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Dieses umfangreiche Lehrbuch bietet für Professionelle der unterschiedlichsten Berufsgruppen eine fundierte Einführung in die theoretischen und praktischen Grundlagen der systemischen Therapie und Beratung. Es vermittelt nicht nur Basiswissen mit den zugehörigen methodischen und behandlungstechnischen Fertigkeiten, sondern behandelt auch ausführlich die Praxisfelder und institutionellen Kontexte therapeutischen und beraterischen Handelns. Medizinisch-psychiatrische Diagnosesysteme werden in Problemkonstellationen übersetzt, die im Rahmen der systemischen Therapie und Beratung bearbeitet werden können. Beiträge zum Umgang mit kulturellen und ethischen Fragen, zur Aus- und Weiterbildung sowie zu den Perspektiven systemischer Forschung runden den Band ab. Mit 90 Kapiteln von 76 Autoren, die in der Mehrzahl auch erfahrene Aus- und Weiterbilder sind, bietet das Lehrbuch einen repräsentativen Querschnitt durch alle relevanten Themen der systemischen Therapie und Beratung auf aktuellem Stand der Kunst. Mit Beiträgen von: Corina Ahlers, Susanne Altmeyer, Eia Asen, Renate Blum-Maurice, Ulrike Borst, Wiltrud Brächter, Barbara Bräutigam, Michael B. Buchholz, Wolfgang Budde, Andrea Caby, Filip Caby, Luc Ciompi, Ulrich Clement, Klaus G. Deissler, Angelika Eck, Andreas Eickhorst, Günther Emlein, Dörte Foertsch, Peter Fraenkel, Thomas Friedrich-Hett, Frank Früchtel, Werner Geigges, Michael Grabbe, Peter Hain, Bengta Hansen-Magnusson, Ernst Hansen-Magnusson, Reinert Hanswille, Jürgen Hargens, Christian Hawellek, Thomas Hegemann, Bruno Hildenbrand, Joachim Hinsch, Katharina Hinsch, Wolfgang Jansen, Ingrid Kellermann, Sabine Kirschenhofer, Rudolf Klein, Andre Kleuter, Heiko Kleve, Jürgen Kriz, Friedebert Kröger, Rudolf Kronbichler, Matthias Lauterbach, Tom Levold, Jürg Liechti, Wolfgang Loth, Kurt Ludewig, Matthias Müller, Cornelia Oestereich, Matthias Ochs, Klaus Osthoff, Jürgen Pfitzner, Günter Reich, Kersten Reich, Rüdiger Retzlaff, Wolf Ritscher, Bernd Roedel, Dominik M. Rosenauer, Wilhelm Rotthaus, Gerhard Dieter Ruf, Günter Schiepek, Hans Schindler, Arist von Schlippe, Gunther Schmidt, Jochen Schweitzer, Rainer Schwing, Felix Tretter, Cornelia Tsirigotis, Manfred Vogt, Elisabeth Wagner, Renate Weihe-Scheidt, Jan Weinhold, Bettina Wilms, Michael Wirsching, Ferdinand Wolf, Lorraine Wright.
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Seitenzahl: 1216
Corina Ahlers • Susanne Altmeyer • Eia Asen • Renate Blum-Maurice • Ulrike Borst • Wiltrud Brächter • Barbara Bräutigam • Michael B. Buchholz • Wolfgang Budde • Andrea Caby • Filip Caby • Luc Ciompi • Ulrich Clement • Klaus G. Deissler • Angelika Eck • Andreas Eickhorst • Günther Emlein • Dörte Foertsch • Peter Fraenkel • Thomas Friedrich-Hett • Frank Früchtel • Werner Geigges • Michael Grabbe • Peter Hain • Bengta Hansen-Magnusson • Ernst Hansen-Magnusson • Reinert Hanswille • Jürgen Hargens • Christian Hawellek • Thomas Hegemann • Bruno Hildenbrand • Joachim Hinsch • Katharina Hinsch • Wolfgang Jansen • Ingrid Kellermann • Sabine Kirschenhofer • Rudolf Klein • Andre Kleuter • Heiko Kleve • Jürgen Kriz • Friedebert Kröger • Rudolf Kronbichler • Matthias Lauterbach • Tom Levold • Jürg Liechti • Wolfgang Loth • Kurt Ludewig • Matthias Müller • Cornelia Oestereich • Matthias Ochs • Klaus Osthoff • Jürgen Pfitzner • Günter Reich • Kersten Reich • Rüdiger Retzlaff • Wolf Ritscher • Bernd Roedel • Dominik M. Rosenauer • Wilhelm Rotthaus • Gerhard Dieter Ruf • Günter Schiepek • Hans Schindler • Arist von Schlippe • Gunther Schmidt • Jochen Schweitzer • Rainer Schwing • Felix Tretter • Cornelia Tsirigotis • Manfred Vogt • Elisabeth Wagner • Renate Weihe-Scheidt • Jan Weinhold • Bettina Wilms • Michael Wirsching • Ferdinand Wolf • Lorraine Wright.
„Wann hat es jemals so komprimierte und gleichzeitig gut lesbare Hintergrundinformationen zum systemischen Weltbild gegeben?“
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„Ein sehr lesenswertes Buch. Es sollte in jeder human- oder sozialwissenschaftlichen Fachbibliothek nicht nur als Präsenz-, sondern auch als Lehrbuch zur Ausleihe bereitstehen.“
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„Dieses Lehrbuch ist wirklich ein Geschenk.“
Elisabeth Wagner
Tom Levold • Michael Wirsching (Hrsg.)
Fünfte Auflage, 2023
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
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Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
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Umschlaggestaltung: Uwe Göbel
Umschlagfoto: © Tom Levold
Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Fünfte Auflage, 2023
ISBN 978-3-89670-577-8 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8252-8 (ePub)
DOI: 10.55301/9783896705778
© 2014, 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag
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Vorwort der Herausgeber
Teil 1: Grundlagen systemischer Therapie und Beratung
1.1 Therapie und Beratung als systemische Praxis
1.1.1 Systemische Therapie als transdisziplinäres und multiprofessionelles Konzept
1.1.2 Medikalisierung versus psychosoziale Perspektive
1.2 Berufliche Zugänge
1.2.1 Psychologie
1.2.2 Das systembiologische Paradigma in der Medizin
1.2.3 Soziale Arbeit
1.2.4 Sozialwissenschaften
1.2.5 Systemisch-konstruktivistische Ansätze in der Pädagogik
1.2.6 Theologie/Seelsorge
1.2.7 Krankenpflege
1.3 Systemische Epistemologie
1.3.1 Von Bertalanffys Allgemeine Systemtheorie
1.3.2 Zirkularität und Feedback: Kybernetisches Denken
1.3.3 Kommunikation und Beobachtung: Die Kybernetik 2. Ordnung
1.3.4 Radikaler Konstruktivismus
1.3.5 Theorie autopoietischer Systeme – Humberto Maturana
1.3.6 Die Systemtheorie Niklas Luhmanns
1.3.7 Sozialer Konstruktionismus – Wandel durch dialogische Zusammenarbeit
1.3.8 Narrative Therapie
1.3.9 Der lösungsfokussierte Ansatz
1.3.10 Hypnosystemische Ansätze
1.3.11 Synergetik: Die Wissenschaft komplexer selbstorganisierender Systeme
1.3.12 Personzentrierte Systemtheorie
1.3.13 Integrative systemische Therapiemodelle
1.4 Dynamik sozialer Systeme: Was Beziehungen zwischen Menschen in Bewegung hält
1.4.1 Affektive Faktoren in der systemischen Therapie
1.4.2 Geschlecht und Gender
1.4.3 Sexualität
1.4.4 Die Mehrgenerationenperspektive und das Loyalitätssystem
1.4.5 Macht
1.4.6 Geheimnisse
1.4.7 Zeit und Beziehung: Die Bedeutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
1.5 Metaphern und der therapeutische Dialog
1.6 Systemische Therapie und Diagnostik
Teil 2: Systemische Praxis
2.1 Allgemeine Grundlagen systemischer Praxis
2.1.1 Therapeutische Beziehung und Strukturierung des Erstinterviews
2.1.2 Fragetechnik, Reframing und aktivierende Methoden
2.1.3 Auftragsklärung
2.1.4 Beendigung der Therapie
2.1.5 Behandlungsabbrüche
2.2 Settings
2.2.1 Paartherapie
2.2.2 Familientherapie
2.2.3 Multifamilientherapie
2.2.4 Einzeltherapie
2.2.5 Gruppentherapie
2.2.6 Ko-Therapie und therapeutisches Team
2.3 Methoden
2.3.1 Der Stellenwert von Tools und Methoden
2.3.2 Das Auftragskarussell: Ein Instrument der Klärung eigener Erwartungserwartungen
2.3.3 Genogrammarbeit
2.3.4 Arbeit mit Skulpturen und Aufstellungen
2.3.5 Systeme visualisieren: Das Familienbrett und andere kreative Darstellungen
2.3.6 Die Arbeit mit der Zeitlinie (Timeline)
2.3.7 Reflektierendes Team
2.3.8 Videobasierte Beratung und Therapie
2.3.9 Hypnosystemische und hypnotherapeutische Techniken
2.3.10 Humor in der (hypno)systemischen Therapie
2.3.11 Rituale
2.3.12 Systemische Therapie mit Kindern und Jugendlichen
2.4 Zusammenarbeit im Hilfesystem
2.4.1 Kooperation und multiprofessionelle Zusammenarbeit im Hilfesystem: Chancen und Hindernisse
2.4.2 Helferkonferenzen
2.4.3 Case Management
2.4.4 Familienrat/Family Group Conference
2.5 Supervision und Fallreflexion
Teil 3: Arbeit mit speziellen Problemkonstellationen
3.1 Entwicklungsprobleme von Säuglingen und Kleinkindern
3.2 Entwicklungsprobleme im Kindesalter
3.3 Entwicklungsprobleme in der Jugend
3.4 Systemisches Elterncoaching: Elterliche Präsenz und gewaltloser Widerstand
3.5 Schwangerschaftskonfliktberatung
3.6 Trennung und Scheidung
3.7 Fortsetzungsfamilien: Alleinerziehende, Stieffamilien, Patchworkfamilien
3.8 Adoptiv- und Pflegefamilien
3.9 Geschwisterbeziehungen und Geschwisterkonstellationen
3.10 Süchte
3.11 Essstörungen
3.12 Kinderschutz bei körperlicher, psychischer und sexueller Misshandlung und Kindesvernachlässigung
3.13 Psychosen, Depression und Angst
3.14 Systemische Familienmedizin
3.15 Behinderung aus systemischer Perspektive
3.16 Berufsbezogene Probleme I: Burn-out
3.17 Berufsbezogene Probleme II: Mobbing
3.18 Traumatisierungen
3.19 Forensik
3.20 Therapie und Beratung im Alter
Teil 4: Kontexte
4.1 Praxisfelder
4.1.1 Systemische Therapie und Beratung in der psychotherapeutischen Praxis
4.1.2 Systemisches Arbeiten im hausärztlichen Kontext
4.1.3 Familien-, Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung
4.1.4 Aufsuchende Hilfen
4.1.5 Frühe Hilfen und Frühförderung
4.1.6 Schule
4.1.7 Stationäre familienorientierte Jugendhilfe (Heimerziehung)
4.1.8 System Krankenhaus
4.1.9 Psychiatrie
4.1.10 Suchtkliniken
4.1.11 Kinder- und Jugendpsychiatrie
4.1.12 Onlineberatung
4.2 Kulturelle Kontexte: Kulturen und Milieus
Teil 5: Ethik, Lehre, Forschung
5.1 Ethik und Recht
5.2 Aus- und Weiterbildung
5.3 Forschung
5.3.1 Die Methodologie einer interpretativen Sozialforschung als Vorgehen der Wahl bei der systemischen Therapieforschung
5.3.2 Die Einheit von systemischer Forschung, Diagnostik und Therapie: Eine synergetische Perspektive
5.3.3 »Systemisch Forschen«: Erkenntnistheoretische Fragen und forschungspraktische Leitlinien
Teil 6: Schluss
Systemische Therapie – Perspektive und Ausblick
Literatur
Verzeichnis der Autoren
Sachregister
Personenregister
Über die Herausgeber
Das Wort »systemisch« ist heute in aller Munde. Offenbar hat der Systembegriff eine Ausstrahlung, der man sich in den unterschiedlichsten psychosozialen Feldern gegenwärtig nur schlecht entziehen kann. Für den Soziologen Karl Otto Hondrich werden nur Begriffe mit einer »Erlösungskomponente« wirklich populär und damit verallgemeinerungsfähig (1998), sie sind für unterschiedliche Zwecke anschlussfähig, verheißen die Möglichkeit eines grundlegenden Wandels und neuer Sinnstiftung. Beobachtet man die Verwendung der Begriffe systemischen Denkens und Handelns genauer, findet man auch hier eine solche Erlösungskomponente. Das lässt sich einerseits als Erfolg verbuchen, andererseits läuft der Begriff »systemisch« Gefahr, in dem Maße an Aussagekraft und Trennschärfe zu verlieren, in dem er als Etikett für alle möglichen Konzepte, Methoden und Techniken herhalten muss. Für eine Kennzeichnung als »systemisch« scheint es mittlerweile auszureichen, auf Lösungs- oder Ressourcenorientierung und den Einsatz entsprechender Techniken zu verweisen.
Der systemische Ansatz ist aber alles andere als eine Sammlung systemischer Tools. Seine theoretischen, praxeologischen und kontextuellen Grundlagen sind komplex und vielfältig. Dieses Lehrbuch vermittelt die Komplexität und Vielfalt dieser Grundlagen auf verständliche Weise und eignet sich daher als Begleiter im professionellen Alltag von Anfängern und Fortgeschrittenen, Weiterbildungsteilnehmerinnen und Lehrenden, Praktikern und Theoretikerinnen sowie allen, die sich für den systemischen Ansatz interessieren.
Systemische Therapie und Beratung blickt mittlerweile auf eine über 30-jährige Geschichte zurück. Ihre Entstehungsgeschichte reicht jedoch bis in die 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als die ersten familientherapeutischen Vorgehensweisen erprobt wurden, zunächst ausgehend von psychoanalytischen oder verhaltenstherapeutischen Konzepten, aber schon früh auch unter Zuhilfenahme kybernetischer und systemtheoretischer Theorien und Modelle (Bateson u. Ruesch 1995; Bateson et al. 1969; Ray, Stivers u. Brasher 2011). Von der systemischen Therapie als eigenständigem Ansatz ist erst seit den frühen 1980er-Jahren die Rede, vor allem in den deutschsprachigen Ländern.1 Seitdem hat es eine lebhafte theoretische, methodische und institutionelle Entwicklung gegeben, die bis heute anhält und ein wissenschaftlich anerkanntes, grundständiges Behandlungsverfahren hervorgebracht hat, welches andere psychotherapeutische Ansätze sowohl ergänzt als auch überschreitet. Die systemische Therapie und Beratung wird von den aktuellen Erkenntnissen und Grundannahmen der gegenwärtigen Humanwissenschaften (u. a. Neurobiologie, Psychologie, Soziologie und Sozialphilosophie) gestützt, ihre charakteristische Besonderheit liegt in der konsequenten Einnahme einer interaktionellen Perspektive sowohl im Verstehen als auch in der Bearbeitung körperlicher, psychischer und sozialer Probleme, Störungen und Konflikte. Für das Menschenbild der systemischen Therapie und Beratung ist die soziale Natur des Menschen von grundlegender Bedeutung. Vom vorgeburtlichen Stadium bis zum Tod ist die lebenslange Entwicklung des Menschen nur im Kontext seiner Beziehung mit anderen Menschen verstehbar.
Seit den 1980er-Jahren hat nicht nur das systemische Wissen über die Dynamik psychischer und psychosozialer Systeme (Individuen, Paare, Familien, Gruppen, Organisationen etc.) enorm zugenommen, die Fülle von systemtherapeutischen Methoden, Vorgehensweisen und Techniken wird zunehmend auch von Vertretern anderer psychotherapeutischer Ansätze aufgegriffen und eingesetzt (nicht ohne dass gelegentlich ihre Herkunft verschwiegen wird). Umgekehrt haben auch Konzepte anderer Herkunft (etwa Bindungstheorie, Affektdynamik u. a.) im Laufe der Zeit Eingang in systemische Modelle gefunden. Die Zeit der »harten Abgrenzung« aus den frühen Jahren ist längst vorbei.
Professionalisierungsprozesse (etwa in der Medizin, Jurisprudenz, Psychotherapie oder Sozialarbeit) münden nach einer Anfangsphase vielfältigen und wenig reglementierten »Wildwuchses« regelmäßig in eine organisierte Form der Wissensweitergabe an die nachfolgenden Generationen von Professionellen, ohne die eine relative Einheit des Fachgebietes oder der Disziplin gar nicht vorstellbar ist. Dies ist aus der Sicht der Kunden professioneller Dienstleistungen ebenso plausibel wie aus der Sicht der Professionsangehörigen, die ihre Leistungen auf dem Markt anbieten und als solche identifizierbar machen müssen. Damit verbunden ist eine bestimmte Ordnung des verfügbaren Wissens und ihre Weitergabe im Rahmen von Aus- und Weiterbildungsgängen, Curricula, Prüfungssystemen usw. Diesem organisationalen »Schließungsprozess« auf der einen Seite steht die Notwendigkeit der inhaltlichen Öffnung bzw. Offenhaltung als Garant der schöpferischen Potenz eines Ansatzes gegenüber, die eine Gewähr dafür bietet, dass seine inhaltliche Substanz nicht erstarrt und abstirbt.
Während der systemische Ansatz sich in seinen frühen Jahren durch zum Teil radikale Experimente auszeichnete, lässt sich seit Ende der 1980er-Jahre eine deutliche institutionelle Konsolidierung verzeichnen – bei gleichzeitiger Vielfalt curricularer Orientierungen, je nach theoretischer und professioneller Herkunft der Anbieter entsprechender Weiterbildungsangebote. Schon 1987 wurde der »Dachverband für Familientherapie und systemisches Arbeiten« (DFS) als kleinerer Verband von Weiterbildungsinstituten ins Leben gerufen, der eine Vereinheitlichung und Zertifizierung von Weiterbildung in systemischer Therapie und Beratung zum Ziel hatte. 1993 gründete sich die Systemische Gesellschaft (SG), z. T. mit einer ähnlichen Zielsetzung, aber mit einem engeren systemtheoretischen Selbstverständnis. Aus einer Fusion der (ursprünglich als loses Sammelbecken von familientherapeutisch interessierten Personen konzipierten) Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie (DAF) und dem DFS entstand im Jahre 2000 die DGSF (Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie), der gegenwärtig größte systemische Fachverband. SG und DGSF haben heute weitgehend vergleichbare Weiterbildungsrichtlinien. Eine entsprechend zertifizierte Weiterbildung in systemischer Therapie und Beratung kann man mittlerweile bei über 100 Weiterbildungsinstituten in Deutschland absolvieren. In Österreich und der Schweiz gelten andere rechtliche Rahmenbedingungen, aber auch hier gehört die systemische Therapie zu den etablierten und professionalisierten Therapieansätzen.
Die »Ordnung des Wissens« des jeweiligen Fachgebietes zu vermitteln ist die primäre Aufgabe eines Lehrbuches. Es kann dazu beitragen, die professionelle Praxis zu legitimieren und zu orientieren. Viele Lehrbücher kommen deshalb mit einem Nimbus der Objektivität daher, mit dem ein Anspruch auf die Gültigkeit des präsentierten Wissens erhoben wird. Ein Wesensmerkmal der wissenschaftlichen Grundlegung des systemischen Ansatzes liegt jedoch darin, dass Wissen nicht als einheitlicher, widerspruchsfreier Kanon theoretischer und praxeologischer Konzepte, sondern als sich selbst ständig infrage stellende soziale und kommunikative Praxis verstanden wird, die sich in einer Vielzahl von unterschiedlichen Facetten, Bezugnahmen und Entwicklungsrichtungen entfaltet. Dieses Lehrbuch postuliert daher nicht, was gilt oder gelten soll, sondern hat den Anspruch, die Vielfalt systemischen Denkens zugänglich zu machen. Gleichzeitig bietet es einen konzeptuellen Rahmen an, der Perspektivendifferenzen zwar ermöglicht, aber nicht der Beliebigkeit anheimstellt.
Ausgangspunkt ist ein Verständnis systemischer Therapie und Beratung als transdisziplinärer und multiprofessioneller Ansatz, ein Verständnis, das sich bewusst von der berufsständischen Einengung des psychotherapeutischen Professionalisierungsprozesses auf den »Psychologischen Psychotherapeuten« absetzt. Das Lehrbuch richtet sich daher gleichermaßen an psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie Angehörige anderer Berufe, die in therapeutischen Kontexten tätig sind.
Die Orientierung an Kontexten ist der Leitfaden, der sich durch das gesamte Buch zieht. Ausgehend von den unterschiedlichen beruflichen und disziplinären Zugängen zur systemischen Praxis, werden die verschiedenen theoretischen Kontexte vorgestellt, aus denen sich die Philosophie des systemischen Ansatzes speist.
Die Grundlagen der therapeutischen und beraterischen Praxis (Problemverständnis, Haltung, Methoden und Techniken) werden nicht wie oft üblich entlang medizinisch-psychiatrischer Diagnosesysteme entwickelt, sondern anhand konkreter Behandlungssettings und institutioneller und organisationaler Strukturen, innerhalb deren systemische Therapeutinnen und Berater tätig sind, und konkreter klinischer Konstellationen, die für spezifische Arbeitskontexte typisch sind.
Eigenständige Kapitel sind den Themen »Interkulturelle Therapie und Beratung« und »Ethik, Lehre und Forschung« gewidmet.
Als Herausgeber war es unsere Idee, die Vielfalt von Unterschieden innerhalb des systemischen Ansatzes durch die Beteiligung eines breiten Spektrums von Autorinnen und Autoren widerzuspiegeln, die über jahrelange Erfahrungen als Therapeutinnen und Berater wie auch als Lehrende in unterschiedlichen Kontexten verfügen. Mit einer einzigen Ausnahme haben alle Kolleginnen und Kollegen, bei denen wir wegen eines Beitrags angefragt haben, unsere Einladung angenommen. Ihnen gilt unser herzlicher Dank. Herausgekommen ist dabei ein repräsentativer Querschnitt dessen, was derzeit im systemischen Feld praktiziert und gelehrt wird. Zu Beginn der Arbeit an diesem Buch fand im März 2010 ein vom Carl-Auer Verlag organisiertes Treffen der Herausgeber und des Verlages mit einigen Autorinnen in Heidelberg statt, auf dem das Konzept des Lehrbuches diskutiert und viele Ideen für die weitere Arbeit auf den Weg gebracht wurden. Auch für diese Unterstützung möchten wir an dieser Stelle allen Beteiligten unseren Dank aussprechen.2
Es wurde unter den Autoren eine lebhafte Diskussion darüber geführt, wie eine geschlechtssensitive Schreibweise umgesetzt werden könnte. Wie nicht anders zu erwarten, gab es eine Fülle von unterschiedlichen Vorschlägen, die sich nicht vereinheitlichen ließen. Als Herausgeber haben wir uns daher für eine Schreibweise entschieden, in der jeweils die männliche und weibliche Form in freiem Wechsel verwandt wird, wenn sich die Verwendung des Maskulinums oder Femininums nicht zwangsläufig aus dem Inhalt ergibt.
Tom Levold und Michael Wirsching
Köln und Freiburg, Frühjahr 2014
1 In den angelsächsischen Ländern hat sich bis heute stärker das Label »Familientherapie« erhalten.
2 Corina Ahlers, Uli Clement, Reinert Hanswille, Thomas Hegemann, Joachim Hinsch, Ralf Holtzmann, Rudolf Klein, Klaus Müller, Cornelia Oestereich, Hans Schindler, Beate Ch. Ulrich, Gunthard Weber.
Auch wenn die systemische Therapie und Beratung eine mittlerweile (seit Anfang der 1980er-Jahre) über 30-jährige Geschichte hat, deren Wurzeln weiter in die 1950er-Jahre zurückreichen, soll diese Geschichte hier nicht linear nacherzählt werden. Das Lehrbuch beginnt vielmehr mit der Einordnung systemischer Therapie und Beratung als transdisziplinäres und multiprofessionelles Projekt (Kap. 1.1). Damit wird ein Unterschied zu Therapieschulen vorgenommen, die die psychotherapeutische Praxis als rein psychologische oder ärztliche Tätigkeit verstehen und auf die entsprechenden medizinisch-psychologischen Kontexte beschränken, und es wird hier der Konflikt zwischen einer Kultur der Medikalisierung psychischer und sozialer Probleme, die für das institutionalisierte psychotherapeutische Versorgungssystem kennzeichnend ist, und einer aus systemischer Sicht angemesseneren psychosozialen Perspektive nachgezeichnet.
Systemische Therapie und Beratung wird von Angehörigen ganz unterschiedlicher Berufsgruppen in den verschiedensten Praxisfeldern ausgeübt. Kapitel 1.2 widmet sich einigen besonders wichtigen Disziplinen und beruflichen Zugängen, nämlich der Psychologie, der Medizin, der Sozialen Arbeit, den Sozialwissenschaften, der Pädagogik, der Theologie und Seelsorge und der Krankenpflege.
Die verbindenden epistemologischen und philosophischen Grundlagen werden in Kapitel 1.3 ausführlich behandelt. Es zeigt sich, dass der systemische Ansatz keine einheitliche, inhaltlich konsistente Arbeitsphilosophie darstellt, sondern eine Vielzahl von Konzepten und theoretischen Modellen umfasst, die untereinander mehr oder weniger anschlussfähig sind, aber gemeinsame Grundorientierungen und -haltungen aufweisen. Die Anordnung der einzelnen Beiträge in diesem Kapitel lässt sich also auch als eine Ideengeschichte des systemischen Ansatzes lesen.
Kapitel 1.4 beschäftigt sich mit grundlegenden Phänomenen, die die Dynamik in allen sozialen Systemen beeinflussen und mit denen Therapeutinnen und Berater zu tun haben. Das betrifft die Rolle von Affekten und Emotionen, von Geschlechtsunterschieden und Sexualität, den Stellenwert der mehrgenerationalen Loyalitätsdynamik, von Macht, Gewalt und Geheimnissen sowie die Bedeutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Ein ganz grundlegender Aspekt der Produktion und Organisation von Bedeutung, wie er in psychischen und sozialen Systemen im Allgemeinen, im therapeutischen Dialog im Besonderen auftritt, nämlich die Rolle von Metaphern, wird in Kapitel 1.5 besprochen.
Auf der Basis dieser praktischen und theoretischen Zugänge wird im Kapitel über Diagnostik (1.6) der besondere Stellenwert nachvollziehbar, den die Kritik an der Übertragung eines medizinischen Diagnostikmodells auf die Bearbeitung psychischer und sozialer Probleme in der systemischen Therapie und Beratung einnimmt, womit sich die Frage nach einer Alternative stellt. Auch hier findet sich allerdings eine große Bandbreite an unterschiedlichen Positionen, die sich nicht in eine spezifische Ausrichtung bringen lassen, sondern die unterschiedlichen Spielarten systemischen Denkens zum Ausdruck bringen. (Tom Levold)
Tom Levold
Ein Lehrbuch Systemische Therapie und Beratung ist heute nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor wenigen Jahren. Der Abstand zwischen den Begriffen der Therapie und der Beratung im systemischen Feld vergrößert sich aufgrund der fach- und berufspolitischen Entwicklungen. Das Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999, das den Berufsstand des »Psychologischen Psychotherapeuten« geschaffen (und damit die bereits in den Richtlinienverfahren vollzogene Ausschließung von Nichtpsychologen von einer psychotherapeutischen Ausbildung sanktioniert) hat, ist ein weiterer problematischer Schritt in Richtung einer berufsständischen Professionalisierung von Psychotherapie (s. u.), die dem systemischen Grundgedanken entgegenläuft. Zudem wurde mit der gesetzlichen Beschränkung auf sogenannte wissenschaftlich fundierte Therapieverfahren das breite Spektrum der Psychotherapie zunächst auf die Anwendung der im kassenfinanzierten Versorgungssystem etablierten Verfahren, nämlich Verhaltenstherapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, reduziert. Dies führte seitens der systemischen Verbände zu Bemühungen, die systemische Therapie berufsrechtlich und sozialrechtlich (als Richtlinienverfahren) anerkennen zu lassen. Mit der Anerkennung der systemischen Therapie als wissenschaftlich fundiertes Verfahren (Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie 2008) ist der erste Schritt bereits vollzogen. An approbationsrelevanten Ausbildungscurricula werden aber auch hier nur Psychologinnen und Psychologen teilnehmen können. Zukünftig sind daher Szenarien denkbar, in denen unterschiedliche Curricula in systemischer Therapie für Psychologen und Nichtpsychologen angeboten werden.
Parallel zu diesen Entwicklungen sind in den vergangenen Jahren erhebliche Aktivitäten seitens vieler Beratungsverbände festzustellen, die auf die Professionalisierung des unüberschaubaren Feldes der Beratung abzielen (Zwicker-Pelzer 2008a) und Beratung »aus dem Schatten des historisch therapeutisch-orientierten Umfeldes« herausführen sollen (Zwicker-Pelzer 2008b, S. 226).
Trotz dieser primär berufs- und fachpolitisch motivierten Entwicklung existieren gute Gründe dafür, systemische Therapie und Beratung weiterhin in engem Zusammenhang zu betrachten. Der systemische Ansatz hat sich von Beginn an als ein transdisziplinäres und multiprofessionelles Projekt verstanden, in dem die Unterscheidung zwischen Therapie und Beratung eher pragmatisch gehandhabt wurde. Der grundlegende epistemologische Ansatz, das Verständnis von Problemlagen und Symptomen, die therapeutisch-beraterische Haltung und das Methodenrepertoire werden von beiden geteilt und richten sich an einen breiten Adressatenkreis. Entscheidend ist, wie diese Aspekte in den jeweiligen klinischen und nichtklinischen Kontexten eingesetzt werden.
Der systemische Ansatz lässt sich aus keiner einzelnen akademischen Disziplin alleine ableiten. Die allgemeine (bzw. Allgemeine) Systemtheorie und die Kybernetik haben sich als Werk von disziplinenübergreifend interessierten Pionieren von Anfang an allen einzelwissenschaftlichen Zuordnungen entziehen können. Dies ist zugleich Stärke und Schwäche des systemischen Ansatzes.
Historisch hat sich die Disziplinenstruktur der Wissenschaften erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts um spezifische Gegenstandsbereiche entwickelt (Stichweh 1979). Stichweh definiert Disziplinen als Formen sozialer Institutionalisierung, die mit der Entwicklung hinreichend homogener Kommunikationszusammenhänge von Forschern einhergehen (»scientific community«), kodifiziertes, konsensuelles und lehrbares Wissen erzeugen, spezifische Forschungsmethoden und paradigmatische Problemlösungen einsetzen und spezifische Karrierestrukturen und Sozialisationsprozesse institutionalisieren, die den Nachwuchs selektieren und »indoktrinieren« (ebd., S. 83).
Dieser Differenzierungsprozess hat sich mit fortschreitendem Wissen bis heute fortgesetzt. Die einzelnen Disziplinen haben sich in eine unüberschaubare Zahl von Unterdisziplinen aufgegliedert, was es zunehmend schwer macht, komplexe Gegenstandsbereiche (Ökologie, Gesundheit, psychosoziale Zusammenhänge etc.) aus einer disziplinären Perspektive zu untersuchen. Darüber hinaus führt die Auffächerung in Disziplinen dazu, dass komplexere Problemstellungen u. U. gar nicht erkannt werden können, weil die jeweiligen Vorgehensweisen sich nicht vom Gegenstand, sondern von den Zuständigkeitsansprüchen und methodischen Repertoires der Einzelwissenschaften herleiten. Auch eine interdisziplinäre Arbeit kommt hier schnell an ihre Grenzen, weil sie zwar Schnittstellen zwischen den einzelnen Disziplinen herstellt, diese Disziplinen aber damit ihre grundsätzliche Herangehensweise nicht aufgeben.
Der Versuch, »über die oft unbefriedigende Praxis interdisziplinärer Kooperation hinaus zu einer integrativen Form transdisziplinärer Wissensproduktion zu gelangen« (Moldaschl 2009, S. 21), orientiert sich an übergreifenden Paradigmen, die für mehr als eine Disziplin relevant sind. Systemtheorie und Kybernetik haben solche Paradigmen entwickelt (Luhmann nennt beispielhaft »feedback«, »thermodynamisch offene Systeme« und »Information als Selektion«; Luhmann 1994, S. 459), die aufgrund ihrer Unabhängigkeit von den materialen Gegenständen der Biologie, Psychologie, Philosophie, Sozialwissenschaften, Kognitionswissenschaften, Kommunikationswissenschaften, Medizin usw. strukturell auf alle Phänomenbereiche dieser Disziplinen anwendbar sind. Zudem erlaubt ein transdisziplinärer Ansatz auch, die »Außengrenzen der Wissenschaft« zu überschreiten und ein Praxisfeld zu konstituieren, »das sowohl wissenschaftliche als auch ›wissenschaftssystemfremde‹, ›nicht-wissenschaftliche‹ Praktiken abdeckt« (Schaller 2004, S. 40). Damit waren enorme Komplexitätsgewinne möglich – für Gregory Bateson, einen Pionier der Kybernetik, »der größte Bissen aus der Frucht vom Baum der Erkenntnis, den die Menschheit in den letzten 2000 Jahren zu sich genommen hat« (2006, S. 612). Der Bezug auf Paradigmen gibt den transdisziplinären Fächern
»ihre Eigenart, ihre Unverwechselbarkeit und ihre Limitationalität. Offen bleibt dabei vorerst, was mit einem solchen Fach geschieht, wenn es zu einem Paradigmawechsel kommt« (Luhmann 1994, S. 459).
Insofern liegt eine gewisse Tragik in der Tatsache, dass Systemtheorie und Kybernetik in der gegenwärtigen akademischen Welt kaum eine Rolle spielen (von ihrer Rezeption in einigen Bereichen wie der Soziologie und Psychotherapie [!] abgesehen). Der Bedeutungsverlust ab Ende der 1960er-Jahre hing nicht nur von der veränderten politischen Großwetterlage ab (vgl. Hagner 2008), sondern auch davon, dass die Kybernetiker sich wenig um die institutionalisierte Sicherung und Weitergabe ihres Wissens und die Etablierung des Nachwuchses in universitären Strukturen kümmerten. Wie Pickering in seiner brillanten Studie über die englische Kybernetik feststellt (2010, S. 9), hing ihr Schicksal in hohem Maße von der Persönlichkeit ihrer Protagonisten ab: Mehr noch als ein transdisziplinäres war sie
»ein antidisziplinäres Feld: Sie aggregierte keine disziplinären Perspektiven, sondern trat vielmehr die Grenzen zwischen ihnen mit Füßen, was auch zu ihrem Glamour beitrug« (Übers. u. Hervorh.: T. L.).
Auch wenn systemische Konzepte hierzulande besonders in der Psychotherapie reüssieren konnten, ist ihre Vertretung an den einschlägigen Fakultäten weithin Ausnahme geblieben. Etwas anders sieht es beispielsweise in der Sozialen Arbeit aus, wo sich gerade auch an den Hochschulen in den letzten Jahren ein fruchtbarer systemischer Diskurs entwickeln konnte.
Unabhängig von der schwachen akademischen Etablierung hat sich das systemische Denken jedoch in der professionellen Praxis der verschiedensten Berufsgruppen verankert, was das eigene Selbstverständnis als multiprofessionelle Praxis unterstreicht.
Lehrbücher weisen auf einen gewissen Professionalisierungsgrad eines Fachgebietes hin. Einer Profession anzugehören oder eine Tätigkeit professionell zu verrichten gehört zu den Mindestansprüchen beruflicher Praxis im Bereich Therapie und Beratung und wird auch von denjenigen, die in diesen Bereichen Hilfen in Anspruch nehmen, erwartet. Neben dieser positiven Wertigkeit enthält der Begriff der Profession allerdings einige Unschärfen. Vor allem bezieht er sich nur bedingt auf die inhaltliche Güte von Tätigkeiten, sondern vielmehr auf den Grad der Organisiertheit von Wissen und Wissensträgern in der Gesellschaft.
Nicht jeder Beruf ist eine Profession. Professionen
»unterscheiden sich dadurch, dass sie die Berufsideen reflexiv handhaben, also das Wissen und das Ethos eines Berufs bewusst kultivieren, kodifizieren, vertexten und damit in die Form einer akademischen Lehrbarkeit überführen« (Stichweh 2006, S. 3).
Sie entstehen nicht durch Definition oder einen Gründungsakt, sondern in einem langwierigen Professionalisierungsprozess, der unterschiedliche Elemente aufweist: die Vereinigung derjenigen, die sich als Professionszugehörige verstehen; zunehmende Kontrolle in Bezug auf die Zulassung zu ihrem Tätigkeitsfeld über die Regelung von Approbationen, Zertifizierungen etc.; Durchsetzung von Vergütungsregelungen; Kontrolle von Aus- und Weiterbildung; Generierung und Monopolisierung von Wissensbeständen in Forschung und Lehre sowie ihre Veröffentlichung und Diskussion in Publikationen, auf Kongressen usw. (Abbott 1991). Damit einher geht die kontinuierliche Entwicklung und Differenzierung organisationaler Strukturen (das betrifft Berufsverbände, universitäre Fakultäten und andere Ausbildungsstätten, Kammern etc.).
Für Luhmann besteht das zentrale Merkmal von Professionen in der Arbeit an Personen,
»insbesondere von zu erziehenden, kranken, streitenden, trost- oder heilsbedürftigen« Personen bzw. solchen mit Verhaltensproblemen (Kurtz 2011, S. 35). Historisch schlossen die Professionen »das Wissen um die Beziehung des Menschen zu Gott ein (Theologie), weiterhin das Wissen des Menschen über sich selbst und seine physische Natur (Medizin) und schließlich das Wissen über die Beziehungen des Menschen zu anderen Menschen (Recht)« (Stichweh 2005, S. 1).
Privilegiertes Wissen, die starke ethische Bindung von Professionen (siehe den hippokratischen Eid, Dienstideale, die Gemeinwohlorientierung etc.) und die organisatorische Schließung gegenüber konkurrierenden Wissenssystemen führten dazu, dass wesentliche Bereiche des öffentlichen sozialen Lebens durch Professionen und Professionswissen reguliert wurden. Im 19. Jahrhundert wurde das Konzept der Profession auch auf neue akademische Berufe ausgedehnt (ebd., S. 2). Die Attraktivität dieser »alteuropäischen Professionssemantik« wirkt bis in die heutige Zeit hinein (man betrachte die entsprechenden Diskurse in der Sozialarbeit, den Pflegewissenschaften und der Supervision), obwohl das Prinzip der Professionalisierung schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts »eigentlich hätte als überholt erscheinen können« (ebd., S. 3). Dabei gelingt es nicht allen Berufsgruppen, alle genannten Merkmale von Professionen auch für sich zu erreichen. Insofern ist Professionalisierung auch ein relativer Begriff, Kühl spricht hier auch von Semiprofessionen (2006). Dabei wirft er die interessante Frage auf, ob wirklich alle Praxisfelder gut beraten sind, eine vollumfängliche Professionalisierung anzustreben, da sie immer auch mit einem Verlust an Freiheitsgraden einhergehe.
In den 40er- und 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts erreichte die Professionstheorie einen vorläufigen Höhepunkt mit der Arbeit des Soziologen Talcott Parsons, für den die Professionen eine zentrale Rolle bei der normativen Integration der Gesellschaft einnehmen, interessanterweise zu einem Zeitpunkt, als ihre gesellschaftliche Dominanz schon allmählich ins Wanken geriet. Gleichwohl trug seine Theorie im Sinne eines Reentrys zur Wiedererstarkung ihrer Bedeutung bei (vgl. Stichweh 2006). Einen wesentlich kritischeren Blick hat in den 1970er-Jahren Eliot Freidson mit seiner Konflikttheorie der Professionen, der zufolge es primär um strategische Konkurrenzkämpfe zur Sicherung von Einkommen, Status und Macht auf dem Arbeitsmarkt gehe (Freidson 2004; Brint 1993), eine Analyse, die gerade im Hinblick auf die Auseinandersetzungen um das Psychotherapeutengesetz hierzulande nicht von der Hand zu weisen ist.
Während für lange Zeit Entscheidungen und inhaltliche Strukturierung in vielen Arbeitsprozessen an die Figur des »Professionellen« als Inbegriff fachlicher Autorität gebunden war, löst sich dieser Zusammenhang allmählich zugunsten komplexer organisatorischer Bedingungszusammenhänge auf. Im Zuge der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Funktionssysteme verlieren nämlich hochgradig professionsgebundene Handlungsprogramme allmählich ihre Dominanz. Immer weniger Fachentscheidungen werden von einzelnen Professionellen nach eigener Maßgabe getroffen und verantwortet. Die Eigendynamik von Organisationen als Bezugsrahmen professioneller Praxis gewinnt immer mehr an Gewicht, auch wenn die berufliche Praxis in Organisationen immer noch von Abgrenzungskämpfen zwischen den in ihr tätigen Professionen geprägt ist.
Sieht man in der fachlichen Entscheidungsautonomie einen zentralen Aspekt professioneller Kompetenz, lässt sich beispielsweise seit Ende des 20. Jahrhunderts bei Ärzten ein schleichender, aber offenkundiger Deprofessionalisierungsprozess beobachten: Gleichzeitig mit einer enormen Vergrößerung der Wissensbasis findet eine zunehmende Verlagerung der Entscheidungskompetenz hin zu Kostenträgern (Krankenkassen und Rentenversicherungen) einerseits, zu den Patienten andererseits statt, die Mitte des Jahrhunderts noch unvorstellbar gewesen wäre (vgl. Vogd 2002). Auch die klassischen Zuständigkeitsgefechte der Berufsgruppen lassen sich in dem Maße weniger rechtfertigen, als organisationsbasiertes professionelles Handeln die kooperative Koordination an den Schnittstellen beruflicher Tätigkeiten zunehmend erforderlich macht.
Der systemische Ansatz als multiprofessionelles Projekt geht also über die Kommunikation zwischen einzelnen ständisch organisierten Berufsgruppen hinaus. Dieses Lehrbuch orientiert sich an einem Konzept professionellen Handelns als wissensbasierter, ethisch begründeter und verantworteter bzw. fachlich kontrollierter Praxis in unterschiedlichen Kontexten, die jedoch nicht mehr auf den Überlegenheits- oder Expertenstatus und die »Exklusivität professioneller Sonderwissensbestände« (Pfadenhauer 2003, S. 208) der klassischen Professionen zurückgreifen kann. Der Einsatz von und der Umgang mit Wissen bezieht sich daher immer auf die Handhabung von Ungewissheit, die für die Lösung praktischer professioneller Probleme konstitutiv ist.
Der amerikanische Wissenschaftssoziologe Donald Schön hat »reflection-in-action« als das Charakteristikum professioneller Praxis bezeichnet (Schön 1983). Situationen, denen sich Professionelle ausgesetzt sehen, sind (1) komplex, d. h. vieldeutig; (2) unsicher, da für jede Situation unterschiedliche Problemdefinitionen und Lösungsoptionen möglich sind; (3) instabil, da sie schnell wechseln und schnelle Neuorientierung hinsichtlich des eigenen Handelns erfordern; (4) einzigartig, da jede Situation eine spezifische historische, personale, zeitliche und materiale Konstellation darstellt, und (5) angewiesen auf Werteentscheidungen, durch die Kompatibilität mit eigenen Normen und Vorannahmen und denen der Umwelt hergestellt werden kann (vgl. Buchholz 1999, S. 194 f.). Professionelles Handeln ist keine Anwendung wissenschaftlichen Wissens auf die Praxis. Insofern ist »Psychotherapie ebenso wie Medizin keine Wissenschaft, sondern eine Profession, in deren Umwelt Wissenschaft vorkommt« (Reiter u. Steiner 1996, S. 159). Die Nichtberücksichtigung dieser Einsicht in der modernen Therapieforschung, die überwiegend einem objektivistischen, kausalen und reduktionistischen Paradigma folgt, dürfte mit dafür verantwortlich sein, dass sie von den Praktikern nicht rezipiert wird (Padberg 2012). Im Unterschied zur Medizin liegt die Aufgabe von Psychotherapie in der Bearbeitung eher vager Gegenstände (vgl. Fuchs 2011), nämlich komplexer Sinnfragen. Deren Vagheit ist eben gerade kein zu behebendes Defizit, sondern für die professionelle therapeutische Praxis konstitutiv.
Will man wissen, was »jeweils der Fall ist und was dahintersteckt« (N. Luhmann), sind freilich spezifische Fähigkeiten erforderlich, die in langwierigen (Aus-)Bildungs- und Selbstreflexionsprozessen erworben werden. Explizites, in Lehrbüchern vermittelbares Wissen stellt dabei nur einen kleinen Teil dar. Erforderlich sind ausreichendes Wissen über Theoriekonzepte und -modelle unterschiedlicher Reichweite sowie ein spezifisches Kontextwissen im Sinne von Feldkompetenz, das in der Lage ist, typische Problemkonstellationen in zwischenmenschlichen und institutionellen Zusammenhängen zu erkennen. Darüber hinaus braucht es auf der Performanzebene ein hinreichendes Steuerungswissen, z. B. Kenntnisse des dynamischen Potenzials unterschiedlicher Settings in Beratungsprozessen, Fähigkeiten zur Herstellung eines optimalen Arbeitsabstandes (also einer optimalen Balance von Nähe und Distanz), Verständnis für Prozesse, ausreichend Geduld dafür, (vermeintlich) schnellen Lösungsideen zu widerstehen, Fähigkeiten zum Affekt-Containment (d. h. die Souveränität, nicht jede schwierige Affektlage gleich selbst auflösen zu wollen), Fähigkeiten, die eigene Autonomie in einem dynamischen, komplexen Prozess bewahren zu können, Kenntnisse der systemischen Gesprächsführung, Strukturierungsfähigkeit etc. Personales Wissen über die eigene Motivation zur therapeutischen Arbeit, Muster der Reaktion auf unterschiedliche kommunikative Angebote, Klarheit über die eigene persönliche Standortbestimmung, die Fähigkeit, sich abzugrenzen und Nein zu sagen, usw. gehören zu den selbstreflexiven Kompetenzen, die durch Selbsterfahrung erworben und im Kontext von Supervision und Intervision gepflegt und erweitert werden können.
Dieses Verständnis von Professionalismus, zu dem dieses Buch einen Beitrag leisten soll, kontrastiert mit Versuchen, Psychotherapie analog zu dem – auf seinem Gebiet in vielerlei Hinsicht erfolgreichen – medizinischen Paradigma der Behandlung von Krankheiten zu strukturieren. Auf die Problematik einer Medikalisierung von Sinnfragen soll daher nachfolgend ausführlicher eingegangen werden.
Jürgen Kriz
Unter Medikalisierung wird die möglichst weitgehende Erklärung für Normabweichungen im psychischen und interpersonellen Bereich durch biosomatische Vorgänge verstanden. Es geht also um die Reduktion der hochkomplexen Wechselwirkungen zwischen somatischen, psychischen, interpersonellen und kulturellen Prozessen auf das Paradigma einer rein somatisch verstandenen Schulmedizin. Diese Sichtweise dient wiederum als Begründung dafür, daraus entsprechende medizinische Interventionen (Medikamente, Operationen) abzuleiten – oder zumindest medizinanaloge Behandlungen dieser »Krankheiten« zu fordern (d. h. störungsspezifische Interventionen, deren Effizienz nach dem Modell evidenzbasierter Medizin [EbM] »bewiesen« wurde).
Keineswegs das historisch erste, aber dennoch ein besonders bemerkenswertes Beispiel für Medikalisierung ist die Diagnose »Drapetomanie«. Mit dieser »Geisteskrankheit« wurden 1851 von S. A. Cartwright auf dem Jahrestreffen der Louisiana Medical Association die häufigen Versuche einiger schwarzer Sklaven, von den Baumwollfeldern zu fliehen, begründet (vgl. Gould 2007). An diesem Beispiel lässt sich nämlich die Problematik der Medikalisierung entfalten: Es geht bei der »Drapetomanie« ja nicht um einen historischen Missgriff in der Ursachenzuschreibung, der aus heutiger Sicht – nach Überwindung der (formalen) Sklaverei – bestenfalls ein überlegenes Schmunzeln hervorrufen sollte. Vielmehr wäre es interessant zu überlegen, ob nicht gerade in heutiger Zeit die Drapetomanie in die Diagnosesysteme DSM oder ICD aufgenommen werden müsste, wenn es denn noch Sklaven gäbe. Und ob nicht vor allem die modernen bildgebenden Verfahren und die Fortschritte der Neurobiologie die Berechtigung für eine störungsspezifische Therapie der Drapetomanie, entsprechende RCT-Studien und einen florierenden Pharmamarkt für Medikamente gegen diese Krankheit liefern würden.
Man muss sich nur einen Sklaven vorstellen, der länger geplant hat, unter Lebensgefahr von seiner Plantage zu fliehen, und dessen Flucht unmittelbar bevorsteht: Er wird körperliche Symptome zeigen – z. B. Zittern, Schweißausbruch etc. – und sich vermutlich kognitiv mit anderen Dingen beschäftigen als jene Sklaven, die nicht unter Drapetomanie leiden, was derzeit oder bei weiterem Fortschritt der bildgebenden Verfahren auch objektiv nachgewiesen werden könnte. Kurz: Wir dürfen wohl sicher sein, dass die Drapetomanie aufgrund der Fortschritte in störungsspezifischer Diagnostik und Therapie, in neurobiologischer Forschung etc. heute noch weit besser und wissenschaftlich objektiver nachgewiesen werden könnte als 1851. Man darf ebenso sicher sein, dass für einen solchen Markt dann auch Pharmaka entwickelt werden würden, welche ebenso objektiv nachweislich die Drapetomanie bei den Betroffenen verringern könnten. In der Presse könnte man dann womöglich lesen, die Ursache für Drapetomanie sei im Gehirn und/oder als Mangel an XYZ nachgewiesen (wobei dann für XYZ der von den Pharmakonzernen bereitgestellte, in RCT-Studien als wirksam nachgewiesene Stoff einzusetzen ist).
Dieses extensiv entfaltete Beispiel macht deutlich, dass das Problem der Medikalisierung auf vielen miteinander verwobenen Ebenen anzusiedeln ist. »Somatische versus psychosoziale Ursachen?« wäre in jedem Fall eine zu reduktionistische Fragestellung. Denn natürlich haben alle psychischen, interpersonellen und kulturellen Vorgänge auch irgendwelche somatischen Korrelate. Bei entsprechendem Interesse an bestimmten Kategorien in den Verhaltens-, Denk-, Empfindungs- oder auch Wahrnehmungsprozessen wird man zwischen diesen Kategorien und entsprechenden somatischen Korrelaten auch differenzialdiagnostische und störungsspezifische Zusammenhänge erforschen und mit den üblichen Designs »nachweisen« können. Ein moderneres Beispiel dafür ist die »Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)«, die nachgewiesenermaßen mit Methylphenidat (Medikamentennamen: Ritalin®, Concerta®, Medikinet®, Equasym®) behandelt werden kann. Doch wenn die Verschreibung von Methylphenidat laut Barmer-GEK-Arzneimittelreport in den 15 Jahren zwischen 1993 und 2007 um mehr als das 100-Fache gestiegen ist (vgl. Gebhardt et al. 2008) – bzw. in sogenannten Tagesdosierungen von rund 400 000 im Jahr 1991 auf 52,3 Mio. im Jahr 2008 (Hulpke-Wette u. Paul 2010) –, stellt sich schon die Frage nach den Ursachen dieser plötzlichen »Epidemie«. Dabei gibt es heute für ADHS wie schon 1851 für Drapetomanie noch nicht einmal biosomatisch abgesicherte Indikatoren, vielmehr wird mit Fragebogen-Items diagnostiziert, die der subjektiven Beurteilung von Eltern oder Lehrern unterliegen. Gleichwohl wirken auch hier in unterschiedlichem Ausmaß somatische und psychosoziale Prozesse zusammen. Für Psychotherapeuten ist die Interventionsebene aber eben die der psychosozialen Prozesse, welche die Gesamtdynamiken stabilisieren und so gegebenenfalls wichtige Entwicklungsschritte behindern können. Diese Aspekte sind gerade von der systemischen Therapie theoretisch aufgearbeitet worden, wobei gleichzeitig ein großes Spektrum praxisbezogener Vorgehensweisen zur Veränderung solcher destruktiven Überstabilitäten entwickelt wurde.
Drapetomanie und ADHS sind nur Beispiele für den Trend, eine enge medizinische Sichtweise an viele menschliche und zwischenmenschliche Probleme heranzutragen, bei denen unübersehbar das materielle, soziale und kulturelle Umfeld einen wesentlichen Einfluss haben. Dies ist für die systemische Therapie und Beratung besonders bedeutsam, weil gerade dieser Ansatz die Ausdifferenzierung und Stabilisierung von Symptomen im Kontext der je spezifischen Umwelten in den Fokus der praktischen Arbeit und ihrer theoretischen Aufarbeitung gestellt hat. Daher kam im Zuge des von den systemischen Verbänden gefassten Entschlusses, den langen Weg der berufsrechtlichen und sozialrechtlichen »Anerkennung« der systemischen Therapie zu gehen, zu Recht auch die Frage nach den Gefahren und Nachteilen dieses Schrittes auf. Denn es war und ist klar, dass der für eine kassenrelevante Zulassung zuständige »Gemeinsame Bundesausschuss« (G-BA) bisher nicht gewillt ist, die großen Unterschiede zwischen chirurgischen Eingriffen, der Behandlung mit Medikamenten und Psychotherapie zu berücksichtigen, sondern alles nach einem einzigen – und zudem sehr reduzierten – Modell von evidenzbasierter Medizin beurteilt.
Nicht viel anders ist der für die berufsrechtliche Anerkennung gutachtende »Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie« (WBP) ausgerichtet. Der vom Gesetzgeber geforderte Nachweis für zuzulassende Verfahren, dass es sich um »wissenschaftlich anerkannte Verfahren« handeln müsse, wurde gleich nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes vom WBP dahin gehend ausgelegt, dass es ausschließlich um nachgewiesene Wirksamkeit im Rahmen eines klassisch linearen Input-Output-Wirkmodells unter experimentellen Bedingungen geht (im Wesentlichen um randomisierte, kontrollierte Studien). Während aber zumindest noch in der ersten Amtsperiode (2000–2004) die Wirksamkeitsstudien als exemplarisch angesehen wurden, d. h. bei hinreichend großer Bandbreite der Anwendungsbereiche als Belege für die Wirksamkeit eines Verfahrens gewertet wurden, verschärfte und verengte der WBP in seiner zweiten Amtsperiode (2005–2009) die Medikalisierung der Psychotherapie insofern, als nun für jeden Störungsbereich jeweils spezifische Wirksamkeitsbeweise vorgelegt werden müssen (wobei zumindest noch beibehalten wurde, dass ein Verfahren auch dann anerkannt werden kann, wenn ein bestimmtes Mindestmaß an Bereichen abgedeckt ist).
Bei einem solchen Vorgehen wird zwangsläufig unterstellt, dass die eigentlich auf Symptomklassifizierung ausgelegten Diagnosesysteme psychisch-interpersoneller Beschwerden so etwas bedeuten wie reine Bakterienstämme in der Medizin (Kriz 2010a): Ein Bakterium b kann dabei forschungslogisch als Repräsentant eines allgemeinen Bakterienstammes B mit denselben Eigenschaften für alle Mitglieder angesehen werden; und diese können daher auch mit dem Antibiotikum A – das an ganz anderen individuellen Mitgliedern von B irgendwo auf der Erde in einem Labor erprobt wurde – bekämpft werden. Wenn dazu noch ein zusätzliches relevantes Bakterium C mit anderen symptomatischen Wirkungen kommt, so würde man sinnvoll von »Komorbidität« sprechen und das gegen C entwickelte Antibiotikum ebenfalls verabreichen. Ein als »Depression« klassifiziertes Beschwerdebild eines Menschen kann aber schwerlich als Repräsentant einer Klasse D angesehen werden. Und eine weitere Diagnosekategorie – z. B. Belastungsstörung – macht aus diesem Menschen keinen komorbiden Patienten mit zwei Krankheiten. Vielmehr lässt sich sein – individuelles – komplexes Beschwerdebild nur mit zwei (oder gar mehr) Kategorien beschreiben bzw. erfassen. Das ist etwas grundlegend anderes. Weder gegen D noch gegen die »komorbide« Mischung lässt sich ein Wirkmittel in Form von Psychotherapie verabreichen, das wie Pharmarezepturen irgendwo in der Welt im Labor entwickelt wurde – und bei dem es egal ist, unter welchen sozialen oder kulturellen Kontexten man es erprobt hat.
Die stillschweigende Gleichsetzung beider Vorgänge, nur damit eine bestimmte im Medizinsektor (für einfache Krankheiten) hinreichend erfolgreiche Methodik einem völlig andersgearteten Ausschnitt von Wirklichkeit übergestülpt werden kann, sollte eigentlich für alle methodisch hinreichend Gebildeten überaus fragwürdig erscheinen. Dass dies dennoch so bedenkenlos vom großen Mainstream getragen wird, zeugt von der großen Faszination des medizinischen Modells. Denn es ist wohl nicht allein das Motiv berufspolitischer Konkurrenz, welches den G-BA und den WBP beflügelt. Allzu viele Therapeuten haben sich gut mit der Selbstdefinition arrangiert, dass sie objektiv diagnostizierbare Krankheiten bzw. Störungen mit ebenso objektiv definierbaren Methoden behandeln, die sie, wie in der Schulmedizin, in bestimmten Dosen, mit bestimmter Frequenz und entsprechend einer evidenzbasierten Standardprozedur verabreichen können. Zudem unterstützt die üblicherweise mangelhafte wissenschaftstheoretische Reflexion sowohl im Psychologie- wie im Medizinstudium einen fast mystisch-magischen Glauben in die scheinbare Objektivität von quantitativen Daten und ihrer computertechnischen Verarbeitung – nahezu egal, wie diese Daten zustande gekommen sind. Die Fiktion einer Weltbeschreibung, in welcher der Beschreibende scheinbar nicht vorkommt, sondern nur »Fakten« einsammelt, ist leider gerade unter Klinikern verbreitet – auch wenn dieses Weltbild in den Naturwissenschaften bereits seit rund einem Jahrhundert als überwunden gilt. All dies nährt die Medikalisierung psychosozialer Prozesse und Zusammenhänge.
Für die systemische Therapie folgt daraus allerdings, dass sie sich notwendig im Bereich ambulanter Psychotherapie in der BRD den Erfordernissen eines Systems anpassen muss, dessen Machtstrukturen auch der Psychotherapie einseitige, medikalisierte Vorstellungen von Wirksamkeit und ihrer Nachweismethodiken sowie ein entsprechendes Menschen- und Weltbild oktroyieren. Andernfalls riskiert die systemische Therapie, weiter ausgegrenzt und marginalisiert zu werden. Gleichzeitig ist es wichtig, diese Zwangsverordnung eines homogenen Glaubenssystems – das zudem gemäß der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften auch noch größtenteils inadäquat und antiquiert ist – immer wieder in allen Kontexten nach Möglichkeit zu kritisieren. Zudem gilt es zu bedenken, dass der Bereich »Psychotherapie« im formalen Sinn, der so rigide auch nur in Deutschland geregelt wird, einen vergleichsweise kleinen Bereich im großen Spektrum systemischer Anwendungsfelder ausmacht. Dies könnte zu einer hinreichenden Gelassenheit beitragen.
Für den Umgang mit den Menschen, die in der gegenwärtigen Kultur der Medikalisierung leben und um professionelle Hilfe von Systemikern bitten, ist die Beachtung der unterschiedlichen Erwartungsstrukturen wichtig. Denn gerade auch der Volksglauben hat medikalisierte Vorstellungen und Reparaturmodelle für psychosoziale Prozesse in hohem Ausmaß übernommen. Da systemische Therapie aber ohnedies zentral mit der Dekonstruktion pathogener, einengender und destruktiver »Wahrheiten« arbeitet, sollte dies kein besonderes Hindernis für konstruktives Arbeiten sein.
Jürgen Kriz
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland die meisten niedergelassenen Psychotherapeuten und ein großer Teil professioneller Berater ein Psychologiestudium absolviert haben, ist der Einfluss von Psychologie und akademisch ausgebildeten Psychologen auf die systemische Therapie und Beratung recht gering. Das gilt, soweit Ausbildungsgänge und Berufsstrukturen überhaupt vergleichbar sind, auch für andere Länder. Psychologie ist somit kein besonders guter Zugang zur systemtherapeutischen Praxis – nicht einmal ein durchschnittlich guter.
Für diese Unterrepräsentation von Psychologie im Bereich systemischer Profession gibt es zwei zentrale Gründe: Zum einen ist der Mainstream akademischer Psychologie vor allem mit solchen Befunden verbunden, welche dem klassischen experimentellen Paradigma entsprechen – wozu insbesondere die klare Differenzierung in unabhängige und abhängige Variablen, die Nichtbeachtung oder Ausschaltung von Rückkopplungseffekten und nichtlinearen Verläufen sowie die Anpassung an Designs nach dem »allgemeinen linearen Modell« (u. a. Varianzanalyse, Faktorenanalyse, Pfadanalysen etc.) gehören. Phänomene von Selbstorganisation, qualitative Sprünge und Nichtlinearitäten oder die Beachtung von Effekten in rückgekoppelten Netzwerken spielen somit praktisch keine Rolle. Gleichzeitig ist der Druck auf akademische Karrieren in der Psychologie aber groß, möglichst experimentell zu arbeiten, sodass auch theoretische und praxeologische Arbeiten in der Psychologie eher marginalisiert sind, während solche Werke in anderen Disziplinen, z. B. in den Sozialwissenschaften oder in der Pädagogik, dazu beitragen, dass systemisches Denken in die Diskurse einbezogen und verbreitet wird.
Der zweite, damit verknüpfte Grund ist, dass auch die psychotherapeutischen Arbeitsfelder – zumindest unter den gesundheitsadministrativen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland – vom behavioralen Mainstream beherrscht werden. Und dies sogar mit steigender Tendenz: Fast alle deutschen Lehrstühle in Klinischer Psychologie und Psychotherapie an den Universitäten sind mit Vertretern des verhaltenstherapeutischen Paradigmas besetzt; Studierende erfahren kaum noch, dass es überhaupt andere Ansätze, Zugänge und Paradigmen gibt. Zunehmend werden daher nur noch behaviorale Ausbildungsgänge zum Psychotherapeuten nachgefragt. Durch eine extrem aufwendige Prozedur für die Zulassung weiterer Verfahren, verbunden mit einer Doppelhürde aus »Wissenschaftlichem Beirat Psychotherapie (WBP)« und »Gemeinsamem Bundesausschuss (G-BA)«, ist es den Vertretern der beiden Richtlinienverfahren gelungen, auch zwölf Jahre nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes kein einziges weiteres Verfahren zuzulassen – und daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern. Denn nachdem der WBP rund ein Jahrzehnt gebraucht hat, um die systemische Therapie berufsrechtlich anzuerkennen, sind schon wieder mehrere Jahre ins Land gegangen, ohne dass der G-BA überhaupt das notwendige Prüfverfahren für die sozialrechtliche Anerkennung auch nur in Gang gesetzt hätte. Es kann also niemand auf der Basis der inzwischen in ihrer Wirksamkeit selbst in Deutschland formal vom WBP anerkannten systemischen Therapie auch niedergelassener Therapeut werden. Erste Aufweichungstendenzen sind zwar beobachtbar, indem über Weiterbildungsgänge zusammen mit einer Approbation in einem der Richtlinienverfahren auch ein Zusatztitel in systemischer Therapie erworben werden kann, aber dies sind erste Modellversuche mit erheblichen zusätzlichen Kosten der ohnedies sehr teuren Ausbildung zum Psychotherapeuten. Quantitativ fällt dies (noch) nicht ins Gewicht.
Konzepte systemischen Arbeitens und auch systemischer Psychotherapie sind daher deutlich mehr im Bereich der Beratung zu finden – der bisher dem Zugriff von WBP und G-BA entzogen blieb und daher nicht unter ihren desaströsen Ausgrenzungsstrategien leiden muss. Hier gibt es in der Tat viele Ausbildungsgänge zum Berater, aber z. B. auch zum klinischen Sozialarbeiter und zu anderen Berufsbildern, in denen Konzepte systemischer Therapie in reiner Form oder (vor allem) in mit anderen Konzepten gemischter bzw. integrierter Form vermittelt werden. Offiziell ist zwar sehr klar geregelt, was in Deutschland »Psychotherapie« heißen darf. Aber faktisch wird eben auch in Beratungsstellen sowie auf dem privaten Sektor vieles angeboten, was sich mit Psychotherapie überlappt (aber aus juristischen Gründen anders genannt werden muss). Allerdings sind hier eben auch die Zugänge nicht vorwiegend auf Psychologen beschränkt, sodass Menschen mit einem breiten Spektrum an anderen akademischen Ausbildungen oder anderen Grundberufen solche Ausbildungen durchlaufen. Daher ist auch hier der Anteil von Psychologen klein.
Größer ist der Anteil von Psychologen in systemischen Aus-, Fort- und Weiterbildungen in einem anderen Bereich, nämlich dem Coaching. Auch hier gibt es in Sonderfällen und bei Einzel-Coaching Überlappungen mit psychotherapeutischer Tätigkeit. Aber ganz überwiegend liegen beim Coaching der Problemfokus und der Arbeitsschwerpunkt doch deutlich anders als in der Psychotherapie oder der Beratung – weshalb Coaching für unsere Fragestellung nach dem Stellenwert der Psychologie für »systemische Therapie und Beratung« hier nicht weiter betrachtet werden soll.
Die (noch) sehr geringe Offenheit der Psychologie für systemische Konzepte und ihre praktische Umsetzung in Psychotherapie und Beratung sowie auch für die psychologische Grundlagenforschung ist umso bemerkenswerter, als mit der Gestaltpsychologie der Berliner und Frankfurter Schule – Max Wertheimer, Kurt Koffka, Wolfgang Köhler, Kurt Lewin, Kurt Goldstein – zwischen 1910 und 1935 eine international beachtete Richtung der Psychologie grundlegende Ansätze entwickelte, die auch in der heutigen Systemtheorie bedeutsam sind. So entwarf Goldstein auf der Basis umfangreicher Untersuchungen an hirnverletzten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg sein zentrales Konzept der »Selbstaktualisierung« (Goldstein 1934). Damit ist die Realisierung und Entfaltung inhärenter Potenziale gemeint, wobei aber diese inneren Möglichkeiten stets mit den äußeren Gegebenheiten dynamisch zu einer ganzheitlichen Gestalt abgestimmt werden. Veränderung dieser dynamischen Ordnung wird von ihm als eine Reorganisation einer alten Struktur (»pattern«) zu einer neuen und effektiveren Struktur beschrieben. Dies entspricht weitgehend den Konzepten, die heute in der interdisziplinären Systemtheorie (vgl. »Synergetik«, Abschn. 1.3.11) und der entsprechenden systemischen Therapie (vgl. »Personzentrierte Systemtheorie«, Abschn. 1.3.12) mit Selbstorganisation, Attraktoren und Ordnungs-Ordnungs-Übergängen (bzw. Phasenübergängen) thematisiert werden und aktuell sind.
Doch auch die Gestaltpsychologie ist in Deutschland marginalisiert: Im »Dritten Reich« mussten die meisten Wissenschaftler emigrieren, da sie Juden waren und zudem ihre Betonung von ganzheitlicher, autonomer Organisation, sich selbst herausbildenden Ordnungen und freiheitlich-schöpferischer Kreativität konträr zur Nazi-Ideologie mit ihren autoritär-diktatorischen Strukturen, der Fremdbestimmung und der einfachen Ursache-Wirkungs-Effekte stand. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren dann zwar Deutschland und (wenige) Nazi-»Führer« besiegt, nicht aber (so schnell) diese Ideologie. Es ist daher nachvollziehbar, dass eine größere Kontinuität im Behaviorismus gefunden wurde – und man sich dabei sogar mit den »Siegern« identifizieren konnte –, anstatt sich auf »unvölkische« Konzepte der Gestalttheorie zurückzubesinnen. Zumindest mag dies den rasanten Aufstieg behavioraler Konzepte und die weitgehende Ignoranz gegenüber gestaltpsychologischen und systemischen Ansätzen mit erklären.
Wegen der oben erwähnten starken Orientierung der Psychologie am experimentellen Paradigma gilt diese Abstinenz der Psychologie bezüglich der Teilnahme an systemischen Diskursen auch für einen anderen Strang der Systemtheorie, die mit dem Konzept der »Autopoiese« wesentlich auf den Soziologen Luhmann zurückgeht (vgl. Abschn. 1.3.5 und 1.3.6). Indem sich die Psychologie in ihrem Mainstream nämlich deutlich von der Sozialwissenschaft distanziert und gerne als »Naturwissenschaft« gelten möchte (ohne deren Entwicklung in den letzten Jahrzehnten wirklich zu beachten), spielt auch dieser Autopoiese-Ansatz viel mehr in Sozialwissenschaft, Pädagogik und Sozialpädagogik sowie anderen Kultur- und Gesellschaftswissenschaften eine Rolle. Für die Psychologie bleibt hingegen auch dieser Ansatz weitgehend irrelevant.
Felix Tretter
Seit den 1970er-Jahren steht die medizinische Forschung stark unter dem Einfluss des »biopsychosozialen Modells«, eines mehrdimensionalen integrativen Rahmenkonzepts (Engel 1977). Es erklärt das Zusammenwirken biologischer, psychischer und sozialer Faktoren in Gesundheit und Krankheit. Die Kausalanalyse erfolgt systemisch, d. h. mit Blick auf mehrere Organisationsebenen des Menschen: Moleküle, Zellen, Organe, Organismen, Familie, Gesellschaft etc. (Egger 2005). Dieses Modell dient als Leitkonzept zur Gestaltung psychosozialer Hilfen. Allerdings dominiert seit den 1990er-Jahren die biologische Perspektive, bedingt durch die Entwicklung neuer molekularbiologischer Methoden. Heute sind materialistische Konzepte verbreitet, die sowohl das »Psychische« wie auch das »Soziale« neurobiologisch erklären wollen. Dies mündet im Bild des hirnzentrierten »Homo neurobiologicus«. Als Gegenmodell wird im Folgenden die systemische Medizin bzw. Psychosomatik dargestellt (vgl. Tretter 1989; Ahn et al. 2006a, b).
Die molekulare Medizin geht davon aus, dass Gene und/oder Proteine als »Generatoren« von Krankheit identifiziert und entsprechende molekulare Interventionen, vor allem durch Pharmaka, entwickelt werden können (Ganten u. Ruckpaul 2008). Insbesondere Rezeptoren und Transporter für Glukose (Diabetes), Cortisol (Depression) etc. sind im Fokus. Es ist in dieser Hinsicht von »personalisierter Medizin« die Rede, die das individuelle Genom als Basis von Gesundheit und Krankheit sieht (Collins 2010). Die Idee, dass bestimmte Gene alleine die organismischen Phänomene dirigieren, wäre allerdings zu einseitig. Die heute sehr populäre »Epigenetik« betont, dass die Gene unter der Kontrolle von Transkriptionsfaktoren stehen, die ihre direkten Aktivierungen und Deaktivierungen bewirken. Dadurch wird unter anderem die funktionelle Identität und Spezialfunktion in der Entwicklung einer Zelle festgelegt. Dieses Aktivierungsmuster wird von Umwelteinflüssen moduliert und kann bei Zellteilungen »vererbt« werden (Spork 2010; Michels 2011).
Dieses Verständnis intrazellulärer Regelkreise wird ergänzt durch die Erkenntnis, dass molekulare Kaskaden der Signaltransduktion vom Rezeptor bis zu phosphorylierenden und desphosphorylierenden Enzymen Transkriptionsfaktoren aktivieren oder deaktivieren können. Diese molekularen Signalketten zeigen ihrerseits Rückkopplungen, Vorwärtsschaltungen und Wechselwirkungen, sodass nur schwer ohne Computersimulationen verstanden werden kann, welche Folgen Rezeptoraktivierungen oder -blockaden haben. Dieses Bild der Zelle als biochemischen Netzwerks macht auch verständlich, was auf statistischer Ebene als »Komorbidität« klassifiziert wird: Komorbidität etwa von Diabetes und Depression bzw. Herzinfarkt und Depression dürfte auf gemeinsamen inter- und intrazellulären molekularen Signalbahnen von Hormonen (z. B. Cortisol) bzw. Immunfaktoren (z. B. Zytokine) beruhen.
Diese Netzwerkaspekte werden in einer neuen systemischen Arbeitsrichtung – der Systembiologie – explizit behandelt. Sie hat im Bereich der Einzeller für das Funktionsverständnis der Zellteilung, des Zelltodes, des Wachstums und der Differenzierung bereits Computermodelle erbracht (Kitano 2002).
Die aktuelle biochemisch begründete materialistische Perspektive in der Medizin hat nun auch über die Hirnforschung das Konzept vom Psychischen verändert (Tretter u. Grünhut 2010): Psychische Prozesse und Zustände sind nur Gehirnzustände, so lautet (wieder einmal) die These. Die psychologischen Begriffe könnten daher durch jene der Neurobiologie ersetzt werden. Dies gilt auch als monistische Lösung des dualistischen Leib-Seele-Problems. Allerdings ist das »Qualia-Problem« weiterhin ungelöst, das darin besteht, dass nach dem Philosophen Thomas Nagel (1974) physikalisch nicht geklärt werden kann, wie es ist, eine Fledermaus zu sein oder die Farbe Rot zu erleben. Auch die Erklärung des alltagsweltlichen Faktums der »mentalen Verursachung« (wenn ich will, kann ich den Arm heben oder ruhen lassen) ist nicht zufriedenstellend, sodass das Konstrukt des »Psychischen« weiterhin unersetzbar erscheint und ein methodologischer Dualismus nötig ist. »Erleben« ist ein Phänomen, das einer eigenständigen Betrachtung bedarf. Es deckt sich mit »Verhalten« nur teilweise, denn etwas zu sehen oder Schmerz zu empfinden ist kein Verhalten. Darüber zu berichten ist zwar Verhalten, aber es erfordert die Deutung des Gesagten, das sich wieder auf Erlebtes bezieht. Andererseits kann auch Verhalten ohne wesentliche Beteiligung von Erleben, also unbewusst, ablaufen. Wegen ihrer Komplexität und Dynamik bedarf die Analyse des Erlebens und des Verhaltens, also die Psychologie, einer speziellen systemischen Konzeptualisierung (Strunk u. Schiepek 2006). Dieser systemische Aspekt des Psychischen wird bereits deutlich, wenn man die emotionalen Effekte von Gedanken oder die Denkanstöße, die Emotionen erzeugen, betrachtet. Außerdem sind die verschiedenen innerpsychischen Regelkreise – etwa des willentlichen Handelns – Anregungen für eine personzentrierte Systemtheorie, die auf das Individuum fokussiert ist (Kriz 1999).
Dieses Konzept muss darüber hinaus den komplexen Begriff des »personalen Selbst« im Fokus haben und die Person als in den Körper eingebettet sehen. Man spricht diesbezüglich heute in phänomenologischer Tradition vom »verkörperten Selbst« bzw. vom »embodied self« (T. Fuchs 2000; Tretter 2008).
Der Organismus wiederum ist eingebettet in die Umwelt und hängt von ihr existenziell ab. Teile der Umwelt werden vom Organismus erkannt (Merkwelt), und Teile können vom Organismus beeinflusst werden (Wirkwelt). Für das Befinden des Organismus ist das Verhältnis dieser Welten zueinander wesentlich, man spricht auch von der Organismus-Umwelt-Passung. Diese Perspektive einer »Ökologie des Subjekts« geht vor allem auf Jacob von Uexküll zurück und wurde für die Psychosomatik von seinem Sohn Thure (Uexküll et al. 1981) für den Menschen, die Person, ausgearbeitet. Die materielle Welt, die zunächst die Person auf ihrer vegetativen Funktionsebene trägt, wird durch den Zeichencharakter der Materie zu einem zweiten, dem animalischen System transponiert, das aus zuordnenden Bedeutungen besteht und dem als semiotisches System eine eigene Wirkmächtigkeit zukommt. Auf der Basis dieses Systems wird vom Organismus die subjektive Umwelt als innere Repräsentation des Umgebenden konstruiert. Diese Repräsentation wird ergänzt durch die Selbstrepräsentation. Das Verhältnis dieser Repräsentation zueinander ergibt das erlebte In-der-Welt-Sein, also das Umweltverhältnis der Person. Dieses erlebte Beziehungsgefüge prägt beispielsweise das pathogene Stresserleben insofern, als das dysbalancierte Gesamtbeziehungsgefüge durch das Verhältnis umweltseitiger Angebote und Anforderungen an die Person einerseits und andererseits durch das Verhältnis der personalen Bewältigungsstrategien und der Ansprüche der Person wirksam wird. Therapeutisch muss dieses Gesamtgefüge bei Stresssyndromen betrachtet und behandelt werden (Tretter 2008).
Die molekulare und systemische Bottom-up-Perspektive in der modernen Medizin verspricht eine theoretisch und auch praktisch interessante Verbindung mit der traditionsreichen psychosomatischen und familiensystemischen Perspektive. In diesem Sinn ist eine ganzheitsorientierte Medizin über die Systemmedizin auf einem guten Weg zu ihrer naturwissenschaftlichen Fundierung. Andererseits bleiben weiterhin konzeptuelle Probleme wie die Gehirn-Geist- oder Leib-Seele-Problematik ungelöst. Letztlich geht es auch um die konzeptuelle Wiederentdeckung dessen, was unter »Umwelt« zu verstehen ist (Tretter 1986). Im klinischen Bereich sind deshalb spannende theoretische Begegnungen zwischen Systemmedizin und der Psychosomatik Thure von Uexkülls zu erwarten (vgl. auch Kap. 3.14; sowie Tretter 2005, 2008; Tretter et al. 2010): Eine »psychosoziale Systemmedizin« steht an.
Wolf Ritscher
Systemische Soziale Arbeit hat sich als ein spezifisches Theorie-Praxis-Konzept für die Soziale Arbeit entwickelt, das mit anderen Basistheorien der Sozialen Arbeit (vgl. von Spiegel 2011) einige grundlegende Perspektiven teilt. Das Ziel Sozialer Arbeit ist vor allem die Unterstützung von Menschen in psychosozialen Notlagen bzw. deren Verhinderung oder Milderung sowie die Entwicklung von Kompetenzen für erfolgreiche Alltagsbewältigung in ihrer Lebenswelt und ihrem Sozialraum. Der Alltags- und Lebensweltbezug (Kraus 2006) ist dabei entscheidend, denn die als Auftraggeber der Sozialen Arbeit (Ritscher 2012, S. 182 ff.) verstandenen Klienten werden als Teil sozialer Netzwerke gesehen; das macht ihr Verhalten verstehbar und hilft bei der Suche nach Ressourcen. Mit den Klientinnen sind Ziele und Aufträge auszuhandeln – mit Rück-Sicht auf andere beteiligte Personen und auf Institutionen und Organisationen, die als Strukturelemente des Gemeinwesens bzw. des Sozialraumes verstanden werden.
Soziale Arbeit ist zugleich eine Profession, deren Fachkräfte sich im Rahmen einer wissenschaftlich fundierten Ausbildung ethisch reflektierte Grundlagentheorien und Handlungskompetenzen erworben haben (Heiner 2010).
Systemische Soziale Arbeit orientiert sich über diese grundlegenden Perspektiven hinaus an einer systemischen Metatheorie, deren Mitte der Begriff des Systems ist. Es gibt unterschiedliche Entwürfe, die sich zwar begrifflich unterscheiden lassen, aber viele Gemeinsamkeiten aufweisen (Hollstein-Brinkmann u. Staub-Bernasconi 2005).
Im systemisch-sozialen Konzept ist die gesellschaftstheoretische Fundierung Sozialer Arbeit, ihr Bezug auf durch gesellschaftliche Verhältnisse induzierte Probleme und die Verknüpfung des Individuums mit seinen Bezugsgruppen, der Gesellschaft und der ganzen (einen) Welt von zentraler Bedeutung. In Abgrenzung zu einem radikalkonstruktivistischen Verständnis wird die soziale Realität als eigene Kategorie jenseits aller subjektiven Konstruktion von Wirklichkeit anerkannt. Der Sozialen Arbeit kommt dabei als Menschenrechtsprofession die Aufgabe zu, mit dem politischen Anspruch auf eine gerechte Welt zu agieren. Vor allem die Schweizer Sozialarbeitswissenschaftlerin Staub-Bernasconi steht für diesen Ansatz (Staub-Bernasconi 2007).
Im systemisch-strukturellen Konzept bzw. ökosozialen Systemmodell (Bronfenbrenner; vgl. Ritscher 2007, S. 66 ff.) geht man von einer Beschreibung der innersystemischen Strukturen und der System-Kontext-Beziehungen aus. Die Symptome z. B. eines als auffällig bezeichneten Kindes, das in unterschiedlichen Systemen – Familie, Schule, Peers – agiert und sie durch sein Handeln in Beziehung bringt, werden durch die Dynamik in und zwischen diesen Systemen verstehbar. Die Beschreibung dieser zirkulären Prozesse vollzieht sich als »subjektive Rekonstruktion von Wirklichkeit« im Dialog von Adressatinnen und Fachkräften im Rahmen des »Unterstützungssystems« (Ritscher 2012, S. 182 ff.). Hinsichtlich Diagnostik und Intervention stützt man sich auf eine Kombination von Konzepten der Sozialen Arbeit (z. B. Komm- vs. Gehstruktur, Gemeinwesen- und Netzwerkarbeit) und Methoden der systemischen Therapie/Familientherapie (Ritscher 2007, 2012).
Das systemtheoretisch-konstruktivistische Konzept stützt sich auf die Rezeption der Theorie sozialer Systeme Niklas Luhmanns, die im vergangenen Jahrzehnt eine starke Position im Diskurs der Sozialen Arbeit eingenommen hat (vgl. Abschn. 1.2.4 und 1.3.6). Soziale Arbeit wird als autonomes gesellschaftliches Funktionssystem gesehen, das als autopoietisches System selbstorganisiert dem Code »Hilfe vs. Nichthilfe« folgt und nach Maßgabe eigener, systeminterner Hilfe-»Programme« operiert. Den Wirklichkeitskonstruktionen des Hilfesystems stehen die Konstruktionen der Klientensysteme gegenüber. Der Erfolg konkreter Hilfeprozesse ist daran gebunden, dass hier eine »strukturelle Koppelung« der verschiedenen Systeme gelingt, was am ehesten durch eine strikte Ressourcenorientierung erreicht werden kann (Kleve 2003; Hosemann u. Geiling 2005).
Im Zentrum des systemisch-entwicklungsorientierten Konzepts steht die von Rogers und Satir vertretene prinzipielle Entwicklungsoffenheit des Individuums mit dem – konzeptuell vorgegebenen – Entwicklungsziel einer größtmöglichen Kongruenz des Selbst (»Authentizität«) und seiner Selbstverantwortung. Entscheidend ist dabei der sichere Selbstwert in den Beziehungen zwischen dem Selbst und seinen sozialen anderen. Soziale Arbeit hat die Aufgabe, das Subjekt dabei zu unterstützen, internale und externale Barrieren gegen dieses Ziel zu überwinden (Germain u. Gitterman 1999).
All diese unterschiedlichen Richtungen treffen sich im Begriff des Systems, das als Denkmodell unterschiedliche Facetten von Wirklichkeitswahrnehmungen, Bedeutungszuschreibungen und sozialen Strukturen zu integrieren vermag (Ritscher 2012, S. 28 ff.).
Aus den vorgestellten theoretischen Modellen lassen sich vier zentrale Aufgabenbereiche einer systemischen Sozialen Arbeit ableiten. Das Unterstützungssystem (Ritscher 2007) besteht aus den Adressatinnen, den Fachkräften und anderen involvierten Faktoren in einem Setting gemeinsamer Auftrags- und Zielklärung, Problembeschreibungen und Problemlösungsversuche. Die Kontextualisierung aller Ereignis-, Beziehungs- und Problembeschreibungen (Ritscher 2012, S. 254) ergibt sich aus der System-Kontext-Struktur. Die Moderationsfunktion Sozialer Arbeit in sozialen Netzwerken nimmt die Abgrenzung unterschiedlicher Unterstützungssysteme und ihrer Kooperation in den Blick (Ritscher 2007, S. 59 ff.), und aus dem gesellschaftlichen Unterstützungsauftrag Sozialer Arbeit ergibt sich ein auch politisch verstandenes Engagement für sozial benachteiligte Personen und Gruppen.
Daraus ergeben sich Anforderungen an eine ethisch und theoretisch begründete Haltung, an Konzepte für Settinggestaltung, Diagnose, Intervention und Evaluation und die Entwicklung dafür hilfreicher Methoden. Die Haltung ist durch Allparteilichkeit, Interesse, Neugier, Respekt und eine Ressourcen- statt Defizitorientierung gekennzeichnet. Bezüglich der Sozialarbeiterinnen selbst zeichnet sie sich durch eine stete Reflexion der persönlichen Hilfemotive, ihres gesellschaftlichen Auftrags und der Akzeptanz des unauflösbaren Widerspruchs zwischen Wirksamkeitsinteresse und »nichtinstruktiver Interaktion« aus. Hinsichtlich des Hilfesystems geht es um Kooperation, Akzeptanz wechselseitiger Abhängigkeit und »Hilfe zur Selbsthilfe«. Letzteres Konzept enthält grundlegende Forderungen Sozialer Arbeit nach Transparenz, Partizipation und Empowerment (Germain u. Gitterman 1999). Diagnose und Intervention sind zwei Seiten des systemischen Handelns (Ritscher 2004) und gestalten sich in der Struktur von »Angebot« (Stichwort: Freiwilligkeit), »Eingriff« (Stichwort: Zwangskontext) und »gemeinsamem Handeln« (Stichwort: Kooperation; vgl. Müller 2012).
Jenseits einer durch den gesellschaftlichen Mainstream beförderten lösungsorientierten Perspektive muss betont werden, dass es nicht immer Lösungen geben kann, mit denen sich Soziale Arbeit überflüssig macht. Es gibt Fälle langfristiger oder lebenslanger Begleitung, bei denen es mehr um eine begrenzte Sicherung des Alltags als um strukturelle Veränderungen geht. Damit ist eine Gratwanderung zwischen der Gefahr einer professionell erzeugten Chronifizierung einerseits und der Akzeptanz begrenzter Ressourcen für die Alltagsbewältigung andererseits verbunden.
Tom Levold
Mehr als bei anderen psychotherapeutischen Schulen bzw. Grundorientierungen hat sozialwissenschaftliches Denken in der systemischen Therapie und Beratung große Bedeutung.
Das dabei implizit und explizit herangezogene sozialwissenschaftliche Spektrum umfasst über die Soziologie hinaus eine Vielzahl von Disziplinen, so z. B. Sozial- und Kulturanthropologie, Ethnologie, Kommunikations- und Medienwissenschaften, Kulturwissenschaften, Linguistik, Sozialmedizin, Sozialgeschichte usw. All diese unterschiedlichen Ansätze teilen eine soziologische bzw. sozialtheoretische, wenn auch nicht unbedingt systemtheoretische Perspektive und untersuchen ihren jeweiligen Gegenstandsbereich als ein Feld sozial, d. h. interaktiv und kommunikativ konstituierter Phänomene.
Für den systemischen Ansatz sind die Aspekte der empirischen Sozialforschung, der systemtheoretischen Sozialtheorie und der klinischen Soziologie von Bedeutung.
Als Gesellschaftswissenschaft hat sich die Soziologie von Beginn an mit dem Vorkommen und der Verteilung sozialer Probleme ebenso wie mit ihrer Behandlung durch die Politik und andere gesellschaftliche Institutionen beschäftigt. Unterdisziplinen wie die Familiensoziologie, die Medizinsoziologie, Soziologe der Kindheit u. a. haben eine Vielzahl von Befunden über soziale Lebenslagen erhoben, die auch für psychotherapeutische Kontexte von Belang sind.