Südtirol - Rolf Steininger - E-Book

Südtirol E-Book

Rolf Steininger

4,8

Beschreibung

DAS STANDARDWERK ÜBER SÜDTIROL * mit einem Beitrag über den neuen Landeshauptmann von Südtirol Arno Kompatscher * verständlich und kompakt dargestellt * mit Personenregister und einer ausführlichen Zeittafel Ein vollständiger, kompakter Überblick über die Geschichte Südtirols: Teilung und Faschismus, Nationalsozialismus und Hitler-Mussolini-Abkommen, Option und Umsiedlung, Gruber-De Gasperi-Abkommen und Scheinautonomie, Attentate und Paket und schließlich eine Autonomie, die für viele Modellcharakter hat. Dass trotzdem nicht alle Probleme überwunden sind, zeigt ein aktueller Ausblick bis zum Beginn der Amtszeit des neuen Landeshauptmanns von Südtirol, Arno Kompatscher.

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Titel

Rolf Steininger

Südtirol

Vom Ersten Weltkrieg

bis zur Gegenwart

Vorbemerkung

Wie in einem Brennglas findet sich in der Geschichte Südtirols ein Stück Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder. Es ist alles da: der Erste Weltkrieg mit seinen verheerenden Auswirkungen, die „Friedens­verträge“, mit denen zahlreiche Minderheiten­probleme erst geschaffen und verschärft wurden. Ein fast hundertprozentig deutschsprachiges Südtirol, das seit mehr als fünf Jahrhunderten zu Österreich gehört hatte, wurde Italien als „Kriegsbeute“ zugeschlagen – mit der Grenze am Brenner; ein Österreich, das in seiner Schwäche Südtirol nicht beistehen konnte, Ver­gewaltigung einer Minderheit durch die Faschisten, die Auswirkungen des aufkommenden Nationalsozialismus und schließlich am Ende einer ersten Phase das Hitler-Mussolini-Abkommen aus dem Jahre 1939, das zum Experiment einer „ethnischen Flurbereinigung“ werden sollte. 86 Prozent der Südtiroler trafen damals die Wahl – Option wurde das genannt –, das Land zu verlassen und „Reichsdeutsche“ zu werden; rd. 75.000 gingen tatsächlich. Die Auswirkungen dieser Entscheidung lassen sich von der höchsten Ebene der Regierungen bis hinunter ins kleinste Dorf verfolgen und sind bis heute nicht vergessen.

Dann der Zweite Weltkrieg – mit Italien erst auf der einen, dann auf der anderen Seite – und die entsprechenden Auswirkungen auf Südtirol. Nach Kriegsende ein Italien, das sich demokratisch gab, und ein Südtirol, das frühzeitig in die Mühlen des Kalten Krieges geriet. Eine Rückkehr zu Österreich wurde von den Siegern abgelehnt; sie hielten an der Brennergrenze fest. Auf Druck der Briten kam es dann im September 1946 zu einem Autonomieabkommen zwischen Österreich und Italien. Deutschland spielte nach 1945 keine Rolle mehr, sondern das Österreich der Zweiten Republik, das seit 1946 zwar „Schutzmacht“ Südtirols, aber besetzt und schwach war und erst seit dem Staatsvertrag 1955 langsam aktiv wurde.

Italien hatte Südtirol 1948 eine Autonomie zugestanden, die sich als Scheinautonomie erwies. Enttäuschte Hoffnungen führten so Ende der fünfziger Jahre zur Verschärfung der Lage in Südtirol – mit der Forderung nach Selbstbestimmung und dann nach einer wirklichen Autonomie. Es folgte Österreichs Weg zur UNO, der begleitet war von Bombenattentaten in Südtirol. Dann gab es Tote, schließlich 1969 mit dem „Paket“ den zweiten Versuch einer Auto­nomie. Nach jahrzehntelangen Verhandlungen endlich 1992 die offizielle Beilegung des Streits zwischen Österreich und Italien mit einer Autonomie, die als Modell für die Lösung der mit dem neuen Nationalismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts einhergehenden Probleme dienen könnte.

Etwa 40 Kilometer südlich von Innsbruck liegt jene Brennergrenze, hinter der die Ortsnamen zweisprachig sind und wo – zur Überraschung so mancher Touristen aus Deutschland – plötzlich Italien ist und italienisch gesprochen wird, aber auch – zur Überraschung so mancher italienischer Touristen – deutsch; wo man auf dem Waltherplatz in Bozen einen Cappuccino trinken kann und sich mancher fragen mag, wie alles gekommen ist.

Die beiden Volksgruppen in Südtirol haben jahrzehntelang gegeneinander gelebt; auf Südtiroler Seite gab es berechtigtes Mißtrauen, fühlten sich doch die Italiener – und handelten auch so – als die Herren im Haus, das aus Südtiroler Sicht nicht deren Haus war. Für die Italiener waren die Südtiroler „allogeni“, „Fremdstämmige“, oder gar „valligiani dalle calze bianche“, „Talbewohner mit den weißen Strümpfen“. Auch nach 1945 verstanden sie die Südtiroler nicht, weder ihre Sitten und Gebräuche, noch ihre Sprache. Man wollte und mußte die „alloglotti“, die „Fremdsprachigen“, auch gar nicht verstehen, schließlich war man ja in Italien, und Südtirol war italienisches Territorium – und würde es auch bleiben. Oder etwa nicht? Das alles war eine Mischung aus Ignoranz und Präpotenz und mußte fast zwangsläufig zum Konflikt führen – der dann ja auch kam. Erst in den letzten Jahren wurde das Mißtrauen etwas abgebaut; heute gibt es ein geregeltes Nebeneinander, allerdings kein Miteinander. Das lag und liegt auch daran, daß die Italiener wenig oder gar nichts von der Geschichte dieses Landes kannten und kennen, was manchmal allerdings auch für die deutschsprachigen Südtiroler gilt.

Vielleicht lädt diese Geschichte zur Lektüre ein, die auf italienisch unter dem Titel „Alto Adige/Sudtirolo 1918–1999“ erschienen ist. Ausführlicher zum Thema meine folgenden Arbeiten im Studienverlag: „Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben einer Minderheit“, Innsbruck-Wien 1997, 19993; „Südtirol im 20. Jahrhundert. Dokumente“, Innsbruck-Wien 1999, sowie 7 Bände Akten zur Südtirol-Politik 1959 – 1969. Wer mehr über die Zeit von 1947 bis 1969 erfahren möchte, sei auf meine vom Südtiroler Landes­archiv herausgegebene dreibändige Darstellung „Südtirol zwischen Diplomatie und Terror 1947–1969“ verwiesen, die 1999 in der Verlagsanstalt Athesia, Bozen, erschienen ist. Der vorliegende Band ist die überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Arbeit über „Südtirol 1918–1999“, die 1999 im Studienverlag erschienen ist und schon bald vergriffen war. Um die Neu­ausgabe von den übrigen Ausgaben abzuheben, wurden ein neuer Titel und auch ein neues Titelbild gewählt. Das Titelbild hat freundlicherweise der Chefredakteur der „Dolomiten“, Herr Dr. Toni Ebner, zur Verfügung gestellt, wofür ich an dieser Stelle sehr herzlich danke. Das Bild zeigt jene Problematik, um die dieser Band erweitert wurde: die Umbenennung des „Siegesplatzes“ in Bozen in „Friedensplatz“ – mit der Abstimmung der Bozner Bürger im Oktober 2002. Hinzugefügt wurden eine knappe Zeittafel und das Gruber-De Gasperi-Abkommen aus dem Jahre 1946 – eines der wichtigsten Dokumente für Südtirol. Bei der Literatur habe ich nur neuere Arbeiten angeführt.

Die vorliegende Arbeit erscheint gleichzeitig auf Englisch unter dem Titel „South Tyrol – A Minority Conflict of the Twentieth Century“ bei Transaction Publishers, Rutgers-The State University, New Brunswick (New Jersey) und London.

Hingewiesen sei auch auf das Schwerpunktthema „Südtirol“ des Zeitgeschichte Informations Systems des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Unterhttp://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/zis/library/suedtirol-im-20.-jahrhundertfinden sich bei diesem Thema ein Aufsatz zur Südtirolfrage, Dokumente, eine Zeittafel, ausführliche Literaturhinweise und weiter­führende Links zum Thema.

I. 1918 1922: Von der Teilung bis zum „Marsch auf Bozen“

1. Teilung und Annexion

Am 3. November 1918 wurde in der Villa Giusti in Abano in der Nähe von Padua der Waffenstillstand zwischen Österreich-Ungarn und Italien geschlossen. Anschließend begann die kampflose Besetzung Südtirols durch italienische Truppen, die bereits am 4. November Salurn, den Mendelpaß und Schluderns erreichten. Am 5. November wurde Meran besetzt. Von der Mendel kommend erreichte eine Kavalleriepatrouille am 6. November Bozen, am nächsten Tag schließlich besetzten Truppen der 7. Armee die Stadt. Von Bozen drangen die Truppen dann durch das Eisacktal Richtung Brenner vor, am 10. November besetzten sie den Brennerpaß.

Bis zum 31. Juli 1919 unterstand Südtirol einer Militärregierung unter General Guglielmo Pecori-Giraldi. Pecori-Giraldi war 1856 in Florenz geboren, hatte an den Kolonialkriegen in Eritrea (1903) und Libyen (1911) teilgenommen und war 1915 zum Oberkommandierenden der 1. italienischen Armee ernannt worden. Ihm ging es darum, den Besitz Südtirols zu sichern. Entsprechend sahen die von ihm durchgeführten Maßnahmen aus. Da war zunächst jene berühmte zweisprachige Proklamation, die in allen Südtiroler Gemeinden ausgehängt wurde, mit der er am 18. November die Grundzüge seiner Politik darlegte.

Die Besetzung Südtirols war fast reibungslos vor sich gegangen; zu ernsteren Zwischenfällen war es nicht gekommen. Die Bevölkerung folgte dem Aufruf der Militärs, Ruhe und Disziplin zu bewahren; die Soldaten selbst verhielten sich korrekt. Schon bald wurde den Südtirolern klar, daß ihr Land besetzt war und einer Militärverwaltung unterstand. Es wurde sofort hermetisch von Österreich und dem Ausland abgeriegelt. Damit war jeder Personen- und Warenverkehr mit Nordtirol und Österreich unterbunden. Telegraphische Apparaturen und Brieftauben mußten abgegeben werden. Bei Mißachtung dieser Verordnungen drohten hohe Kerkerstrafen. Die Presse wurde einer strengen Zensur unterworfen. Auch im Post- und Telegraphenbereich gab es harte Einschränkungen. Nach Österreich, Deutschland, Ungarn, Bulgarien und in die Türkei durften keine Briefe mehr geschickt werden. Aus diesen Ländern kommende Briefe wurden nicht an die entsprechenden Adressaten verteilt. Alle übrigen Briefsendungen waren der Zensur unterworfen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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