Speak German! - Wolf Schneider - E-Book

Speak German! E-Book

Wolf Schneider

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Beschreibung

Haben wir das wirklich nötig: all diese Anglizismen? Wäre weniger nicht mehr? Und ob, sagt Wolf Schneider in diesem Buch, dessen gebundene Ausgabe zum Bestseller wurde. Zumal rund 60 Prozent der Deutschen gar kein Englisch können. «Underdog» – ist das nicht ein Unterrock? So jedenfalls eine Antwort bei einer repräsentativen Umfrage. «Drop-out»? Wahrscheinlich ein Bonbon-Automat; «Patchwork»? – Sicher eine Fliegenklatsche. Vor drei Jahren hat Schneider die Aktion «Lebendiges Deutsch» mitbegründet, um das Deutsche mit frischen Wörtern zu beleben: Startuhr statt Countdown, Schnellkost statt Fastfood, Fußballkino statt Public Viewing. Mit gewohnter Leichtigkeit und Klarheit wendet sich Wolf Schneider gegen die grassierende Anglomanie, die Affenliebe zum Englischen – und nur gegen sie: Es ist eine Aufforderung, das Nützliche vom Übertriebenen und Sinnlosen zu scheiden – und zugleich eine entschiedene Liebeserklärung an unsere Muttersprache. «Schneider glaubt man seine Liebe zur deutschen Sprache auch deshalb so gerne, weil er sie mit fast jedem Satz beweist.» Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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Wolf Schneider

Speak German!

Warum Deutsch manchmal besser ist

Inhaltsverzeichnis

Worum geht es?

1 Augenmaß schadet nicht

2 Ist Englisch nicht eine wunderbare Sprache?

3 Deutsch aber auch!

Lob deutscher Kürze

107 deutsche Wörter in Amerika

Deutsche Exporte in andere Sprachen

Das Zentralarchiv der Weltliteratur?

4 Warum soll man sie nicht mischen?

5 «Aber die Sprache entwickelt sich doch!»

Wie «die große Hure Duden» sie steuert

6 Haben wir nicht schon immer importiert?

7 Was eigentlich sind «Anglizismen»?

Der Smoking und das Handy

8 Was Jacob Grimm und Hitler dazu sagen

Der real existierende Unfug

9 Stimuliere deine Sense!

Werbesprüche

… auch in der Schweiz

… und in der Mode

10 Die törichtsten Anglizismen

11 Anglomania Analysts

Ein geiles Iwent

What we him wish

Englisch – und kaputt

Internes Firmen-Deutsch

Wie man in Deutschland isst

Firmen-Slang in USA

12 Netspeak und Diggibabble

Software für Softies

Der Techno-Schwurbel

13 Volkswaggon am Service Point

Das Outfit für den Court

T-Com XXL Fulltime

«Die Schweizer Post …

14 Prof. Dr. Unbeholfen

Zeitgeist-Opportunismus

Etwas Ähnliches wie Englisch

Die Saftigkeit deutscher Wörter

15 Pidgin – Globish – Basic English

Basic English

Special English, Easy English, English Light

Globish, Globalesisch

Oxford-English

Basic German

Brechts «Basic German»

Die Lust an der Selbsterniedrigung

16 Verzagt in Brüssel

Wir wollen keine Piefkes sein!

Anbiedern wollen wir uns!

17 Verklemmt mit Goethe

Goethes Mülldeponie

Bratislava in den Niederlanden

18 Die leidige Leitkultur

Stolz auf Deutschland?

Schlagworte der Leitkultur-Debatte

Und was können wir tun?

19 Einfälle haben!

Bismarcks Verdienst

Das Velociped …

Einrichtungen für Sprachkultur

20 Die Öffentlichkeit mobilisieren

44 Angebote der Aktion «Lebendiges Deutsch»

Wie aus dem Countdown die Startuhr wurde

Der Synapsen-Tango

Ein Angebot an die Lufthansa

Die vier, die’s versuchen

21 Den Franzosen folgen?

22 In der Schule beginnen!

Sieben Forderungen an die Schule

Mehr Deutsch-Unterricht

23 Tot oder lebendig?

In der Fremde

Anhang

Namen- und Sachregister

Bücher von Wolf Schneider

WORUM GEHT ES?

1 Augenmaß schadet nicht

Gibt es noch ein paar lover für die deutsche Sprache? Leute, die meinen, die Deutsche Bahn hätte nicht dringend den Service Point erfinden, eine deutsche Firma ihre Mitarbeiter nicht unbedingt mit einer Think Vantage Configuration Utility verwöhnen müssen?

Rund 60Prozent der Deutschen können gar nicht Englisch. Underdog – ist das nicht ein Unterrock? So jedenfalls eine typische Antwort auf eine repräsentative Umfrage. Drop-out? Wahrscheinlich ein Bonbonautomat; das Patchwork aber kann nur eine Fliegenklatsche sein. Von den anderen 40Prozent bringen es die meisten über ein gestammeltes Schul-, Disco- und Touristen-Englisch nicht hinaus; und unter den allenfalls 10Prozent der Deutschen, die sich mit ihrem Englisch hören lassen können, geht der modische Anglo-Firlefanz vielen auf die Nerven.

Warum hören wir seit 2003 «SAT 1 zeigt’s allen»? Weil der Sender schmerzlich erfahren hatte: Sein langjähriger Werbespruch Powered by Emotion war von 67Prozent der Deutschen unter 50 nicht oder aufs Lächerlichste missverstanden worden («Kraft durch Freude», zum Beispiel). Das Unternehmen hatte, von Anglomanie besessen und folglich ohne Augen für die Wirklichkeit, sein Geld zum Fenster hinausgeworfen.

Also weg mit allem, was wir aus dem Englischen übernommen haben? Um Gottes willen – nein! Jede Deutschtümelei, jede Hexenjagd auf Anglizismen wäre weltfremd, hinterwäldlerisch und einfach albern. Es geht nur darum, sich zwei schlichten Wahrheiten zu öffnen.

Zum Ersten: Kein Wort ist deshalb schlecht, weil es aus einer anderen Sprache stammt. Die Wörter Fenster, Balkon und Schokolade haben wir aus Rom, Paris und Mexiko importiert, und um nichts wären sie uns willkommener, wenn wir sie von den alten Germanen geerbt hätten. Zum Zweiten: Auch gut ist ein Wort nicht schon deshalb, weil wir es aus dem Englischen übernommen haben. Dieser zweiten Wahrheit aber bläst in Deutschland der Wind ins Gesicht.

Wie also wäre es, wenn wir uns aufrafften abzuwägen, zu unterscheiden zwischen schönen, praktischen Importen, vor allem den knackigen Einsilbern wie Job, Start, Team, Sex – und solchen, die ein pseudo-kosmopolitisches Imponiergefasel sind? Welchen Vorteil bringt das Human Resources Department, das in vielen deutschen Unternehmen die Personalabteilung abgelöst hat? Warum muss die Deutsche Post einen Content Management Code System Administrator haben? Manchmal könnte man doch einfach übersetzen – Luther hat damit die deutsche Hochsprache geschaffen. Geniestreiche der Übersetzungskunst finden sich selbst im Computerjargon: «Maus» schreiben wir, obwohl es mouse heißen könnte; und sogar für «Das Walking ist des Müllers Lust» hält der Autor einen Übersetzungsvorschlag parat.

Warum haben die Deutschen sich der amerikanischen Invasion so viel bereitwilliger geöffnet als Franzosen, Spanier, Italiener? Natürlich, weil wir unter dem Desaster der Nazijahre litten. Aber auch, weil es noch nie deutscher Stil war, auf die Muttersprache stolz zu sein, wie es für die Franzosen selbstverständlich ist. Und nicht zuletzt, weil Manager, Modemacher, Werbetexter, weil viele Wissenschaftler, Politiker und Journalisten im exotischen Wortschwall aus New York und Kalifornien die Chance sehen, Weltläufigkeit zu demonstrieren und die simpelsten Aussagen mit einschüchterndem Englisch zu verbrämen.

Damit schädigen sie den Wirtschaftsstandort Deutschland (Kapitel 11) und die deutsche Wissenschaft (Kapitel 14), und auf internationalen Konferenzen machen sie sich durch die Verweigerung ihrer Muttersprache nicht selten lächerlich. Verzagtheit und Verklemmung, Anbiederung und Selbstverleugnung sind ihre Markenzeichen, bis hin zur traurigen Rolle des Goethe-Instituts, die in Kapitel 17 gewürdigt wird.

Schön und gut – nur: Wäre es nicht ein Kampf gegen Windmühlenflügel, die Anglizismen anzugreifen, wenn auch nur die albernen, hässlichen, unverstandenen unter ihnen? Ist es nicht ganz natürlich, dass die Sprache sich entwickelt? Nein, sie entwickelt «sich» nicht, Kapitel 5 wird es demonstrieren. Und viele Windmühlen erweisen sich bei näherem Hinsehen als bloße Vogelscheuchen. Übersetzen war immer erlaubt, die Deutschen sind sogar Weltmeister darin, und welch schöne Erfolge sich damit erzielen lassen, ist in Kapitel 19 nachzulesen: Oder wer wollte noch Excursion zum Ausflug oder Säculum zum Jahrhundert sagen? Was wir brauchen, ist nur dreierlei: ein Quantum Lernbereitschaft, ein bisschen Phantasie und ein gutes Gewissen.

Der hatte keins von dreien, der 2007 in der Süddeutschen Zeitung schrieb: «Die Kampagnen für die Reinheit der Sprache sind weitaus weniger Zeichen einer besonderen Liebe zum schönen und passenden Ausdruck als vielmehr Spielfelder eines nationalen, globalisierungsfeindlichen Ressentiments.» Das war ein guter Satz – insofern, als er ausreichte, um dem Autor dieses Buches den Anstoß zur Widerlegung des Satzes durch dieses Buch zu geben.

Sortieren, Gentlemen! Den schönen, den nützlichen, den vielleicht unvermeidlichen Import von dem fremdländischen Unsinn scheiden, der in schlimmen Mengen auf uns herniederregnet oder gar in deutschen Büros ertüftelt wird. Auch die Chance erkennen: Klare deutsche Wörter haben meist die Kraft auf ihrer Seite, und bald käme der Überraschungseffekt hinzu. Wer zu oft mit Popcorn und Vanilla Fudge gefüttert worden ist, bekommt schließlich Appetit auf Vollkornbrot. Write German! Nothing beats it.

Einen Trost haben wir ja: In ihrer Eigenschaft als Reiseweltmeister ist es den Deutschen gelungen, in aller Welt die Zahl der Kellner zu erhöhen, die des Deutschen radebrechend mächtig sind.

2 Ist Englisch nicht eine wunderbare Sprache?

Ja, es ist eine wunderbare Sprache: Auf der untersten Ebene wunderbar einfach, auf allen Ebenen oft von großartiger Kürze und Kraft – und noch dazu fast auf der ganzen Welt verstanden. Jeder dieser drei Vorzüge spricht dafür, Englisch zu lernen; eine Sprache mit allen drei Meriten gab es noch nie.

WUNDERBAR EINFACH: In keiner anderen Kultursprache wird so wenig konjugiert und dekliniert – in keiner anderen muss man also beim Sprechen so selten daran denken, ob nicht hier ein s anzuhängen ist wie im Französischen oder ein n wie im Deutschen so oft. Die deutsche Endung n ist allein schon imstande, Ausländer zum Stöhnen zu bringen: englisch nice children, the nice children, to the nice children – deutsch nette Kinder, die netten Kinder, den netten Kindern.

Und die Mehrzahl! Die englische endet auf s, mit kaum einem Dutzend Ausnahmen (men, women, children, oxen, geese, mice, teeth) – der Deutsch Sprechende muss sich im Sprechen zwischen elf Standardformen entscheiden: unverändert (die Schüler), mit Umlaut (Väter), mit e (Schafe), mit e und Umlaut (Nächte), mit n (Klammern), mit en (Betten), mit ten (Bauten), mit er (Bilder), mit er und Umlaut (Bücher), mit Verdoppelung des Auslautkonsonanten (Bildnisse) und mit s (Autos). Das alles ist Standard, dann erst beginnen die Ausnahmen (Atlanten, Textilien, Schemata, Soli).

Und the, der eine Artikel, Trefferchance 100Prozent! In den romanischen Sprachen liegt sie bei 50, im Deutschen bei 33Prozent, und nie wird man einem Ausländer erklären können, warum es das Weib heißt und der Löwe, die Giraffe, das Nashorn, obwohl sie doch dieselben zwei Geschlechter haben.

GROSSARTIG AN KÜRZE UND KRAFT – und da, bei ihren einsilbigen Wörtern, haben wir uns zu Recht am kräftigsten bedient: in der Bar, mit Drops, am Grill, mit fair, Fan, fit, Flirt, Flop, Hit, Job, Lift, Sex, Sport, Spurt, Star, Start, Steak, Stop, Team, Test, Tip, Toast, Trip, Trick; bei manchen Zweisilbern ebenfalls: clever, Hobby, Party, Training.

Auch der englische Satzbau kann von einer schlanken Eleganz sein, der das Deutsche oft nur schwer zu folgen vermag: «It’s always with the best intentions that the worst work is done», sagt Oscar Wilde – «Es sind immer die besten Absichten, aus denen die schlechteste Arbeit folgt», das geht ja noch; aber dem gloriosen Buchtitel «Fifty famous English Poets we could do without» können wir nur hinterherhecheln: «…ohne die wir leicht auskommen könnten».

Den Höhepunkt an geballter Ausdruckskraft erreicht das Englische, wo es zwei einsilbige Wörter zu einem ganzen Kosmos verbindet: Jet-set, das ist nach Duden jene Schicht der internationalen Gesellschaft, «die über genügend Geld verfügt, um sich häufig an exklusiven Urlaubsorten oder anderen Treffpunkten, die in Mode sind, zu vergnügen». Zwei deutsche Silben zu finden, die dasselbe ausdrücken, ist hoffnungslos.

Beim Jet-lag ähnlich: Laut Brockhaus benennt er eine «Störung des biologischen Rhythmus von Körperfunktionen auf Grund der mit weiten Flugreisen verbundenen Zeitunterschiede». Und der Brain-drain: die Abwanderung von Wissenschaftlern und anderen hochqualifizierten Arbeitskräften ins Ausland, wodurch dem Abwanderungsland gerade die besonders wertvollen Arbeitskräfte verloren gehen. Und der Womb-broom; eine gelungene, wenn auch moralisch bedenkliche Metapher für den Schnurrbart (zum Selbstnachschlagen auf eigene Gefahr).

Kann man eine Kriegshandlung in sechs Buchstaben beschreiben? Auf Englisch ja: Als im Falkland-Krieg von 1982 die lang erwartete britische Invasion begann, füllte die Londoner Boulevardzeitung The Sun ihre Titelseite mit den sechs Lettern: In we go. Und mit genau vier Buchstaben teilte Hillary Clinton im Januar 2007 den Amerikanern mit, dass sie sich um die Präsidentschaftskandidatur bewerbe: I’m in.

Ja, Englisch ist eine großartige Sprache. Sie zu beherrschen bringt Gewinn für jeden, der eine große Kultur kennenlernen – und sich über sein Heimatdorf erheben möchte.

3 Deutsch aber auch!

Deutsch ist eine der tiefsten, ausdrucksstärksten Sprachen auf Erden. Deutsch ist die Sprache des Protestantismus, des Marxismus und der Psychoanalyse. Im 19.Jahrhundert war es die Weltsprache der Philosophie und der Naturwissenschaften. Es ist die meistgesprochene Sprache der Europäischen Union und immer noch das Esperanto Osteuropas. Im Weltmaßstab nimmt Deutsch folgende Ränge ein:

Vierter Platz nach der Zahl der Ausländer, die es als Fremdsprache erlernen – nächst Englisch, Spanisch und neuerdings Chinesisch. Interessant aber, wer nicht zu den großen Vier gehört: nicht Französisch, nicht Russisch, nicht Arabisch, nicht Japanisch. Und dabei betreiben die Franzosen eine aggressive Politik der Sprachverbreitung, die einem guten Deutschen das gehätschelte schlechte Gewissen schier zerreißen müsste.

Dritter Platz unter den Sprachen, aus denen am meisten in andere Sprachen übersetzt wird, nächst Englisch und Französisch. Zweitgrößter Buchmarkt der Erde.

Einsam auf dem Siegerpodest aber steht das Deutsche unter den Sprachen, in die übersetzt wird: Seit 200Jahren – und nach der Unesco-Statistik noch heute – ist Deutsch das Sammelbecken, das Esperanto der Weltliteratur (mehr am Schluss des Kapitels).

Kurz: Deutsch ist natürlich eine Weltsprache. Aber als ich diese Binsenweisheit 1986 dem überwiegend akademisch gebildeten Nachwuchs an der Hamburger Journalistenschule vortrug, wurde ich ausgelacht und niedergeschrien: Deutsch sollte keine Weltsprache sein! Sie wollten es nicht, sie ertrugen es nicht. Und noch heute kann man hochgelehrten Germanisten begegnen, die das ebenfalls nicht hören wollen: Darf denn das sein? Und wenn es so wäre: Muss man es unbedingt so sagen?

Das ist in der Nussschale ein Stück jener Gesinnung, die auch hinter der verbreiteten Affenliebe zu allen Anglizismen steht: Sind wir nicht großartig, wenn wir das Mögliche tun, den Zweiten Weltkrieg auch mehr als sechzig Jahre danach wenigstens sprachlich Tag für Tag aufs Neue zu verlieren? Hat Winston Churchill doch gesagt: «Wenn man die Deutschen nicht an der Kehle hat, hat man sie an den Füßen» – und fühlen wir uns dort nicht ziemlich wohl?

Niemand bestreitet, dass Deutsch schwerer zu erlernen ist als viele andere Sprachen; auch nicht, dass einerseits die Syntax, andrerseits eine professorale Tradition den Bau von Schachtelsätzen begünstigten, die Deutsch lernende Ausländer zur Verzweiflung und Simultandolmetscher in die Panik treiben.

Aber was steht nicht alles auf der Haben-Seite! Zwei der berühmtesten Schriftsteller des 20.Jahrhunderts, Thomas Mann und Franz Kafka, haben Deutsch geschrieben, und der Kreis ist sehr klein. Jonathan Franzen, das Wunderkind der zeitgenössischen amerikanischen Literatur, studierte in München Literaturgeschichte. «Meine Liebe zur Literatur habe ich durch die deutsche Sprache entdeckt», schreibt er – «das Deutsch von Goethe, Kafka, Rilke und Karl Kraus. Oft habe ich, wenn ich an einem Roman schrieb, einzelne Sätze ins Deutsche übertragen, um ihren Klang zu hören.»

Der große Argentinier Jorge Luis Borges lernte Deutsch, um Schopenhauer im Original zu lesen, und schrieb im Alter eine «Ode an die deutsche Sprache»:

Die spanische Sprache war mein Schicksal.

Dich aber, süße Sprache Deutschlands,

Dich habe ich erwählt und gesucht.

In Nachtwachen und mit Grammatiken

Aus dem Dschungel der Deklinationen,

Das Wörterbuch zur Hand.

Heine gab mir seine Nachtigallenpracht,

Goethe die Schickung einer späten Liebe,

Gelassen sowohl wie bereichernd.

Du, Sprache Deutschlands, bist Dein Hauptwerk.

Die verschränkte Liebe der Wortverbindungen,

Die offenen Vokale, die Klänge,

Angemessen dem griechischen Hexameter,

Und Deine Wald- und Nachtgeräusche.

Dich besaß ich einmal.

Heute, am Saum der müden Jahre

Gewahre ich Dich in der Ferne.

Unscharf wie die Algebra und den Mond!

Die Wald- und Nachtgeräusche, an denen das Deutsche so reich ist: all das Wispern, Raunen, Hauchen, Säuseln, Murmeln, Rascheln, Rauschen, Sirren, Summen, Rieseln. Der jüdisch-holländische Schriftsteller Leon de Winter sagt, Deutsch zu sprechen bereite ihm körperliche Lust; zumal das deutsche sch sei «eine wunderbare Erfahrung». Ein in Deutschland lebender spanischer Journalist schrieb in der Süddeutschen Zeitung, um den weichen Wohlklang des Wortes schmusen beneide er die deutsche Sprache. Elias Canetti erschrieb sich auf Deutsch 1981 den Nobelpreis für Literatur – als Sohn spanisch-jüdischer Eltern in Bulgarien aufgewachsen, nur 24Jahre im deutschen Sprachraum lebend und dann mehr als ein halbes Jahrhundert in England zu Hause.

Georges-Arthur Goldschmidt, französischer Schriftsteller deutscher Herkunft, rühmte 1991 an der deutschen Sprache «die Leiblichkeit, das räumliche Empfinden: be-greifen, auf-fassen, aus-drücken, wahr-nehmen», und dazu «diese erstaunlichen Wortkompositionen, die es nur im Deutschen gibt», wie den Weltschmerz und die Schadenfreude. Im Deutschen könnte jeder sich die Wörter zusammensetzen, die er brauche. Sogar den Mülleimer lobt Goldschmidt: Aus zwei alltäglichen, anschaulichen deutschen Wörtern sei ein drittes entstanden, «und das kippt einem den Mist vor die Füße», anders als das sprachlich isolierte französische poubelle. (Mehr über Goldschmidts Analyse auf Seite 100.)

Schadenfreude – eine der international berühmten Wortkopplungen, die zur besonderen Biegsamkeit des Deutschen gehören – ist mit malicious joy und joie maligne nur halb übersetzt: Das Boshafte dieser Freude ist ausgedrückt, nicht aber ihre Ursache, nämlich dass es sich um das Vergnügen am Schaden eines anderen handelt. Vier Silben – und so viel Substanz!

Zum einen sind die deutschen Zusammensetzungen einfach praktisch: «Machtwort» statt im Französischen parole énergique, «Tierschutzverein» statt auf Englisch society for the prevention of cruelty to animals, «Geisterfahrer» statt auf Spanisch conductor que circula en sentido contrario. Zum Zweiten haben sie oft eine besondere Kraft – wie das Schandmaul, aus dem man das Böse spritzen hört, oder der Nervenkitzel, der ungleich anschaulicher ist als der englische thrill: die Naschkatze, die Zwangsvorstellung, der Schmollmund, die Torschlusspanik. Vor allem aber geben die Doppelwörter uns die Chance, Schwebezustände und Mischgefühle zu benennen, vor denen die meisten Sprachen kapitulieren: die Hassliebe beispielsweise oder den Weltschmerz, die äußerste Empfindsamkeit, die Wundheit der Seele.

Dass da auch manches Kuriosum mitläuft, müssen wir in Kauf nehmen: der Tomatensaft ist aus Tomaten – woraus ist der Hustensaft? Der Schoßhund sitzt auf dem Schoß, der Schäferhund nicht auf dem Schäfer. Und die Denkpause: Ist sie eine Pause zum Denken, wie die Atempause eine Pause zum Atmen ist – oder vom Denken, wie die Arbeitspause eine Pause von der Arbeit ist? Beides, sagt der Duden.

Dass die deutsche Sprache auch schlank, blühend und melodisch sein kann, ist wohl das, was ihre Kritiker, ja selbst ihre Freunde ihr am seltensten zutrauen. Tausend Gegenbeispiele liefert die Lyrik – das schönste vielleicht die letzten Verse von Goethes Ballade vom Fischer: dem Märchen von der Seejungfrau, die den schmucken Angler verführt, zu ihr auf den Grund des Sees hinabzutauchen; in den meisten Germanistikseminaren auf Erden wird es durchgenommen:

Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm,

Da war’s um ihn geschehn;

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Und ward nicht mehr gesehn.

«Wir haben eine der wunderbarsten, schönsten, gebildetsten Sprachen der Welt», sagt der Schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Adolf Muschg, «und wir machen keinen Gebrauch davon. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die sich keine Kultur leisten kann.»

Lob deutscher Kürze

Ja, englische Texte sind meist kürzer als ihre deutsche Entsprechung. Das liegt zum Teil an der höheren Silbenzahl deutscher Wörter, teils an dem größeren Buchstabenaufwand (bei jedem sch zum Beispiel), oder an beidem zusammen: Schreibtisch statt desk, 12Buchstaben statt 4.

Kurze, kraftvolle Wörter aber kennt das Deutsche auch, und am kürzesten sind gerade die, die am meisten mit Gefühlen aufgeladen sind: Angst, Blut, Gier und Glück zum Beispiel, Gram, Hass, Hohn, Leid, Lust, Mord, Mut, Neid, Pein und Qual, auch Scham, Schmach, Schmerz, Schrei, Spott, Tod, Trost, Trotz, die Wut und der Zorn.

Selten beredet wird der Umstand, dass viele deutsche Wörter nicht nur kurz sind, sondern sogar kürzer, oft auch saftiger als ihr englisches Gegenstück. Unsere Anglizismen mit der überlegenen Kürze des englischen Wortes zu begründen, ist weithin falsch.

DEUTSCHE EINSILBER

ENGLISCHE ZWEISILBER

Rat

advice

Mord

murder

Geld

money

nichts

nothing

Mut

courage

weil

because

Front

frontline

Berg

mountain

DEUTSCHE EINSILBER

ENGLISCHE DREI- und VIERSILBER

Feind

enemy

echt

genuine

Trotz

defiance

Dom

cathedral

Glück

happiness

trotz

in spite of

vor

in front of

Schutz

protection

Trost

consolation

DEUTSCHE ZWEISILBER

ENGLISCHE VIER- und FÜNFSILBER

Neugier

curiosity

Mangel

deficiency

erblich

hereditary

alles

everything

Technik

technology

Zufall

coincidence

bequem

comfortable

Beitrag

contribution

Umwelt

environment

Nachteil

disadvantage

peinlich

embarrassing

Deutung

interpretation

Bahnhof

railway station

Fluchtpunkt

vanishing point

Farbschutz

color protection

Trödler

second-hand dealer

DEUTSCHE DREISILBER

ENGLISCHE FÜNF- bis ACHTSILBER

Jahrestag

anniversary

irrtümlich

erroneously

vielsilbig

polysyllabic

 Erwägung

consideration

Aufseher

superintendent

Notausgang

exit

Staubsauger

vacuum cleaner

Verarmung

impoverishment

Kundendienst

after-sales service

vorgestern

the day before yesterday

Umweltschutz

environmental protection

Gerade plastische und literarisch beliebte englische Wörter haben nicht selten viele Silben:

niminy-pimininess

discombombulate

durcheinanderbringen

rejuvenescence

Verjüngung

circumlocution

Weitschweifigkeit, Herumrederei

tatterdemalion

zerlumpt

rambanctious

wild, lärmend

flabbergasted

verwirrt, verblüfft

preposterous

absurd

highfaluting

hochtrabend

curmudgeon

Griesgram, Geizhals

exuberance

Überschwang

conundrum

Rätsel, Scherzfrage

cornucopia

Füllhorn, Fülle, Überfluss

107 deutsche Wörter in Amerika

fett: Wörter, die in den USA weit verbreitet sind

VERSALIEN: Wörter, die öfter mal in der Zeitung stehen

(D): Wörter, die vor allem in Bezug auf Deutschland verwendet werden

Die übrigen Wörter sind nicht populär, aber in Politik, Wissenschaft, Technik, Literatur oder Kunst geläufig.

ablaut

to abseil (Bergsteigen)

angst (1), angst-ridden

AUF WIEDERSEHEN!

AUTOBAHN (D)

bildungsbürger

BLITZ, blitzkrieg (D)

BRATWURST (1)

ding an sich

doppelgänger

dummkopf

entscheidungsproblem (2)

ersatz (3)

exportmeister (D)

FAHRVERGNÜGEN (1, 4)

faulpelz (5)

fernweh

fest

fingerspitzengefühl (5)

fräulein (D)

gemeinwohl

gemütlichkeit

gesamtkonzept (1)

gesamtkunstwerk

GESUNDHEIT! (1)

GLOCKENSPIEL

götterdämmerung

gründerzeit

hassliebe

hausfrau

heiligenschein (1)

heldentenor

HINTERLAND (1)

KAFFEEKLATSCH

kammersänger

kaputt, kaput (1)

katzenjammer

kindergarten

kitsch (1), überkitsch

kulturkampf

kummerbund

lebensraum

leberwurst

lederhosen (D)

leitmotiv (1)

LIED

liederkranz

luftballon (1)

lumpenproletariat

meister

mensch (1)

mischling

ostpolitik (D)

panzer (D)

POLTERGEIST

putsch

quatsch

ratskeller (D)

REALPOLITIK (1)

rechtsstaat

reinheitsgebot (D)

rucksack (1)

sackgasse

sauerkraut

SCHADENFREUDE (1, 5)

schnapps, schnaps

schnitzel

schweinehund

spiel (1)

sprachvergnügen (4)

stein (Steinkrug)

strudel

sturm und drang (1)

torschlusspanik

überboomer (6)

übercool (1)

überlebenskampf

umlaut

ursprache (1)

urtext

verboten

volkscomputer (7)

volkslied

Volkswagen (D, 1)

wahlverwandtschaft

waldeinsamkeit

waldsterben

WANDERJAHRE

WANDERLUST (1)

weltanschauung

weltgeist

weltliteratur

weltmeister (1)

weltpolitik

weltschmerz (1)

wiedervereinigung (D)

wirtschaft (1)

WUNDERBAR (1)

WUNDERKIND (1)

wurst

to yodel

zechpreller

ZEITGEIST (1, 5)

zeitnot

zeppelin (D)

zollvervein

Eines der 27 Wörter, die DAN HAMILTON, Professor für Internationale Beziehungen an der Johns-Hopkins-Universität, am 7.6.2006 im San Francisco Chronicle verwendet hat, um die Verbreitung des Deutschen in den USA zu illustrieren. «Während oft über zu viel Spanisch geklagt wird, ist Deutsch zum Alltags-Englisch geworden», schreibt er, und seinen Landsleuten erklärt er: «Deutsch ist im Wesentlichen eine Lego-Sprache. Man nehme einfach zwei Wortklötze wie Welt und Schmerz, verhake sie – und der ‹Weltschmerz› ist geboren.». (Auf 19 seiner 27Wörter trifft dies zu.)

«On Computational Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem» nannte Alan Turing, der später weltberühmte Wegbereiter des Computers, eine Arbeit von 1937.

ersatz ist eines der populärsten deutschen Wörter in Amerika: «ersatz candidates», «ersatz parents».

Mit FAHRVERGNÜGEN wirbt VW seit 1990 in den USA. Es wird inzwischen oft auf alle deutschen Autos angewandt und positiv verstanden. Das Nachrichtenmagazin Time leitete schon 1990 daraus das Wort SPRACHVERGNÜGEN ab – und hieß die deutsche Sprache, nach fast einem halben Jahrhundert des Misstrauens, unter den Weltsprachen wieder willkommen. Rund ein Viertel der häufigsten Wörter beider Sprachen seien hörbar verwandt, schrieb Time, etliche sogar identisch (Arm, Winter, Person).

Eines der vier deutschen Wörter (Faulpelz, Fingerspitzengefühl, Schadenfreude, Zeitgeist), die William Safire, langjähriger Sprachkolumnist der New York Times, ausdrücklich zur Aufnahme ins Englische empfohlen hat, weil sie «Löcher im Wortschatz» füllten.

«überboomer Hillary Clinton» schrieb die New York Times am 5.Februar 2007 spöttisch in einem Kommentar zum beginnenden Präsidentschaftswahlkampf.

Time forderte 1996 einen billigen «Volkscomputer» – 15Jahre nachdem IBM den personal computer auf den Markt geworfen hatte.

Eine Liste von 210 deutschen Wörtern hat der englische Historiker Bryan Ward-Perkins in sein Buch «The Fall of Rome and the End of Civilization» aufgenommen (Oxford University Press 2005). Sie stehen unter der auf Deutsch zitierten Überschrift «Für den Niedergang des Römerreichs sind bisher die folgenden 210Faktoren herangezogen worden», zusammengestellt von dem deutschen Historiker Alexander Demandt – von Aberglaube bis Zweifrontenkrieg.