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Mitch ist nach dem Ende von Special Unit Serpent als Berater für Krankenhäuser zuständig. Als er für das Trinity Hospital in New York engagiert wird, steht plötzlich Harper Thompsen vor ihm - Chefärztin der Chirurgie und die Frau, mit der er während seines Studiums eine heiße Affäre hatte. Doch bevor ihr Mitch seine wahren Gefühle sagen konnte, beendete Harper die ganze Sache und kehrte in ihre Heimat England zurück. Jetzt, zehn Jahre später, flammen die Gefühle zwischen den beiden erneut auf. Doch Mitch hat ein Geheimnis - und dieses Geheimnis könnte tödlich sein ...
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Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1: Mitch
Kapitel 2: Harper
Kapitel 3: Mitch
Kapitel 4: Mitch
Kapitel 5: Harper
Kapitel 6: Harper
Kapitel 7: Mitch
Kapitel 8: Harper
Kapitel 9: Mitch
Kapitel 10: Mitch
Kapitel 11: Harper
Kapitel 12: Mitch
Kapitel 13: Harper
Kapitel 14: Mitch
Kapitel 15: Harper
Kapitel 16: Harper
Kapitel 17: Mitch
Kapitel 18: Harper
Kapitel 19: Mitch
Kapitel 20: Harper
Kapitel 21: Mitch
Kapitel 22: Harper
Kapitel 23: Harper
Kapitel 24: Mitch
Kapitel 25: Mitch
Kapitel 26: Harper
Kapitel 27: Mitch
Kapitel 28: Harper
Kapitel 29: Mitch
Kapitel 30: Mitch
Epilog: Harper
Danksagung
Special Unit Serpent – Tödliches Verlangen
Mitch ist nach dem Ende von Special Unit Serpent als Berater für Krankenhäuser zuständig. Als er für das Trinity Hospital in New York engagiert wird, steht plötzlich Harper Thompsen vor ihm – Chefärztin der Chirurgie und die Frau, mit der er während seines Studiums eine heiße Affäre hatte. Doch bevor ihr Mitch seine wahren Gefühle sagen konnte, beendete Harper die ganze Sache und kehrte in ihre Heimat England zurück. Jetzt, zehn Jahre später, flammen die Gefühle zwischen den beiden erneut auf. Doch Mitch hat ein Geheimnis – und dieses Geheimnis könnte tödlich sein ...
Nina Bellem wurde im tiefsten Ruhrgebiet geboren, aber es zog sie schon bald an andere Flecken der Erde. Nach Aufenthalten in Ostasien und Amerika hat es sie wieder zurück in die Heimat gerufen, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann und jeder Menge Reiseführer lebt und als Lektorin und Autorin arbeitet.
NINA BELLEM
Gefährliche Sehnsucht
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Anne Pias
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de
Unter Verwendung von Motiven von © shutterstock: AKaiser |
Lustra Frisk | talseN | KDdesignphoto
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-9543-3
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lesejury.de
Für mein Alles
Es ist kalt, aber ich spüre die Kälte kaum. Wir stehen zu dritt in einer provisorischen Hütte, die eigentlich nicht mehr ist als eine Ausbuchtung im Felsen, mit einer Plastikplane als Tür. Mein Atem gefriert zu kleinen Wolken in der Luft, die schneller zerfasern, als ich ihnen dabei zusehen kann.
Kona sitzt neben uns auf einem Felsbrocken, ein winziges Tablet auf dem Schoß, und hackt wild auf der extern angeschlossenen Tastatur herum. Mein Bruder Arthur, genannt Hannibal, steht mit verschränkten Armen neben mir, den Blick auf eine Reihe von tragbaren Monitoren gerichtet, die wir in die Felsen geklemmt haben. Mein Gesicht zeigt wahrscheinlich einen ähnlichen Ausdruck wie seines: angespannt, die Lippen zu einem schmalen Strich gepresst, die dunklen Augenbrauen eng zusammengezogen. Ihm entgeht keine Bewegung, die auf den Monitoren zu sehen ist, konzentriert beobachtet er die grünliche Aufnahme einer Felslandschaft.
Über unseren Köpfen zwischen den Felsen versteckt sich Killian, Spitzname Eagle, mit der Dragunow im Anschlag. Ich habe noch nie jemanden derart präzise schießen gesehen wie ihn. Dieser Mann hat noch nie sein Ziel verfehlt.
Für ihn muss es noch einmal unangenehmer sein als für uns hier unten, denn er hat nicht einmal eine schützende Plane, die den Wind abhält, ist den Naturgewalten nahezu schutzlos ausgesetzt.
Hannibals Blick wandert von einem Monitor zum nächsten, immer in einem genau getakteten Rhythmus, um sicherzugehen, dass ihm keine Veränderung auf den Bildschirmen entgeht. Würde er aus der Hütte treten und hundert Meter weitergehen, könnte er sich diese Landschaft mit dem Holzverschlag dazwischen auch live ansehen, aber der Sinn der Sache ist eben genau das: nicht entdeckt zu werden.
Der Kopfhörer in meinem Ohr drückt unangenehm, hält aber wenigstens den kalten Wind ab. Ich reibe mir über die Oberarme, denn so langsam beginnt die Kälte unter die vielen Lagen von Kleidung und die dicke Winterjacke zu kriechen; sie frisst jeglichen Funken Wärme, der sich dort versteckt hatte, mit beißenden, eiskalten Zähnen weg, und ich zittere, registriere es aber nur am Rande. Meine Gedanken sind woanders – um genau zu sein, hundert Meter weit entfernt. In der Hütte. Bei dem Mann, den wir zwei Jahre lang über die ganze Weltkugel gejagt, den wir endlich in die Enge getrieben haben.
Ich sehne mich nach Ruhe, will, dass es endlich vorbei ist, und ich weiß, den anderen geht es ganz genauso. Selbst Hannibal, auch wenn seine Miene selten ausdrückt, was er empfindet. Die meisten Menschen glauben daher schlicht und ergreifend, dass er nichts fühlt, keine Emotionen hat, aber ich weiß es besser. Mein Bruder würde alles für die Menschen geben, die er liebt, auch wenn es ihn alles kostet.
Er will das Ende dieser Mission ebenso sehr wie ich, er will zurück zu Myra, seiner Frau, zu dem Haus mit dem kleinen Vorgarten und dem Blick auf die Berge.
Mein Traum sieht ähnlich aus, nur fehlt darin das Häuschen. Anders als die anderen bin ich kein Soldat. Ich habe mich nie bei den Marines oder gar den Seals beworben. Während die drei lernten, wie man kämpft, wie man schießt, habe ich mich in stickigen Universitätssälen herumgedrückt und mir die Namen jedes einzelnen Knochen im menschlichen Skelett eingeprägt.
Aber dann stand Hannibal plötzlich vor mir und bat mich um meine Hilfe. Er hatte den Auftrag bekommen, das Netz eines gefährlichen Mannes namens Jace Serpent zu zerschlagen und ihn unschädlich zu machen. Serpent war mehr als ein einfacher Drogendealer. Er begann, Politiker zu schmieren, Korruption im großen Stil zu betreiben, wichtige Beamte zu erpressen.
Serpent sammelte Macht.
Und darum musste er gestoppt werden. Unauffällig, effizient. Es gab nur wenige Männer, die die Knoten des Netzes an den richtigen Stellen lösen konnten, bevor Serpent irgendetwas mitbekam.
Hannibal hatte Killian und Kona schnell rekrutiert, Männer, denen er jederzeit blind sein Leben anvertrauen würde. Aber einer fehlte noch.
Ein Arzt.
Ein Mann, von dem Hannibal wusste, dass er ihm etwas schuldete. Aber als er mich bat, Teil dieses Kommandos zu werden, forderte er diese Schuld nicht ein. Er bat mich als Bruder, als Mann vom gleichen Blut.
Ich willigte ein, unter der Bedingung, dass ich nicht würde töten müssen. Hannibal hielt sein Versprechen und brachte mir alles bei, was ich wissen musste, um mich selbst zu verteidigen.
Keiner von uns konnte ahnen, dass es zwei Jahre dauern würde, bis wir diesen Bastard so weit hätten wie jetzt, bis das Ende der Mission gekommen zu sein schien.
Etwas in meinem Ohr knackt. Ich reiße den Kopf herum zu den Monitoren.
»Alles klar. Aber so langsam fange ich an, mir die Eier abzufrieren«, höre ich Eagle in meinem Ohr brummen. Offensichtlich habe ich einen Teil des Gesprächs verpasst, weil ich zu tief in Gedanken versunken war. Verdammt, Mitch, pass besser auf!
Kona schnaubt unterdrückt, und selbst meine Mundwinkel zucken.
»Halt noch ein bisschen durch«, sagt Hannibal neben mir. »Sie können nicht ewig da drinhocken.«
Sie – Serpent ist nicht allein, er hat seine rechte Hand Lyle Hitchens dabei, der letzte Verbündete, der ihm noch geblieben ist.
»Gibt es von den Drohnen irgendetwas Neues?«, fragt Eagle.
»Auch keine Veränderung«, erwidert Kona. »Sie haben die Fenster abgeklebt, und ich kriege hier nur Störfunk rein.«
»Liegt es an der Entfernung?«, hakt Hannibal nach.
»Möglich. Kann aber auch an den Bergen liegen. Ich versuche noch etwas dran zu drehen, aber ich kann nichts versprechen.«
»Großartig«, kommt der trockene Kommentar von Eagle durch den Gruppenfunk.
»Ich tue, was ich kann. Wenn du ein Problem damit hast, kannst du gerne wieder runterkommen, damit ich dir in den Arsch treten kann«, kontert Kona, und ich muss unwillkürlich grinsen. Dann spüre ich, wie Hannibal sich neben mir versteift, und in dem Augenblick, in dem ich es sehe, höre ich auch schon Kona sagen: »Bewegung an …«
»Der hinteren rechten Ecke der Hütte. Hab‘s gesehen«, fällt Eagle ihm ins Wort.
Tatsächlich sieht man, wie sich Teile einer Gestalt hinter der Hütte hervorwagen. Man sieht sie nie ganz, nur Umrisse, die schnell wieder verschwinden.
Er weiß es, schießt es mir durch den Kopf. Serpent weiß, dass wir hier sind.
Damit haben wir gerechnet, aber irgendetwas an diesem Gedanken jagt mir eine Scheißangst ein. Irgendetwas stimmt nicht. Stimmt ganz und gar nicht.
»Hab ihn. Hab aber kein freies Schussfeld.« Eagles Stimme ist leise in meinem Ohr, konzentriert. Ich kann ihn förmlich vor mir sehen, wie er durch den Sucher der Dragunow blickt und Serpent nicht aus den Augen lässt.
»Hannibal?«, fragt Eagle.
»Schießen, sobald du freies Feld hast«, presst mein Bruder zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und keiner von uns dreien lässt die Bildschirme aus den Augen. Dann tritt Serpent ganz vor die Hütte, man kann ihn deutlich erkennen – das leicht lockige Haar, die dünne, drahtige Gestalt, die gut versteckt, wie stark er in Wirklichkeit ist.
Er dreht sich um und …
Die Luft scheint um mich herum zu gefrieren. Das Bild vor mir brennt sich in meine Pupillen, in mein Gehirn, in mein Gedächtnis. Es geschieht nicht in Zeitlupe, es ist ein Standbild, das ich genau betrachten kann, dessen grausame Details mir so deutlich vor Augen stehen, dass ich sicher sein kann, ich werde sie nie wieder vergessen.
Serpent hält eine Frau an sich gedrückt. Sie wirkt in seinen Armen lächerlich klein, zierlich, eine Puppe, die sich seinem Willen beugen muss, die sich nicht wehren kann. Ihr langes blondes Haar steht wirr von ihrem Kopf ab, die blauen Augen sind gerötet. Sie hat geweint, und sie hat Angst.
Stimmen wirbeln um mich herum, lassen die Zeit langsam weitertropfen, aber ich verstehe sie nicht, bis auf einen Satz, den Eagle ausstößt: »Hannibal, er hat Myra.«
Er hat Myra.
Serpent hat Myra.
In meinem Kopf ist kein Platz mehr für etwas anderes, ich höre nur noch diese Worte, wieder und wieder, ein Echo, das mich verhöhnen, mich quälen will.
Serpent hat Myra.
Serpent hält meine große Liebe gefangen.
Serpent bedroht die Frau, der mein Herz gehört.
Und ich weiß, dass Hannibal gerade genau dasselbe fühlt wie ich. Serpent hat Hannibals Frau in den Armen, presst den Lauf einer Waffe gegen ihren Körper, bedroht sie, und es gibt nichts, absolut nichts, was wir dagegen tun können.
Zwei Jahre Suche, zwei Jahre Jagd.
Und jetzt scheint es, als würden wir endgültig den Preis für diese Jagd zahlen.
Einen Preis, der viel zu hoch ist.
Jemand schießt.
Schreie.
Und das Blut auf Myras Körper.
All das Blut.
Keuchend fahre ich aus dem Schlaf auf, ringe nach Luft und merke erst, dass ich meine Hand auf meinen Bauch gepresst habe, als ich sie sinken lasse. Meine Haut ist schweißbedeckt, und in meinen Ohren hallt noch immer der Knall des Schusses nach, als hätte man ihn nicht bereits vor drei Jahren abgefeuert, sondern als hätte sich der Schuss nur eben vor einer Sekunde direkt neben mir gelöst.
Aber als ich anfange, mich zu beruhigen, meine Umgebung wieder wahrzunehmen, verschwindet das Dröhnen und macht einer nicht weniger beängstigenden Stille und dem Ticken einer Uhr Platz. Ich habe die Augen zusammengekniffen, versuche jeden meiner Sinne einzeln wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen. Es fällt mir nicht leicht, aber schließlich hat mich die Realität wieder, und ich kann die letzten Reste des Traumgebildes abstreifen.
Myra.
Ich habe lange nicht mehr von ihr geträumt, mindestens zwei Jahre lang nicht. Warum also ausgerechnet heute?
Die Augen noch immer geschlossen, konzentriere ich mich auf das Ticken des Weckers neben meinem Bett. Ein auf altmodisch getrimmtes, teures Spielzeug, das ich jedes Mal mitschleppe, wenn ich beruflich verreisen muss. In der Zwischenzeit hat es diesen Ehrenplatz auf meinem Nachttisch, und es müsste schon ein Wunder passieren, dass ich mich davon trenne. Ich würde es wahrscheinlich sogar mit in den Urlaub nehmen. Wenn ich denn jemals Urlaub machen würde.
Seit ich mich als Berater für Kliniken selbstständig gemacht habe, bin ich ständig unterwegs, hetze von einem Krankenhaus zum anderen, bin überall auf der Welt, und ich wünschte, ich könnte sagen, der Grund sei meine Liebe zu meinem Job. Leider ist das nur die halbe Wahrheit. Ich bin ein Getriebener, seit Myras Tods flüchte ich – vor ihr, vor den anderen, vor mir selbst. Nie komme ich zur Ruhe, wie es aussieht, mittlerweile nicht einmal mehr in meinen Träumen.
Seit den Ereignissen vor einem halben Jahr ist es schlimmer geworden. Serpent war wieder aufgetaucht und hatte Killian, Kona und mich bedroht, um an Hannibal heranzukommen, der nach Myras Tod untergetaucht war. Mein Bruder war zum Glück zurückgekommen, um gemeinsam mit uns gegen Serpent zu kämpfen, aber leider war der uns wieder entkommen. Seitdem lebt jeder Einzelne von uns in ständiger Anspannung.
Ein störendes Geräusch mischt sich unter das Ticken des Weckers. Ich schlage die Augen auf, um es zu identifizieren, sehe aber zuerst nur Dunkelheit. Mein New Yorker Apartment punktet vor allem mit lichtundurchlässigen Jalousien und schallgeschützten Fenstern. Dagegen hat nicht einmal die Stadt, die niemals schläft, eine Chance.
Ich gebe auf, schalte die kleine Lampe auf meinem Nachttisch an, nachdem ich mich aufgesetzt habe, und nehme den Wecker zur Hand. Kurz vor sechs Uhr. Gleich wird er sowieso losgehen, es hat also keinen Zweck zu versuchen, noch einmal einzuschlafen. Ich blicke neben mich und finde endlich den Ursprung des Geräuschs. Es ist das tiefe Atmen einer Frau. Manchmal gibt sie ein röchelndes Schnarchen von sich, dann dreht sie den Kopf, und es geht mit dem tiefen Atmen weiter.
Ich blicke auf ihre blonden Haare hinab, die ihr wirr vom Püppchengesicht abstehen, und krame in meinem Gedächtnis nach ihrem Namen. Terry? Tilly?
Als sie sich zu mir herumdreht, verrutscht die Decke. Sie ist vollkommen nackt, bis auf einen Stringtanga, der mehr entblößt als verhüllt. Erinnerungsfetzen der letzten Nacht ziehen vor meinem inneren Auge vorbei, und ich frage mich, der wievielte Wodka derjenige gewesen ist, der meinen Zustand von »Arzt« zu »urtriebgesteuertem Alphamännchen« verwandelt hat. Normalerweise ziehe ich für meine One-Night-Stands Frauen vor, die keine rosafarbenen Rüschenstrings mit Herzchen tragen. Dass ich mich kaum an die letzte Nacht erinnern kann, ist ein schlechtes Zeichen. Vor allen Dingen heute.
Sie schlägt die Augen auf und sieht verträumt zu mir auf. »Guten Morgen«, haucht sie.
»Morgen«, erwidere ich und stehe so schnell wie möglich auf, ohne dass es schon nach Flucht aussieht. Sie setzt sich auf, während ich mir meinen Boxerslip überstreife, und schiebt sich das lange blonde Haar über die Schulter. »So früh schon bereit für Runde zwei?«
Ein pelziger Geschmack liegt mir auf der Zunge, und gerade bin ich mir nicht sicher, ob er vom Alkohol oder von Terry-Tilly kommt. »Sorry, daraus wird nichts. Du solltest gehen, ich muss bald zur Arbeit.«
Sie verzieht den Mund zu einem Schmollen, und als sie merkt, dass mich das nicht zurück ins Bett lockt, greift sie zu härteren Mitteln. Sie steht auf, kommt mit schwingenden Hüften auf mich zu und schmiegt sich an meine Brust. »Mach doch blau. Ich habe den ganzen Tag Zeit, das heißt, wir könnten …«
»Heute ist mein erster Tag«, falle ich ihr ins Wort und bücke mich nach meinem T-Shirt, das irgendwie auf dem Esstisch gelandet ist.
So langsam scheint Terry-Tilly zu ahnen, dass sie sich hier nicht breitmachen kann. Sie verschränkt die Arme vor der, wie ich zugeben muss, höchst beeindruckenden Brust, und zwischen ihren fein säuberlich gezupften Augenbrauen bildet sich eine steile Falte. »Du bist ganz schön unhöflich.«
»Und ziemlich im Stress«, füge ich hinzu und deute mit einem Nicken in Richtung Tür. »Ich habe wirklich keine Zeit. Es wäre nett, wenn du jetzt gehen würdest.«
Terry-Tillys Mund klappt empört auf und dann wieder zu, aber zumindest weiß sie, wann die Schlacht geschlagen ist, denn sie rafft ihre Sache vom Boden zusammen, zieht sich notdürftig an und stolziert dann an mir vorbei zur Wohnungstür. Fast hätte ich erwartet, dass sie sich dort noch mal zu mir umdrehen und eingeschnappt schnaufen würde, aber zumindest das Klischee lässt sie aus. Die Tür knallt laut ins Schloss, und dann ist sie verschwunden.
Ich fahre mir mit beiden Händen über das Gesicht, stöhne auf und gehe ins Badezimmer. Das war nicht unbedingt die feine englische Art, aber leider nötig. Hätte ich mich auf eine Diskussion mit Terry-Tilly eingelassen, wäre ich sie nie losgeworden.
Während das heiße Wasser aus dem Regenduschkopf auf mich herunterprasselt, versuche ich, meinen Traum wegzuspülen, wünsche mir, dass die Erinnerung an diesen Moment mit den seifigen Wasserströmen im Abfluss verschwindet, aber meine Wunschfee hat heute wohl ihren freien Tag.
Mit nassen Haaren und einem Handtuch um die Hüften gehe ich in die Küche und bereite mir einen Espresso zu. Mit der winzigen Tasse in der Hand stehe ich dann im Wohnzimmer und blicke durch die wandhohen Fenster hinaus auf Manhattan.
Die Insel wird gerade wach, vor dem Gebäude schieben sich die Menschen auf den Bürgersteigen durch die Straßen, und auf dem Asphalt drängen sich die Autos. Ich habe noch eine gute Stunde, bevor ich aus dem Haus muss, aber ich genieße die Ruhe, versuche, meine Gedanken zu sammeln und mich für den kommenden Tag zu wappnen.
Es war nicht gelogen, als ich sagte, dass heute mein erster Tag ist. New York ist meine Heimatstadt, hier befindet sich mein Apartment, aber das sehe ich im Monat höchstens drei oder vier Nächte. Es kommt selten, oder sagen wir besser, seltener vor, dass ich eine Klinik vor Ort berate, denn die Krankenhäuser, die sich meine Dienste leisten können, haben sie bereits früh in Anspruch genommen.
Mein letzter Auftrag, vom St. Lazarus, ist sechs Monate her, und nach dem Wiederauftauchen von Serpent habe ich mir einige Monate Auszeit in meiner Heimat Kalifornien genommen, bis mich dieser neue Auftrag zurück nach New York gelockt hat.
Das Trinity Hospital hat eine neue Leitung bekommen und will die Klinik in Sachen Chirurgie zu dem führenden Standard auf landesweiter Ebene machen, daher soll ich gemeinsam mit dem Chef der Chirurgie eine Rundum-Verjüngungskur durchführen. Der Auftrag wird mich ein paar Monate in der Stadt halten, was eine Abwechslung zu den ewigen Reisen ist.
Vielleicht ist es diese Rückkehr in die Heimat, die meinen Traum ausgelöst hat. Die Vergangenheit scheint mir hier immer näher zu sein, was mit daran liegen kann, dass Eagle und Kona ebenfalls hier leben und wir uns nur sehen, wenn ich mal wieder in der Stadt bin, so wie zu den Ereignissen vor sechs Monaten.
Ich leere den Espresso in einem Zug und gehe zurück ins Schlafzimmer, wo ich einen der Anzüge aus dem Schrank hole, das passende Hemd aussuche und mich in aller Ruhe anziehe. Nachdem ich die Weste des Dreiteilers geschlossen und die Krawatte gebunden habe, richte ich meine mittlerweile getrockneten Haare im Badezimmer mit Gel und Kamm. Anzüge geben mir ein Gefühl der Sicherheit, eine Rüstung, mit der ich mich durch den Tag bewege. Sobald ich einen Anzug trage, bin ich unverwundbar.
Der feine Stoff schmiegt sich an meinen Körper, fast wie die Berührung einer Geliebten. Er ist maßgeschneidert, jede Naht sitzt perfekt, und ich spüre, wie ein großer Teil meiner Unruhe von mir abfällt, je mehr Stoff meinen Körper umgibt. Nachdem ich angezogen bin, verlasse ich, ohne einen Blick zurück, das Appartement und mache mich auf den Weg zum Trinity Hospital.
Die Straßen New Yorks sind mittlerweile voll geworden, ich kann mit meinem Aston Martin nur durch die Häuserschluchten schleichen. Das gefällt mir nicht, denn so bleibt mir zu viel Zeit zum Nachdenken, und nach einem Traum wie diesem ist das gerade das Letzte, was ich will.
Bilder von Myra wirbeln vor meinem inneren Auge herum, wie sie lacht, wie wir zusammen auf der Veranda meines Elternhauses sitzen und sie mir die Sterne erklärt, wie sie und mein Bruder zusammen tanzen, wie sie mir zuzwinkert. Gefühle regen sich in mir, aber sie sind vergilbt, wie alte Fotos aus einer längst vergangenen Zeit. Ich verspüre Wehmut, aber vor allem Trauer, nicht wegen mir, sondern wegen Myra und Arthur, die um ihr gemeinsames Leben betrogen wurden, weil Serpent Rache wollte.
Durch Myras Tod hat Hannibal so viel mehr verloren. Nicht nur sie, sondern auch sich selbst. Ihr Tod hat ihn zu einem Schatten seiner selbst gemacht, und er hatte sich im Anschluss jahrelang zurückgezogen. Erst als die Special Unit in Gefahr war, kam er wieder zu uns zurück.
Wir haben wieder regelmäßig Kontakt, und ich erfahre durch Killian und Kona, dass er langsam beginnt, sich zu öffnen und wieder ein bisschen mehr wie sein altes Ich zu werden, aber wann immer ich ihn sehe, bemerke ich den Schatten, der über seinem Gesicht liegt, die Trauer, die im Hintergrund seiner Gedanken lauert und ihn nicht aus ihren Klauen lässt. Er hatte seine große Liebe gefunden, und sie wurde ihm genommen.
Dir auch, flüstert plötzlich eine Stimme in meinem Kopf, und ich bremse den Aston Martin so abrupt ab, dass mir das Taxi hinter mir fast reinfährt. Der Fahrer hupt empört, und ich hebe entschuldigend die Hand und gebe Gas, um möglichst viel Abstand zwischen unsere Wagen zu bringen. Dabei hämmert mir das Herz in der Brust, weil mir klar wird, was beziehungsweise wen die Stimme meinte. Nicht Myra. Sondern Harper.
Ich atme tief ein und reibe mir über das Gesicht. Offensichtlich ist das heute der Tag der unerwünschten Erinnerungen, und dabei ist es nicht einmal zehn.
Ich trete das Gaspedal fester durch und rase davon, in der Hoffnung, so auch meinen Erinnerungen davonfahren zu können. Zum Glück hat mein kurzer Aussetzer den Verkehr, der mittlerweile zügig geflossen war, nicht lange aufgehalten. An Myra zu denken ist eine Sache, an Harper eine ganz andere, und das kann ich im Moment nicht gebrauchen.
Zum Glück komme ich an keinem Cop vorbei und erreiche nach weiteren zwanzig Minuten Fahrt endlich das Trinity Hospital. Es ist ein beeindruckendes Gebäude, das sich auf den ersten Blick nicht großartig von den Wolkenkratzern, die es umgeben, unterscheidet. Viel Glas, viel Stahl, und wenn man vor dem gläsernen Eingangsfoyer steht, hat man das Gefühl, dass sich das Gebäude unendlich weit in den Himmel erstreckt.
Die Frühlingssonne ist warm, darum habe ich meinen Mantel im Wagen gelassen, der sicher in der Tiefgarage steht, und betrete das Krankenhaus. Anders als in vielen staatlichen Krankenhäusern riecht es hier nicht nach Desinfektionsmitteln und billigem Reiniger mit penetrantem Zitronenduft, sondern unaufdringlich nach Lavendel. Das Foyer aus Glas, dessen Form einer halben Eierschale ähnelt, wird durch die Morgensonne hell erleuchtet und wirkt durch die weißen und zartgelben Wandfarben noch heller. Einige Patienten laufen in Bademänteln umher, einige führen ihre Infusion an einem Ständer spazieren.
Der Empfang schmiegt sich an die hintere Wand, und als ich an die niedrige Theke trete, werde ich gleich von einer lächelnden Empfangsdame begrüßt, die nicht so wirkt, als wäre es gerade mal acht Uhr morgens. »Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie höflich, aber nicht distanziert. Im Gegenteil, ich spüre, wie ihr Blick etwas zu lange auf mir ruht, aber das bin ich gewöhnt. Frauen sehen mich oft so an.
»Mein Name ist Mitch Donovan«, begrüße ich sie und schenke ihr ein Lächeln, das eine leichte Röte auf ihren Wangen erblühen lässt. »Ich bin mit Direktor Sawyer verabredet.«
Sie wirft einen Blick auf ihren Computer, sieht dann wieder mich an und nickt eifrig. »Direktor Sawyer erwartet Sie schon. Bitte nehmen sie den Aufzug dort vorne rechts und fahren sie in den neunundvierzigsten Stock. Direktor Sawyer wird sie dann erwarten.«
Ich bedanke mich mit einem Nicken, was mit einer noch tieferen Röte belohnt wird, und gehe zu dem Aufzug, den sie mir genannt hat. Er befindet sich etwas abseits im Flur, in dem sich die sechs anderen Aufzüge befinden, die wohl hauptsächlich für die Patienten oder Krankentransporte gedacht sind.
Die Tür, vor der ich jetzt stehe, ist schmaler und hat ein Feld für eine Schlüsselkarte anstelle eines Rufknopfs. Gerade als ich mich noch frage, ob die Empfangsdame vergessen hat, mir eine entsprechende Karte auszuhändigen, gleitet die Tür mit einem unaufdringlichen Piepsen auf und gibt die Kabine frei. Ich trete ein, drücke den leuchtenden Knopf mit der 49 und spüre, wie der Aufzug sich in Bewegung setzt. Nach erstaunlich kurzer Zeit bin ich an meinem Ziel angekommen, und die Tür gleitet mit demselben Piepsen wieder auf.
Dahinter erwartet mich eine Frau, die eine ähnliche Uniform trägt wie die Dame am Empfang. Auf dem Schild an ihrer linken Brust prangt der Name »Debra Kyle«, und ihr Haar hat sie zu einem strengen Dutt hochgesteckt. Anders als die Empfangsdame wirkt Debra nicht besonders freundlich oder einladend, was auch einfach an ihren herabhängenden Mundwinkeln liegen kann, von denen ich nicht weiß, ob sie von Natur aus so tief hängen oder ob sie sie immer so verzieht.
»Mr Donovan?«, begrüßt sie mich, und ihre angenehme Stimme überrascht mich angesichts ihres sauertöpfischen Gesichtsausdrucks.
Als ich nicke, streckt sie mir die Hand entgegen, die ich ergreife. Wie erwartet, ist ihr Händedruck fest. »Mein Name ist Debra Kyle, ich bin Direktor Sawyers persönliche Assistentin. Bitte folgen Sie mir, er erwartet sie schon.«
Ich verkneife es mir, die Augen zu verdrehen, kaum dass sie sich umgedreht hat, und folge ihr den langen Flur zwischen Konferenzzimmern mit gläsernen Türen und kleinen Büros entlang. Die ganze Etage weckt in mir eher das Gefühl, mich im Gebäude eines großen Konzerns zu befinden, nicht in einem Krankenhaus.
»Bitte«, sagt Debra und reißt mich aus meinen Gedanken. Sie deutet auf die Tür des Eckbüros am Ende des Flures, die leicht angelehnt ist.
Ich bedanke mich, und sie verschwindet hinter ihren Schreibtisch, der sich direkt neben der Tür befindet, und ist gleich so sehr auf ihren Computer konzentriert, dass man glauben könnte, sie wäre nie weggewesen.
Innerlich zucke ich mit den Schultern, klopfe mit dem Fingerknöchel gegen die Tür und schiebe sie nach einem »Herein« aus dem Innern auf. Ich öffne den Mund, will etwas sagen, aber meine Worte bleiben mir im Hals stecken. Das Büro ist genau so eingerichtet, wie ich es erwartet habe – groß, protzig, mit Aussicht auf Manhattan. Aber das ist es nicht, was mir die Sprache verschlägt. Auch nicht der schlanke, überraschend junge Mann, der sich hinter dem klobigen Schreibtisch befindet und mich anstrahlt.
Nein, es ist die Person, die sich vor dem Schreibtisch befindet.
Fast so groß wie ich, schlank, mit einigen mehr als nur anregenden Kurven unter dem Arztkittel und Haar, so blond, dass es beinahe weiß wirkt.
Sie mustert mich mit Augen, blau und eiskalt wie das Meer und nicht weniger tiefgründig.
Harper.
Vor mir steht Harper Thompsen. Die Frau, der ich das Herz gebrochen habe und die geschworen hat, mir das niemals zu verzeihen.
Ich blinzele und versuche mir einzureden, dass ich gerade halluziniere. Aber als er nach dem Blinzeln noch immer dort steht, kann ich es nicht länger leugnen. Mitch Donovan ist gerade durch diese Tür spaziert, als würde sie ihm gehören, und jetzt steht er vor mir und sieht mich an.
Ich bin nicht einmal sicher, ob er mich erkannt hat, aber ich habe ihn sofort erkannt. Ich würde ihn jederzeit wiedererkennen, auch wenn noch einmal zehn Jahre vergangen wären und er keinen Anzug tragen würde, der ihm verdammt gut steht.
Die Zeit hat ihm gutgetan, wo er früher noch schlaksig war, ungelenk, hat sich jetzt eine Sicherheit in seine Bewegungen geschlichen, die man sich erst durch Lebenserfahrung verdienen muss. Die schlaksige Statur ist breiten Schultern und gut definierten Muskeln gewichen, die der Anzug nicht vollständig verbergen kann. Er war früher schon groß, aber jetzt wirkt er männlicher, muskulöser, was besser zu seiner Größe passt. Sein Kinn ist kantiger, die Augen sind wacher geworden. Er sieht gut aus. Nein, er sieht sogar extrem gut aus.
Wieder blinzle ich und pfeife meine Gedanken sofort zurück. Diese Richtung einzuschlagen ist gefährlich, und ich mache einen Fehler nie zweimal. Erst recht nicht, wenn dieser Fehler Mitch Donovan heißt.
»Guten Tag«, sagt er, und ich merke, dass seine Stimme nichts von ihrer hypnotischen Wirkung eingebüßt hat. Im Gegenteil, sie ist sogar tiefer geworden, was ihre Wirkung noch verstärkt.
Ich presse die Lippen fester aufeinander, und meine Hände, die ich in den Taschen meines Arztkittels verborgen habe, ballen sich unwillkürlich zu Fäusten. Ich kann nur hoffen, dass sich der innere Aufruhr in mir nicht auf meinem Gesicht abzeichnet. Vielleicht hat er mich ja wirklich nicht erkannt.
»Ah, Mr Donovan«, begrüßt Sawyer ihn und umrundet den großen Schreibtisch, um ihm die Hand zu schütteln. »Mein Name ist Zach Sawyer, wir hatten ja bereits miteinander telefoniert.«
Mitch ergreift seine Hand und begrüßt ihn, aber sein Blick wandert dabei immer wieder zu mir, mustert mich, aber ich kann immer noch nicht sagen, ob er sich wirklich an mich erinnert oder ob ich ihm einfach nur vage vertraut vorkomme und er sich gerade fragt, woher er mich kennt.
Was soll’s, immerhin bin ich nur eine von vielen gewesen. Der Gedanke hinterlässt einen Stich in meinem Herzen, und ich frage mich, warum er so sehr schmerzt. Ich hatte gedacht, dass ich nach zehn Jahren über ihn hinweg wäre. Wie es aussieht, habe ich mich da geirrt.
Sawyer scheint zu merken, wo Mitchs Blick immer wieder hingleitet, und er deutet mit der Hand auf mich. »Das ist Doktor Thompsen, die Leiterin unserer Chirurgie. Ich habe sie dazugeholt, weil ich denke, dass Sie beide in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten werden.«
Oh nein.
Ich strecke ihm die Hand entgegen, die er überraschend sanft ergreift und dann leicht drückt. »Das wird mir eine Freude sein«, sagt er und blickt mir direkt in die Augen. In seiner linken Augenbraue zeichnet sich eine Narbe ab, und als mein Blick höherwandert, sehe ich, dass sie ihm bis zur Schläfe reicht. Die Narbe ist neu. Zumindest für mich.
»Solange die Freude dafür sorgt, dass Sie effizient arbeiten, Mr Donovan, soll es mir recht sein«, erwidere ich, und es klingt kühler als gedacht.
Er runzelt die Stirn, aber ich werde jetzt garantiert nicht einknicken, daher erwidere ich seinen Blick nur ruhig, als wären meine harschen Worte reine Absicht gewesen.
Sawyer scheint diesen Schlagabtausch nicht bemerkt zu haben. Ich spüre seine Hand auf meinem Rücken. »Da wir die Formalitäten im Vorfeld geklärt haben, Mr Donovan, würde ich Sie gerne in die fähigen Hände von Doktor Thompsen geben. Sie kann Ihnen einen ersten Überblick über die Chirurgie und das Krankenhaus geben und Ihnen Detailfragen besser erklären als ich.« Er lacht ein wenig gekünstelt und deutet mit einem Nicken in sein Büro. »Ich bin mehr ein Schreibtischhengst als Kämpfer an der Skalpellfront.«
Damit schiebt er mich in Richtung Tür. Mitch folgt mir, und ich finde mich neben dem Schreibtisch von Ms Kyle wieder.
Mitch schweigt zum Glück und folgt mir einfach zu dem Personalaufzug. Erst, nachdem ich meine Schlüsselkarte über das Feld gezogen und damit den Aufzug gerufen habe, sagt er: »Ich hätte nicht erwartet, dich hier wiederzusehen, Harper.«
Seine Stimme, die meinen Namen ausspricht, fährt mir wie eine warme Hand den Nacken und das Rückgrat hinab, und ich beiße die Zähne zusammen. Wie es aussieht, hat er mich sehr wohl erkannt. Ob das nun gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen.
»Ich hätte nicht gedacht, dich überhaupt wiederzusehen. Und ich kann nicht behaupten, dass es eine angenehme Überraschung ist.«
Sein Mundwinkel zuckt, aber er erwidert nichts. Kurz darauf gleitet die Tür des Fahrstuhls auf, und wir steigen ein. Der Fahrstuhl ist nicht besonders groß, wir stehen eng beieinander, und ich kann sein Aftershave riechen. Nicht aufdringlich, aber es ist ein markanter Duft, der sich mit seinem eigenen vereinigt. Mit einem Mal befinde ich mich nicht mehr im Trinity Hospital, sondern in der Vergangenheit, die so lebhaft wie ein Film vor meinem inneren Auge abläuft.
»Und, willst du es machen?«
Meine beste Freundin Lizzy sieht mich an, und auf ihrem Gesicht sehe ich die Frage, die mich selbst quält.
»Ich weiß es nicht«, antworte ich ihr ehrlich.
»Es ist Oxford«, gibt Lizzy zu bedenken und blickt auf die Universitätszusage, als könnte sie ihr die richtige Antwort verraten.
»Ich weiß.«
»Was beruflich für dich eine ziemlich gute Chance darstellen würde.«
»Ich weiß.«
»Ganz zu schweigen von den Kontakten, die du da knüpfen könntest.«
»Ich weiß.«
»Du wärst auch wieder näher bei deiner Familie und könntest sie öfter sehen. Zwischen Kalifornien und England ist es ein ganz schönes Stück, und du warst schon über ein Jahr nicht mehr zu Hause.«
»Ja, ich weiß.«
»Und …«
»Ich wa-heiß«, falle ich ihr ins Wort, bevor sie noch weitere Vorteile aufzählen kann, die ich alle längst schon kenne. Mit einem frustrierten Stöhnen raufe ich mir die schwarz gefärbten Haare. Lizzy blickt mich mitleidig an. »Wenn du ganz ehrlich bist, gibt es nur einen Grund, warum du nicht schon freudestrahlend zugesagt hast.«
»Du?« Ich versuche, vom Thema abzulenken, aber ihr strenger Blick zeigt mir, dass ich damit wohl keinen Erfolg haben werde.
»Hast du es ihm schon gesagt? Was hält er davon?«
Ich presse die Lippen zusammen und starre auf das Blatt Papier in ihren Händen. »Nein, habe ich noch nicht«, sage ich, was eine Antwort auf ihre zweite Frage erübrigt.
Lizzy schweigt eine Sekunde lang, aber als ich nichts weiter sage, fährt sie fort: »Bist du so verliebt?«
Ich ziehe die Beine eng an den Leib, die Knie unter das Kinn und blicke in den Sommerhimmel hinauf. Es ist noch nicht so heiß, wie es in New York im Sommer werden kann, es geht ein leichter Wind, und darum sind die meisten anderen Studenten der Cornell auf dieselbe Idee wie Lizzy und ich gekommen und hocken jetzt auf der Wiese vor der Universität.
Die Antwort auf ihre Frage ist nicht einfach. Mitch und ich sind jetzt seit etwas über einem halben Jahr zusammen. Für die meisten Paare wahrscheinlich nicht länger als ein Wimpernschlag, aber unter Studenten im zweiten Semester ist das eine halbe Ewigkeit und für einen Mann wie Mitch wahrscheinlich noch mehr.
Ich kannte ihn schon aus diversen Medizinkursen, die wir gemeinsam besucht hatten, und ich hatte ihn interessant gefunden, aber immer einen Bogen um ihn gemacht, denn Mitch wurde ständig von den Frauen umschwärmt wie eine Kerzenflamme von den Motten, und er machte keinen Hehl daraus, dass er nichts anbrennen ließ. Jeder wusste das, und trotzdem konnten die Frauen einfach die Finger nicht von ihm lassen.