Tanz mit mir, Aurelia - Titus Müller - E-Book

Tanz mit mir, Aurelia E-Book

Titus Müller

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Beschreibung

London, 1647: Es ist die Blütezeit des strengen Puritanismus. Dessen Anführer Oliver Cromwell lässt sogar das Weihnachtsfest verbieten, mit der Begründung, es sei mit heidnischen Bräuchen vermischt und daher unbiblisch. Auch der junge John ist ein Puritaner. Sein Vater starb an Trunksucht, und von seinen Zieheltern hat er gelernt, dass ein gottgefälliges Leben aus Entsagung und Disziplin besteht. Er ist fest entschlossen, alles zu tun, um nicht das Schicksal seines Vaters zu teilen. Doch dann begegnet er der wunderschönen, lebenslustigen Aurelia Fox, und seine Welt gerät ins Wanken. Könnte Aurelia recht haben, und Gott ist auch in Schönheit, Freude und Musik zu finden? Und Aurelia versteht durch John, dass die fromme Ehrfurcht der Puritaner eine wichtige Facette Gottes lebendig werden lässt. So beginnen die beiden, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Doch ihrer jungen Liebe droht Gefahr: Aurelias Familie bereitet heimlich einen Weihnachtsgottesdienst vor, obwohl darauf laut Gesetz schwere Gefängnisstrafen drohen. Und dann bekommt Johns strenger Ziehvater Wind davon ...

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Inhalt

John

Aurelia

John

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John

Aurelia

John

Aurelia

John

Aurelia

John

Aurelia

John

Aurelia

John

Aurelia

John

Aurelia

John

Aurelia

Zum historischen Hintergrund

John

Zum ersten Mal sah ich sie Anfang Dezember. Ich kam aus dem Haus des Saitenmachers. Er bezahlt gut, aber ich gehe nicht gern hin. Der Saitenmacher und seine Lehrlinge verfertigen aus dem Darm von Schafen dünne Stränge, die auf Violinen und Cellos gespannt werden oder Spinnräder und andere kleine Maschinen wie Bohrer oder Drehbänke antreiben. Dazu schaben sie den Darm mit stumpfen Messern ab und waschen ihn in Pottaschelauge aus, um das Fett abzulösen. Aus der Werkstatt dringt immer ein grausiger Gestank von Fäulnis.

Ich freute mich auf die Erholung danach: den Besuch beim Graveur, einem neuen Kunden, auf dessen Haus ich neugierig war. Seine Frau hatte mich an der öffentlichen Wasserpumpe in Cornhill angesprochen, anscheinend waren sie mit ihrem bisherigen Wasserträger nicht zufrieden.

Das Wasser schwappte über, als ich beim Graveur die Eimer absetzte. Ich entschuldigte mich. Aber es war nur eine Dienstmagd in der Küche, groß gewachsen und dürr, die mich neugierig musterte. Die Regale und Küchenschränke waren mit blauem Papier ausgelegt, wie in vielen Küchen, weil man davon ausgeht, dass Fliegen kein Blau mögen, sicher hatten sie hier im Sommer auch blaue Blumen in den Küchenfenstern. Feuerschein spiegelte sich im polierten Kupfer der Töpfe.

»Du bist neu«, sagte sie. Ihr Gesicht glänzte von Schweiß. Sie sah aus wie dreißig, war aber bestimmt jünger; harte Arbeit gibt Menschen häufig ein verbrauchtes Aussehen. Hinter ihr köchelte Eintopf im Kessel. Es duftete verführerisch. Sie trocknete sich die Hände an der Schürze ab.

»Ich bringe jetzt immer das Wasser«, sagte ich. »Hat die Herrin nicht Bescheid gegeben?«

»Die Herrin kümmert sich hier nicht um viel.«

»Aber sie hat mich herbestellt.«

»Kann schon sein.« Sie nahm den ersten meiner Eimer und entleerte ihn in einen hohen Krug. Auf den zweiten deutete sie bloß und sagte: »In die Zisterne draußen.«

»Sei doch froh«, sagte ich und hob den vollen Eimer an, »so hast du weniger Ärger hier.«

Sie verzog abschätzig den Mund. »Tja, aber ich krieg bloß drei Pfund im Jahr. Wie ein einfaches Stubenmädchen.«

Ich trug den Eimer hinaus. Der Hinterausgang mündete in einen kleinen Garten. Jetzt im Herbst war er braun und grau, doch schon der windschiefe Zaun, hinter dem die Beete der Nachbarn begannen, verzauberte mich. Ein Garten, mitten in der Stadt. Ohne lästige Hühner, die alles zu Schlamm zerscharrten.

Ich entleerte den Eimer in die Zisterne, kehrte in die Küche zurück und sagte: »Ich werde gleich in die Hand bezahlt.« Hier würde ich auf keinen Fall Rückstände akzeptieren.

Die Hagere schüttelte den Kopf. »Von mir kriegst du nichts. Am Ende ziehen sie es mir vom Lohn ab.«

»Ihr seid nicht gerade um die Ecke von Cornhill.« Ich zeigte ihr die roten Henkelstriemen an meinen Fingern. »Umsonst hab ich den Weg nicht gemacht.«

»Wenn dich die Herrin beauftragt hat, soll sie dich auch bezahlen. Geh hoch und rede selbst mit ihr.«

Unschlüssig stand ich da. Wenn ich aufdringlich erschien, verlor ich womöglich den Auftrag. Es konnte klug sein, die erste Woche das Wasser zu bringen, ohne nach dem Lohn zu fragen, und erst nächste Woche nachzuhaken.

Andererseits weckte ich damit womöglich den Eindruck, dass man bei mir sparen konnte, was mir in diesem Haus nicht ratsam schien. Ich sagte: »Die Eimer lass ich kurz bei dir.«

Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sie während unseres ganzen Wortwechsels nicht ein einziges Mal die Arbeit unterbrochen hatte, kniete sie jetzt neben der Feuerstelle und schichtete Holz auf.

Ich stellte die Eimer ab, spuckte in die Hand und fuhr mir durch das Haar, um es zu bändigen. Dann stieg ich die Treppe hoch.

In der Wohnung lagen Teppiche auf dem Holzboden. Ein Virginal, ein kleines Cembalo, wirkte wie ein bizarres Möbelstück aus einer zukünftigen Zeit. Auf einem frei an der Wand angebrachtem Hängeregal standen Bücher. Jeder Schritt auf den weichen Teppichen kam mir verboten vor. Ich rief leise. Niemand antwortete.

Ein Gemälde an der Wand zeigte die Brücke über die Themse und einen Teil Londons. Ich hörte einen eigenartigen Schrei und erstarrte. Eine Weile wagte ich nicht, zu atmen. Dann fragte ich leise: »Brauchen Sie Hilfe?«

Ich schlich in den nächsten Raum und sah mich einem vergoldeten Käfig gegenüber, der mir von der Hüfte bis über den Kopf reichte. Darin saß ein kobaltblauer Vogel mit gewaltigem gebogenem Schnabel und einem grellgelben Strich um die Augen. Er spreizte die Flügel, öffnete den Schnabel und krächzte schrill.

Verunsichert wich ich einen Schritt zurück.

Eine Stimme hinter mir sagte: »Gleich wird er die Käfigtür aufstoßen und Jagd auf dich machen.«

Ich drehte mich um und sah mich einer jungen Frau gegenüber. Ihre schneeblauen Augen blitzten spöttisch. Das Gesicht war blass, die Haut fein wie die einer Prinzessin, der Mund rot wie Himbeeren. Braunes, leicht gelocktes Haar fiel ihr auf die Schultern. Sie war vollkommen ungeschminkt, was mich überraschte, und dabei auf unaufdringliche Weise hübsch.

»Ich hab Wasser hergetragen«, sagte ich. »Dafür hätte ich gern einen Farthing.«

»Das Wasser gab es doch umsonst an der Pumpe.«

»Wenn mich keiner bezahlt, komm ich morgen nicht wieder.«

Sie wandte sich zum Tisch um, zog die Schublade heraus und entnahm ihr eine kleine Blechdose. Die öffnete sie und reichte mir einen Viertelpfennig.

Als ich die Münze nahm, berührten mich leicht ihre Fingerspitzen.

Sie räumte die Blechdose weg. »Lass dir nicht einfallen, uns zu bestehlen.«

So dachte sie von mir? »Gott würde es sehen«, beeilte ich mich zu sagen.

Sie lachte hell auf. Bevor sie ging, drehte sie sich noch einmal zu mir um und knickste, als wäre ich ein hochgestellter Mann und sie ein kleines Mädchen. Im Fortgehen, sie war schon im Nebenzimmer, hörte ich sie sagen: »Es gibt viele, die das wenig kümmert.«

Mit weichen Knien stieg ich die Treppe hinunter. Das Dienstmädchen war dazu übergegangen, Silberbesteck zu waschen. Es nahm gerade einen Silberlöffel aus der Schüssel mit grauem Seifenwasser und begann, mit etwas Salz und Essig die Flecken darauf wegzurubbeln. Ich sah zu. In Gedanken war ich noch im Obergeschoss.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte sie.

»Ich überlege.«

»Wie du an dein Geld kommst?«

»Nein. Ich wurde bezahlt.«

Verblüfft blickte sie auf. »Das ging leicht.«

Ich nickte.

Sie rieb den Löffel mit einer mattweißen Paste von Kalk und Essig ein und legte ihn ans Feuer, damit die Paste trocknete. Von dort nahm sie einen anderen, der bereits getrocknet war, um ihn mit einem warmen Leinentuch zu polieren. »Was überlegst du dann?« Das Silber blinkte im Feuerschein.

»Der Vogel da oben, über den denke ich nach.« In Wahrheit fragte ich mich, ob ich lieber absagen und nicht wieder herkommen sollte. So etwas konnte nicht gut enden.

»Ein Papagei aus Brasilien. Als gäb’s nicht genug Münder zu füllen.«

Das Gespräch mit der Dienstmagd interessierte mich plötzlich, weil sie die Dienstmagd der jungen Frau da oben war. Ich fühlte körperlich die Schritte des Mädchens im Obergeschoss. So süß konnte also der Weg zur Hölle sein.

»Ich bin Betty«, sagte die Dienstmagd.

Sie musste missverstanden haben, dass ich noch geblieben war. »John«, sagte ich.

Ließ sich die Sache nicht auch als Übung verstehen? So wie meine Arme kräftiger wurden mit jedem Jahr, das ich als Wasserträger arbeitete, würde auch meine Fähigkeit wachsen, der Sünde zu widerstehen, wenn ich mich an den Begegnungen mit dem Mädchen im Obergeschoss schulte.

Ein jämmerlicher Versuch, mir die Sache zurechtzubiegen.

Betty lächelte mich an. Ihre Zähne standen schief, aber das Lächeln war warm und herzlich. »Du bist eigenartig. Das gefällt mir.«

Als ich am nächsten Tag mit den Wassereimern kam, drang aus dem Haus Musik: sanfte, feine Klänge, von vielen Saiten gezupft.

»Aurelia spielt das Virginal«, begrüßte mich Betty. »Hübsch anzuhören, oder?«

Ich schüttete den einen Eimer in den Krug und schleppte den anderen nach draußen und ließ auf dem Weg beiläufig fallen: »Wer ist das, Aurelia?«

»Die Tochter des Hauses.«

Der Name sank in mich ein wie geschmolzenes Gold und legte sich um meine brennenden Eingeweide. Ich entleerte den Eimer, dann fragte ich Betty nach dem Farthing.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Die junge Herrin wollte mir kein Geld für dich geben.«

Da. Es begann. Zweifellos war sich Aurelia ihrer Wirkung auf mich bewusst. Jetzt wollte sie mich zu ihrem Bewunderer machen, ich sollte ihr Gespiele werden, und die Wahrheit war, sie hätte mich in der Hand, wie Wachs wäre ich für sie. Das würde sie genießen, um sich dann in Kürze meiner wieder zu entledigen. »Ich geh da nicht hoch«, sagte ich. Dann bekam ich den Lohn eben morgen. Ich verließ das Haus. Auf der Straße hielt ich den Kopf aufrecht, auch wenn die Klänge des Virginals aus dem Haus leise nach mir riefen.

Aurelia

OMistris Myne« und die Fantasia in C von William Byrd machten ihr heute besondere Freude. Sie spielte »The Maydens Song« und anschließend einen Tanz, den Byrd »Hornpipe« genannt hatte, dann nahm sie die Finger von den Tasten und lauschte. War der Wasserträger immer noch nicht gekommen? Oder wagte er sich nur nicht nach oben?

Sie spielte eine kleine Melodie, dann ließ sie das Instrument schweigen und sah zum Fenster. Gedankenverloren strich sie mit den Fingern über die glatt geschliffenen Tasten aus Tierknochen. Was wollte sie denn von dem Burschen? Ein Unsinn war das.

Mit einem Seufzer stand sie auf und schloss den Deckel des Virginals. Als sie die Treppe hinunterkam, warf ihr das Dienstmädchen einen schwer zu deutenden Blick zu. Sie ignorierte ihn und öffnete leise die Tür zu Vaters Werkstatt.

Vater hob nicht den Kopf an seiner Werkbank, er kannte die leisen Schritte seiner Tochter, unzählige Male hatte sie sich zu ihm hineingeschlichen, früher als kleines Mädchen, nun als Erwachsene. Aurelia spürte die Andacht, mit der er sich seiner Arbeit widmete. Ach, in den glücklichen Jahren, wie herrlich war es gewesen, wenn er über dem Wappen einer Stadt oder einer berühmten Universität gesessen hatte, wenn er das Siegel einer bischöflichen Kanzlei schnitt oder die Römischen Zahlen auf das Zifferblatt einer Uhr stach. Diese Zärtlichkeit, mit der Vater die Radiernadel hielt und eine Zeichnung in ein Werkstück ritzte, wie er mit dem schlanken Grabstichel behutsam den Span aus der goldenen Fläche heraushob und anschließend den scharfen Grat mit einem Schaber entfernte! Er liebte jedes Werkstück, er behandelte es mit einer Hingabe und Sorgfalt, dass es eine Freude war, ihm zuzusehen.

Aber solche Aufträge waren selten geworden. Woran arbeitete er heute? Sie spähte ihm über die Schulter. Entzückt sah sie, dass er eine Säbelklinge mit einem Sternenhimmel verzierte. »Ist das ein Auftrag?«

»Eine Fingerübung. Ich will nicht aus der Übung geraten.«

Eine Fingerübung bloß. Neben ihm auf der Werkbank lag ein kleines Häuflein Mantelknöpfe aus Horn. »Und die da?«

Er schüttelte den Kopf. »Eine gelangweilte Viehhändlersgattin hat ein paar geschmacklose Ornamente aufs Papier geworfen, mit denen ich die Knöpfe verzieren soll.«

Früher hätte er würdelose Aufgaben wie diese an einen Lehrling delegiert. Aber er hatte keine Lehrlinge mehr. Vater schuf Vögel, Schiffe, Bäume; er sah einem Menschen ins Gesicht und brachte das Antlitz mit einem Diamantschreiber auf Glas. Seine Gold- und Silberarbeiten waren berühmt gewesen, er machte aus einem blanken Stück Metall ein bezauberndes Kunstwerk.

»Ihr müsst wieder einmal aus dem Haus gehen«, sagte sie. »Nehmt Euch eine Leihkutsche zum Hyde Park. Die Herbstluft dort ist herrlich.«

Schweigend arbeitete er weiter und sagte schließlich: »Glaubst du, ich habe Lust, mir die Scheiben der Kutsche mit Steinen einwerfen zu lassen? Ich habe nicht das Geld, sie zu ersetzen.«

»Dann nehmt eben eine kleine Droschke ohne Scheiben.«

»Und was, wenn der Kutscher mit denen gemeinsame Sache macht? Wenn er mich in eine dunkle Gasse fährt und dort verprügeln sie mich?«

Der Einwand war nicht von der Hand zu weisen. Seit man ihnen zweimal die Auslagen auf dem Ladentisch zertrümmert hatte, öffnete Vater die Werkstatt nicht mehr, er ließ die Bretterwand geschlossen, die man an Scharnieren hoch- und hinunterklappte, um einen Auslagentisch am Straßenrand zu formen.

»Aber Ihr könnt Euch nicht für den Rest Eures Lebens hier verstecken.«

»Das Leben, das ich geführt habe, gibt es nicht mehr. Der König ist ein Gefangener in Hampton Court. Wer es nicht mehr ins Ausland geschafft hat von unseren Freunden, sitzt in Ketten im Tower oder in Newgate. Und die paar wenigen, die unentdeckt in London leben, müssen sich versteckt halten wie ich. Wen sollte ich also besuchen?«

»Es muss ja nicht für immer so bleiben.«

»Cromwells Armee ist stark, Aurelia. Eine spanische Invasion, die den König rettet, kann ich mir nicht wünschen, das gäbe nur ein weiteres furchtbares Blutvergießen. Und die Schotten werden ihn auch nicht wieder auf den Thron setzen. Das Zeitalter der englischen Könige ist vorbei. Eine barbarische Zeit ist angebrochen.«

Wenn Vaters traurige, samtmatte Augen doch wieder mit Leben erfüllt wären! Sie sah es, er war am Ende. Der Krieg hatte seine Welt zerstört und die neue Welt wollte ihn nicht haben. Niemand verlangte nach kunstvollen Gravuren, die Puritaner hielten ihre Taschenuhren schlicht, ein lederüberzogenes Gehäuse war bereits das Äußerste. Verzierte Geldbörsen, Siegelringe, Kistchen und Spiegelfassungen waren nicht mehr gefragt – keiner wollte dabei ertappt werden, sich an irdischen Genüssen zu erfreuen.

Stumm legte sie ihm die Hand auf den Arm. Er legte seine Hand auf ihre.

»Ich lege Euch noch ein paar Scheite auf«, sagte sie. »Ihr sollt nicht frieren bei der Arbeit.«

»Das ist lieb gemeint von dir, aber ich will das Holz sparen. Wir werden auf Seekohle umsteigen müssen. Je länger ich hier noch ohne den Kohlestaub arbeiten kann, desto besser.«

Es würde ein langer, dunkler Winter werden. Sie seufzte. »Ist schon recht, Vater.«

Nichts war recht. Sie musste etwas unternehmen. Irgendwie musste es ihr gelingen, die Freude in Vater wieder aufzutauen, die in seiner Brust gefroren war.

John

Ich wappnete mich innerlich, bevor ich nach oben ging, um mir meinen Lohn abzuholen. Als mir Aurelia den Farthing gab, schaffte ich es sogar, Abneigung ihr gegenüber zu empfinden. Ich hielt mir den Wohlstand der Familie vor Augen, der sicher nicht rechtmäßig erworben war. Tausende litten Hunger in London. Die Folgen des Krieges waren überall zu spüren: Waisen und Halbwaisen standen bettelnd am Straßenrand und froren, junge Kerle wie ich heuerten aus Verzweiflung wegen ihres ständig knurrenden Magens auf Schiffen an, alte Mütterchen waren tagaus, tagein dem fauligen Rauch der Seifenmacher und Leimkocher ausgesetzt. Mancher Handwerksmeister musste, um seiner hungernden Familie etwas zu essen zu kaufen, Teile seines Werkzeugs ins Leihhaus bringen, in der Hoffnung, dass er es später wieder auslösen konnte, mit einem Zins von sechs Prozent und mehr.

Der Graveur und seine hübsche Tochter verschlossen die Augen davor, dass wir die drittgrößte Stadt der Welt hinter Paris und Konstantinopel waren, dreihunderttausend Menschen in einem dichten Häusermeer, und die Bewohner darin nicht länger satt kriegten. Eine neue gesetzliche Verordnung verlangte, dass man seinen Müll mittwochs und samstags in Körben vor die Tür stellte, damit die Armen ihn durchsuchen konnten. Ich selbst hatte in schwachen Stunden schon in den Abfällen anderer Leute gewühlt.

Mit Wut im Bauch verließ ich Aurelias Haus und kehrte nach Cornhill zurück, um mit meinen leeren Eimern anzustehen hinter einfachen Leuten und anderen Wasserverkäufern. Das Dach der öffentlichen Wasserpumpe war nicht bloß die Schutzhülle für die Steigrohre, es beschirmte einen regelrechten Versammlungsort.

Ich beschloss, meine übliche Runde zu ändern und als Nächstes zu Eleanor zu gehen, als Widerpart zu Aurelia. Zwei Kunden habe ich, denen erlasse ich das Geld. Eleanor ist uralt, sie könnte unmöglich selbst das Wasser in ihr Haus schleppen, und bezahlen kann sie mich auch nicht. Sie schafft mit Mühe und der Unterstützung der Nachbarn die Jahresmiete. Manchmal glaube ich, sie ernährt sich bloß von Luft und Erinnerungen. Ab und zu wird eine Schale Grütze dabei sein, aber ein Leben ist das nicht mehr.