Sprache und Kommunikation bei Autismus -  - E-Book

Sprache und Kommunikation bei Autismus E-Book

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Beschreibung

In der Reihe "Pädagogik im Autismus-Spektrum" widmet sich dieser Band dem Thema "Sprache und Kommunikation bei Autismus". Er nimmt einen heterogenen Personenkreis in den Blick, der von nicht oder minimal verbalen autistischen Menschen, die von Angeboten der Unterstützten Kommunikation profitieren, bis hin zu elaboriert sprechenden AutistInnen reicht, die dennoch in vielfältigen Sprach- und Kommunikationssituationen eine spezifische, z. T. auch sprachtherapeutische, Unterstützung benötigen. Auch in diesem Band werden im ersten Teil grundlegende theoretische Fragen erörtert. Außerdem bietet er Bezugnahmen auf die Sprach- und Identitätspolitik der Selbstvertretungsbewegung autistischer Menschen.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort des Herausgebers der Buchreihe

Literatur

Vorwort

Zum Aufbau des Bandes

Literatur

I Grundlagen

Sprach- und Kommunikationsentwicklung bei Autismus einschließlich Besonderheiten der Sprache und Kommunikation bei Autismus

1 Bedeutung von Sprache und Kommunikation im Wandel der Autismus-Diagnose

2 Präverbale und frühe Sprachentwicklung

2.1 Soziale Orientierung, Imitation und Joint attention

2.2 Weitere Phänomene der frühen Entwicklung

3 Ein Blick entlang der Sprachebenen

3.1 Auditive Wahrnehmung und Verarbeitung

3.2 Phonetisch-phonologische Sprachebene/Aussprache

3.3 Semantisch-lexikalische Sprachebene/Wortschatz

3.4 Morphologisch-syntaktische Sprachebene/Grammatik

4 Sprachhandeln – Pragmatik und soziale Kommunikation als Kernkriterien bei Autismus

4.1 Sprechen, um zu kommunizieren, oder vom Monolog zum Dialog

4.2 Wörtliches Verstehen oder das bringt mich auf die Palme

4.3 Mimik, Gestik, Prosodie oder das Rätsel in Gesichtern zu lesen

5 Weitere besondere Phänomene der Sprache und Kommunikation

5.1 Echolalie und Pronominalumkehr

5.2 Schriftsprache

5.3 Mehrsprachigkeit

6 Zusammenfassung und Fazit

Literatur

Sprache und Kommunikation aus der Perspektive autistischer Jugendlicher – Interviews mit drei Jugendlichen

Einleitung

Interview 1

Interview 2

Interview 3

Literatur

»Wenn man was von mir will, muss man das konkret sagen und ansonsten empfange ich nichts« – Sprach- und Kommunikationssituationen aus der Sicht von Erwachsenen im Autismus-Spektrum

1 Einleitung

2 Erlebensperspektive

2.1 Erleben verschiedener Situationen

2.2 Bereicherungen im Sprach- und Kommunikationserleben

2.3 Herausforderungen im Sprach- und Kommunikationserleben

2.4 Veränderungen in der eigenen Sprach- und Kommunikationsweise

2.5 Kommunikationsformen

2.6 Wünsche in Bezug auf Sprach- und Kommunikationsweisen

3 Schluss

Literatur

Sprach- und Identitätspolitik der Neurodiversitätsbewegung autistischer Menschen – die Debatte über Person-First Language vs. Identity-First Language

1 Einleitung

2 Die Debatte über Person-First Language vs. Identity-First Language

2 Erste empirische Studien zur Debatte über eine angemessene Bezeichnung von Autismus

Verwendung der Person-zuerst-Sprache als Hauptstreitpunkt

Weitere diskussionswürdige Ergebnisse der Studie

Folgestudien aus Australien und Großbritannien

3 Folgerungen für die Verwendung einer autismusspezifischen Terminologie

Literatur

II Förderung von Sprache und Kommunikation bei Autismus

Frühförderung und Elternberatung. Eine (heil-)‌pädagogische und teilhabeorientierte Perspektive

Einleitung

1 Frühförderung im Kontext von Autismus

1.1 Familienorientierung – Selbstwirksamkeit und Empowerment

1.2 Alltagsorientierung – Wiederkehrende Tagesereignisse als Lernerfahrungsfelder

1.3 Resilienzorientierung – Blick auf Stärken und Ressourcen

1.4 Interaktions- und Beziehungsorientierung – Gemeinsame Austauschprozesse

2 Aufbau eines Unterstützungssystems – Strukturierte Flexibilität und Übertragbarkeit

3 Die Förderung von Kommunikation im pädagogischen Prozess – Verstehen und Mitteilen gemeinsam geteilter Austauschprozesse

3.1 Verstehen der Personen im gemeinsamen Sprachraum – Strukturierte persönliche Präsenz

3.2 Verstehen der Dinge – Dinge und Personen im gemeinsamen Austauschprozess

4 Von der Bedeutsamkeit des Verstehens und der Verständigung zwischen Eltern und Fachleuten

4.1 Einen Unterstützerkreis bilden (»Team around the child«)

4.2 Etablierung eines kind- und familienspezifischen Dokumentationssystems

5 Resümee

Literatur

Sprachlich-kommunikative Komplexität in Kita und Schule – eine kontextorientierte Sensibilisierung

1 Sprachlich-kommunikative Herausforderungen in Kita und Schule

1.1 Kindergarten

1.2 Grundschule

1.3 Sekundarschule

2 Kontextorientierte Analyse und Planung von Lehr-Lernangeboten

2.1 Medialer Kontext

2.2 Sachkontext

2.3 Kognitiver Kontext

2.4 Lautsprachlicher Kontext

2.5 Räumlicher Kontext

2.6 Sozialer Kontext

2.7 Schriftsprachlicher Kontext

2.8 Materieller Kontext

3 Zusammenfassung

Literatur

Schulische Förderung von Sprache und Kommunikation bei Kindern im Autismus-Spektrum aus der Erfahrungsperspektive von Lehrkräften

1 Zugang zu Erfahrungen von Lehrkräften im Bereich Autismus

2 Hypothesen zu Sprache und Kommunikation von Kindern im Autismus-Spektrum

3 Erfahrungsperspektiven von Lehrkräften zu Kindern im Autismus-Spektrum – eine qualitative Interviewstudie

3.1 Fallauswahl

3.2 Erhebungsinstrument und Analysemethode

4 Ergebnisse zu Erfahrungen von Lehrkräften mit Kindern im Autismus-Spektrum

4.1 Kernsymptome in der Vielfalt von Merkmalsausprägungen

4.2 Stärken und Herausforderungen in Unterricht und Schule

4.3 Maßnahmen und Perspektiven in Schule und Unterricht

5 Diskussion und Fazit

Literatur

Schulische Lerngelegenheiten eines Kindes im Autismus-Spektrum ohne Lautsprache in Bezug auf Sprache und Kommunikation aus Elternperspektive

Einleitung

1 Ein Schulkind werden – Chancen und Hindernisse in den ersten Schuljahren

1.1 Ein sprachloser Anfang ...

1.2 Lernchancen für Sprache und Kommunikation in einer inklusiven Grundschulklasse

1.3 Hindernisse in der individuellen Förderung in der Grundschulzeit

2 Schriftsprache als Brücke zur Sprache und Kommunikation in der Sekundarstufe

3 Unterstützte Kommunikation in der Schule

3.1 Von den Anfängen der UK zur UK mit dem iPad

3.2 Lerngelegenheiten für Unterstützte Kommunikation mit dem iPad in der Schule

4 Gelingensbedingungen aus Sicht von Eltern für schulische Lerngelegenheiten im Bereich der Sprache und der Kommunikation

4.1 Individuelle Vorlieben und Leidenschaften nutzen

4.2 Rituale, Visualisierungen, Strukturen

4.3 Fachwissen über Unterstützte Kommunikation und Literacy im Kontext von Autismus

4.4. Inklusives Bildungsverständnis als Basis für alle Fördermaßnahmen

Fazit

Außer- und nachschulische Förderung von Sprache und Kommunikation am Beispiel des »autismusgerechten« Oberlin Berufsbildungswerk

Kurzportrait Oberlin Berufsbildungswerk gGmbH

Kriterienkatalog zur Zertifizierung für das Gütesiegel »Autismusgerechtes BBW«

Interview mit Marie Louise Jenschke

Literatur

III Spezifische Ansätze der Förderung bzw. Sprachtherapie

Schwerpunkt Pragmatik in der sprach- und kommunikationsbezogenen Förderung und Therapie bei Personen im Autismus-Spektrum

1 Grundlagen von Förderung und Therapie im Bereich Pragmatik

1.1 Ganzheitliche Betrachtung von Kommunikation und Interaktion

1.2 Pragmatische Elemente im Gleichgewicht aller Interaktionspartner*innen

2 Schwerpunkt Pragmatik in Interventionsansätzen

2.1 Ausrichtungen von sprach- und kommunikationsbezogenen Förder- und Therapieansätzen: individuumszentriert und kontextorientiert

2.2 Entwicklung internationaler theoretischer und methodischer Zugänge

2.3 Aktuelle evidenzbasierte Empfehlungen mit dem Schwerpunkt Pragmatik

3 Inhaltliche Ausrichtung der Förderung und Therapie der Pragmatik

3.1 Schwerpunkt Kommunikationsverhalten – Gesprächsführung

3.2 Schwerpunkt Textverarbeitung – Textproduktion

3.3 Schwerpunkt Situations- und Kontextverhalten

4 Zusammenfassung und Fazit

Literatur

Erfassung pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten und des Sprachverstehens bei verbal kommunizierenden Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum

1 Pragmatik und Kommunikation erfassen – Besonderheiten und Herausforderungen

2 Diagnostische Möglichkeiten

2.1 Testverfahren – Aufgaben im strukturierten Setting

2.2 Kommunikations- und Interaktionsproben – Beobachtung im natürlichen Setting

2.3 Fragebögen und Interviews – Befragung von Bezugspersonen

2.4 Diagnostik sprachstruktureller Fähigkeiten: Sprachverstehen im Fokus

3 Konsequenzen und Empfehlungen für die Praxis

3.1 Günstige Rahmenbedingungen

3.2 Diagnostik der Pragmatik und Kommunikation – Fazit und Ausblick

Literatur

Kommunikationsförderung und Sprachanbahnung bei minimal verbalen Kindern im Autismus-Spektrum: Entwicklungsorientierte Diagnostik und Förderplanung

Einleitung

1 Grundannahmen des Konzepts der entwicklungsorientierten Sprachdiagnostik und -förderung

2 Der theoretische Rahmen: Entwicklungsaufgaben im frühen Spracherwerb

2.1 Sozial-kognitive Entwicklung

2.2 Produktive kommunikativ-sprachliche Entwicklung

2.3 Erstes Sprachverständnis

2.4 Frühe Lautbildung

2.5 Zusammenhänge zwischen den Entwicklungssträngen

3 Diagnostik und Förderplanung im Konzept der entwicklungsorientierten Sprachdiagnostik und -förderung

3.1 Anamnesegespräch und Sichtung von Vorbefunden

3.2 Erfassung der kommunikativ-sprachlichen Fähigkeiten

3.3 Auswertung der Ergebnisse

3.4 Zusammenfassung, Einordnung im theoretischen Modell und Zuordnung der Entwicklungsaufgaben

3.5 Erstellung des Förderplans

4 Schwerpunktsetzung in der Förderplanung und erste Therapieempfehlungen

Literatur

Verbale Sprachanbahnung bei Autismus

1 Einführung

2 Natürliches Lernformat

3 Aufbau erster kommunikativer Äußerungen

4 Aufbau expressiver Grammatik

Beispiele aus der Praxis

5 Einbindung der Bezugspersonen

6 Weitere Methoden

7 Sprachanbahnung bei mehrsprachigen Kindern

8 Forschungsstand und Perspektive

Literatur

Besonderheiten und Qualitätsmerkmale der Sprachtherapie bei Autismus

1 Einleitung

2 Besonderheiten der Sprachtherapie bei Autismus

2.1 Kinder und Jugendliche im Autismus-Spektrum – eine äußerst heterogene Personengruppe mit diagnostischen Gemeinsamkeiten

2.2 Das erhöhte Auftreten herausfordernder Situationen als Charakteristikum

3 Qualitätsmerkmale der Sprachtherapie bei Autismus

3.1 Qualität in der Sprachtherapie mit Kindern und Jugendlichen

3.2 Qualität in der Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit Autismus

3.3 Qualitätsmerkmale der Sprachtherapie bei Autismus

4 Empirische Erkenntnisse zu den Besonderheiten und Qualitätsmerkmalen der Sprachtherapie bei Autismus

4.1 Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews

4.2 Ergebnisse der Online-Befragung

5 Fazit und Ausblick zur Sprachtherapie mit Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum

Literatur

Förderung pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten bei verbal kommunizierenden Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum

1 Einleitung

2 Kommunikationsförderung bei Autismus

3 Autismusspezifische Programme und Methoden zur Förderung pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten im Einzelsetting

3.1 Pädagogische und therapeutische Arbeit mit sozialen Skripten

3.2 Trainingsprogramme zum Erkennen und Ausdrücken von Emotionen

3.3 Angebote zur Auseinandersetzung mit dem Selbstkonzept

4 Autismusspezifische Programme und Methoden zur Förderung pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten im Gruppensetting

4.1 Charakteristika der autismusspezifischen Gruppenprogramme

4.2 Beitrag der Gruppenprogramme zur Förderung pragmatisch-kommunikativer Fähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum

5 Schlusswort

Literatur

IV Unterstützte Kommunikation

Miteinander reden. Gelingende Kommunikation zwischen Menschen mit und ohne Autismus ermöglichen – durch Unterstützte Kommunikation (UK)

1 Was ist Unterstützte Kommunikation (UK)?

1.1 Menschen, die noch nicht sprechen können

1.2 Menschen, die nicht sprechen, aber gut verstehen können

1.3 Menschen, die nicht sprechen können und Schwierigkeiten im Verstehen haben

1.4 Menschen, die wenig sprechen

1.5 Menschen, die nicht immer sprechen können

1.6 Menschen, die schlecht verständlich sprechen

1.7 Menschen, die vorübergehend nicht sprechen können

1.8 Menschen, die nicht mehr sprechen können

2 UK bei Menschen aus dem Autismus-Spektrum

2.1 Autismusspezifische Besonderheiten verstehen

3 Verstehen unterstützen

3.1 Die eigene Lautsprache anpassen

3.2 Wir kommunizieren visuell

3.3 Einsatz visueller Hilfen

4 Aktive Kommunikation unterstützen

4.1 Modelling

4.2 Interaktion: Wir müssen relevant sein!

4.3 Interessen: Kommunikation verlangt gemeinsame Interessen!

5 Pragmatik im Fokus

5.1 Einsatz pragmatisch organisierter Kommunikationshilfen

5.2 Fokus beim Modelling auf den Bereich Pragmatik

5.3 Einsatz situativer Hilfen

6 Fazit

Literatur

Unterstützte Kommunikation bei Autismus – Überblick über den internationalen Forschungsstand

1 Grundlagen der Unterstützten Kommunikation (UK)

2 Formen und Methoden der UK

2.1 Körpereigene- und externe Kommunikationsformen

2.2 Modeling und Prompting

2.3 Picture Exchange Communication System – PECS

2.4 Gestützte Kommunikation

3 Aktuelle Forschungslage zu UK bei Autismus

3.1 Effektivität körpereigener und externer Kommunikationsformen

3.2 Effektivität von Modeling und Prompting

3.3 Effektivität von PECS

3.4 Fazit zur Forschungslage

4 Exkurs: Effektivität unterschiedlicher Interventionen

Literatur

Teilhabe durch Unterstützte Kommunikation bei Autismus

1 Einleitung

2 Teilhabe im Kontext Unterstützter Kommunikation

3 Teilhabe und Unterstützte Kommunikation bei Autismus – Ergebnisse einer Einzelfallstudie

3.1 Individueller Wortschatz

3.2 Kommunikative Funktionen

3.3 Kommunikation als Ko-Konstruktion

4 Schluss

Literatur

(Unterstützte) Kommunikation und Teilhabe von Jugendlichen im Autismus-Spektrum aus Elternperspektive – Interview mit einer Mutter

1 Kommunikation und Kommunikationsentwicklung

Frühe Entwicklung

Frühe Kommunikationsformen

Förderung nach der Applied Behaviour Analysis/Verbal Behaviour (ABA VB)

Weitere Entwicklung der Kommunikationsformen und -funktionen

Kommunikative Teilhabe und Barrieren im Umfeld

2 Unterstützte Kommunikation

Bedeutung eines individuellen Wortschatzes

Beginn der UK-Förderung

Kommunikation durch Strukturierung

Förderung der symbolischen Kommunikation

Förderung kommunikativer Funktionen

Strukturierung des Umfeldes

Kommunikationsförderung mit Fotos und individuellen Büchern

Einbezug von Peers

3 Teilhabe durch Unterstützte Kommunikation

Soziale Teilhabe und Peerbeziehungen

Übergang ins nachschulische Leben

Wissens- und Einstellungsbarrieren als Teilhabebarrieren

Rolle der Eltern

V Verzeichnisse

Die Autorinnen und Autoren

Pädagogik im Autismus-Spektrum

Herausgegeben von Christian Lindmeier

Die Herausgebenden

Prof. Dr. Christian Lindmeier und Prof. Dr. Stephan Sallat lehren und forschen am Institut für Rehabilitationspädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Katrin Ehrenberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover.

Christian Lindmeier, Stephan Sallat,Katrin Ehrenberg (Hrsg.)

Sprache und Kommunikation bei Autismus

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-041270-5

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-041271-2epub: ISBN 978-3-17-041272-9

Vorwort des Herausgebers der Buchreihe

Die Buchreihe »Pädagogik im Autismus-Spektrum« soll dazu beitragen, im deutschsprachigen Raum eine erziehungswissenschaftliche Autismusforschung und eine Pädagogik im Autismus-Spektrum zu etablieren. Als Sozial- und Kulturwissenschaft und soziale und kulturelle Praxis sind Erziehungswissenschaft und Pädagogik in erster Linie an Rekonzeptualisierungen von Autismus interessiert, die von der medizinisch-psychiatrischen Konzeptualisierung von Autismus als neurologische Entwicklungsstörung (DSM-5, ICD-11) abrücken und ihr die Anerkennung einer Neurodiversitätsperspektive, operationalisiert in partizipativen Forschungsmodellen, gegenüberstellen (Happé & Frith 2020).

Nicht nur zur Vermeidung einer abwertenden, normorientierten Sprache wird in der Buchreihe daher bewusst auf den medizinisch-psychiatrischen Begriff »Autismus-Spektrum-Störung« (ASS) als personenbezogene Kategorie verzichtet. Stattdessen wird der auf Neurodiversität Bezug nehmende Begriff »Autismus-Spektrum« verwendet, und sporadisch auch die von Teilen der weltweiten »Autistic Community« geforderte »Identity-First-Language«, welche die Bezeichnungen »Autist*in« oder »autistische Person« bevorzugt.

Der Begriff der Neurodiversität wurde Anfang der 1990er Jahre von der australischen Soziologin und Autistin Judy Singer (Singer 2017) geprägt. Neurodiversität bedeutet, dass die Menschheit nicht nur ethnisch und in Bezug auf Geschlecht, sexuelle Orientierung und zahlreiche andere Eigenschaften, sondern auch neurokognitiv vielfältig ist. Die Ergänzung durch den Begriff der Neurominorität (neurominority) (Walker & Raymaker 2021) weist Autist*innen als eine neurominoritäre Gruppe aus. Während Neurodiversität die Bandbreite der Unterschiedlichkeit aller Menschen bezeichnet, bedeutet Neurodivergenz, von den vorherrschenden kulturellen Standards für neurokognitive Funktionen individuell abzuweichen. In diesem neueren Diskurs sind die Kulturalisierung von Norm und Abweichung sowie die Überwindung eines Pathologie- bzw. Störungskonzepts ein wichtiges Thema. Anders als das Pathologie-Paradigma, das Neurodivergenz (z. B. Autismus, ADHS) als negative Abweichung von der Normalität ansieht, geht das Neurodiversitäts-Paradigma von der Existenz neurokognitiver Minoritäten aus und erkennt sie als gleichberechtigt mit der Mehrheit in Bezug auf ihre Wahrnehmung, Kognition, Motorik und Kommunikation an.

Eine der zentralen Forderungen der Neurodiversitätsbewegung als Menschenrechtsbewegung, die in den 1990er Jahren als Antwort auf die Pathologisierung von »neurologischen Minderheiten« entstand (Kapp 2020), ist die Einbindung autistischer Menschen in die (erziehungs-)‌wissenschaftliche Autismusforschung (Fletcher-Watson & Happé 2019). In der Buchreihe werden daher als Beitragende aller Bände autistische Expert*innen beteiligt sein. Die bisherigen Planungen beziehen sich auf die ersten fünf Bände zu den Themen Autismus und Neurodiversität (Bd. 1), Sprache und Kommunikation bei Autismus (Bd. 2), Schulassistenz bei Autismus (Bd. 3), Weibliche Adoleszenz und Autismus (Bd. 4) und Autismus und Studium (Bd. 5). Damit enthält die Reihe neue, innovative Themen ebenso wie seit langem als wichtig erkannte Themen wie Sprache bzw. Sprachbesonderheiten, die allerdings auch stärker als üblich aus der Perspektive des Neurodiversitätskonzepts betrachtet werden.

Literatur

Fletcher-Watson, S. & Happé, F. (2019). Autism: A new introduction to psychological theory and current debate. Routledge.

Happé, F. & Frith, U. (2020). Annual Research Review. Looking back to look forward – changes in the concept of autism and implications for future. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 61‍(3), 218 – 232.

Kapp S. S. (Hrsg.) (2020). Autistic Community and the Neurodiversity Movement Stories from the Frontline. Palgrave Macmillan.

Singer, J. (2017). Neurodiversity: The birth of an idea. (Verlag nicht identifizierbar)

Walker, N. & Raymaker, D. M. (2021). Toward a Neuroqueer Future: An Interview with Nick Walker. Autism in Adulthood, 3, 5 – 10.

Vorwort

Der zweite Band der Buchreihe »Pädagogik im Autismus-Spektrum« beschäftigt sich mit dem Thema »Sprache und Kommunikation bei Autismus«. Da es zu dem Thema im deutschsprachigen Raum bislang fast ausschließlich Forschungs- und Expert*innenbeiträge aus den Feldern der Sonderpädagogik, Psychologie sowie Sprachtherapie gibt, die dem störungsorientierten Paradigma zuzuordnen sind, war es uns als Herausgeber*innen1 ein wichtiges Anliegen, auch die Perspektive der Neurodiversitätsbewegung einzubeziehen, die maßgeblich durch Expert*innen aus eigener Erfahrung geprägt ist, aber auch von Wissenschaftler*innen unterstützt wird, die zu Autismus forschen (vgl. Vorwort des Reihenherausgebers sowie Band 1 der Reihe).

Um diesem Anliegen Rechnung zu tragen, haben wir Expert*inneninterviews mit adoleszenten und erwachsenen Autist*innen und Eltern von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum in den Band aufgenommen, die durch Autor*innen bzw. uns Herausgeber*innen selbst geführt wurden, mit dem Ziel, ihre Perspektiven auf Sprache und Kommunikation und ihre Unterstützung (Förderung, Therapie) durch pädagogische und therapeutische Fachkräfte bzw. die Zusammenarbeit mit ihnen abzubilden. Außerdem wurde die Sprach- und Identitätspolitik der autistischen Selbstvertretungs- bzw. Neurodiversitätsbewegung, die in internationalen Auseinandersetzungen über »Identity-first languge« vs. »Person-first language« Niederschlag findet, näher untersucht.

Die weiteren Beiträge des Sammelbandes wurden von Forscher*innen und Praktiker*innen mit unterschiedlicher disziplinärer Verortung verfasst. Diese interdisziplinäre Ausrichtung der Beiträge soll der Vielfältigkeit des wissenschaftlichen und praktischen Diskurses um Sprache und Kommunikation bei Autismus Rechnung tragen. Zugleich soll ein multiperspektivischer Blick auf Fragen der sprachlich-kommunikativen Entwicklung, Förderung und Therapie sowie auf die Gestaltung von kommunikativen Alltagssituationen und Gesprächen und mögliche sprachlich-kommunikative Barrieren gerichtet werden.

Eine erste Gruppe der Beiträge in diesem Band bezieht sich dabei auf das Assessment und die Unterstützung autistischer Kinder, Jugendlicher und Erwachsener, die zwar über eine funktionale Lautsprache bzw. gute expressive Sprachfertigkeiten verfügen, aber dennoch aufgrund von Einschränkungen in Semantik und Pragmatik besondere Unterstützung benötigen, um Kommunikationssituationen meistern zu können (z. B. Sprecherwechsel, Perspektivübernahme, Erkennen von Ironie, Verständnis von Redewendungen).

Eine zweite Gruppe fokussiert die Zielgruppe »nicht verbaler« und »minimal verbaler« Autist*innen2, unter die Kinder und Jugendliche mit einer verzögerten, gestörten und teilweise ausbleibenden Entwicklung der Lautsprache subsumiert werden. Im Fokus stehen Möglichkeiten der Entwicklungsbegleitung, (Früh-)‌Förderung und Therapie mit dem Ziel der Stärkung von Teilhabemöglichkeiten. Die Bandbreite dieser Angebote reicht von der Anbahnung von Vorläuferfähigkeiten der Sprachentwicklung sowie Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation über Aspekte der nonverbalen Kommunikation und Interaktion, des Wortschatzes, des Sprach- und Symbolverständnisses sowie der Erzählfähigkeit (auch unter Einbezug alternativer Kommunikationsformen). Die Förderung und Therapie von Sprache und Kommunikation sowie von sozialer Interaktion erfolgt einzeln oder in Gruppen.

Ein weiterer Zugang für diesen Band zu »Sprache und Kommunikation bei Autismus«, der mit diesen beiden Schwerpunksetzungen einhergeht, ist der bildungsbezogene institutionelle Zugang. Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit pädagogischen Handlungsfeldern der Sprach- und Kommunikationsförderung, die in der ersten Lebenshälfte angesiedelt sind (Frühförderung, Kindertagesstätte, allgemeinbildende Schule, außerschulische Bildung, berufliche Bildung).

Zwar konzipieren wir Herausgeber*innen Autismus als Spektrum und unterstützen die Ablösung des kategorialen durch das dimensionale Erklärungsmodell im DSM-5 (APA 2013; s. auch Lindmeier 2020) und in der ICD 11 (WHO 2019). Dennoch, so meinen wir, müssen bestimmte Bedarfe von einzelnen Gruppen auf dem Spektrum besonders berücksichtigt werden. Durch die gezielte Akquirierung von Beiträgen zu nicht verbalen oder minimal verbalen Autist*innen wollten wir der Verzerrung der Forschungsergebnissen zugunsten verbaler und intellektuell fähiger autistischer Teilnehmer*innen (›selection bias towards verbal and intellectually able autistic participants‹) (Happé & Frith 2020, 219) der jüngeren sprach- und kommunikationsbezogenen Forschung und Praxis entgegenwirken, die laut Happé & Frith eng mit der historischen Entwicklung der Konzeptualisierung von Autismus verbunden ist.

In den 1980er Jahren war das Konzept des Autismus viel enger gefasst als heute, was sich daran ablesen lässt, dass in der dritten Auflage des Diagnostischen und Statistischen Handbuchs der American Psychiatric Association (DSM-3, APA 1980), in der »frühkindlicher Autismus« zum ersten Mal als eigene Diagnose aufgeführt wurde, zwei der sechs DSM-III-Diagnosekriterien die verzögerte und teilweise fehlende Sprachentwicklung thematisierten: »Grobe Defizite in der Sprachentwicklung« und »Wenn Sprache vorhanden ist, auffällige Sprachmuster wie sofortige und verzögerte Echolalie, metaphorische Sprache, Pronomenumkehr«. Der Schwerpunkt lag also auf Sprache und nicht auf Kommunikation, und es gab die Erwartung, dass viele autistische Kinder keine Sprache zeigen würden. Entsprechend wurde die Sprachstörung als zentral für Autismus angesehen, und kommunikative Aspekte traten in den Hintergrund. In den frühen 1980er Jahren wurde in Forschung und Therapie der verzögerten und atypischen Sprache bzw. Sprachentwicklung bei Autismus folglich viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Erst Ende der 1980er Jahre veränderte sich der Fokus stärker zu funktionaler Sprache im Kontext von Autismus, und das Asperger-Syndrom wurde zunächst in die ICD-10 (WHO 1990) und das DSM-4 (APA 1994) aufgenommen. Fortan involvierte die Forschung vorrangig autistische Kinder, die keine Verzögerung der Entwicklung der expressiven Sprache und Intelligenz zeigten, so dass heute eine Vernachlässigung von intellektueller und sprachlicher Beeinträchtigung bzw. nicht oder minimal verbalen Teilnehmer*innen in Forschungsstudien zu konstatieren ist.

Ein nächster weitreichender Schritt, der in der ICD-10 durch die Aufnahme des ›atypischen Autismus‹ bereits vorbereitet wurde, wird durch das DSM-5 (APA, 2013) in Form der Überwindung einer binären Vorstellung von Asperger Autismus (funktional sprechende Kinder) einerseits und frühkindlichem Autismus andererseits vollzogen. Das durch das DSM-5 etablierte Verständnis von Autismus, das im Spektrum-Begriff zum Ausdruck kommt, hat sich inzwischen auch in weiten Teilen der Praxis etabliert. In Bezug auf Sprache geriet immerhin stärker in den Blick, dass es auch Kinder und Jugendliche im Autismus-Spektrum gibt, die trotz einer unauffälligen Sprachentwicklung pragmatisch-kommunikative Probleme aufweisen, die sich in der sozialen Interaktion mit anderen Personen zeigen. Vor diesem Hintergrund werden in der S3-Linie zur Autismustherapie (AMWF 2021) psychosoziale Interventionen empfohlen und die Einflüsse der möglicherweise auch beeinträchtigten sprachlichen Fähigkeiten weniger beachtet. Auch diese Entwicklung wird einen Einfluss auf die zukünftige Forschung zum Autismus-Spektrum haben.

Für die Gegenwart konstatieren Happé und Frith (2020), dass die sprachlichen Kompetenzen, einst ein Schwerpunkt der Autismusforschung, heute relativ wenig erforscht werden. Gleichwohl sind viele wichtige Fragen offen, auch aus der Sicht der Neurodiversitätsbewegung: Beispielsweise ist die Frage von Interesse, wie es einigen autistischen Kindern möglich ist, Sprache scheinbar ohne Verzögerung oder atypisch zu erwerben, wenn man bedenkt, dass die soziale Interaktion im frühen Spracherwerb eine entscheidende Rolle spielt (z. B. in frühen Eltern-Kind-Dialogen, für die Aufmerksamkeitslenkung/Triangulation, für das Erkennen der Absichten des*der Sprechers*in). Außerdem stellt sich die Frage, welche Rolle motorische Beeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen im Bereich des willentlichen Handelns für das (weitgehende) Ausbleiben verbaler Sprache von non-verbalen oder minimal verbalen Autist*innen zukommt.

Zum Aufbau des Bandes

Das Ziel dieses Bandes ist – wie eingangs beschrieben – ein interdisziplinärer Blick auf Sprache, Kommunikation, Interaktion und Partizipation, der neben Forschungs- und Expert*innenbeiträgen auch die Perspektive der Expert*innen aus eigener Erfahrung und der Eltern mit einbezieht. Diese interdisziplinäre Ausrichtung und der damit verbundene multiperspektivische Blick sollen dem »zu viel« und »zu wenig« in der Beachtung von Sprache und Kommunikation bei Menschen mit Autismus entgegenwirken.

Der erste Teil des Bandes befasst sich mit den Grundlagen von Sprache und Kommunikation bei Autismus. Neben Beiträgen zur Sprach- und Kommunikationsentwicklung bei Autismus sowie dem Diskurs um eine autismusgerechte Sprache wird ebenfalls das Erleben von Sprache und Kommunikation aus der Innensicht autistischer Jugendlicher und Erwachsener in Form von Interviews thematisiert.

Im zweiten Teil geht es um die Rahmenbedingungen der Förderung von Sprache und Kommunikation sowie sprachlich-kommunikative Barrieren in verschiedenen Lebensbereichen (frühkindlicher, vorschulischer, schulischer und außer- bzw. nachschulischer Kontext). Entsprechend der multiperspektivischen Ausrichtung des Bandes werden auch in diesem Teil die Perspektiven verschiedener Expert*innen einbezogen, z. B. in Form eines Interviews mit einer Psychologin, eines Beitrags aus Elternsicht sowie einer Studie zu den Erfahrungen von Lehrkräften.

Der dritte Teil widmet sich ausgewählten Ansätzen der Sprach- und Kommunikationsförderung bzw. -therapie ebenso wie der Diagnostik von Sprache und Kommunikation bei Autismus. Dabei wird neben der Diagnostik und Förderung von Lautsprache auch die Zielgruppe »nicht verbaler« und »minimal verbaler« Kinder und Jugendlicher berücksichtigt. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Förderung im Bereich der Pragmatik bzw. Kommunikation.

Im vierten Teil wird schließlich der Themenbereich der Unterstützten Kommunikation bei Autismus vertieft. Neben einem Überblick über den Forschungsstand sowie konkreten Beispielen der praktischen Umsetzung wird auch der Aspekt der Teilhabe thematisiert. Abschließend werden die Erfahrungen einer Mutter in Form eines Interviews präsentiert, das die Aussage von Lawrence (2017) über das umfassende autismusspezifische Wissen vieler Mütter bestätigt; Lawrence berichtet dies auf der Basis ihrer eigenen Interviewstudie.

Wir hoffen, dass dieser Band für alle Beteiligten in Erziehung, Bildung, Förderung, Therapie und Forschung zur Systematisierung und Orientierung im Spannungsfeld von Sprache und Kommunikation bei Autismus beiträgt sowie neue Ansatzpunkte und Perspektiven ermöglicht.

Halle an der Saale, Hannover im Mai 2023Christian Lindmeier, Stephan Sallat und Katrin Ehrenberg

Literatur

American Psychiatric Association (APA) (1980). Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-III. Washington: American Psychiatric Publishing.

American Psychiatric Association (APA) (1994). Diagnostic and statistical manual of mental disorders: DSM-IV. Washington: American Psychiatric Publishing.

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Happé, F. & Frith, U. (2020). Annual Research Review: Looking back to look forward – changes in the concept of autism and implications for future research. Journal of Child Psychology and Psychiatry and Allied Disciplines 61, 218 – 232.

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Endnoten

1In den Beiträgen des Bandes finden sich unterschiedliche Variationen einer geschlechtergerechten Sprache. In dem Wissen um den politischen und dynamischen Charakter dieses Diskurses wurde den Autor*innen die Entscheidung überlassen, die von ihnen präferierte Form einer geschlechtergerechten Sprache zu wählen.

2Diese Beschreibungen beziehen sich auf die der englischsprachigen Autismusforschung verwendeten Bezeichnungen »nonverbal (NV)« und »minimally verbal (MV)«, die allerdings – dies zeigt ein aktuelles, systematisches Review (Koegel et al. 2021) – auch im anglophonen Sprachraum alles andere als konsistent definiert sind.

I Grundlagen

Sprach- und Kommunikationsentwicklung bei Autismus einschließlich Besonderheiten der Sprache und Kommunikation bei Autismus

Melanie Eberhardt-Juchem

1 Bedeutung von Sprache und Kommunikation im Wandel der Autismus-Diagnose

Seit den Erstbeschreibungen durch Leo Kanner und Hans Asperger sind Entwicklungsaspekte der Sprache und Kommunikation zentrale Kriterien einer Diagnose im autistischen Spektrum. Der Blick auf und die Definition von Autismus hat sich dabei im letzten Jahrhundert stetig gewandelt und weiterentwickelt (Happé & Frith 2020). Unmittelbar verbunden mit diesen Änderungen ist auch die Beschreibung der mit der Diagnose einhergehenden sprachlichen und kommunikativen Besonderheiten (Arciuli & Brock 2014; Eberhardt 2014; Kim et al. 2014).

Während über viele Jahre vor allem die Diagnosen Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und Atypischer Autismus als Tiefgreifende Entwicklungsstörungen voneinander unterschieden wurden, setzte sich in der Literatur und Praxis bereits seit einigen Jahren der Begriff des Autismus-Spektrums zunehmend durch. Diese Bezeichnung verdeutlicht die Heterogenität der unter der Diagnose subsummierten Erscheinungsformen. 2013 wurde der Begriff im 5. Manual Psychischer Störungen (DSM-5; dt. Übersetzung Falkai et al. 2018) erstmals als offizielle Diagnose eingeführt und definiert – ein Paradigmenwechsel, der die Definition von Autismus entscheidend veränderte (Happé & Frith 2020).

Die American Psychological Association (APA) und in Folge auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2019) in ihrem jüngsten Klassifikationssystem ICD-11 lösen die Einzeldiagnosen zugunsten einer Autismus-Spektrum-Diagnose auf und definieren diese über zwei zentrale Diagnosebereiche (AWMF 2016; Bölte & Kamp-Becker 2021):

Kasten 1: Diagnosekriterien einer Autismus-Spektrum-Störung nach ICD-11

·

Defizite in der sozialen Kommunikation und sozialen Interaktion

·

Eingeschränkte, repetitive Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten

Der Beginn der Symptome liegt in der frühen Entwicklungsphase, und die Symptome verursachen Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Beobachtbare Auffälligkeiten können zudem nicht besser durch eine intellektuelle Beeinträchtigung oder eine allgemeine Entwicklungsverzögerung erklärt werden. Um der Heterogenität innerhalb des Spektrums besser gerecht zu werden, ist im DSM-5 eine Einteilung des Schweregrades in drei Stufen (Schweregrad 1: Unterstützung erforderlich, 2: umfangreiche Unterstützung erforderlich, 3: sehr umfangreiche Unterstützung erforderlich) vorgesehen.

Die Sprachentwicklung war bislang ein zentrales Kriterium zur Unterscheidung von Frühkindlichem Autismus und Asperger-Syndrom, bei welchem per Definition keine klinisch relevante Sprachverzögerung auftreten sollte. Dies entfällt in der neuen Klassifikation. Entscheidend in dieser ist eine zusätzliche Codierung intellektueller und sprachlicher Beeinträchtigungen. Ob Sprachentwicklungsprobleme vorliegen, muss nun zusätzlich zur Diagnose Autismus-Spektrum festgelegt und codiert werden. In Bezug auf die Sprachentwicklung wird in der ICD-11 (s. a. Freitag 2021, 439) unterschieden zwischen

Kasten 2: Klassifizierung der Sprachentwicklung bei einer Autismus-Spektrum-Störung nach ICD-113

·

ohne oder nur milde Einschränkung der funktionellen Sprache

·

eingeschränkte funktionelle Sprache

·

Abwesenheit funktioneller Sprache

Der kurze Abriss skizziert die Veränderbarkeit und Entwicklung einer Diagnose wie der des Autismus und die damit einhergehende, veränderte Sicht auf einzelne Diagnosekriterien. Bei allen Betrachtungen der Sprach- und Kommunikationsentwicklung ist die Heterogenität innerhalb des Autismus-Spektrums zu beachten. Die Beschreibungen erfassen nie alle Menschen im Spektrum. Jedes Profil ist individuell unterschiedlich.

2 Präverbale und frühe Sprachentwicklung

2.1 Soziale Orientierung, Imitation und Joint attention

Die Entwicklung der Sprache und des kommunikativen Handelns beginnt bekanntermaßen weit vor dem Sprechen erster Wörter: Bereits im ersten Lebensjahr nehmen Kinder typischerweise über nonverbale Mittel und Blick Kontakt zu ihren Bezugspersonen auf, treten in einen Dialog und beginnen Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken. Für die neurotypische Entwicklung fasst Müller (2013) eine Reihe von vorsprachlichen Fähigkeiten zusammen, die der Kompetenz, Wörter zu produzieren, vorausgehen. Diese auch als Vorausläuferfertigkeiten für die Sprachproduktion bezeichneten Schritte umfassen vor allem die soziale Orientierung, Imitationsfähigkeiten sowie das dyadische und triadische Interaktionsverhalten bzw. die so genannte joint attention.

In der neurotypischen Entwicklung zeigen bereits Säuglinge eine Präferenz für akustische und visuelle soziale Reize, wie insbesondere für die bekannte (mütterliche) Stimmen oder bekannte Gesichter (Grimm 2012). Später mit Autismus diagnostizierte Kinder zeigen eine geringer ausgeprägte soziale Orientierung als neurotypische Kinder oder solche mit einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung. Sie reagieren z. B. weniger auf die Nennung ihres Namens oder den Blickkontakt einer Bezugsperson (z. B. Dawson 2004; Magrelli et al. 2013). Häufig sind dies Besonderheiten, die bei Eltern früh zu Verunsicherungen führen und Anlass zu einer Überprüfung der Hörfähigkeiten oder einer weitergehenden diagnostischen Abklärung sind. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Ausmaß der sozialen Orientierung bei Kindern im Autismus-Spektrum insgesamt deutlich variiert (Übersicht bei Müller 2013). Die soziale Orientierung scheint auch davon beeinflusst zu sein, wie viele und welche nicht sozialen Reize zusammen mit einem sozialen Reiz vorhanden sind (Unruh et al. 2016).

Zeigt ein Baby Interesse an sozialen Reizen, entwickelt es im Laufe des ersten Jahres die Fähigkeit, Handlungen eines Gegenübers nachzuahmen. Eine typische Interaktionssituation ist das wechselseitige Zunge-Herausstrecken oder Grimassenschneiden mit Bezugspersonen. Später folgt die Imitation von Handlungen mit Objekten oder auch Handbewegungen. Entsprechend liegen dieser Fähigkeit motorische, sozialkognitive und kognitive Fähigkeiten zugrunde. Die wissenschaftlichen Befunde sind insgesamt heterogen, sprechen jedoch mehrheitlich für Schwierigkeiten im Bereich der Imitation (Übersicht bei Edwards 2014). Motorische Probleme als Ursache konnten nicht bestätigt werden. Die Fähigkeiten unterscheiden sich auch in diesem Bereich individuell stark und scheinen von der Art der Imitation abzuhängen, wobei eine besondere Schwierigkeit in der Nachahmung von Gesichtsausdrücken zu bestehen scheint (Vivanti et al. 2014; s.a. Müller 2013).

Während Babys in der typischen Entwicklung zunächst zweiseitig Interaktionen (dyadisch) aufnehmen, z. B. Blickkontakt zur Bezugsperson auf ein Kitzeln oder Geräusch hin, wird diese Fähigkeit ab etwa einem halben Jahr ausgeweitet (Mundy 2007): Kind und Bezugsperson verständigen sich über einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus auf einen Gegenstand oder ein Ereignis, z. B. das Licht einer Lampe oder die Bewegungen eines Mobiles. Diese Fähigkeit zur triadischen Interaktion, die so genannte geteilte Aufmerksamkeit (joint attention), entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter. Mit etwa einem Jahr wird die Kommunikation des Kindes intentionaler, es verweist mit seinem Blick, Gesten oder Lautierungen auf das gemeinsam Geteilte (Keen 2014; Müller 2013). Unterschieden werden das Reagieren oder Antworten auf sprachliche, prosodische sowie mimisch-gestische Signale der Bezugsperson und das aktive Verwenden bzw. Initiieren des Kindes selbst. Die Initiierung setzt voraus, dass man spontan die Aufmerksamkeit auf einen für beide Parteien sichtbaren Referenzpunkt lenkt. Ein erfolgreiches Reagieren wiederum erfordert, dass der Geste oder dem Blick des Kommunikationspartners gefolgt werden kann (Mundy et al. 2007).

Bei Kindern im Autismus-Spektrum verläuft diese Entwicklung verzögert oder bleibt spontan nahezu aus (Übersicht Hurwitz & Watson 2016). Sie initiieren weniger und reagieren seltener auf die geteilte Aufmerksamkeit ihres Gegenübers als typisch entwickelte Kinder und jene mit einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung. Auch in diesem Bereich sind das Ausmaß der Beeinträchtigungen und die Entwicklung der einzelnen Teilfertigkeiten individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt (s. a. Müller 2013). Dennoch gilt dieser Befund als sehr robust, so dass die Fähigkeit zur joint attention als »red-flag«, das heißt als ein mögliches erstes Anzeichen für Autismus, gilt und als ein Kriterium für die Diagnostik bei Autismus herangezogen wird (AWMF 2016).

2.2 Weitere Phänomene der frühen Entwicklung

Bei einigen Kindern im Autismus-Spektrum kommt es in der frühkindlichen Entwicklung zu einer Regression, also zu Rückbildungen bzw. Rückschritten in bereits erworbenen Fähigkeiten. Diese können die Sprache, aber auch andere Entwicklungsbereiche wie die Motorik oder das Sozialverhalten betreffen. Die sprachlichen Regressionen bei Kindern im Autismus-Spektrum äußern sich vor allem im Verlust zuvor erworbener Wörter, treten häufig innerhalb des zweiten oder dritten Lebensjahres auf und halten über mehrere Monate an (Meilleur & Fombonne 2009). Das Phänomen tritt auch bei anderen Entwicklungs- und genetischen Störungen auf, scheint jedoch deutlich häufiger bei Autismus vorzukommen und im Bereich der Sprache spezifisch für Autismus zu sein (Clarke 2019; Lord et al. 2004).

Ein Teil der Kinder innerhalb des Autismus-Spektrums entwickelt kaum oder keine funktionale Sprache, das bedeutet, sie äußern sich nicht oder sehr wenig lautsprachlich zum Zwecke der Kommunikation. Was genau unter funktionaler Sprache zu verstehen ist, welche Begrifflichkeit sich für dieses Phänomen am ehesten eignet und wie dieses definiert sein sollte, wird vielfach diskutiert (Tager-Flusberg et al. 2009; s.a. Müller im vorliegenden Band). Als Kriterium wird häufig die spontane und funktionale Verwendung von weniger als fünf (oder mehr) Wörtern angenommen, andere Definitionen ziehen eine Grenze bei der Nutzung von Zweiwortäußerungen. In der ICD-11 wird für die Abwesenheit funktionaler Sprache definiert: »komplette oder fast komplette Abwesenheit der Fertigkeit, in Relation zum chronologischen Alter, funktionelle Sprache, gesprochen oder als Gebärden, für instrumentelle Zwecke einsetzen zu können, z. B. hinsichtlich des Ausdrucks persönlicher Bedürfnisse« (Freitag 2021, 439). Die Angaben zur Größe dieser Gruppe innerhalb des Spektrums variieren entsprechend der begrifflichen Unklarheiten stark. In jüngeren Veröffentlichungen geht man von 25 – 30 % aus (z. B. Rose et al. 2016). Betroffen sind vor allem Kinder, die allgemeine Entwicklungsverzögerungen oder begleitende intellektuelle Beeinträchtigungen zeigen. Wenngleich viele Bezugspersonen und -systeme erstaunliche Wege der Verständigung finden, ist das Belastungserleben dieser Familien in aller Regel hoch. Missverständnisse und fehlende Möglichkeiten, Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken, führen häufig zu herausfordernden Verhaltensweisen. Sprachliche Fähigkeiten im Vorschulalter sind zudem einer der zentralen Prädiktoren für die weitere sprachliche, soziale und schulische Entwicklung (Tager-Flusberg & Kasari 2013).

Der Schritt von der nonverbalen zur verbalen Entwicklung ist damit in vielen Fällen der zentrale Meilenstein umfassender sprachtherapeutischer und autismusspezifischer Therapieangebote. Dem vorliegenden Band und diesem Kapitel liegt eine entsprechende Unterteilung in minimal verbal und verbalsprachlich zugrunde, wobei diese Dichotomie keinesfalls absolut zu verstehen ist. Innerhalb der beiden Gruppen gilt es stets eine hohe Heterogenität des Spektrums zu berücksichtigen.

3 Ein Blick entlang der Sprachebenen

3.1 Auditive Wahrnehmung und Verarbeitung

Menschen aus dem Spektrum und Bezugspersonen berichten immer wieder von Über- oder Unterempfindlichkeiten gegenüber sensorischen, darunter auch auditiven Reizen. Dies konnte in einer Reihe von Studien belegt wurden, die zusammenfassend zeigen, dass sensorische Besonderheiten früh und überdauernd auftreten (McCormick et al. 2016). So kann es sein, dass ein Mensch im Autismus-Spektrum besonders empfindlich gegenüber einzelnen Geräuschen, z. B. von einer Kaffeemaschine oder einfahrenden Zügen, reagiert. Eine solche Über- oder Unterempfindlichkeit (Hyper-/Hypoempfindlichkeit) gegenüber sensorischen Reizen wurde auch als ein neues mögliches Diagnosekriterium im DSM-5 – nicht jedoch in der ICD-11 – aufgenommen. Auch eine besondere Sensitivität gegenüber Sprachlauten und dem Klang von Wörtern ist zu beobachten. So kann ein Kind im Autismus-Spektrum im Unterricht bestimmte Lieblingswörter aufgrund ihres Klanges besonders gerne schreiben. Auch Axel Brauns formuliert beispielsweise: »Kaum ein Leser dürfte, falls er über das Wort Näpfchen gestolpert ist, ermessen haben, wie glücklich ich mich schätze, ein so niedliches Wort gleich zu Beginn in meinem Buch begrüßen zu können« (Brauns 2004, 11).

Beeinträchtigungen der Schallaufnahme und -weiterleitung treten bei Menschen mit Autismus nicht häufiger auf als in der neurotypischen Population (Beers et al. 2014). Die grundlegende Fähigkeit, einfache Lautmerkmale wie Tondauer oder Lautstärke wahrzunehmen, scheint nicht beeinträchtigt (O'Connor 2012). Die Wahrnehmung von Tonhöhen erscheint ebenfalls intakt und bei einer Subgruppe im Spektrum sogar überdurchschnittlich ausgeprägt, wie musikpsychologische Studien belegen. Einige Menschen im Autismus-Spektrum können beispielsweise gut Töne aus Akkorden oder Tonfolgen heraushören (Übersicht bei Eberhardt 2014). Eine ausgeprägte Hyper- oder Hyposensibilität gegenüber bestimmten akustischen Reizen kann diese Prozesse im Einzelfall dennoch beeinflussen und erschweren.

3.2 Phonetisch-phonologische Sprachebene/Aussprache

Noch bevor ein Kind erste Wörter spricht, baut es rezeptiv Wissen über die Laute seiner Umgebungssprache auf und startet produktiv mit Gurren und Lallen, bis es zur Bildung erster Silben und einfacher Wörter kommt. Zu diesen frühen Fähigkeiten liegen für Kinder im Autismus-Spektrum wenige Studien vor. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Entwicklung verzögert, aber nicht grundlegend anders abläuft, dass Lautierungen und Silben analog zu Kindern des gleichen Entwicklungsstandes beobachtet werden können, jedoch auch häufiger atypische Vokalisationen und Geräusche auftreten (Übersicht bei Müller 2013).

Im weiteren Verlauf zeigen Kinder und Erwachsene im Autismus-Spektrum mehrheitlich keine spezifischen Schwierigkeiten in ihrer Artikulation – weder phonetisch, d. h. die Lautbildung betreffend, noch phonologisch, also hinsichtlich des Lautsystems. In der Ausbildung des so genannten Lautinventars, also der Menge aller Laute einer Sprache, zeigen sich teilweise verzögert, aber qualitativ die Muster und alterstypischen phonologischen Fehler wie im neurotypischen Erwerb. Allerdings gibt es Subgruppen innerhalb des Spektrums (Kim et al. 2014): Zum einen treten Schwierigkeiten mit der Artikulation generell häufig bei intellektuellen Beeinträchtigungen auf und können entsprechend auch innerhalb des Spektrums zu beobachten sein. In einer Reihe von Studien wird zum anderen eine Subgruppe beschrieben, die Schwierigkeiten im Nachsprechen von Pseudowörtern zeigt. Hierbei müssen Wörter mit steigender Silbenanzahl nachgesprochen werden, deren Laute zwar dem phonologischen System einer jeweiligen Sprache entsprechen, die aber als Worte kein Teil der entsprechenden Sprache sind (im Deutschen z. B. Narilo). Diese Fähigkeit ist ein Marker für spezifische Sprachentwicklungsstörungen, weshalb diese Befunde eine Diskussion um ursächliche und symptomatische Überschneidungen zwischen den beiden Diagnosen auslöste (zur Diskussion z. B. Norbury 2013).

3.3 Semantisch-lexikalische Sprachebene/Wortschatz

Während für manche Kinder im Autismus-Spektrum die funktionale Verwendung einzelner Wörter einen zentralen Meilenstein nach zum Teil langen Therapiebemühungen darstellt, zeigen andere einen versierten Wortschatz, der eher wie eine Fach- oder Erwachsenensprache anmutet. Auch das Beherrschen eines besonders differenzierten Wortschatzes zu einem speziellen Interessensgebiet, z. B. aus der Tier- und Pflanzenwelt oder Technik, lässt sich in der Praxis oft beobachten. Gleichzeitig kann eine Person aus dem Spektrum dieses Wortwissen isoliert gut beherrschen, in der Verwendung und im Verstehen der Begriffe jedoch Schwierigkeiten zeigen.

Studien zur Wortschatzentwicklung und Nutzung des Wortwissens belegen insgesamt, dass grundlegende Strategien des Worterwerbs und -abrufs, zum Beispiel die Nutzung grundlegender Ober- und Unterkategorien (wie Fahrzeuge, Tiere etc.), vergleichbar mit Kindern des gleichen Entwicklungsstandes sind. Es lassen sich jedoch einige besondere »Wortschätze« bei Menschen im Autismus-Spektrum beobachten (Übersicht bei Eberhardt 2014; Kim et al. 2014): Häufiger und zu späteren Zeitpunkten als in der typischen Entwicklung nutzen viele Menschen mit Autismus so genannte Wortneuschöpfungen (Neologismen). Bei genauer Betrachtung handelt es sich oft um Abwandlungen bestehender Wörter, wie z. B. »Langeck« (Rechteck) oder »gebest«. Darüber hinaus gibt es Wortklassen, die viele Menschen im Autismus-Spektrum vor allem in der flüchtigen, gesprochenen Sprache als herausfordernd erleben: Hierzu zählen sozialkognitive Begrifflichkeiten, wie Verben und Adjektive, die Gefühle oder Prozesse des Denkens zum Ausdruck bringen (z. B. mögen, erfreut, gelassen, rasend). Ebenfalls schwierig sind uneindeutige, so genannte deiktische Ausdrücke, die sich auf Personen (ich, du, wir, er usw.), Zeit (jetzt, bald, kürzlich, nachher) oder Orte (hier, dort, da) beziehen, ohne diese konkret zu nennen. Unsere mündliche Alltagssprache ist geprägt von ebendiesen Begriffen, was das Sprachverstehen im Alltag erheblich erschweren kann.

3.4 Morphologisch-syntaktische Sprachebene/Grammatik

Für diejenigen Kinder mit Autismus. die mit großer Verzögerung Lautsprache erwerben, stellt der Schritt von der Einwort- zur Zwei- oder Mehrwortäußerung häufig einen (erneuten) besonderen Meilenstein dar (Snippe 2017). Kinder, die spontan in den Spracherwerb starten, zeigen teilweise eine verzögerte, aber qualitativ typische Entwicklung des Erwerbs grammatischer Strukturen, wie verschieden lange und komplexe Sätze und morphologische Markierungen (Übersicht bei Kim et al. 2014). Allerdings ist anzumerken, dass es zu dieser Sprachebene deutlich weniger wissenschaftliche Untersuchungen als zu anderen Aspekten gibt. Aus der Praxis und neueren Studien weiß man, dass zumindest Teilgruppen innerhalb des Spektrums Schwierigkeiten mit morphologischen Endungen und der flexiblen Verwendung und dem Verstehen komplexer Satzstrukturen, beispielsweise Passiv zeigen (z. B. Brynskov et al. 2017). Dies zeigt sich auch in der Schriftsprache.

4 Sprachhandeln – Pragmatik und soziale Kommunikation als Kernkriterien bei Autismus

4.1 Sprechen, um zu kommunizieren, oder vom Monolog zum Dialog

Der Meilenstein, Sprache als funktional und sich selbst als handelnd durch Sprache zu erleben, wurde in Abschnitt 2 zu den frühen sprachlichen Fähigkeiten bereits deutlich. Entsprechend der darin skizzierten Schwierigkeiten, die bei Kindern im Autismus-Spektrum auftreten, bedeutet das Verbalisieren einzelner Wörter noch nicht, dass diese in der Kommunikation situations- und kontextangemessen eingesetzt werden können. So ist es keine Seltenheit, dass Kinder im Autismus-Spektrum beispielsweise Jingles, Auszüge aus TV-Serien oder weite Passagen aus zum Teil sprachlich komplizierten (Bilder)‌Büchern auswendig aufsagen können, es für sie jedoch eine große Herausforderung darstellt, ihre Bedürfnisse oder Wünsche auszudrücken. Es kommt also häufig zu Monologen und einem Rezitieren statt zu Dialogen.

Das Führen von Dialogen mit einer oder mehreren Personen ist geprägt von einer Vielzahl ungeschriebener (sozialer) Regeln, die Kinder im typischen Spracherwerb über Erfahrung und Imitation im Laufe der Zeit verinnerlichen. Es ist immer wieder zu beobachten, dass Regeln, Gesprächsabläufe und Konventionen, die wir als selbstverständlich akzeptieren, nicht intuitiv erkannt und zum Teil sogar explizit hinterfragt werden. So formulieren zum Beispiel Schneider und Köneke (2009): »Warum muss ich übers Wetter reden, wenn ich doch sehe, dass die Sonne scheint?«

Viele Menschen im Autismus-Spektrum, die sich verbalsprachlich gut äußern können, zeigen Schwierigkeiten, Gespräche zu beginnen und aufrechtzuerhalten, sowie im Hörer-Sprecher-Wechsel (Turntaking). Auch das Eingehen auf Gesprächspartner*innen, ein der Situation angepasster Sprachstil und der Themenbezug sind oft herausfordernd (Paul et al. 2009). Diese Schwierigkeiten können je nach Situation, Anzahl der Gesprächsteilnehmer*innen und Themen variieren. Studien, in denen Kinder und Jugendliche aus dem Spektrum hierzu befragt wurden, belegen, dass diese Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten als sehr belastend für den Alltag, den Schulbesuch und Freundschaften erlebt werden. Diese führten zu einem negativen Emotionserleben, das sich wiederum (negativ) auf die Kommunikation, Interaktion und soziale Teilhabe auswirken kann (Sturrok et al 2022). Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht überraschend, dass viele Menschen im Autismus-Spektrum insbesondere bei unbekannten Gesprächspartner*innen eine schriftliche Form des Austauschs, zum Beispiel via Textnachricht oder Email, bevorzugen (Howard & Sedgewick 2021).

4.2 Wörtliches Verstehen oder das bringt mich auf die Palme

Probleme des Verständnisses figurativer, also bildhafter Sprache, wie Redewendungen, Metaphern, Idiome, aber auch Sarkasmus und Ironie, werden immer wieder für Menschen im Spektrum beschrieben. Sie zeigen häufig ein rein wörtliches Sprachverstehen anstelle eines in den sprachlichen und sozial-kommunikativen Kontext passendes Verständnis der Wort- oder Satzbedeutungen. Lange Zeit galt dieses Phänomen als spezifisch für Autismus, was auch heute in der Literatur und Praxis teilweise noch so formuliert wird. Zahlreiche Studien belegen jedoch die kritische Rolle der formalen Sprachaspekte für die Kompetenz, mehrdeutige oder figurative Sprache zu verstehen: Diejenigen Personen im Autismus-Spektrum, die – wenn auch subtile – Schwierigkeiten auf anderen Sprachebenen, vor allem in Wortschatz und Grammatik, zeigen, verstehen Aussagen häufiger rein wörtlich (Übersicht bei Kalandadze et al. 2016). Solche Probleme werden auch für Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung berichtet (Ulrich, 2017).

Unsere Sprache ist außerdem gekennzeichnet von zahlreichen Mehrdeutigkeiten: einzelne Wörter (Bank – Gebäude vs. Sitzgelegenheit) und ganze Sätze (z. B. Lisa kauft das Schloss. Sie liest das Buch ihrer Mutter vor.) können auf verschiedene Weise interpretiert werden. Diese korrekt zu verstehen, erfordert eine grundlegende mentale Flexibilität für unterschiedliche Bedeutungen. Darüber hinaus muss der jeweilige situative, sprachliche und zum Teil soziale Kontext berücksichtigt werden. Auch hier zeigen Studien, dass die grundlegenden Sprachfähigkeiten das Verstehen maßgeblich beeinflussen (Übersicht bei Eberhardt 2014).

4.3 Mimik, Gestik, Prosodie oder das Rätsel in Gesichtern zu lesen

Im mündlichen Austausch spielt nicht nur das Gesagte eine Rolle. Nonverbale Kommunikationsmittel wie Mimik und Gestik liefern ebenfalls wichtige Informationen, um die Bedeutung von Aussagen zu verstehen. Viele Menschen im Autismus-Spektrum zeigen Schwierigkeiten im Initiieren und Aufrechthalten von Blickkontakt und in der Erkennung von Emotionen anhand von Gesichtspartien (Übersicht Lozier et al. 2014). Eine interessante Studie von Brewer und Kollegen (2016) belegt, dass auch die neurotypischen Gesprächspartner*innen den Gesichtsausdruck einer Person im Autismus-Spektrum schwieriger lesen können, was die Kommunikation ebenfalls erschweren kann.

Weitere Informationen liefern uns prosodische Merkmale, wie Sprechrhythmus, Lautstärke, Pausen und Betonung des Gesagten. Prosodische Merkmale nutzen wir einerseits zu grammatikalischem Zwecke (»Das ist ein Keks?« vs. »Das ist ein Keks!«). Darüber hinaus kann Betonung auch eine affektive und pragmatische Funktion erfüllen, z. B. »Das hast du gemacht?« Diese zu erkennen und die Bedeutung innerhalb der Kommunikation zu erschließen, ist für viele Menschen im Autismus-Spektrum schwierig (Übersicht bei Eberhardt 2014). Auch in der Produktion zeigen sich bei einigen Menschen im Autismus-Spektrum Besonderheiten im Sprechrhythmus, in Geschwindigkeit und Tempo (Kim et al. 2014).

5 Weitere besondere Phänomene der Sprache und Kommunikation

5.1 Echolalie und Pronominalumkehr

Das unmittelbare bzw. direkte oder verzögerte Nachsprechen einzelner Wörter oder Phrasen bezeichnet man als Echolalie. Echolalien können auch in der typischen Entwicklung vorkommen, sind jedoch bei Menschen im Autismus-Spektrum über längere Zeiträume, bis ins Erwachsenenalter und in höherem Ausmaß, zu beobachten (Eigsti et al 2007). Lange Zeit wurde dies als nicht funktional und als Teil einer repetitiven, stereotypen Sprache bewertet, die vor allem der Selbststimulation diene (Übersicht bei Roberts 2014). Heute unterscheidet man verschiedene funktionale und kommunikative Zwecke: So können direkte Echolalien zum Beispiel ein Ausdrucksmittel sein, um ein Turntaking mit einem Gegenüber herzustellen oder Bitten und Aufforderungen auszudrücken. Solche direkten Echolalien lassen sich vor allem bei minimal verbalen Personen beobachten. Insgesamt ist zu betonen, dass dieses Phänomen nicht nur bei Menschen im Autismus-Spektrum auftritt und nicht alle Menschen im Spektrum betrifft (Kim et al. 2014).

Ein weiteres Phänomen ist die so genannte Pronominalumkehr: Dass Personalpronomina eine schwierige Wortklasse darstellen, wurde im Abschnitt zum Wortschatz bereits erwähnt. Wenn Kinder die Personalpronomina »ich« und »du« erwerben, setzt dies eine Reihe von Fähigkeiten voraus, da die Begriffe abhängig von der Perspektive und Sprecherrolle sind. Viele Kinder im Autismus-Spektrum nutzen »du«, wenn sie von sich selbst sprechen, und »ich« bezogen auf einen*eine Gesprächspartner*in (Krause et al. 2014; Naigles et al. 2016).

5.2 Schriftsprache

Häufig berichten Eltern von einem besonders ausgeprägten Interesse an Buchstaben und früh entwickelten Lesefähigkeiten. Gleichzeitig kommt es im Laufe der Schulzeit oft zu Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb und Textverstehen bei Kindern im Autismus-Spektrum.

Für das Lesen sind als Teilfertigkeiten das reine Erlesen von Buchstabenfolgen und Erkennen der Wörter (Dekodieren), die Lesegenauigkeit, die Leseflüssigkeit und schließlich das Leseverstehen zu unterscheiden. Während Kinder im Autismus-Spektrum, die eine frühe Affinität zu Buchstaben und Texten zeigen, häufig gute Dekodierfähigkeiten aufweisen, kommt es bei Kindern im Autismus-Spektrum insgesamt mehrheitlich zu Schwierigkeiten im Leseverstehen. Aus der typischen Entwicklung weiß man, dass die mündlichen Sprachfähigkeiten auf den verschiedenen Sprachebenen die Lesefähigkeiten beeinflussen (Nation & Norbury 2005). So zeigen auch Kinder im Autismus-Spektrum mit Sprachentwicklungsproblemen Schwierigkeiten im Verstehen des Gelesenen (Norbury & Nation 2011). Darüber hinaus zeigen Untersuchungen, dass auch sozialkognitive Faktoren, wie die Theory of Mind (Fähigkeit, sich und anderen mentale Zustände, wie Gefühle und Wissen, zuzuschreiben), und die Ausprägung der Autismussymptomatik einen Einfluss auf das Leseverstehen haben (Nally 2018; McIntyre et al. 2018).

Ein weiterer Bereich betrifft die Schreibkompetenzen: Eine flüssige und leserliche Handschrift sowie der komplexe Prozess der Textorganisation, der unter anderem eine gute Handlungsplanung und Selbstüberwachung (Monitoring) erfordert, stellen für viele Menschen im Autismus-Spektrum eine Herausforderung dar (Finnegan & Accardo 2018). Ferner sind die Sätze und Texte oft weniger komplex und variationsreich, und es konnte zudem beobachtet werden, dass viele Kinder im Autismus-Spektrum grundsätzlich weniger Zeit für Schreibaufgaben aufwendeten (Zajic et al. 2020).

5.3 Mehrsprachigkeit

Viele Kinder wachsen in unserer heutigen Gesellschaft mit mehr als einer Sprache auf. In der Beratung und im Rahmen der Sprachtherapie zeigen sich Eltern und Therapeut*innen oft verunsichert hinsichtlich der Frage, ob ein Kind im Autismus-Spektrum mit mehr als einer Sprache aufwachsen sollte. Ferner bestehen Verunsicherungen, welche Sprache die geeignete Sprache in der Therapie und zuhause sei.

Die Ergebnisse der bisherigen Studien mit Menschen im Autismus-Spektrum sprechen nicht dafür, dass ein Aufwachsen mit mehr als einer Sprache ein generelles Risiko für eine erfolgreiche Sprachentwicklung darstellt. Dies ist vergleichbar zu mehrsprachig aufwachsenden Kindern ohne Autismus. Auch der Zeitpunkt des Sprachkontaktes, ob also ein Kind von Geburt an oder sukzessive mehrsprachig aufwächst, scheint keine Rolle zu spielen (z. B. Dai et al. 2018; Übersicht bei Drysdale et al. 2015). Interessanterweise zeigen Interviewstudien, dass bei Kindern im Autismus-Spektrum dennoch häufig zu einer monolingualen Erziehung geraten wird (Drysdale et al. 2015; Lim et al. 2018). Es muss angemerkt werden, dass es in diesem Forschungsfeld sehr unterschiedliche Definitionen und verwendete Begrifflichkeiten gibt, was eine zusammenfassende Bewertung erschwert.

Welche Empfehlung für die Sprachtherapie, vor allem im Bereich minimal verbaler Kinder, in der Praxis gegeben wird, muss trotz des skizzierten Forschungsstandes weiterhin sorgfältig individuell abgewogen werden. Hierbei sind das Familiensystem, die innerhalb des Systems gesprochene‍(n) Sprache‍(n), die therapeutische Ausgangslage, kulturelle Aspekte und die jeweilige bisherige Biografie des Kindes zu berücksichtigen (Lim et al. 2018; s.a. Snippe 2013).

6 Zusammenfassung und Fazit

Die Ausführungen verdeutlichen die enorme Spannbreite der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten bei Menschen im Autismus-Spektrum. Diese reicht von einer nicht oder kaum sprechenden Teilgruppe über jene, die in ihrem Profil Kindern mit einer spezifischen Sprachentwicklungsverzögerung ähneln, bis hin zu denen, die eine komplexe mündliche Sprache zeigen, jedoch ebenfalls subtile oder stärker ausgeprägte Besonderheiten in ihrer sozialen Kommunikation aufweisen. Abbildung 1.1 fasst diese Subgruppen innerhalb des Spektrums zusammen (siehe auch Eberhardt & Snippe 2016).

Abb. 1.1:Soziale Kommunikation und Sprachentwicklung innerhalb des Autismus-Spektrums

Dabei sollen vor allem die Wechselwirkungen betont werden: die Entwicklung der sozialen Kommunikation und Interaktion beeinflusst von Beginn an die Sprachentwicklung auf den einzelnen Sprachebenen und vice versa. Es gibt Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Autismus-Spektrum, die klar einer Gruppe zugeordnet werden können, aber auch jene, bei denen sich die Charakteristika überschneiden. Die kleineren Sprechblasen verdeutlichen zudem, dass solch ein Modell immer theoretischer und vereinfachender Natur ist und wir es im Einzelfall mit weiteren Konstellationen zu tun haben können.

Für alle hier dargestellten Bereiche gilt, dass die vorliegenden Studien überwiegend aus dem englischsprachigen Raum stammen. Sprachspezifische Unterschiede gibt es auf allen Sprachebenen und besonders in der Schriftsprache. Deutschsprachige Untersuchungen zu den unterschiedlichen Ebenen und insbesondere dem Lesen und Schreiben bei Kindern im Autismus-Spektrum sind dringend wünschenswert.

Neben den sprachlichen und kommunikativen Phänomenen wurden wesentliche, vor allem kognitive Einflussfaktoren genannt, die es in der Diagnostik und Therapie ebenfalls zu beachten gilt (siehe auch Eberhardt 2014; Eberhardt & Snippe 2016; Norbury 2013; Snippe 2013). In Abbildung 1.2 sind diese Wechselwirkungen und typische Phänomene der Sprache und Kommunikation bei Autismus abschließend zusammengefasst.

Die enorme Heterogenität innerhalb des Spektrums und die begleitenden Faktoren zu berücksichtigen ist für die Sprachdiagnostik, Therapie und (schulische) Förderung in der Praxis oft eine Herausforderung. Die unterschiedlichen Beiträge des vorliegenden Bandes geben im Folgenden hierzu einen umfassenden und differenzierten Einblick.

Abb. 1.2:Einflussfaktoren und typische Bereiche mit Besonderheiten in der Sprache und Kommunikation bei Autismus

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Sprache und Kommunikation aus der Perspektive autistischer Jugendlicher – Interviews mit drei Jugendlichen

Katrin Ehrenberg & Rieke Böcker

Einleitung

Im Fokus dieses Beitrags stehen die subjektiven Erfahrungen autistischer Jugendlicher in Bezug auf ihre individuelle Sprach- und Kommunikationssituation. Dazu wurden Interviews mit drei, sich als weiblich identifizierenden autistischen Jugendlichen geführt, die im weiteren Verlauf präsentiert werden. Vor dem Hintergrund des Ansatzes der Neurodiversität – der eine verstehende Perspektive für autistische Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen fokussiert (vgl. Theunissen 2020, 21) – ist es das Anliegen dieses Beitrages, einen Einblick in die diversen und individuellen Erfahrungen autistischer Menschen in Bezug auf Sprache und Kommunikation zu geben sowie in die individuellen sprachlich-kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten und -formen. Ebenso geht es darum, den Jugendlichen als Expertinnen für ihre Lebenssituation eine Stimme zu geben.