Stephen Hawking - Hubert Mania - E-Book

Stephen Hawking E-Book

Hubert Mania

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Beschreibung

Rowohlt E-Book Monographie Stephen Hawking ist einer der berühmtesten Gelehrten der Welt. Mit seinem Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" hat der britische Astrophysiker Maßstäbe gesetzt für eine neues Nachdenken über existenzielle Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Hat das Universum einen Anfang und ein Ende? Seither ist der schwerkranke, an einen Rollstuhl gefesselte Naturwissenschaftler zu einem modernen Guru geworden. Diese Monographie beschreibt die Stationen von Hawkings Leben und erläutert die wichtigsten Inhalte seines Gedankenuniversums. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Stephen Hawking

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Inhaltsübersicht

Master of the UniverseKnabenregimentEin Blick zurück in die ZeitAlles ist relativOxfordDie Quantentheorie oder Der folgenschwerste Heuschnupfen des 20. JahrhundertsCambridgeBig BangHawking-StrahlungEin Universum ohne RandEine kurze Geschichte der ZeitQuarks – Quasare – QuantenschwerkraftZeitreisen und neue EinsichtenZeittafelZeugnisseBibliographieVeröffentlichungen von Stephen HawkingZitatquellen Weiterführende LiteraturWebsitesLiteraturempfehlungen
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Master of the Universe

Nach dreitägiger Nonstop-Diskussion verkündete einer der Gesprächsteilnehmer einen neuen Rekord. Auf der Website eines deutschen Computermagazins ( 1)[1] war die tausendste E-Mail zum Thema «Gentechnisch veredelter Mensch» eingetroffen – selbst für dieses stark frequentierte Diskussionsforum ein einsamer Spitzenwert. Was war passiert? Ein Physiker hatte lediglich seine private Meinung zum genetischen Umbau von Homo sapiens geäußert. Da es sich hier aber um den Autor von Eine kurze Geschichte der Zeit handelte, des wahrscheinlich erfolgreichsten Sachbuchs des 20. Jahrhunderts, geriet diese während eines Interviews eher beiläufig formulierte Meinung über die Chancen der Gentechnik zu einem weltweiten Medienereignis.

Ausgelöst hatte die Aufregung Stephen W. Hawking, Professor für theoretische Physik und Inhaber des Lukasischen Lehrstuhls an der Universität von Cambridge in England. In dem Exklusivinterview zur Veröffentlichung seines neuen Buches in Deutschland sprach er Anfang September 2001 auch über den Aggressionsinstinkt des Menschen, dessen ungebrochener Einfluss auf das Handeln von Individuen und Nationen angesichts des angehäuften Atomwaffenpotenzials nicht gerade von der überlegenen Intelligenz unserer Spezies zeuge. Da die natürliche Auslese zu langsam arbeite, um den anachronistischen Aggressionstrieb zu eliminieren, sei es unausweichlich – so Hawking –, das Erbgut gezielt gentechnisch zu verändern. Doch selbst ein solcher Eingriff dauere noch zu lange, um Wirkung zu zeigen, da in Kürze elektronische Systeme die menschliche Intelligenz überflügeln und die Macht an sich reißen könnten. Um dieser Gefahr zu entgehen, müssten wir also schnellstens Techniken entwickeln, die eine direkte Verbindung zwischen Gehirn und Computer ermöglichen, sodass die Kunsthirne zur menschlichen Intelligenz beitragen, statt sich gegen uns zu stellen. (Foc)

Während in dem Internetforum die Fetzen zwischen Befürwortern und Gegnern einer genetischen Veredelungstechnik flogen, gab es die ersten druckfrischen Exemplare des neuen Buches Das Universum in der Nussschale. Dort stellte Hawking klar: Natürlich wird die Veredelung einiger Menschen zu großen sozialen und politischen Problemen hinsichtlich der nichtveredelten Menschen führen. Ich habe nicht die Absicht, die gentechnische Veränderung des Menschen als eine erstrebenswerte Entwicklung zu preisen, sondern möchte nur feststellen, dass sie stattfinden wird, ob wir wollen oder nicht. (Nus: 173)

Für einen Wissenschaftler, der bereits als Gast in einer «Star Trek»-Episode mit Isaac Newton, Albert Einstein und Commander Data auf dem Holo-Deck des Raumschiffs «Enterprise» pokern durfte und der die Tücken von Zeitreisen durch Wurmlöcher hindurch beschrieb, mögen solche Sätze nichts Besonderes an sich haben. Wer sich über den Anfang und die Zukunft des Universums oder die Kolonialisierung des Weltalls Gedanken macht, hat sich eben auch längst mit den langfristigen Auswirkungen der sich abzeichnenden gentechnischen Fortschritte vertraut gemacht und eine pragmatische Haltung dazu eingenommen.

Aber die Weltöffentlichkeit horcht auf. Wer ist dieser Mann, dessen öffentliche Äußerungen wie Orakelverkündungen gehandelt, von beflissenen Hofberichterstattern rund um den Globus geschickt, von konstruktiven Kritikern zurechtgerückt und von manchen Kollegen gnadenlos verrissen werden? Wie begegnet man einem zeitgenössischen Physiker, der beinahe schon den Status eines Popstars erreicht hat? Wo zwischen unverhohlener Missgunst (NZZ) und maßloser Verehrung als «Master of the Universe» (MaU) muss man Stephen Hawking ansiedeln? Wie könnte man seinen historischen Rang angemessen definieren?

Gelähmt und gefangen in einem durch Muskelschwund ausgezehrten Körper, sitzt Stephen Hawking als Opfer der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), aber bei vollem Bewusstsein und im Besitz ungetrübter kognitiver Fähigkeiten in seinem elektrischen Rollstuhl und kann nur zwei Finger der linken Hand bewegen. Seine Gesichtsmuskulatur lässt noch die minimale Anspannung der Augen und des Mundes zu und bewahrt ihn dadurch vor der völligen kommunikativen Erstarrung. So ist sein zur Seite hängender Kopf mit dem breiten Lächeln zu seinem Markenzeichen geworden. Eine Narbe am Hals zeugt von einem Luftröhrenschnitt, der ihn mitten in der Arbeit zu Eine kurze Geschichte der Zeit vor den tödlichen Folgen einer Lungenentzündung bewahrte, ihm jedoch für immer die Stimme raubte. Der an seinem Rollstuhl befestigte Monitor ist die Schnittstelle zu einem Text- und Sprachgenerator, mit dessen Hilfe er Gespräche führt, seine Gedanken zur Veredelung des Menschen formuliert oder Artikel und Bücher über sein eigentliches Forschungsgebiet schreibt: über Schwarze Löcher und den Beginn der Zeit. Stephen Hawking war der erste Physiker, der sich fragte, ob es möglich sei, mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins die Entstehung der Zeit zu ergründen. Ist sie ein stetig fließender, von Planeten und Galaxien ungestört durchs Universum rauschender Strom? Hat sie ein Ziel? Wird sie ewig dauern? Kann mit der Forschung über den Beginn der Zeit womöglich auch der Anfang und das Warum des Universums mathematisch geklärt werden?

 

Wann genau die Wehen einsetzten, ist nicht überliefert, aber um Punkt 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit wurde sie entbunden. Es war der 22. Oktober. Ein Samstag im Jahre 4004 vor Christus: als Gott die Welt gebar. Dieses erstaunlich präzise Datum haben wir dem irischen Bischof James Ussher zu verdanken, einem der großen Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts. Zwanzig Jahre seines Lebens widmete er der Forschung nach dem Alter der Erde, trieb unter abenteuerlichen Umständen im Vorderen Orient alte Bibeln auf, stieß auf neue Namen und Daten, addierte die Lebensspannen der biblischen Patriarchen, die als Nachkommen Adams galten. Und – siehe da – der Aufwand hatte sich gelohnt, denn das Ergebnis seiner Berechnungen fand Eingang in die offizielle Bibel der anglikanischen Kirche.

Entgegen der weit verbreiteten urreligiösen Auffassung, das Universum existiere seit ewigen Zeiten, vertrat die jüdische Religion den Standpunkt, Gott habe die Welt erschaffen und mit seiner Schöpfung auch einen Anfang der Zeit festgelegt. Diese Idee wurde vom Christentum übernommen und von dem berühmten Kirchenlehrer Augustinus im 5. Jahrhundert zum Dogma erhoben. Daraus ergab sich zwingend: Vor Adam und Eva konnte es keine Zeit gegeben haben. Seitdem aber floss sie unaufhaltsam auf den Jüngsten Tag zu, Gottes Gericht entgegen. Und es gab eine ganze Reihe kluger Menschen vor Bischof Ussher, die ehrgeizig genug waren, den Schöpfungstag der Erde – und damit gleichzeitig den Anfang des Universums – auf der Grundlage biblischer Daten zu berechnen. Dass sie dabei zu unterschiedlichen Resultaten kamen (Luther: 4000 v. Chr.; Kepler: 3992 v. Chr.), lag zum Teil an den unterschiedlichen Zahlen der hebräischen und griechischen Bibelversionen.

Isaac Newton, herausragende Gestalt in der Physik der Moderne und einer der Vorgänger Hawkings auf dem Lukasischen Lehrstuhl in Cambridge, veröffentlichte 1687 seine «Principia», fast genau 300 Jahre vor Eine kurze Geschichte der Zeit. Darin postulierte er eine absolute Gleichmäßigkeit der Zeit, die sich, unbeeinflusst durch die Ereignisse im Raum, auf ewig in Vergangenheit und Zukunft ausdehne. Was hätte wohl Augustinus zu diesem Konzept gesagt, dem zufolge sein Gott schon eine halbe Ewigkeit vor dem Schöpfungsakt untätig herumgesessen und auch die andere Hälfte zur freien Verfügung gehabt hätte, mal abgesehen von der kurzen Ablenkung, irgendwo auf der Strecke in Richtung zukünftiger Ewigkeit einer Verhandlung des Jüngsten Gerichts vorzusitzen?

Ungeachtet der weltanschaulichen Differenzen über den Ursprung der Zeit waren die Menschen immer schon bestrebt, sie zu messen, zum Beispiel indem sie damit anfingen, die Spanne zwischen Frühstück und Mittagessen anhand der Länge ihres Körperschattens zu bestimmen.

Während unsere Vorfahren in den Wäldern Germaniens die schweißtreibende Variante wählten und riesige Findlinge auf die spärlichen Lichtungen wälzten, um damit den Lauf der Sonne zu markieren, waren transmediterrane Tüftler in einer verlässlich sonnigen Umgebung vermutlich eher geneigt, die Beobachtungsdaten der Schattenlängen zu systematisieren und Sonnenuhren zu konstruieren, die weniger gravitätisch waren als im Norden. Diese schicken Hightech-Instrumente avancierten im Römischen Reich um Christi Geburt herum zu begehrten Prestige- und Lifestyleobjekten. Die ungezählten Versuche und Fehlschläge, zuverlässigere Zeitmessgeräte herzustellen, führten von einem ungemein erfolgreichen, mit Löchern versehenen Eimer, der vornehm Wasseruhr genannt wurde, über die Festlegung der richtigen Winkel für konische Sanduhrgläser und temperaturkompensierte Unruhfedern schließlich bis zum Bau einer Cäsiumatomuhr. Es dauerte also gut 2000 Jahre, bis das wetterabhängige Schattenspiel der Sonnenuhr von der Präzision eines kontrolliert zerfallenden Radionuklids abgelöst wurde. Die 1967 unter Aufbietung eines maliziös in zwei Häppchen tranchierten Fünffachgenitivs grandios gescheiterte Definition der wichtigsten Zeiteinheit lautet: «Die Sekunde ist das 9192631770-fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung.» ( 2) Anders und etwas verständlicher gesagt: Ein Cäsiumatom schwingt innerhalb einer Sekunde mehr als 9 Milliarden Mal zwischen zwei möglichen Energiezuständen hin und her. Und da dieser Takt so zuverlässig messbar ist wie nichts anderes auf der Welt, wurde er ausgewählt, um die Dauer einer Sekunde zu repräsentieren.

Die parallel zu dieser Entwicklung verlaufende Suche nach einem natürlichen Chronometer, das das wahre Alter der Materie und damit womöglich auch den Beginn der Zeit erschließen konnte, führte während der Aufklärung dazu, dass die Autorität heiliger Texte in Frage gestellt wurde. Mit wissenschaftlicher Methodik wurden nun Erkenntnisse über die Natur gesammelt. Und schon bald wurde deutlich, dass die geologischen Zeitalter viel größer sein mussten, als Bischof Usshers Berechnungen je zugelassen hätten.

Als Henri Becquerel an der Schwelle zum 20. Jahrhundert die radioaktive Strahlung des Urans entdeckte, schätzte Lord Kelvin das Alter der Erde auf mittlerweile immerhin 20 bis 400 Millionen Jahre. Marie und Pierre Curie wühlten ohne Schutzvorrichtungen mit bloßen Händen in Pechblendenrückständen, extrahierten und purifizierten ihre «substantia nigra» vier Jahre lang, bis sie ein neues Element gefunden hatten, das sie Radium nannten und bedenkenlos mit der Post verschickten. An manchen Abenden betraten sie staunend ihr dunkles Labor und sahen ein schwaches magisches Leuchten an Flaschen, Schalen und Bottichen. Die Radioaktivität des Radiums war die Quelle der Leuchtkraft und wohl auch die Ursache der aplastischen Anämie, an der Marie Curie starb. «Noch hundert Jahre später gelten Marie Curies Labornotizbücher als so gefährlich, dass sie in bleiverkleideten Kisten aufbewahrt werden.» (Sac: 324)

Schließlich war es der in Cambridge arbeitende neuseeländische Physiker Ernest Rutherford, der 1905 ein Verfahren entwickelte, um mit Hilfe der Radioaktivität das genaue Alter von Gesteinen zu bestimmen. Hier war es endlich: das jahrhundertelang gesuchte natürliche Chronometer zur präzisen Erforschung des Erdgeburtstags. Gefunden in dem Jahr, in welchem Albert Einstein Newtons absolute Zeit anzweifelte und seine gewöhnungsbedürftigen Gedanken über relative Bewegungen und unterschiedlich tickende Uhren in einer vierdimensionalen Raumzeit zu Papier brachte.

Schon bei den ersten groben Versuchen mit seiner radiometrischen Datierungsmethode konnte Rutherford das Alter eines norwegischen Steins auf 40 Millionen Jahre bestimmen. Vor dem Hintergrund dieser Entdeckungen ist es umso erstaunlicher, dass der 22. Oktober 4004 vor Christus als Geburtstag der Erde noch in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in akademischen Kreisen ernsthaft diskutiert wurde. Noch musste fast ein halbes Jahrhundert vergehen, bis Rutherfords Idee so verfeinert war, dass dem Geochemiker Clair Patterson 1953 die historische Bestimmung des Erdalters durch die Messung des Uranzerfalls in einem Stein gelingen konnte. Allein die Entwicklung geeigneter Labortechniken und ausreichend sauberer Umstände für diesen entscheidenden Messvorgang hatte volle zwei Jahre Arbeit in Anspruch genommen. Dann aber stand das Ergebnis fest, das bis heute gültig ist: Die Erde ist 4,5 Milliarden Jahre alt. (MEt: 259–261)

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Knabenregiment

Die Zeit ist ein Knabe, der spielt, hin und her die Brettsteine setzt: Knabenregiment!

Heraklit

Zwischen August 1940 und dem Frühjahr 1941 flog die deutsche Luftwaffe schwere Angriffe auf Südengland und London, um die Lufthoheit für die geplante Invasion Englands zu gewinnen. Wer in diesen Schreckensmonaten in der Hauptstadt wohnte, konnte sich nicht mehr sicher fühlen. Auch Isobel Hawking hatte im Vorort Highgate Bekanntschaft mit der Zerstörungskraft der fliegenden Bomben gemacht, denn einmal explodierte eine in der Nähe des Hauses, in dem sie mit ihrem Mann Frank wohnte. Die Fenster zersprangen, und die Glassplitter steckten wie Dolchspitzen in der gegenüberliegenden Wand. (SHW: 15) Zwar fielen während ihrer Schwangerschaft keine Bomben mehr, doch für sie und Frank stand fest, dass ihr erstes Kind im sicheren Oxford zur Welt kommen sollte. Denn es gab eine Absprache zwischen den kriegführenden Nationen, dass Oxford und Cambridge die Zerstörung erspart blieb, wenn die Royal Air Force im Gegenzug Göttingen und Heidelberg verschonte.

Isobel war mit ihren sechs Geschwistern in Glasgow aufgewachsen. Ihr Vater war Arzt und muss sehr fortschrittlich eingestellt gewesen sein, weil er seiner Tochter nicht ohne finanzielle Opfer ein Studium in Oxford ermöglichte. Denn in den 1930er Jahren waren Frauen an Universitäten noch längst keine Selbstverständlichkeit. Isobels Studienfächer waren Philosophie, Politik und Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Studium arbeitete sie in Berufen, die ihr keinen Spaß machten, auch als Finanzbeamtin hielt sie es nur wenige Monate aus. Schließlich entschied sie sich dafür, als Sekretärin in einem medizinischen Forschungsinstitut zu arbeiten, auch wenn dies kaum ein Traumjob für eine Oxford-Absolventin sein konnte.

Wenn Isobels Familie schon nicht als wohlhabend galt, so wurde Stephens Vater Frank durch den materiellen Mangel in seinem Elternhaus in Yorkshire entscheidend geprägt. Es hieß, dass seine Eltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts bankrottgegangen waren; indessen reichten die Einnahmen offenbar aus, um Franks Studiengebühren zu bezahlen. Auch er ging nach Oxford, wie Jahre später seine zukünftige Frau. Frank studierte Medizin und spezialisierte sich auf Tropenkrankheiten. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hielt er sich zu Forschungsarbeiten in Ostafrika auf und meldete sich als Freiwilliger zum Militärdienst. Die englischen Behörden aber schätzten seine Erfahrungen und Talente als Tropenmediziner höher ein und schickten ihn in das Forschungsinstitut, wo Isobel Briefe schrieb und Akten ordnete. (Bio: 15–17)

Eine Woche vor Stephens Geburt reiste Isobel Hawking allein nach Oxford. Sie verkürzte sich die Wartezeit im Krankenhaus mit der Lektüre eines astronomischen Atlasses, was viele Jahre später angesichts der Karriere ihres Sprösslings von einer ihrer Schwägerinnen als sich selbst erfüllende Prophezeiung interpretiert wurde.

Der 8. Januar 1942 ist nicht nur Stephen Hawkings Geburtstag, sondern auch der 300. Todestag Galileo Galileis. Dass Hawking diese Synchronizität später erwähnenswert fand, nährte die Vermutung von Kritikern, er sehe in dem Zu(sammen)fall der beiden Ereignisse eine sinnvolle Koinzidenz und betrachte sich selbst als Nachfolger des bedeutenden Wissenschaftlers. Diese Koketterie wurde ihm oft als Hybris ausgelegt. Auf seine Anhänger übt die Anekdote über die Koinzidenz von Geburts- und Todestag zweier großer Wissenschaftler eine gewisse Faszination aus, die zur Mythenbildung beiträgt. Wer sich hier amüsiert, liegt sicher richtig, wer aber an Schicksal und Vorbestimmung glaubt oder Hawking dergleichen unterstellt, ist selbst dafür verantwortlich. Vier Jahre nach der Veröffentlichung von Eine kurze Geschichte der Zeit kommentiert er selbst: Ich schätze aber, dass noch ungefähr zweihunderttausend andere Kinder an diesem Tag geboren worden sind. Ich weiß nicht, ob sich eines von ihnen später für Astronomie interessierte. (SHW: 16)

 

Der kleine Stephen wuchs bis 1950 in einem Haus viktorianischen Stils auf, das seine Eltern während des Krieges im Londoner Akademikerviertel Highgate zu einem Schnäppchenpreis erworben hatten. Denn als die deutschen V2-Raketen ihre todverheißenden Parabeln am Himmel zwischen Usedom und London zogen, sanken die Immobilienpreise in London ins Bodenlose. Im zarten Alter von zweieinhalb Jahren sollte Stephen in einem Privatkindergarten seine ersten näheren Erfahrungen mit fremden Kindern sammeln, da seine gebildeten Eltern aus Büchern gelernt hatten, dass dies der rechte Zeitpunkt für soziale Kontakte sei. Doch der «Wizard Of Space» in spe brüllte am ersten Tag aus Leibeskräften, sodass Frank und Isobel ihn erst eineinhalb Jahre später wieder dort hinzuschicken wagten.

In der privaten Byron House School wurden andere Akzente gesetzt als in einer staatlichen Grundschule. Doch Stephen Hawking konnte von den als fortschrittlich geltenden Lernkonzepten offenbar nicht profitieren: Ich weiß noch, dass ich mich bei meinen Eltern beklagte, man bringe mir dort nichts bei. Die Lehrer dieser Schule glaubten nicht an die damals üblichen Methoden, Kindern den Stoff einzutrichtern. Stattdessen sollten sie lesen lernen, ohne zu merken, dass es ihnen beigebracht wurde. Schließlich lernte ich doch lesen, aber erst, als ich bereits mein achtes Lebensjahr erreicht hatte. (EiT: 13)

 

Trotzdem galt er bei Familienmitgliedern als außerordentlich mitteilungsfreudig und phantasievoll. Er erzählte gerne, und wenn manchmal die Begeisterung mit ihm durchging und seine Worte mit den Gedanken nicht mehr Schritt halten konnten, geriet er ins Stottern. Freunden der Familie waren Sprachstörungen vertraut, denn Stephens Vater Frank lispelte auffällig. Die wohlwollende Interpretation dieser Eigenarten lief darauf hinaus, dass man sie als Tribut der Sprache an die übermächtige Intelligenz von Vater und Sohn betrachtete. Andere wiederum amüsierten sich wenig respektvoll über das «Hawkinesisch» der beiden. (Bio: 19)

Die Geburt der eineinhalb Jahre jüngeren Schwester Mary stürzte Stephen anscheinend in beträchtliche primärnarzisstische Irritationen, ein Schicksal der Erstgeborenen. Die Spannungen zwischen Stephen und Mary setzten sich die ganze Kindheit hindurch fort. Erst im Erwachsenenalter besserte sich das Verhältnis zwischen den Geschwistern. Wesentlich freundlicher nahm Stephen im Alter von fünf Jahren die Geburt seiner zweiten Schwester Philippa auf. Mit ihr verstand er sich auf Anhieb blendend und hielt sie für klüger als sich selbst. Philippa galt als die Künstlerin unter den Geschwistern, während die beiden Älteren eher die naturwissenschaftlich Interessierten waren. Der adoptierte Edward wurde als Kleinkind in die Familie aufgenommen, als Stephen schon vierzehn war, sodass er in dessen Kindheit keine Rolle spielte. Er wurde später Bauunternehmer, während Mary, sehr zur Freude ihres Vaters, Medizin studierte und Ärztin wurde.

 

Frank Hawking war nach dem Krieg Leiter der Abteilung für Parasitologie am National Institute of Medical Research geworden. 1950 wurde das Forschungsinstitut in einem Neubau in Mill Hill untergebracht, einem Außenbezirk Londons. Da bot es sich an, in die Nähe zu ziehen. Deshalb kauften sich die Hawkings ein weiträumiges Haus in der Kleinstadt St. Albans. Auch für Stephen hatte dieser Umzug Vorteile. So war er seiner Lieblingscousine Sarah näher gekommen, die er nun häufiger im Nachbarort Harpenden besuchen konnte. Ihre Mutter war die Ärztin Janet Humphrey, Isobels Schwester.

Die Hawkings galten in dem kleinbürgerlichen Nest als exzentrisch. Für Stephens Schulkameraden eröffnete sich eine fremde Welt, wenn sie die satten Klänge von Wagneropern durchs Haus wabern hörten oder ein Familienmitglied beim Abendessen in ein Buch vertieft sahen. Auch Vater Franks eiserner Wille zur Sparsamkeit, der ihn dazu brachte, mit möglichst geringem Materialaufwand das stets renovierungsbedürftige Haus in Schuss zu halten, mochte zu diesem Eindruck beigetragen haben. Da mussten schon mal halbmorsche Latten genügen, um den wackligen Zaun zu stabilisieren. Eine Zentralheizung konnte man sich nicht leisten, ein neues Auto erst recht nicht, und über das billig erstandene Londoner Vorkriegstaxi, das in einer mit Stephens Hilfe selbst gezimmerten Wellblechgarage stand, tuschelten die Nachbarn hinter vorgehaltener Hand. (EiT: 18)

Die Arbeit an tropenmedizinischen Forschungsprojekten führte Frank Hawking regelmäßig jeden Winter für drei Monate nach Afrika, was in Schwester Mary den Eindruck hinterließ, «Väter seien wie Zugvögel. Zu Weihnachten waren sie da, und dann verschwanden sie, bis es wärmer wurde.» (SHW: 27) Die Abwesenheit des Vaters wurde von den Kindern als selbstverständlich hingenommen, sodass sie eher geneigt waren, die winterliche Präsenz von Vätern in anderen Familien für eine Abweichung von der gesellschaftlichen Norm zu halten.

Als die Entscheidung näher rückte, welche weiterführende Schule der älteste Sohn besuchen sollte, kam für Frank Hawking nur eine Privatschule in Frage. Ohne Mühe bestand Stephen die Aufnahmeprüfung für die St. Albans School. Doch fiel er dort zunächst keineswegs durch überdurchschnittliche Leistungen auf. Mutter Isobel machte sich sogar Sorgen, weil er anfangs auf einem der letzten Ränge seines Jahrgangs festklebte. Seine Intelligenz schien normal entwickelt zu sein, doch sein Ehrgeiz ließ offenbar sehr zu wünschen übrig. Wegen seiner miserablen Handschrift musste er regelmäßig ein Schönschreibheft führen. Ein ehemaliger Mitschüler erinnert sich (SHW: 35f.), dass Stephen zu denen gehörte, die unter der Dusche gepiesackt und als Letzte in die Fußballmannschaften gewählt wurden, was ihm aber nicht viel auszumachen schien, da er sich stets als Kumpel erwies, der sich auch so zu amüsieren wusste. Seine Zukunftsaussichten wurden kontrovers diskutiert. Zwei seiner Freunde schlossen eine Wette um eine Tüte Bonbons ab, dass nie etwas aus ihm werden würde. Hawkings Kommentar, kurz nach der Veröffentlichung von Eine kurze Geschichte der Zeit: Ich weiß nicht, ob diese Wette je entschieden wurde, und wenn, wer sie gewonnen hat. (EiT: 20)

Doch Frank Hawking wollte höher hinaus und seinem Sohn unter allen Umständen den Besuch einer renommierteren Privatschule ermöglichen. Deshalb hatte er bereits die Westminster School ins Auge gefasst, die zu den besten im Land gehörte. Um allerdings die hohen Schulgebühren aufbringen zu können, brauchte Stephen unbedingt ein Stipendium. Als der Tag der Stipendienprüfung kam, lag er krank im Bett, und das Thema Westminster School hatte sich damit erledigt.

Im Rückblick erwies sich die St. Albans School für die Ansprüche des Vaters und die Zufriedenheit des Sohnes als eine sehr gute Wahl. Im dritten Schuljahr stieß der stets etwas linkisch wirkende Pennäler endlich in den Elitekreis der klügsten Schüler vor und bekam von seinen Kameraden den Spitznamen «Einstein» verpasst. Ein engagierter junger Lehrer namens Finley wusste die pubertierenden Jungen mit Tonbandaufnahmen von Radiosendungen zu begeistern und würzte seine Diskussionskurse mit fortschrittlichen Themen wie nukleare Abrüstung und Geburtenkontrolle.

Stephen hatte inzwischen eine Gruppe von Freunden um sich versammelt, mit denen er sich regelmäßig traf. Man plauderte altklug über Guy de Maupassant, diskutierte über die brandheißen Romane von Aldous Huxley und William Golding und lauschte gemeinsam den Klassikprogrammen der BBC. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, der Rock ’n’ Roll war längst auch in England etabliert, berauschten sie sich an Wiener Klassik. Zwischen gemeinsam erledigten Hausaufgaben und dem Basteln mehr oder weniger aerodynamischer Flugzeugmodelle kreisten die Gespräche um religiöse Fragen und den Sinn des Lebens.

Ein besonderes Faible entwickelte Stephen für Brettspiele. Das handelsübliche Monopolyspiel mit Schwester Mary wurde dem Zwölfjährigen schnell zu langweilig. Um es komplizierter zu machen, zeichnete er neue Linien auf das Brett und erfand zusätzliche Regeln. (SHW: 40) Doch was war ein ödes Monopolybrett im Vergleich zu einem selbst entworfenen Spielfeld auf Karton mit viertausend Quadraten, auf denen man ganze Armeen in den Krieg ziehen lassen konnte! Stephen entwarf immer weiter ausufernde Spiele und stellte hochkomplexe Regeln für ganze Fabriken und die dazugehörigen Aktienmärkte auf. «Dynasty» taufte er ein Ritterspiel, bei dem jeder Spieler eine eigene Dynastie mit Stammbaum repräsentierte. Mary hasste es, weil es nie beendet werden konnte, während Stephen es mit Inbrunst und heiligem Ernst zelebrierte. Manche dieser Spiele, für die er seine besten Freunde begeistern konnte, zogen sich über fünf bis sechs Stunden oder gar über eine ganze Woche hin. Seine eigene Motivation lag in der Herausforderung, die Dinge und Zusammenhänge wirklich zu verstehen.

Den Sportunterricht und die Rugbypflichtspiele am Samstagnachmittag ertrug der klein gewachsene Stephen mit stoischer Geduld, doch die vormilitärische Ausbildung, die in fast allen englischen Privatschulen auf dem Lehrplan stand, hasste er. Wer sich indessen weigerte, bei Eis und Schnee, Regen und Hitze uniformiert am Boden zu robben und auf dem Exerzierplatz den Befehlston hochmotivierter Mitschüler zu ertragen, wurde dazu gezwungen, durch schwere körperliche Arbeit die Vorliebe des Direktors für das klassische Altertum zu befriedigen und am Bau eines griechischen Theaters auf dem Schulgelände mitzuwirken. Stephen entschied sich gegen Spitzhacke und Schaufel und trat als «Gefreiter» bei den Fernmeldern an, wo sich seit jeher die sportlichen Versager und die Cracks in den naturwissenschaftlichen Fächern versammelten.