer eingegrenzten Perspektive (z. B. Ärzt:in, Sozialarbeiter:in, Psycholog:in) und in der Praxis wird nebeneinander gehandelt und geplant.

Interdisziplinarität

Bei der Interdisziplinarität wird sich zwischen den Disziplinen in den Sichtweisen ausgetauscht und es vollzieht sich eine Erweiterung oder Verstörung des jeweiligen disziplinären Wissens. In dieser Form der Verbindung wird auch miteinander Wissenschaft betrieben.

Bei einem interprofessionellen Verständnis planen die Professionen miteinander, aber es wird nebeneinander gehandelt.

Transdisziplinarität und Transprofessionalität

Die Transdisziplinarität und Transprofessionalität löst sich von den zuvor beschriebenen disziplinären und professionellen Sichtweisen und fokussiert den Raum zwischen den Disziplinen und Professionen (Kleve 2000, 101). Der Raum zwischen den Disziplinen und Professionen verhindert, dass Vertreter:innen unterschiedlicher Disziplinen und Professionen sich überhaupt verständigen können. Sie sind in ihren disziplinären und professionellen funktional ausdifferenzierten Sichtweisen (Luhmann 1997) so verhaftet, dass es ihnen theoretisch wie praktisch nur sehr schwer bis gar nicht möglich ist, sich miteinander zu verständigen. Das ist ein Zustand, den Case Manager:innen aus ihrer beruflichen Praxis vermutlich kennen. Eine transdisziplinäre Wissenschaft und transprofessionelle Praxis konzentriert sich daher auf das Übergangswissen zwischen den jeweiligen Disziplinen (z. B. zwischen Medizin, Soziale Arbeit, Psychologie usw.) und Professionen, das für ein Miteinander hergestellt werden muss. Das transdisziplinär hergestellte Verbindungswissen wird als transversaler Wissenszusammenhang bezeichnet (Welsch 1996, 542 f). Diese nehmen eine Brückenfunktion zwischen den Disziplinen ein, schaffen Übergänge, moderieren das Miteinander und treiben Disziplinen verbindenden Kompetenztransfer voran. In der gleichen Weise wird in transprofessionellen Zusammenhängen gearbeitet, es wird Verbindungswissen zwischen den verschiedenen Professionen hergestellt, das Übergänge schafft.

Die Perspektive auf die Disziplinen und Professionen, in denen das CM thematisiert und umgesetzt wird, ist in der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) wenig ausgeprägt. Es wird ein generalistisches CM forciert, das das CM zentral über die Disziplinen und Professionen legt. Das CM wird nicht disziplinen- und professionenbezogen interpretiert, die Fachgruppenorganisation folgt eher pragmatischen als systematischen Differenzierungen und es wird auch keine Hierarchisierung vorgenommen. Hierarchisierung ist freilich vor dem zuvor beschriebenen Disziplinen- und Professionsverständnis zwingend notwendig und erkenntnistheoretisch in Form des Gattungsbegriffes (Schülein & Reitze 2002, 48) möglich und nötig.