Spuren im Tal der Silberbirken - Heidi Ulrich - E-Book

Spuren im Tal der Silberbirken E-Book

Heidi Ulrich

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Beschreibung

Endlich gibt es ein Wiedersehen zwischen Josch und seinem alten Freund Mattie! Wie gut, dass sich auch ihre Schwestern super gut verstehen, denn schon bald müssen die vier Freunde all ihren detektivischen Spürsinn aufwenden, um die Rätsel der Vergangenheit zu lösen, die ihm Tal der Silberbirken ihren Anfang nahmen ... Was geht vor in dem verlassenen Farmhaus? Wer ist die geheimnisvolle Frau, die Josch und Mattie dort mitten in der Nacht treffen? Können sie ihr helfen, das alte Geheimnis zu enträtseln? Gleichzeitig trainieren Josch, Mattie, Louisa und Sara für das Indianerfest. Mattie hat sich fest vorgenommen den Hauptpreis zu gewinnen. Doch dann muss er sich entscheiden zwischen Ehrgeiz und Hilfsbereitschaft, Erfolg und Freundschaft. Eine wunderschöne Geschichte um Glauben, Solidarität und Vertrauen. Band 3 der Serie um Josch, den Jungen mit dem Cowboyhut, und seine Freunde. Die Josch-Triologie von Heidi Ulrich im Überblick: Band 1: Der Junge mit dem Cowboyhut Band 2: Old Jims Geheimnis Band 3: Spuren im Tal der Silberbirken

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Impressum

© 1. Auflage 2022 der eBook-Auflage byChristliche SchriftenverbreitungAn der Schloßfabrik 3042499 Hückeswagenwww.csv-verlag.de

 

Umschlaggestaltung: Brockhaus Dillenburg

Innenillustration: Astrid Elter

eBook-Erstellung:ceBooks Verlag Alexander RempelIn der Klaus 1852379 Langerwehewww.ceBooks.de

 

ISBN 978-3-89287-983-1 (eBook)

ISBN 978-3-89287-893-3 (Buch)

 

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Inhalt

Impressum

Besuch für Familie Braun

Wirbel um ein altes Farmhaus

Indianergeheimnisse

Schritte in der Nacht

Überraschungen

Das alte Farmhaus wacht auf

Mattie will gewinnen

Auf den Spuren der Vergangenheit

Mattie und Old Jim

Letzte Vorbereitungen

Das Indianerfest beginnt

Der Spurensucher

Was nach dem Indianerfest passiert

Die Lage wird brenzlig

Das Gewitter

Ein Fest im Farmhaus

Band 1

Band 2

O ben am Waldrand blitzte etwas auf. „Wie Metall, das von der Sonne beschienen wird“, dachte Mattie, der mit seiner Schwester Louisa auf der Landstraße unterwegs war. Jetzt gerade hatten sie eine Pause eingelegt, weil sie auf einer Höhe mit dem alten, verlassenen Farmhaus waren, das rechts am Straßenrand in einem verwilderten Garten stand. Louisa legte hier immer eine Pause ein. Sie hatte die Ellbogen auf den wackeligen Gartenzaun und den Kopf in die Hände gestützt und schaute zu dem alten Holzhaus hinüber. Mattie lehnte auch am Zaun, aber er sah zum Waldrand hinauf. Wieder blitzte dort etwas auf.

„Hast du gesehen, da oben blinkt irgendetwas in der Sonne“, sagte er.

„Wo?“, fragte Louisa.

„Na, da oben am Waldrand. Guck, da bewegt sich auch etwas!“

„Ich seh nichts.“ Seine Schwester schaute in die angegebene Richtung, konnte aber nichts erkennen.

„Jetzt ist es weg“, meinte Mattie. „Aber es hat zweimal aufgeblitzt. Ich hab’s genau gesehen.“

Louisa interessierten Matties Blitzlichter nicht besonders. Sie warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick zu dem alten Farmhaus hinüber und ging dann weiter. Den leeren Korb, den sie in der Hand trug, schwenkte sie dabei hin und her.

„Auf dem Rückweg, wenn die Eier drin liegen, musst du ihn tragen, hat Ma gesagt.“

„Du würdest auch nur Rührei nach Hause bringen“, spottete ihr Bruder. „Komm, beeilen wir uns!“

Sie holten ihre Eier immer bei den Hunters, die eine ziemlich große Hühnerfarm besaßen. Louisa musste natürlich unbedingt die kleinen Küken streicheln, und auch Mattie nahm eins von ihnen behutsam in die Hand.

„Sie sind echt süß“, sagte er und setzte das winzige Ding vorsichtig wieder in das Gehege zurück. „Komm, Louisa, wir müssen zurück!“

Sie verabschiedeten sich von Mrs. Hunter und liefen wieder die Landstraße entlang. Mattie trug den Korb mit den Eiern. Als sie das alte Farmhaus erreichten, schaute er noch einmal zum Wald hinauf. Diesmal blinkte nichts in der Sonne. Aber huschte dort oben nicht eine Gestalt am Waldrand entlang? „Vielleicht war es auch Einbildung“, dachte Mattie, „eigentlich ist es ja wirklich egal, ob da oben jemand herläuft oder nicht.“ Er schaute sich nach Louisa um, die schon wieder am Gartenzaun des verlassenen Hauses lehnte.

In dem alten Farmhaus wohnte schon lange niemand mehr. Die Fensterläden blieben immer geschlossen, von den Holzwänden blätterte die Farbe ab, und der letzte Sturm hatte ein paar Ziegel aus dem Dach gerissen. Der mächtige Ahornbaum im Garten tat sein Möglichstes, um diesen Schaden zu verstecken, aber selbst sein dichtes Laub konnte nicht ganz verhindern, dass die Regentropfen einen Weg ins Innere des Hauses fanden.

„Eine Schande ist das“, murmelte Mrs. Johnson jedes Mal, wenn sie daran vorbeiging, „eine regelrechte Schande, dieses Haus so verkommen zu lassen!“

Einige Leute im Städtchen gaben ihr recht, aber Louisa Brown gehörte nicht zu ihnen. Sie war zwar erst zehn Jahre alt, aber etwas wusste sie trotzdem ganz genau: Dieses alte Farmhaus gefiel ihr, mitsamt geschlossenen Fensterläden, abgeblätterter Farbe und Loch im Dach.

„Es sieht aus, als ob es schläft“, sagte sie zu Mattie. „Bestimmt träumt es etwas Schönes. Und guck mal, wie viel Blumen hier blühen!“

„Jetzt komm“, drängte Mattie, dem das alte Farmhaus ziemlich egal war, „hier blühen überall Blumen und außerdem können Häuser nicht träumen. Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir nachher zu spät zum Bahnhof!“

Er lief weiter, aber Louisa blieb an den Zaun gelehnt stehen. Bienen und Hummeln brummten in der Sommersonne, der Himmel war blau und der Wind wehte den Duft von Jasmin herüber. Louisa liebte den Sommer. Sie beobachtete einen Schmetterling, der von Blume zu Blume flatterte. Wie fühlte man sich wohl, wenn man so federleicht durch die Luft gaukelte? Louisa ließ den Zaun los und breitete beide Arme aus. Dann hüpfte sie den Weg entlang, erst langsam, dann etwas schneller, ihre Arme benutzte sie dabei als Flügel und schwebte über die Landstraße. Louisa war so versunken in ihr Schmetterlingsspiel, dass sie wie erstarrt stehen blieb, als eine Stimme dicht neben ihr sagte: „Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken, Kind?“

Die Stimme gehörte zu einer älteren Frau, die eine Brille auf der Nase und einen Knoten am Hinterkopf trug. An ihrem Arm hing ein Korb mit einem Deckel. Louisa wurde rot. „Entschuldigen Sie, Miss ... äh, ich meine Mrs. Roberts“, stieß sie hervor. „Ich ... ich hab Sie gar nicht gesehen.“

„Das habe ich gemerkt. Beinahe wären wir zusammengestoßen. Pass jetzt ein bisschen besser auf, ja?“

„Ja, Ma’am“, antwortete Louisa. Die ältere Dame nickte ihr noch einmal zu und ging dann weiter. „Puh“, dachte Louisa, „das ist gerade noch einmal gut gegangen.“ Vielleicht verlegte sie ihr Schmetterlingsspiel besser von der Landstraße auf die Wiese neben dem alten Farmhaus, wo nicht die Gefahr bestand, dass sie in ihre frühere Lehrerin hineinsegelte. Sie wollte gerade umkehren, als sie ein neuer Schreck durchfuhr. Sie hatte doch gar keine Zeit zum Spielen, sie wollte doch mit Mattie zum Bahnhof, um ihren Ferienbesuch abzuholen! Wo war Mattie überhaupt? Hoffentlich war es nicht schon zu spät! Louisa rannte los und überholte dabei Mrs. Roberts, die ihr kopfschüttelnd nachschaute. Weit vorne auf der Landstraße entdeckte Louisa ihren Bruder, der gerade hinter der nächsten Biegung verschwand.

„Warte auf mich, Mattie!“, rief sie. „Ich komme!“

Eine Viertelstunde später kamen Mattie und Louisa atemlos am Bahnhof an.

„Gerade noch rechtzeitig“, keuchte Mattie. „Guck, da kommt der Zug schon!“

Louisa hatte noch keine Luft zum Sprechen, sie lehnte sich an einen Pfeiler und beobachtete die weiße Dampfwolke, die langsam näher kam. Ein Glück, dass sie es noch geschafft hatten! Mattie hatte zu Hause schnell den Korb mit den Eiern abgegeben, und dann waren sie gleich weiter zum Bahnhof gelaufen. Man hörte jetzt das Rattern der Räder, die Dampfwolke kam näher, es zischte und quietschte, dann stand der Zug still. Louisa stellte sich dicht neben ihren Bruder.

„Hoffentlich erkennen wir sie überhaupt“, meinte sie plötzlich besorgt. „Ich hab Josch und Sara und den Cowboy ja noch nie gesehen. Und du kennst Old Jim auch nicht, oder?“

Mattie schüttelte den Kopf. Angestrengt musterte er die Leute, die sich aus dem Zug drängten. „Nee“, antwortete er, „aber ich kenn Josch. Den überseh ich bestimmt nicht!“

Plötzlich riss Mattie seinen Strohhut vom Kopf und schwenkte ihn durch die Luft.

„Josch“, rief er, „hier sind wir!“

Er setzte den Hut wieder auf und drängte sich zwischen den Menschen hindurch, die ihm entgegenkamen. Louisa hatte Mühe, hinter ihm zu bleiben. Vor einem Jungen mit braunem, etwas lockigem Haar blieb Mattie stehen. Auf dem Rücken des Jungen baumelte ein Cowboyhut, den er an einem Band um den Hals trug. Der Mund und die braunen Augen des Jungen lachten, als er seinen Freund sah.

„Hallo, Mattie“, sagte er.

„Mensch, Josch, da bist du ja endlich!“

Mattie grinste und gab Josch einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. Am liebsten hätte er Josch gleich mit sich fortgezogen, um aus dem Menschengewühl nach draußen zu kommen, aber gerade noch rechtzeitig fiel ihm die Ermahnung seiner Mutter ein: „Sei höflich zu deinen Gästen, Mattie, und denk daran, dass die anderen sich noch überhaupt nicht kennen!“ Er zeigte auf seine Schwester. „Das ist Louisa“, sagte er in Joschs Richtung. „Hallo“, sagten beide gleichzeitig.

Dann meinte Josch: „Und das ist meine Schwester, Sara heißt sie. Und das ist mein Freund Old Jim.“

Vor Mattie und Louisa standen ein blondes Mädchen, das vielleicht zehn Jahre alt war, und ein älterer, grauhaariger Mann. Der Mann hielt seinen Cowboyhut in der linken Hand, die rechte streckte er ihnen entgegen.

„Guten Tag, ihr zwei. Ihr seid also Mattie und Louisa.“ Die beiden nickten und reichten ihm ebenfalls die Hand.

„Ähnlich seht ihr euch ja nicht unbedingt, ich werde also keine Schwierigkeiten haben, euch auseinanderzuhalten.“

Old Jim zwinkerte ihnen zu. Louisa kicherte. Der Cowboy gefiel ihr. Unterschiedlicher als sie und ihr Bruder konnte man wirklich nicht aussehen. Matties Haar war dicht und blond und seine Augen blau, während sie braune Augen und braunes Haar hatte. Nur manchmal, wenn die Sonne darauf schien, glänzten ihre Locken in der Farbe von Kastanien. Das Mädchen neben Old Jim hatte Louisa die ganze Zeit mit großen Augen angeschaut.

„Du siehst ja ganz anders aus“, platzte sie jetzt heraus. „So, so ...“ Sie stockte und wurde rot. „Wie denn?“, fragte Mattie. „Eingebildet? Oder ein bisschen verrückt?“ Er grinste. „Stimmt beides“, fügte er dann mit brüderlicher Offenheit hinzu. Seine Schwester warf ihm einen wütenden Blick zu. Sara wurde noch verlegener.

„Das ... das meinte ich doch gar nicht“, sagte sie hastig, „ich hatte gedacht, du wärst blond und ... na ja, irgendwie anders.“

Louisa lächelte sie an. „Du siehst auch anders aus, als ich gedacht habe. Komisch, was man sich manchmal vorstellt, nicht?“ Sie bückte sich und hob Saras Tasche auf. Dann schaute sie in die Runde.

„Eigentlich können wir doch jetzt gehen, oder?“

Old Jim nickte. „Eine gute Idee, junge Dame. Was machen wir mit unserem Gepäck?“

„Die Koffer geben wir in dem Häuschen da drüben ab“, erklärte Mattie. „Pa holt sie dann später mit dem Auto, wenn er von der Arbeit kommt.“

Joschs Augen wurden groß und rund.

„Ihr habt ein Auto?“, fragte er. Mattie nickte stolz. „Seit ein paar Wochen. Es ist ein Ford, einer mit vier Zylindern, weißt du?“

Josch zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung“, gestand er, „bei uns in Weston hat niemand ein Auto.“

„Hier haben auch noch nicht viele eins“, erzählte Mattie. „Aber seit wir im Frühjahr an den Stadtrand umgezogen sind, hat Pa einen weiteren Weg zur Arbeit. Und deshalb hat er den Ford gekauft.“

Mattie packte Joschs Koffer und ging auf das kleine Holzhaus zu, das neben dem Fahrkartenschalter auf dem Bahnsteig stand. Old Jim folgte mit dem restlichen Gepäck. „Hallo, Mr. Smith“, sagte Mattie zu dem Mann mit der blauen Schirmmütze, der am Eingang des Häuschens stand.

„Können wir die Koffer hier abstellen? Mein Vater holt sie später ab.“

„Geht in Ordnung, Junge“, antwortete der Mann und lächelte sie freundlich an.

„Hast Besuch, was?“ Mattie nickte.

„Unsere Freunde aus Weston“, erklärte er. Als sie sich auf den Weg machten, winkte Louisa dem Mann noch einmal zu.

„Wiedersehen, Mr. Smith!“, rief sie.

Zu fünft machten sie sich auf den Weg zum Haus der Familie Brown.

„Hier draußen zu wohnen ist viel schöner als mitten in der Stadt“, erzählte Louisa. „Früher war alles so eng und überall waren so viele Menschen. Hier ist ganz viel Platz.“

Sara nickte. „So wie bei uns. Da gibt’s auch riesige Wiesen und Felder.“

Louisa hakte sich bei Sara ein und blieb mit ihr ein bisschen hinter den anderen zurück. „Wenn man an unserem Haus vorbeigeht“, sagte sie mit gedämpfter Stimme, „steht weiter hinten an der Landstraße ein Farmhaus. So ein richtig altes, mit abgeblätterter Farbe und einem Loch im Dach. Ich glaube, da wohnt schon seit Urzeiten niemand mehr.“ Sie machte eine Pause und warf einen Blick zu Mattie hinüber. Aber der ging zwischen Old Jim und Josch vor ihnen her und achtete nicht auf die Mädchen. „Ich würde es schrecklich gerne mal von innen ansehen“, flüsterte sie. „Natürlich ohne die Jungen. Die kann man für so etwas nicht gebrauchen. Würdest du mitkommen?“

Saras Augen glänzten. Sie liebte Abenteuer. Und ein altes, verlassenes Farmhaus – das klang verheißungsvoll. Sie nickte eifrig. „Klar komme ich mit!“, flüsterte sie.

Louisas Augen leuchteten. „Ich finde, das Haus sieht so aus, als ob es schläft und etwas Schönes träumt“, erzählte sie weiter. „Aber Mattie sagt, Häuser können nicht träumen.“

Sara verdrehte die Augen. „Typisch Jungs“, sagte sie. „Manchmal haben sie einfach kein bisschen Fantasie!“

„Mattie interessiert sich in der letzten Zeit sowieso nur für Indianer und solche Sachen“, erzählte Louisa weiter. „Er liest Bücher, die furchtbar spannend sein sollen. Aber mir gibt er kein einziges davon. Für Mädchen wär‘ das nichts, behauptet er.“

„Josch liest auch Indianderbücher“, sagte Sara. „Aber, ehrlich gesagt, ich finde ein altes, verlassenes Farmhaus viel spannender!“

Mrs. Brown, die Mutter von Mattie und Louisa, stand schon in der Haustür, als sie ankamen. „Herzlich willkommen!“, rief sie, und ihr Lächeln sah ehrlich und gut aus. Sie hatte dabei genau das gleiche Grübchen in der linken Wange wie Louisa, stellte Sara fest. Auch das gleiche lockige, braune Haar hatte sie, nur dass sie es aufgesteckt trug, während Louisa ihre Locken nur mit einem Band zusammenhielt.

„Wir haben uns so darauf gefreut, euch endlich einmal kennenzulernen“, sagte sie und reichte ihnen die Hand zur Begrüßung. „Mattie und Louisa haben uns viel aus euren Briefen erzählt. Ganz fremd seid ihr uns also nicht mehr.“

Sie wandte sich an Old Jim. „Schön, dass Sie auch mitgekommen sind, Mr. Harris. Fühlen Sie sich wie zu Hause!“ „Danke, Ma’am“, antwortete er. „Ich glaub, das fällt einem nicht schwer bei so einem herzlichen Empfang, was Kinder?“ Josch und Sara schüttelten den Kopf. Nein, hier fiel ihnen das bestimmt nicht schwer!

Kurze Zeit später saßen sie um den runden Tisch auf der Terrasse und aßen Kuchen. Old Jim hatte das Tischgebet gesprochen, weil Mr. Brown noch nicht zu Hause war. Er hatte dabei nicht nur für das Essen, sondern auch für die sichere Reise gedankt.

„Danke, Herr Jesus, dass wir hier Ferien machen dürfen“, hatte Sara in Gedanken hinzugefügt, „danke, dass die Familie Brown so nett ist!“

„Mmh, lecker“, sagte Josch und nahm ein Stück Marmorkuchen von dem großen Teller, „ich hab ganz schönen Hunger.“

Mrs. Brown lachte. „Das dachte ich mir. Esst tüchtig, wir haben genug.“ Später kam dann auch Mr. Brown nach Hause. Er fuhr tatsächlich mit dem Auto vor und brachte das Gepäck vom Bahnhof mit. Als er Joschs staunenden Blick sah, lachte er.

„Ich glaube, da möchte jemand mal gerne eine Probefahrt mit mir unternehmen, was?“ Josch nickte nur. Der Ford hatte ihm glatt die Sprache verschlagen. Sara und er durften dann auch wirklich mitfahren, als Mr. Brown Old Jim mitsamt seinem Koffer zu John Dickinson brachte.

„Witzig, dass du Mr. Dickinson kennst, Old Jim“, meinte Mattie. „Er wohnt gar nicht weit weg von uns.“

„Er ist ein alter Freund von früher“, erklärte der Cowboy. „Wir haben uns Jahre nicht gesehen. Und als ich hörte, dass ihr in genau der gleichen Stadt wohnt wie er, hab ich mich entschlossen, ihn endlich mal zu besuchen.“

„Ein Glück“, sagte Josch. „Ohne dich hätten Sara und ich nämlich gar nicht fahren dürfen.“

Seine erste Fahrt im Auto würde Josch nie vergessen. Man sauste einfach so über die Straße, ruckzuck war man an Ort und Stelle.

„Hoffentlich schafft Pa sich auch bald eins an“, meinte er beim Aussteigen.

Mattie, der auf dem Gartenzaun saß, zuckte mit den Schultern. „Irgendwie ist es schon toll, wenn man eins hat – aber Pferde mag ich auch.“ Es klang sehnsüchtig.

„Stimmt, ihr habt gar keine“, stellte Josch fest. „Und dabei reitest du doch so gern.“

Mattie nickte. „Schrecklich gern. Es geht nur eben nicht oft.“

„Aber du hast doch einen Jungen in deiner Klasse, der auf einer Pferdefarm wohnt“, erinnerte sich Josch. „Das hast du mir mal geschrieben. Kannst du da nicht reiten?“

Mattie zögerte mit der Antwort. „Doch, schon“, meinte er schließlich, „aber Pa ... ach, ist ja auch egal.“

Josch schaute ihn verwundert an, fragte aber nicht weiter.

„Hier findet übrigens bald ein Indianerfest statt“, sagte Mattie, und jetzt funkelten seine Augen wieder. „Du magst doch Indianer, oder?“

Josch nickte eifrig. „Klar mag ich die. Ich hab schon ne Menge spannender Bücher über sie gelesen. Was passiert denn da bei dem Indianerfest?“

„Es gibt Wettkämpfe im Bogenschießen und Spurenlesen und Lassowerfen und so“, erklärte Mattie. „Und für das beste Indianerkostüm gibt es einen Preis. Und ein paar Spiele werden auch gemacht und überall kann man Punkte sammeln. Hinterher ist dann noch die Siegerehrung.“

Joschs Augen glänzten. „Das macht bestimmt Spaß. Meinst du, ich kann auch mitmachen?“, fragte er.

„Darum erzähl ich’s dir doch“, sagte Mattie. „Ich hab extra gefragt, ob auch Kinder, die nicht von hier sind, mitmachen dürfen. Und Mr. Roberts hat gesagt, das wäre schon in Ordnung.“

„Prima!“, antwortete Josch. „Old Jim bringt uns bestimmt bei, wie man ein Lasso richtig wirft. Das wird bestimmt gut, das Indianerfest!“

Später, als sie ihr Abendgebet gesprochen hatten und im Bett lagen, sagte Josch: „Mir gefällt es bei euch, Mattie, ehrlich.“ „Ist auch echt prima, dass ihr da seid“, gab Mattie zurück.

Am nächsten Morgen am Frühstückstisch wurden Pläne für den Tag geschmiedet.

„Wir zeigen euch die Stadt“, sagte Mattie und biss in sein Honigbrot, „unsere Schule und das Haus, wo wir früher gewohnt haben.“

„Und dann können wir noch Mr. Dickinson und Old Jim besuchen“, schlug Louisa vor. „Mr. Dickinson hat gestern gesagt, dass er unbedingt jemanden braucht, der dafür sorgt, dass die restlichen Himbeeren in seinem Garten nicht umkommen.“ Sie warf Sara einen bedeutungsvollen Blick zu.

Sara nickte. „Au ja, das machen wir!“ Louisa hatte ihr gestern Abend noch erklärt, dass auf dem Weg zu Mr. Dickinson das alte Farmhaus stand.

Vielleicht konnten sie heute einmal einen Blick hineinwerfen ...

„Wo sind eigentlich deine anderen Schwestern?“, erkundigte sich Josch bei Mattie, als sie sich auf den Weg machten.

„Susan und ...“ „Carrie“, half ihm Louisa. „Susan ist unsere ältere Schwester und Carrie unsere jüngere.“ „Sie sind bei unseren Großeltern zu Besuch“, erklärte Mattie. „Carrie hat sich nicht getraut, alleine bei ihnen zu bleiben, und da ist Susan mitgefahren.“

Sie mussten ein ganzes Stück laufen, bis sie die Stadt erreichten.

„Da sind wir gestern hergegangen, da geht’s zum Bahnhof“, erklärte Mattie. „Jetzt müssen wir hier nach links, dann kommen wir in die Stadt.“ Sara beobachtete alles mit großen Augen. Hier war ja nun wirklich mehr los als bei ihnen in Weston! Eine Menge Geschäfte gab es, richtige Bürgersteige aus Holz, und so viel Leute waren hier unterwegs! Beim Überqueren der Straße musste man aufpassen, dass man nicht von einer Pferdekutsche oder einem Auto umgefahren wurde. Zehn Autos begegneten ihnen insgesamt, Sara zählte sie ganz genau. Und dann behauptete Mattie, dass es hier noch nicht viele Autos geben würde! Sie liefen die Hauptstraße entlang und bogen dann nach rechts ab. Hier herrschte nicht mehr so viel Verkehr. Am Ende eines ziemlich großen Platzes stand ein einzelnes, weiß gestrichenes Haus.

„Das ist unsere Schule“, erklärte Louisa.

Sara blinzelte in das Sonnenlicht, um besser sehen zu können. „So ähnlich sieht unsere auch aus“, meinte sie. „Stimmt’s, Josch?“

Ihr Bruder nickte. „Find ich auch.“ Dann fragte er: „Habt ihr immer noch diese uralte Lehrerin? Die dein Freund im Winter mit dem Schlitten umgefahren hat?“ Louisa kicherte. Mattie meinte grinsend: „Nee, wir kriegen im Herbst eine neue. Und weißt du auch, warum?“ Josch schüttelte den Kopf.

„Sie hat geheiratet!“, platzte Louisa heraus. „Vor zwei Wochen. Jetzt heißt sie Mrs. Roberts. Gestern, als ich ihr begegnet bin, hätte ich mich beinahe wieder versprochen.“

„Sie war wohl doch noch nicht so uralt“, erzählte Mattie weiter. „Und ich find, heiraten war auch echt das Vernünftigste, was sie machen konnte. Dadurch haben wir jetzt nämlich unsere Ruhe!“

„Aber zuletzt war sie noch richtig nett“, erzählte Louisa. „Sie und ihr Mann planen auch das Indianerfest für alle Schulkinder. Sie weiß’ ne Menge über Indianer.“

Mattie nickte. „Sie sieht gar nicht so aus, aber sie weiß da echt gut Bescheid“, gab er zu. „Sie hätte uns das bloß mal eher erzählen sollen. Wir mussten bloß immer alles Mögliche über unsere Präsidenten und das große Einmaleins lernen. Das Indianerfest war ihre beste Idee bis jetzt!“

Als sie wieder zurück auf die Hauptstraße kamen, lotste Mattie sie durch eine kleinere Seitenstraße, in der die Häuser dicht an dicht standen. Vor einem hellgelb gestrichenen Haus blieb er stehen.

„Das war unseres“, sagte er.

Josch schaute sich um. „Na ja“, meinte er, „da, wo ihr jetzt wohnt, gefällt’s mir besser.“

Mattie nickte. „Mir auch“, sagte er.

Louisa zog Sara mit sich fort. „Komm“, sagte sie, „wir gehen schon mal weiter.“

„Magst du nicht gerne euer altes Haus ansehen?“, fragte Sara.

Louisa schüttelte den Kopf. „Ich finde unser neues Zuhause zwar viel schöner, aber irgendwie ist es dumm, dass jetzt fremde Leute in dem alten Haus wohnen.“

Sara versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn in ihrem gemütlichen, weißen Holzhaus in Weston plötzlich andere Leute wohnten. Irgendwie konnte sie sich das gar nicht denken. Es war einfach „Zuhause“, und sie gehörte dort hinein mit Papa, Mama, Debbie, Katie und Josch. „Danke, dass ich so ein Zuhause habe, Herr Jesus“, flüsterte Sara vor sich hin. Manchmal musste sie einfach so zwischendurch beten, es war wirklich gut, dass man immer mit Gott reden konnte! Plötzlich stieß Louisa sie an. „Guck mal“, sagte sie, „da vorne geht sie!“

„Wer?“ Sara schaute ihre Freundin fragend an.

„Na, unsere frühere Lehrerin, Mrs. Roberts. Und da ist auch ihr Mann. Sieht aus, als wollten sie verreisen.“

Das ältere Ehepaar vor ihnen bog um die Ecke und marschierte weiter in Richtung Bahnhof. Der Mann trug einen Koffer, die Frau eine Reisetasche.

„Hoffentlich sind sie pünktlich zum Indianerfest wieder da!“, sagte Louisa.

Den Ausflug zu Mr. Dickinson und Old Jim verlegten sie auf den Nachmittag. Die Sonne schien warm, als sie loszogen, und als sie an dem alten Farmhaus vorbeigingen, wehte der Wind wieder den Duft von Jasmin herüber. Mattie blieb stehen. Er grinste von einem Ohr zum anderen. Dann nahm er seinen Strohhut ab, verbeugte sich und machte eine einladende Geste zu dem alten Haus hinüber. „Meine Herrschaften, darf ich Ihnen das berühmte „träumende Farmhaus“ vorstellen? Sprechen Sie bitte nicht zu laut, sonst könnten Sie es aufwecken!“

Josch platzte beinahe vor Lachen bei dieser Vorstellung, aber Louisa stürzte sich auf ihren Bruder.

„Mattie Brown!“, schnaubte sie, „du bist ein ganz ekliger, gemeiner Kerl!“

Mattie wich ihr geschickt aus. „Du hast doch selbst gesagt, dass es aussieht, als ob es schläft“, verteidigte er sich. „Was hast du denn eigentlich?“

Er musste wieder lachen. Louisa drehte sich einfach um und hakte sich bei Sara ein. „Komm“, sagte sie, „bis die sich von ihrem Lachanfall erholt haben, sind wir schon längst bei Mr. Dickinson. Und dann dürfen wir als Erstes Himbeeren bei ihm pflücken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie lecker die sind!“

Old Jim und Mr. Dickinson freuten sich über ihren Besuch. Als die Jungen eintrudelten, hatten Sara und Louisa den Himbeerstrauch schon ordentlich geplündert und tranken auf der Terrasse ein Glas Saft. Louisa warf Sara einen verschwörerischen Blick zu. Josch und Mattie waren außer Hörweite. Sie nutzte die Gelegenheit und fragte Mr. Dickinson: „Wissen Sie eigentlich, wem das alte Farmhaus gehört? Das mit dem Loch im Dach und der abgeblätterten Farbe?“

Mr. Dickinson kratzte sich am Kinn. „Die Appleby-Farm hier an der Landstraße meinst du? Nun, die gehört immer noch der Familie Appleby, soweit ich weiß. Wohnen tun sie allerdings schon lange nicht mehr dort. Sind vor fast vierzig Jahren von hier weggezogen. Danach hat ein Mr. Baker die Farm gepachtet. Hat lange hier gewohnt mit seiner Frau. Aber vor ein paar Jahren sind sie beide gestorben. Erst die Frau und dann er. Seitdem steht das Haus leer. Die alten Applebys leben natürlich auch nicht mehr“, fügte er hinzu. „Aber die haben ’ne Tochter gehabt. War noch ’n kleines Mädchen, als sie damals wegzogen. Und der müsste die Farm jetzt eigentlich gehören.“

Die Jungen kamen mit ihrer mageren Himbeerausbeute zurück und Mr. Dickinson stand auf, um auch für sie ein Glas Saft zu holen. Old Jim sah Sara und Josch an.

„Na“, fragte er, „habt ihr euch eingelebt bei Familie Brown? Oder sollen wir lieber wieder abreisen?“

Josch grinste. „Nee, wir können ruhig bleiben, oder, Sara?“ Seine Schwester nickte heftig. „Na klar“, sagte sie, „Louisa und ich wollen doch noch ...“ Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass das Thema „Farmhaus“ vor den Jungen streng geheim gehalten werden musste. „Na ja, wir wollen halt noch ganz viel unternehmen“, fügte sie schnell hinzu. Und dann kam zum Glück Mr. Dickinson mit den Saftgläsern.

„Niemand darf wissen, was wir vorhaben“, flüsterte Louisa, als sie auf dem Heimweg ein Stück hinter den Jungen hergingen. „Wir warten, bis sie hinter der nächsten Kurve verschwunden sind!“

Endlich war von Josch und Mattie nichts mehr zu sehen. Sie schienen überhaupt nicht zu merken, dass die Mädchen nicht mehr hinter ihnen hergingen.

„Los, jetzt!“, flüsterte Louisa. Sie liefen auf das Gartentörchen zu und drückten die Klinke hinunter.

„Es klemmt.“ Sara rüttelte kräftig an dem Tor, aber es gab nicht nach.

„Dann klettern wir eben über den Zaun. Sehr hoch ist er ja nicht.“ Hoch war der Zaun wirklich nicht, dafür aber ziemlich morsch. Es knackte bedenklich, als die beiden Mädchen hinüberkletterten.

„Hier wären wir schon mal“, stellte Louisa zufrieden fest, als sie im Garten standen. „Komm, wir versuchen, von hinten in das Haus zu kommen. Von der Landstraße aus kann uns leicht jemand sehen.“ Sie bahnten sich einen Weg durch das hohe Gras und die wilden Blumen.

„Das piekst an den Beinen“, beschwerte sich Sara, „und außerdem hat mich eine Mücke gestochen!“

Louisa hörte gar nicht richtig zu. Piksende Gräser und Mückenstiche waren lächerliche Kleinigkeiten, wenn man auf dem besten Weg war, ans Ziel seiner Träume zu gelangen.

„Hier kann uns niemand sehen.“ Louisa flüsterte, obwohl weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. „Vielleicht ist die Terrassentür ja offen, komm!“ Louisas Hand war eiskalt und zitterte leicht, als sie die Klinke hinunterdrückte. Zum ersten Mal dachte sie daran, dass es ja eigentlich etwas Verbotenes war, wenn man heimlich in fremde Häuser eindrang.

Aber dieses hier stand schon so lange leer ... Langsam, ganz langsam schob Louisa die Tür auf. Modrige Luft schlug ihr entgegen.

„Kannst du was sehen?“ Sara stand so dicht hinter ihr, dass Louisa ihren Atem spüren konnte. Sie stieß die Tür ganz auf und ging vorsichtig zwei Schritte in das Haus hinein. Der Boden knarrte. Sara hielt sich immer noch dicht hinter ihr. Viel konnte man nicht erkennen, weil die Fensterläden geschlossen waren und nur schmale Streifen Sonnenlicht in den Raum eindringen ließen. Winzige Staubkörnchen tanzten in der Luft.

„Guck mal, die vielen Spinnweben!“, flüsterte Sara und zeigte in die Ecke neben dem Fenster. Aber mitten in der Bewegung hielt sie inne. Auch Louisa stand stocksteif und lauschte. Es raschelte vor dem Fensterladen und irgendetwas bewegte sich dort. Dann verdunkelte ein Schatten den Raum ...