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Lena Hafermann

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Beschreibung

Kennt nicht jede von uns das Gefühl, wenn das eigene Leben plötzlich nicht mehr zu passen scheint? Als in der Kanzlei von Umweltanwältin Jette Meerwiek ein Skandal aufgedeckt wird, macht man sie dafür verantwortlich und ihr Leben wird aus dem Takt gebracht. Sie beschließt, der Einladung ihrer Tante, die auf der Nordseeinsel Friesum eine Pension führt, zu folgen. Schließlich läuft es auch mit ihrem Verlobten, dem aufstrebenden Staranwalt Julius, alles andere als rund… Nur eine Auszeit und dann mit aufgeladenen Akkus zurück, sagt sich Jette. Aber dann trifft sie den Umweltaktivisten Hinnerk und nicht nur ihre Karriere, sondern auch ihr Herz gerät ganz schön ins Stolpern. Bald stellt sie sich die Frage: Ist sie der alten Jette entwachsen und braucht nicht nur eine Pause, sondern gleich einen richtigen Neuanfang?

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Lena Häfermann

Strandhaferglück

Liebe auf Friesum – Band 1

Illustrationen und Cover: Corinna Beckmann

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Impressum

Strandhaferglück Liebe auf Friesum – Band 1

Kapitel 1

Schnaufend nahm Jette Meerwiek die letzten Stufen. Es war Mitte Juni und fast unerträglich heiß in dem verglasten Treppenhaus in Frankfurts Büroviertel. Sie ächzte. Bei dem Gedanken daran, gleich mit verschwitzter Bluse vor ihrem Team zu stehen und ihre Präsentation halten zu müssen, brach eine weitere Hitzewelle in ihr los. Was hatte sie sich an einem warmen Juni-Morgen bloß dabei gedacht, hellblau zu tragen? Sie hob den Arm, um einen vorsichtigen Blick unter die Achsel zu wagen. Schweißnass! Sie spürte förmlich, wie sich vor Entsetzen weitere kleine Schweißtröpfchen im Nacken unter ihrem Haarknoten bildeten. Die mit einer ordentlichen Menge Haarspray fixierten roten Haare würden bald damit beginnen, sich vorwitzig zu locken.

Das dampfende Getränk, das sie mit ihrer rechten Hand umklammert hielt, steuerte seinen Anteil zu der allgemeinen Umgebungswärme bei. Matchatee! Urgh, wie das roch! Nach warmem Heu und Alge. Ein unwillkürlicher Schauer ging über ihren Körper, als ein Duftschwall der Trinköffnung entwich. Aber ein Kunde war ja immer König. So sagte man und so hatte sie es verinnerlicht. Erst recht in der ehrwürdigen Kanzlei Heinzmann + Sohn, für die Jette nun seit fast vier Jahren tätig war und in der sie seit Kurzem den Posten der externen Rechtsreferentin für einen ausgewählten Mandanten bekleidete. Wäre nicht die Sommergrippe in der Kanzlei losgebrochen, hätte sie in ihrer Position natürlich problemlos einen der Assistenten bitten können, den Tee für den Mandanten zu besorgen. Aufgrund der zahlreichen krankheitsbedingten Ausfälle war sie dann doch selbst noch rasch losgezogen. Sie war es ja auch, die sich mit dem Klienten gut stellen wollte.

Die Kanzlei Heinzmann + Sohn gab es schon viele Jahrzehnte und sie zählte zu den ersten Adressen der Stadt, wenn Unternehmen juristischen Rat in wirtschaftlichen Belangen benötigten. Schon seit 1958 berieten Heinzmann Senior und seine Söhne ihre Mandanten in allen Fragen des Wirtschafts- und Umweltrechts. Die lange Familientradition der Kanzlei wurde mit viel Stolz gepflegt und das Schicksal hatte es bislang gut gemeint mit den Heinzmanns und schenkte ihnen immer einen passenden Firmennachfolger für den Namen. Bis jetzt. Der nächste in der Reihe stehende Heinzmann Junior hieß Fridolin-Eduard und war 21 Jahre alt. Die Chance, dass er die heinzmännische Tradition fortführen würde, sah derzeit trüb aus, denn er studierte zum Entsetzen aller Familienangehörigen mit großer Leidenschaft Schauspiel und interessierte sich keinen Deut für die Juristerei.

Weil Jette nun glaubte, sich darauf Hoffnungen machen zu können, dass es in ferner Zukunft irgendwann heißen könnte, Kanzlei Heinzmann, Sohn + Meerwiek, war sie wenige Minuten vor Terminbeginn losgeflitzt, um für den Legal Council von GreenEnergy einen Matchatee zu besorgen, um ihn gnädig zu stimmen, ihm zu zeigen, wie kostbar er für die Kanzlei war und dass man für sein Wohlbefinden keine Mühe scheute.

Jetzt atmete sie schwer. Ihr Blick fiel auf den Steinboden, der verlockend kühl anmutete, und sie war versucht, sich hinzulegen und für einen Moment lang flach wie eine Flunder auszustrecken. Es müsste herrlich sein, die kalten Fliesen an ihrem überhitzten Rücken und an den Händen zu spüren. Es wäre zu schön, und in Anbetracht der Flecken unter ihren Armen offenbar ja auch dringend notwendig, sich für einen Moment abzukühlen, damit sie den Kunden nicht abgehetzt, errötet und glänzend begrüßte.

Aber daraus würde wohl in so kurzer Zeit ohnehin nichts werden. Vom Himmel strömte gleißendes Licht in das Atrium, das ihre Augen blendete und den marineblauen Stoff ihrer Hose zu versengen schien. Beim Bau des Büroturms und schon vorher beim Design hatte man augenscheinlich in erster Linie daran gedacht, dass das Gebäude so eindrucksvoll wie möglich werden sollte, dachte Jette nicht zum ersten Mal. Schick, aber nicht sehr praktikabel. Ein Flaggschiff moderner Bürogebäudearchitektur. Mit spiegelnden Fronten, die das Leben der Stadt reflektierten. Die bodentiefen Fenster boten ein spektakuläres Panorama auf die SkyLine und auf den sich durch die Häuserschluchten schlängelnden Main, der in Sonne glitzerte, als wäre er poliert. Obwohl Jette schon Monate in dem Büro arbeitete, hatte sie sich noch immer nicht satt gesehen. Der Ausblick war faszinierend! Die Räume der Kanzlei waren zuvor in einer alten Villa am Stadtrand untergebracht gewesen. Jette bedauerte den Umzug trotz des fantastischen Rundblicks und des erhebenden Gefühls, mit der neuen Adresse im Business-Viertel der Stadt in der Karrierewelt angekommen zu sein. Die alten Räumlichkeiten waren charmant gewesen, wie sie fand, und hatten die Werte der Kanzlei auf eine authentische Art und Weise repräsentiert: Vertrauen, Bodenständigkeit und solides Unternehmertum.

Aber das waren eben andere Zeiten gewesen, dachte sie jetzt, als sie sich erinnerte, und seufzte. Seitdem sie zu einer bundesweit und sogar international tätigen Kanzlei-Holding gehörten, waren die gemütlichen, verwinkelten Räume nicht mehr angemessen genug. Zu piefig, hatten die Obersten entschieden. Und tauschten nicht nur die Firmenstätte, sondern zu Jettes Missfallen auch zwei der Teamleitungen aus. Was dazu geführt hatte, dass ihre Chefin Susi, die zu ihrer Mentorin und fast zu einer Freundin geworden war, aus angeblich strukturellen Gründen in eine andere Niederlassung der neuen Inhabergesellschaft versetzt wurde. Sie vermisste Susi als Beraterin und enge Vertraute. Vierzehn Mitarbeitende waren es jetzt nur noch, die direkt bei Heinzmann + Sohn angestellt waren. Vierzehn von ursprünglich fünfundzwanzig. Die elf Kolleginnen und Kollegen hatten verlockende Verträge und Angebote erhalten, damit sie zur Holding wechselten und Jette befürchtete fast, dass es den übrigen vierzehn auch bald so ergehen würde. Obwohl Heinzmann Senior allen sein Wort gegeben hatte, dass sich fortan nichts mehr ändern würde.

Über Susis Ersatz, Dr. Johannes Krombacher, hätte man sich streiten können. Jette hielt sich beim Büroklatsch mit einem Urteil zurück. Sie hatte schließlich vor, eines Tages ihren Namen am glänzenden Eingangsschild zu lesen. Nicht nur die erste Frau als Partnerin im Unternehmen, sondern außerdem eine Anwältin, die nicht wegen ihrer DNA, sondern aufgrund von Eifer, Fleiß und Talent zur Führungsriege zählte. Dafür war ein professionelles Auftreten unabdingbar und hinter vorgehaltener Hand über den Chef herzuziehen zählte sicher nicht dazu. Sowieso lag es nicht in Jettes Wesen, schlecht über andere Menschen zu reden. Weder bei der Arbeit noch im Privaten. Auch wenn sie angesichts der Trottel, die das Bürogebäude entworfen hatten, heute beinahe davon abrücken könnte.

Offenbar hatten die Fachleute nicht berücksichtigt, dass mal jemand die Treppe nehmen und dabei im Sommer gehörig ins Schwitzen geraten könnte. Sie hatten in Jettes Augen also einen wesentlichen Punkt in der Funktion eines Treppenhauses vernachlässigt. Der elegante Lift in Rundform befand sich genau in der Mitte und der erlesene Kundenstamm der im Bürokomplex ansässigen Notare, Unternehmensberatungen und Rechtsanwälte vertrauten in ihrer feinen Kleidung und den nicht zum Treppensteigen gemachten Schuhen auf die moderne Technik.

Leider rührte sich der Aufzug seit dem Nachmittag des zurückliegenden Freitags keinen Zentimeter mehr. Und auch die Klimaanlage schwächelte seit längerem. Dr. Krombacher hatte deshalb schon einen ausgewachsenen Tobsuchtsanfall erlitten und den Hausmeister zur Schnecke gemacht. Das hatte den gutmütigen Hauswart allerdings genauso wenig beeindruckt wie den Lift selbst, der auch heute, am Montagmorgen, noch immer nicht wieder funktionierte. Die Krankheitswelle hatte an der Tür der Kanzlei nicht Halt gemacht und ein geeigneter Techniker konnte nicht herbeigezaubert werden.

Um den in der Körpermitte eher umfangreichen Rechtsberater von GreenEnergy zu besänftigen, der mit dem morgendlichen Treppen-Workout wahrscheinlich nicht gerade glücklich gewesen war, hatte Jette also Matchatee geholt. Gleich würde sie erfahren, ob sie da einen „good job“ gemacht hat, wie ihr Chef sagen würde. Sie kicherte, denn sie fand die beiläufigen englischsprachigen Ausdrücke ihres Vorgesetzten, der damit wohl zeigen wollte, dass er in einem internationalen Umfeld arbeitete, auch nach Wochen der Zusammenarbeit immer noch ein bisschen albern.

Sie war ohnehin schon viel zu spät, also gönnte sie sich nun noch einen weiteren, allerletzten Moment, um sich zu sammeln. Einatmen, kurz halten, und ausatmen. Ein bewusster Atem-Rhythmus soll ja bekanntlich das Nervenkostüm beruhigen. Was sollte außerdem schon schief gehen? Ihr Vortrag war ja perfekt vorbereitet! Sie hatte alle Maßnahmen genauestens gelesen und analysiert, Vorgänge und Details recherchiert, Zahlen überprüft, Strategien der Konkurrenz gecheckt und gestern bis spät in die Nacht an ihrer Präsentation gefeilt. Sie war sicher: der heutige Termin würde dem Kunden und ihrem Vorgesetzten zeigen, dass Susi noch kurz vor ihrer Versetzung die richtige Entscheidung damit getroffen hatte, Jette zu dieser verantwortungsvollen Position zu raten und sie zu ermutigen, den Job anzunehmen. Auch wenn sie mit knapp 30 Jahren sehr jung war, um für einen Mandanten dieser Größe nahezu alleine verantwortlich zu sein.

Sie spürte das drohende Unheil noch ehe sich die Tür mit einem lauten Rumms öffnete und die schneidende Stimme ihres Vorgesetzten sie aus dem Takt brachte.

„Frau Meerwiek“, donnerte er, „was zur Hölle tun Sie denn hier? Wir warten seit 20 Minuten auf Sie, falls ich Sie in Ihrer meditativen Sitzung unterbrechen und daran erinnern darf.“

Jette schluckte ein „Sie dürfen“ herunter und sagte stattdessen: „Entschuldigen Sie, ich komme.“ Sie atmete ein letztes Mal tief durch und folgte ihrem Chef in die Kanzlei. Auf dem Weg in den großen Konferenzraum, in dem das Legal Team des Kunden, Herr Krombacher und ihr Kollege und guter Freund Tom Möbius auf sie warteten, straffte sie die Schultern und setzte ein strahlendes, selbstsicheres Lächeln auf.

„Guten Morgen“, sagte sie in die Runde, als sie den Meetingraum betrat und sich umsah. Es herrschte eine gelöste und keineswegs ungeduldige oder verärgerte Stimmung, wie sie erleichtert bemerkte. Alle plauderten gut gelaunt miteinander. Hier und da war ein Lachen zu hören. Kanzleischönling Tom flirtete augenscheinlich mit der Praktikantin von GreenEnergy, die gerade errötend über etwas kicherte, das er ihr zugeraunt hatte. Kurt Olbrecht, Oberhaupt der GreenEnergy-Rechtsabteilung und Matchateetrinker, war mit seinem Assistenten im Gespräch und blickte auf als Jette den Raum betrat. „Guten Morgen, Frau Meerwiek“, begrüßte er sie heiter und trat auf sie zu, „wie schön, Sie zu sehen.“ Jette reichte ihm erst die Hand und dann den Tee. „Das kann ich nur zurückgeben. Es ist ja ein wenig her, dass wir uns getroffen haben. Abgesehen von den Video Calls, meinte ich. Ich hörte, Sie trinken den Tee von Tea House so gern?“

Begeistert nahm er ihr das Gebräu ab. „Ohja, wie überaus aufmerksam. Das wäre doch aber nicht nötig gewesen!“

„Als kleine Entschädigung für das Aufzugs-Fiasko!“ Sie rollte mit den Augen, um ihren Ärger über die Situation auszudrücken. „Wir haben schon seit Freitagnachmittag Probleme damit.“

Mit einer lässigen Handbewegung wischte er ihre Bedenken beiseite. „Ach! Sie hätten nicht extra für mich losgehen müssen, aber vielen lieben Dank!“ Er lächelte ihr zu.

„Widerliches Zeug. Stinkt wie moderndes Heu,“ murmelte sie Tom kurz darauf zu, als sie sich neben ihm fallen ließ. „Was habe ich verpasst?“

Er lachte. „Nichts weiter. Plauderei über das Wetter und den kaputten Lift. Bist du nervös?“

„Und wie!“, gab Jette zu. „Ich weiß doch, dass mich alle immer noch so beäugen, als hätte ich gerade erst die Uni abgeschlossen.“

Tom, der nur ein paar Jahre älter war als Jette, klopfte dreimal auf den Tisch. „Das wird schon!“

Inzwischen hatten alle Platz genommen und sahen Herrn Krombacher, der am Tischkopf saß, erwartungsvoll an. „Ich begrüße Sie nun noch einmal offiziell“, er hüstelte und schielte anklagend zu Jette, die seinem Blick unbekümmert standhielt, „wir möchten heute mit Ihnen über die Geschäftsstrategie für das kommende Jahr sprechen. Ihre Referentin Jette Meerwiek hat dafür die Ansätze analysiert, die Sie uns geschickt haben, und eine Präsentation ausgearbeitet. Sie wird sie Ihnen jetzt vorstellen. Bitte Frau Meerwiek“, mit einladender Geste wies er sie an, das Wort zu übernehmen.

Jette nickte, verdrängte jeden Gedanken an Hitze und fleckige, hellblaue Blusen und begann mit ihren Ideen, wie GreenEnergy künftig noch klimafreundlicher wirtschaften und seine Position als grüner Energielieferant weiter stärken könnte. Die Nervosität schwand mit jedem Wort, das sie an die Runde richtete. Klimaschutz war ein Thema, das sie liebte und mit dem sie sich auskannte. Sie führte aus, dozierte, verwies auf Quellen und machte an den richtigen Stellen Pausen, um das Gesagte sacken zu lassen, kurz: ihre Präsentation war rundum perfekt.

„Die Windparks sollten nicht in den ausgewiesenen Schutzgebieten gebaut werden“, schloss sie zusammenfassend ihren Vortrag. „Und mit den Investitionen in die erneuerbaren Energien und dem erklärten Ziel der Klimaneutralität in allen Abteilungen können wir uns ganz auf das „Green“ im Firmennamen konzentrieren. Für die Gesellschaft und das nachhaltige Bestehen von GreenEnergy.“

Mit zufriedenem Gesicht blickte sie um sich, hoffte schon mal auf erste Anzeichen von Zustimmung, die aber nur Tom ihr in Form eines Zwinkerns zeigte, und nahm dann etwas erschöpft, aber erleichtert wieder Platz. Ihr war nicht verborgen geblieben, dass Kurt Olbrecht seinen Tee kaum angerührt hatte. Sie betete, sie könnte das auf ein ungeteiltes Interesse an ihren Ausführungen schieben. Doch als sie nun geendet hatte und Herrn Krombacher und den Legal Council genauer ansah, bemerkte sie die angespannten Mienen der beiden.

„Frau Meerwiek“, begann der massige Kurt Olbrecht und nahm nun doch einen Schluck aus seinem mittlerweile sicherlich erkalteten Tee. Und dafür Mühe, Stress und Hitze, schoss es Jette durch den Kopf. Dass er das Zeug trank, wenn es längst kalt war und sicher noch ekliger schmeckte als im warmen Zustand. „Ich befürchte, Sie haben mich etwas missverstanden, als ich Sie darum bat, die Geschäftsstrategie zu überprüfen.“ Jette fiel sofort auf, dass er nicht sagte, wir haben uns missverstanden, so wie sich das eigentlich gehörte, sondern ganz eindeutig darauf hinauswollte, sie war es gewesen, die ihn nicht richtig verstanden hatte.

„Ich habe das für mich ein wenig freier ausgelegt“, gab sie jetzt zu und richtete sich etwas auf, „um sich in der Energieindustrie als grünes Unternehmen zu positionieren, braucht es Mut und …“

„Danke. Danke. Ich denke, wir haben genug gehört, Frau Meerwiek“, schnitt Herr Krombacher ihr seufzend das Wort ab. Entweder bemerkte er nicht, wie unhöflich sein Verhalten seiner Mitarbeiterin gegenüber war oder aber es war ihm egal. Jette vermutete letzteres. „Ich denke, wir setzen uns einfach nochmal dran, Kurt“, wandte er sich dann entschuldigend an seinen Mandanten, den er nun vertrauensvoll duzte, also wollte er ihn an die gute Zusammenarbeit erinnern und daran, dass sie jeden ersten Sonntag im Monat gemeinsam auf dem Golfplatz verbrachten, „wir bleiben bei dem, was wir besprochen haben, in Ordnung? Eure Pläne werden lediglich auf Rechtssicherheit überprüft, sodass es keinen Ärger geben kann, und dann geben wir sie frei. Keine weitere Beratung oder Optimierungsvorschläge. Ihr habt euch schließlich was bei eurer Strategie gedacht. Das wollen wir respektieren. Ihr seid da die Experten.“

Kurt Olbrecht nickte erleichtert. „Danke dir. Kann ich bis Ende der Woche mit einem Ergebnis rechnen? Die CEOs sitzen mir schon im Nacken. Sie wollen verbindliche Resultate sehen.“

„Sure. Machen wir bis Freitag. Gar kein Problem.“

Kurze Zeit später saß Jette recht unglücklich in ihrem Büro und ließ den Kopf in die Handflächen sinken. Was war denn da gerade passiert? Warum hatte man sie derart abgebügelt? Einige lockige Haarsträhnen hatten sich gelöst und hingen nun herab, wie um ihren Gemütszustand zu unterstreichen. Zu Jettes großem Ärger druckste das Management von GreenEnergy seit Monaten nur so herum, ließ sich mit Entscheidungen Zeit und schien täglich an Innovationskraft zu verlieren. Von ihren anfänglichen Visionen wollte das einstige Startup längst nichts mehr wissen. Mit ihrem Vortrag hatte sie nun alles getan, um die Gründer an ihre ersten Tage und verrückten Ideen zu erinnern und in voller Überzeugung dafür gearbeitet, dass ihr Einsatz nicht nur langfristig zu mehr Klima- und Umweltschutz führen würde, sondern sie hatte als Angestellte einer Kanzlei für Wirtschaftsrecht selbstverständlich auch die Kosten und den Invest berücksichtigt. Sie wusste schließlich, wie wichtig es war, dass die Zahlen stimmten!

Als sie vor einigen Monaten den Aufgabenbereich der externen Referentin von GreenEnergy übernommen hatte, hatte sie sich überglücklich und motiviert bis in die Haarspitzen an die Arbeit gemacht. Sie war stolz darauf, nach wenigen Jahren in der Kanzlei eine derartige Verantwortung schultern zu dürfen und bei GreenEnergy, eines der nachhaltigsten Energieunternehmen in Deutschland, als Rechtsexpertin mit an Bord zu sein. Es war für sie ein Ritterschlag gewesen und nicht zuletzt die Bestätigung dafür, dass sie mit dem anstrengenden Studium und dem daraus folgenden Berufsweg die richtige Entscheidung für sich und ihre Überzeugungen gewählt hatte.

Um in der Energiebranche als klimafreundliches Unternehmen überhaupt ernst genommen zu werden, musste man ständig auf der Hut sein. Es galt, immer wieder den Vorwurf, Greenwashing zu betreiben, zu entkräften. Das war ein echter Knochenjob! Aber Jette machte ihn gern. Doch sie spürte auch, wie die Seifenblasen in ihrem Kopf nach und nach zerplatzten. Eine besonders große war heute kaputt gegangen.

Es klopfte an der Tür und Jette blickte auf. Es war Tom, der in der Tür stand und sie mitfühlend ansah.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er und trat zögerlich ein.

„Natürlich.“ Jette seufzte und erwiderte sein schwaches Lächeln. „Ich verstehe nur nicht ganz, was passiert ist. Hat Herr Krombacher noch etwas gesagt?“

Direkt nach dem Termin hatte ihr Chef Tom in sein Büro gebeten und ihr keines Blickes mehr gewürdigt.

Tom kratzte sich unbehaglich im Nacken und stotterte: „Äh ja. Um genau zu sein, schon.“

Jette spürte, wie ein kalter Schauer über ihren Rücken wanderte. Sie riss die Augen auf. „Nicht dein Ernst! Das kann er nicht machen!“

„Doch. Es tut mir leid.“ Unter Jettes bohrendem Blick fühlte Tom sich sichtlich unwohl. „Er hat mir die Verantwortung für GreenEnergy übertragen.“

Kapitel 2

„Das glaube ich ja wohl nicht! GreenEnergy ist mein einziger Mandant! Ich sollte mich voll und ganz auf ihn konzentrieren. Das geht so nicht! Ich muss mit Herrn Krombacher sprechen.“ Jette stand auf und ignorierte Toms Rufe in ihrem Rücken.

Aber Johannes Krombacher war für sie nicht zu sprechen. Seine Sekretärin wimmelte Jette ab und erklärte ihr, dass ihr Chef für die nächsten Stunden in wichtigen Terminen sei, er sie aber angewiesen hätte, ihr auszurichten, dass sie sich ein paar Tage frei nehmen sollte, um sich mal gehörig auszuspannen.

Sie, Jette Meerwiek, sollte sich also frei nehmen. Was für ein Scherzkeks ihr Chef doch war. Sie hatte so lange keinen Urlaub gemacht, dass sie kaum noch wusste, wie das ging. Während sie jetzt durch die sommerlichen Straßen nach Hause schlich, fragte sie sich, was sie in den nächsten Tagen tun sollte. Vielleicht sollte sie eine Weile wegfahren. Ans Meer oder in die Berge. Oder sie könnte mit ausreichend Zeit und Muße den Zoo besuchen oder die Museen, die schon seit langem auf ihrer Liste standen.

Seit sie die Uni abgeschlossen hatte, war sie nicht mehr an einem Nachmittag einfach so durch die Stadt gelaufen. Und wenn sie es recht bedachte, waren die freien Tage auch in den Unizeiten schon eher spärlich gesät gewesen. Lernen und Arbeit bestimmten seit vielen Jahren ihr Leben. Manchmal ging sie zum Sport in ein Fitnessstudio, in dem sie recht einsam ihre Übungen absolvierte und sich hin und wieder einem Pilates- oder Yogakurs anschloss. Die anderen Abende verbrachte sie mit ihrem Verlobten, der ebenfalls in einer Kanzlei arbeitete und ihr Leben und die entsprechenden Ansichten und Einschränkungen zu 100 Prozent teilte. An den Wochenenden arbeiteten sie beide entweder im Büro oder zuhause im Arbeitszimmer. Lediglich den Sonntag schliefen sie aus, gingen manchmal frühstücken oder später in eine Ausstellung und bestellten sich abends etwas beim Lieferservice. Ihr soziales Leben tendierte gegen Null. Was leider zu dem bedauerlichen Status Quo führte, dass ihr nun absolut niemand einfiel, mit dem sie sprechen könnte. Ihre Eltern lebten auf Teneriffa und liebten ihre einzige Tochter zwar von Herzen, fragten sich aber zeitweise, ob das ehrgeizige Geschöpf tatsächlich ihren Genen entsprungen war. Jette war elend zumute und sie wünschte sich, mit jemandem zu reden, der sie verstand. Ihre Eltern würden das Ganze als Wink des Schicksals abtun, sie einladen, nach Teneriffa zu kommen, um das Leben endlich ohne den ganzen Wahn von Arbeit und Kapitalismus zu genießen.

Ihre Freundschaften hatten sich spätestens nach Abschluss der Uni ziemlich schnell abgekühlt, weil alle so sehr mit dem Berufseinstieg beschäftigt gewesen waren. Schon zuvor hatten sich die einst engen Verbindungen angesichts Lernpensum und festen Partnerschaften allmählich gelöst. Es käme Jette daher nun komisch vor, nach Jahren aus der Versenkung aufzutauchen und um einen Rat zu bitten. Was aus ihren Schulfreundinnen aus Essen geworden ist, wusste Jette gar nicht, wie sie jetzt betreten feststellte. Von denen könnte sie also, selbst wenn sie wollte, niemanden erreichen. Und Julius, Jettes Verlobter, würde ihr Entsetzen zwar nachvollziehen können, aber bis sie mit ihm reden konnte, würde es noch dauern. Sie wusste, wie fokussiert er bei der Arbeit war und wie sehr er es hasste, herausgerissen zu werden. Daher störte sie ihn tagsüber so selten wie möglich. Nicht mal eine Situation wie diese konnte sie von dieser Gewohnheit abbringen. Davon abgesehen war er nach einigen erfolgreichen Gerichtsverhandlungen einer der besten Junganwälte, die seine Kanzlei zu bieten hatte, und Arbeitspensum und Terminkalender überboten sich schier in ihrer Fülle.

Ziellos spazierte Jette durch ihre Heimatstadt. Sie liebte das geschäftige und Erfolg heischende Treiben von Frankfurt, die glänzenden Hochhäuser und überhaupt den ganzen Trubel, der entsteht, wenn viele Menschen an einem Ort zusammenlebten und arbeiteten. Die Sonne schien vom blauen Himmel und Jette, die ständig die Augen zukniff, ging kurzerhand in das nächste Modegeschäft, um sich eine Sonnenbrille zu kaufen. Sie bummelte ein wenig durch die Gänge und beobachtete die Leute. Ihr wurde klar, dass sie sich selbst schon lange nichts mehr zum Anziehen gekauft hatte, und sie ließ ihren Blick schweifen. Ob ein hübsches Sommerkleid ihre Laune heben würde? Wahllos ging sie an einen der Rundständer und drehte ihn unschlüssig. Es war alles so … bunt. Pink und Lila, Rot, Gelb und Blau, in Streifen, mit Blumen oder gepunktet. Jette, die durch ihre roten Haare und den blassen Teint nicht unbedingt die Voraussetzungen für knallige Farben bot, verzog das Gesicht. Viel zu fröhlich in Anbetracht ihrer Lage.

Für ihren Alltag im Büro hatte sie sich schon vor langer Zeit dafür entschieden, in zeitlose Business-Mode zu investieren. In ihrem Kleiderschrank beherrschten also Stoffhosen, Etuikleider und knielange Röcke sowie Blazer und Blusen das Bild, meist in blau, weiß, grau oder schwarz. In ihrer Freizeit griff sie nach den zugegebenermaßen mittlerweile etwas oll gewordenen Kleidungsstücken, die sie schon jahrelang besaß: Jeans, schlichte T-Shirts, Strickjacken und Hoodies. Trendy ging anders!

Vielleicht sollte sie ihrem Kleiderschrank mal ein Update verpassen, überlegte sie jetzt, als sie sich weiter umsah. Vielleicht so ein Schlauchkleid? Julius würde ganz schön Augen machen! Oder lieber einen gewagten Minirock? Sie kicherte. Sie käme sich recht verkleidet vor, wenn sie so ein Teil anziehen würde.

Sie verschob den Einkaufsbummel auf einen anderen Tag. In ihrer Stimmung würde sie sowieso kaum etwas Schönes finden, das gut passte und ihre Vorzüge betonte, vermutete sie. Obendrein würde sie das Kleid nur an einen wirklich doofen Tag erinnern.

So bezahlte sie nur die Sonnenbrille, ließ die Schilder gleich entfernen und schob sich das Gestell in Ermangelung eines Etuis zunächst in ihr Haar. Vor der Tür blieb sie zögerlich stehen. Was nun? Nach Hause wollte sie noch nicht. Was sollte sie bei dem schönen Wetter in der Bude? Sie sah sich um und ihr Blick fiel auf ein volles Straßencafé, in dem die Menschen zufrieden miteinander plauderten, Kaffee tranken und das Leben zu genießen schienen. Jette beschloss, sich einen freien Tisch zu suchen und einen Schlachtplan für die nächsten Tage zu entwerfen. Im Moment konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen. Horrorszenarien, in denen sie bis zum Herbst zu Zwangsurlaub verdonnert sein würde, vermischten sich mit Lösungsansätzen, wie sie ihre freie Zeit sinnvoll gestalten könnte. Da musste Ordnung rein! Es half ihr immer, ihre Gedanken zu sortieren, indem sie sie festhielt. Manchmal notierte sie nur „dunkle Wäsche waschen“, „Käsereibe suchen“ oder „Mama anrufen“, damit sie nicht mehr daran denken musste und die Aufgaben aus ihrem Kopf verschwunden waren.

Sie ließ die Sonnenbrille auf die Nase rutschen und schritt über die Straße.

„Hey, wo warst du so lange?“ Etwas hilflos stand Julius in der leeren Küche und sah Jette an, die gerade zur Tür hereinkam.

„Ich war noch etwas spazieren“, gab sie zurück und sah auf die Uhr. Es war spät geworden, wie sie feststellte. An einem normalen Arbeitstag wäre sie längst zuhause gewesen. Aber sie hatte nach kurzer Zeit überraschenderweise Gefallen daran gefunden, ohne Eile und Ziel herumzulaufen. Nachdem sie eine Weile im Café zugebracht hatte und sich dort einen großen Milchkaffee und ein Stück Apfelsahnetorte hat schmecken lassen, war sie im Stadtpark gewesen, hatte sich dort auf eine Bank gesetzt und dem Treiben der Familien und Studierenden zugesehen. Für ein paar ruhige Stunden hatte es nichts für sie zu tun gegeben. Ein eher unbekannter, aber durchaus angenehmer Zustand, wie sie überrascht festgestellt hatte.

„Spazieren?“, hob auch Julius amüsiert die Augenbrauen und scherzte: „Hast du dir etwa frei genommen?“ Da er wusste, dass sich Jette nur sehr selten Zeit für sich und zum Faulenzen nahm, betrachtete er es kaum im Rahmen des Möglichen, dass sie spontan einen Urlaubstag genommen hatte, um dann einfach nur spazieren zu gehen. Er selbst hielt es ebenso. Solange sie jung und nicht familiär gebunden waren, wollten sie ihre gesamte Energie in das berufliche Vorankommen stecken.

Jetzt ging Jette nicht weiter auf seine Kommentare ein. Ihr war überhaupt nicht danach, die ganze Misere zwischen Tür und Angel zu besprechen, also sagte sie nur: „Ich erkläre es dir gleich und gehe vorher schnell duschen. Was gibt es denn zu essen?“ Schnuppernd reckte sie ihren Kopf in die Küche.

„Hier ist nichts“, anklagend sah er sie an. „Du wolltest doch einkaufen gehen!“ Dass ihr etwas auf dem Herzen lag, schien ihn nicht weiter zu interessieren. „Ich warte schon seit einer Stunde auf dich. Jetzt ist es schon nach 20 Uhr.“

„Warum bist du denn in der Stunde nicht zum Supermarkt gegangen?“, fragte sie ihren Verlobten leicht gereizt, erwartete aber im Grunde gar keine Antwort.

Sie beobachtete ihn, wie er in Jogginghose zum Kühlschrank schlurfte und erneut auffallend enttäuscht hineinblickte. Julius war groß und schlaksig, hatte ein glattes Gesicht und dunkle Haare, die vor allem mit dem Haargel, das er zu benutzen pflegte, immer ein bisschen so wirkten, als wären sie gefärbt. Jette mochte es lieber, wenn die Haare am Morgen verwuschelt waren, wusste aber auch, dass Julius viel Wert auf sein Äußeres legte und eine ordentlich gestylte Frisur zählte für ihn dazu. Sie hatten sich in einer Vorlesung an der Uni kennengelernt und waren seit sieben Jahren ein Paar. Seine Karriere und sein Ruf waren ihm außerordentlich wichtig. Das lag bei Familie Kreyenburg in den Genen. Julius' Vater war Anlageberater, seine Mutter trotz der beiden Kinder Rektorin eines Gymnasiums, was in ihrer Generation längst nicht als normal galt und weswegen sie ständig gegen nicht ausgesprochene Vorwürfe zu kämpfen hatte. Julius' große Schwester arbeitete als Kardiologin, war männer- und kinderlos und liebte ihren Job über alles. Julius konnte gar nicht anders als seinerseits ebenfalls erfolgreich zu sein. Manchmal passierte es, dass er in seiner Arbeit versank. Jette war es, die ihm dann abends etwas kochte und wenigstens am Sonntag daran erinnerte, mal etwas anderes anzusehen als seine Akten. In einigen Jahren würde er aufgrund mangelnder Bewegung vielleicht trotz seiner Größe und der schlanken Veranlagung einen Bauchansatz bekommen. Oder aber, was sogar wahrscheinlicher wäre, Geld für einen Personaltrainer ausgeben und eine Assistentin haben, die für ihn modische Kleidung einkaufen ging, und so würde er daher vermutlich zu jenen mittelalten Männern gehören, die mit steigendem Alter und Einkommen immer attraktiver wurden.

„Ich war ja davon ausgegangen, dass du gehst“, gab er nun konsterniert auf ihre Frage zurück.

Jette seufzte. Sie könnte jetzt antworten, dass es bei den meisten Lebensmitteln ja schließlich nicht viel ausmachte, wenn man sie ausnahmsweise doppelt eingekauft hätte, dann hätte man eben ein paar Äpfel mehr, würde eine Packung Brot einfrieren und wäre für diesen Monat ausreichend mit Nudeln und Dosentomaten versorgt, aber ihr war nicht nach einem Disput. „Lass uns was bestellen. Ich muss etwas mit dir besprechen. Ich hatte einen wirklich furchtbaren Tag!“

„Ich denke, du warst spazieren“, maulte Julius, der zu hungrig war, um mitfühlend zu sein.

„Aber nicht einfach so, Herrgott nochmal“, schimpfte sie aufgebracht, „ich springe jetzt unter die Dusche. Tu mir einen Gefallen und bestell uns in der Zwischenzeit einfach etwas zu essen!“ Sie drehte sich um, um sich im Flur ihrer Schuhe und ihrer Tasche zu entledigen, die sie noch immer trug, und dann im Badezimmer zu verschwinden. Mit mehr Schwung als nötig und unterdrücktem Frust schmiss sie ihre Tasche auf die Bank im Flur.

„Hey, warte! Was ist los?“ Julius unternahm einen schnellen Schritt auf sie zu und zog sie in seine Arme. Während er ihr einen Kuss auf den Scheitel drückte, murmelte er: „Sorry. Ich wusste nicht, wo du warst, und ich hatte Hunger. Bitte entschuldige.“

Jette schloss die Augen. „Okay. Gib mir einen Moment. Ich muss echt unter die Brause.“ „Lass dir Zeit. Ich kümmere mich um das Abendessen.“ Er drückte sie nochmal und gab ihr dann einen auffordernden Klaps auf den Po.

Mit Handtuchturban auf dem Kopf lümmelte sich Jette nach einer ausgiebigen Dusche aufs Sofa und zog die Beine heran. Julius kam mit zwei Gläsern und einer Flasche Rotwein in das kleine Wohnzimmer und sagte: „Die Pizza müsste gleich da sein.“ Er setzte sich zu ihr, nahm eine Decke vom gegenüberstehenden Sessel und legte sie fürsorglich über Jettes Knie. Dankbar lächelte sie ihn an. Es tat gut, nach einem kräftezehrenden Tag nach Hause zu kommen und umsorgt zu werden. Die Meinungsverschiedenheit über den Einkauf war fast wieder vergessen.

Sie hatten die gemeinsame Wohnung schon kurz nach ihrem Kennenlernen bezogen. Jette musste aus ihrer WG raus und Julius wollte sich für die Drei-Zimmer-Wohnung eigentlich einen Mitbewohner suchen, und da entschieden sie aus praktischen und finanziellen Gründen zusammenzuziehen. Die Wohnung bestand aus einem eher kleinen quadratischen Wohnzimmer mit einer hellroten Couch und einem passenden Sessel, einem großen Bücherregal, in dem sich viele gelesene Fachbücher und wenig gelesene Romane befanden, und einem hölzernen Esstisch mit vier Stühlen. An die Stube schloss sich ein kleiner Balkon mit schmiedeeisernem Geländer an, in dessen Verschnörkelungen man herrlich die Füße abstellen konnte. Er war nicht sehr groß, aber es passten ein Bistrotisch mit zwei Klappstühlen darauf, und Julius und Jette frühstückten dort manchmal sonntags oder tranken abends ein Glas Wein und genossen den Ausblick auf die ruhige Wohnstraße. Die Wohnung beherbergte außerdem zwei weitere Räume. Einen großen für das Arbeitszimmer, in dem zwei Schreibtische und Regale für weitere Fachbücher und hin und wieder Akten, die sie mit nach Hause nehmen durften, Platz fanden, und eine kleine Kammer als Schlafraum.

Es war insgesamt etwas beengt, aber Jette fand es gemütlich und Julius hatte weder Zeit noch Lust, sich mit der Suche nach einer neuen Wohnung zu beschäftigen.

„Danke“, seufzte Jette nun genießerisch, als sie das gefüllte Glas entgegennahm, das Julius ihr reichte.

„Also“, begann er, nachdem sie angestoßen und beide einen Schluck genommen hatten, „was ist passiert?“

Jette antwortete nicht sofort. Ganz so, als müsste sie selbst noch begreifen, was passiert war, ließ sie sich einen Moment Zeit, um ihre Worte zu wählen. Dann aber begann sie, ihm die Einzelheiten des Meetings, ihrer Präsentation und natürlich den Konsequenzen für sie zu berichten und endete damit, dass Tom ihren Posten übernommen hatte, sie in der Kanzlei derzeit nicht erwünscht war und was das Ganze in ihr auslöste. Sie konnte noch immer kaum glauben, dass man sie aufgrund einer solchen Lappalie einfach beurlaubte.

In der Zwischenzeit war die Pizza geliefert worden. Jette, die heute nichts weiter zu sich genommen hatte außer dem Stück Torte, hatte sich während ihrer Ausführungen auf die Pizza gestürzt und schmatzend weiter erzählt. Der Knoten in ihrem Bauch, der heute Mittag so unwahrscheinlich groß gewesen war, war den Tag über geschrumpft und hatte ein großes Loch in ihrem Magen hinterlassen, das nun gestopft werden wollte. Es würde sicher alles wieder gut werden, dachte sie und ließ es sich mit großem Appetit schmecken.

„Das ist nicht dein Ernst!“, rief Julius entsetzt, „du bist freigestellt? Ach du jemine!“ Erschüttert und voller Mitleid sah er sie an. „Wie geht es dir?“, wollte er dann wissen und setzte verwundert hinzu: „Was war das denn für eine Präsentation?“

„Nur temporär. Es ist Urlaub, keine Freistellung“, versuchte Jette, ihn und sich selbst zu beruhigen. Sie pickte ein Stück Fetakäse von ihrer Pizza. „Sicherlich bereut er es schon und nimmt mich morgen mit Kusshand zurück. Und falls du andeuten willst, dass meine Präsentation so schlecht war, dass ich es nicht anders verdient hätte, irrst du dich“, ergänzte sie schnippisch. Wenn es um ihre Arbeit ging, war Jette empfindlich. Das brachte ihr Ehrgeiz vielleicht so mit sich.

„Wie man es nennt, ist doch egal! Er wollte dich nicht mehr in der Kanzlei haben!“ Julius sprang auf und tigerte hinter dem Sofa herum. Auf Jettes bissige Bemerkung ging er nicht ein. „Und dass er das Ganze morgen anders sieht, glaube ich nicht. Was du mir bisher von ihm berichtet hast, ist er überhaupt nicht der reumütige Typ. Was für ein Schlamassel!“

„Übertreib doch nicht so. Du machst mir ja Angst.“ Verärgert ließ Jette das angebissene Stück Pizza in den Karton sinken. „Es wird sich alles entspannen. Morgen gehe ich zu Krombacher und spreche mit ihm. Ich werde mich zuerst entschuldigen“, sie hob die Hand und zählte mit den Fingern ab, „dann werde ich schwören, in nächster Zeit nur noch das zu tun, worum man mich gebeten hat“, in Gedanken kreuzte sie die Finger, „und drittens werde ich mich richtig reinhängen und arbeiten so viel ich kann.“

„Wie kommst du denn dazu, die Anweisungen des Klienten zu ignorieren?“, fragte Julius. „Wenn er dich darum bittet, die Strategie durchzuwinken, hättest du das doch einfach machen können!“

„Wie das klingt!“, schimpfte Jette, „Anweisungen ignorieren! Als wäre ich ein ungezogenes Kind! Ich habe bloß ein paar Ideen ausgearbeitet und verfeinert. GreenEnergy hat doch mal Ziele und Visionen gehabt. Das können die doch nicht einfach vergessen haben.“

„Als Startup hat man eben andere Träume als ein ausgewachsener Konzern!“ Julius warf ihr einen langen Blick zu. „Ist doch logisch, dass sich Unternehmensziele über die Jahre verändern. Denk doch mal an ihre Investoren! Die wollen was sehen für ihr Geld. Mit grüner Utopie lässt sich keine große Rendite erwirtschaften.“ Es hörte sich für Jette so an, als würde er ihr etwas so Simples erklären, wie, dass nach jeder Nacht ein neuer Morgen kam.

Sie kochte innerlich. „Findest du es etwa in Ordnung, dass er mich deshalb direkt in den Urlaub schickt? Ich könnte damit vors Arbeitsgericht gehen. Das ganze Theater fußt auf überhaupt keiner Grundlage. Was ist denn bitte die Begründung? Dass ich meinen Kopf benutzt und Initiative gezeigt habe? In unserer Branche müsste er ja wohl am besten wissen, dass er damit nicht durchkommt!“

„Willst du ernsthaft juristisch gegen deinen eigenen Arbeitgeber vorgehen? Ihr solltet versuchen, das auf anderem Wege zu klären“, warnte Julius. „Das kann für deine Karriere das Aus bedeuten! Wer soll dich noch einstellen, wenn man immer damit rechnen muss, von dir verklagt zu werden?“

„Pft.“

„Jette. Ich will dir doch nichts Böses! Ruh dich einfach ein paar Tage aus und gib euch Zeit. Dr. Krombacher wird vermutlich vorgeben, du seist überarbeitet und er hätte dich deshalb in den Urlaub geschickt. Stimmt doch auch, oder? Wann hast du das letzte Mal deinen vollen Jahresurlaub genommen? Wir haben jetzt Juni und du hast noch keinen einzigen Tag frei gemacht.“

„Du doch auch nicht.“

„Um mich geht es hier aber auch nicht.“

Jette schwieg beleidigt. Sollte das heißen, sie sei ohne ausreichende Ruhezeiten nicht in der Lage, ihre Arbeit zu erledigen, er aber schon?

„Ich finde, dass Herr Krombacher übertreibt“, entgegnete sie jetzt bockig.

Julius hob die Schultern. „GreenEnergy ist ein wichtiger Kunde für die Kanzlei. Und Susanne hat sich damals ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt, indem sie dir die Verantwortung übertragen hat. Wenn Dr. Krombacher jetzt zu dem Entschluss gekommen ist, du bist dem Job nicht gewachsen, ist es sein gutes Recht, dich mit anderen Aufgaben zu betrauen.“

„Wie bitte? Auf wessen Seite bist du eigentlich?“

Julius sah sie trotz aller Kabbelei liebevoll an: „Auf deiner. Ich bin immer auf deiner Seite. Wir sind doch ein Team.“

Jette ließ sich dennoch nur widerwillig von ihm in den Arm nehmen. Sie beschloss, Herrn Krombacher ganz einfach zu beweisen, dass sie den Aufgaben durchaus gewachsen war.

Kapitel 3

Jette schlief schlecht. Erst konnte sie nicht einschlafen, dann wachte sie in der Nacht mehrmals auf, verbot sich aber, auf die Uhr zu gucken, um sich nicht darüber zu erschrecken, wie spät es war. Sie war aufgewühlt und konnte ihren Geist nicht beruhigen. Dennoch stand sie mit dem Weckerklingeln zu ihrer üblichen Zeit um 6:30 Uhr auf und machte sich fertig. Sie war nervös, aber auch entschlossen. Sie würde Herrn Dr. Krombacher schon davon überzeugen, dass sie keinen Urlaub nötig hätte.

Auch Julius war fertig angezogen, trank aber noch im Stehen einen Kaffee. Er hatte Jette gerade vorgehalten, die Wünsche ihres Chefs erneut zu ignorieren, indem sie zur Arbeit ginge, und mit: „Ich halte das wirklich für keine gute Idee“ beendet. Er lehnte am Türrahmen, der Küche und Flur trennte, nahm einen Schluck Kaffee und sah Jette, die mit Tasche und Regenschirm im Begriff war, die Wohnung zu verlassen, aufmerksam an. In seinem Blick lag Besorgnis.

„Ich nicht“, erwiderte sie ungerührt. „Es liegt mir einfach nicht, herumzusitzen und abzuwarten. Ich muss was tun. Und solange ich das Gefühl habe, ich habe es noch in der Hand, will ich auch aktiv werden. Und dazu zählt es, mit meinem Chef zu sprechen und mich in aller Form zu entschuldigen.“

Es war ein sonniger Morgen. Der Himmel war blassblau, einige Schleierwolken zogen über das Geschehen und trotz des großstädtischen Verkehrslärms hörte man die Vögel laut und durcheinander zwitschern, als erzählten sie sich von ihrer wilden Nacht und jeder wollte den anderen mit einer noch verrückteren Geschichte übertrumpfen. Jette lächelte. Was für ein wunderbarer Tag. Zuversichtlich blickte sie auf ihr Vorhaben, mit ihrem Chef zu reden und ihn von ihrer Tugend und Leistung zu überzeugen, und war sich sicher, dass sich alles wieder zum Guten wenden würde. Sie schnappte sich einen der E-Roller, die überall in der Stadt gemietet werden konnten, und düste los in Richtung Büro- und Bankenviertel. Ihr Haar flatterte fröhlich im Fahrtwind und Jette genoss die Fahrt durch die lebendige Stadt.

Am Büro-Tower angekommen stellte sie den E-Roller ab und fuhr mit dem Lift, der offenbar am gestrigen Tag noch repariert werden konnte, in den obersten Stock. Sie grüßte die Rechtsanwaltsfachangestellte am Empfang, die sich von ihrer Erkältung erholt zu haben schien und wieder an ihrem üblichen Platz saß, der gestern leer geblieben war. „Moin Hanna, was für ein herrlicher Tag, oder? Man riecht den Sommer! Geht es dir besser?“

„Danke, ja, es war nur ein kleiner Schnupfen. Du hast ja blendende Laune!“

Jette grinste ihr zu und erspähte dann ihren Chef am anderen Ende des Flurs. „Oh, entschuldige mich bitte, ich habe etwas mit Herrn Krombacher zu besprechen“, erklärte sie Hanna und beeilte sich, den Teamleiter einzuholen.

„Guten Morgen Herr Dr. Krombacher, bitte warten Sie doch einen Moment auf mich!“

Der Mann blieb stehen, als er seinen Namen hörte, und drehte sich um. „Frau Meerwiek!“ Er runzelte missvergnügt die Stirn. „Was tun Sie hier? Hat Sybille Ihnen nicht ausgerichtet …“

„Doch, doch“, unterbrach Jette ihn schnell, „ich soll mir ein paar Tage freinehmen! Das weiß ich. Ich möchte nur ganz kurz etwas mit Ihnen besprechen.“

„Ich wüsste nicht, was es zu besprechen gibt.“

Jette sah ihn mit langem Blick an. „Nun“, sie räusperte sich, „Sie haben Herrn Möbius meinen Job gegeben. Darüber würde ich schon ganz gern nochmal reden.“

Im ersten Moment sah es so aus, als würde Herr Krombacher Jette mit einer fadenscheinigen Entschuldigung abwimmeln wollen, aber dann besann er sich eines Besseren. „Gut, gut“, willigte er widerstrebend ein, „kommen Sie mit in mein Büro!“

„Nordwest Transport & Logistik?“ Ungläubig sah Jette ihren Chef an. „Meinen Sie das etwa ernst?“

„Aber ja, Frau Meerwiek. Das ist doch genau das Richtige für Sie! Hier können Sie direkt mitwirken. Nicht so im großen Ganzen, mehr an vorderster Front sozusagen“, schmeichelte er, „gesetzliche Auflagen einhalten, Prüfungen durchführen, nachhaltige Praktiken etablieren, alles, was Ihr Umweltherz begehrt.“

„Pah“, machte Jette unwillkürlich und hoffte sogleich, dass es nicht so unhöflich rüberkam, wie es sich in ihren Ohren angehört hatte, „da kann ich gar nichts bewirken. Das wissen Sie ebenso gut wie ich“, gab sie ihrem Chef dann mit zusammengebissenen Zähnen zurück. „Nordwest Logistik setzt seit Jahren nur das um, was sie unbedingt müssen. Und selbst aus den politischen Vereinbarungen winden sie sich oft noch mit fadenscheinigen Entschuldigungen raus wie ein neunmalkluges Wiesel. Ich werde da nichts machen können, außer zu versuchen, sie dazu zu bewegen, die Gesetze einzuhalten. Es wird nicht einen Vorschlag zum Umweltschutz aus der Firma heraus geben. Das haben sie in der Vergangenheit nicht gemacht und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.“

„Na, na, na, warum denn so negativ. Sie lieben doch die Herausforderungen!“

„Ich liebe realistische Herausforderungen“, verbesserte Jette ihn, merkte aber selbst, wie schwach das klang. „Es gibt tausende Logistikbetriebe, Herr Dr. Krombacher“, beschwor sie ihn, „meine Arbeit in einem von ihnen ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Bei GreenEnergy war ich Teil der gesamten Energiewirtschaft!“

„Dann sind Sie eben jetzt Teil der Transportwirtschaft“, erwiderte Krombacher aufmunternd. Er entschuldigte sich, nun einen wichtigen Call mit den Partnern der neuen Inhaberschaft annehmen zu müssen, und bat Jette zu gehen. „Genießen Sie noch ein paar freie Tage, kommen Sie erholt wieder und dann können Sie sich ausgeruht und mit Elan auf Nordwest Transport & Logistik stürzen.“

Ungeduldig trat Jette einige Zeit später von einem Bein aufs andere. Sie stand vor dem Bürogebäude, in dem Julius' Kanzlei ansässig war, und wusste sich nicht anders zu helfen, als von ihren Gewohnheiten abzuweichen, ihn tagsüber nicht zu stören. Sie musste dringend mit ihrem Verlobten reden! Sicher könnte er sie aufheitern, ihr einen guten Ratschlag geben und ihr glaubhaft versichern, dass ihre Situation nicht so schlimm sei, wie sie sich jetzt für sie anfühlte.

Als sie sah, wie er mit einer Frau und einem Mann aus dem Gebäude trat, winkte sie und rief seinen Namen. Offenbar überrascht davon, sie zu sehen, blieb Julius stehen und sah zu ihr herüber. Seine Begleitungen taten es ihm gleich. „Jette!“, rief er verwirrt aus und runzelte kaum merklich die Stirn. „Was tust du denn hier? Waren wir etwa verabredet?“

Da das Trio noch immer auf der Stelle stand und Jette nicht über den Parkplatz schreien wollte, ging sie ein paar Schritte auf die drei Anwälte zu. „Ich wollte ganz kurz mit dir reden. Es ist dringend“, unterstrich sie. Als Julius keinerlei Anstalten machte, sie vorzustellen, sondern sie weiter etwas unwirsch ansah, wandte sie sich der großen Brünetten und dem bebrillten Mann, der etwa in ihrem Alter sein musste, zu, „ich bin Jette Meerwiek, die Verlobte von Julius, ähm von Herrn Kreyenburg“, ergänzte sie dann, weil sie nicht wusste, in welchem Verhältnis die Drei zueinanderstanden. Plötzlich kamen Zweifel in ihr auf. Was hatte sie sich nur bei ihrem Überfall gedacht? Es könnte ein Mandantentermin sein und sie platzte hier einfach so herein und plapperte treuherzig von Verlobung.

Zum Glück minderten die beiden ihre Beklemmung, indem sie sich ihrerseits mit Vornamen vorstellten. „Katrin“, sagte die Frau und reichte ihr die Hand. Sie war groß. Wäre Jette nicht ebenfalls über 1,70 m gewesen, wäre sie sich neben der so stolz wirkenden Frau sicher blöd vorgekommen. Sie hatte etwas in ihrem Blick, das immer auf andere Menschen herabzusehen schien. „Ich bin Paul“, entgegnete der Mann und sah sie freundlich an. „Wir sind Kollegen von Julius.“

Der übernahm das Wort „Wollt ihr schon mal vorgehen? Ich komme gleich nach.“ Die beiden nickten, sahen Jette noch einmal kurz an und schickten sich zum Gehen an. „Ach, und ich nehme die Nudelsuppe, wenn ihr schon bestellt“, sagte Julius noch und machte damit, unbewusst oder beabsichtigt, klar, dass es sich hierbei um eine kurze Unterredung mit Jette handeln würde.

„Was ist los mit dir?“, wandte er sich an seine Freundin und konnte seine Ungeduld kaum verbergen. „Du weißt, dass ich das nicht besonders gut leiden kann, wenn man mich tagsüber unterbricht. Ich habe mit den beiden noch etwas Wichtiges zu besprechen.“ Mit dem Kinn wies er zur Erklärung auf die zwei Kollegen, die sich jetzt miteinander plaudernd entfernten. „Heute Nachmittag ist eine wichtige Verhandlung.“

„Natürlich weiß ich das. Deswegen solltest du auch wissen, dass es ein Notfall ist“, gab Jette zurück. Sie sah ihren Verlobten an. „Entschuldige. Ich wusste nicht, wohin…“ Sein ablehnendes Verhalten machte sie traurig. Und, was noch viel schlimmer war, sie hatte fast geahnt, wie er reagieren würde.

„Also, was gibts?“

„Wir können das auch heute Abend besprechen“, machte sie jetzt etwas abrupt eine Kehrtwendung. „War vielleicht wirklich nicht so eine gute Idee, hier so mitten am Tag, wenn du mit anderen Dingen beschäftigt bist.“

„Nein“, sagte Julius und sah ihr fest in die Augen. „Sorry.“ Er beugte sich dafür etwas zu ihr herunter. „Was ist das für ein Notfall, der nicht warten kann?“

Jette seufzte. Sie kam sich mit einem Mal albern vor. „Du hattest Recht“, gab sie zu, „es wäre vielleicht besser gewesen, Krombacher ein paar Tage Zeit zum Abkühlen zu geben.“ Und weil sie wusste, dass ihr nur ein paar Minuten Zeit blieben, bis Julius zu seinem Mittagessen aufbrechen wollte, redete sie weiter und ließ keine Pause für eine Reaktion, bis sie geendet hatte. „Ich bin also tatsächlich nicht länger für GreenEnergy tätig.“

Julius hatte ihr aufmerksam zugehört und raufte sich am Schluss die Haare. Nachdenklich sah er in die Ferne und schien über eine Lösung für das Problem oder zumindest über einen guten Ratschlag für den Moment nachzusinnen. „Hör zu“, gestand er dann, „ich weiß grad nicht, was ich dir raten soll. Ich denke, es ist am besten, du machst, was dein Chef dir sagt: gönn dir ein paar Tage Urlaub und dann übernimmst du das Transportunternehmen.“ Er hob abwehrend die Hände, als Jette protestieren wollte. „Ich weiß, ich weiß. Das ist nicht dein Traummandant. Meiner wäre es an deiner Stelle sicher auch nicht. Aber du hast gerade keine andere Wahl! Und wer weiß, vielleicht findest du ja sogar Gefallen an der Arbeit. Zeig denen erstmal, was du kannst, gib dir richtig Mühe und am Ende wirst du vielleicht sogar deinen alten Job wiederbekommen. Das ist alles, was ich dir im Moment sagen kann.“ Er zog sie zu sich heran. „Aber lass uns das einfach heute Abend in Ruhe nochmal besprechen. Okay? Ich muss langsam los.“ Jette ließ die Umarmung geschehen. Sie schloss kurz die Augen und wartete auf das Gefühl, das sich bei ihr immer irgendwann einstellte, auch an einem schlechten Tag. Egal, wie blöd ein Termin oder die Arbeit gelaufen war, wenn sie daran dachte, abends bei Julius zu sein, war der meiste Ärger vergessen. Er war ihr Zuhause. Ein sicherer Ort, an dem sie sich wohl fühlen konnte. Aber heute wollte es nicht so recht aufkommen. Sie fühlte sich wie ein Punkt auf seiner Tagesordnungsliste, den es abzuhaken galt, um mit dem nächsten weiterzumachen. „Ist gut“, murmelte sie aber an seine Brust gelehnt und blickte dann zu ihm auf, „nun geh zu deinen Kollegen. Deine Suppe wartet ja schon.“

Kapitel 4

Da die Stunden bis zum Abend nahezu endlos vor ihr lagen, beschloss Jette, erstmal für ein leckeres Abendessen einkaufen zu gehen und es sich dann mit einem Buch auf dem Balkon gemütlich zu machen. Mit ein paar Sonnenstrahlen und einem Eiskaffee sähe die Welt doch sicher wieder ganz anders aus.

Jetzt schlenderte sie durch den Supermarkt, legte Zutaten für Spaghetti Bolognese in den Einkaufswagen und freute sich darauf, die Soße eigenhändig und in aller Ruhe, so wie sich das für eine echte italienische Nudelsoße gehörte, zuzubereiten. Zum Schluss steuerte sie noch die Wein-Ecke an. Ein Glas für die Köchin, ein Glas für die Soße, sagte sie sich. Oder auch zwei Gläser für die Köchin angesichts des Desasters, das über ihr hing. Sie studierte die Etiketten und da sie neulich irgendwo gelesen hatte, das originale Rezept würde mit Weißwein statt wie immer angenommen mit Rotwein gekocht, wählte sie einen Pinot Grigio, den sie schon häufiger gekauft hatte und der ihr gut schmeckte.

Als sie bezahlt hatte und draußen vor dem Supermarkt stand, beobachtete sie gedankenverloren eine junge Mutter, die mit einem Kind an der Hand über den Parkplatz ging. Sie hatten den Supermarkt gerade verlassen. Die Frau trug eine große Basttasche, aus der ein Bund Möhren und ein Baguette ragten. Das kleine Mädchen schleppte sich beidhändig mit einer Packung Recycling-Küchenpapier ab, strahlte dabei aber über das ganze Gesicht, froh darüber, ihren Anteil am Einkauf leisten zu dürfen. „So, mein Schatz“, hörte Jette die Mutter sagen, „jetzt bringen wir den Einkauf nach Hause. Was möchtest du dann gern machen?“

Die Antwort hörte Jette nicht mehr, stellte sich aber vor, wie das Mädchen vorschlug zum Spielplatz zu gehen, um da ihre Freundinnen zu treffen. Später würden sie erschöpft und mit roten Wangen, die vom Tag an der frischen Luft erzählten, nach Hause zurückkehren und dem Vater ein Abendessen kochen. Jette kicherte. Sie wusste natürlich, dass sich Tage mit Kleinkindern nicht unbedingt so gestalteten, fand die Vorstellung aber so viel schöner, als wenn die Frau, die sie eben beobachtet hatte, gestresst nach Hause lief, ihre Tochter vor den Fernseher setzte, dann mit der Wäsche begann, das Wohnzimmer saugte und abends ein Fertiggericht auftaute, um sich mit ihrem Gatten zu streiten, der sich auf etwas Frisches gefreut hatte.

Ob sie wohl auch mal Kinder hätte? Jette hatte es früher geliebt, auf die Nachbarskinder aufzupassen, mit ihnen auf dem Spielplatz zu toben oder abends mit ihnen auf dem Sofa zu lümmeln, um die eine erlaubte Folge Sandmännchen zum Schlafengehen im Fernsehen anzuschauen. Als die Kinder älter wurden und sie zum Studium ausgezogen war, hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, als Babysitterin zu jobben. Erst hatte sie ihr Dasein als Studentin ausgekostet, die Freiheit genossen, die das Leben einer 20-jährigen bieten konnte, und viele Partys besucht. Dann hatte sie feststellen müssen, dass sich Jura nicht mal eben nebenher studierte, und sie hatte sich aufs Lernen gestürzt, die Abende in der Bibliothek oder in Lerngruppen verbracht und sich beinahe jede freie Minute mit Recht, Gesetzen und möglichen Praktika beschäftigt. Seither hatte sie sich als Karrierefrau gesehen. Sie wollte Geld verdienen, unabhängig und stolz auf ihre Arbeit sein. Mit Anfang 30 hatten Julius und sie zwar schon mal über die Gründung einer Familie gesprochen, waren aber nie zu einer echten Einigung gekommen. Julius hatte darunter gelitten, wie er sich ausdrückte, von zwei berufstätigen Eltern aufgezogen worden zu sein und nahm es insbesondere seiner Mutter übel, dass sie nicht wie die Mütter seiner Kindergarten- und Schulfreunde mittags gewesen zuhause war, um ihm etwas zu kochen und mit ihm die Hausaufgaben zu machen. Jetzt, da Jette plötzlich, zumindest temporär, ohne Job dastand, fragte sie sich, ob ein Leben als Hausfrau und Mutter nicht doch für sie infrage käme. Es wäre schön, mit Julius eine Familie zu bilden. Sie malte sich aus, dass sie in ein Häuschen am Stadtrand ziehen würden, einen kleinen Garten und vielleicht einen Hund oder eine Katze hätten, und dass sie sich die Elternschaft gleichberechtigt teilen würden.

Nichts, das sie jetzt sofort entscheiden muss, sagte sie sich, als ihr mit einem Mal bewusst wurde, dass sie schon seit einer ganzen Weile regungslos vor dem Supermarkt stand und sich Tagträumen hingab. Sie machte sich mit ihrem Einkauf auf den Weg nach Hause und beschloss, direkt mit der Zubereitung der Soße zu beginnen, die schließlich am besten schmeckte, wenn sie mehrere Stunden vor sich hin geschmort hatte. Dann würde sie sich statt des geplanten Eiskaffees mit einem Glas Weißwein auf den Balkon setzen und ein Buch lesen, das keinerlei Paragraphen, sondern einfach nur eine seichte Liebesgeschichte enthielt. Mit Vorfreude auf ihre Pläne erfüllt marschierte sie los.

Der Abend brach herein und Jette warf einen Blick auf die große Wanduhr, die über dem Esstisch hing. Das Essen war längst fertig, sie hatte einen angenehm ruhigen Nachmittag verbracht und fast gar nicht über die Arbeit nachgedacht. Jetzt knurrte ihr Magen. Es war inzwischen kurz vor 21 Uhr und das war selbst für Julius' Verhältnisse spät. Die Nudeln hatten ihre Bissfestigkeit sicher mittlerweile eingebüßt, die Weinflasche war zur Hälfte leer und die Soße blubberte stark eingekocht auf dem Herd in der angrenzenden Küche.

Nach einer kurzen Denkpause, ob sie nicht doch noch ausharren sollte, stand sie auf, lief in die Küche und füllte sie sich hungrig einen der schon bereitgestellten tiefen Teller mit einer üppigen Portion Spaghetti, die sie unter einer großzügigen Kelle Soße ertränkte. Sie setzte sich an den Esstisch, schielte nochmal aufs Handy, ob Julius sich mittlerweile auf eine ihrer zahlreichen Anrufe und Nachrichten zurückgemeldet hatte, stellte fest, dass er das nicht getan hatte, und begann dann genießerisch die Nudeln aufzuwickeln. „Hm“, schmatzte sie nach dem ersten Bissen. Die Bolognese war ihr wirklich gut gelungen. Was machte es da schon, dass sie alleine aß?

Nach dem Essen ließ sie das benutzte Geschirr an Ort und Stelle stehen, blies lediglich die Kerzen aus und machte sich mit ihrem Weinglas auf den Weg zum Sofa, wo sie ihr Buch weiterlesen wollte. Es handelte von einer Frau, die in der ehemaligen DDR lebte und sich in einen Grenzsoldaten verguckt hatte. Hin- und hergerissen zwischen den Gefühlen für ihn und ihrer Liebe zur Freiheit, war sich Inge, die Protagonistin, nicht mehr sicher, ob sie die Flucht in den Westen wagen sollte. Der Roman war nicht ganz so seicht wie sich Jette von ihrer Nachmittagslektüre erhofft hatte, hatte sie aber sehr in seinen Bann gezogen und nun wollte sie unbedingt wissen, wie es mit Inge und Bernd weiterging. Doch dazu sollte es erstmal nicht kommen. Gerade als Jette sich das Kissen in den Rücken gestopft und die Füße auf den Couchtisch platziert hatte, Buch und Wein in Reichweite auf dem kleinen Schemel neben dem Sofa, klingelte ihr Telefon. Sie erschrak, als die Stille, an die sie sich in den letzten Stunden gewöhnt hatte, von dem Gedudel des Handys durchbrochen wurde.

Eine Festnetznummer. Wer konnte das um diese Zeit noch sein? „Hallo?“

„Jette?“, erklang es auf der anderen Seite der Leitung.

Sie erkannte die Stimme nicht. „Ja, hier ist Jette. Wer ist da?“

„Hier ist Katrin. Erkennst du etwa deine Patentante nicht?“, erschallte es empört aus dem Hörer.

„Katrin!“ Jette lachte auf. „Sorry, ich habe die Nummer gar nicht abgespeichert. Ist die neu?“

„Achso, ja, ich musste den Anschluss wechseln. Hier auf der Insel gibt es einen neuen Telefonanbieter. Ich habe den Namen grad nicht parat, aber sie sind sehr günstig und haben tolle Angebote und so, und damit haben sie meinen alten Anbieter jetzt verdrängt, deshalb musste ich dann auch wechseln. Na, wie dem auch sei“, sie atmete hörbar aus, „Jette, wie geht es dir?“

Jette schmunzelte. Ihre Patentante hatte eine unnachahmliche Art, sich zu unterhalten. Von einem Gesprächsfetzen zum nächsten. Jeden Gedankensprung griff sie auf. So wie sie redete, lebte sie ihr Leben. Immer in Bewegung. Immer was Neues. Vor einigen Jahren hatte sie sich im Urlaub in einen Insulaner und dessen Pension verliebt, war der Hektik der Großstadt Hals über Kopf entflohen und hatte sich an der beschaulichen Nordsee niedergelassen. Die Liebe war inzwischen fort. Die Pension war ihr geblieben. Seither war sie etwas ruhiger geworden.

„Ganz gut“, gab Jette jetzt zurück, „wie geht es dir?“

„Ganz gut?“, argwöhnte Katrin, „das klingt aber ein wenig zu zurückhaltend für meine Verhältnisse. Was macht die Arbeit? Was macht der öde Julius?“

„Katrin!“ Jette musste trotz der Zurechtweisung lachen. Ihre Patentante hatte ein Faible für das Unerwartete. Nicht unbedingt für böse Jungs, aber ein Wirtschaftsanwalt wie Julius, der sein Leben und seine Karriere plante, seitdem er in der Schule seine Leistungsfächer wählen musste, war ihr eben einfach nicht aufregend genug.

„Tut mir leid“, nuschelte Katrin wenig glaubwürdig, „also, was treibt ihr so? Was gibt es Neues bei meiner Lieblingsnichte?“ Katrin war die jüngere Schwester von Jettes Vater und damit nicht nur ihre Patentante, sondern auch ihre richtige Tante. Als Nachzüglerin und Nesthäkchen war sie nur ein paar Jahre älter als Jette, die jetzt darauf verzichtete, sie darauf hinzuweisen, dass sie ihre einzige Nichte war.

„Och“, entgegnete sie stattdessen und überlegte, ob ihre Tante die Richtige wäre, um den Frust über ihre Arbeit zu adressieren. Wie auch ihre Eltern zählte Katrin Meerwiek zur Fraktion „Carpe Diem“ und war nie sehr darauf erpicht gewesen, Karriere zu machen. Es war allzu wahrscheinlich, dass sie das Ganze auf die leichte Schulter nahm und Jette einen Rat à la „Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere“ geben würde. Vielleicht war es der Ärger darüber, dass Julius nicht wie verabredet zum Abendessen und einem Gespräch nach Hause gekommen war, vielleicht die Einsamkeit der vergangenen Stunden, vielleicht auch einfach die halbe Flasche Wein, die sie intus hatte, jedenfalls beschloss Jette, ihrem Kummer endlich Luft zu machen. „Ich habe Mist gebaut bei der Arbeit“, begann sie.

„Ohje, das klingt ja gar nicht gut. Willst du drüber reden?“

„Ja, ich glaube schon. Vielleicht würde mir das etwas helfen.“

„Dann schieß los“, gab Katrin unbekümmert, aber doch auf ihre Weise mitfühlend zurück. „Ich höre dir zu.“

Jette erzählte von den letzten beiden Tagen, berichtete davon, wie sie zu dem Job gekommen war, wie stolz sie gewesen war und dass sie sich nun fragte, was sie in der Kanzlei noch sollte, wenn man ihre Arbeit so gar nicht wertzuschätzen wusste. Sie fühlte sich regelrecht ausgebootet und merkte, wie gut es ihr tat, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Ganz so, als bekämen sie dadurch erst eine Berechtigung.

„So wie sich das für mich anhört, ist dein Chef ein Idiot“, fasste Katrin zusammen, als ihre Nichte irgendwann fertig war und wissen wollte, was sie dazu meinte.

Jette kicherte vergnügt. „Ja, das könnte schon sein.“

„Was willst du jetzt unternehmen?“, fragte Katrin.

Jette hob die Schultern, auch wenn ihre Tante das durch den Hörer natürlich nicht sehen konnte. „Abwarten und Tee trinken, nehme ich an.“

„Ostfriesentee! Komm für ein paar Tage zu mir ans Meer und lass dir den Kopf frei pusten. Das verscheucht die dunklen Wolken und verschafft dir eine klare Sicht“, schlug Katrin vor.

„Nein. Auf gar keinen Fall“, wehrte Jette aber sofort vehement ab, „ich muss hier sein, falls Tom meine Hilfe in der Kanzlei braucht. Oder Herr Krombacher seine Meinung ändert.“

„Ach Liebes, denk doch mal nur an dich.“

„Was soll das denn heißen? Ich denke doch immer an mich. An mich, an meine Arbeit, an Julius und unser berufliches Vorankommen.“

Darauf erwiderte Katrin nichts. Sie plauderten anschließend noch eine Weile über Jettes Eltern auf Teneriffa, die ihr Leben unter der endlosen Sonne genossen, über kuriose Gäste in der Pension und Jette erzählte von Julius, der in seiner Kanzlei kürzlich für eine Beförderung vorgeschlagen wurde.

„Meine Einladung steht“, verabschiedete sich Katrin später, „und da ich weiß, dass du das Nichtstun hasst, darfst du mir gern in der Pension zur Hand gehen, wenn du darüber das Urlaub machen nicht vernachlässigst.“

Erneut lehnte Jette ab, versprach aber, sich ihr Angebot für einen späteren Zeitpunkt im Jahr durch den Kopf gehen zu lassen.

Kapitel 5

Als Jette mit dumpfen Kopfschmerzen erwachte, war Julius bereits gegangen. Im Halbschlaf hatte sie die Wohnungstür zufallen gehört. Sie lag auf dem Sofa, der Nacken schmerzte von der ungewohnten Schlafposition auf dem Zweisitzer und ihr Rachen fühlte sich staubtrocken an. Ihr Blick fiel auf die Flasche Wein, die sie bis auf den letzten Tropfen geleert hatte und die sie daran erinnerte, warum sie Kopfschmerzen hatte, ihre Zunge belegt war sowie daran, dass Julius viel zu spät nach Hause gekommen war und sie offenbar weder heute Morgen verabschiedet noch gestern Abend begrüßt hatte.