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Los Angeles, 1948: Easy Rawlins, ein afroamerikanischer Kriegsveteran, hat gerade seinen Job in einer Rüstungsfabrik verloren. Er fürchtet, ohne Einkommen nun auch sein Haus im Süden von Los Angeles verkaufen zu müssen. Als in der Bar eines Freundes ein Mann namens DeWitt Albright auftaucht und ihm einen Job anbietet, zögert Easy Rawlins nicht lange. DeWitt Albright bietet ihm hundert Dollar, wenn er die untergetauchte Daphne Monet ausfindig macht, die ihre Zeit am liebsten in den Jazzclubs der Stadt verbringt. Rawlins macht sich auf die Suche nach der geheimnisvollen Frau, nicht ahnend, dass er in eine politische Affäre und in mehr als nur einen Mord verwickelt sein wird.
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Seitenzahl: 290
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Walter Mosley
Teufel in Blau
Ein Fall für Easy Rawlins
Aus dem amerikanischen Englisch von Thomas Mohr
Kampa
Für Joy Kellman, Frederic Tuten
und LeRoy Mosley
Ich war erstaunt, als ich sah, dass ein Weißer in Joppys Bar marschiert kam. Er war nämlich nicht nur weiß, sondern trug auch noch einen Anzug und ein Hemd aus schmuddelig-weißem Leinen, einen Panamahut und helle Stenzschuhe über blitzweißen Seidensocken. Seine Haut war glatt und blass mit nur wenigen Sommersprossen. Ein kleines Büschel rotblonder Haare lugte unter seiner Hutkrempe hervor. Am Eingang blieb er stehen, seine riesige Gestalt füllte den Türrahmen, und er betrachtete den Raum mit blassen Augen: Solch eine Farbe hatte ich in den Augen eines Mannes noch nie gesehen. Als er mich ansah, überkam mich ein Gefühl der Angst, das allerdings rasch wieder verebbte, 1948 war ich an Weiße nämlich schon gewöhnt.
Ich hatte fünf Jahre mit Weißen – Männern und Frauen – hinter mir, von Afrika nach Italien, über Paris und wieder zurück. Ich hatte mit ihnen gegessen und geschlafen, und ich hatte genügend blauäugige junge Männer getötet, um zu wissen, dass sie genauso große Angst vor dem Sterben hatten wie ich.
Der Weiße lächelte mich an, dann ging er an den Tresen, wo Joppy mit einem dreckigen Lappen über die Marmorplatte wischte. Sie schüttelten sich die Hand und begrüßten sich wie alte Freunde.
Außerdem erstaunte mich, dass er Joppy nervös machte. Joppy war ein zäher Ex-Schwergewichtler, der sich am wohlsten fühlte, wenn er sich im Ring oder auf der Straße prügeln konnte, aber er zog den Kopf ein und lächelte den Weißen an wie ein vom Glück verlassener Vertreter.
Ich legte einen Dollar auf den Tresen und wollte gerade gehen, aber noch bevor ich vom Hocker runter war, drehte Joppy sich zu mir um und winkte mich zu ihnen.
»Komm ma hier rüber, Easy. Ich hab hier wen, den wollt ich dir ma vorstelln.«
Ich konnte diese blassen Augen förmlich spüren.
»Das hier issen alter Freund von mir, Easy. Mr. Albright.«
»Nennen Sie mich ruhig DeWitt, Easy«, sagte der Weiße. Sein Griff war fest, aber schlüpfrig, wie eine Schlange, die sich um meine Hand ringelte.
»Hallo«, sagte ich.
»Ja, Easy«, fuhr Joppy fort, buckelnd und grinsend. »Mr. Albright und ich kennen uns schon ewig. Weißte, er is wahrscheint’s mein ältester Freund in L.A. Ja, wir kenn uns seit ewig.«
»So isses«, sagte Albright und lächelte. »Muss wohl 1935 gewesen sein, wie ich Jop kennengelernt hab. Wie lang ist das jetzt? Müssen wohl dreizehn Jahre sein. Das war damals vorm Krieg, wie noch nicht jeder Hinterwäldler mit Kind und Kegel nach L.A. wollte.«
Joppy lachte schallend über den Witz; ich lächelte höflich. Ich überlegte, was Joppy mit dem Mann wohl zu tun hatte, und außerdem überlegte ich, was der Mann wohl mit mir zu tun haben könnte.
»Wo sind Sie her, Easy?«, fragte Mr. Albright.
»Houston.«
»Houston, das ist doch ’n hübsches Städtchen. Ich fahr ab und an mal da runter, geschäftlich.« Er lächelte kurz. Er hatte alle Zeit der Welt. »Was treiben Sie denn hier so?«
Aus der Nähe hatten seine Augen die Farbe von Rotkehlcheneiern; matt und stumpf.
»Bis vor zwei Tagen hat er bei Champion Aircraft gearbeitet«, sagte Joppy, als ich keine Antwort gab. »Die hamm ihn vor die Tür gesetzt.«
Mr. Albright verzog seine rosigen Lippen, um sein Missfallen zu demonstrieren. »Das nenn ich Pech. Wissen Sie, diese großen Firmen scheren sich doch einen Dreck um Sie. Wenn’s mit den Finanzen mal ein bisschen hapert, werden gleich zehn Familienväter entlassen. Haben Sie Familie, Easy?« Er dehnte die Worte beim Sprechen ein wenig, wie ein wohlhabender Gentleman aus dem Süden.
»Nein, ich hab bloß mich, das ist alles«, sagte ich.
»Aber das wissen die nicht. Wenn’s nach denen geht, könnten Sie genauso gut zehn Kinder haben, das nächste ist schon unterwegs, und die würden Sie trotzdem entlassen.«
»So isses!«, brüllte Joppy. Seine Stimme klang wie ein Regiment Soldaten, das durch eine Kiesgrube marschiert. »Die Leute, den wo die großen Firmen gehörn, die gehn doch gar nich erst zur Arbeit, die greifen bloß zum Hörer und frahng nach, was ihre Moneten machen. Und wennse keine anständige Antwort kriegen, kannste ein drauf lassen, dass demnächst paar Köppe rollen.«
Mr. Albright lachte und knuffte Joppy in den Arm. »Wieso machst du uns nicht was zu trinken, Joppy? Ich nehm Scotch. Womit kann ich Ihnen eine Freude machen, Easy?«
»Das Übliche?«, fragte mich Joppy.
»Klar.«
Als Joppy abrückte, drehte Mr. Albright sich um und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Das machte er alle paar Minuten, drehte sich leicht zur Seite und hielt plötzlich inne, um nachzusehen, ob sich irgendwas verändert hatte. Viel zu sehen gab es allerdings nicht. Joppys Bar war ein kleiner Laden im ersten Stock des Lagerhauses einer Schlachterei. Normalerweise waren die schwarzen Schlachter die einzigen Kunden, aber es war so früh am Nachmittag, dass sie wohl noch schwer am Schuften waren.
Der Geruch von verfaultem Fleisch drang bis in die letzte Ecke des Gebäudes; es gab nur wenige Menschen, von den Schlachtern einmal abgesehen, deren Magen es verkraftete, in Joppys Bar zu sitzen.
Joppy brachte Mr. Albrights Scotch und für mich einen Bourbon. Er stellte beides hin und sagte: »Mr. Albright sucht wen, der ’n klein Auftrach für ihn erledicht, Easy. Ich hab ihm verklickert, dass du aufer Straße sitzt und außerdem ’ne Hypothek zu zahlen hast.«
»Schlimme Geschichte.« Mr. Albright schüttelte erneut den Kopf. »Diese fetten Bonzen merken’s doch gar nicht, ist denen doch völlig schnuppe, wenn ein Arbeiter mal versucht, was aus sich zu machen.«
»Und wissense, Easy will immer noch höher raus. Grad hat er auf der Abendschule sein High-School-Abschluss gemacht, und jetz droht er mittem College.«
Joppy wischte beim Sprechen über den Marmortresen. »Und er issen Kriegsheld, Mr. Albright. Easy is mit Patton losgezonng. Freiwillich! Der hat man genuch Blut gesehn, da könnse sich drauf verlassen.«
»Tatsache?«, sagte Albright. Er zeigte sich nicht beeindruckt. »Warum setzen wir uns eigentlich nicht, Easy? Da drüben am Fenster.«
Joppys Fenster waren so dreckig, dass man nicht auf die 103rd Street raussehen konnte. Aber wenn man an einem kleinen Kirschbaumtisch in der Nähe saß, kam man wenigstens in den Genuss eines schwachen Schimmers Tageslicht.
»Sie haben also ’ne Hypothek abzuzahlen, hä, Easy? Das Einzige, was noch schlimmer ist als eine große Firma, ist die Bank. Die wollen am Ersten ihr Geld, und wenn du nicht rechtzeitig zahlst, rennt dir am Zweiten der Marshal die Bude ein.«
»Was haben meine Angelegenheiten mit Ihnen zu tun, Mr. Albright? Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich hab Sie erst vor fünf Minuten kennengelernt, und jetzt wollen Sie über alles haargenau Bescheid wissen.«
»Na ja, ich dachte, Joppy hätte gesagt, Sie brauchen Arbeit, oder Ihr Haus ist weg.«
»Was hat das mit Ihnen zu tun?«
»Ich könnte jemand mit spitzen Ohren und scharfen Augen gebrauchen, der einen kleinen Auftrag für mich erledigt, Easy.«
»Und in welcher Branche arbeiten Sie?«, fragte ich. Ich hätte aufstehen und verschwinden sollen, aber was meine Hypothek anging, hatte er recht. Und was die Banken anging, hatte er genauso recht.
»Als ich noch in Georgia gelebt hab, da war ich Anwalt. Aber jetzt bin ich auch bloß einer von denen, die Freunden und Freunden von Freunden Gefälligkeiten erweisen.«
»Was für Gefälligkeiten?«
»Ich weiß nicht, Easy.« Er zuckte mit seinen breiten weißen Schultern. »Was gerade so ansteht. Sagen wir, Sie wollen jemand eine Nachricht zukommen lassen, aber es käm Ihnen, äh, ein wenig ungelegen, das persönlich zu erledigen; na ja, dann melden Sie sich bei mir, und ich übernehme das. Verstehen Sie, ich übernehme alles, worum ich gebeten werde, das weiß jeder, deswegen hab ich auch immer alle Hände voll zu tun. Und manchmal brauch ich jemand, der mir bei einem Auftrag ein bisschen unter die Arme greift. Und da kommen dann Sie ins Spiel.«
»Und wieso?«, fragte ich. Während er sprach, kam mir langsam zu Bewusstsein, dass Albright einem Freund aus Texas sehr ähnlich war – er hieß Raymond Alexander, aber wir nannten ihn immer Mouse. Schon der Gedanke an Mouse machte mich ganz kribbelig.
»Ich muss jemand finden, und ich könnte bei der Suche ein bisschen Hilfe gebrauchen.«
»Und wen wollen Sie …«
»Easy«, fuhr er dazwischen. »Ich sehe schon, Sie sind ein kluger Bursche und haben eine Menge guter Fragen. Und ich würd mich gern näher drüber unterhalten, aber doch nicht hier.« Aus seiner Hemdtasche zog er eine weiße Karte und einen weiß emaillierten Füllfederhalter. Er kritzelte etwas auf die Karte und reichte sie mir dann.
»Reden Sie mal mit Joppy, und wenn Sie’s probieren wollen, kommen Sie heute Abend irgendwann nach sieben in mein Büro.«
Er leerte sein Glas, schenkte mir noch ein Lächeln, stand auf und strich seine Manschetten glatt. Er schob sich den Panamahut in den Nacken und verabschiedete sich von Joppy, der ihm vom Tresen aus zuwinkte und grinste. Dann schlenderte Mr. DeWitt Albright aus Joppys Bar wie ein Stammkunde, der nach seinem Nachmittagsschnäpschen nach Hause geht.
Auf die Karte war in geschwungenen Lettern sein Name gedruckt. Darunter stand die Adresse, die er hingeschmiert hatte. Es war eine Adresse in der Stadt; von Watts aus eine lange Fahrt.
Mir fiel auf, dass Mr. DeWitt Albright die Drinks, die er bestellte, nicht bezahlte. Joppy hatte es mit dem Kassieren allerdings nicht sonderlich eilig.
Woher kennsten den Lackaffen?«, fragte ich Joppy.
»Den hab ich kenngelernt, wie ich noch im Ring gestanden bin. Hat er doch gesacht, vorm Krieg.«
Joppy stand noch immer hinterm Tresen, beugte sich über seinen feisten Wanst und polierte den Marmor. Sein Onkel, selbst Barbesitzer, war zehn Jahre zuvor in Houston gestorben, gerade als Joppy beschlossen hatte, die Boxhandschuhe endgültig an den Nagel zu hängen. Joppy ist damals die ganze Strecke bis nach Hause gefahren, nur um den Marmortresen zu kriegen. Die Schlachter waren damit einverstanden, dass er oben seinen Laden aufmachte, und dann hatte er nur noch daran gedacht, wie er an die Marmorplatte käme. Joppy war ein abergläubischer Mensch. Er dachte, dass er nur dann Erfolg haben könnte, wenn er ein Stück seines Onkels, der ohne Frage Erfolg gehabt hatte, in seinem Laden hätte. Jede freie Minute verbrachte Joppy damit, seinen Tresen zu wienern und zu wichsen. An seinem Tresen wurde nicht randaliert, und wenn man mal einen Bierkrug oder irgendwas Schweres fallen ließ, war er in null Komma nix zur Stelle und suchte nach Splittern.
Joppy war kräftig gebaut, ein Mann von fast fünfzig Jahren. Seine Hände sahen aus wie schwarze Baseballhandschuhe, und ich hab ihn nie in Hemdsärmeln gesehen, deren Nähte sich nicht über seinem prallen Bizeps gespannt hätten. Sein Gesicht war vernarbt von all den Prügeln, die er im Ring bezogen hatte; das Fleisch um seine dicken Lippen war schorfig, und über seinem rechten Auge war ein Knoten, der immer rot und roh aussah.
In seiner Zeit als Boxer hatte Joppy nur mäßigen Erfolg gehabt. 1932 stand er auf der Rangliste an siebter Stelle, aber was die Leute anzog, war die Gewalt, die er mit in den Ring brachte. Joppy kam raus und schwang wie wild die Fäuste, steckte alles ein, was seine Gegner nur austeilen konnten. In seinen besten Jahren konnte niemand Joppy auf die Bretter legen, und auch später ging er immer über die volle Rundenzahl.
»Hat er was mit der Boxerei zu tun?«, fragte ich.
»Wo immer es paar Kröten zu holen gibt, fährt Mr. Albright die Krallen aus«, sagte Joppy. »Und es is ihm auch ziemlich schnuppe, ob an den Kröten schon ma ’n bisschen Dreck klebt oder so.«
»Dann hast du mich mit ’nem Gangster verkuppelt?«
»Der is doch kein Gangster, Ease. Mr. Albright is schlicht und einfach ’n Typ, der überall seine Pfoten drin hat, das is alles. Der is Geschäftsmann, und weißte, wennde Geschäfte machst und Hemden verscherbelst, und so ’n Bursche kommt an mit ner Schachtel und sacht, die is vom Laster gefallen, tschä … dann gibste dem Burschen einfach paar Dollar und kuckst woanders hin.« Er fuchtelte mit seinem Baseballhandschuh vor mir herum. »So läuft das nu ma.«
Joppy wienerte eine Stelle von seinem Tresen, bis sie blitzblank war, abgesehen von dem Dreck, der in den Rissen klumpte. Die dunklen Risse, die sich durch den hellen Marmor schlängelten, sahen aus wie ein Netz von Adern am Kopf eines Neugeborenen.
»Er ist also bloß Geschäftsmann?«, fragte ich.
Joppy hörte einen Moment auf zu wischen und sah mir in die Augen. »Versteh mich nicht falsch, Easy. DeWitt issen zäher Bursche, und er verkehrt in übler Gesellschaft. Aber du kannst dir vielleicht trotzdem deine Hypothek verdien, und vielleicht kannste dabei sogar noch was von ihm lern.«
Ich saß da und sah mich in dem kleinen Raum um. Joppy hatte sechs Tische und sieben Barhocker an der Theke. Selbst an einem guten Abend waren zwar nie alle Stühle besetzt, doch ich beneidete ihn um seinen Erfolg. Er hatte seinen eigenen Laden; er besaß etwas. Eines Abends erzählte er mir, dass er die Bar verkaufen könnte, obwohl er den Raum nur gemietet hatte. Ich dachte, er lügt, aber später hab ich erfahren, dass die Leute einen Laden, der bereits Kunden hat, mit Kusshand nehmen; die würden die Miete mit Freuden bezahlen, solange nur Geld reinkam.
Die Fenster waren dreckig, und der Fußboden hatte tiefe Furchen, aber es war Joppys Laden, und wenn der weiße Schlachterboss raufkam, um die Miete zu kassieren, sagte er jedes Mal: »Vielen Dank, Mr. Shag.« Weil er heilfroh war, dass er sein Geld bekam.
»Was will er denn dann von mir?«, fragte ich.
»Er will bloß, dass du jemand suchen gehst.«
»Wen denn?«
»So ’ne Braut, keine Ahnung.« Joppy zuckte die Achseln. »Ich frachen nich nach seine Geschäfte, solang ich nix damit am Hut hab. Aber er bezahlt dich bloß fürs Suchen, hat ja keiner gesacht, dass du auch was findest.«
»Und was bezahlt er?«
»Genuch für deine Hypothek. Deswehng hab ich doch auch an dich gedacht, Easy, ich hab doch gewusst, dass du schnellstens Bares brauchst. Is mir doch völlig schnuppe, der Mann, und wen er sucht, genauso.«
Bei dem Gedanken, meine Hypothek bezahlen zu können, fiel mir mein Vorgarten ein und der Schatten meiner Obstbäume in der Sommerhitze. Zwar hatte ich das Gefühl, ich sei genau so gut wie jeder Weiße, aber wenn nicht mal meine vier Wände mir gehörten, würden die Leute auf mich runtergucken, als wär ich auch bloß so ein armer Bettler, der die Hand ausstreckt.
»Nimm sein Geld, Mann. Du darfst dir das bisschen, was du hast, nich nehmen lassen«, sagte Joppy, als ob er wüsste, was ich gerade dachte. »Die ganzen hübschen Mädels, mit denen du durch die Gegend ziehst, die kaufen dir kein Haus.«
»An der Sache ist was faul, Joppy.«
»An den Kohlen soll was faul sein? Quatsch! Ich leg sie dir zurück.«
»Es geht nicht um das Geld … Bloß … Weißt du, Mr. Albright erinnert mich an Mouse.«
»An wen?«
»Du weißt schon, so ’n kleiner Knabe drüben in Houston. Hat EttaMae Harris geheiratet.«
Missbilligend verzog Joppy seine schorfigen Lippen. »Nee, das muss nach meiner Zeit gewesen sein.«
»Ja, doch, Mouse und Mr. Albright sind sich ziemlich ähnlich. Er issen eleganter Typ, trägt schicke Klamotten und is dauernd am Lächeln. Aber er denkt immer nur ans Geschäft, und wenn du da querschießt, tut da unter Garantie nix Gutes bei rumkomm.« Ich hab mein Leben lang versucht, richtiges Englisch zu sprechen, wie es einem in der Schule beigebracht wird, aber im Lauf der Jahre hatte ich festgestellt, dass ich mich nur in dem natürlichen, »ungebildeten« Dialekt meiner Kindheit richtig ausdrücken konnte.
»›Tut unter Garantie nix Gutes bei rumkomm‹, klingt zwar übel, Easy, aber so landeste ›unter Garantie‹ auf er Straße.«
»Tja, Alter. Ich geh nur irgendswie mit Vorsicht an die Sache ran.«
»Vorsicht kann nich schaden, Easy. Vorsicht hält dich bei der Stange, Vorsicht macht dich stark.«
»Er ist also bloß Geschäftsmann, hä?«, fragte ich noch mal.
»So isses!«
»Und was für Geschäfte macht er nu genau? Ich mein, verscherbelt er Hemden oder was?«
»Es gibt ’ne Redensart für seine Branche, Ease.«
»Und die wäre?«
»Alles, was der Markt hergibt.« Er lächelte und sah plötzlich aus wie ein hungriger Bär, der alles fressen würde, was man ihm gab. »Alles, was der Markt hergibt.«
»Ich denk drüber nach.«
»Keine Sorge, Ease, ich kümmer mich um dich. Meld dich ab und an einfach mal beim ollen Joppy, dann sach ich dir, ob sich’s anhört, wie wenn’s brenzlich würde. Halt dich einfach nur an mich, dann läuft alles wie geschmiert.«
»Danke, dass du an mich denkst, Jop«, sagte ich, doch ich fragte mich, ob ich auch später noch dankbar sein würde.
Als ich nach Hause fuhr, machte ich mir Gedanken über Geld und wie dringend ich welches brauchte.
Ich kam gern nach Hause. Vielleicht lag das daran, dass ich auf einer Pachtfarm großgeworden bin oder dass ich nie etwas besessen hatte, bis ich mir dieses Haus gekauft hatte, aber ich liebte mein kleines Zuhause. Im Vorgarten standen ein Apfel- und ein Avocadobaum inmitten eines Rasenteppichs aus dichtem Augustiner-Gras. Neben dem Haus hatte ich einen Granatapfelbaum, der in jeder Saison mehr als dreißig Früchte trug, und eine Bananenstaude, die nie auch nur das Geringste produzierte. Es gab Dahlien und wilde Rosen in Beeten rings um den Zaun und Usambara-Veilchen, die ich in einem großen Topf auf der Veranda hielt.
Das Haus selbst war klein. Nur ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Küche. Im Bad gab es noch nicht mal eine Dusche, und der Garten hinter dem Haus war nicht größer als ein Kinderplanschbecken. Aber meine Hütte bedeutete mir mehr als jede Frau, die mir je begegnet war. Ich liebte sie, und ich hatte Angst um sie, und wenn die Bank den County Marshal geschickt hätte, um sie mir wegzunehmen, wäre ich wahrscheinlich eher mit dem Gewehr auf ihn losgegangen, als dass ich sie aufgegeben hätte.
Die einzige Möglichkeit, mein Haus zu behalten, sah ich darin, für Joppys Freund zu arbeiten. Aber irgendwas war faul, das spürte ich in den Fingerspitzen. DeWitt Albright gab mir ein ungutes Gefühl; Joppys harte Worte gaben mir ein ungutes Gefühl, obwohl was Wahres dran war. Ich sagte mir immer wieder: Geh ins Bett, und vergiss es.
»Easy«, sagte ich, »schlaf dich richtig aus, und geh dir morgen ’nen Job suchen.«
»Aber heute ist der fünfundzwanzigste Juni«, sagte eine Stimme. »Wo sollen denn die vierundsechzig Dollar am ersten Juli herkommen?«
»Die werd ich schon kriegen«, antwortete ich.
»Wie denn?«
So ging es immer weiter, aber es hatte von Anfang an keinen Sinn. Ich wusste, dass ich Albrights Geld nehmen und tun würde, was auch immer er von mir verlangte, vorausgesetzt, es war legal, weil mein Häuschen mich brauchte und ich nicht vorhatte, es im Stich zu lassen.
Und dann war da noch etwas.
DeWitt Albright machte mich ein wenig nervös. Er war groß und sah aus, als wäre er ein mächtiger Mann. Die Art, wie er die Schultern hielt, verriet mir, dass Gewalt in ihm brodelte. Doch groß war ich auch. Und wie die meisten jungen Männer gab ich nur ungern zu, dass Angst mich von irgendetwas abhalten konnte.
Ob er’s wusste oder nicht, DeWitt Albright hatte mich bei meinem Stolz gepackt. Je mehr Angst ich vor ihm hatte, desto größer wurde meine Gewissheit, dass ich den Auftrag annehmen würde, den er mir angeboten hatte.
Die Adresse, die Albright mir gegeben hatte, war ein kleines, gelbbraunes Gebäude auf der Alvarado. Die Gebäude ringsum waren zwar höher, aber längst nicht so alt oder vornehm. Ich ging durch das schwarze schmiedeeiserne Tor und betrat die auf spanisch getrimmte Eingangshalle. Es war niemand zu sehen, nicht mal eine Hinweistafel gab es, bloß eine Wand mit cremefarbenen Türen ohne Namensschilder.
»Verzeihung.«
Die Stimme ließ mich zusammenfahren.
»Was?« Durch den Schreck wurde meine Stimme brüchig und schnappte über, als ich mich zu dem kleinen Mann umdrehte.
»Wen suchen Sie?«
Es war ein kleiner Weißer in einem Anzug, der gleichzeitig als Uniform diente.
»Ich suche ähm … äh …«, stotterte ich. Ich hatte den Namen vergessen. Ich musste blinzeln, damit der Raum nicht anfing, sich zu drehen.
Ich hatte mir diese Marotte als Junge in Texas angewöhnt. Manchmal, wenn mich eine weiße Respektsperson in einem unaufmerksamen Moment erwischte, machte ich meinen Kopf völlig leer, sodass ich kein Wort mehr sagen konnte. »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß«, hieß es immer. Ich hasste mich dafür, aber ich hasste auch die Weißen – und die Farbigen –, die dafür gesorgt hatten, dass ich so war.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Weiße. Er hatte rote Locken und eine spitze Nase. Als ich noch immer keine Antwort herausbrachte, sagte er: »Lieferungen nehmen wir nur zwischen neun und sechs entgegen.«
»Nein, nein«, sagte ich, während ich krampfhaft versuchte, mich zu erinnern.
»Oh, doch! Sie gehen jetzt besser.«
»Nein, ich meine, ich …«
Der kleine Mann ging langsam rückwärts auf ein kleines Pult an der Wand zu. Ich dachte, er hätte dort einen Schlagstock versteckt.
»Albright!«, brüllte ich.
»Was?«, brüllte er zurück.
»Albright! Ich wollte zu Albright!«
»Albright wie?« Argwohn lag in seinem Blick, und seine Hand war noch immer hinter dem Pult.
»Mr. Albright. Mr. DeWitt Albright.«
»Mr. Albright?«
»Ja, genau.«
»Wollen Sie was abliefern?«, fragte er und streckte seine knochige Hand aus.
»Nein, ich hab einen Termin. Das heißt, ich soll mich hier mit ihm treffen.« Ich hasste den kleinen Mann.
»Sie sollen sich hier mit ihm treffen? Sie wissen ja nicht mal mehr, wie er heißt.«
Ich atmete tief durch und sagte dann ganz ruhig: »Ich soll mich mit Mr. DeWitt Albright heute Abend hier treffen, irgendwann nach sieben.«
»Sie sollen sich hier um sieben mit ihm treffen? Jetzt ist es halb neun. Er ist wahrscheinlich längst weg.«
»Er hat gesagt, irgendwann nach sieben.«
Er streckte mir noch einmal die Hand hin. »Hat er Ihnen einen Zettel gegeben, auf dem steht, dass Sie nach Geschäftsschluss hierherkommen sollen?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hätte ihm am liebsten die Haut vom Gesicht gefetzt, wie ich es einmal bei einem anderen Weißen getan hatte.
»Tja, woher soll ich wissen, dass Sie nicht bloß ein gewöhnlicher Dieb sind? Sie wissen nicht mal mehr, wie er heißt, und verlangen von mir, dass ich Sie irgendwohinbringe. Na ja, Sie könnten doch auch einen Komplizen haben, der nur darauf wartet, dass ich Sie reinlasse …«
Ich war wütend. »Mensch, vergessen Sie’s«, sagte ich. »Falls Sie ihn sehen, bestellen Sie ihm bloß, dass Mr. Rawlins hier gewesen ist. Bestellen Sie ihm, dass er mir nächstes Mal besser einen Zettel gibt, weil mit ohne Zettel komm so Straßenniggers nich rein in euern Scheißladen!«
Ich wollte wieder gehen. Dieser kleine Weiße hatte mich davon überzeugt, dass ich an der falschen Adresse war. Ich wollte wieder nach Hause. Mein Geld konnte ich mir auch anders besorgen.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Sie warten hier, ich bin in einer Minute wieder da.« Er schlängelte sich durch eine der cremefarbenen Türen und machte sie hinter sich zu. Einen Augenblick später hörte ich, wie das Schloss einschnappte.
Nach ein paar Minuten öffnete er die Tür einen Spaltbreit und winkte mir, ihm zu folgen. Er sah nach links und rechts, als er mich durch die Tür ließ; wahrscheinlich hielt er Ausschau nach meinen Komplizen.
Die Tür führte in einen offenen Innenhof, der mit dunkelroten Ziegeln gepflastert war und in dem drei riesige Palmen wuchsen, die über das Dach des dreistöckigen Gebäudes hinausragten. Um die Galerien in den oberen beiden Stockwerken liefen Gitter, von denen sich ganze Kaskaden weißer und gelber Kletterrosen in den Hof ergossen. Der Himmel war um diese Jahreszeit noch hell, aber ich sah schon die Mondsichel über das Dach lugen.
Der kleine Mann öffnete eine zweite Tür auf der anderen Seite des Innenhofes. Sie führte über eine hässliche Metalltreppe hinunter in die Eingeweide des Gebäudes. Durch einen staubigen Heizungskeller kamen wir in einen leeren Korridor, der schmutzig grün getüncht war und den graue Spinnweben schmückten.
Am Ende des Ganges war eine Tür in der gleichen Farbe, abgesplittert und verstaubt.
»Da wären wir«, sagte der kleine Mann.
Ich bedankte mich, und er ließ mich allein. Ich sah ihn nie wieder. Ich denke oft darüber nach, wie viele Menschen nur für ein paar Minuten in mein Leben getreten sind und ein bisschen Staub aufgewirbelt haben, und dann sind sie wieder weg. Mein Vater war so; meine Mutter war nicht viel besser.
Ich klopfte an die hässliche Tür. Ich hatte mit Albright gerechnet, aber stattdessen führte die Tür in einen kleinen Raum mit zwei merkwürdig aussehenden Männern.
Der Mann, der die Tür aufhielt, war groß und schmächtig, mit braunen Locken, dunkler Haut wie ein Inder und braunen Augen, so hell, dass sie fast golden waren. Sein Freund, der an einer Tür in der gegenüberliegenden Wand lehnte, war klein und sah um die Augen ein wenig aus wie ein Chinese, aber als ich noch mal hinschaute, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, was seine Herkunft anging.
Der Dunkelhäutige lächelte und streckte die Hand aus. Ich dachte, er wollte, dass ich sie schüttelte, aber dann fing er an, mich von oben bis unten abzuklopfen.
»He, Mann! Was is denn mit dir los?«, sagte ich und stieß ihn weg. Der mutmaßliche Chinese ließ eine Hand in seine Tasche gleiten.
»Mr. Rawlins«, sagte der Dunkelhäutige mit einem Akzent, den ich nicht kannte. Er lächelte immer noch. »Nehmen Sie die Arme ein wenig hoch. Reine Sicherheitsmaßnahme.« Das Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen.
»Behalt deine Hände bloß bei dir, Mann. Ich lass mich von keinem so betatschen.«
Der kleine Mann zog irgendetwas, das ich nicht richtig erkennen konnte, halb aus seiner Tasche. Dann machte er einen Schritt auf uns zu. Der Grinser versuchte, mir eine Hand auf die Brust zu legen, aber ich packte ihn am Handgelenk.
Die Augen des Dunkelhäutigen funkelten, er lächelte mich einen Augenblick lang an und sagte dann zu seinem Partner: »Keine Sorge, Manny. Der is sauber.«
»Biste sicher, Shariff?«
»Ja. Der is in Ordnung, bloß ’n bisschen fickrig.« Shariffs Zähne schimmerten zwischen seinen dunklen Lippen. Ich hielt noch immer sein Handgelenk umklammert.
Shariff meinte: »Sag ihm Bescheid, Manny.«
Manny steckte die Hand in die Tasche zurück und zog sie dann wieder heraus, um an die Tür hinter sich zu klopfen.
DeWitt Albright öffnete die Tür einen Augenblick später.
»Easy«, sagte er lächelnd.
»Er will sich von uns nicht anfassen lassen«, sagte Shariff, als ich ihn losließ.
»Lass gut sein«, antwortete Albright. »Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass er solo ist.«
»Sie sind der Boss.« Shariff klang sehr selbstsicher, fast ein wenig arrogant.
»Du und Manny, ihr könnt jetzt gehen«, meinte Albright lächelnd. »Easy und ich haben was Geschäftliches zu besprechen.«
Mr. Albright setzte sich hinter einen großen hellen Schreibtisch und platzierte seine Stenzschuhe neben einer halb vollen Flasche Wild Turkey. An der Wand hinter ihm hing ein Kalender mit einem Bild von einem Korb mit schwarz-roten Brombeeren. Ansonsten war die Wand kahl. Auch der Fußboden war nackt: schlichtes gelbes Linoleum, mit Farbtupfern durchsetzt.
»Nehmen Sie Platz, Mr. Rawlins«, sagte Mr. Albright und deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. Er trug keine Kopfbedeckung, und sein Jackett war nirgends zu sehen. Unter dem linken Arm hatte er ein Schulterhalfter aus weißem Leder. Der Lauf der Pistole reichte ihm fast bis zum Gürtel.
»Nette Freunde haben Sie«, sagte ich, während ich seine Wumme in Augenschein nahm.
»Sie sind genau wie Sie, Easy. Immer wenn ich ein bisschen Personal brauche, meld ich mich bei ihnen. Es gibt eine ganze Armee von Männern, die für ein angemessenes Honorar Spezialaufträge übernehmen.«
»Ist der Kleine ’n Chinese?«
Albright zuckte die Achseln. »Das weiß keiner. Er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen, in Jersey City. Was zu trinken?«
»Gern.«
»Einer der Vorteile, wenn man sein eigener Herr ist. Immer eine Pulle auf dem Tisch. Jeder andere, sogar die Direktoren von den großen Firmen, hat seinen Schnaps in der untersten Schublade, aber ich lass ihn immer auf dem Tisch, wo ihn jeder sehen kann. Sie wollen einen trinken? Soll mir recht sein. Das passt Ihnen nicht? Die Tür ist gleich hinter Ihnen?« Während er redete, machte er zwei Gläser voll, die er aus einer Schreibtischschublade hervorgeholt hatte.
Die Kanone interessierte mich. Lauf und Kolben waren schwarz; das Einzige an DeWitts Aufzug, was nicht weiß war.
Als ich mich vorbeugte, um ihm das Glas aus der Hand zu nehmen, sagte er: »Sie wollen den Auftrag also annehmen, Easy?«
»Nun ja, kommt ganz drauf an, woran sie dabei so gedacht hatten.«
»Ich suche jemand, eine Freundin«, sagte er. Er zog eine Fotografie aus seiner Hemdtasche und legte sie auf den Schreibtisch. Es war das Porträt einer hübschen jungen weißen Frau. Das Bild war ursprünglich schwarz-weiß gewesen, war jedoch nachträglich koloriert worden wie die Fotos von Jazzsängerinnen, die draußen vor Nachtclubs aufgestellt wurden. Sie hatte helles Haar, das ihr über die nackten Schultern fiel, hohe Wangenknochen und Augen, die vermutlich blau waren, falls der Künstler sie richtig getroffen hatte. Nachdem ich sie eine volle Minute lang angestarrt hatte, kam ich zu dem Schluss, dass es sich lohnen würde, sie zu suchen, falls man sie dazu bringen konnte, einen so anzulächeln.
»Daphne Monet«, sagte Mr. Albright. »Kein übler Anblick, aber höllisch schwer zu finden.«
»Mir ist noch immer nicht ganz klar, was das mit mir zu tun hat«, sagte ich. »Ich hab die Frau noch nie gesehn.«
»Das ist jammerschade, Easy.« Er lächelte mich an. »Aber ich glaube, Sie könnten mir trotzdem behilflich sein.«
»Mir ist nicht ganz klar, wie. Frauen von der Sorte reißen sich nich grad um meine Telefonnummer. Sie sollten sich lieber an die Polizei wenden.«
»Ich wende mich nie an jemand, der nicht mein Freund ist, oder zumindest der Freund eines Freundes. Ich kenne keine Bullen, und meine Freunde genauso wenig.«
»Na ja, dann besorgen Sie sich doch …«
»Schauen Sie, Easy«, fiel er mir ins Wort. »Daphne bewegt sich mit Vorliebe in Gesellschaft von Negern. Sie fliegt auf Jazz und Schweinsfüße und ein Stück dunkles Fleisch, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Ich wusste, was er meinte, aber ich wollte es nicht hören. »Sie glauben also, sie treibt sich irgendwo in Watts rum?«
»Da hab ich nicht den geringsten Zweifel. Aber verstehen Sie, ich kann in diesen Läden nicht nach ihr suchen, dazu fehlt mir nämlich das richtige Gesangbuch. Joppy kennt mich gut genug, er erzählt mir, was er weiß, aber den hab ich schon gefragt, und er konnte nicht mehr für mich tun, als mir Ihren Namen zu geben.«
»Und was wollen Sie von ihr?«
»Ich hab einen Freund, der sich bei ihr entschuldigen möchte, Easy. Er ist ein Hitzkopf, deswegen ist sie abgehauen.«
»Und jetzt will er sie zurück?«
Mr. Albright lächelte.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen helfen kann, Mr. Albright. Wie Joppy schon sagte, ich hab vor ein paar Tagen meinen Job verloren, und ich muss mich nach ’nem neuen umsehen, bevor die nächste Rate fällig wird.«
»Hundert Dollar für eine Woche Arbeit, Mr. Rawlins, und ich zahle im Voraus. Falls Sie sie schon morgen finden, können Sie alles behalten, was Sie in der Tasche haben.«
»Ich weiß nicht, Mr. Albright. Ich mein, woher weiß ich, worauf ich mich da einlasse? Was wollen Sie …«
Er hob einen mächtigen Finger an die Lippen, dann sagte er: »Easy, wenn Sie morgens zur Tür rausgehen, lassen Sie sich auf was ein. Das Einzige, weswegen Sie sich wirklich Sorgen machen sollten, ist die Frage, ob Sie sich hundertprozentig drauf einlassen oder nicht.«
»Ich meine, ich will mich auf keine krummen Dinger einlassen. Mit der Polente will ich nix zu tun haben.«
»Deswegen möchte ich ja, dass Sie für mich arbeiten. Ich mag die Polizei genauso wenig wie Sie. Scheiße! Die Polizei hütet das Gesetz, und was das Gesetz ist, wissen Sie doch wohl, oder?«
Ich hatte meine eigenen Ansichten zu diesem Thema, aber die behielt ich für mich.
»Das Gesetz«, fuhr er fort, »wird von den Reichen gemacht, damit die Armen nicht vorankommen. Weder Sie noch ich wollen mit dem Gesetz aneinandergeraten.«
Er hob das Schnapsglas hoch und inspizierte es, als würde er es auf Flöhe untersuchen, dann stellte er das Glas auf den Schreibtisch und legte die Hände darum, die Handflächen nach unten gekehrt.
»Ich bitte Sie bloß darum, ein Mädchen zu finden«, sagte er, »und mir zu sagen, wo es ist. Das ist alles. Sie finden bloß raus, wo sie ist, und flüstern es mir ins Ohr. Sie finden sie, und dafür kriegen sie von mir eine Hypothekenrate als Prämie, und mein Freund wird Ihnen einen Job besorgen, vielleicht kann er Sie sogar wieder bei Champion unterbringen.«
»Wer will das Mädchen denn finden?«
»Keine Namen, Easy, ist besser so.«
»Es geht nur darum, dass ich sie äußerst ungern finden würde, wenn dann hinterher irgendein Bulle ankommt mit irgend so ’nem Scheiß von wegen, ich wär der Letzte, mit dem sie gesehen wurde – bevor sie verschwunden ist.«
Der Weiße lachte und schüttelte den Kopf, als hätte ich ihm einen guten Witz erzählt.
»Jeden Tag passiert so viel, Easy«, sagte er. »Jeden Tag passiert so viel. Sie sind doch ein gebildeter Mensch, oder?«
»Na ja, schon.«
»Dann lesen Sie doch bestimmt auch Zeitung. Haben Sie sie heute schon gelesen?«
»Ja.«
»Drei Morde! Drei! Allein gestern Abend. So was passiert doch tagtäglich. Menschen, die alles haben, wofür es sich zu leben lohnt, vielleicht sogar ein bisschen Geld auf der Bank. Wahrscheinlich hatten sie schon genau geplant, was sie dieses Wochenende unternehmen wollten, aber das hat sie nicht davon abgehalten, zu sterben. Diese Pläne haben ihnen nichts genützt, als ihre Zeit gekommen war. Menschen, die alles haben, wofür es sich zu leben lohnt, werden gern ein bisschen unvorsichtig. Sie vergessen, dass es einzig und allein darum geht, dass einem nichts Schlimmes zustößt.«
So wie er lächelte, als er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte, erinnerte er mich schon wieder an Mouse. Mir fiel ein, wie Mouse immer lächelte, besonders wenn das Unglück andere traf.
»Sie finden das Mädchen und sagen es mir, das ist alles. Weder ich noch mein Freund werden ihr auch nur ein Härchen krümmen. Sie brauchen sich nicht die geringsten Sorgen zu machen.«
Er zog ein weißes gefächertes Brieftäschchen aus einer Schreibtischschublade und holte einen Stapel Geldscheine daraus hervor. Er zählte zehn davon ab, leckte sich bei jedem zweiten seinen feisten Daumen und legte sie in einem ordentlichen Stapel neben den Whiskey.
»Hundert Dollar«, sagte er.
Ich sah nicht ganz ein, weshalb es nicht meine hundert Dollar sein sollten.
Als ich noch arm war, waren meine einzigen Sorgen eine Bleibe für die Nacht und was zu essen; dafür brauchte man nicht viel. Irgendein Freund spendierte mir immer ein Essen, und es gab genügend Frauen, die mich bei sich schlafen ließen. Aber als ich die Hypothek aufnahm, stellte ich fest, dass ich mehr brauchte als bloße Freundschaft. Mr. Albright war zwar kein Freund, aber er hatte, was ich brauchte.
Außerdem war er ein guter Gastgeber. Sein Schnaps war hervorragend, und er war eigentlich ganz nett. Er erzählte mir ein paar Geschichten von der Sorte, die wir bei uns in Texas »Lügen« nennen.
In einer Geschichte ging es um seine Zeit als Anwalt in Georgia.