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Polemiken und Plädoyers zu Politverbrechern wie Donald Trump, Messias Bolsonaro, Integration, Migration, Queerness, Analphabetismus, Neue Städte für Geflüchtete
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Seitenzahl: 178
Polemiken, Plädoyers und Widerreden in der Form von Essays und Skizzen werden Sie in dieser Textsammlung kennenlernen. Das einzige Ordnungsprinzip, dem ich mich unterworfen habe: Sämtliche Texte sind aus den Jahren 2019 und 2020. Alles frisch aus dem Bleistift bzw. aus dem Multimarker und der Tastatur.
Manche Texte würden eine politische Korrektheitsprüfung möglicherweise nicht überstehen. Lassen Sie sich provozieren und anregen zum eigenen Weiterdenken. Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Sie sich über die Ansichten eines alten weißen Mannes amüsieren. Im Gegenteil, wer beim Budern und Philosophieren nicht lachen kann, ist ein armer Hund. Das war einer meiner Sprüche, als ich noch mehr philosophiert habe. Der Titel „TEXTE die einer schrieb bevor er sich eine KALASCH kaufte und AMOK lief“ ist angelehnt an den Titel „Gedichte die einer schrieb bevor er im 8. Stockwerk aus dem Fenster sprang“ von Charles Bukowski. Ich finde, es ist keine Schande, sich von Buk inspirieren zu lassen.
Zur Themenwahl dieser Textsammlung ist zu sagen, dass ich mich mit den Angst und Schrecken verbreitenden „demokratisch gewählten“ Machthabern wie Donald Trump und Jair Messias Bolsonaro und deren Untaten auseinandersetzen wollte, weil mir diese Herren mit ihrem berufsverbrecherischen Habitus große Sorgen bereiten. Andererseits wollte ich über Themen wie Queerness, Integration, Migration, Analphabetismus, „Künstliche Intelligenz“ und ähnliche Sachverhalte bzw. gesellschaftliche Zustände und Entwicklungen öffentlich nachdenken. Ich hatteund habe den Eindruck, dass es bezüglich dieser Themen sehr schädliche Denkverbote gibt. Wenn ich mit den hier versammelten Texten die Diskussion auf die eine oder andere Art und Weise beleben kann, bin ich schon mehr als zufrieden.
Wien, im Oktober 2020
P.S.: Mein großer Dank geht an den Kulturverein „Alberts Bücherlager“, Aichholzgasse 19, A-1120 Wien; insbesondere an Daniela NOITZ, in deren Format „Kellertexte“ ich einige der hier abgedruckten Texte vor Publikum vortragen konnte und die mich auf ein paar „sehr oberflächliche Machosprüche“ hingewiesen hat, die dann gestrichen wurden. Wenn schon Macho, dann nicht oberflächlich, sondern „bad to the bone“, würde ich sagen. Danke auch an alle Freunde und Verwandte, die mit ihren Kommentaren und Anregungen zur Vermeidung von Ungereimtheiten und missverständlichen Formulierungen beigetragen haben. Für Blödheiten, Fehler, unverständliche und grammatikalisch fragwürdige Sätze sowie auch für Gelungenes übernehme ich die volle Verantwortung.
01 Der kleine Wurstsemmelfresser - Polemik
02
Are Clowns Madmen or are Madmen Clowns?
03 Plädoyer für einen Wählerfuehrerschein
04 Was wollen die Wähler? - zynische Polemik
05 Soziale Mobilität – Skizze
06
Queerness
- essayistische Polemik
07 Die Farce aller Farcen - Vernichtung
08 Integration - Begriffs- und Konzeptkritik
09
Trump’s Tweet on Turkey
- Leserbrief
10 Künstliche Intelligenz - Gegenrede
11 Politik in Zeiten von Corona - Skizze
12 Ein trauriges Kind macht die Welt traurig - Versuch
13 Zum Schluss mal was Positives - Plädoyer
Daten zum Autor
Literatur- und Quellenverzeichnis
Ein kleiner Bub isst der um halb acht Uhr in der Früh in der Wiener U6 eine Extrawurstsemmel. Er fühlt sich wie der König der Welt, trägt Sonnenbrille, seine Baseballcap ist lässig auf die Seite gedreht. Er ist ungefähr drei Jahre alt, sitzt im Kinderwagen, die Beinchen sind hochgelegt wie bei einem CEO am Schreibtisch, wenn neues Personal mit demonstrativer Lässigkeit und Machtfülle beeindruckt werden soll. Der Bub schaut mehrmals um sich, bevor er immer wieder mit glücksverzerrtem Gesicht in die Extrawurstsemmel beißt. Weil: in der Semmel ist nicht nur Wurst, sondern auch eine dicke Schicht Butter, damit der kleine Bub bald groß, stark und fett wird und zum richtigen Mann heranwachsen kann. Insgesamt könnte man ihn ohne Coaching und Schminke als Testimonial für die Fleisch- und Milchindustrie abfilmen.
Der Bub fiel mir auf, weil ich kurz davor in fünf Zeitungen ziemlich aufgeregte Artikel über die neuesten Berichte des Weltklimarates1 gelesen hatte, wonach das Ende unseres Planeten wegen Erwärmung, verursacht durch nicht nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, unsachgemäße Fleisch- und Futtermittelproduktion, Waldzerstörung sowie Emissionen von Verkehr, Haushalten und Kraftwerken unmittelbar bevorstehe und wie alles mit allem zusammenhänge. Diese Entwicklung sei höchst bedenklich und schreckenerregend. Dem ist wenig hinzuzufügen und die Erkenntnisse des Weltklimarates werden außer von ein paar mächtigen illiteraten Polit-Gangstern wie Donald Trump und Jair Messias Bolsonaro auch nicht in Zweifel gezogen oder ignoriert. Was hat das mit dem Buben in der U-Bahn zu tun? Nach meinem Eindruck ist der Wurstsemmelverzehr, insbesondere der Extrawurstsemmelverzehr, eine neuzeitliche Erziehungsmethode: „Wenn du nicht gleich brav bist, kriegst Du keine Wurstsemmel mehr!“ Das ist ein Satz, den ich vor dreißig Jahren von einem Vater gegenüber seinem Sohn gehört habe. Ich habe den Mann in jenem Moment für ziemlich bescheuert gehalten. Damals wusste ich noch nicht, welche Glücks-, Stolz- und Überlegenheitsgefühle eine mit Fleisch- und Knochenabfall, Mehl, Zucker und Salz, Farbstoffen sowie Fett gefüllte Semmel in Kindern auslösen kann, eine Extrawurstsemmel eben.
Bis ich heute dieses Kind sah. Hier zur Illustration ein paar Zahlen zum Einstieg in die Thematik2: Jeder Deutsche verzehrt im Durchschnitt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr, das sind über 1000 Tiere in seinem Leben (Würmer und sonstige Tierlein in Kirschen, Zwetschken und Äpfeln sowie Schnecken im Salat nicht mitgerechnet). Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich der Konsum von Fleisch mehr als verdoppelt. In Österreich ist das nicht viel anders, nur halt ein bisschen mehr - ungefähr 95 Kilogramm Fleisch werden hier pro Person und Jahr verschlungen3.
Der „globale imperiale Kapitalismus“4 und seine Ideologie vom „Fleisch Essen ist ein Menschenrecht“ und „bevor wir daran etwas ändern, machen wir lieber den Planeten kaputt“ ist in den Seelen von dreijährigen Kindern angekommen. Fleisch essen ist Coolness und Glück, bedeutet Überlegenheit; heißt etwas zu haben, was andere nicht haben. All dies war an der Mimik dieses dreijährigen Kindes in der Wiener U-Bahn deutlich abzulesen. Die skizzierte Ideologie des „Fleischessens als Menschenrecht“ hatte eindeutig und klar ersichtlich einen vollständigen und schwer rückgängig zu machenden Sieg bei diesem Kind und nicht nur bei diesem davongetragen.
Man soll solche Situationen nicht allzu sehr mit Bedeutung aufladen. Ich habe jedoch den Eindruck, das Bild ist stimmig und ich beschreibe es nur.
Der kleine dreijährige Chef mit der Beute, die er, stolz und von anderen Bewunderung erwartend, öffentlich verschlingt. Die Extrawurstsemmel ist sein Eigentum, er darf sie aufessen, ohne teilen zu müssen. Dieser Aspekt kommt noch hinzu, um die Symbolik zu vervollständigen: Das Eigentum.
Eigentum an Extrawurstsemmeln, Eigentum an Dingen generell, Eigentum an Menschen und Tieren. Eigentum an der Erde.
Jair Messias Bolsonaro, der Präsident des Landes Brasilien, hat kürzlich unabsichtlich eine Wahrheit und Notwendigkeit in den Focus der interessierten Öffentlichkeit gestellt: Er will sich dagegen wehren, dass die zufällig im Territorium Brasiliens und im angeblichen Eigentum seiner Freunde befindlichen Regenwälder des Amazonasbeckens durch NGOs und internationale Organisationen „enteignet“ werden sollen, indem sie unter Schutz gestellt werden und indem man Herrn Bolsonaro und seinen Freunden aus der Agraroligarchie Brasiliens bei ihren Verbrechen gegen das Ökosystem Amazonaswald und den darin lebenden Menschen auf die Finger schaut.
Jair Messias Bolsonaro zog mit folgenden und ähnlichen Sprüchen durch das Land Brasilien und beeindruckte damit seine Wähler so sehr, dass sie ihn 2018 mit einer Mehrheit von 54 bis 555 Prozent zum Präsidenten wählten. Was waren seine Wahlkampfslogans sinngemäß oder wörtlich?
„Die anderen wollen uns den Amazonaswald wegnehmen, indem sie über seine Nutzung mitbestimmen.“
„Dagegen müssen wir, das Volk, uns wehren!“
„Dieser Wald ist unser Eigentum, Wir können damit machen, was wir wollen!“
„Der Wald ist kein Menschheitserbe!“
„Er ist nicht die Lunge dieser Welt!“
Die letzten beiden Sätze sagte Bolsonaro in einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen.6 Leider fiel ihm niemand öffentlich ins Wort.
Zur Illustration der Lage in Brasilien nachfolgend ein Zitat aus dem Magazin “The Economist”, bisher nicht bekannt als die Speerspitze der Ökologiebewegung:
“Nowhere are the stakes higher than in the Amazon basin - and not just because it contains 40% of Earth’s rainforests and harbours 10-15% of the world’s terrestrial species. South America’s natural wonder may be perilously close to the tippingpoint beyond which its gradual transformation into something closer to steppe cannot be stopped or reversed, even if people lay down their axes. Brazil’s president, Jair Bolsonaro, is hastening the process - in the name, he claims, of development. The ecological collapse his policies may precipitate would be felt most acutely within his country’s borders, which encircle 80% of the basin - but would go far beyond them, too. It must be averted.”7
Ein zu direkter Weg vom glücksverzerrten Gesicht eines wurstsemmelessenden Kindes in der Wiener U-Bahn zur Frage der Bedeutung des Eigentums und der Zerstörung von planetaren Lebensgrundlagen? Im vorliegenden Fall scheint mir das durchaus plausibel und nachvollziehbar. Schauen wir zu Beginn der weiteren Überlegungen und zur Einstimmung in das Thema einmal bei der Juristerei nach, was hier „state of the art“ bezüglich der Frage des Eigentums ist.
„Der Eigentümer hat das alleinige Recht, mit der Sache nach Belieben zu schalten und zu walten und jeden Dritten davon auszuschließen.“ So steht es im § 354 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB).
Dieses Werk stammt aus dem Jahre 1812 und ist teilweise heute noch gültig. Man kann es ohne Übertreibung als die „weltliche Bibel“ bezeichnen, die dem gesamten 19. Jahrhundert und seinen kolonialen Verbrechen und Perversionen als Drehbuch diente bzw. diese legitimierte. Jüngere Hervorbringungen der Juristerei sind etwas vorsichtiger geworden betreffend die Definition des Eigentums. Die Europäische Menschenrechtskonvention aus dem Jahr 1952 formuliert folgendermaßen in Artikel 1:8
„Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, daß das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Artikel 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.“9
Präzise gefragt: können zu Anfang des 21. Jahrhunderts natürliche oder juristische Personen Eigentümer eines der wichtigsten planetaren Ökosysteme sein und mit diesem nach Belieben schalten und walten? So wie es die Juristen zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts formuliert haben und wie es Herr Bolsonaro, der Präsident des Landes Brasilien, zweihundert Jahre später immer noch für angemessen hält?
Jair Messias Bolsonaro, der eine militärische Ausbildung als Fallschirmspringer genossen hat und schätzungsweise knapp bis drei zählen kann (eins, zwei, drei - springen), denkt offenbar, dass er und seine Kumpane mit den Amazonas-Wäldern, zufällig auf dem Territorium Brasiliens gelegen, nach „Belieben schalten und walten“ können. Er hat ein Rechtsverständnis, wie es vor 200 Jahren schon Ausdruck einer völlkig skrupellosen feudalistischen und bourgeoisen Herrscher- und Ausbeuterklasse war. Rechtsverständnis ist wohl nicht ganz der richtige Ausdruck; dieser Herr hat kein Verständnis von Recht, sondern ein extrem primitives Verständnis von Macht und jedes Mittel ist ihm recht, diese durchzusetzen: Mord, Totschlag, Zerstörung, Täuschung, Lüge, Erpressung, der ganze Werkzeugkasten. Was halt so ein Mafia-Häuptling alles können muss - alles bloß kein ziviles Rechtsverständnis, denn Recht existiert für ihn nur dann, wenn er es selbst definiert und damit seine eigenen kriminellen Interessen und die seiner Freunde durchsetzen kann.
Nach meiner Einschätzung muss man Herrn Bolsonaro sehr entschieden entgegentreten und ihm deutlich und unter Zuhilfenahme aller derzeit legalen und möglicherweise auch darüber hinausgehenden Drohmittel sagen:
„Herr Bolsonaro, Sie können selbstverständlich diese Ansichten haben, Meinungsfreiheit gilt leider auch für illiterate Hohlköpfe und Gangster wie Sie.“
„Ihre Ansichten sind jedoch völlig irrig und falsch.“
Der Amazonas-Regenwald ist nicht Ihr Eigentum bzw. das Eigentum Ihrer Freunde und Ihrer Unterstützer aus der Agraroligarchie Brasiliens. Sie können und dürfen schon gar nicht damit beliebig „schalten und walten,“ wie man noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts glaubte und dann in der Folge ganze Länder raubte und ihre Einwohner und Rohstoffe als Eigentum behandelte, mit dem man nach Belieben und zynischer Laune „schalten und walten“ konnte.
Es ist am Anfang des 21. Jahrhunderts mit dem heutigen Wissen über den Zustand des Weltklimas weder richtig noch legitim, wenn Sie Ihren Nachbarn durch Ihr beliebiges, unkundiges und zerstörerisches „Schalten und Walten“ Schaden zufügen und dadurch gleichzeitig eines der global bedeutendsten Ökosysteme, den Amazonas-Regenwald, beeinträchtigen, zerstören, in letzter Konsequenz gänzlich zum Verschwinden bringen wollen. Das muss und wird verhindert werden, seien Sie dessen gewiss.
Nachbar des Herrn Bolsonaro und seines Landes ist in einer globalisierten Welt und in dem Zustand, in dem sich das planetare Klima nach dem zitierten Bericht des Weltklimarates befindet, jeder einzelne Mensch, jedes einzelne Land auf dieser Erde.
Das beliebige „Schalten und Walten“ mit einem Ökosystem, das dieser völlig skrupellose Fallschirmspringer Bolsonaro als das Eigentum seines Landes und der „Grundbesitzer“ betrachtet, bringt den gesamten Planeten in Gefahr. In einem solchen Fall darf und muss die Weltöffentlichkeit, vertreten durch die UNO, Ihnen und Ihrem Land, sehr geehrter Herr Hauptmann Bolsonaro, die Verfügungsgewalt über Ihr angebliches Eigentum entziehen, weil Sie und Ihre Regierung in dem begründeten und dringenden Verdacht stehen, nicht über die Fähigkeiten zu verfügen, dieses Ökosystem von planetarer Bedeutung richtig zu verwalten, zu schonen und zu schützen. Die Weltöffentlichkeit, vertreten durch die UNO sollte das in Rede stehende Territorium so rasch als möglich enteignen, um es vor Ihnen und Ihren Freunden und dem klar ersichtlich völlig unqualifizierten „Schalten und Walten“ in Sicherheit zu bringen und nachhaltig bewahren zu können.
Die Europäische Menschenrechtskonvention 1952 definiert die Eigentumsfrage sehr differenziert. ich wiederhole das, weil es für das Thema von entscheidender Bedeutung ist:
"Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.“
Ich sage: Das öffentliche Interesse und die Lage des Planeten verlangen es, dass die Zerstörung von Ökosystemen von planetarer Bedeutung (und nicht nur von solchen) sofort und ohne Verzögerung unterbunden wird. Das muss mit robusten Massnahmen geschehen, die Zeit zu reden ist verstrichen. Die in Brasilien durch Herrn Bolsonaro und seine Freunde begangenen Handlungen10 sind Crimes against humanity im wahrsten Sinne des Wortes: Abgesehen von den kriminellen Akten gegen das Ökosystem handelt es sich gleichzeitig auch um den bandenmäßig organisierten Versuch, die im Amazonasgebiet lebenden Menschen auszurotten. Bolsonaro bezeichnet die dortigen Ureinwohner als „Tiere im Zoo“11 Vielleicht ist dieser neuerliche Genozid im 21. Jahrhundert ein Anlass, das Weltgewissen und die UNO-Bürokraten und Gremien aufzurütteln? Das haben wir uns doch geschworen nach Auschwitz, dass es nie wieder eine systematische Ausrottung von Menschen geben darf und dass bei einem solchen Anlass jede Maßnahme ergriffen werden muss (militärische inklusive), die solchem Treiben Einhalt gebietet. Allerdings: Wo sind die Blauhelme, die die Menschen des brasilianischen Regenwaldes schützen und die Holzfäller, Goldsucher, Viehzüchter und alle übrigen Handlanger von Bolsonaro und seinen Ministern und Geschäftspartnern festnehmen und verurteilen? Warum interessieren diese Vorgänge niemanden außer vielleicht ein paar Feuilleton-Schreibern und alten Männern wie mich? Und warum lässt man den Kopf dieser Genozid-Bande in der UNO-Vollversammlung überhaupt reden und verhaftet ihn nicht sofort?
„Amazonien, zürnte Bolsonaro in New York, sei so gut wie unberührt. Im Übrigen hätten auch andere Länder wie etwa Deutschland einen Großteil ihrer Wälder abgeholzt. Wald oder Wohlstand, das sei hier die Frage. „Es ist eine Fehlannahme, dass Amazonien ein Erbe der Menschheit ist“, zeterte der Mann, „es ist eine Fehlannahme der Wissenschaftler, zu behaupten, unsere Wälder seien die Lunge der Welt.“ Es gebe, beharrte Bolsonaro, kein abstraktes globales Interesse. Ihm geht es um Souveränität. Kurz: Wir dürfen mit unserem Land machen, was wirwollen.“12
Weiter mit der Entwicklung des Eigentumsbegriffs in der Europäischen Menschenrechtskonvention des Jahres 1952; ich wiederhole das absichtlich noch einmal, auch auf die Gefahr hin, einige Leser zu nerven:
„Eigentum beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält."
Im „Einklang mit dem Allgemeininteresse“ ist hier der Schlüsselbegriff. Es steht nach meiner Überzeugung völlig außer Diskussion, dass es im Allgemeininteresse liegt, die Zerstörung von Ökosystemen von globaler Bedeutung – und nicht nur von solchen - zu verhindern, rückgängig zu machen und jedenfalls alles zu unternehmen, um skrupellose Berufsverbrecher wie Bolsonaro daran zu hindern, an deren Zerstörung zu arbeiten bzw. diese zu fördern oder durch permanente Rechtsbrechung und Rechtsbeugung zuzulassen. Ob Berufsverbrecher wie Bolsonaro von großteils Analphabeten13 „demokratisch“ zum Präsidenten gewählt sind, spielt in dem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.
Zurück zu Fragen des Rechts, des Völkerrechts, des internationalen Umweltrechts, falls es so etwas gibt.
„Völkerrechtler diskutieren seit einigen Jahren, ob der Grundsatz der internationalen Schutzverantwortung (responsibility to protect) auch auf die Klimakrise ausgeweitet werden kann. Nach diesem Prinzip kann die internationale Gemeinschaft in die Souveränität eines Staates eingreifen, wenn dieser seine Bevölkerung nicht vor schwersten Menschenrechtsverletzungen schützt. Dass die Erderwärmung Menschenrechte wie zum Beispiel das Recht auf Gesundheit oderErnährung bedroht, ist inzwischen auch im Pariser Klima-Abkommen von 2015 festgehalten.“14
Durch diese wenigen einfachen Überlegungen sind wir also vom wurstsemmelessenden Buben in der Wiener U-Bahn bei der globalen Ökopolitik angekommen.
Ermahnungen und erhobene Zeigefinger sind nicht mehr zeitgemäß, halbherzige individuelle Sanktionsversuche wie die der deutschen Umweltministerin Svenja Schulze15 verursachen bei Zeitgenossen mit einem mindset, wie es Herr Hauptmann Bolsonaro hat, höchstens Lachanfälle.16
Die im Völkerrecht verankerte „responsibility to protect“ scheint für die Menschen im Amazonas-Becken anscheinend nicht zu gelten, sonst hätte in diesem Fall schon längst etwas passieren müssen, aber dieser Aufsatz ist kein laienhaftes Proseminar zum Völkerrecht. Daher nur ein Zitat, das die derzeitige Lage wahrscheinlich treffend charakterisiert:
„Schädigt ein Staat durch Rohstoffausbeutung, Abholzung, Staudämme oder industrielle Dreckschleudern andere Länder, können diese sich mittlerweile vor dem Internationalen Gerichtshof wehren, also vor dem Gericht der Vereinten Nationen. Im Februar 2018 formulierte das Gericht erstmals in einem Urteil, dass "Umweltschäden und daraus folgende Verluste der Fähigkeit der Umwelt, Güter und Dienstleistungen zu erbringen, nach internationalem Recht entschädigt werden müssen".17
Dies gilt selbstverständlich nur unter Bedingungen:
„Unter der Voraussetzung [...] nämlich: Die schädigende Handlung muss internationalem Recht widersprechen. Nun existieren zwar internationale Abkommen zum Schutz der Wälder und ebenso des Klimas, sie sind aber ohne Rechtsverbindlichkeit. Bolsonaro kann auf sie pfeifen.“18
Mit der „responsibility to protect“ ist wohl im vorliegenden Fall Brasiliens nicht rechtzeitig viel anzufangen. Der von Bolsonaro und seiner Gang organisierte Genozid an den Ureinwohnern des Amazonas Beckens ist offenbar noch nicht im zentralen Focus der UN. Es wird allerdings durchaus heftig über die Weiterentwicklung des Prinzips der responsibility to protect nachgedacht. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Publikation der International Commission on Intervention and State sovereignty.19
Das folgende Zitat dient zur Illustration, dass ich mit den obigen Überlegungen fast schon Mainstream bin, und um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, hier sei einem wütenden alten Mann das Temperament entglitten. Das Folgende stand in DER SPIEGEL Nr. 34/2019:
„Es ist Zeit für Sanktionen gegen Brasilien“ [...] Es ist Zeit, über diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen gegen Brasilien nachzudenken. Die mächtigen Großfarmer, die Bolsonaro maßgeblich unterstützen, müssen spüren, dass ihre Haltung einen Preis hat. Denn ihr Idol [gemeint ist B.] fügt nicht nur seinem eigenen Land unermesslichen Schaden zu, sondern dem gesamten Erdball.“20
Angesichts der Dringlichkeit und Bedeutung der Probleme im Zusammenhang mit dem planetaren Klima plädiere ich für rasche und robuste Sanktionen und Massnahmen, nämlich für eine schnelle Eingreiftruppe mit Vorbild bei den Blauhelmen der UNO, die bei akuten ökologischen Katastrophen mit Sachverstand und militärischen Mitteln eingreift und das lokale/nationale Management ersetzt. Das wäre dann eine zeitlich und regional begrenzte international agierende mobile „Ökodiktatur“ und würde ihrerseits möglicherweise ein paar bisher gültige Gepflogenheiten ignorieren. Das macht nichts. Skrupellose Gangster wie Messias Bolsonaro und seine Freunde muss man mit robusten Maßnahmen bekämpfen, anders sind sie nicht zu stoppen. Ein militärisch ausgebildeter Präsident wie Bolsonaro versteht nur Gewalt und Waffen als Argument. Sie sind die einzige Möglichkeit, ihn und seine Gangsterbande, die sich Minister nennt,21 von ihrem verbrecherischen Handeln abzubringen. Man kann einen außer Kontrolle geratenen Flugzeugträger nicht mit Steinschleudern bekämpfen und mit feingliedrigen und sensiblen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit seiner Existenz und seiner Zerstörungskraft ist er nicht zu stoppen.
Ich denke konkret an die Notwendigkeit einer bewaffneten Eingreiftruppe, „Grünhelme“ könnte sie genannt werden (analog zu den UN-Blauhelmen), mit good Governance-Expertise, ökologisch-naturwissenschaftlichem Sachverstand und militärischen Möglichkeiten, die auf Beschluss des Sicherheitsrates oder aufgrund einer UN Resolution und auf Vorschlag eines möglicherweise ebenfalls zu gründenden World Ecology Councils Verbrecher wie Bolsonaro und seine Zuarbeiter und Zuarbeiterinnen aus dem Verkehr ziehen kann und statt dessen sachkundige Beamte, Gouverneure, Verwalter etc. einsetzt. Vorbild könnte die UNO-Mandatskonstruktion sein, die ein Land bzw. eine Region bei „gefährlichem Versagen mit Auswirkungen auf den gesamten Planeten“22 unter internationale Verwaltung stellt. Ich denke hier an die Konstruktion, die für den Prozess der Unabhängigkeit Namibias gefunden und angewendet wurde; mit dem Ergebnis, dass Namibia seit 1990 ein unabhängiger Staat ist, von dem kaum Negatives zu hören ist. Nachfolgend das Wichtigste zu dieser erfolgreichen und beispielhaften UN-Mission in Namibia.
„Die Unterstützungseinheit der Vereinten Nationen für die Übergangszeit, kurz UNTAG (von englisch United Nations Transition Assistance Group) basierte auf der UN-Resolution 632 vom 16. Februar 1989 und war vom April 1989 bis März 1990 in Namibia eingesetzt. Das Ziel des UN-Mandats war die Umsetzung des Plans23 für die Unabhängigkeit Namibias, insbesondere zur Sicherstellung fairer und freier Wahlen im Land.