Story of My Life - Lucy Score - E-Book

Story of My Life E-Book

Lucy Score

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Beschreibung

Die neue, international erfolgreiche Small-Town-Romance der #1-New York Times-Bestsellerautorin Hazel Hart, einst gefeierte Bestsellerautorin romantischer Liebeskomödien, steckt in der Krise – kreativ, emotional, existenziell. Das Resultat: In einer betrunkenen Kurzschlussreaktion kauft sie ein kleines Häuschen in der charmant wirkenden Kleinstadt Story Lake. Dort angekommen, ist nichts so wie erhofft. Aber diesmal wird sie sich nicht unterkriegen lassen. Erst recht nicht von dem mürrischen, aber verboten gut aussehenden Handwerker Campbell Bishop, den sie zum Renovieren engagiert. Schnell merkt sie, dass Campbell nicht nur die Lösung für ihr spinnwebenverseuchtes Häuschen ist, sondern auch für ihre Schreibblockade. Sie überredet Campbell, mit ihr auf eine Reihe Fake-Dates zu gehen, damit sie neues Material für ihren Roman sammeln kann. Widerwillig stimmt er zu, bis sich die Dates verdammt echt anfühlen ...   "Lucy Scores Schreibstil ist magisch." Christina Lauren, New York Times-Bestsellerautorin »Lucy Scores Schreibkunst enttäuscht nie! Sie ist die unbestrittene Königin der Kleinstadtromane und schafft es immer wieder, dass ich mich Hals über Kopf in ihre Figuren verliebe!«  Ali Hazelwood Tropen: Fake Dating, Small Town, Grumpy x Sunshine, RomCom, Rock Bottom Heroine, Opposites Attract

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Seitenzahl: 801

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Story of My Life

LUCY SCORE ist New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin. Sie wuchs in einer buchverrückten Familie in Pennsylvania auf und studierte Journalismus. Wenn sie nicht gerade ihre herzzerreißenden Protagonist:innen begleitet, kann man Lucy auf ihrer Couch oder in der Küche ihres Hauses in Pennsylvania finden. Sie träumt davon, eines Tages auf einem Segelboot, in einer Wohnung am Meer oder auf einer tropischen Insel mit zuverlässigem Internet schreiben zu können.

Hazel Hart, einst gefeierte Bestsellerautorin romantischer Liebeskomödien, steckt in der Krise – kreativ, emotional, existenziell. Das Resultat: In einer betrunkenen Kurzschlussreaktion kauft sie ein kleines Häuschen in der charmant wirkenden Kleinstadt Story Lake. Dort angekommen, ist nichts so wie erhofft. Aber diesmal wird sie sich nicht unterkriegen lassen. Erst recht nicht von dem mürrischen, aber verboten gut aussehenden Handwerker Campbell Bishop, den sie zum Renovieren engagiert. Schnell merkt sie, dass Campbell nicht nur die Lösung für ihr spinnwebenverseuchtes Häuschen ist, sondern auch für ihre Schreibblockade. Sie überredet Campbell, mit ihr auf eine Reihe Fake-Dates zu gehen, damit sie neues Material für ihren Roman sammeln kann. Widerwillig stimmt er zu, bis sich die Dates verdammt echt anfühlen ...DIE NEUE, INTERNATIONAL ERFOLGREICHE SMALL-TOWN-ROMANCE DER #1-NEW YORK TIMES-BESTSELLERAUTORIN »Lucy Scores Schreibstil ist magisch.« Christina Lauren, New York Times-Bestsellerautorin

Lucy Score

Story of My Life

Roman

Aus dem Englischen von Ina Streich und Lena Warthe

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin1. Auflage März 2025ISBN 978-3-98978-032-3© der deutschsprachigen Ausgabe 2025 by Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin© 2025 by Lucy ScorePublished by arrangement with Bookcase Literary AgencyWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text- und Data-Miningim Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected] amerikanische Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel: Story of My LifeUmschlaggestaltung: zero-media.net, München, nach einer Vorlage von © FinePic®, MünchenAutorinnenfoto: © Brianna WilburE-Book powered by pepyrus

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

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Epilog

Dank und Funfacts

Leseprobe: Faking With Benefits

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

Widmung

Für Flavia und Meire. Ihr seid die besten Agentinnen und größten Cheerleaderinnen. Ich bin euch so dankbar für alles!

1

Vasenwein und ein Arschtritt

Hazel

Das gestresste Frauentrio im Businessanzug plante, am Fenster sitzend und mit Dreifachespresso bewaffnet, den Niedergang eines gewissen Bernard von der Bilanzprüfung. Vielleicht wollten sie ihn auch bloß bei der Personalabteilung anschwärzen. So gut war das im üblichen Coffeeshop-Lärm nicht zu verstehen.

Die beiden Männer zu meiner Rechten mit den zueinanderpassenden Eheringen stritten leidenschaftlich über den Platz in ihrem Kleiderschrank. Beim Rest der Welt spielten bei einer Scheidung Themen wie Geld, Kinder und Monogamie die Hauptrolle. In Manhattan würde ich eine größere Summe darauf wetten, dass Kleiderschränke in den Top Five vorkamen.

Die Barista sah aus, als müsste sie sich beim Annehmen und Bearbeiten der Bestellungen nur noch ein kleines bisschen mehr langweilen, um ins Koma zu fallen.

Koma?, schrieb ich in mein Notizbuch. Wäre eine aus dem Koma erwachende Heldin ein gutes Meet-Cute? Stirnrunzelnd trommelte ich mit dem Stift auf dem Tisch. Natürlich kein langes Koma. Da kämen Probleme wie Beinbehaarung, Schuppen und abscheulicher Mundgeruch ins Spiel.

Verdammt. Ich hielt mir die Hand vor den Mund und versuchte, unauffällig festzustellen, ob ich an diesem Morgen daran gedacht hatte, die Zähne zu putzen. Hatte ich nicht. Die Beine hatte ich mir auch nicht rasiert … oder geduscht … oder die Haare gekämmt … oder daran gedacht, mir Deo zu kaufen.

Die alte Hazel wäre in dem Aufzug – und Geruchszustand – nur aus dem Haus gegangen, wenn eine Deadline kurz bevorstand. Die jetzige Hazel schlurfte eigentlich pausenlos durch die Schatten der Wirklichkeit wie eine Antihygienemaus.

»Mann, warum ist das so hart?«, murmelte ich.

Das Pärchen mit dem Schrankproblem warf mir einen Seitenblick zu.

»Ha. Das hat sie auch gesagt!«, versuchte ich mich an einem Witz.

Die Seitenblicke verwandelten sich in hochgezogene Augenbrauen, einhergehend mit der stillschweigenden Übereinkunft, sofort von der Bekloppten am Nachbartisch Reißaus zu nehmen.

»Schon gut. Ich bin Autorin. Ich darf Selbstgespräche in der Öffentlichkeit führen«, erklärte ich hastig, während sie ihren Kaffee schnappten und nach draußen in die brütende Augustschwüle flüchteten.

Stöhnend legte ich mir die Hände auf die Wangen und drückte mein Gesicht zu einer Fischschnute zusammen. Der Mann im Lenny-Kravitz-mäßigen Tanktop, der aussah, als würde er seine eigene Genius Bar betreiben, schaute mich über seine Benjamin-Franklin-Brille hinweg an.

Ich ließ mein Gesicht wieder los und setzte ein hoffentlich menschliches Lächeln auf. Er widmete sich erneut seinen beiden Handys und dem iPad, während ich mir die Hände an den Shorts abwischte. Meine Haut war auf unmögliche, widerliche Weise gleichzeitig fettig und trocken. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal mein komplettes Hautpflegeprogramm durchgezogen, statt lediglich den Kopf unter den Wasserhahn zu halten? Ach was, wann hatte ich das letzte Mal irgendwas komplett durchgezogen?

Na ja, das Pad Thai vom Lieferservice gestern hatte ich restlos vernichtet. Das zählte doch, oder?

Ich ließ den Blick auf der Suche nach der Inspiration oder Motivation durch das Café schweifen, die mich früher zu einer produktiven Erwachsenen gemacht hatten. Fehlanzeige. Seufzend kritzelte ich neben das Koma noch Enemies to Enemies und Kanus.

Letzteres hatte ich bei einem rüstigen irischen Rentnerpärchen aufgeschnappt, das aussah wie einem Outdoorladen entsprungen. Sie hatten Matcha und glutenfreie Scones bestellt, bevor sie in Wanderstiefeln im Partnerlook weitermarschiert waren.

Die Uhr an der Wand verkündete Feierabend. Ich saß seit drei Stunden hier und hatte nichts vorzuweisen als einen leeren Eiskaffee mit meinem Namen drauf. Zu achtzig Prozent hielt ich es für einen Streich meines Unterbewusstseins, dass ich die Barista rufen gehört hatte: »Hazel, dein Iced Verlierer-Latte«, und nicht Iced Vanilla Latte.

Mit einem Ächzen, mit dem sich sonst ältere Semester aus dem Sessel quälten, stand ich auf. Anscheinend hatte ich zu lange in meiner Wohnung vor mich hin geschmort, wenn ich den Unterschied zwischen Zu-Hause- und In-Gesellschaft-Geräuschen nicht mehr kannte. Ich sammelte meine Autorinnenausrüstung zusammen – Notizbuch, Stift, Laptop, Handy – und ging raus in die Hitze.

Noch bevor ich am Ende des Blocks ankam, hatte mein Haar bereits spürbar sein Volumen verdoppelt. Als ich es gerade wieder platt drücken wollte, rempelte mir ein eins siebzig großer Typ im Maßanzug von Ralph Lauren gegen die Schulter, wobei er immer drastischere Drohungen in sein Handy brüllte.

Zoey hätte ihn als Finance Bro bezeichnet und ihm irgendeine Beleidigung an den Kopf geworfen. Außerdem war sie die Frau, die mich zweifellos ermorden würde, wenn sie herausfand, dass ich immer noch nichts hatte. Kein Kapitel, keinen Entwurf, keine Idee. Ich erlebte ein furchtbares Szenario à la Und täglich grüßt das Murmeltier, in dem sich ein und derselbe Tag immer wiederholte. Aber im Gegensatz zu Bill Murray hatte ich noch kein Ziel vor Augen.

Ich kehrte zu meiner Wohnung zurück, aber meine Nachbarin, deren Namen ich nicht kannte, hörte meine Bitte, den Fahrstuhl offen zu halten, über das Gekläffe ihrer zwei Yorkies wohl nicht. Also trottete ich die vier Stockwerke nach oben und schloss die Tür auf.

Der Zustand meines Zuhauses spiegelte den Zustand meines Kopfs sehr gut wider. Beide waren ein katastrophaler Müllhaufen. Die ehemals »charmante« und »tadellose« Dreizimmerwohnung an der Upper East Side sah aus, als hätte ein Sumpfbewohner gerade feierlich einen Müllkippenflohmarkt eröffnet.

»Damit ist es offiziell. Ich bin jetzt jemand, der den Verstand verliert und auf einmal Sojasoßentütchen und Werbeprospekte sammelt.«

Post und Papiere waren willkürlich auf jeder verfügbaren Oberfläche verstreut. Bücher quollen aus den massiven Nussbaumregalen, lagen kreuz und quer auf dem Boden. Die mikroskopisch kleine Küche war unter schätzungsweise acht Schichten schmutzigen Geschirrs und alten Lieferdienstbehältern kaum noch zu erkennen. An den Wänden mit der wild gemusterten Tapete, die ich einmal so entzückend gefunden hatte, hingen nichts als gerahmte Auszeichnungen und Erinnerungen an längst vergangene Leben.

Ganz kurz besserte sich meine Laune. »Vielleicht ist die Heldin ja Messie? Bäh, nein. Weder sexy noch hygienisch.«

Die alte Hazel hätte es niemals so weit kommen lassen. Mein altes Ich hätte viele Sachen anders gemacht. Aber es war tot und begraben, ruhe in Frieden, altes Ich.

Ich ging ins Schlafzimmer und wechselte meine »Ich geh vor die Tür«-Shorts gegen die »Wie viele Löcher im Schritt sind zu viele«-Shorts. Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen … oder wenigstens noch eine Weile mit Selbstvorwürfen zu verbringen, weil ich mich in die mitleiderregendste RomCom-Autorin der Welt verwandelt hatte.

Ich stöhnte auf, als es an der Tür klopfte. »Was ist an ›kontaktlose Lieferung‹ bitte so schwer zu verstehen?«, brummte ich vor mich hin, während ich meinen Hintern vom Sofa hob. Dabei blieb ich mit der Pantoffelspitze am Kaffeetisch hängen, und ein Wasserfall ungeöffneter Post ergoss sich auf den Boden.

Ich wollte meinen Bademantel zubinden, aber der Gürtel fehlte. Also klappte ich mir lediglich die Aufschläge über die BH-losen Brüste im T-Shirt und riss die Tür auf.

»Du siehst echt scheiße aus.«

Die Frau mit lockigen Haaren im roten Power Suit lieferte leider knallharte Wahrheiten und nicht mein chinesisches Essen.

Ich ließ den Bademantel los und verschränkte die Arme. »Was machst du hier, Zoey? Ich bin echt beschäftigt und wichtig.«

Mein ungebetener Gast schritt einfach an mir vorbei und stolzierte in umwerfenden Zehnzentimeterabsätzen herein, umhüllt von einer schwachen Wolke teuren Parfüms. Zoey Moody, modebesessene Literaturagentin und seit der dritten Klasse meine beste Freundin, wusste, wie man einen Auftritt hinlegte.

Ich schloss die Tür und ließ mich dagegensinken. Normalerweise traf ich mich mit Zoey bei ihr zu Hause oder in Etablissements mit Alkoholausschank, sodass ich weiterhin wie Oscar in der Mülltonne leben konnte.

»Womit bist du denn beschäftigt? Mit Verrotten?«, fragte sie und hob einen fettigen Pizzakarton von einem sorgsam errichteten Turm schmutziger Teller.

Ich riss ihn ihr aus der Hand und versuchte, ihn in den Abfalleimer in der Küche zu stopfen, aber dessen übervoller Inhalt lehnte die neue Zugabe entschieden ab. »Ich verrotte nicht. Ich … plotte«, log ich.

»Das machst du seit einem Jahr.«

Schließlich kapitulierte ich und warf die Schachtel neben den Eimer. »Weißt du, wer Bücherschreiben für einfach hält? Leute, die noch nie ein Buch geschrieben haben.«

»Ich weiß. Schriftstellerinnen sind zarte Pflänzchen der Kreativität, die gehegt und gepflegt werden wollen. Bla, bla, bla. Aber stell dir vor, Agentinnen brauchen auch hin und wieder was. Zum Beispiel, dass ihre Autorinnen mal ans Telefon gehen. Weißt du überhaupt, wo deins ist?«

»Das liegt da drüben.« Ich deutete grob in die Richtung meiner gesamten Wohnung.

Zoey starrte mich stirnrunzelnd und mit geschürzten roten Lippen an. »Wann warst du das letzte Mal essen? Oder an der frischen Luft? Oder, weiß auch nicht, unter der Dusche?« Die erdbeerblonden Locken in ihrem kunstvollen Knoten zitterten.

Ich hob den Arm und schnüffelte darunter. Mist. Schon wieder das Deo vergessen. »Ich kriege Flashbacks, wie meine Mutter mir als Teenie sagt, ich soll mein Buch weglegen, rausgehen und Leute treffen«, meckerte ich. »Das war übrigens irgendwann zwischen Ehemann zwei und drei, falls du mitgezählt hast.«

»Ich bin nicht deine Mutter. Ich bin deine Agentin und manchmal deine Freundin. Und als beides muss ich dir sagen, dass du inzwischen auf das Niveau eines depressiven Junggesellen gesunken bist.«

»Nicht eher das einer alten Jungfer?«

Sie hielt eine schmutzige Socke mit Sojasoßenflecken hoch. »Wie viele alte Jungfern leben in der Umkleide von Highschool-Jungs?«

»Schon kapiert. Hör zu. Ich habe ja nicht einfach beschlossen, aus Spaß an der Freude in eine depressive, antisoziale Schreibblockade zu verfallen«, erinnerte ich sie.

Zoey öffnete meinen Kühlschrank und bereute es sofort. »Dadrin lebt es.«

»Das wollte ich dir noch erzählen. Ich hab in meiner Freizeit mit Urban Farming angefangen.« Ich schlug die Kühlschranktür wieder zu.

»Na ja, du wirst auf jeden Fall viel mehr Freizeit haben, wenn du dich nicht zusammenreißt«, erwiderte sie unheilvoll.

Ich schob mich an ihr vorbei und griff unter Verrenkungen in den Schrank unter der winzigen Butcher-Block-Kücheninsel. Ein paar Sekunden und einen gezerrten Halsmuskel später zog ich eine Flasche Wein heraus.

»Wein?«

»In dieser Wohnung nehme ich bestimmt nichts zu mir. Ich habe keine Zeit für eine Staphylokokkeninfektion. Sag mir, dass du wenigstens irgendwas schreibst.«

»Klar. Die Kapitel kommen mir nur so aus dem Arsch geflogen.«

»Schön wär’s«, murmelte sie.

»Red nicht um den heißen Brei herum. Was willst du hier an einem Donnerstagmittag, Zo?«

Meine Agentin und beste Freundin stürmte rüber zum Wohnzimmerfenster und riss theatralisch die dicken Vorhänge auf. Sie deutete auf die Beleuchtung am Gebäude gegenüber. »Es ist Montag, neunzehn Uhr.«

Ich tat schockiert und schnappte übertrieben nach Luft.

Sie verdrehte die Augen, als ihr klar wurde, dass ich nur Spaß machte. »Du bist echt eine Plage.«

»Ja, aber ich bin deine Plage. Außerdem möchte ich anmerken, dass ich schon fünfunddreißig bin. Du musst mich nicht bemuttern wie eine Glucke.« Wir kannten uns schon länger, als wir wahrhaben wollten. Seit Zahnspangen und Abschlussballkleidern, erlebten zusammen Lesereisen und Bestsellerlisten … und all das, was danach kam.

»Du bist sechsunddreißig.«

Ich blinzelte und fing an zu rechnen.

»Erinnerst du dich nicht an deinen Geburtstag? Du hast behauptet, du willst übers Wochenende in einem Airbnb in Connecticut schreiben, weshalb ich hier eingebrochen bin, um dir Blumen und Torte dazulassen, wobei ich dich stattdessen in einer monatealten Jogginghose bei einem Golden-Girls-Marathon erwischt habe, also habe ich dich rausgeschleppt, und wir haben Wein getrunken und noch mehr Kuchen gegessen?«

Na toll. Jetzt vergaß ich schon komplette Geburtstage.

»Apropos Wein.« Ich öffnete den Schrank neben dem Kühlschrank, fand aber kein einziges Glas. Halbherzig durchwühlte ich das Geschirr in und auf der Spüle. Was wuchs da für ein blaues Zeug in der Schüssel?

Als ich eine niedrige, breite und vor allem saubere Vase erspähte, schraubte ich den Wein auf und schenkte ein.

»Du stehst im Bademantel mit Tomatensoßenflecken in deiner dunklen, dreckigen Wohnung und trinkst Wein mit Schraubverschluss aus einer Vase«, kommentierte Zoey.

»Eine gute Lektorin würde jetzt sagen, ›das ist Telling, kein Showing‹.« Ich nahm übertrieben schlürfend einen Schluck Wein.

»Ich bin aber nicht deine Lektorin. Ich bin deine Agentin, und du musst dich jetzt echt am Riemen reißen.«

Das war eine aggressivere Version der Botschaft, die Zoey mir nun schon seit Monaten überbrachte. Ich wurde misstrauisch. »Was ist denn los?«

»Ich komme gerade aus einem Meeting.«

»Ach, deshalb der Nimm-mich-ernst-Anzug.«

»Eindeutig zu unterscheiden vom Nimm-mich-Kleid, genau. Das Meeting war mit deiner Lektorin Mikayla von Royal Press, die ein paar echt besorgniserregende Bedenken geäußert hat.« Sie holte eine frische Mülltüte unter der Spüle hervor und schlug sie laut raschelnd auf.

»Darf ich anmerken, dass zum Glück ich mit Schreiben mein Geld verdiene und nicht du? Aber wer ist bitte Mikayla? Meine Lektorin heißt Jennifer.«

Zoe stopfte einen halb vollen Behälter Bratreis in die Mülltüte. »Sie haben Jennifer und das halbe Lektorat vor einem halben Jahr rausgeworfen. Mikayla war jünger und somit billiger.«

»Liest sie überhaupt Romance?«

»Ihr sind Domestic Fiction und Psychothriller lieber.«

»Ach, dann passt sie ja perfekt zu mir und meinen Kleinstadt-RomComs.«

»Schon möglich, wenn du endlich mal ein Manuskript abgeben würdest«, entgegnete Zoey.

»Entschuldige mal. Was wurde aus ›Lass dir Zeit, du hast eine traumatische Erfahrung hinter dir‹?«

»Das hat sich vor einem halben Jahr erledigt, und seitdem läuft dir die Zeit davon. Unterm Strich heißt das: Wenn du deine nächste Deadline verpasst, du Großstadtfarmerin, dann löst Royal Press deinen Vertrag auf.«

Ich schnaubte verächtlich und schaufelte To-go-Tüten in einen weiteren Müllbeutel. »Netter Versuch. Das können sie gar nicht.«

»Können sie, und werden sie auch. Sie haben mir aus deinem Vertrag zitiert, also haben sie ihre Rechtsabteilung schon drübergucken lassen. Du hast deine verlängerte Frist nicht eingehalten. Schon wieder.«

»Ich muss mich erst wieder aufrappeln. Die können doch nicht erwarten, dass ich einfach …«

»Hazel, du hast den Vertrag vor einem Jahr unterschrieben«, sagte sie sanft. »Dein Verlag hat die Deadline großzügigerweise drei Mal verlängert. Dieses Mal hast du ihnen nicht mal mehr irgendwelche beruhigenden Lügen aufgetischt. Du hast einfach nichts abgegeben. Und du weißt, wonach das für uns auf der Verlagsseite aussieht?«

»Nein, aber du wirst es mir sicher gleich sagen.«

»Es sieht aus, als seist du durch. Wieder eine ausgebrannte Autorin, die es nicht mehr bringt. Eine von denen, die nur noch erzählen können, wie sie früher mal Bücher geschrieben haben.«

»Jetzt übertreibst du aber. Was wollen sie denn machen? Mich absägen? Die Leser werden sie dafür hassen, wenn sie mir das ausgerechnet jetzt antun.«

Zoey steckte eine ganze Plastiktüte voller Plastiktüten in den Müll. »Welche Leser, Hazel?«

»Meine Leserinnen.« Ich schüttelte die Tüte geräuschvoll.

»Die Leserinnen, die du ignorierst? Die Leserinnen, denen du nicht antwortest? Die Leserinnen, die sich inzwischen Autorinnen zugewandt haben, die noch etwas veröffentlichen?«

Ich riss ihr die Tüte aus den überdramatisch gestikulierenden Händen und knotete sie zu. »Im Ernst, bist du heute mit dem falschen Fuß vom Peloton gestiegen?«

Sie starrte mich ungerührt an. »Hazel, du warst mal eine der meistverkaufenden RomCom-Autorinnen überhaupt.«

»War ich mal? Du bist echt fies in dem Anzug.«

»Dann hast du dir von jemandem übel mitspielen lassen, und jetzt schau dich an.«

Ich wollte mich eher ungern anschauen.

»Haze, wenn du es diesmal nicht packst, war es das.«

Ich schob einen Stapel Speisekarten vom Lieferservice, die ich als Lappen missbraucht hatte, in meinen Müllbeutel und ließ mir nicht anmerken, dass meine Eingeweide gerade zu Eis erstarrt waren.

»Das können sie nicht machen. Das würden sie nicht machen. Ich habe neun Bücher für sie geschrieben. Sieben davon waren Bestseller. Ich bin mit denen auf Lesereise gegangen. Mir schreiben immer noch Leserinnen und wünschen sich mehr Bücher.« Zumindest hatten sie das, als ich das letzte Mal meine beruflichen Mails gelesen hatte.

»Ja, nun, dein Verlag wünscht sich das Gleiche. Nämlich das Spring-Gate-Buch, das zu schreiben du dich vertraglich verpflichtet hast. Du weißt so gut wie ich, dass ein Autor für seinen Verlag immer nur so viel wert ist wie sein nächstes Buch. Und du hast keins.« Sie nahm sich noch eine Tüte, machte den Kühlschrank wieder auf, hielt die Luft an und entsorgte vergammelte Salatmischungen und abgelaufene Soßen.

Ich wusste nicht, wie ich Zoey beibringen sollte, dass Spring Gate für mich gestorben war. Dass mir bei der Vorstellung, zu der Reihe zurückzukehren, die ich so geliebt und die meine Karriere begründet hatte, inzwischen ganz übel wurde.

Ooh! Vielleicht könnte meine Heldin eine professionelle Entrümplerin sein, die der Held engagiert, um das alte Farmhaus eines verstorbenen Familienmitglieds auszuräumen? Es war weniger eklig, wenn der Dreck von jemand anderem war, oder? Außerdem könnte ich dann noch ein ganzes Haus-Makeover in die Geschichte einbauen, um die Figurenentwicklung voranzutreiben. Ich sah sie vor mir, wie sie mit süßem Bandana auf dem Kopf und Schmutzstriemen auf den Wangen Zeug zum Container schleppte.

»Ich habe keine Kontrolle über den kreativen Prozess, okay?« Ich griff nach dem nächstbesten Notizbuch.

Entrümplerin. Container. Schmutz im Gesicht.

Das Buch schrieb sich praktisch von selbst.

Zoey sah mich über die Kühlschranktür hinweg an. »Wenn das stimmt und du die Deadline wirklich nicht halten kannst, solltest du langsam über Plan B nachdenken.«

»Und was soll Plan B noch mal sein?«

»Arbeite lieber an deinem Lebenslauf.«

Ich breitete die Arme aus und ließ Zoey einen Blick auf meine löchrigen Shorts, die zwei verschiedenen Socken und aberwitzigen Häschenpantoffeln werfen. »Sehe ich aus, als würde mich jemand einstellen?«

»Nicht im Geringsten.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Na schön. Ich schreibe was. Okay?«

Sie schloss den Kühlschrank und fixierte mich mit ihren waldgrünen Augen. »Ich habe dich seit Monaten nicht lachen hören. Kannst du überhaupt noch lustig sein?«

»Ich bin urkomisch. Erst heute bin ich mit dem Bademantel in der Aufzugstür hängen geblieben und habe Mrs. Horowitz ’ne Strip-Einlage geboten.« Streng genommen war das zwar über eine Woche her, weil ich da zum letzten Mal den Müll rausgebracht hatte, aber beim Lustigsein ging es nicht um Genauigkeit, sondern um Timing.

»Sind die hier wichtig?« Zoey hielt einen Stoß Unterlagen mit Kaffeering auf der ersten Seite hoch.

Ich schnappte sie ihr weg. »Nein«, log ich und legte sie oben auf den Kühlschrank.

»Es mehren sich auch die Stimmen bei mir im Büro«, wechselte sie das Thema.

»Vielleicht spukt es ja?«

Ooh! Und wenn in der Kleinstadt ein bisschen was Paranormales passiert? Vielleicht sieht der Held ja Geister? Oder die Entrümplungsheldin entdeckt einen Zombie? Moment. Das war nicht paranormal.

»Sie machen sich Sorgen um deine Relevanz.« Damit hatte sie meine Aufmerksamkeit wieder.

Ich würgte gespielt. »Du weißt, wie ich das Wort hasse.«

»Tja, du solltest es aber lieber zu deinem Mantra machen, ich will nämlich nicht, dass sie mich zwingen, dich vor die Tür zu setzen.«

»Du willst mich fallen lassen? Zoey! Nach allem, was wir durchgemacht haben? Nachdem Zack Black uns in der Junior High beide zum Tanz eingeladen hat? Nach der Magen-Darm-Grippe in Vancouver? Nachdem wir unseren Flug nach Brüssel verpasst haben und im Tourbus einer Amsterdamer Punkband mitgefahren sind, die dann einen Song über uns geschrieben hat?«

Sie riss die Hand hoch. »Ich will dich nicht fallen lassen! Ich will deine Agentin sein und einen Haufen Geld mit dir verdienen, aber du machst es mir momentan echt nicht leicht!«

»Ich weiß«, sagte ich kleinlaut.

»Hör zu, Haze. Ich will echt keinen auf Arschgesicht machen, aber deine Verkäufe sind so schlecht wie nie, seit du angefangen hast. Die Leser haben dich ewig nicht zu Gesicht bekommen. Du hast seit einem Jahr keinen Newsletter mehr verschickt. Deine letzte Social-Media-Aktivität war, als du gehackt wurdest und Fake-Hazel deine Follower per DM. um ›finanzielle Unterstützung für ein erstklassiges Luxus-Lebertransplantat‹ angepumpt hat.«

»Bist du immer so gemein zu deinen Autorinnen?«

»Du bist für liebes Händchenhalten nicht empfänglich. Bei dir funktioniert nur die schonungslose Wahrheit. Zumindest war es früher so.«

»Oh mein Gott. Sei doch nicht so theatralisch. Gut. Schön. Ich mach es.«

Zoey stapelte die volle Mülltüte auf die andere volle Mülltüte auf den vollen Mülleimer. »Was machst du?«

Ich wedelte mit meiner Weinvase. »Na, die Signierstunde, die ich abgelehnt habe.«

Sie trommelte mit den glänzenden roten Nägeln auf dem Butcher Block und musterte mich. »Das ist ein Anfang, aber ich kann dir jetzt schon sagen, dass das nicht reichen wird.«

Sie griff in ihre elegante Aktentasche, zog zwei fette Hefter heraus und ließ sie mit einem Klatschen auf die so gut wie freigeräumte Arbeitsplatte fallen. »Lies das.«

Ich seufzte. »Wenn du mir jetzt genug in den Arsch getreten hast, willst du dann auch eine Vase Wein?«

»Ich würde hier drin auch dann nichts zu mir nehmen, wenn mich Pedro Pascal höchstpersönlich füttern würde.«

2

Arsch in der Hose

Hazel

»Stifte?«

»Check.« Zoey klopfte auf ihren Rollkoffer, während wir auf den Festsaal B des Hoight Hotel zueilten. Dank meines katastrophalen Frisierversuchs waren wir spät dran. Ich hasste es, zu spät zu kommen, vor allem, wenn ich ohnehin schon nervös war. Das war mein erstes gemeinsames Event mit anderen Autorinnen, und ich hatte Angst, meine Verdauung würde verrücktspielen.

Wir wichen einer Gruppe aufgeregter Frauen mit Eventbändern um den Hals in selbst bedruckten T-Shirts aus, auf denen sie ihre Liebe zu verschiedenen Book-Boyfriends zum Ausdruck brachten. Keine von ihnen achtete auf uns.

»Moment. Stifte, oder meine Spezialstifte?«, wollte ich wissen.

»Ein Mal. Ein Mal hatte ich Eddings dabei, und das schmierst du mir jetzt ewig aufs Brot.«

»Das war keine Antwort auf meine Frage.«

»Ja. Ich habe deine Spezialstifte dabei, du Schreibwarensnob«, versicherte Zoey.

»Äh … okay. Wie viele Teilnehmerinnen werden erwartet?« Ich zerbrach mir den Kopf, was für eine Signierstunde alles von Belang war.

»Sechshundert.«

Ich blieb wie angewurzelt stehen, und mein Notfallpferdeschwanz schwang hin und her. »Sechshundert? Also einhundert mehr als fünfhundert?« Einmal hatte ich für zweihundertfünfzig Leserinnen signiert, aber das war bei der Veröffentlichung von Spring Gate 4 gewesen, auf dem Höhepunkt meiner Karriere … und meines Selbstvertrauens. Leider Gottes sagte einem das Universum nicht Bescheid, wenn man in der Blüte seines Lebens stand.

Zoey packte mich am Arm und zerrte mich weiter. »Du kannst ja rechnen. Echt sexy, wie gut du mit Zahlen umgehen kannst. Entspann dich. Die sind nicht alle deinetwegen hier. Hier sind haufenweise junge relevante Autorinnen am Start, die tatsächlich Bücher veröffentlichen.«

»Ah, sehr gut. Du hast heute also wieder keine Samthandschuhe an.«

»Nö, aber dafür eine Samthose. Die macht echt einen guten Arsch, oder?« Sie drehte sich um und präsentierte mir ihre Rückansicht.

Sie hatte nicht unrecht.

»Tja, dein Hintern in allen Ehren, aber haben wir auch Bücher?«

»Der Verlag hat heute Morgen welche geschickt.«

»Wie viele?«

Sie zögerte eine halbe Sekunde zu lange. Wenn man sich so gut kannte wie wir zwei, dann reichte eine halbe Sekunde. Ich sprang ihr in den Weg, und sie stieß mit mir zusammen. »Aua! Wie viele, Zoey?«

»Fünfzig.«

Ich konnte fühlen, wie meine Augenbrauen in die Höhe schossen. Scheiße. Meine Augenbrauen. Die hätte ich noch zupfen sollen, aber jetzt war es zu spät. »Fünfzig? Fünf null?«

Zoey schüttelte den Kopf, und ihre Locken hüpften genervt. »Ich wusste, du rastest aus.«

»Ich raste nicht aus«, widersprach ich mit piepsig-panischer Muppet-Stimme.

Sie umrundete mich und ging weiter. Ich joggte los, um sie einzuholen, und war nach drei Metern außer Atem. Mist. Wann war ich das letzte Mal im Gym gewesen?

»Muss ich dich erinnern, dass du in allerletzter Minute zugesagt hast?«, fragte sie über die Schulter.

»Ja, aber hier sind sechshundert Leute! Was, wenn wir nach einer Stunde ausverkauft sind?«

»Dann kannst du auf Körperteilen und kleinen Kindern unterschreiben.« Mit ihrem tollen Hintern drückte sie eine Tür auf, auf der Zutritt nur für Personal stand.

»Ich will bloß keine Leserinnen enttäuschen.« Und ich wollte nicht darüber nachdenken, was es hieß, dass der Verlag nur fünfzig Exemplare auftreiben konnte.

Zoey warf mir einen skeptischen Blick zu.

»Na schön. Ich will sie nicht noch mehr enttäuschen als ohnehin schon.«

»Schon besser.«

Die Signierstunde fand in Festsaal C statt, einem stinknormalen Hotel-Eventraum mit goldenem Lilienmuster-Teppich und verschiebbaren Trennwänden. Die Signiertische waren am Rand im Kreis angeordnet und in zwei geraden Reihen in der Mitte.

»Wow. Das ist ja riesig.« Ich sah mich um und folgte Zoey.

Wir schlängelten uns durch die versammelten Autorinnen und Assistentinnen, die ihren Tischen den letzten Schliff gaben. Alle hatten sich mächtig in Schale geschmissen, wodurch ich mir in Jeans, Sneakern und weitem Sweatshirt noch schäbiger vorkam als heute Morgen im Spiegel. Ringsum waren Ballons und Luftschlangen aufgehängt, und Roll-up-Banner mit bonbonfarbenen Aufdrucken wie Fesselnde Alpha-Helden und Heißer wird’s nicht standen herum.

»Seit wann sind alle so gut im Marketing?«, überlegte ich laut.

»Hier sind auch einige Indie-Autorinnen. Die haben das mit dem Branding richtig drauf. Und für den Rest kannst du dich bei Social Media bedanken. Scroll Life hat den Buchmarkt revolutioniert.« Zoey winkte einer Buchhändlerin zu, an deren Stand wir gerade vorbeisausten.

»Was zum Henker ist Scroll Life?«

Sie seufzte. »Manchmal weiß ich echt nicht, was ich mit dir machen soll.«

Ich kam mir vor wie der Ziegenhirte Peter Klaus, der nach zwanzig Jahren aus seinem Zauberschlaf erwacht. Auf der Suche nach bekannten Gesichtern ließ ich den Blick durch den Saal schweifen, aber ich erkannte niemanden. Alle sahen so … jung aus. So energiegeladen. War ich die einzige müde, schrullige alte Häsin hier?

»Was machen die ganzen Typen ohne Hemd da?«, fragte ich, als wir an einem Stand mit gleich zwei Sixpack-Männern vorbeikamen.

»Cover-Models«, erklärte Zoey und schob ihren Koffer vor einen Tisch zwischen einer Dark-Gothic-Romance-Autorin mit obercooler Elvira-Frisur und einer jungen RomCom-Autorin im Eichhörnchenkostüm. Das Eichhörnchen winkte. Ich winkte zurück.

»Wow. Wie konnte ich mir das die ganzen Jahre entgehen lassen?«

»Noch was, wofür wir Jim die Schuld geben können.«

Ich erstarrte, mir blieb komplett die Luft weg. Zoey verzog das Gesicht.

»Sorry. Vergessen. Der, dessen Name nicht genannt werden darf.«

Ich schüttelte den Kopf, obwohl mein Mund ganz trocken wurde und meine Kehle sich zuschnürte. Konnte man allergisch auf einen Namen reagieren? »Schon gut. Fangen wir an.« Ich würde die Energie und den Enthusiasmus, die mir fehlten, einfach vorspielen.

Minuten später hatten wir die Bücher und die Werbegeschenke aufgebaut, das Roll-up-Banner meines jüngeren, unverbrauchteren Ichs enthüllt und Kaffee sowie Pepsi Wild Cherry in uns reingeschüttet.

»In fünf Minuten ist Einlass«, verkündete eine Stimme über Lautsprecher.

Sofort erfasste mich Panik. »Oh Gott. Ich weiß nicht, ob ich das hinkriege. Er hat immer gesagt, bei solchen Events wird man totgetrampelt.« Ich hielt mich mit beiden Händen am Tisch fest.

»Na ja, aber er hat auch immer gesagt, Romance-Bücher seien ›billige Hausfrauenpornos‹ … Autsch! Shit!« Zoey ließ das Cuttermesser fallen. Sie hielt ihre linke Hand umfasst, und aus dem kleinen Schnitt an ihrem Mittelfinger quoll Blut.

»Keine Agentin der Welt hat so viele Unfälle wie du.« Ich kramte das kleine Erste-Hilfe-Set aus meiner Tasche, das ich immer für den Fall dabeihatte, dass Zoey in feinster Zoey-Manier anfing zu bluten.

»Aua«, jammerte sie, als ich die Wunde mit einem Alkoholtupfer reinigte.

»Stell dich nicht so an«, erwiderte ich liebevoll und klebte ein Pflaster darauf. »Wenigstens haben wir das erste Blutvergießen hinter uns gebracht, bevor die Leserinnen Schlange stehen. Weißt du noch, wie du in Beaver Creek die Kiste mit den Vorbestellungen vollgeblutet hast?«

»Die Erinnerung ignoriere ich jetzt lieber und erinnere dich stattdessen daran, dass du – auch wenn du dich vielleicht nicht so fühlst – immer noch Hazel Hart bist. Du hast neun Bücher geschrieben, die das Publikum geliebt hat …«

»Ganz schön optimistisch.« Meine letzten zwei Veröffentlichungen hatten die Bestsellerlisten nicht gerade in Aufruhr versetzt.

»Klappe. Du siehst nicht, was ich sehe.«

Ich seufzte. »Was siehst du denn?«

»Ich sehe die Heldin ihrer eigenen Geschichte. Klar, momentan bist du am Boden. Aber das heißt doch nur, dass es im nächsten Kapitel wieder aufwärtsgeht. Du packst das, Haze. Du bist reif für ein Comeback.«

Ich hatte wirklich ein Herz für tapfere Pechvogel-Heldinnen. Aber ich fühlte mich nicht wie eine.

Ich grummelte vor mich hin. »Ja, ja. Schon klar.«

Vor gar nicht so langer Zeit war ich noch diejenige gewesen, die Zoey aufmuntern musste. Nach Streiten mit ihren Eltern, verschusselten Stromrechnungen und unschönen Trennungen. Jetzt hatte das Blatt sich gewendet, und ich brauchte andauernd Zuspruch, dass ich noch eine funktionierende Erwachsene war.

»Ich hatte mir zwar etwas mehr Begeisterung erhofft, aber sei’s drum. Jetzt setz dich hin, und ich tape dich, damit dir beim Signieren von fünfzig Büchern und Dutzenden Kinderstirnen nicht die Patellasehne reißt«, verkündete sie beschwingt.

»Dein Mangel an anatomischen Kenntnissen ist echt besorgniserregend.«

»Dann haben wir ja Glück, dass ich Agentin bin und keine Handärztin.« Mit den Zähnen riss sie ein Stück von dem blauen Sportler-Tape ab.

»Nur für den Fall, dass das mal bei einem Date oder einer Gameshow zur Sprache kommt, die Patella ist die Kniescheibe.«

»Gut zu wissen.« Sie umwickelte effizient mein rechtes Handgelenk.

Wieder der Lautsprecher: »Na dann, meine Damen und Herren, auf ins Getümmel. Türen öffnen in drei, zwei, eins!«

Ich warf vorsorglich Ibuprofen ein, lockerte die Schultern und wischte mir die feuchten Hände an der Jeans ab, während mir vor Nervosität ganz flau im Magen wurde.

»Mach dich bereit für das Chaos.« Zoey stand auf und setzte ein Lächeln auf.

»Spielen wir noch mal Tic Tac Toe?«, fragte Zoey.

»Ich muss meine Brille putzen«, brummte ich und wischte die Gläser intensiv an meinem Pulli ab.

Niemand war totgetrampelt worden. Der Proteinriegelvorrat hatte sich auch als unnötig erwiesen. Und tatsächlich bekam ich sogar mehr als die vorher veranschlagte Stunde Mittagspause, nachdem die Vormittagsrunde früh zu Ende gegangen war. Ich hatte dreizehn Bücher signiert. Drei davon für ein Trio herzensguter Leserinnen, die aus Mitleid, weil an meinem Tisch keine Schlange stand, herübergekommen waren.

Beim Eichhörnchen wartete ein Dutzend Leserinnen auf die Gelegenheit, ihr die Pfote zu schütteln. Die Gothic-Autorin auf der anderen Seite lenkte ihre beachtliche Schlange mit Absperrseilen aus Samt in geordnete Bahnen.

Ich fühlte mich gleichermaßen wie auf dem Präsentierteller und unsichtbar.

»Wenn du deine Brille noch doller putzt, machst du sie kaputt«, meinte Zoey.

»Na, sag schon. Ich weiß, dass es dir förmlich auf der Zunge brennt.«

»Erstens ist das eklig und erinnert mich an die Übernachtungsparty, bei der ich mir die Geschmacksknospen an Pizzakäse verbrannt habe.«

»Ich hab dir doch gesagt, lass sie erst abkühlen«, erinnerte ich sie.

»Und zweitens werde ich keine am Boden liegende Autorin treten und ihr sagen ›Hab ich doch gleich gesagt‹.«

Ich ließ meine Brille auf den Tisch fallen. »So lange ist es nun auch wieder nicht her. Wie konnte ich innerhalb eines Jahres vom New-York-Times-Bestseller zu dem hier werden? Cece McCombie bringt auch nur alle anderthalb Jahre ein Buch raus, und die Leserinnen bleiben ihr trotzdem treu.«

Zoey beugte sich näher heran. Ich drückte sie an der Stirn weg. »Was soll das?«

»Ich versuche zu erkennen, ob du die Wahrheit hören willst oder Beschwichtigungen.«

Ich stöhnte. »Na schön. Raus damit.«

»Zuallererst ist es nicht ein Jahr her, sondern zwei, seit du ein Buch veröffentlicht hast.«

Ich schnaubte. »Das kann nicht sein.«

»Du hast den Vertrag vor einem Jahr unterschrieben. Aber davor gab es schon ein Jahr lang Streit vor Gericht.«

Ich blinzelte. Waren mir wirklich einfach so zwei Jahre meines Lebens »abhandengekommen«?

»Außerdem ist Cece McCombie online präsent. Sie verschickt jeden Monat einen Newsletter. Sie kommuniziert täglich per Social Media mit ihren Fans. Und sie stellt sich auch nicht an wie eine Diva und nimmt zwischen ihren Veröffentlichungen an Events teil.«

»Was soll das nun wieder heißen?«

»Der hippe kleine Indie-Buchladen in Wisconsin fand deine Reihe so toll, dass sie ein Buchclub-Wochenende dazu veranstaltet haben, aber du hast dich geweigert, einen Zoom-Call mit ihnen zu machen, obwohl sie dir acht Monate vorher Bescheid gesagt haben.«

»Das habe ich bestimmt nicht!«, entgegnete ich empört. Buchläden und Büchereien waren als Kind meine wichtigsten Rückzugsorte gewesen. Deshalb gab ich ihnen gern etwas zurück. Zumindest früher.

»Jim hat mir gesagt, du wolltest das auf keinen Fall machen und würdest generell keine Events in Betracht ziehen, wenn weniger als …« Zoey verstummte, als uns beiden etwas klar wurde.

»Jim hat dir das gesagt«, wiederholte ich und beglückwünschte mich dazu, dass ich nicht an seinem Namen erstickte.

»Scheiße. Das tut mir leid, Haze. Ich hätte es wissen müssen …«

»Nein. Halb so wild. Ich hätte es wissen sollen«, entgegnete ich und versuchte, irgendwie mein Gefühlschaos wieder unter Kontrolle zu bringen. Ich wusste, wie ich mit einzelnen Emotionen umgehen musste. Aber wenn sie sich zu einem riesigen Knäuel verknoteten wie eine Lichterkette, war ich hilflos.

In Sachen »Wer hat meine Karriere zerstört?« könnte ich ziemlich viele schwarze Peter verteilen, aber tief in meinem Innern war mir durchaus bewusst, dass es letztendlich meine Schuld war.

»Außerdem hat sie einen Filmvertrag«, sagte Zoey schließlich.

»Wer?«

»McCombie.«

»Was?«

Mehrere Augenpaare richteten sich auf uns.

»Für eine tolle Signierstunde!«, rief ich mit falscher Begeisterung, als hätte es von Anfang an ein ganzer Satz werden sollen. Zoey und ich lächelten wie von Sinnen, bis alle sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandten.

»Einen Filmvertrag? Also mit Drehstart und fertiger Besetzung, oder hat sie nur die Rechte verkauft?«, zischte ich.

»Der heiße Typ aus deiner Lieblings-Cop-Serie spielt mit.«

»Das freut mich für sie«, log ich wie gedruckt.

»Ja, glaube ich dir.«

Meine Rivalität mit der Blockbuster-Autorin, die in Wirklichkeit einer der nettesten Menschen auf der ganzen Welt war, bestand einseitig und hatte mich früher dazu angespornt, mit jedem Buch besser zu werden. Jetzt war mir allerdings nur noch danach, unter den Tisch zu kriechen und eins mit dem Festsaalteppich zu werden.

»Wow, ich bin so froh, dass Sie noch da sind!« Eine Frau mittleren Alters und – den gleichen lebhaften Locken und dem niedlichen Unterbiss nach zu urteilen – ihre Teenietochter kamen mit roten Wangen und strahlendem Lächeln auf unseren Tisch zu. Sie hatten einen dieser offenen Trolleys dabei, die mir schon öfter bei den erfahreneren Teilnehmenden aufgefallen waren. Er war voller neuer Bücher.

»Wir standen bei Maryanne Norton an, und dann musste ich noch ein Foto mit Reva McDowells megahübschem Cover-Model machen, und Mom hatte schon Angst, dass wir Sie verpassen«, plapperte die Tochter los.

»Ich bin Ihr größter Fan. Aber das hören Sie sicher andauernd.« Die Mutter lud einen Haufen Bücher anderer Autorinnen auf dem Tisch ab.

»Wenn Sie wüssten.« Mein Lächeln fühlte sich wie eine groteske Nachahmung an.

»Aha! Da sind sie ja.« Triumphierend grub sie zwei abgegriffene Taschenbücher von meiner Wenigkeit aus. »Ihre Spring-Gate-Bücher haben mir durch das Jahr geholfen, in dem ich meine Mutter gepflegt habe, und über ihren Tod hinweg. Als sie im Hospiz war, haben wir die ganze Reihe zusammen gelesen. Auch die nicht jugendfreien Stellen. Das war genau die richtige Ablenkung für uns und hat uns zu den vielleicht bedeutsamsten Gesprächen inspiriert, die wir als Mutter und Tochter je hatten.«

»Das ist … wunderbar. Danke«, brachte ich hervor. Erleichterung. Dankbarkeit. Empathie. Hoffnung. All das lieferte sich einen Ringkampf in meiner Kehle.

»Das hat mir viel bedeutet«, sagte sie.

»Als Mom rausgefunden hat, dass ich auch auf Romance stehe, hat sie mir alle Ihre Bücher zum Lesen gegeben«, fügte die Tochter hinzu. Unter dem Rand ihrer Brille funkelte ein Nasenstecker. »Ich muss schon sagen, ich war überrascht, dass es in den Büchern, die sie jedes Wochenende verschlungen hat, so viel um Schwänze geht.«

»Ja, ich schreibe schon gerne über Schwänze«, erwiderte ich verlegen. Ich musste echt an meinen Small-Talk-Skills arbeiten.

Zoey verpasste mir eine mit dem Ellbogen und mischte sich elegant ein. »Ich bin Zoey, Hazels Agentin. Schön, Sie beide kennenzulernen. Möchten Sie eine Widmung in die Bücher?«

Die Mutter strahlte. »Das wäre toll! Schreiben Sie bitte für Andrea?«

Der Tochter klappte die Kinnlade runter. »Mom. Das sind doch deine Bücher.«

»Aber dank ihnen können wir solche Trips überhaupt machen. Ich bin einfach froh, das mit dir teilen zu können.«

Die Mutter legte die Hand auf die Bücher, als ich die Kappe von meinem Stift nahm. »Können Sie auch für Andrea und Jenny reinschreiben? Dann sind es unsere Bücher.«

»Natürlich, gern.«

Mutter und Tochter drängten sich um den Tisch und sahen mir beim Signieren zu.

»Und wann kommt Ihr nächstes Buch raus?«, fragte Andrea.

»Um Sie ist es ja eine ganze Weile still gewesen. Da arbeiten Sie sicher an was Großem«, fügte Jenny aufgeregt hinzu. »Wird es ein neuer Spring-Gate-Roman? Oder schreiben Sie was völlig anderes?«

»Und wie schreiben Sie überhaupt Kleinstadt-Romance, obwohl Sie in der Großstadt leben?«, wollte Andrea wissen.

»Ich, äh … na ja, ich recherchiere.«

»Basiert Spring Gate auf einem echten Ort?«, fragte Jenny. »Denn in dem Fall machen wir da auf jeden Fall einen Roadtrip hin, bevor Andrea nächstes Jahr aufs College geht.«

»Hey, machen wir doch ein Foto von Ihnen beiden mit Hazel«, schlug Zoey vor.

»Prima Idee«, sagte ich verkrampft.

3

Räumungsbefehl

Hazel

Zoeys Handy klingelte pausenlos, aber da sie es – mal wieder – nicht finden konnte, konzentrierten wir uns weiter aufs Zusammenpacken. Die Signierstunde war offiziell beendet, aber drei oder vier Autorinnen hatten immer noch lange Schlangen begeisterter Leserinnen vor sich.

»So abgemeldet wie heute habe ich mich noch nie gefühlt.«

Zoey nickte knapp. »Gut.«

»Gut?«

Sie blies sich eine Locke aus dem Gesicht. »Ja, ich kenne dich nämlich, Hazel Freaking Hart. Und zwar seit der dritten Klasse. Du bist immer nur ein ›Das kriegst du nicht hin‹ von einer ›Halt mal mein Bier‹-Aktion entfernt.«

Ich lächelte zwar gequält, aber immerhin lächelte ich. »Du hast so einen Dachschaden.«

»Deshalb hast du mich doch lieb. Und jetzt hör mir genau zu. Du brauchst bloß ein gutes Buch, und diese wundervollen Leserinnen werden alle zu Jennys und Andreas. Du bist eine superkrasse Autorin, die großartige Geschichten zu erzählen hat. Und wer weiß, vielleicht erlebst du selbst ja auch noch ein Happy End.«

Ich atmete mit zusammengebissenen Zähnen aus. Genau das war ja das Problem. Ich hatte meine Chance auf ein Happy End bereits gehabt, und sie war mir um die Ohren geflogen. Und wenn ich eine Sache sicher wusste, dann, dass man in der Liebe eben nicht zahllose Chancen bekam. Deshalb hieß es ja auch »der Eine«.

Zoey öffnete das vordere Fach ihres Koffers und verstaute mein kaum benutztes Sammelsurium an Stiften darin. »Ah, da bist du ja, du hinterhältige elektronische Kackwurst.« Sie fischte ihr Handy aus der Tasche.

Ich schüttelte den Kopf. »Du bist eine wandelnde Katastrophe.«

»Aber ich bin deine wandelnde Katastrophe. Gehen wir einen trinken.«

»Wie wäre es mit mehreren?«, gab ich zurück.

»Noch besser.«

Wir machten uns auf den Weg und schoben uns entschuldigend durch eine der langen Schlangen, wobei mein Blick an der Autorin, die diesen Andrang verursacht hatte, hängen blieb. In ihrem hübschen Gesicht stand Panik, als sie ihre Augen über die unzähligen Menschen schweifen ließ.

Zoeys Handy klingelte schon wieder. »Uff, das ist mein Chef. Da muss ich rangehen.«

»Gib mir den Koffer, sonst läufst du weg und lässt ihn irgendwo stehen.« Ich nahm ihr den Griff aus der Hand.

»Einmal. Na gut, viermal.«

Ich scheuchte sie fort.

»Lawrence, was verschafft mir die Ehre an einem Samstag?«, sagte Zoey ins Telefon und ging in Richtung Ausgang.

Ich blieb stehen und sah wieder zu der Autorin. In ihrer Schlange warteten immer noch fünfzig Leute, und sie wirkte erschöpft. Fast eine ganze Minute lang rang ich mit mir, dann wühlte ich im Koffer, bis ich gefunden hatte, was ich suchte, und machte mich auf den Weg zu ihrem Tisch, wo eine überforderte Aufsichtsperson jedoch sofort die Hände hob. »Entschuldigen Sie, aber Sie müssen genau wie die anderen vielen, vielen Leser warten, bis Sie dran sind.«

»Ich bin auch Autorin, und ich habe etwas für …«, ich warf einen Blick auf die Beschilderung, »Stormi Garza.«

»Dann beeilen Sie sich aber. Wir werden hier ohnehin noch die ganze Happy Hour stehen, es sei denn, meine Menopause bringt mich mit einer letzten Hitzewallung um die Ecke.« Sie wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.

»Hier, das ist für Sie.« Ich reichte der Frau einen Proteinriegel und ein Sportgetränk.

»Boah! Sie sind ein verdammter Engel!«, flüsterte sie und riss gierig die Verpackung auf.

Mich bei den Leserinnen vorn am Tisch entschuldigend, schlüpfte ich dahinter.

»Hi, ich bin Hazel«, sagte ich zu Stormi. »Ich dachte, du brauchst vielleicht eine kleine Stärkung.« Ich stellte noch ein Sportgetränk auf den Tisch.

Stormi sah die Flaschen an, als würde sie gleich losweinen. Sie war hübsch, kurvig und unfassbar jung mit einer Wolke aus welligem schwarzen Haar um den Kopf. »Danke«, raunte sie.

»Austrinken«, verlangte ich. »Du machst das großartig. Bald hast du es geschafft, und alle freuen sich wahnsinnig, dich zu sehen.«

»Mir tut das Gesicht weh vom vielen Lächeln, und meine Hand fällt bestimmt auch gleich ab.«

»Dafür habe ich auch was.« Ich schob eine kleine Kühlvorrichtung mit Reißverschluss über die edle lila Tischdecke mit ihrem Logo darauf.

»Ist das Alkohol? Bitte sag, dass das Alkohol ist«, bettelte Stormi.

»Viel besser«, versprach ich. »Das ist ein Kühlhandschuh, den man beim Signieren anziehen kann. Schieb einfach deine Schreibhand rein, das hilft gegen Entzündungen. Und der Drink in deiner Hand bleibt auch noch kalt.«

»Du bist echt meine Heldin.«

Etwas unbeholfen winkte ich ihr zu und zwängte mich mit dem Koffer wieder hinter dem Signiertisch hervor.

Es fühlte sich an, als wäre das eben eine symbolische Staffelstabübergabe gewesen. Die alte, klapprige Athletin hatte die Kapitänsbinde an jemanden mit jüngeren, frischeren Muskeln überreicht. Und natürlich freute ich mich, dass ich ihr hatte helfen können. Aber überraschenderweise war da auch noch ein anderer Teil von mir, der sich plötzlich meldete. Einer, der nicht bereit war, einfach anderen das Feld zu überlassen.

Ich entdeckte Zoey im Atrium, wo sie am gläsernen Geländer lehnte und auf den Springbrunnen in der Lobby unter uns starrte, das Handy immer noch in der Hand.

»Ich brauche jetzt einen Drink. Und du?«, fragte ich.

»Ja.« Ihre Stimme klang ungewohnt heiser.

»Was ist los? Hat sich hier eine Taube reinverirrt?« Zoeys Angst vor Vögeln trug zu meiner andauernden Belustigung bei.

Doch als sie endlich zu mir hochblickte, sah ich, dass ihre grünen Augen feucht waren. »Nein. Ich wurde gerade gefeuert.«

»Also, heute war anscheinend der Tag, an dem ich Earl Wiggens babysitten wollte.« Zoey starrte missmutig in ihr Glas. Sie hatte den Barkeeper um den Drink mit dem höchsten Alkoholgehalt gebeten, und er hatte ihr im Grunde einen Bottich Long Island Ice Tea gebracht.

»Der latent frauenfeindliche Horrorautor, der bei Live-Interviews immer peinliche Sachen sagt?«, hakte ich nach und rührte mit der Limettenspalte in meinem Wodka Soda.

»Genau der. Er ist einer der größten Fische der Agentur. Eigentlich sollte er dem New Yorker ein Interview geben, aber sein Agent ist wohl auf einer Buchmesse in Deutschland. Ich dachte, das wäre nächstes Wochenende. Hab es mir falsch in den Terminplaner geschrieben.«

»Ach, Zo.« Die Terminpannen der Frau waren legendär.

»Also ist er allein zu dem Interview und hat was Bescheuertes gesagt«, fuhr sie fort.

»Sie können dich doch nicht feuern, weil der Autor eines anderen Agenten Scheiße baut«, entgegnete ich aufgebracht.

Zoey verschränkte die Arme auf der Theke und legte das Kinn da­rauf. »Können sie, und haben sie. Lawrence meinte, das hätte das Fass zum Überlaufen gebracht.«

Ich wuschelte ihr liebevoll durch die Locken. »Was willst du jetzt machen?«

»Trinken. Und zwar eine Menge«, sagte sie zur Bar gewandt.

»Dann lass mich dir in dieser schweren Stunde unter die Arme greifen.« Ich bedeutete dem Barkeeper, dass wir noch eine Runde wollten.

»Ich arbeite so verdammt hart, aber ich baue ständig Mist. Jeder andere Erwachsene auf der Welt kann eine Kalender-App benutzen. Ich nicht. Jetzt will die Agentur Schadensbegrenzung betreiben und – oh mein Gott! Ich habe ja Wettbewerbsverbot«, jammerte sie. »Also kann ich keine Autoren mitnehmen, auch wenn sie über meine grobe Nachlässigkeit hinwegsehen würden.«

So eine Scheiße.

Ich wusste ja, dass sie von der Arbeit sehr unter Druck gesetzt worden war während der Scheidung. Aber ich war so sehr in mein eigenes endloses Selbstmitleid vertieft gewesen, dass ich kaum an andere gedacht hatte. Zoey war die Einzige, die sich immer für mich eingesetzt und mich ermutigt hatte. Und jetzt verlor sie ihren Job, weil sie in meiner Not für mich da gewesen war.

Ich nahm ihre Hand. »Ich weiß, das hilft gerade auch nicht weiter, aber du hast mich. Und bloß, weil ich ewig kein Buch geschrieben habe, heißt das nicht, dass sie mich auf den Gnadenhof bringen sollten, oder was man sonst mit alten Pferden macht.«

»Klebstoff.«

»Ekelhaft. Aus mir werden sie jedenfalls keinen Kleber machen, das verspreche ich. Und aus dir auch nicht. Wir stehen das gemeinsam durch. Und dann reiben wir ihnen unseren Erfolg unter ihre hässlichen, selbstgefälligen Nasen.«

Zoey schenkte mir ein tränenfeuchtes Lächeln, das nicht mal ansatzweise überzeugend war. Sie glaubte mir nicht. Aber das konnte ich ihr kaum übel nehmen. Ich wusste ja nicht mal, ob ich mir glaubte.

»Danke, Haze. Lieb von dir.« Sie saugte am Strohhalm, bis das Eis in ihrem Glas klimperte.

Ich ließ mich im Aufzug meines Wohnhauses gegen die Wand sinken. Nicht die durch meine Blutbahn schlingernden vier Wodka Soda brachten mich um den Willen, gerade zu stehen, sondern die Realität.

Es war noch nicht einmal achtzehn Uhr an einem Samstag, und ich war jetzt schon bereit, mich die nächsten vierundzwanzig Stunden im Bett zu verkriechen. Meine Glieder waren schwer, mein Kopf benebelt. Warum war das Leben nur so schwierig und kostete so viel Energie?

Ich drückte auf den Knopf für meine Etage und holte mein Handy raus, musste mich irgendwie von der spektakulären Niederlage, die sich meine Karriere nannte, und den Schuldgefühlen über die Zerstörung von Zoeys ablenken.

Wo waren die Videos mit den mittelalten Männern, die mit Welpen überrascht werden, wenn man sie brauchte?

Die roten Benachrichtigungen über verpasste Anrufe und Nachrichten fielen mir ins Auge, und ich seufzte gedehnt. Schlimmer konnte mein Tag auch nicht mehr werden.

Ich spielte die neueste Sprachnachricht ab.

»Ms. Hart, hier ist Rachel Larson, Anwältin bei Brown & Hardwick. Ich wollte mit Ihnen über die Bestimmungen Ihrer Scheidungsvereinbarung sprechen. In erster Linie Ihre Zustimmung, die Wohnung meines Mandanten zu räumen. Laut meinen Akten wurde Ihnen der entsprechende Räumungstermin letzten Monat zugestellt. Ich muss mit Ihnen besprechen …«

Die äußerst professionell klingende Rechtsanwältin Rachel Larson verstummte, als ich die Nachricht stoppte, weil ich nicht wusste, ob ich den Rest des Satzes überleben würde.

Die Fahrstuhltüren öffneten sich auf meiner Etage, und ich trat benommen in den früher ziemlich vornehmen, nun aber vor allem altmodischen Flur. Ich erinnerte mich verschwommen, irgendeine Sendung entgegengenommen und dafür unterschrieben zu haben. Aber da hatte ich schon eine Flasche Wein intus gehabt und war in einen Cougar-Town-Serienmarathon vertieft gewesen.

Zwei Türen weiter erklangen Musik und Gelächter. Zwar wusste ich nicht mehr, wie sie hießen, aber dort wohnte ein Paar um die fünfzig, das jeden Monat eine Dinnerparty schmiss. Erst nach drei Jahren war mir aufgegangen, dass ihre Gäste Nachbarn aus dem Stockwerk waren. Wir hatten jedoch nie eine Einladung erhalten.

Jim zufolge lag das daran, dass sie prollige Sportfans waren, die einen guten Cabernet nicht von Cola light unterscheiden konnten.

Ich hingegen hatte die Vermutung gehegt, dass wir viel eher wegen solcher Vorurteile nicht auf der Gästeliste standen.

Ich kramte meinen Schlüssel aus der Tasche, stieß die Tür mit der Schulter auf und eilte in meine Wohnung. Dort ließ ich meine Sachen auf den Wohnzimmerboden fallen und durchsuchte hastig das Chaos an Unterlagen auf dem Sofatisch. Dabei entdeckte ich den Umschlag mit dem Logo von Brown & Hardwick und riss ihn auf.

»Shit.« Ich überflog die erste Seite des offiziellen Dokuments. »Shit. Shit. Shit.«

Ich hatte keinesfalls vergessen, dass ich als ultimativen Akt der Konfliktvermeidung versprochen hatte, zwölf Monate nachdem die Tinte unter dem Scheidungsurteil getrocknet war, auszuziehen. Aber ich hatte beschlossen, die Sache in der kurzzeitigen Überzeugung zu ignorieren, mich rechtzeitig aus meiner Abwärtsspirale befreien und das Ganze regeln zu können, bevor es zu spät war.

 … muss das Objekt bis zum 15. August räumen.

»Am fünfzehnten August? Also in fünf Tagen? Nein, nein, nein. Das kann nicht wahr sein!«

Ich stürzte mich auf meine Tasche, schnappte mir mein Handy und drückte den Anrufen-Button. »Ja, hallo, tut mir leid, Sie am Wochenende zu stören, aber ich muss mit Rachel … irgendwas sprechen. Hier ist Hazel Hart.« Ich versuchte, den Wochenendtelefondienst nicht mit meiner Panik und meinem Ärger zu überschütten.

»Ich habe die Anweisung, Sie direkt zu Ms. Larson durchzustellen. Außerdem ist meine Mutter ein Riesenfan, Ms. Hart. Sie hat ständig Ihre Bücher gelesen«, erzählte er fröhlich, als würde seine Kanzlei nicht gerade versuchen, mich obdachlos zu machen.

»Danke«, erwiderte ich trocken.

Ich tigerte auf und ab und lauschte nägelkauend der Jazz-Wartemusik.

»Ms. Hart, wie nett, dass Sie zurückrufen.« Es hörte sich an, als sei Rachel »Raus aus deiner Wohnung« Larson gerade bei irgendeiner Indoor-Sportveranstaltung.

»Werden Sie für den Sarkasmus extra bezahlt?«

»Ms. Hart.« Ihr Tonfall drückte aus, dass sie einen unerschöpflichen Fundus an hoch bezahlter Geduld für Spinner wie mich zur Verfügung hatte. »Mir ist bewusst, dass das nicht einfach für Sie ist, aber mein Mandant und meine Kanzlei haben Ihnen ausreichend Zeit gegeben, alles in die Wege zu leiten.«

»Was denn in die Wege leiten? Aus meiner Wohnung geworfen zu werden?«

»Streng genommen ist es die Wohnung Ihres Ex-Mannes.«

Ich schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Nein! Er hat sie mir zur Hälfte überschrieben, als wir geheiratet haben.«

»Wie gesagt, Ms. Hart, unseren Unterlagen zufolge läuft zwar die Hypothek mit auf Ihren Namen, nicht aber die Besitzurkunde.«

»Welchen Unterschied macht das?« Ich stolperte über einen Stapel überfälliger Bibliotheksbücher.

»Damit sind Sie Miteigentümerin der Schulden und nicht der Immobilie.«

»Wieso? Wieso? Ich meine, wieso würde jemand, der behauptet, einen zu lieben, so was machen?«

»Es ist nicht mein Job, die Motivation meiner Mandanten zu hinterfragen.« Am anderen Ende waren deutlich Pfiffe und kollektives Stöhnen zu hören.

»Ich habe Suits dreimal von Anfang bis Ende geguckt, und bei denen spielt das Motiv irgendwie immer eine entscheidende Rolle«, widersprach ich.

»Ms. Hart, es hat keinen Zweck mehr, dagegen zu kämpfen. Sie können das natürlich gern mit Ihrem Rechtsbeistand besprechen, aber für den Moment sollten Sie das in einer anderen Wohnung tun.«

»Meinem letzten Funken Verstand zuliebe, bitte nennen Sie mich Hazel. Was, wenn ich das Apartment kaufe?«

»Hazel, das ist mit Sicherheit eine Möglichkeit, auch wenn ich nicht mit Ihrer finanziellen Situation vertraut bin. Ich rate Ihnen, sich an Ihren eigenen Anwalt zu wenden. Aber selbst wenn Sie diesen Weg gehen, müssen Sie die Wohnung bis Donnerstagabend geräumt haben.«

»Und wo soll ich hin?«, quietschte ich.

»Sie haben doch sicher Freunde oder Verwandte, die Sie gern aufnehmen, bis Sie sich Ihr weiteres Vorgehen überlegt haben. Oder Sie nutzen die Gelegenheit für einen Neuanfang ganz woanders«, schlug Rachel mit einem Hauch Herablassung vor, wie es nur sehr wichtige Menschen, die sehr wichtige Dinge zu tun haben, konnten.

Mein verächtliches Schnauben hätte das Häuschen eines der drei kleinen Schweinchen umpusten können.

Ein Neuanfang? Sollte das ein Witz sein? Ich war geborene New Yorkerin mit Leib und Seele. Ich hatte noch nie woanders gelebt. Nicht mal auf Long Island. Ich war die Art Manhattan-Bewohnerin, die immer die Augen verdrehte, wenn jemand für ein Häuschen mit Garten aus der Stadt wegzog. Wer wollte schon Rasen mähen, wenn man in jede x-beliebige Richtung nur einen Block laufen musste, um erstklassig shoppen gehen oder äthiopisches Essen mit Michelin-Stern genießen zu können?

New York war mein Zuhause. Das einzige, das ich jemals hatte. Ich war hier geboren und hatte – bis vor sieben Minuten – auch damit gerechnet, hier zu sterben.

»Schön, dass wir endlich sprechen konnten. Ich freue mich auf eine friedliche Lösung. Sie können jederzeit im Büro anrufen, wenn Sie noch mehr Fragen zu Ihrer Vereinbarung haben«, beendete Rachel das Gespräch und legte auf.

»Hallo? Hallo?«, rief ich fassungslos in die tote Leitung.

Ich warf das Handy auf die Unterlagen und fing wieder an, auf und ab zu laufen. Ich hatte eine Rechtsberaterin. Aber ihr Fachgebiet waren eher Verlagsverträge als verfahrene Privatangelegenheiten. Und meine Scheidungsanwältin war so entsetzt gewesen von meinem krankhaften Wunsch, aufzugeben, dass sie bestimmt nicht noch mal mit mir sprechen wollte. Ich hätte auf sie hören sollen. Ich hätte mehr kämpfen sollen. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Hauptsache, das nette Mädchen sein. Bloß kein Theater machen. Wenigstens hätte ich meinen Stolz runterschlucken, meine Mutter anrufen und sie um Rat bitten sollen. Stattdessen hatte ich mich einfach tot gestellt, und das kam mich nun teuer zu stehen.

»Du solltest der Richtige sein«, murmelte ich, falls der Geist der vergangenen Ehemänner gerade herumspukte. Ich rieb mir das Gesicht und tigerte weiter. Keiner meiner Helden hätte das jemals einer meiner Heldinnen angetan. Ich war eine deprimierte, geschiedene Katastrophe mittleren Alters und brauchte eine Lösung.

Ich hatte schon lange keine kreative Lösung mehr per Brainstorming-Session finden müssen – weder für ein fiktionales noch für ein echtes Problem. Es fühlte sich an, als würde ich gedanklich in Elmer’s Glue feststecken, dem Flüssigklebstoff.

Oh Gott. Wurde Elmers Kleber aus alten Pferden gemacht? Hieß das erste Pferd, das sie zu Klebstoff verarbeitet hatten, Elmer?

Ich schüttelte den Gedanken ab. »Konzentrier dich, Hazel. Nachdenken. Was löst alle Probleme?«

Wein? Nein. Familie? Auf keinen Fall. Wie angewurzelt blieb ich stehen. »Geld.«

Ich grub meinen Laptop aus und ging damit zur Küchentheke, viel zu aufgekratzt, um mich hinzusetzen. Erst nach drei Versuchen schaffte ich es, mich in mein Bankkonto einzuloggen.

»Okay. Nicht furchtbar, aber auch nicht genug, um eine Wohnung in Manhattan zu kaufen«, stellte ich beim Blick auf den Kontostand fest. Dank automatischer Lastschriften, unregelmäßiger Honorare und meiner komplexen Trauerphase in Kombination mit Scham und Lethargie hatte ich alles schleifen lassen … inklusive, meine finanzielle Lage im Blick zu behalten. Vorschüsse hatte ich keine mehr bekommen, weil ich auf jede Deadline mit Furzgeräuschen reagiert hatte. Und in Sachen Gewinnbeteiligung sah es auch düster aus. Richtig düster.

Zum Glück hatte ich zumindest Erfahrung darin, fiktionale Figuren aus dem Tiefpunkt herauszuholen. Jetzt musste ich also nur noch denken wie eine Heldin.

4

Stadt-Dornröschens unsanftes Erwachen

Hazel

Zwei Stunden später ließ ich mich auf den Wohnzimmerteppich sinken. Meine Augen waren so ausgetrocknet wie die Sahara, ich war komplett entmutigt, und mein Rücken fühlte sich an, als hätte Maurice, der Esel aus meinen Spring-Gate-Büchern, mir einen Tritt in die Nieren verpasst.

Ich hatte drei Anwaltskanzleien angerufen, aber am Samstagabend nahm niemand ab. Also hatte ich mich auf Immobiliensuche begeben und herausgefunden, dass letztes Jahr zwei Wohnungen in meinem Gebäude für das Dreifache meines Kontostands verkauft worden waren. Dann hatte ich drei Hypothekenrechner ausprobiert, bis es mir langsam dämmerte.

Sofern sich nicht morgen Hals über Kopf ein umwerfender Milliardär in mich verliebte, konnte ich unmöglich in meiner Wohnung bleiben.

Ich tastete über mir auf dem Sofatisch nach meinem Handy und fegte dabei mehrere Blätter Papier herunter. Sie landeten mir im Gesicht.

»Hey, Universum, wenn du mich lebendig begraben willst, brauchst du mehr Papier«, rief ich den Mächten zu, die es offensichtlich auf mich abgesehen hatten.

Aus dem Hausflur erklangen Gelächter und Verabschiedungen, als die Dinnerparty zu Ende ging.

Hätten meine Nachbarn ein schlechtes Gewissen, wenn ich nur wenige Meter von ihren mindestens eine Million werten Zwei- und Dreizimmerwohnungen unter einer Tonne Papierkram erstickte? Ich spielte mit dem Gedanken, einfach die ganze Nacht so liegen zu bleiben, bis mir meine lebenslange Angst vor scharfen Papierkanten im Auge wieder einfiel.

Vorsichtig schob ich mir die Blätter aus dem Gesicht und setzte mich auf. Es war eine der Mappen, die Zoey mir gegeben hatte.

Ich schlug sie auf und fand Kopien neuer Geschichten und Notizbuchseiten. Meine Ideenmappe, deren Existenz ich völlig vergessen hatte.

Früher einmal hatte ich liebend gern Einfälle mit Zoey geteilt, während wir Wein aus richtigen Gläsern getrunken hatten.

Früher einmal hatte ich auch regelmäßig gelacht und geduscht. Na ja, geduscht zumindest halbwegs regelmäßig. Autorinnen führten oftmals ein ziemliches Lotterleben, das eher darauf ausgelegt war, alle geistige Energie auf fiktionale, besser riechende Menschen zu verwenden.

Ich blätterte durch die ersten paar Seiten. Alte Zeitungsberichte über Organspenden, Adoptionen und Babys mit Cochlea-Implantaten, die zum ersten Mal die Stimmen ihrer Eltern hörten. Dann entdeckte ich handschriftliche Notizen mit Perlen wie Heldin bekommt immer Schluckauf, wenn sie lügt und Möbeldesigner-Held baut Bett, auf dem er Heldin flachlegt.

Ich trommelte mit den Fingern und wartete. Aber da kam nichts. Nicht der geringste kreative Funke in meinem Hirn. Nicht mal ein Hauch von »Was wäre, wenn«.

»Nervig«, teilte ich meiner leeren Wohnung mit.

Ich grub tiefer und fand einen Artikel aus einer Zeitung aus Pennsylvania.

Kleinstadt tut sich zusammen und rettet Seniorin das Haus

In der ruhigen, naturverbundenen Stadt Story Lake, Pennsylvania, kennt man noch echte Gemeinschaft. Als Dorothea Wilkes im Keller des historischen Hauses, das sie seit vierzig Jahren bewohnt, einen Rohrbruch entdeckte, wusste sie, dass sie sich die Reparatur nicht würde leisten können.

Seit dem Tod ihrer Frau vor fünf Jahren hat die 93-jährige Ingenieurin im Ruhestand es nicht leicht gehabt. Die Instandhaltung von Heart House, einem riesigen, in den 1860er Jahren erbauten Second-Empire-Anwesen, wurde zusehends teurer. Als sie einen Bauunternehmer aus der Stadt um einen Kostenvoranschlag für die Schadensbehebung bat, informierte sie ihn gleich über ihr begrenztes Budget.

Aber bei Bishop Brothers Construction