Sterben für Anfänger oder Assassinen weinen nicht - Sandra Busch - E-Book

Sterben für Anfänger oder Assassinen weinen nicht E-Book

Sandra Busch

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Beschreibung

In einem fernen, fernen Morgenland, also quasi im Osten … Iskal ist der Sohn wohlhabender Tuchhändler. Trotzdem hat er sein Leben satt, denn es ist schlichtweg gesagt fad. Majid hat seine Ausbildung zum Assassinen mit Bravour abgeschlossen und vermasselt trotzdem seinen ersten Auftrag. Ausgerechnet die beiden stolpern über ein Komplott gegen den Sultan. Natürlich gebietet es ihnen die Ehre, den Herrscher des Morgenlandes zu retten. Ein Buch mit hoher Sterberate, Klamauk, übernatürlicher Bürokratie und anderem Unsinn. Ca. 55.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ca. 270 Seiten.

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In einem fernen, fernen Morgenland, also quasi im Osten …

 

Iskal ist der Sohn wohlhabender Tuchhändler. Trotzdem hat er sein Leben satt, denn es ist schlichtweg gesagt fad.

Majid hat seine Ausbildung zum Assassinen mit Bravour abgeschlossen und vermasselt trotzdem seinen ersten Auftrag.

Ausgerechnet die beiden stolpern über ein Komplott gegen den Sultan. Natürlich gebietet es ihnen die Ehre, den Herrscher des Morgenlandes zu retten.

 

Ein Buch mit hoher Sterberate, Klamauk, übernatürlicher Bürokratie und anderem Unsinn.

 

 

von

Sandra Busch und Sandra Gernt

 

 

Danksagung

 

Unser würdevoller Dank gilt Brigitte für ihre Korrekturen und Anmerkungen sowie Serena für ihren göttlichen Gastauftritt im „Fröhlichen Milchmann“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Kapitel 1: In dem nichts so läuft, wie es soll

Kapitel 2: Zuckerorangen und Holzpantinen

Kapitel 3: Wo ein Ifrit kegelt

Kapitel 4: Couscous mit Flugsicherheit

Kapitel 5: Orakelnde Orakel

Kapitel 6: Streitereien unter Feinden

Kapitel 7: Im Zweifelsfall: mehr Öl

Kapitel 8: Wenn bei Bahrad die rote Sonne im Sand versinkt …

Kapitel 9: Heut‘ geht es rund

Kapitel 10: Prädestinierter Vollpfosten

Kapitel 11: Ungeheuerliches Abu Simpel

Kapitel 12: Showdown im Vier-Viertel-Takt

Epilog: Denn alles geht vorbei …

 

 

 

 

 

 

 

In dem nichts läuft, wie es soll

 

Völlig ahnungslos, dass seine Lebensuhr ablief, bewegte sich Iskal ben Wenge durch seine Räumlichkeiten, trank erst an einem Tisch mit zierlich gedrechselten Beinen einen Schlummertrunk und lehnte sich danach für eine kleine Weile ans offene Fenster, um die Sterne am Himmel zu betrachten. Er trug ein Schlafgewand aus feinstem Leinen, ein so zartgewebtes Tuch, dass das Kerzenlicht seinen schlanken Körper hindurchschimmern ließ. Das Gewand war strahlend weiß gebleicht worden und ein lindgrünes Seidenband hielt die Hose mit den weit geschnittenen Beinen über den Hüften. Im selben Lindgrün waren der Halsausschnitt des Oberteils und die Säume aufwändig mit zahlreichen winzigen Blümchen und Ranken bestickt worden. Zu den turmalingrünen Augen passendes dunkelbraunes Haar fiel Iskal auf die Schultern, tagsüber fasste er es im Nacken mit einem Band zusammen. Der junge Mann war recht ansehnlich und eigentlich mit zwanzig Jahren viel zu jung, um zu sterben. Doch den Zeitpunkt seines Todes bestimmte nicht Iskal, sondern andere.

Offenbar entschied sich der junge Mann, dass er genügend Zeit mit Sternengucken verbracht hatte, denn er gähnte, streckte sich, schloss die Fensterläden und wanderte auf nackten Sohlen zum breiten Bett. Ein wahrer Wust aus bunten Schleiern dekorierte die gemütliche Lagerstatt und umschloss sie von drei Seiten. Leise vor sich hinmurmelnd kroch er unter die Seidendecken und zwischen unzählige Kissen. Die dicken Kerzen in ihren eisernen Haltern ließ er brennen, eine Verschwendung, über die Majid in seinem Versteck nur mit dem Kopf schütteln konnte.

„…bitte ich dich inständig, allmächtiger Ru, mir angenehme Träume zu schenken, damit ich morgen erholt erwache …“

Ah! Iskal betete zum Gott der Nacht. Der kicherte gewiss in sich hinein, weil es für Iskal keinen Morgen mehr geben würde.

Majid grinste und wartete eine Weile ab, bis er sicher war, dass er seinen Auftrag ungestört durchführen konnte. Vor der Tür von Iskals Gemächern war es bereits länger still und auch vom Garten her drangen keine Geräusche zu ihm hinauf. Regelmäßige Atemzüge deuteten darauf hin, dass Iskal schon halb am Schlafen war. Majid zog eines der Messer, die er bei sich führte, und schlich lautlos durch das Gemach. Der mehrlagige Schleierstoff verhinderte, dass Iskal ihn bemerkte, falls er doch noch wach sein sollte. Es war leicht. Beinahe zu leicht. Majid hörte bereits den prallen Beutel mit den Goldstücken an seinem Gürtel klimpern, den er für diesen Auftrag erhalten würde. Lediglich einen Finger als Nachweis seiner Vertragserfüllung musste er seinem Arbeitgeber vorlegen. Vielleicht sollte er dem Mann einen Preisnachlass gewähren. Wobei er die Hälfte seines Lohns der Gilde übergeben musste, die ihn zusammen mit anderen Waisen aufgezogen und zwanzig Jahre lang zum vollkommenen Assassinen ausgebildet hatte. Er lebte, um zu dienen, zu gehorchen und das Werk der Totengötter zu verrichten.

Leise schlich er sich an das Bett heran und brachte die scharfe Klinge in Position, um sie möglichst effektiv über den Hals seines Opfers ziehen zu können. Wenn er tief genug schnitt, würde Iskal ohne einen Laut sterben. Der perfekte Mord, blutig und in aller Stille. Majid zögerte und betrachtete das ebenmäßige Gesicht vor sich. Was für eine Verschwendung! Diese blassroten Lippen waren viel eher zum Küssen gemacht, als dass ein letzter Atemhauch über sie strömen sollte. Still empfahl er sein Opfer dem Gott der Assassinen, Sade, dem Herrn der Ewigen Schatten. Gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Sadia, der Totengöttin, herrschte er über das Reich des Jenseitigen.

Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Iskal ihn ansah. Angesichts einer tödlichen Klinge über seinem ungeschützten Hals lag er viel zu ruhig und entspannt da. Verblüfft blinzelte Majid. Sollte der Kleine jetzt nicht schreien? Um Hilfe rufen und das ganze Haus zusammenbrüllen? Oder wenigstens um sein Leben betteln?

Stattdessen wisperte Iskal: „Endlich.“

„Hä?“

„Ich habe schon lange auf dich gewartet.“

Tatsächlich? Und wie lange war lang? Er hatte den Auftrag erst am frühen Vormittag angenommen.

„Wie meinen?“, fragte Majid irritiert.

„Wirst du mich schänden?“, fragte Iskal im Flüsterton und starrte ihm auf den Schritt. Majid folgte dem Blick und tatsächlich bildete der feste Stoff seiner Tuchhose ein deutliches Zelt. Sein Opfer ließ ihn irgendwie nicht kalt. Trotzdem schüttelte er empört den Kopf. Verwechselte Iskal ihn etwa mit einem Liebesdiener?

„Ich bin nicht für Liebesspiele gekommen, sondern gehöre der Schwarzen Gilde an. Mein Name ist Majid, ich bin dein Assassine heute Nacht.“

„Ich weiß, dass du ein Schwarzarbeiter bist. Es hätte ja sein können, dass du mich vorher schänden willst. Also schön, dann ermorde mich bitte.“ Iskal breitete wie bei einer Kreuzigung die Arme aus.

Verblüfft zog Majid die Hand mit dem Messer ein Stückchen zurück. „Du willst, dass ich dich töte?“

„Na klar. Das Leben ist trostlos. Was soll ich damit?“

Kurz schaute sich Majid in dem Gemach um. Feinste Teppiche, kostbarstes Mobiliar, kunstvoller Zierrat. Ein Leben im Luxus. Stünde er am Deckenlager eines pestgebeutelten Trinkers unter einer der Stadtbrücken, hätte er das Trostlos begriffen.

„Trostlos“, wiederholte er matt.

„Genau. Fängst du jetzt an?“

„Du bist sicherlich das erste Opfer in der Geschichte der Menschheit, das quengelt, weil es endlich ermordet werden will.“

Iskal grinste verschmitzt. „Das ist neu für dich, nicht wahr? Du solltest dich freuen, dass ich es dir so einfach mache.“

Damit traf er Majids Assassinenstolz. „Ich will es gar nicht einfach.“

„Ich könnte mich zum Schein ja wehren. Leise natürlich, damit uns niemand hört und dich an deiner Aufgabe hindert.“

Majid schnaubte beleidigt. „Ich bin ein ernsthafter Assassine. Ich lasse mich gewiss nicht auf alberne Scheingefechte ein. Was soll das bringen?“

Iskal zuckte mit den Schultern. „War ja nur ein Angebot, damit du dich besser fühlst. Ein gutes Arbeitsklima steigert ja bekanntlich die Produktivität.“

Eine Weile musterten sie sich gegenseitig.

„Weißt du eigentlich, dass du sämtliche Klischees für einen Assassinen erfüllst?“, fragte Iskal schließlich.

„Ach ja?“

„Schwarze Kleidung, ein Haufen Stahl am Körper, finstere Miene, schwarzes Haar … Du bist recht attraktiv. Willst du mich nicht doch vorher schänden?“

„Ich …“ Majid verlor den Faden. „Halt endlich die Klappe!“, fauchte er. „Wie soll ich dich anständig umbringen, wenn du dauernd plapperst?“

„Entschuldigung.“ Iskal klappte auf eine übertriebene Art den Mund zu und bot sich erneut zum Abschlachten an, indem er sich halb aufrichtete, sein Hemd in die Höhe schob und ihm die nackte Brust für einen Stich ins Herz präsentierte.

Ich werd‘ noch wahnsinnig, dachte er. Sade, warum geschieht das mir?

„Iskal ist ein beschissener Name“, sagte er, weil ihm gerade nichts Besseres einfiel.

Sein Opfer ließ das Hemd langsam sinken und wirkte enttäuscht, dass es noch nicht tot war.

„Ist er“, bestätigte Iskal. „Mein Vater wollte ein Mädchen, keinen Sohn. Sie sollte Isa heißen und der Plan bestand darin, Isa mit dem Sohn meines Onkels zu verheiraten, um die Familiengeschäfte fester miteinander zu verknüpfen. Mein Vater hat noch nicht erkannt, dass Tulas ein Idiot ist.“

Majid hatte über die Familie einige notwendige Erkundigungen eingezogen. Iskals Vater Wenge war ein Tuchhändler, der beste Qualität aus aller Herren Länder importierte. Sein Bruder Eulas reiste umher, um Stoffe ausfindig zu machen und die wertvollen Tuchballen in Wenges Hände zu spielen. Iskals Mutter Danay beschäftigte sich überhaupt nicht mit dem Familiengeschäft. Sie hielt sich eine Unzahl von Seidenäffchen, die sie den lieben langen Tag über streichelte und mit Obst fütterte.

„Bist du für eine Ehe mit Tulas nicht viel zu nah mit ihm verwandt?“

Iskal winkte ab. „Über diese Frage zu diskutieren ist müßig, da ich nun mal kein Mädchen geworden bin. In meiner Hose verbirgt sich ein fester Schwanz.“

Bitte nicht erwähnen. Ich baue sonst wieder ein Zelt auf, dachte Majid verzweifelt. Über seine sexuellen Eskapaden wollte er nicht nachdenken, da sie ohnehin nur in seiner Fantasie stattfanden. Und Iskal war unleugbar ein leckerer Happen, den er gerne vernaschen würde. Der verrenkte sich gerade furchtbar den Oberkörper, um näher zu rutschen, ohne den Anschein eines Angriffs erwecken zu wollen. Genauer gesagt, versuchte er seinen Hals in die Nähe von Majids Klinge zu bringen.

„Was treibst du da?“, wollte er ungehalten wissen.

„Ich versuche mir die Kehle an deinem Messer aufzuschlitzen, da du anscheinend nicht in der Lage bist, mich zu töten.“

„Und ob ich dazu in der Lage bin!“, zischte er. „Wieso, in Sades Namen, willst du überhaupt sterben?“

„Hast du Gedächtnisschwund? Weil mein Leben trostlos ist. Öde. Leer. Traurig. Langweilig.“

„Bist du irgendwann einmal hart auf den Kopf gefallen?“

Iskal dachte angestrengt nach. „Nein. Nicht dass ich wüsste.“

„Interessiert es dich nicht wenigstens, wer dich umbringen will?“

„Oh! Nachdem du es erwähnst. Sicher. Wer ist es denn?“ Neugierig setzte sich Iskal richtig auf und schlug die Beine im Schneidersitz übereinander.

„Liksim ben Amur.“

Iskal schürzte die Lippen und runzelte dann die Stirn. „Ach? Ich bin ihm nie begegnet.“

Das war echt nicht zum Aushalten!

„Du kennst den Mann nicht, der dich in die Ewigen Schatten wünscht?“

Grüne Augen blickten ratlos drein.

„Dein Vater hat ihm ein Geschäft vermasselt. Hat ihn spöttisch lächelnd überboten und um ein Jahreseinkommen gebracht“, erklärte Majid. Die Gründe für einen Auftragsmord mussten bei Antragstellung ausführlich angegeben werden, wurden vom zuständigen Gildenmeister geprüft und bei Bewilligung an einen freien Assassinen weitergegeben. Auf diese Weise wollte man vermeiden, dass jemand versehentlich getötet wurde und hinterher ein: „Ach, das war ja gar nicht so gemeint!“ erfolgte. Außerdem musste wenigstens ein gewichtiger Grund wie Neid, Gier, Rache oder Ähnliches vorliegen. Ein Mord aus reiner Langeweile, nur weil man anschließend zu einer Beerdigung gehen konnte, kam zum Beispiel nicht in Frage. Schließlich sollten sich die Assassinen auch nicht überarbeiten.

Iskal zog eine Grimasse. „Offenbar hatte er noch genügend Gold, um dich bezahlen zu können. Wie viel bekommst du für meine Leiche?“

Die Frage brachte das Grinsen in Majids Gesicht zurück. Er beugte sich vor und flüsterte Iskal den Betrag ins Ohr, den er nach Vorlage von Iskals Finger erhalten sollte.

„Nein!“, hauchte der ehrfürchtig. „Für diese Summe würde ich mich selbst umbringen. Und das alles nur, um meinen Vater leiden zu sehen?“

Majid nickte.

„Das Dumme ist nur, mein Vater wird nicht leiden. Der scheint gelegentlich sogar meine Existenz zu vergessen. Vor vier Tagen hat er bei einer gemeinsamen Mahlzeit nach meinem Namen gefragt.“

„Ist nicht wahr! Dabei hat er dir selbst diesen scheußlichen Namen verpasst.“

„Da bekommst du den Eindruck, was mein Tod wirklich wert ist. Dein Auftraggeber, dieser Liksim, gibt einen Haufen Gold für Nichts aus.“

„Darüber musst du dir nicht den Kopf zerbrechen. Du wirst ja tot sein.“

Iskal nickte ernst und rückte ein weiteres Stückchen näher. „Fang ruhig an.“

Sekunden verstrichen grausam langsam, wie zäher Honig, der von einer Bienenwabe tropfte. Schließlich räusperte sich Iskal.

„Verzeih mir bitte die ungehörige Frage, aber hast du das schon einmal gemacht?“

„Ähem ... hust ... Öh ... Nein.“

„Oh!“

„Du bist mein erstes Opfer nach der Ausbildung“, erklärte Majid. „Doch nicht mein erster Toter. Wir werden als Söldner vermietet, ich habe bereits gekämpft. Als Schattenhand für Sade zu dienen ist dennoch etwas anderes, als auf dem Schlachtfeld Mann gegen Mann zu kämpfen, gegen Schwerbewaffnete, die wissen, wie man einen Säbel führt. Also ja. Du bist der Erste, mit dessen Hilfe ich Sades Blutseen fülle.“

Die Augen vor ihm wurden größer. „Welche Ehre“, hauchte Iskal. „Ich bin die Premiere eines Assassinen? Ich bin gerührt.“

„Iskal?“, drang eine Stimme durch die Tür. „Iskal? Ist da jemand bei dir? Ich höre dich doch mit jemanden reden.“

„Beim Fladen eines Kamels! Mein Vater!“

Majid verdrehte gereizt die Augen. Verflucht, er arbeitete hier! Keinen Respekt hatten die Leute, niemand nahm Rücksicht darauf, dass er göttergefälliges Werk zu verrichten hatte!

 

 

 

Mit einem Satz sprang Majid aus dem Stand gleich mehrere Schritt in die Höhe, so mühelos wie normale Menschen, die sich auf einem Sitzmöbel niederlassen wollten. Elegant und anmutig landete er unter der Zimmerdecke, wo er sich im Schatten über der Tür verbarg und am Stuckwerk festhielt. Einen Moment später wurde diese aufgerissen und Iskals Vater kam hereingeschnauft.

Er war ein stattlicher Mann. Alles das, was Iskal selbst nicht sein konnte. Groß, breitschultrig, der prächtige Bart glänzte noch immer in kräftigem Kastanienbraun. Unter seiner Herrschaft stand ein Handelsimperium, er besaß achthundert Kamele, womit er einer der reichsten Männer des Landes war, und versorgte das gesamte Reich mit seinen kostbaren Tüchern. Ein einziger Blick von ihm genügte, und die Diener sprangen voller Ehrfurcht. Er entdeckte jeden Fehler, gleichgültig ob auf den Abrechnungen seiner Handelsgeschäfte oder bei den Stoffballen, wenn es um Webfehler ging.

Genauso hatte er ohne Mühe schon früh erkannt, dass Iskal selbst ein Fehler war. Zu schwach, zu klein, zu bedeutungslos und zu schlichtweg nichts zu gebrauchen. Iskals ältere Brüder standen dem Vater zur Seite, um ihm beim Handelsgeschäft zu helfen. Er hatte diese eine Chance gehabt, nützlich zu sein, und sie mit seiner Geburt bereits verdorben. Man konnte ihn nicht gewinnbringend verheiraten, weil er zu schwach, zu anfällig war. Er konnte nicht durch Tatkraft beweisen, dass er gut für die Familie war. Sie fütterten ihn durch, überhäuften ihn mit Luxus, um ihn still zu halten und warteten geduldig, ob nicht doch eine interessante Heiratsgelegenheit erwuchs. Da es leider dank der Plauderei der Diener kein Geheimnis war, dass er am schönen Geschlecht keine Freude fand, verweigerten viele potentielle Handelspartner Gespräche zu diesem Thema. Ein Schwiegersohn, der keine kräftigen Kinderlein zeugen konnte, war von geringem Wert …

„Mit wem redest du?“, fragte sein Vater, der mittlerweile in jede Ecke des Raumes geblickt hatte. Iskals Gefängnis, in dem er gehalten wurde wie ein Singvogel im Käfig.

„Mit mir selbst. Oder vielmehr, mit den Göttern. Ich habe gebetet“, entgegnete Iskal, was zumindest keine Lüge war. Schließlich hatte er ein Gebet gesprochen, bevor der Assassine aufgetaucht war. Der hielt sein Messer im Anschlag, wie Iskal mit einem flüchtigen Blick bemerkte. Natürlich – er würde im Zweifelsfall auch Iskals Vater töten, wenn dieser ihm bei der Erfüllung des Auftrags im Wege stehen sollte. Das durfte nicht geschehen!

„Ich bin sehr müde, Vater“, sagte Iskal darum und gähnte ausgiebig. „Darf ich schlafen?“

„Gewiss. Hm – du kommst heute Nacht nicht mehr aus dem Raum?“

„Hm? Gute Nacht“, murmelte Iskal und schloss mit dramatischer Entschlossenheit die Lider. Sein Vater brummte etwas und verschwand. Der Assassine blieb weiter an der Decke hängen wie eine leibhaftige Spinne und wartete mehrere Minuten, bevor er lautlos herabsprang und sich ihm wieder näherte.

„Könnten wir jetzt bitte mit dem Mord weitermachen?“, fragte Iskal hoffnungsvoll und zugleich flüsterleise, damit sie nicht noch einmal belauscht werden konnten.

„Noch nicht. Ich muss deinen Vater ausspionieren. Du wartest hier.“

„Bitte was? Er ist doch nicht dein Auftrag, oder? Du sollst gefälligst mich töten!“ Iskal setzte sich alarmiert auf.

„Jajaja. Kommt auch noch. Dein Vater führt etwas im Schilde. Als Assassine ist es nicht bloß meine Aufgabe, Sades Blutseen zu füllen und Auserwählte in die Ewigen Schatten zu führen. Wir müssen Wissen sammeln und weitergeben, damit das Reich im Sinne der Götter geordnet und geführt werden kann.“ Der Hohe Rat der Assassinen saß mit am Beratertisch des Sultans. „Falls es lediglich ein Handelsgeschäft ist, bin ich in einem Moment wieder zurück. Selbst dann, wenn es ein Geschäft der unsauberen Art sein sollte. Das betrifft mich und meine Gilde nicht. Sollte es etwas Bedeutsameres sein, dauert es womöglich einen Moment länger. Aber keine Sorge, du wirst schon noch sterben.“

Der Assassine öffnete die Tür, um wie ein Schatten hinauszuhuschen. Eigentlich wollte Iskal sich zurücklegen, die Augen schließen und darauf hoffen, dass er niemals mehr erwachen würde. Wäre schön, wenn er längst schlummern dürfte, bevor sein Mörder zurückkehrte.

Doch irgendetwas übernahm die Vorherrschaft über seinen Körper und trieb ihn hinaus, hin zur Tür.

„Was soll das?“, zischte der Assassine. „Leg dich wieder ins Bett! Keine Sorge, ich will nur lauschen, dein Vater ist nicht in Gefahr.“

Iskal sah ihn bloß an. Er wusste nicht wieso, er wusste nur, dass er unbedingt dabei sein musste. Denn sein Vater hatte seit mindestens zehn Jahren nachts nicht mehr seinen Raum betreten und tagsüber ebenfalls höchst selten. Es war nicht gelogen gewesen, dass der gute Mann sich kaum an Iskals Namen erinnerte und bei mehr als einer Gelegenheit sein Gesicht nicht erkannt hatte. Für gewöhnlich konnte Iskal in diesem Raum tun und lassen, was er wollte, es kümmerte niemanden. Warum im Namen von Aliya, der Göttin der Weisheit, war er also vorhin hereingekommen? Und hatte sich auffällig dafür interessiert, ob er herauskommen wollte? Der Assassine verdrehte gereizt die Augen, versuchte aber nicht erneut, ihn zurückzuschicken. Vermutlich sah er ein, dass er damit bloß Zeit verschwendete.

Gemeinsam huschten sie durch die dämmerdunklen Gänge des Hauses. Rosafarbener Marmorboden sorgte dafür, dass ihre Schritte nicht zu hören waren. Iskals jedenfalls nicht, da er Seidenpantoffeln trug. Warum man die Stiefel des Assassinen nicht klappern hörte, war wohl ein Berufsgeheimnis. Sehr gut vernehmlich waren dafür Stimmen, die aus einem ungenutzten Gästeraum drangen. Sie befanden sich im Südflügel des Hauses, dessen Zimmer sich geringerer Beliebtheit erfreuten. Gerade im Sommer schien die Sonne gnadenlos den gesamten Nachmittag hindurch hinein und heizte die Räume auf.

„… Simbald erwartet. Habt Ihr das verstanden, Wenge? Auf Euch kommt es an und wir dulden kein Versagen. Ihr werdet weiterhin tun, was wir sagen, oder Euer Sohn kehrt in Einzelteilen zu Euch zurück! Wagt es nicht, Euch Hilfe zu suchen. Ihr werdet die Nachricht überbringen.“

„Aber der Sultan …“ Die Stimme von Iskals Vater klang dünn und ängstlich. Noch nie zuvor hatte Iskal ihn auf diese Weise sprechen gehört. Und was war das mit seinem Bruder Simbald? Der befand sich auf Reisen, wie stets, und erfreute sich bester Gesundheit! Aufgeregt wollte er sich näher an die Tür herandrängen, um besser lauschen zu können. Wer war der Mann, der dort solche absonderlichen Dinge erzählte? Der seinen Vater einzuschüchtern vermochte?

Wie genau es geschah, wusste er nicht. Mit einem Mal stürzte er laut polternd zu Boden und eine Bodenvase, die neben ihm gestanden hatte, ging krachend zu Bruch. Verdutzt saß er da, während der Assassine hauchleise und deutlich entnervt wisperte: „Sade schenke mir Kraft und Geduld!“, bevor er erneut in die Höhe sprang und mit den Schatten verschmolz.

Keinen Moment zu früh: Die Tür wurde aufgerissen, sein Vater kam herausgestürzt.

„Was machst du denn da?“, fauchte er wütend.

„Huups“, murmelte Iskal matt und wrang die Hände in hilfloser Geste. „Ich hatte einen Gecko in meinem Zimmer“, sagte er dann rasch. „Wollte das Biest einfangen, doch irgendwie ist es entkommen. Ich bin ihm hinterher und plötzlich weggerutscht. Es tut mir schrecklich leid um die Vase, Vater. Ein dummes Missgeschick. Ja. Der Gecko ist jetzt auch weg, oder?“

Automatisch blickte sein Vater den Flur auf und ab. Derweil erschienen mehrere Diener, die vom Krach angelockt worden waren.

„Räumt das weg!“, befahl sein Vater ungnädig. „Und haltet Ausschau nach Geckos. Die Viecher werden schon wieder lästig.“ Ohne weitere Erklärungen oder Fragen, etwa ob Iskal sich bei dem Sturz verletzt hatte, verschwand er wieder in dem Raum und schlug die Tür zu.

Iskal humpelte zurück in sein Zimmer, seltsam überfordert mit dem, was gerade geschehen war. Es dauerte einige wenige Minuten, dann erschien auch der Assassine. Er stieg durch das Fenster ein und verschloss sorgfältig den Fensterladen hinter sich.

„Wir müssen uns beeilen“, sagte er und zog diesmal einen schönen, ziselierten Krummdolch aus der Scheide statt des schnöden Messers von vorhin. Das war liebenswürdig, dass er Iskal mit einer solch hübschen Waffe in die Schatten schicken wollte. Sehr rücksichtsvoll. „Deine Ermordung darf nicht länger hinausgezögert werden, ich muss diesem Mann folgen. Da scheint ein Attentat auf den Sultan geplant zu sein! Noch irgendwelche letzten Gebete?“

„Ähm … Es ist mir wahnsinnig unangenehm, aber könnten wir noch einen klitzekleinen Moment darüber diskutieren, was da eben geschehen ist?“, fragte Iskal. „Ganz kurz nur, danach darfst du mich sofort in Sadias liebende Arme stoßen. Nebenbei gefragt, wie heißt du noch mal? Die Aufregung, tut mir leid. Ich habe es schon wieder vergessen. Dabei bin ich sonst richtig gut mit Namen.“

„Majid.“ Der Assassine seufzte einmal mehr entnervt. „Hör zu, es tut mir leid, dass dein Vater offenkundig erpresst wird und dein Bruder als Geisel herhalten muss. Das hat alles nichts mit dir zu tun. Ich bringe dich jetzt schnell um und dann sorge ich dafür, dass diese Attentatspläne vereitelt werden. Es kann nicht jeder einfach wahllos morden wie er möchte! Das bringt Unordnung ins Land und niemandem ist damit geholfen.“

Das klang nur vernünftig.

„In Ordnung. Möchtest du mich im Bett abstechen oder lieber mitten im Raum?“

„Äh … Ist das von Wichtigkeit?“, erkundigte sich Majid leicht irritiert, da Iskal zuvor keinerlei Bedenken hinsichtlich eines Ablebens im Bett angemeldet hatte.

„Natürlich. Im Bett würde mein Blut die schönen Stoffe durchtränken, was wirklich schade wäre. Und hier auf dem Boden könnte jemand über meine Leiche stolpern. Ich möchte nicht, dass sich jemand von der Dienerschaft oder ein Familienmitglied verletzt.“

Majid zögerte und schaute sich rasch in dem Gemach um. „Wie wäre es mit dem Sessel dort drüben? Ein besudelter Sessel lässt sich schnell austauschen.“

Iskal nickte zufrieden. „Perfekt.“ Er war schon auf dem Weg zu dem Möbel, da fiel ihm noch etwas ein. „Wird es viel Blut geben?“

„Jede Menge“, versprach Majid. „Ein wahres Blutbad.“

Abrupt wechselte Iskal die Richtung und ließ den Sessel links liegen. Stattdessen trat er zu einer großen Truhe und klappte sie auf.

„Was treibst du da? Ich habe es eilig!“

„Ich kann doch nichts Weißes tragen, wenn das alles in ein paar Minuten vollgeblutet ist. Wie sieht das denn aus?“ Er zog ein orangefarbenes Gewand aus der Truhe. Nein, das ging gar nicht. Das Rot würde sich mit dem kräftigen Orange beißen. Außerdem hatte er dazu keine passenden Schuhe. Das Grüne? Nein, das hing ja wie ein Sack an ihm. Aber hier! Zartes Rosé, die Säume mit weinroten Rosenknospen bestickt. Wunderschön. Darin würde er wie eine Sultanin aussehen, dramatisch im Sessel hingestreckt, vom herabgeflossenen Lebenssaft besudelt … Er presste das Gewand gegen seine Brust und schloss die Lider, die Szene seines Todes vor Augen.

Ein lautes Räuspern hinter ihm riss ihn aus seinen Träumereien.

„Wäre es wohl möglich, dass wir endlich zur Tat schreiten?“, erkundigte sich Majid. Der Assassine hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Ein Fuß wippte ungeduldig auf und ab.

„Habe ich nicht ein Anrecht auf einen würdevollen Tod?“, fragte Iskal spitz.

„Da draußen wartet weitere Arbeit auf mich.“ Majid deutete zum Fenster. „Wenn die Männer weg sind und ich sie nicht mehr verfolgen kann, ist der Sultan in Gefahr.“

„Wenn der Sultan stirbt, wird es einen Nachfolger geben“, brummte Iskal unwirsch und zog seine Nachtwäsche aus.

„Schon klar, aber dieser Sultan organisiert unser jährliches Gildenfest“, murrte Majid. Inzwischen war Iskal in das Gewand geschlüpft und wühlte nun in der Truhe nach den dazugehörenden Pantoffeln. Diese hatten denselben Rosenknospenton und flauschige Puschel auf der Schuhspitze. Vielleicht sollte er auch noch rasch seine Augen mit Khol nachziehen. Dazu bräuchte er das Silberstäbchen zum Auftragen und etwas Rosenwasser, um das Pulver anzurühren. Ehe er sein Vorhaben umsetzen konnte, wurde er grob am Kragen gepackt und herumgewirbelt, bis er das grimmige Gesicht des Assassinen dicht vor dem eigenen hatte.

„Jaaa“, hauchte er und ließ sich gegen den stählernen Körper fallen. „Nimm mich. Töte mich.“

„Iskal?“ Die Tür wurde erneut aufgerissen. Dieses Mal konnte Majid nicht in den Schatten untertauchen, weil er Iskal dazu wenig romantisch auf den Boden fallen lassen müsste. Assassine und Hausherr starrten sich über seinen Kopf hinweg an.

„Guten Abend“, brach Majid schließlich höflich das Schweigen. „Ich komme von der Schwarzen Gilde. Stets zu Diensten.“

Wenges Blick glitt von dem Krummdolch, den Majid weiterhin in der Hand hielt, zu Iskal.

„Waaaaaaaaaache!“, brüllte er im nächsten Moment.

„Oh nein, nein!“, quiekte Iskal, dann prallte er genau neben einem Teppich auf den harten Marmor. Majid hatte ihn von sich gestoßen und hechtete auf das Fenster zu. Die Schwarze Gilde mochte zwar am Tisch des Sultans sitzen, wurde ein Assassine jedoch bei der Ausübung seiner Tätigkeit erwischt, drohte ihm das Henkersbeil. Für seine Gilde wäre er in dem Fall ohnehin untragbar.

„Halt!“, kreischte Iskal, was allerdings im Gebrüll der Wächter unterging, die wie eine Herde wild gewordener Elefanten durch sein Gemach stürmten. Alle drängten sich waffenschwingend und säbelrasselnd am Fenster, wobei er wieder einmal in Vergessenheit geriet.

„Beim Arsch von Vaters Lieblingskamel“, fluchte er leise und rappelte sich auf. Während er das schöne Gewand glattstrich, schritt er würdevoll zur Truhe und holte eine längliche, recht dicke Rolle hervor, die in schlichtes Leinen gehüllt war. Die schwere Rolle schleppte er aus seinem Zimmer, wo die Wächter und sein Vater lauthals durcheinanderschrien.

„Wo …?“

„Wir kriegen ihn …“

„Verfolgt ihn!“

„Wie viele sind …?“

Was für ein irrer Haufen. Bekanntermaßen flüchteten Assassinen immer in die Höhe und sprangen dann von Dach zu Dach, um in der Finsternis zu verschwinden. Es war also müßig, Majid im Garten zu suchen. Das Problem bei diesem Haus bestand dummerweise darin, dass kein weiteres Gebäude in der Nähe war, auf das man so einfach hätte wechseln können.

Iskal erreichte das Dach und blickte sich um. „Hallo?“, flüsterte er. Wie von einem Flaschengeist herbeigezaubert stand Majid vor ihm.

„Was?“, knurrte der.

„Ich verhelfe dir zur Flucht und du nimmst mich mit. Was hältst du davon?“

„Nicht viel“, erklärte Majid und musterte ihn mit gerunzelter Stirn.

Wie? Hätte er doch das grüne Gewand wählen sollen?

„Hör mal! Du wirst dafür bezahlt, mich zu töten. Willst du mit der Schmach, den Auftrag nicht erfüllen zu können, zur Gilde zurückkehren? Was soll dein Ausbilder von dir denken? Wir suchen uns einen ruhigen Flecken und dort bringst du mich um.“

Majids Augen verengten sich. „Für ein Opfer bist du aber sehr aufs Sterben bedacht.“

„Äh … Stimmt. Trostlos, du erinnerst dich? Eingesperrt in ein Leben voller Wohlstand und Sinnlosigkeit, ist der Tod für mich eine Erlösung.“ Klang doch poetisch, oder? Iskal schenkte Majid ein Lächeln voller Süße.

Aus dem Garten wurden Stimmen laut. Fackelschein erhellte die Nacht.

„Ich muss die Männer verfolgen“, zischte der Assassine, allerdings klang das bereits nach Kapitulation. Siegessicher setzte Iskal die dicke Rolle ab, entfernte den Leinenstoff und präsentierte Majid wenig später einen Teppich.

Fassungslos starrte der Assassine auf das herrlich geknüpfte Stück, das hauptsächlich in Rottönen gehalten war. „Soll ich dich jetzt darauf ermorden, damit du weich liegst?“

„Nein, du Dummerchen. Das Prachtstück kann fliegen. Ich gebe zu, dass ich es nie probiert habe. Er hat meinem Opi gehört und ich habe ihn vor ein paar Jahren geerbt, weil keiner meiner Brüder das Ding haben wollte. Du kennst dich doch mit so etwas aus?“

Majids Miene hellte sich sichtlich auf. Er nickte, steckte den Krummdolch endlich in seinen Gürtel und packte den Teppich an den Zipfeln, um ihn kräftig zu schütteln. Nichts!

Majid wiederholte die Aktion und erneut geschah nichts.

„Er springt nicht an“, beklagte er sich bei Iskal.

„Wie gesagt, er wurde lange nicht benutzt. Womöglich ist ein Knoten locker oder eine Franse verfilzt …“ Iskal bückte sich, um eine der Fransentroddeln zu entwirren. Majid dagegen wurde hektisch, was kein Wunder war. Denn die Wachen schienen inzwischen ebenfalls auf die Idee gekommen zu sein, das Dach zu inspizieren. Noch einmal schüttelte Majid das gute Stück mit aller Kraft. Staub wirbelte auf und plötzlich versteifte sich der Teppich und blieb glatt wie ein Brett in der Luft stehen.

„Hurra!“, rief Iskal jubelnd.

„Rauf mit dir!“ Majid schubste ihn.

„Räuberleiter, bitte.“

„Was?“

„Ich gelange sonst nicht hinauf.“ Iskal klimperte mit den Wimpern.

Fluchend legte Majid die Hände zusammen und bot sie ihm zum Hineinsteigen an. Iskal stellte einen zierlichen Fuß in den Behelfstritt und kletterte auf den Teppich. Ein bisschen wacklig war die Angelegenheit schon. Und aufregend. Vor allem aufregend. Er war noch nie geflogen. Majid schwang sich vor ihm auf und hielt die Zipfel fest umklammert, damit er ihr Gefährt lenken konnte. Fackelschein fiel auf das Dach. Die Wachen stürmten herbei.

„Sie kommen!“, schrie Iskal. Und prompt schoss der Teppich in die Höhe und in die Nacht hinein.

 

 

Majid lenkte den Teppich in Richtung des südlichen Hauseingangs. Da Wenge offenkundig darauf bedacht war, seinen nächtlichen Besucher vor den Bediensteten zu verstecken, stand zu hoffen, dass die Attentäter dieses Tor nehmen würden, um ungesehen in die Dunkelheit zu entkommen. Von den Wächtern war nichts mehr zu hören oder zu sehen. Mit Sicherheit hatten sie die Verfolgung bereits aufgegeben, denn jedes Kind wusste, dass man einen fliegenden Teppich weder zu Fuß noch mit dem schnellsten Pferd einholen konnte. Diese magischen Artefakte waren ebenso selten wie überaus wertvoll. Darum erhielten nur die höchstrangigen Assassinen, die einen weltentscheidenden Auftrag auszuführen hatten, einen solchen Teppich als Ausrüstung. In der Ausbildung musste sich die gesamte Gruppe ein einziges zerfranstes Modell teilen. Und nun hatte er einen guten, anständigen, wenn auch leicht verstaubten Teppich zur Verfügung und konnte sein Glück kaum fassen.

Nun gut. Ohne Iskal, der sich hauteng an ihn schmiegte und beständig Laute der Verzückung in sein Ohr hauchte, wäre die Angelegenheit vermutlich würdevoller. Oder zumindest angemessener. Er war hergekommen, um einen Mord zu begehen, bei Aliyas Weisheit …

Dort unten! Majid lenkte den Teppich in die Tiefe, ließ ihn kaum einen halben Schritt über den Erdboden schweben. Einen Steinwurf entfernt hielten sich ein halbes Dutzend Männer auf.

„Bleib auf dem Teppich. Sollte es gefährlich werden, lass ihn einfach in die Höhe steigen“, wisperte Majid seinem ungewollten Begleiter ins Ohr. Es war etwas mühsam, sich von Iskals Armen zu befreien. Gleichgültig wie dringend der Kerl sterben wollte, sein Körper wollte leben. Und lieben. Ihr Götter! Diese Nacht hatte wirklich gar nichts mit Majids Erwartungen zu tun.

Lautlos wie ein Schatten schlich er sich an die Männer heran, nah genug, um sie belauschen zu können.

„… Besuch der Schwarzen Gilde muss ein Zufall gewesen sein.“ Das war die Stimme des Mannes, der auch im Haus gesprochen hatte, eindeutig. „Wir verfahren weiter wie geplant. Wäre der Assassine unseretwegen gekommen, hätte er sich nicht im Zimmer dieses Tölpels aufgehalten.“

„Vermutlich hat den ein rachsüchtiges Weib ausgeschickt, weil dieser Iskal mit ihrem Ehegatten durch die Laken gerollt ist“, brummte ein anderer Mann. „Man hört da solche Gerüchte …“ Sie hatten Pferde bei sich, Majid konnte hören, wie einer nach dem anderen in den Sattel stieg. Verflucht! Konnte denn nicht einer herausposaunen, in welche Richtung sie reiten wollten? Oder weitere Details ihres Plans offenbaren? Es gab keinen Grund, ihm das Leben noch schwerer zu machen. In der Dunkelheit war eine Verfolgung mühsam, selbst aus großer Höhe. Es war schließlich von essentieller Bedeutung, dass er auf keinen Fall entdeckt wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---