Tall, Dark and Deadly - Riskante Versuchung - Lisa Renee Jones - E-Book

Tall, Dark and Deadly - Riskante Versuchung E-Book

Lisa Renee Jones

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Beschreibung

Er ist tätowiert und gefährlich. Sie ist so wunderschön wie geheimnisvoll - und könnte seinen Untergang bedeuten ...

Ashers Jugend im drogenverseuchten Untergrund der New Yorker Clubszene liegt lange hinter ihm. Doch nun braucht ihn das Team von Walker Security für einen Undercover-Einsatz in genau dem Milieu, dem er einst entkommen ist. Ein Wahnsinniger ermordet Frauen, und die Uhr tickt, bis das nächste Opfer gefunden wird. In dieser brutalen und gefährlichen Welt trifft Asher auf Sierra. Sie ist so schön wie geheimnisvoll und bringt seine dunklen Seiten ans Tageslicht, die er viel zu lange unterdrückt hat. Doch Sierra hat ein Geheimnis. Eines, das sie und Asher in große Gefahr bringt - und zu einem Spiel auf Leben und Tod.

Die NEW YORK TIMES und USA TODAY BESTSELLER-SERIE: Tall, Dark and Deadly - die drei Walker Brüder leiten sehr erfolgreich ihre eigene Sicherheitsfirma "Walker Security". Jeder Bruder ist einzigartig und hat seine ganz speziellen Methoden und Fähigkeiten. Doch eins haben sie gemeinsam: Sie brennen leidenschaftlich für die Menschen, die sie lieben - und sind gnadenlos, wenn sie für eine Sache kämpfen, an das sie glauben. Kein Fall ist ihnen zu schwer und keine Gefahr zu groß.

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Seitenzahl: 476

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

PLAYLIST

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

EPILOG

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

Leseprobe

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Über dieses Buch

Ashers Jugend im drogenverseuchten Untergrund der New Yorker Clubszene liegt lange hinter ihm. Doch nun braucht ihn das Team von Walker Security für einen Undercover-Einsatz in genau dem Milieu, dem er einst entkommen ist. Ein Wahnsinniger ermordet Frauen, und die Uhr tickt, bis das nächste Opfer gefunden wird. In dieser brutalen und gefährlichen Welt trifft Asher auf Sierra. Sie ist so schön wie geheimnisvoll und bringt seine dunklen Seiten ans Tageslicht, die er viel zu lange unterdrückt hat. Doch Sierra hat ein Geheimnis. Eines, das sie und Asher in große Gefahr bringt – und zu einem Spiel auf Leben und Tod.

Lisa Renee Jones

Tall, Dark and Deadly

Riskante Versuchung

Aus dem Amerikanischen von Gerold Hens

PLAYLIST

Back in Black – AC/DC

Light It Up – Luke Bryan

Impossible – James Arthur

What Lovers Do – Maroon 5

You Really Got Me – Van Halen

Look What You Made Me Do – Taylor Swift

Can I Be Him – James Arthur

Unforgettable – Thomas Rhett

Losing Sleep – Chris Young

KAPITEL EINS

ASHER

Leder. Tattoos. Wein. Whiskey. Musik. Frauen.

Diese Welt hatte ich vor zehn Jahren hinter mir gelassen, tätowiert und total neben der Spur, und mir geschworen, nie mehr zurückzukommen. Und dennoch bin ich hier, hinter der Bar einer New Yorker Bumskneipe, aus den Lautsprechern dröhnt Back in Black von AC/DC, und ich reiche einem Typen mit langen Haaren, Tattoos und mit mehr Eyeliner als die blonde Frau neben ihm ein Bier. Er schnappt sich die Flasche, gibt mir ganze zwei scheiß Dollar Trinkgeld und geht. Seine Freundin aber nicht. Sie bleibt noch ein paar Takte lang, wirft mir einen Blick aus ihren Schlafzimmeraugen zu, der mich auffordert: Besorg's mir im Hinterzimmer und zwar sofort. Also, bei mir hat eine Frau, die mit einem Kerl mit Eyeliner bumst, null Chancen.

Ich winke ab. Sie schaut böse, dreht ab und hakt sich bei dem Eyeliner-Typen unter, wobei ich mich nur eins frage: Wie verflucht kann eine Frau, die auf so einen Typen abfährt, auf mich abfahren? Na ja, okay, klar, ich hab Tattoos, und meine blonden Haare sind eher länger, aber das kommt noch aus der Zeit der verdeckten Spezialeinsätze. Und das einzige verdammte Make-up, das ich trage, ist das, was ich vom Mund von einer scharfen Braut runtergeküsst habe, bevor ich sie auch sonst überall küsse.

Ich werfe das Geld in die Trinkgeldkasse für irgendeine andere arme Seele, die zwei Dollar braucht, um in New York City zu überleben. Und das bin ich nicht, weder im wörtlichen noch im übertragenen Sinn, und ich bin auch kein Opfer oder Spinner, was ich nur den harten Lektionen zu verdanken habe, die diese beschissene Art zu leben mich gelehrt hat. Wenn es momentan auch nicht ganz so beschissen ist, wenn man bedenkt, dass gerade ein weibliches Mitglied des Personals gleich rechts von mir auf dem Tresen tanzt, in Shorts, die kaum ihren hübschen Arsch bedecken. Andererseits bin ich genauso wenig wegen hübschen Ärschen hier wie wegen der Musik. Ich bin hier, um einer Mutter und einem Vater die Gerechtigkeit zu verschaffen, die sie verdienen, weil ihre Tochter zu früh von uns gegangen ist, zusammen mit drei anderen, ähnlich aussehenden jungen Frauen, die alle tot sind, nachdem sie in Bars wie dieser gewesen sind. Sie alle starben nach dem Konsum eines Drogencocktails, an dem sonst niemand zu sterben scheint.

Mein Wunsch, den Eltern ihren Frieden zu geben und einen mutmaßlichen Serienmörder zu fassen, ist der einzige Grund, warum ich mich von meinem Chef überhaupt in dieses Dreckloch habe reinquatschen lassen. Ich scanne den dämmrigen Bereich und checke die Bars, die links und rechts den lagerhausähnlichen Raum einfassen, beide mit neonblauen Totenköpfen, die genauso aussehen wie der hinter mir. Dazwischen befinden sich Doppeltüren zur Bühne und zu den Sitzplätzen, die jetzt noch geschlossen sind, aber bald geöffnet werden.

Zwei junge Typen treten an die Bar und bestellen kichernd Drinks mit ordinärem Namen, die sie auf eine Art witzig finden, dass ich inständig hoffe, so was selbst nie witzig gefunden zu haben. Ich gieße den Mix in Gläser schiebe sie ihnen hin. »Zwei buttrige Nippel«, sage ich, beuge mich vor, um die Musik zu übertönen, und füge hinzu: »Kommt wieder, wenn ihr was Richtiges wollt, dann gehen die Drinks auf mich.«

Sie beschimpfen mich, und dieses Mal kriege ich nicht mal zwei Dollar Trinkgeld. In einem sehr passenden Moment wechselt die Musik zu Pour Some Sugar on Me von Def Leppard, und jetzt finde ich es wirklich witzig. Ich stoße ein bellendes Lachen aus, als mein Blick auf den Eingang zur unteren Ebene des zweistöckigen Gebäudes fällt, und meine Zielperson zur Tür reinkommt, von dem mein Team bei Walker Security glaubt, das sei der Typ, hinter dem wir her sind. »Ju-Ju«, nennt er sich, seiner Meinung nach ein Spitzname für einen Drogendealer, nach meiner für einen saudummen beschissenen Idioten und vielleicht einen Mörder. In letzterem Fall würde ich ihm gern den Zusatz »Tot« zum Spitznamen verpassen, aber laut Gesetz darf ich ihn stattdessen lediglich »Verhaftet« nennen. An Tagen wie diesem vermisse ich die Zeit bei den Navy SEALs, als ich Scheißkerle wie ihn in Dschungeln, Wüsten und dunklen Höhlen entsorgte und sogar den Befehl dazu erhielt.

Ju-Ju winkt mir einen Zwei-Finger-Gruß zu; sein One-sleeve-Tattoo zu schwarzen Jeans und einem weißen T-Shirt ist dem, was ich trage, nicht unähnlich. Ich habe mein Outfit so gewählt, dass ich in der Menge untergehe, und ich würde meinen neuen BMW darauf verwetten, dass das auch für ihn gilt. Er ist dumm, aber er ist nicht bescheuert, und jeder, der nicht kapiert, dass dumm ein Geisteszustand ist und bescheuert einfach nur bescheuert, hat Glück gehabt, denn er hat noch nie mit jemandem wie Ju-Ju zu tun gehabt. Ich schon, viel zu oft.

Ich schenke ihm einen Whiskey Sour ein, sein üblicher Drink, wie ich schon weiß: ein kleiner Schuss mit viel Zitrone. Es wäre ein einfacher Drink, wäre da nicht der Spitzen-Whiskey, den er bevorzugt, der und der kleine Schuss sagen mir, dass er einen klaren Kopf braucht und den teuren Whiskey nicht verschwenden will. Der klare Kopf, den er behalten will, hat mit dem dummen Drogenbusiness zu tun. Er gibt den Frauen, die ihn begleiten, ein Zeichen, auf einem Zweisitzer Platz zu nehmen, und kommt in meine Richtung. Ich bediene einen Kunden, und als ich fertig bin, steht er vor mir und klatscht einen Hunderter auf den Tresen.

»Für dich«, sagt er und schiebt mir den Schein rüber, bevor er an seinem Drink nippt, und zwar ein bisschen zu kennerisch, was nicht so recht zu seiner schwarzen Stachelfrisur und seinem tätowierten Hals passt. Er ist nicht von hier. Hier versteckt er sich nur.

Ich nehme den Schein und stopfe ihn ins Trinkgeldglas. Er runzelt die Stirn. »Der ist für dich.«

»Gemeinschaftskasse«, sage ich.

»Hier arbeitet sonst niemand.«

»Heute Abend fängt eine Neue an.«

Er beugt sich näher ran. »Lass uns reden, wenn die Bar zu macht. Triff dich mit mir.«

»Tut mir leid, Mann. Wenn du nicht noch ein ganzes Stück hübscher wirst, was zu bezweifeln ist, bist du nicht mein Typ.«

Er lacht. »Du bist echt witzig. Ich will dir helfen, 'n bisschen Kohle zu machen. Mach 'ne Pause, bevor der Club schließt. Dann unterhalten wir uns.« Er zeigt hinter mich. »Bring uns was, was die Girls mögen.« Er legt einen weiteren Hunderter auf den Tresen. »Das da ist ein Geschenk, kein Trinkgeld. Steck's ein.« Er geht.

Bingo.

Ich bin drin.

Und vielleicht kommt der Vater von Lily Waters zu der Gerechtigkeit, für die die Polizei nicht gesorgt hat. Der Mann hat diese Gerechtigkeit verdient, und außer ihm noch andere. Seine Kleine war achtzehn und auf dem Weg nach Yale, als sie starb, vergiftet an einem Abend, an dem sie laut ihren Freunden nur eine Band in einem Club wie diesem hören wollte. Und so erging es allen Mädchen, die jetzt tot und begraben sind, alle mit derselben, mit Gift versetzten Droge im Leib. Einer Droge, die, wie ich festgestellt habe, nur Ju-Ju verkauft, und weil das hier jetzt seine Stammkneipe ist, ist es jetzt meine Stammkneipe.

Um seine Frauen zu befriedigen, was er, wie ich vermute, nicht kann, mixe ich zwischen drei Bestellungen zwei Schoko-Martinis, bevor ich Ju-Ju und seinen »Girls« die Drinks serviere. Ich schaue sie nicht an. Ich schaue kaum ihn an. So einfach bin ich nicht zu kriegen. Ich mache kehrt und sehe Riley, den mürrischen alten Ex-Rocker, der den Laden hier schmeißt, mit einer neuen Tänzerin hinter meiner Bar stehen. Sie hat lange braune Haare, eine schlanke Figur und große Brüste. Ich schätze, wenn ich um die Bar komme, werde ich superkurze Shorts zu sehen kriegen und einen Arsch, bei dem alles an mir Habachtstellung annimmt. Hey, das hab ich mir verdient. Ich habe gerade Ju-Ju geknackt.

Ich schließe zu dem Duo auf der anderen Seite der Theke auf. Dort angekommen, erledige ich eine Bestellung. Als ich damit fertig bin, zeigt Riley auf die Frau. »Weise Sierra ein. Ich hab zu tun.« Er lässt mich mit der Frau allein, die keine knappen Shorts trägt, sondern ausgebleichte hautenge Jeans, die trotz mangelnder nackter Haut fast genauso aufregend sind.

Ich will gerade ihre Wahl der Dienstkleidung infrage stellen, als die Musik abbricht, ein Zeichen, dass die Menge gleich in den Saal gelassen wird, wo am Wochenende abends eine Tanzfläche freigemacht wird. Ein Großteil der Barkundschaft wird sich bald dorthin verziehen, zumindest vorübergehend, was eine Verschnaufpause bietet und die Gelegenheit, Ju-Ju bequemer zu überwachen. Die Tänzerin, die gerade auf dem Tresen steht, springt herunter und schlägt dieselbe Richtung ein, wo sie, wie mir gesagt wurde, mit einigen anderen zusammen die Bühne entern wird, um die Menge zu unterhalten, bis die Band zu spielen anfängt. Ich schaue mir die Neue genauer an und stelle fest, sie ist wirklich superscharf, und Scheiße noch mal, genau nach meinem Geschmack superscharf, weshalb ich ihr nur zu gern meinen Rat und meine »Einweisung« zuteilwerden lasse.

»Man kriegt bessere Tipps, wenn der Arsch raushängt«, sage ich.

»Dann ziehst du dich am besten um und hüpfst auf die Bar«, sagt sie mit einer sexy rauen Südstaaten-Stimme, bei der mein Schwanz sofort salutiert. »Die Musik fängt bestimmt gleich wieder an«, fügt sie hinzu, »und ich kann kaum die Show erwarten, die du dann abziehst – während ich zuschaue.«

Ich verziehe den Mund. »Meine Shows sind privat.«

»Genau wie meine.«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Macht dir das deine Arbeit nicht schwerer?«

»Du scheinst ganz gut klarzukommen, auch ohne dass dein Hintern raushängt.«

»Manche Hintern sehen halt einfach gut aus, egal, worin sie stecken«, bemerke ich trocken.

Jetzt zieht sie eine Braue hoch. »Willst du damit sagen, dass meiner nicht gut aussieht?«

»Dreh dich um, dann kriegst du meine Expertenmeinung.«

»Nie im Leben.«

»Herausforderung angenommen«, sage ich und bin selbst überrascht, wie verdammt ernst ich die Worte meine. Ich will diese Frau, und da ich keine Beziehungen eingehe, spielt es keine Rolle, dass sie in dieser Welt hier zu Hause ist. Ich werd's nicht lange sein.

»Du stehst aufs Verlieren«, antwortet sie. »Schon kapiert. Es gibt solche Menschen.«

»Hey!«, ruft jemand, während ein Haufen Leute in die Bar einfällt. »Hier drüben!«

»Ja, hey!«

»Hier drüben!«

»Halt die Stellung, Süße«, sage ich zu meiner neuen Praktikantin, die ich anscheinend nicht nur in puncto Garderobe einzuweisen habe. »Wir müssen uns echt drüber unterhalten, dass du zu viele Klamotten anhast.« Ich drehe mich zum Tresen um und werde mit einem weiteren halben Dutzend Bestellungen bombardiert, was bedeutet, dass die Seitenbars geschlossen sind, um den Kundenverkehr zu steuern. Es ist eine Strategie, um die Leute in der Nähe der Tanzfläche zu halten, wo sie durstig bleiben und mehr trinken. Ein Ansturm von noch mehr Kunden zieht meinen Blick nach links, und ich stelle fest, dass die neue Tanzmaus Bestellungen ausführt und eindeutig nicht die neue Tanzmaus ist, sondern meine neue Barkeeperin.

Jetzt steht sie auch neben mir. Sie sticht mit einem Zahnstocher in eine Olive, hält inne und schaut mich an. »Ich werde mit der Meute schon fertig, falls du raufklettern und performen willst.« Ihre Augen blitzen vor Wut, und hey, ich hab's kapiert. Sie ist sauer, weil ich sie für die Shownummer gehalten habe. Ich habe ihren Zorn verdient, aber verdammter Mist, komm schon, lass mich's mit einem Kuss wiedergutmachen.

»Nur Privatvorstellungen, schon vergessen?«

»Feigling.« Sie lacht, wartet aber nicht auf eine Antwort, sondern geht den Tresen entlang und lässt die Olive in einen Martini fallen, den sie einer Frau reicht.

Widerstrebend widme ich meine Aufmerksamkeit anstatt ihr meinem nächsten Kunden und erledige drei Bestellungen, als eine wohlbekannte, hübsche Brünette, eine Doppelgängerin der vier Opfer, vor mir stehen bleibt.

»Ein White Russian«, sagt sie; den dritten Abend am Stück spielt sie ihre Undercover-Rolle als Gast, in Wirklichkeit ist sie eine von Walkers Leuten und eine knallharte Ex-FBI-Agentin. »Mach ihn so schwach wie du's selbst bist«, fügt sie hinzu.

»Du fängst schon an, genauso lahme Witze zu reißen wie Blake«, sage ich. Blake ist ihr Mann und einer der Brüder, die Walker Security gegründet haben. »Wir sind schon arm dran«, füge ich hinzu.

»Wenn ich mich anhören würde wie Blake«, antwortet sie, »hätte ich gesagt, mach ihn so beschissen schwach, wie du's selbst bist.«

»Kommt der Sache schon näher«, sage ich und überlege, während ich ihr den Drink ohne Alkohol eingieße, dass Blake schon ein scheiß-glücklicher Schweinehund ist.

Ich schiebe ihn ihr über den Tresen zu. Sie knallt die Kohle hin und nimmt das Glas, probiert die pure Sahne und schnalzt mit den Lippen. »Geht doch nichts über einen jungfräulichen Russen, um ein Mädel scharfzumachen«, brummt sie, bevor sie nachschiebt, »einen verfickten jungfräulichen Russen. Hoffen wir, dass wir heute Glück haben.« Damit macht sie kehrt und geht grob in Ju-Jus Richtung, in der Hoffnung, dass er heute auf sie abfahren wird, anstatt auf irgendein anderes süßes junges Ding, das sich nicht selbst schützen kann.

Ich behalte sie und Ju-Ju im Auge und erledige eine weitere Bestellung, während sie sich allein an einen Tisch setzt und die nackten Beine übereinanderschlägt, sodass sie unter ihrem kurzen Rock gut zu sehen sind. Fast sofort wird sie von mehreren Männern eingekreist, und ich weiß verdammt noch mal nicht, wieso Blake in solchen Situationen nicht wahnsinnig wird. Genau in diesem Augenblick sitzt er draußen in einem Van, schaut zu und quält sich, und das ist gut so, denn jetzt steht eine ganze Meute um den Tresen und wartet darauf, bedient zu werden.

Ich werfe einen Blick nach links zu Sierra und sehe, wie ein großer Glatzkopf über den Tresen langt und sie an den Haaren packt. »Scheiße«, murmele ich und stürze in ihre Richtung, aber Sierra beweist, dass sie kein leichtes Opfer ist, indem sie dem Arschloch einen metallenen Mixbecher an den Kopf knallt. Er holt aus, um ihr einen zu verpassen, aber ich bin rechtzeitig da, um seine Hand abzufangen.

»Lass sie los«, fordere ich ihn auf, aber mein Griff hat schon die gewünschte Wirkung. Er lässt ihre Haare los, und im selben Moment packt ihn von hinten Big Bruno, der Rausschmeißer, der diese Seite des Tresens bevorzugt, und zerrt ihn weg von uns. Ich lege Sierra die Hand auf die Schulter und drehe sie zu mir um. »Alles okay bei dir?«

Sie senkt das Kinn auf die Brust. »Ja«, stößt sie hervor. »Ja. Alles okay.« Aber sie schaut mich nicht an.

»Sierra ...«

»Mir geht's gut«, beharrt sie, aber als sie ganz kurz den Kopf hebt, liegt in ihren starren blassblauen Augen eine Verletzlichkeit, die Spur eines alten Traumas, die sie rasch wegblinzelt, während sie das Kinn reckt und hinzufügt: »Danke, dass du dir das Schwein geschnappt hast. Das meine ich wirklich. Ehrlich. Trotzdem bist du ein Arschloch, das gedacht hat, ich sei eine Tänzerin, nur weil ich Titten habe und einen besseren Arsch als du.« Mit diesem patzigen Spruch, der eindeutig die Verletzlichkeit überspielen soll, die sie gerade vor mir offenbart hat, tritt sie entschlossen zurück und dreht sich aus meiner Reichweite. Sierra wendet sich sofort einem anderen Gast zu, aber ich beobachte sie und ignoriere die Rufe, die mir gelten, während ich versuche herauszufinden, warum ich den Blick nicht von ihr lösen kann. Ich meine, okay, klar. Sie hat irgendein geheimes schweres Päckchen zu tragen, aber das geht schließlich den meisten so. Der Unterschied zwischen denen und ihr ist, dass ich normalerweise keine Fragen stelle, es sei denn, ich habe mit jemandem beruflich zu tun. Das ist sicherer so.

Natürlich habe ich nicht beruflich mit ihr zu tun, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es, obwohl sie sich offensichtlich selbst schützen kann, anders besser wäre. Ich habe so ein Gefühl schon mal ignoriert, und dann ist jemand gestorben. Seit ich meine Lektion gelernt habe, ignoriere ich solche Gefühle nicht mehr. Nie. Was bedeutet, dass Sierra gerade ihren ganz persönlichen Beschützer geerbt hat. Ich glaube, dass ich eventuell Prügel beziehe, wenn sie dahinterkommt. Aber mein Bauch sagt mir auch, dass es mir einen Heidenspaß machen wird.

KAPITEL ZWEI

ASHER

Houston, wir haben ein Problem.

Arschloch Ju-Ju hat ein Auge auf Sierra geworfen und beobachtet sie den ganzen verdammten Abend, während ich ihn beobachte und sie in meiner Nähe behalte, indem ich versehentlich Gelegenheiten schaffe, ihr nahe zu sein. Sie kommt mir entgegen, um nach einer Flasche zu greifen, und ich bewege mich in ihre Richtung. In dem Augenblick, als wir sachte zusammenstoßen, habe ich eine Ausrede, sie anzufassen. Ich fange ihren Arm ab und drehe sie zu mir um, wobei ich dafür sorge, dass es ganz intim aussieht. Dafür sorge, dass Ju-Ju denkt, sie gehöre zu mir, obwohl es nicht so ist. Noch nicht.

»Sorry, Süße. Alles klar?«

»Ich heiße Sierra«, sagt sie, aber sie stößt meine Hand nicht weg.

»Sierra«, sage ich, »ist alles okay?«

»Mir geht es gut, aber wo du dich gerade an meinem Arm festhältst, wie geht es dir? Wie zerbrechlich bist du?«

Ich lache. Verdammt noch eins. Wann hat mich zum letzten Mal eine Frau zur Sau gemacht und zum Lachen gebracht? Genau. Noch nie. »Süße, solange du's bist, mit der ich zusammenkrache, bin ich der König der Welt.«

»Sierra. Nicht Süße.«

»Wenn wir je nackt zusammen sind, dann nenne ich dich Sierra, und ich sorge verflucht noch mal dafür, dass du genau weißt, dass ich und du zusammen sind, nur du und zu einhundert Prozent ich. Bis dahin heißt du Süße. So ist das nun mal.«

Ich wende mich ab und bediene meinen Kunden. Sie tut das Gleiche. Dann haben wir eine Verschnaufpause, und sie brüllt: »He du!«

Ich runzle die Stirn und schaue in ihre Richtung. »Redest du mit mir?«

»Ja. Denn bis auf Weiteres bist du ›he du‹.«

Sie kommt auf mich zu und bleibt deutlich außer Reichweite stehen. »Bis wir nackt sind und ich dich Asher nenne und dich wissen lasse, dass ich und du zusammen sind, nur du und zu einhundert Prozent ich. Und da das nie passieren wird, unter anderem, weil ›Süße‹ mich stocksauer macht, bleibst du ›he du‹, solange ich es in diesem Dreckloch hier aushalte.«

Sie wirbelt herum, zeigt mir ihren Rücken und gönnt mir einen süßen Blick auf ihren herzförmigen Arsch. Offenbar hat ›Süße‹ einen Nerv getroffen. ›He du‹ soll mir recht sein, solange sie mit mir redet und nicht mit Ju-Ju oder, ehrlich gesagt, mit irgendeinem anderen Typen, denn ja, ich will sie. Ich will sie unbedingt.

Ich schenke der scharfen Frau, die die Nächste in der Schlange ist, einen Schnaps ein, während sie ihre Brüste zeigt, die aus einem tief ausgeschnittenen Shirt quellen. Sie sind so imposant, dass der Typ direkt neben ihr voll draufglotzt, aber auf die Collegekids hier in der Bar fahre ich nicht ab. Ich mag erwachsene Frauen mit Arsch wie Sierra und bin da anscheinend einer Meinung mit Ju-Ju, der sie immer gieriger anstarrt.

Die Blondine geht weiter, und ich wende mich an Sierra, als sie gerade Ju-Ju dabei ertappt, dass er sie anglotzt. Man merkt ihr ihr Unbehagen deutlich an, sie dreht sich um und geht zur Bar weiter hinten. Gut gemacht, Süße denke ich, aber Ju-Ju gefällt das nicht. Jetzt ist er herausgefordert. Er steht auf und geht in ihre Richtung.

Ich gehe nach hinten zu Sierra. »Der Widerling, der da auf dich zukommt, bedeutet Ärger. Ich auch, aber für ihn, nicht für dich. Bleib dicht bei mir, und zieh mir nicht einen Becher oder eine Flasche über die Rübe.«

»Hast du was vor, weswegen ich dir irgendwas über die Rübe ziehen will?«

»Möglich, aber damit schrecke ich ihn entweder ab, weil ich nett zu dir bin, oder ich knall ihm an deiner Stelle eine Flasche auf den Schädel.«

»Männer wie er sind auf schwache Beute aus, das heißt, lass mich selbst mit ihm fertigwerden. Halt dich raus.«

»Das ist nicht das besoffene Arschloch, das dich vorhin angepackt hat. Er ist ein Drogendealer, und das ist noch das Netteste, was man über ihn sagen kann.«

»Asher, Mann«, sagt Ju-Ju. »Wer ist das Babe?«

Sierra lasst mich stehen und geht direkt zu Ju-Ju hin. »Er mag's nicht, wenn du ihn Babe nennst, und bei den Mädels könnte deine Tarnung auffliegen, wenn du's so laut tust. Was willst du trinken?«

Ich muss lachen. Ich kann nichts dagegen tun und versuch's erst gar nicht, sondern platze einfach raus. Ich verfolge ihr anzügliches Geplänkel und geselle mich zu ihnen, indem ich einen Arm auf den Tresen stütze und Ju-Ju mit hochgezogener Augenbraue anschaue.

»Willst du mir irgendwas sagen? Denn, Mann, ist okay, wenn du schwul bist. Ich bin für Schwulenrechte, jeder wie er's mag. Aber damit eins klar ist: Ich steh nicht auf Schwänze, ich steh ganz klar auf Titten und Ärsche.«

»Dann sollten wir uns später am Abend über Titten und Ärsche unterhalten, denn davon kann ich dir eine Menge zeigen.« Er wirft einen Blick auf Sierra. »Bring sie mit. Ich mag's, wenn meine Frauen schwer zu haben sind.«

»Ich teile nicht«, sage ich. »Und es wär schlau, wenn du das nicht vergisst.«

Er grinst. »Hört sich an, als müssten wir über Gegenleistungen reden. Du behältst sie, und ich kriege dich.« Er schaut Sierra an und schiebt ihr einen Hunderter über den Tresen wie vorhin mir. »Wo der herkommt, gibt's noch eine Menge mehr«, verspricht er und dreht ab.

Sie schaut mich an. »Den fasse ich nicht an, nicht mal, um ihn ins Trinkgeldglas zu stecken.«

»Gute Entscheidung«, sage ich, schnappe ihn mir und stopfe ihn in das Glas, ehe ich dicht an sie heranrücke, aber ohne sie zu berühren, obwohl ich am liebsten meine Hand in ihre Haare wühlen und ihr die Seele aus dem Leib küssen würde. »Du bist tough. Das gefällt mir.«

»Was zum Teufel war das denn? Der würde mich für dich eintauschen?«

»Das ging gegen mich, Süße. Mach dir keine Gedanken.« Sie schaut mich einige Takte lang eindringlich an. »Ich brauche diesen Job«, sagt sie, und in ihrer Stimme schwingt eine Hauch Verzweiflung mit.

»Und du hast ihn«, sage ich. Und mich hat sie, auch wenn sie mich gar nicht will.

Noch nicht.

Ich habe bereits beschlossen, dass ich verdammt noch mal alles tun werde, damit sie mich will. Was ich sie nicht wissen lassen werde, ist, wie bitter nötig sie mich angesichts von Ju-Jus Interesse braucht.

KAPITEL DREI

SIERRA

Es war einmal ein Mädchen, das träumte von ihrem ganz eigenen Märchenprinzen. Er wäre hübsch und in jeder Hinsicht liebenswert. Er würde sie umhauen, und sie wären glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Als dasselbe Mädchen – also ich – älter wurde, hatte es berufliche Ziele und Träume, glaubte aber immer noch an die Liebe. Sie glaubte immer noch, dass ihr Märchenprinz sie in ihren Träumen und Zielen unterstützen würde, wie sie ihn in seinen. Dass sie alles erreichen könnten. Und so kam es. Mein Prinz kam an, und das Leben war schön, bis es nicht mehr schön war. Bis es schlimm war. Ganz ganz schlimm.

Szenenwechsel in die Gegenwart, und ich stehe hier im Pausenraum einer Bar und warte auf das Trinkgeld, das ich brauche, nur um etwas zu essen zu haben, während Asher mit dem Boss darüber spricht, wie ich gearbeitet habe. Mit anderen Worten, ob ich meinen Probeabend bestanden habe, um den ich heute Nachmittag gebettelt habe. So sieht meine Wirklichkeit aus, wie ich sie noch vor einem Jahr niemals für möglich gehalten hätte oder sogar noch vor neun Monaten, als ich um mein Leben rannte. Aber das hier ist so wirklich, wie es nur geht, und diese Tatsache wird mir praktisch an jedem Tag in jedem Moment um die Ohren gehauen. Ich könnte für all das Aschenputtel die Schuld geben. Ich könnte die psychologischen Gründe dafür analysieren, dass das Aufwachsen mit einer alleinerziehenden Mutter bewirkte, dass ich das Märchen zu wörtlich nahm. Aber ich bin nicht dumm, und ich habe keine Ausrede dafür, dass ich das Leben durch eine aschenputtelfarbene Brille betrachtete.

Ich bin diejenige, die das Märchen zu weit getrieben hat. Ich bin gut darin, die Dinge zu weit zu treiben. Ich möchte perfekt sein, und ich steige darauf ein und schnappe mir, was sich mir bietet, und manchmal geht das nach hinten los. Junge, ging das diesmal nach hinten los, andernfalls wäre ich jetzt nicht hier. Ich wollte in allem vollkommen sein. Ich drücke die Hand an die Stirn. »Vollkommen bescheuert«, murmele ich und wühle die Finger in meine Haare.

»Ich hoffe, du redest nicht von mir.«

Beim Klang von Ashers Stimme fahre ich herum und sehe ihn in der Tür lehnen, und das grelle Licht ist nicht geeignet, seine superscharfe Rockstar-Badboy-Erscheinung zu verleugnen. Ich verschränke die Arme vor dem Körper. »Ich würde nie jemanden bescheuert nennen.«

»Aber du hast es gerade getan«, sagt er. Seine Augen, die leuchtend grasgrün sind, wie ich inzwischen weiß, sind allzu intensiv auf mich gerichtet. »Ich hab gehört, wie du gesagt hast ...«

»Wieso hast du gelauscht?«, frage ich und stemme die Fäuste in die Hüften.

»Meiner Erfahrung nach wollen die Leute gehört werden, wenn sie sprechen.«

»Ich habe mit mir geredet. Ich wollte, dass ich selbst mich höre.«

»Und, hast du?«

»Ja«, sage ich und füge im Stillen zu spät hinzu. Ich habe die Warnungen in meinem Kopf zu spät gehört.

Er zieht eine Augenbraue hoch, und seine vollen Lippen, Lippen, die mir gar nicht auffallen dürften, zeigen den Anflug eines Lächelns. »Redest du immer mit dir selbst?«

»Ja, tu ich«, antworte ich. »Können wir weitermachen?«

»Ja, aber damit du's weißt, niemand ist vollkommen, Süße. Lass dir das von dem Kerl gesagt sein, der sich nicht erst zum Trottel gemacht hat, als er dich getroffen hat, sondern der auch zu viele Jahre in seinem Leben versucht hat, vollkommen zu sein, und gescheitert ist.«

»Bist du deshalb hier?«, frage ich, bevor ich es mir verkneifen kann.

»Glaubst du, hier zu sein, macht einen zum Versager?«

Er ist hier. Wenn ich Ja sage, habe ich ihn einen Versager genannt, und dabei kenne ich seine Geschichte genauso wenig wie er meine.

»Nein«, erwidere ich. »Wenn man keinen Job hat, ist man ein Versager. Werde ich den hierbehalten?«

»Ja. Wirst du.«

Ich spüre eine Woge der Erleichterung. »Danke. Wann komme ich wieder?«

»Morgen Abend.«

»Und das Trinkgeld heute? Wie viel haben wir gekriegt?« Ich schaffe es, ganz sachlich zu klingen, obwohl mir überhaupt nicht danach ist.

Er kneift leicht die Augen zusammen, tief hinten blitzt Intelligenz auf, und ich habe das Gefühl, er sieht meine Verzweiflung. Aber er bohrt nicht nach. Er stößt sich einfach nur vom Türrahmen ab, greift hinter sich und bringt einen Briefumschlag zum Vorschein. Bunte Tattoos bedecken seine beiden Arme, Bilder ohne Zusammenhang, die eine Collage bilden: ein Jaguar, ein Schiffsanker, eine Ass-Karte, um nur ein paar wenige zu nennen. Ich stehe nicht auf Tattoos. Ich stehe nicht auf den Laden hier, und er gehört zu dem Laden, aber die Bilder sind schön, er ist schön, und ich stecke in einem hässlichen Schlamassel, der ...

»Willst du ihn nehmen, oder willst du ihn nur anstarren, Süße?«

Mein Blick bohrt sich in seinen, und er zieht eine Augenbraue hoch. »Was?«

»Du starrst den Umschlag an, als würdest du denken, er beißt.«

Wir wissen beide, dass er genauso wenig von dem Umschlag spricht, wie ich auf den Umschlag geschaut habe, aber ich spiele mit. »Weil du ihn hältst, als sei es ein Köder für einen Fisch, und ich bin der Fisch. Das mag ich nicht, und, nur damit du's weißt – ich könnte beißen.«

Er verringert den Abstand zwischen uns mit seinem lässigen Machogang, der, wie ich mir sicher bin, kühle Berechnung maskieren soll. Ich habe ihm die Ausrede verschafft, die er wollte, um mir nahe zu kommen. Zu nahe, so nahe, dass mich sein Duft an würzige Winterabende erinnert. Eine Feststellung, die ich schon vor Stunden gemacht habe, in einem der vielen Momenten persönlicher Nähe, die ich mit ihm heute Abend erlebt habe. Die persönlichsten Momente, die ich seit neun Monaten mit jemandem erlebt habe.

»Das gehört alles dir«, sagt er und reicht ihn mir.

Ich greife danach, wobei ich darauf achte, ihn nicht zu berühren. »Wie viel ist es?«

»Ein glatter Tausender.«

Ich bekomme große Augen und hebe den Kopf und schaue ihn forschend an. »Ein Tausender? Wir haben heute zwei Tausender verdient?«

Er mustert mich ein paar Takte lang und scheint seine Antwort abzuwägen, bevor er sagt: »Du hast einen Tausender verdient.«

Eine komische Antwort, aber ich lasse sie durchgehen. Vielleicht hat er mehr als die Hälfte genommen, doch ich werde mich nicht beklagen. Ich brauche dieses Geld. Ich öffne den Reißverschluss meiner Tasche und stecke den Umschlag ein, denn das T-Shirt hochzuziehen, um an meinen Geldbeutel zu kommen, passt jetzt gerade nicht. »Wir sehen uns morgen Abend«, sage ich, gehe um ihn herum und laufe eilig zur Tür.

»Du gehörst nicht hierher«, sagt er.

Ich halte einen Augenblick am Ausgang inne, ohne mich umzudrehen. In meinem Kopf kämpfen eine Million Antworten miteinander, aber ich begnüge mich mit einem einfachen Satz: »Im Moment schon.«

Damit betrete ich den schmalen Flur, gehe die kurze Strecke zum Ausgang und drücke die Stange, um die Stahltür zu öffnen; ich trete in eine dunkle Gasse, deren Laterne erloschen ist. Ich muss ohnehin nicht unter Beleuchtung gesehen werden. Man braucht sich nicht an mich zu erinnern. Ich gehe los und habe kaum zwei Schritte gemacht, als mich das Gefühl beschleicht, beobachtet zu werden. Ich denke an Diebe, die auf einen Barkeeper oder eine Kellnerin warten könnten, um ihm oder ihr nach der Arbeit das Trinkgeld abzunehmen, und beschleunige, bis ich fast renne. Denke an diesen Widerling Ju-Ju. Denke an die Lebensgefahr, die ich für real halte, sonst wäre ich nicht fortgelaufen.

Ich greife nach meiner Tasche und hole die Dose mit Tränengas heraus. Ich lege den Finger auf den Knopf und biege um eine Ecke, aber alles ist dunkel und leer bis auf mich, irgendwelchen Müll, der herumwirbelt, und die Schritte hinter mir. Was, wenn sie mich gefunden haben? Was, wenn er mich gefunden hat? Ich darf nicht sterben. Ich will nicht sterben. Ich haste um eine weitere Ecke und drücke mich in einen breiten Torbogen über dem Eingang zu einem Gebäude. Die Schritte folgen mir, machen vor mir halt, und ein riesiger Mann steht mir gegenüber. Ich spritze ihm das Tränengas ins Gesicht.

»Verdammte Scheiße, Sierra.«

Um Himmels willen. Ich habe gerade Asher angesprüht.

KAPITEL VIER

SIERRA

Asher dreht sich und lehnt sich neben mir an die Mauer. Instinktiv folge ich ihm und trete vor ihn hin. Er hat die Augen geschlossen, und selbst in den Schatten der schwach beleuchteten menschenleeren Straße kann ich den Schmerz sehen, der sein Gesicht verzerrt. »Asher, das tut mir so leid. Ich habe nicht gewusst, dass du es bist. Ich war allein und ...«

»Bleib raus aus den Dämpfen«, befiehlt er mit einem tiefen Keuchen, und seine Augen sind so nass von Tränen, dass es aussieht, als würde er weinen, obwohl er das nicht tut. »Die breiten sich aus«, fügt er hinzu.

»Mir geht es gut«, sage ich, wobei ich mir nicht sicher bin, ob er sich ausgerechnet jetzt Sorgen um mich macht.

»Dir geht es nicht gut.«

Ich habe das Tränengas noch in der Hand, stecke es hastig wieder in die Tasche und schließe den Reißverschluss. »Kann ich was tun?«, frage ich. Ich schaue mich nach links und rechts um, entlang an Reihen alter Betongebäude, die entweder über Nacht verrammelt sind oder einfach leer stehen, aber um diese Zeit ist in dieser Gegend niemand. »Hier ist niemand, der helfen könnte. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wie kann ich dir helfen?«

»Kannst du nicht«, antwortet er. Er stößt den Atem aus und blinzelt mehrmals, bevor er es aufgibt, die Augen zu öffnen. »Das ... geht ... vorbei.«

»Woher willst du das wissen? Was, wenn ...«

»Ich weiß es.« Er kauert sich nieder, drückt die Hände auf die Knie und senkt das Kinn auf die Brust. »Es geht vorbei.«

Ich gehe in die Hocke, aber ich bin auch so schon aus dem Gleichgewicht, sonst hätte ich ihn ja nicht angesprüht, und sinke auf die Knie. »Asher ...«

»Es geht vorbei«, keucht er wieder, aber als er einatmet, tut er es mit einem grauenvollen pfeifenden Geräusch.

»Es geht nicht vorbei«, sage ich eindringlich. »Du kannst nicht atmen.«

»Lass mir ein paar Minuten Zeit«, knurrt er, hebt den Kopf und schlägt tatsächlich die Augen auf. »Mir macht das nicht so viel aus wie anderen.«

Ich werde blass. »Was? Woher willst du das wissen? Schleichst du dich gewohnheitsmäßig an Frauen ran und lässt dich mit Tränengas einnebeln?« Der Vorwurf ist raus, bevor ich es verhindern kann. Der Teil in mir, der einfach nur überleben will, geht in Verteidigungsmodus. Ich bereue es sofort, aber es ist zu spät. Er reagiert, bevor ich meine Worte zurücknehmen kann.

»Himmel, Sierra. Ich wollte dich nach Hause begleiten, verdammte Scheiße.« Er steht auf, lehnt sich an die Mauer und legt den Kopf gegen die harte Fläche.

»Es tut mir leid«, sage ich erneut und rapple mich auf. Ich kämpfe gegen den Drang an, ihn anzufassen, aber seine Kleider könnten kontaminiert sein, und anfassen sollte ich ihn sowieso nicht. »Auf der Straße hier bin ich schreckhaft, und wir haben uns gerade erst kennengelernt. Aber das hast du nicht verdient, und ich hätte es nicht sagen sollen.«

Sein Handy klingelt, und irgendwie langt er tatsächlich in die Tasche und zieht es heraus, aber als er aufs Display schaut, stößt er ein frustriertes Geräusch aus. Er hebt den Kopf und blickt mich an. Das Weiße in seinen Augen ist feuerrot. »Ich kann gerade nur scheiße sehen«, sagt er und hält es mir entgegen. »Wer ist es?«, fragt er.

Ich sehe die Anrufer-ID. »Da steht ... Wichser.«

Wer immer Wichser sein mag, anscheinend mag er ihn, oder er fühlt sich verpflichtet, mit ihm zu sprechen, denn er nimmt das Gespräch sofort an. »Blake«, stößt er hervor. »Du bist auf Lautsprecher.«

»Wieso klingst du, als hättest du einen Stock im Arsch?«, fragt Blake. »Und wieso, verdammt, bin ich auf Lautsprecher?«

»Bevor du irgendwas sagst«, warnt ihn Asher, »Sierra, die aus der Bar, ist bei mir.«

»Damit ich das verstehe«, sagt Blake. »Wieso bin ich auf Lautsprecher mit Sierra aus der Bar dabei?«

»Ich hab Tränengas abgekriegt«, sagt Asher mit knarzender Stimme. »Ich will nicht, dass davon was aufs Handy kommt.«

»Scheiße«, flucht Blake dramatisch. »Was ist passiert? Wer zum Teufel hat dir Tränengas verpasst?«

»Ich«, sage ich. »Aber ich habe nicht gewusst, dass er es ist.«

Blake schweigt einen Moment, dann brüllt er vor Lachen. »Heilige Scheiße. Noch ein weiter Weg zum Frauenversteher, Ash. Verdammte Scheiße. Wie schlimm ist's denn?«

»Tränengas«, erwidert Asher, als würde das die Frage beantworten; seine Stimme klingt nicht mehr so rau.

»Ah, klar, Teufel auch, Mann«, sagt Blake. »Du bist aber okay, stimmt's? Luke hat mir erzählt, dass ihr Jungs das Scheißzeug bei der Ausbildung so oft abgekriegt habt, dass es jetzt wirkt wie ein billiger Tequila. Es brennt heftig und schnell, und dann kriegst du nicht genug davon.«

Ich kann mir nicht helfen, ich muss fragen. »Wer ist Luke und was für eine Ausbildung?«, frage ich, werde aber nicht beachtet.

Asher reagiert mit einem gequälten Lachen, während er das Kinn wieder auf die Brust senkt. »Klar, Mann. Ich riech jetzt gerade Gänseblümchen und komm nicht an Wasser ran.«

»Du musst irgendwo Wasser finden, um dir wenigstens die Augen auszuspülen«, übergeht Blake meine Frage zugunsten, wie ich zugeben muss, eindeutig wichtigerer Angelegenheiten. »Bis ich dir ein Auto und Klamotten besorgen kann, dauert's mindesten eine halbe Stunde.«

»Mit den ganzen Rückständen auf mir geh ich nirgendwo hin«, sagt Asher. »Schick mir jemanden, der mich abholt. Ich setz mich hinten rein und warte genau hier.«

»Wo ist hier?«, fragt Blake.

»Ich wohne hier in dem Drecksviertel«, mische ich mich ein, trotz den vielen Gründen, nicht zu tun, was ich jetzt tun werde, aber ich muss helfen. Ich habe Asher das angetan.

Asher hebt den Kopf und schaut mich an, in seinem Blick etwas Kaltes, das vor meiner Anschuldigung, obwohl ich ihn mit Tränengas angesprüht hatte, noch nicht da war. Außerdem ist da Erstaunen und Gott sei Dank weit weniger Schmerz als vor Minuten noch. »Ich wohne zwei Blocks entfernt«, bekräftige ich mein Angebot und meine Entschuldigung.

»Problem beseitigt«, sagt Blake für ihn. »Ich brauch deine Adresse, Sierra.«

»Ich muss dich reinlassen, wenn du da bist«, erkläre ich, bevor ich die Straße und Hausnummer diktiere.

»Hab sie«, antwortet Blake. »Ich besorg dir Klamotten, Ash. Sierra. Er ist wertvoller, als du weißt. Versuch, ihn nicht umzubringen, bevor ich da bin, okay?« Er wartet nicht auf Antwort, sondern legt auf.

Und ich versuche sofort, Frieden zu stiften. »Asher ...«

»Bist du sicher, dass du mich in deiner Wohnung haben willst?«, fragt er mit jetzt fast normaler Stimme. »Ich könnte ja ein Stalker sein, der gewohnheitsmäßig Frauen auf der Straße angreift.«

»Es tut mir leid«, sage ich noch einmal. »Ich bin sehr schreckhaft, aus Gründen, die nichts mit dir zu tun haben.«

»Ich stehe hier genau vor dir, Süße. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es wenigstens ein bisschen mit mir zu tun hat.«

»Wirklich nicht. Aber wie gesagt, ich bin ...«

»Entschuldige dich nicht schon wieder«, sagt er streng. »Aber wenn die Zeit reif ist, sag meinen Namen, Sierra, so wie ich deinen gerade. Ich will jetzt mehr denn je wissen, dass du wirklich weißt, dass ich es bin, mit dem du zusammen bist.«

Ich wende den Blick ab, aus Angst, dass dieser Mann, ein Fremder, mehr sieht, als irgendjemand sonst gesehen hat in den Jahren, die ich jetzt ehrlich zu mir selbst bin. Aus Angst, dass diese Bemerkung bereits zeigt, dass es so ist. Aus Angst vor der Vertrautheit, die er zeigt, sosehr ich mich auch danach sehne, obwohl ich es nicht darf. Es wäre falsch. Es wäre unfair ihm gegenüber. Es würde ihn in Gefahr bringen. Denn es gibt immer noch den Märchenprinzen, der, wie ich jetzt weiß, in Wirklichkeit Das Biest ist.

»Sierra«, sagt er mit einer Dringlichkeit in der Stimme, der ich nicht widerstehen zu können scheine. Ich schaue ihn an, und er fügt hinzu: »Was heute passiert ist, ist erledigt, aber wir sind es nicht.«

»Es gibt kein wir.«

»Wir arbeiten zusammen. Und um deine Frage von vorhin nach dem Gas zu beantworten, ich bin ein Ex-Navy-SEAL. Ich habe ein intensives Gas-Training absolviert, und Luke ist Blakes Bruder, mit dem ich bei den SEALs gedient habe.«

»Oh«, sage ich überrascht und verlegen. »Du warst ... aber ... du ... du bist ...«

»Tätowiert und langhaarig?«, fragt er.

»Ja, ehrlich gesagt.«

»Ein blonder, hübscher junger Amerikaner schreit nach Militär in Übersee. Da hätte ich mich gleich erschießen können.«

»Das sehe ich ein.«

»Ich nicht. Meine Augen sind am Arsch. Meine Sicht kommt und geht. Und, damit das klar ist, ich bin fähig, mit dem Zeug in den Augen und auf der Haut zu funktionieren. Das heißt nicht, dass es mir Spaß macht.« Er stößt sich von der Wand ab und schaut auf mich herunter. »Entweder, du nimmst mich mit in deine Wohnung, oder ich muss mir was zum Duschen suchen, wo ich nichts verseuche.«

»Ich lasse dich nicht irgendwo anders hingehen«, erwidere ich. »Kannst du gehen?«

»Ich kann gehen. Ich kann kämpfen, wenn es sein muss. Offensichtlich kann ich bewaffnete Mörder überleben, wenn auch keine eins sechzig große Brünette namens Sierra mit Tränengas.« Er lächelt. »Aber das ist okay. Beim nächsten Mal trifft es vielleicht nicht mich.«

»Es tut mir wirklich leid.«

»Das brauchst du nicht ständig zu sagen. Bring mich einfach zu Wasser.«

»Okay.« Ich mache kehrt und gehe los, und er ist rasch an meiner Seite. Die Straßen sind menschenleer bis auf einen Obdachlosen, der auf den Stufen einer kleinen Kirche liegt. Es weht kein Wind, es ist ein warmer Septemberabend, und ich kenne mich in New York City nicht genug aus, um zu wissen, wann sich das ändern wird. Ich weiß nur, dass ich keinen Mantel habe, der auf der Liste mit Sachen steht, die ich mir mit der Kohle in meiner Tasche kaufen muss. Wir gehen die ganzen zwei Blocks, ich rede nicht, und Asher redet auch nicht, aber ich bin mir des Mannes auf eine Weise bewusst, wie ich es, glaube ich, noch nie bei einem anderen Mann empfunden habe, nicht einmal bei meinem Märchenprinzen in einem falschen Es-war-einmal-Märchen. Aber andererseits bin ich jetzt eine andere, seit damals, als ich ihn kennenlernte, und alles mit Asher war vom ersten Moment an heute Abend ganz eng und persönlich. Ich weiß nicht genau, wie ich diese beiden Dinge zusammenbringe. Aber ich tue es tatsächlich. Er hat mich auf so viele Arten überwältigt, dass ich sie kaum zählen kann, und meistens auf gute. Und offensichtlich habe ich ihn jetzt auch überwältigt. Ich habe den Mann mit Tränengas angesprüht. Ich weiß, wie man einen dauerhaften Eindruck hinterlässt.

»Wir sind da«, sage ich und mache vor dem alten Betongebäude halt, das mich ein kleines Vermögen kostet, obwohl es ein Rattenloch ist, und das buchstäblich. »Ich sage es nicht gern«, füge ich hinzu, »aber wir müssen vier Etagen hochsteigen.« Ich gebe den Code an der Tür ein, die sich mit einem Summen öffnet, und drehe mich zu ihm um. »In meiner Wohnung sieht es ziemlich übel aus. Ich bin grade erst eingezogen und ...«

»Deine Wohnung ist mir egal, Sierra«, verspricht er, und mir fällt auf, dass er immer noch meinen Namen gebraucht und nicht irgendein beliebiges Kosewort. »Gehen wir rein«, fügt er hinzu.

Ich nicke und öffne die Tür, die er nimmt und festhält. Ich trete ein und wende mich wieder zu ihm um. »Diese Stufen, und deine Augen ...«

»Ich bin schon mit Schlimmerem als mit Treppen und unter viel schlimmeren Bedingungen zurechtgekommen.«

»Weil du ein Navy SEAL bist«, sage ich, und rede mir ein, das bedeutet, Das Biest kann ihm nichts anhaben, aber das ist nur eine Lüge, die ich glauben möchte.

»Ex-SEAL«, sagt er, ein Unterschied, der ihm wichtig zu sein scheint, und ist er mir auch. Er darf nicht von einer Mission abberufen und von einem der vielen mächtigen Leute umgebracht werden, die Dem Biest einen Gefallen schulden. Es ist eine lächerliche Art, mich zu trösten, aus offensichtlichen Gründen. Das Biest könnte es trotzdem auf ihn abgesehen haben, allein dafür, dass er in meine Richtung geschaut hat.

Bei dem Gedanken atme ich scharf ein, wende mich von Asher ab und durchquere die schmale Diele zu der engen, steilen Treppe, wo ich mit dem riskanten Aufstieg beginne, der mich Tag für Tag umbringt, aber ich denke nicht an die Schmerzen. Ich denke über Asher hinter mir nach. Darüber, wie gut es sich anfühlt, einmal mit einem der Guten zusammen zu sein, zu denen ich Asher zähle. Aber andererseits, was weiß ich schon? Meine Menschenkenntnis hat sich nicht gerade als überragend erwiesen, was ein Problem wäre, wenn ich noch eine Zukunft als klinische Psychologin hätte, die ich nicht habe. Dieser Berufswunsch und mein Praktikum bei einem weltbekannten klinischen Psychologen und Mentor ist vor neun Monaten in die Brüche und in Flammen aufgegangen, als ich mich gezwungen sah, mein Städte- und Staatenhopping zu beginnen, um am Ende hier zu landen.

Ich schiebe den Gedanken beiseite, als wir meine Etage und den winzigen Flur erreichen, die ich mit nur einem anderen Mieter teile. An meiner Tür warte ich, bis Asher bei mir ist, und öffne den Reißverschluss meiner Tasche, schnappe meinen Schlüssel und stecke ich hastig ins Schloss. Asher tritt so dicht an mich heran, dass ich spüre, wie seine Körperwärme mich umfängt. »Warte noch, ehe du reingehst, Sierra.«

Ich lasse den Schlüssel im Schloss stecken und drehe mich zu ihm um. »Angst, dass ich wieder mit Tränengas sprühe, wenn ich dich erst mal in der Falle habe?«, frage ich. Der Scherz soll die Tatsache überspielen, dass seine Nähe und die Art, wie er mit seinem wunderbar erdigen Geruch über mir aufragt, mich erschüttern.

»Tränengas hast du mir schon verpasst«, erwidert er. »Denk dir eine andere Foltermethode für mich aus, die wir beide genießen können. Wenn dir Ideen fehlen, kann ich dir gelegentlich kostenlos Nachhilfe geben. Aber im Augenblick sind meine Klamotten verseucht und deine höchstwahrscheinlich auch. Tränengas setzt sich gern fest und kann später zum Problem werden. Du musst deine Kleider ausziehen, in einen Sack stecken und duschen. Stell dich in die Duschwanne, wenn du dich ausziehst, und steck deine Sachen da in den Sack. Und ich meine alles. Deine Klamotten kannst du waschen. Aber deine Geldtasche schmeiß in den Müll.«

»Das ist meine einzige.«

»Kauf dir eine neue«, sagt er.

Das kostet Geld, denke ich, beiße mir aber auf die Zunge. »Muss das wirklich sein?«

»Das, was das Tränengas mit mir gemacht hat«, sagt er, »waren ungefähr zwanzig Prozent von dem, was die meisten Menschen spüren.«

»Das war offensichtlich ein Ja. Ich muss die Tasche ersetzen. Zuerst musst du duschen. Du bist der mit dem Brennen in den Augen und auf der Haut.«

»Wenn du mich nicht in einem Handtuch rumrennen sehen willst, muss ich auf Klamotten warten.«

»Oh.«

Er grinst, ich habe keine Ahnung, wieso ich so vernarrt in den Mund dieses Mannes bin.

»Ist das ein Ja oder ein Nein?«

Ich schaue ihn verdutzt an. »Was war die Frage?«

»Ich im Handtuch.«

»Ich gebe dir meinen rosa Bademantel. Du musst als Erster duschen, auch wenn du noch so tust, als würdest du nicht sofort Linderung brauchen.«

»Ich bin gut darin, Schmerzen zu verheimlichen, Süße, und im Moment geht's weniger um mich, als darum sicherzugehen, dass ich niemanden sonst bloßstelle.«

»Ist das ein Ja zum Bademantel?«

»Sosehr ich auch auf Rosa stehe«, antwortet er, »ich würde ihn lieber an dir sehen. Und da chemische Kontamination garantiert jede Stimmung tötet, bin ich gezwungen, weiterzumachen, auch wenn ich's lieber nicht täte. Hast du Plastiksäcke da?«

»Ja, habe ich. Unter der Spüle.«

»Gut. Geh zur Spüle. Wasch dir gründlich Hände und Arme. Du willst ja nicht, dass deine frischen Kleider auch noch verseucht werden. Dann nimm die Säcke und hol dir neue Kleider, mit so wenig Kontakt zu anderen Sachen wie möglich. Alles, was wir berühren, wird abgewischt.«

»Ich hatte keine Ahnung, dass das so eine große Sache wird.«

»So geht's den meisten. Wir sollten reingehen.«

Genau. Seine Augen. Sie sind rot, und ich sollte ihn schleunigst an Wasser kommen lassen. Trotzdem, als ich mich umdrehe und zum Türknauf greife, kann ich mich anscheinend nicht dazu überwinden, die Tür zu öffnen und die Fragen heraufzubeschwören, die, wie ich weiß, kommen werden. Asher weiß es auch. Mit einem Mal ist er noch etwas näher, als er es schon war, und legt die Hand über mir an die Tür. »Nichts in dieser Wohnung wird mich stören.«

Er irrt sich. Es wird ihn stören. Ich spüre es, aber ich kann nicht ändern, was jetzt gleich kommen wird. Ich öffne die Tür und betrete das Loch von Einzimmerwohnung, in der die Küche und der ganze Rest den einzigen Raum bilden. Die einzigen Einbauten sind ein Badezimmer und ein Wandschrank, den man kaum einen Schrank nennen kann. Hinter mir schließt sich die Tür, und der Schlüssel wird umgedreht, was mit verrät, dass nun Asher den wenigen Raum einnimmt, so groß ist er und so klein das Zimmer.

Und ich bin allein mit dem einzigen Mann, mit dem ich allein war, seit ich Das Biest verlassen habe. Ich bin allein mit dem einzigen Mann, den ich vielleicht seit noch viel länger wirklich mögen könnte, und wie passend zu meinem Dilemma ist es, dass wir mit toxischen Chemikalien bedeckt sind. Denn ich bin toxisch, und ich werde Asher keine Gelegenheit bieten, den Helden zu spielen und verletzt zu werden.

KAPITEL FÜNF

SIERRA

Dieser Moment musste kommen.

Gefasst darauf, Ashers Reaktion auf meine kleine Behausung ertragen zu müssen, drehe ich mich um und sehe, wie er mit ernster Miene das gesamte Apartment links von sich mustert. Ich schaue mich um und registriere, was er sieht: ein Doppelbett mit einfachen rosa Laken und einem einzigen Kissen, einen Schülerschreibtisch und einen Stuhl, einen kleinen Ventilator, einen Koffer in der Ecke, denn in den winzigen Wandschrank würde er nicht passen. Keine Fotos, keine Kunst, nichts Persönliches.

Er dreht sich zu mir um, und genauso schnell hat er den kleinen Abstand zwischen uns geschlossen, er ist mir wieder nahe, so ganz nahe, aber er fasst mich nicht an, und ich hasse es, wie sehr ich mich danach sehne, von ihm angefasst zu werden. »Weißt du, wie viele Fragen ich dir jetzt stellen möchte?«

»Stell sie mir nicht«, sage ich.

Mit undeutbarem Ausdruck schaut er mich eine furchtbar lange Weile scharf an. »Geh und mach sauber, Sierra«, befiehlt er.

Ich mag Befehle nicht. Von Dem Biest habe ich sie entgegengenommen, um meine Mutter zu schützen. Als ich ihn verließ, habe ich mir geschworen, ich würde von keinem Mann mehr welche entgegennehmen, und auch von sonst niemandem. In diesem Fall jedoch versucht Asher das zu tun, was ich ihm befohlen habe: Die Fragen nicht zu stellen, die er stellen möchte. Daher befolge ich diesen speziellen Befehl bereitwillig. Ich gehe zur Spüle und lasse das Wasser laufen, gebe Seife in meine Hand und schäume Blasen auf. »Ganz rein mit den Armen«, sagt er hinter mir. Bei seinem warmen Atem an meinem Hals laufen mir Schauer über den Rücken.

Ich blicke über die Schulter, und er liegt praktisch auf mir. »Musst du so da stehen?«

»Ja, ich kann mich nicht setzen. Ich kann mich nicht anlehnen, und so sehr viel Platz gibt's ja nicht.«

»So eng ist es auch wieder nicht, dass du so dichtauf stehen musst.«

»Stimmt«, sagte er.

»Und trotzdem stehst du so nah.«

»Stimmt auch. Wo hast du vor der Bar gearbeitet?«

»In einer anderen Bar«, sage ich, froh über eine Frage, die ich ehrlich beantworten kann. Ich stelle das Wasser ab, und erstaunlicherweise versteht er das als Hinweis zurückzuweichen. Ich öffne den Schrank unter der Spüle und hole die Schachtel mit den Müllsäcken heraus. Als ich mich umdrehe, bin ich eingeklemmt zwischen ihm und der Anrichte, und er riecht immer noch viel zu gut, um vernünftig zu bleiben. Ich ziehe zwei Säcke aus der Schachtel und drücke sie ihm in die Hand. »Die Spüle gehört dir.«

Er nimmt die Schachtel, rührt sich aber nicht. Seine durchdringenden grünen Augen fixieren mein Gesicht. »Weißt du, wie viele Fragen ich dir jetzt stellen möchte?«

»Hatten wir das nicht gerade?«

»Ja.«

»Sie zu wiederholen, nützt dir ungefähr genauso viel wie dein Vorschlag heute Abend, ich sollte ein paar Klamotten ausziehen und auf der Bar tanzen. Nämlich überhaupt nichts.«

»Wie lange wohnst du schon hier?«

»Das sage ich dir nicht. Ich rede mit dir überhaupt nicht über mich.« Im Wissen, dass er mich nicht anfassen wird, bis er geduscht hat, gehe ich um ihn herum und flüchte zu meinem Wandschrank. Ich öffne die hölzerne Schiebetür und nehme ein T-Shirt und eine schwarze Jogginghose von Victoria's Secret PINK heraus, die Einzige, die ich geschafft habe, quer durchs Land zu schleppen. Ich schaue mich nicht nach Asher um, aber ich spüre, dass er mich anstarrt. Ich spüre ihn in jeder einzelnen Sekunde, die ich in seiner Nähe bin, in jedem Nerv und jeder Pore meines Seins, und ich habe keine Ahnung, wie das möglich ist.

Ich gehe in das winzige Bad, schließe die Tür und mustere die winzige Dusche, die nicht mal eine Wanne hat; ich frage mich, ob Asher sich hier drinnen überhaupt bewegen kann. Ich fahre zusammen, als er an die Tür klopft. »Zieh dich in der Dusche aus, und stopf die Kleider in den Sack. Und wasch dir die Haare.«

»Ja. Okay. Verstanden. Im Kühlschrank sind Wasserflaschen, und ich habe Milch und Müsli.« Ich zucke zusammen. Milch und Müsli? Will ich ihn verführen oder nur zu verstehen geben, dass ich nichts außer Milch und Müsli im Haus habe? Wie dem auch sei, ich muss hier drinnen fertig werden, damit er sich sauber machen kann. Ich beeile mich und befolge seine Anweisungen. Eins nach dem anderen räume ich meine Tasche aus und verstaue das Geld und die paar anderen Habseligkeiten in dem kleinen Arzneischrank. Dann werfe ich die Tasche in die Dusche und trete selbst darunter. Nachdem ich mich ausgezogen habe, stopfe ich alles, was verseucht sein könnte, in den Sack und stelle fest, dass ich meine Stiefel reinigen lassen muss. Die werde ich nicht ersetzen. Sobald warmes Wasser kommt, beuge ich mich unter den Strahl und frage mich, was Asher wohl da draußen macht. Er hat gesagt, er könne sich nicht setzen. Steht er jetzt einfach in der Mitte der Küche herum?

Die Frage lässt mich nach dem billigen Shampoo in der Ecke greifen und mich beeilen. Nach fünf Minuten trockne ich mich ab. Nach ein paar weiteren habe ich meine Trainingshose an und halte mich nicht damit auf, mir die Haare zu trocknen oder mehr zu tun, als abzuwaschen, was noch von meinem Make-up übrig ist. Ich sehe furchtbar aus, was Asher abschrecken dürfte, worüber ich mich freuen sollte. Aber es freut mich nicht, und ich kann im Augenblick nicht analysieren, weshalb nicht. Ich schlucke einen Kloß aus etwa zehn Millionen Gefühlen herunter, nehme mein Handy vom Waschbeckenrand und stecke es in die Tasche, bevor ich die Tür öffne und aus dem Bad trete.

Ich komme in die Küche und sehe, dass Asher auf mich wartet, mich anschaut, und meine Lippen öffnen sich beim Anblick seiner herrlichen Nacktheit hüftaufwärts. Mir klopft das Herz. Irgendwie landet mein Blick auf seinen Bauchmuskeln, und ich stelle fest, dass Anzüge was Tolles sind und so, aber mit einem Mal weiß ich seine tiefsitzenden Jeans und die harte Arbeit zu schätzen, die es Asher gekostet haben muss, um solch ein imponierendes Waschbrett zu entwickeln. In der guten Absicht, ihm wirklich ins Gesicht zu sehen, wandert mein Blick aufwärts, und jetzt bleibt er an seinen breiten Schultern hängen, wo jeder Muskel, und davon gibt es viele, mit bunter Tinte gezeichnet ist, die bis hinunter zu den Handgelenken wandert. Das Kunstwerk ist eine offene Einladung, seinen Körper eingehend zu erkunden. Abzuküssen. Abzulecken? Nicht, dass ich diesen Mann je im Leben ablecken werde.

Ich darf nicht mit ihm zusammen sein. Ich darf mit niemandem zusammen sein.

Diese harte, kalte Wirklichkeit lässt mich zusammenzucken, und mein Blick hebt sich und trifft auf seinen. »Hi«, sage ich, weil mir nichts Brillanteres einfällt. Ich habe gerade den Körper eines Mannes angestarrt.

Er lacht. »Hi. Ich musste mein Hemd ausziehen. Meine Haut ...«

»Ist wunderschön«, sage ich, entsetzt, dass die Worte aus meinem Mund kommen. »Deine Tattoos, ich meine, dabei gefallen mir Tattoos überhaupt nicht.«

»Aber meine gefallen dir.«

Was mache ich da? »Darauf werde ich nicht antworten.« Ich bin mir nicht sicher, was ich mit diesem Mann gerade mache. »Die Dusche gehört dir.«