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Wer diese "Geschichte Israels" gelesen hat, weiß, warum es im Nahen Osten keinen Frieden gibt. Rolf Steiningers "Geschichte Israels" unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von anderen Arbeiten zum Thema. Er geht zwar wie üblich chronologisch vor – Vorgeschichte, Gründung, Kriege –, lässt dann aber immer wieder die damaligen politischen Beobachter selbst "sprechen". Bis 1939 sind das die deutschen Generalkonsuln in Jerusalem, bis 1990 die Botschafter Österreichs in Israel. Ihre einst vertraulichen Berichte liefern ganz neue Einblicke in die Geschehnisse jener Zeit. In Palästina geht es um Araber, die erst gegen Juden und dann mit "Heil Hitler"-Rufen gegen Juden und Briten kämpfen, in Israel u. a. um Österreichs ersten Diplomaten, der dort zum Antisemiten wird, um ein jüdisch-arabisches Freundschaftstreffen, Ägyptens Verhandlungsphilosophie gegenüber Israel, die Räumung der letzten jüdischen Siedlung auf dem Sinai, den Rücktritt von Ministerpräsident Begin, den Lavi-Jet, eine Erkundungsfahrt durch die Westbank während der Intifada, den Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung, um die Annexion des Golan, um eine lesenswerte Analyse über Israel im Jahr 1990. Dann um die US-Präsidenten, Israel als global player und um das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023. 41 Fotos und drei Faksimiles runden den Band ab.
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Seitenzahl: 208
Rolf Steininger
Kein Frieden im Nahen Osten
Einleitung
1. Kapitel„Wir sind ein Volk, ein Volk“ Theodor Herzls Judenstaat
2. Kapitel„Den Juden die Pforte Palästinas geöffnet“ Die Balfour-Deklaration
3. KapitelKein Judenstaat: Konflikte zwischen Juden und Arabern
4. KapitelDie UNO-Resolution 181 und die Teilung Palästinas
5. Kapitel„Die Versammlung ist hiermit beendet“ Die Gründung des Staates Israel
6. Kapitel„Israel eine Früh- und vielleicht Fehlgeburt“ Ein Diplomat wird zum Antisemiten
7. KapitelDie „Operation Musketier“ Der Suezkrieg
8. KapitelIsraels „zweite Geburt“ Der Sechstagekrieg
9. Kapitel„Der Dritte Tempel ist in Gefahr!“ Der Yom-Kippur-Krieg
10. KapitelEin jüdisch-arabisches Freundschaftstreffen
11. KapitelWendepunkt 1977: Menachem Begin gewinnt die Wahl
12. Kapitel„Der Verräter ist tot“ Die Ermordung von Präsident Sadat
13. Kapitel„Brüskierung der USA“ Die Annexion des Golan
14. KapitelIsraels Siedlungspolitik – und die Räumung der Siedlung Yamit
15. Kapitel„Frieden für Galiläa“ Der Libanonkrieg
16. Kapitel„Der König von Israel“ tritt zurück: Menachem Begin
17. Kapitel„Der Löwe wird beerdigt“ Das Ende von Israels Prestigeprojekt
18. Kapitel„Der Krieg der Steine“ Die Intifada und eine Erkundungsfahrt durch die Westbank und Ost-Jerusalem
19. Kapitel„Quo vadis, Israel?“ Kein „Kreuzfahrerstaat“
20. KapitelDrei Schüsse: Die Ermordung von Yitzhak Rabin
21. Kapitel„Ihr seid nicht allein, es sei denn, Ihr handelt allein“ US-Präsidenten und Israel
22. Kapitel„Sommerregen“ und Raketen aus dem Gazastreifen
23. KapitelEin kleines Land als global player
24. KapitelDie Hamas und „der böse Tag“ Samstag, 7. Oktober 2023
25. KapitelWarum gibt es im Nahen Osten keinen Frieden?
Anmerkungen
Bildnachweis
Literaturhinweise
Personenverzeichnis
Am frühen Morgen des 5. Juni 1967, ein Montag, griffen israelische Mirage-Kampfjets Ägypten an: Der Sechstagekrieg hatte begonnen. Ich studierte damals an der University of Lancaster in England und wurde Zeuge eines Ereignisses, an das ich mich noch gut erinnern kann: Kurz nach Bekanntwerden des israelischen Angriffs gab es auf dem Campus einen Aufruf, alle jüdischen Studierenden sollten sich melden. Die Universität war relativ neu, und da noch Studentenwohnheime fehlten, wurden „Ausländer“, sobald die Saison im Badeort Morecambe zu Ende war, in dortigen Hotels untergebracht. Ich wohnte im „Erindale“, zusammen mit David aus San Diego, der mein Freund wurde. Davids Großvater war irgendwo in Florida Rabbi. David hatte mich in der Vergangenheit immer wieder nach dem Holocaust gefragt. Als er jetzt zu mir sagte: „Ich fahre auch“, wurde mir klar, wohin er fahren wollte. Bevor es losging, war der Krieg allerdings schon vorbei, die Vorbereitungen für den Graduation Ball an der Uni wurden fortgesetzt.
Bei meiner späteren Beschäftigung mit der Geschichte Israels und des Nahostkonflikts habe ich manchmal an dieses Ereignis gedacht, wenn es um die Verbundenheit der Juden – und Jüdinnen – im Ausland mit dem Staat Israel ging.
Im Mai 1994 führte ich gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Thomas Albrich und 20 Seminarteilnehmer/innen eine zwölftägige Exkursion nach Israel durch. Es wurde eine Exkursion der besonderen Art. Unvergessen bleiben das Beduinenmuseum, die Fahrt auf den Golan, der Holocaust-Erinnerungsort Yad Vashem, die Flugschau der israelischen Luftwaffe vor Tel Aviv, die einstige Festung Massada, Übernachtung in Ost-Jerusalem, und dann – mit der vom langjährigen Chefredakteur der „Jerusalem Post“, Ari Rath, organisierten Sondergenehmigung – die Teilnahme an den abendlichen Vorbereitungen für die Gründungsfeierlichkeit des Staates auf dem Herzlberg.
Was die Exkursion ganz besonders machte, waren noch ein paar andere Dinge. So konnten wir aus nächster Nähe beobachten, wie israelische Soldaten vor Jericho Sperranlagen abbauten und Messungen durchführten: Jericho würde Teil des ein Jahr zuvor vereinbarten Autonomiegebietes werden. Der Vorgang war irgendwie historisch. Dann gab es ein ungewöhnliches Ereignis im Außenministerium. Dort wurden wir Zeuge einer unglaublich aggressiven Auseinandersetzung zwischen einem Beamten des Ministeriums und unserer Reiseleiterin Rachel. Es ging um den wenige Monate zuvor von Premierminister Yitzhak Rabin eingeleiteten Friedensprozess (s. Kap. 20). Rachel hatte sich gleich zu Beginn der Exkursion als ehemalige Stewardess der Swiss Air vorgestellt und voller Stolz darauf hingewiesen, dass sie im befreiten Gebiet wohne. Sie hatte die Westbank gemeint, jenes Palästinensergebiet, das Israel im Sechstagekrieg erobert hatte und besetzt hielt. Für Zionisten war dieses Gebiet Judäa und Samaria und war „befreit“ worden; seither siedelten sie dort. Thomas und ich hatten klargemacht, dass wir das anders sahen, und zwar so deutlich, dass Rachel bis zum Schluss der Exkursion die Westbank nicht mehr als „befreites“ Gebiet bezeichnete – außer im Ministerium. (Ansonsten ging es nur noch um „Autos mit den blauen Kennzeichen“; das waren die aus der Westbank.)
Die im Außenministerium geführte Auseinandersetzung hatte uns allerdings gezeigt, dass die Politik Rabins nicht unumstritten war. Die israelische Rechte lehnte sie bekanntlich genauso ab wie die Terrororganisation Hamas. Rabin wurde ein Jahr später von einem fanatischen Juden ermordet. Das war dann auch das Ende des Friedensprozesses.
Im Laufe unserer Exkursion gab es in Jerusalem zwei Terrorangriffe auf israelische Busse mit etlichen Toten. Unser letzter Tag verlief dann in einer extrem angespannten Atmosphäre – mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen. An diesem Tag endete nämlich die von den Arabern angekündigte „Friedensphase“ betreffend das Attentat vom 25. Februar. Da hatte der radikal-religiöse jüdische Siedler Baruch Goldstein in der Ibrahim-Moschee in Hebron 29 Araber erschossen. Zum Glück gab es kein Attentat in der Nähe unseres Quartiers. Am nächsten Tag landeten wir über den Umweg Münster/Osnabrück wohlbehalten in München.
„Meine“ Geschichte Israels unterscheidet sich in wichtigen Punkten von anderen Geschichten des Landes bzw. des Nahostkonflikts: Die Erzählung ist zwar wie üblich chronologisch angelegt – Vorgeschichte, Gründung und die nachfolgenden Kriege –, ich lasse dann aber immer wieder die damaligen politischen Beobachter selbst „sprechen“. Bis 1939 sind das die deutschen Generalkonsuln in Jerusalem, bis 1990 die Botschafter Österreichs in Israel. Ihre einst vertraulichen Berichte liefern ganz neue Einblicke in die Geschehnisse jener Zeit.
Es gibt wohl kaum eine bessere Beschreibung der Ereignisse in Palästina als jene der deutschen Generalkonsuln. Etwa, wenn es um die Probleme der frühen Zionisten in den 1920er-Jahren geht – unvergessen der Spruch „Wir sitzen hier am Mittelmeer und haben keine Mittel mehr“, oder „Afuleh, die erste moderne Ruinenstadt Palästinas“ –, um die blutigen Auseinandersetzungen erst zwischen Arabern und Juden und im arabischen Aufstand 1936 dann Araber gegen Juden und Briten, den britischen Teilungsplan im Jahr 1937, die begeisterten „Heil Hitler“-Rufe Säbel schwingender Araber, die nicht realisierten, dass es gerade Hitlers Politik war, die die deutschen Juden nach Palästina trieb und sie dort mit Kulturgütern „beglückt“ wurden, die sie im Grunde ihres Herzens verachteten.
In Israel geht es zunächst um Österreichs ersten Diplomaten, der dort zum Antisemiten wird, dann um ein jüdisch-arabisches Freundschaftstreffen, Ägyptens Verhandlungsphilosophie gegenüber Israel, die Räumung der letzten jüdischen Siedlung auf dem Sinai, den Rücktritt von Ministerpräsident Begin, den Lavi-Jet, eine Erkundungsfahrt durch die Westbank während der Intifada, dem Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung, um die Annexion des Golan, um eine lesenswerte Analyse über Israel im Jahr 1990. Dann um die US-Präsidenten, Israel als global player und um das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023.
Bei all diesen Ereignissen wird immer deutlicher, warum es im Nahen Osten nach wie vor keinen Frieden gibt. Gab es Chancen? Und wenn ja, wurden sie vertan? Wurden – und werden – die Palästinenser von den Arabern „verraten“? Gab es zu oft ein „Nein“ von Seiten der arabischen Staaten? Sagten deren Führer auf Englisch „Frieden“ und auf Arabisch „Vernichtung“? Und wie steht es mit Israel? Mit der Besiedlung der Westbank? Siedeln auf jedem im Alten Testament erwähnten Hügel? Als „Philosophie“ Israels? Und welche Rolle haben die amerikanischen Präsidenten gespielt? Nur zugeschaut und Israel um jeden Preis unterstützt? „Quo vadis, Israel?“ fragte 1990 Österreichs Botschafter in Israel. Sein Bericht ist besonders lesenswert, auch mit Blick auf Israels Weg in den dann folgenden 35 Jahren.
Der Band 13 der „Berichte“ (Botschafter Dr. Ingo Mussi, 1976–1981) und der Band 14 (Botschafter Dr. Otto Pleinert, 1981–1990) sind 2016 bzw. 2021 in der innsbruck university press erschienen. Deren Leiterin Dr. Birgit Holzner danke ich sehr herzlich dafür, dass ich daraus einzelne Passagen übernehmen konnte.
Die Gründungsgeschichte des Staates von 1896 bis zum Unabhängigkeitskrieg 1948/49 wird in der vorliegenden Arbeit relativ kurz behandelt. Eine längere Fassung von mir hat die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen 2023 herausgegeben; sie ist dort erhältlich und inzwischen auch online (Die Gründung des Staates Israel – 14. Mai 1948 (mit zwei Karten)). Für die US-Präsidenten verweise ich auf meine Arbeit „Die USA, Israel und der Nahe Osten. Von 1945 bis zur Gegenwart“, Reinbek 2022 (mit einer Karte) und das entsprechende Kapitel in „Das amerikanische Jahrhundert“; Erfurt 2021; für den Gesamtkomplex Nahostkonflikt auf das gleichnamige Fischer-Taschenbuch, erstmals 2005 erschienen, aktuelle Auflage November 2023.
Als Hochschullehrer war mir Öffentlichkeitsarbeit immer sehr wichtig. So gibt es zum Thema Israel/Nahost etwa drei Dutzend Beiträge von mir in Printmedien (u. a. Dolomiten, Wiener Zeitung, ZEIT, Schalom), die inzwischen auch gesammelt vorliegen. Und etliche Sendungen auf Rai Südtirol und Ö1 (einige auch auf meiner Website zum „Nachhören“).
Ein Wort zum Schluss: Wer im Jahr 2024 eine Geschichte Israels schreibt und feststellt, dass es im Nahen Osten keinen Frieden gibt, kann am Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 nicht vorbeigehen. Bereits Ende 2023 hat die Landeszentrale für politische Bildung Thüringen eine entsprechende Broschüre von mir (51 Seiten) herausgegeben. In Kapitel 24 gehe ich noch einmal auf das Thema ein.
Beim Thema Israel scheiden sich bekanntlich die Geister. Es gibt viele unterschiedliche Meinungen und viele Vorurteile. Möglicherweise hilft dieses Buch, einige davon abzubauen. Wünschenswert wäre es allemal.
Innsbruck, im Mai 2024
Rolf Steininger
Alles begann mit einem im 19. Jahrhundert in Europa entstandenen Phänomen und einem Mann, der daraus die Konsequenzen zog. Das Phänomen war der grassierende Antisemitismus, der Mann der österreichische Jude Theodor Herzl.1
Herzl war 1860 in Budapest geboren, wuchs aber in Wien auf und wurde ein vollständig assimilierter Jude. 1884 promovierte er zum Doktor jur. und hatte die Absicht, Schriftsteller zu werden. Er wurde eine Art Kaffeehausliterat und mittelmäßiger Theaterautor. 1891 wurde er dann aber als Journalist für die „Neue Freie Presse“ nach Paris geschickt. Der Aufenthalt dort wurde zur entscheidenden Station in seinem Leben.
Theodor Herzl (1860–1904), der Begründer des politischen Zionismus.
Im Dezember 1894 wurde dort ein jüdischer Hauptmann des französischen Generalstabes, Alfred Dreyfus, von einem Militärgericht der Spionage für das Deutsche Reich für schuldig befunden und zu lebenslänglicher Deportation auf die Teufelsinsel in Französisch-Guyana verurteilt. Dreyfus wurde öffentlich degradiert: sein Degen zerbrochen, seine Rangabzeichen entfernt, er selbst in Ketten abgeführt. Währenddessen schrie der anwesende Mob: „Tod. Tod den Juden.“
Herzl war über diese antisemitischen Ausbrüche entsetzt; seine Antwort war eine kleine, 71 Seiten umfassende Broschüre: Der Judenstaat – Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Im Februar 1896 lag sie in 3000 Exemplaren vor.
Es war eine programmatische Schrift, mit der der moderne politische Zionismus und damit die Umwälzung in der Geschichte des jüdischen Volkes begann. Der erste Satz macht deutlich, worum es Herzl ging:
„Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein uralter, es ist die Herstellung des Judenstaates. Ich erfinde weder die geschichtlich gewordenen Zustände der Juden noch die Mittel zur Abhilfe.“
Am Ende heißt es:
„Wir sind ein Volk, ein Volk. Der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war. In der Bedrängnis stehen wir zusammen, und da entdecken wir plötzlich unsere Kraft.
Ja, wir haben die Kraft, einen Staat, und zwar einen Musterstaat zu bilden. Wir haben alle Mittel, die dazu nötig sind. Man gebe uns die Souveränität eines für unsere gerechten Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche, alles andere werden wir selbst besorgen.“2
Die Reaktionen auf seine Schrift waren nicht gerade überwältigend. Assimilierte Juden sprachen von einem Hirngespinst, von einem Kuckucksei des Nationaljudentums; die Juden seien keine Nation, sie hätten nur den Glauben an Gott gemeinsam. Herzl wurde verlacht und verspottet. So schrieb zum Beispiel Anton Bettelheim, ein Landsmann Herzls, in den „Münchner Allgemeinen Nachrichten“ vom Faschingstraum eines durch den Judenrausch verkaterten Feuilletonisten. Nur in Osteuropa mit dem dort besonders verbreiteten Antisemitismus konnte Herzl bald begeisterte Anhänger finden.
Herzl begann sofort, für seine Pläne Unterstützung in der Politik zu suchen, und reiste ununterbrochen durch Europa auf der Suche nach eben dieser Unterstützung. Anfang 1897 reifte in ihm die Idee, einen allgemeinen Zionistenkongress einzuberufen, um dort seinen Plan zur Lösung der Judennot der Weltöffentlichkeit vorzustellen.
Als der Plan bekannt wurde, formierten sich die Gegner aus dem Lager der Assimilations-Befürworter, angeführt vom Vorstand des Rabbinerverbandes in Deutschland. Der verbreitete eine Erklärung, in der es u. a. hieß:
„Die Bestrebungen sogenannter Zionisten, in Palästina einen jüdischnationalen Staat zu gründen, widersprechen den messianischen Verheißungen des Judentums, wie sie in der Heiligen Schrift und den späteren Religionsquellen enthalten sind.
Das Judentum verpflichtet seine Bekenner, dem Vaterlande, dem sie angehören, mit aller Hingebung zu dienen und dessen nationale Interessen mit ganzem Herzen und mit allen Kräften zu fördern.“
1903: das Jaffa-Tor in der Altstadt von Jerusalem. Die Menschen schwenken Fahnen als Zeichen der Verehrung des türkischen Sultans.
Da die meisten Zeitungen sich weigerten, Herzls Artikel zu drucken, gründete er im Mai 1897 ein eigenes Wochenblatt „Die Welt“; die erste Nummer erschien am 4. Juni 1897 in Wien.
Am 29. August 1897 versammelten sich 204 Delegierte aus 16 Ländern zum ersten Zionistenkongress im Stadtkasino von Basel. Der ursprüngliche Tagungsort, München, war am Widerstand der dortigen jüdischen Gemeinde gescheitert. Die Mehrheit der Teilnehmer kam aus Osteuropa.
Der sogenannte Judenkongress war ein Ereignis, das sich niemand entgehen lassen wollte. Der Saal war überfüllt, Sonderberichterstatter der wichtigsten Zeitungen waren anwesend. Als Herzl zum Rednerpult schritt, gab es minutenlangen Beifall und begeisterte Zurufe. Es wurde getrampelt, in die Hände geklatscht, Tücher geschwenkt. Der Ruf ertönte: „Jechi Hamelech! Es lebe der König.“
Herzl begann seine Rede mit dem Satz: „Wir wollen den Grundstein legen zu dem Haus, das dereinst die jüdische Nation beherbergen wird.“ Und weiter: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.“
Der Kongress verabschiedete die inzwischen berühmte Baseler Resolution, in der es hieß: „Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina.“ Jeder wusste, was mit Heimstätte gemeint war: ein jüdischer Staat.
Nach drei Tagen erklärte Herzl den Kongress für beendet. Viele Teilnehmer weinten, andere fielen sich in die Arme, dritte drückten sich die Hände und riefen sich in Anlehnung an die bekannte Gebetsformel gegenseitig zu: „Nächstes Jahr in Jerusalem.“
In Basel wurde der zionistische Weltkongress gegründet, Mitgliedsjahresbeitrag war ein Schekel, jenes aus der biblischen Zeit stammende Gold- und Silbergewicht (seit 1980 die offizielle Währung Israels). Es gab Vorschläge für die Errichtung einer zionistischen Bank, für eine hebräische Universität und anderes mehr. Vor allen Dingen hatte man ein wichtiges Ziel erreicht: die öffentliche Diskussion über den Zionismus war wieder in Gang gekommen.
In sein Tagebuch notierte Herzl am 3. September 1897 jene Sätze, die später immer wieder zitiert wurden:
„Fasse ich den Basler Kongress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen –, so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.“
Die Flagge, die auf dem Kongress geweht hatte – blau-weiß mit Davidstern – wurde zur Flagge Israels, das in Basel gesungene Lied, die Hatikwa, was übersetzt „die Hoffnung“ heißt, zur Nationalhymne Israels.
Nach Basel wurde der zionistische Weltkongress aktiv. Es wurde eine jüdische Kolonisationsbank errichtet, ein Nationalfonds, eine Entwicklungsgesellschaft: alles mit dem Ziel, Land zu kaufen und Juden anzusiedeln. Es ging von Anfang an darum, in Palästina eine jüdische Mehrheit zu schaffen. Die Formel für die öffentlich-rechtlich gesicherte Heimstätte in Palästina lautete damals: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land.“ Dieses Land ohne Volk gab es allerdings nicht. In Palästina lebten damals etwa 500.000 Araber. Für die zionistische Bewegung waren die Juden die Nachfahren der Hebräer und sozusagen Ureinwohner Palästinas. Die dort lebenden Araber waren demnach illegal. Was sollte mit ihnen geschehen?3
Am 9. Dezember 1917 wird Jerusalem vom britischen General Edmund Allenby erobert. Hier Allenby vier Jahre später mit (v. l.) Thomas Edward Lawrence („Lawrence von Arabien“) und Emir Abdullah, dem Herrscher Transjordaniens.
Am 2. November 1917 schickte der britische Außenminister Arthur James Balfour folgenden Brief an den Präsidenten der Zionistischen Föderation in Großbritannien, Lord Rothschild:
„Lieber Lord Rothschild,
ich habe die große Freude, Ihnen im Namen der Regierung Seiner Majestät die folgende Sympathieerklärung für die jüdisch-zionistischen Bestrebungen zu übermitteln. Sie hat dem Kabinett vorgelegen und wurde von ihm gebilligt.
Die Regierung Seiner Majestät betrachtet die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwollen und wird keine Mühe scheuen, um die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei allerdings von der Voraussetzung ausgegangen wird, dass dabei nichts geschieht, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der in Palästina bestehenden nicht-jüdischen Gemeinden oder die Rechte und die politische Stellung der Juden in irgendeinem anderen Lande beeinträchtigen könnte.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Erklärung der Zionistischen Föderation zur Kenntnis bringen würden.
Ihr ergebener Arthur James Balfour.“1
Diese sogenannte Balfour-Deklaration ist ein Schlüsseldokument des 20. Jahrhunderts und ein Meilenstein in der Geschichte der zionistischen Bewegung. Sie öffnete letztlich den Juden die „Pforte Palästinas“, wie das der deutsche Generalkonsul in Jerusalem, Erich Nord, 1929 interpretierte.2 Ohne sie hätte es wohl keinen Staat Israel gegeben.
Worum ging es?
Auf der Suche nach Verbündeten während des Krieges verteilten die Briten die potenzielle Beute, das Osmanische Reich. Zunächst wurden die Araber bedient. Berühmt ist die erst 1939 bekannt gewordene Korrespondenz zwischen dem britischen Hochkommissar in Ägypten, Sir Henry McMahon, und dem Sherifen von Mekka, Hussein, vom 24. Oktober 1915, in dem Großbritannien sich bereit erklärt hatte, „die Unabhängigkeit der Araber anzuerkennen“ – bei deren Teilnahme im Krieg gegen die Türken. Acht Monate später erklärten die Araber der Türkei den Krieg. Legendär wurde hier der britische Verbindungsoffizier Thomas Edward Lawrence („Lawrence of Arabia“). Die Briten erklärten später, der Sherif habe seinen Anteil des Abkommens nicht erfüllt; es habe keinen allgemeinen Aufstand gegeben. Es gab keine Unabhängigkeit der Araber. Tatsächlich war Großbritannien zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen, das von den Arabern angestrebte Großarabische Reich zu akzeptieren.
Die Balfour-Deklaration.
Das wird deutlich bei dem sog. Sykes-Picot-Abkommen, das Mark Sykes, Nahostexperte im britischen Kabinett, und François Georges-Picot, französischer Diplomat und Generalkonsul in Beirut, am 16. Mai 1916 im Auftrag ihrer jeweiligen Regierungen abgeschlossen hatten. Darin waren die Interessensphären der beiden Mächte im Nahen Osten nach einer Niederlage des Osmanischen Reiches abgegrenzt und die „Beute“ zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt worden. Das Abkommen war geheim und widersprach den Zusagen an die Araber. Und dann gab es noch das Balfour-Abkommen.
Damals wollten die Briten Palästina kontrollieren – nach heutigen Grenzen das südliche Libanon, die syrischen Golanhöhen, Israel, die Westbank und das westliche Jordanien. Eine entsprechende Entscheidung traf das Kriegskabinett am 1. Mai 1917.
Die Zionisten in Großbritannien, angeführt von Chaim Weizmann, nutzten dies für ihre Ziele: Palästina als Staat für die Juden, so wie es der Zionistische Weltkongress 1897 gefordert hatte. Weizmann war eine der überragenden Gestalten des Zionismus. Geboren 1874 in Russland als Sohn einer wohlhabenden Familie, war er 1892 nach Deutschland gegangen, hatte dort Chemie studiert, bevor er 1897 in die Schweiz ging, wo er 1899 an der Universität Freiburg promovierte. 1901 war er bereits Professor an der Universität Genf, bevor er dann 1904 an die Universität Manchester wechselte.
Der Erste Weltkrieg wurde für ihn zum Triumph. Ab 1916 leitete er das Forschungslabor der Britischen Admiralität und entwickelte ein Verfahren zur künstlichen Herstellung von Azeton, einem wichtigen chemischen Bestandteil von Sprengstoffen. Er war ein glühender Zionist und begnadeter Lobbyist und nutzte seine gesellschaftlichen Kontakte. Ihm gelang es, wichtige Persönlichkeiten in Großbritannien für die Idee des Zionismus und für die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zu gewinnen. Außenminister Balfour bat am 19. Juni 1917 um den Entwurf einer entsprechenden „Formel“.
Die Gründe auf britischer Seite für diesen Schritt waren vielfältig, wobei es primär um die Kontrolle des Landes zur Absicherung des Suezkanals ging.
Am 31. Oktober genehmigte das Kriegskabinett die anfangs zitierte Deklaration,3 die 1922 in das britische Völkerbundmandat für Palästina übernommen wurde, damit Völkerrecht wurde und die Briten verpflichtet, bei der Schaffung einer „nationalen Heimstätte in Palästina“ für das jüdische Volk „keine Mühe zu scheuen“.
Großbritannien ging von nun an nach dem Grundsatz divide et impera vor. Es hatte Transjordanien und ein Königreich Hedschas geschaffen und an seine Spitze arabische Fürsten gestellt, es nutzte die Stammesstreitigkeiten unter den zum Teil in Blutrache lebenden Arabern genauso aus wie die Gegensätze zwischen diesen Arabern und den Juden. Jedenfalls lag es in Englands Interesse, Palästina möglichst lange in einem Zustand zu belassen, der die Unterstellung als Mandat begründet und die Entstehung eines selbstständigen freien Nationalstaates, wie ihn die Juden sich erhofften, so weit wie irgend möglich hinausschieben würde. Darum hatte es auch keinerlei Interesse, dass die von den Deutschen begonnene Bagdadbahn fertiggestellt wurde. „Der beste Schutz seines indischen Besitzes“, so analysierte es das deutsche Generalkonsulat in Jerusalem 1927, „ist vorerst immer noch das Fehlen einer Landverbindung dorthin.“ Und ergänzend hieß es: „Betrachtet man das jüdische Siedlungsunternehmen auch von dieser Seite aus, so wird man folgern müssen, dass nicht damit zu rechnen ist, dass es sich rasch entwickeln wird.“4
Araber im Dienst der Jewish Agency im Hafen von Haifa.
1921 gab es die ersten Unruhen: In Jaffa wurden 47 Juden und 48 Araber getötet. 1929 brachen die Konflikte zwischen Arabern und Juden erneut aus. Anstifter der antijüdischen Aktionen war der geistliche Führer der Moslems, Haj Amin al-Husseini, den die Briten zum Mufti von Palästina ernannt hatten. Husseini sprach vom „Heiligen Krieg“, der in Jaffa, Hebron und Safed, aber auch in anderen Orten, geführt wurde. Insgesamt verloren 133 Juden und 116 Araber ihr Leben. Der deutsche Vizekonsul Walter Hess berichtete im August 1929 über das Geschehen in Jerusalem:
„Die beiden Parteien standen sich bei diesen Ausschreitungen an Zügellosigkeit nichts nach. Während in den arabischen Stadtteilen eine regelrechte Jagd auf Juden gemacht wurde, schlugen in den jüdischen Stadtteilen, wie ich selbst beobachten konnte, die mit Knüppeln, Eisenstangen und Steinen bewaffneten Juden wahllos jeden Fellachen auf offener Straße nieder. Die Polizei stand diesen Vorgängen, die zahllose Tote und Verwundete forderten, völlig machtlos gegenüber. In der Nacht von Freitag auf Sonnabend kam es zu den ersten schweren Schießereien, deren Schauplatz in erster Linie die im Nordwesten der Stadt gelegenen jüdischen Bezirke waren, die die zum großen Teil mit Schusswaffen versehenen Araber heftig angriffen. Diese Angriffe wurden von der Polizei, die bereits am Freitag Verstärkung herangezogen hatte, zusammen mit den schon zu diesem Zeitpunkt völlig in die Defensive gedrängten Juden, die einen von der Polizei z. T. mit Waffen versehenen Selbstschutz gebildet hatten, abgewiesen und kosteten wiederum zahlreiche Opfer auf beiden Seiten.“2
Ende des Jahres untersuchte Generalkonsul Erich Nord Ursachen und Nachwirkungen der Unruhen und kam zu dem Ergebnis, nachdem den Juden
„die Balfour-Deklaration die Pforte Palästinas geöffnet hatte, begannen sich die Zionisten häuslich im Lande einzurichten, ohne auf die Gefühle der seit vielen Jahrhunderten bodenständigen, überwiegend rein arabischen Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Sie hielten sich in völliger Verkennung der realen Verhältnisse für die Beglücker des Landes. Die Araber fühlten sich mehr und mehr an die Wand gedrückt. Für die Verbesserung der Bodenbearbeitung und für industrielle Betätigung haben sie noch wenig Verständnis, und die europäischen Kulturerrungenschaften verachten sie alle im Grunde ihres Herzens.“3
Britische Soldaten im jüdischen Viertel der Altstadt von Jerusalem. Im Hintergrund der Felsendom.
Wie üblich in solchen Situationen setzte die britische Regierung eine Untersuchungskommission ein. In dem abschließenden Bericht wurden zwar die Araber für die Massaker verantwortlich gemacht, aber gleichzeitig auch Verständnis für sie geäußert. Deren Reaktion sei die Folge enttäuschter nationaler Aspirationen und Befürchtungen hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Zukunft wegen Landkäufen und Verlust ihrer Existenzgrundlage. Für neue Siedler stehe kein Land mehr zur Verfügung, mit Ausnahme jener Gebiete, die sich bereits in ihrem Besitz befänden. In einem Weißbuch wurde der britischen Regierung erstmals eine drastische Begrenzung der Einwanderung und des Landerwerbs durch Zionisten empfohlen.
Die Zionisten waren empört. Entsprechend lautete ihre Reaktion: „Gott schütze mich vor Kommissionen – vor Pogromen kann ich mich selbst schützen.“ Für Chaim Weizmann war klar: „Das Weißbuch zielt darauf ab, unsere Arbeit in Palästina unmöglich zu machen.“ Es herrschte der allgemeine Eindruck vor, als ob die Errichtung der zugesagten jüdischen Heimstätte mit Blick auf Großbritannien mehr oder weniger abgeschlossen sei, oder als ob jede weitere Entwicklung von der Zustimmung der Araber abhinge. Nach massiven Interventionen der Zionisten wurde die Weißbuch-Empfehlung in einem Brief des britischen Premierministers Ramsay MacDonald an Weizmann im Februar 1931 dann allerdings relativiert. MacDonald bestätigte im Prinzip das, was im Völkerbundmandat festgeschrieben worden war. Die Araber nannten dieses Schreiben nicht zu Unrecht den „schwarzen Brief“. Weizmann und seine Kollegen hatten ihn entworfen, MacDonald nur noch unterschrieben. Unabhängig davon verschärften sich die Gegensätze zwischen Juden und Arabern von Tag zu Tag, trotz der durch Englands Militär- und Polizeimacht künstlich aufrechterhaltenen äußeren Ruhe und Ordnung.