The Pity Kiss - The Hall Brothers II - Ewa A. - E-Book

The Pity Kiss - The Hall Brothers II E-Book

Ewa A.

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Beschreibung

*** Eine quirlig freche College Romance über das Risiko des Verliebens *** Okay, ich gebe es zu, ich schwärmte schon immer für Declan Hall, einen der heißesten Typen meines Colleges. Der allerdings schwärmte für meine Freundin Amy, die mit seinem Bruder zusammen war, und würdigte mich keines Blickes – bis er mein Geheimnis entdeckte und es in dem ganzen Chaos zu diesem einen Kuss kam, der alles veränderte. Doch wieso sollte der berühmt berüchtigte Sonnyboy sich in einen Nobody wie mich verlieben? Vor allem, wenn ich ihn an seine verhasste Ex erinnerte. - Der zweite Teil der erfolgreichen New Adult Romance Serie "The Hall Brothers" von Ewa A. - Lesealterempfehlung: 16+ Enthält erotische Szenen und derbe sexuelle Sprache Textauszug: »Scheiße, was willst du denn hier?« Declan stand da. In einer Collegejacke und einem weißen T-Shirt, welches so eng war, dass man keine Fantasie brauchte, um sich seine Brustmuskeln vorzustellen. Die Erhebungen waren überdeutlich abgezeichnet und der immense Umfang seiner Bi- und Trizepse war wegen der engen Jackenärmel sowieso kein Geheimnis. Seine schwarze Jeans hing wie immer tief auf seiner Hüfte, hatte Löcher an den Knien und umschmeichelte seine kräftig trainierten Footballerbeine. Was für eine Unverschämtheit, am frühen Morgen schon so verboten gut auszusehen. Wenigsten standen seine Haare am Oberkopf in alle Richtungen ab, als hätte er sie sich die ganze Nacht lang gerauft. Was ihn allerdings nicht weniger attraktiv machte. Eher das Gegenteil davon. Ach, verdammt. In Bezug auf Declan Hall war ich ein hoffnungsloser Fall. Er hatte sich nicht rasiert und seine Bartstoppeln waren noch dunkler und kräftiger als üblich. Seine Augenbrauen hatten sich über seiner Nasenwurzel zusammengezogen. Er wirkte grimmig. Dennoch musterte er mich ausgiebig. In meinen Boxershorts und dem knappen Tanktop bot ich ziemlich viel nackte Haut. Er verschlang meine Beine, auch den kleinen Streifen unbedeckten Bauch und meine bloßen Schultern, ehe er antwortete. »Darf ich reinkommen? Ich hab ein Friedensangebot: Frühstück?« Er klang sehr ernst, streckte mir eine Papiertüte entgegen und schüttelte sie. Keine Frage, der Kerl wusste genau, in was für ein Fettnäpfchen er getreten war. Dachte er ernsthaft, er könnte sich daraus freischleimen? Ha, schlechte Karten, Alter, ganz schlechte Karten. Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und reckte ihm trotzig mein Kinn entgegen. »Wüsste nicht warum? Du hast gestern genug gesagt. Danke.« »Komm schon, Mia. Croissants aus deiner Lieblingsbäckerei.« Abermals schüttelte er die Tüte, auf der tatsächlich das Logo meines bevorzugten Backshops prangte. Hm, okay, doch keine so schlechten Karten. »Woher weißt du das, du Stalker?« »Amy.« Eine seiner Brauen bog sich neckisch in die Höhe. »Jeweils eins mit Schoko, Marzipan und pur. Du hast auch freie Wahl.« Ich knurrte und mein doofer Magen ebenso. Declan lachte leise. »Nun komm, gib dir einen Ruck. Lass mich bitte herein, dich füttern und dir nebenher alles erklären. Es verhält sich nicht so, wie du glaubst.« Laut schnaufend, verdrehte ich die Augen. »Na gut. Meinetwegen.« Ich ließ ihn stehen und schlappte den Flur entlang zur Küche. »Du hast genau eine Tasse-Kaffee-Länge Zeit. Mehr nicht.« Die Tür fiel hinter uns ins Schloss. »Mehr brauche ich nicht«, vernahm ich ihn und hörte an seiner Stimme, dass er lächelte. »Nettes Nightie.« Ich schickte ihm einen kecken Blick über die Schulter zu. »Klar, nur für dich, Hall.«

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Seitenzahl: 416

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Ewa A.

The Pity Kiss - The Hall Brothers II

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Ein paar Worte

Weitere Werke der Autorin

Impressum neobooks

Impressum

ThePity Kiss

- The Hall Brothers II -

von

Ewa A.

Text:

Copyright © Ewa A.

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung:

VercoDesign, Unna

https://www.vercopremadebookcover.de/

Korrektorat:

https://korrektoratia.jimdosite.com/

Verlag:

E. Altas

Bundesstr. 6

79423 Heitersheim

[email protected]

https://www.facebook.com/EwaA.Autorin

Die Geschichte sowie die Personen und die Orte in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Begebenheiten, Orten, lebenden oder toten Personen sind in keiner Weise beabsichtigt und wären purer Zufall.

Kapitel 1

Alles begann mit einem Kuss. Einem Kuss aus Mitleid, der dazu gedacht war, einen Unbeteiligten aufzuhalten. Und doch war er der Anfang von so viel mehr.

***

Wer bitte schön hatte solch eine Augenfarbe? Eine, die nahezu unnatürlich war. Ein strahlendes Türkisblau. Und dann auch noch solche Wimpern? Lang. Dunkel und jede einzelne davon klar definiert. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich geschworen, sie sind getuscht oder unecht. Aber das waren sie nicht. Denn den Typ, der diese außergewöhnlichen Augen besaß, kannte ich mittlerweile eine ganze Weile gut genug, um zu wissen, dass er nicht zu solchen Hilfsmitteln greifen würde. Nein, Declan Hall würde sich wohl lieber die Eier waxen lassen, als sich zu schminken. Okay, nein, das wahrscheinlich ebenso wenig. Aber eins stand fest: Er war ein Macho – durch und durch. Leider tat das seiner Wirkung auf Frauen keinerlei Abbruch. Ganz im Gegenteil, die Mädels flogen ihm an den Hals, vor die Füße oder in den Schoß. Und ja, auch ich stand vom ersten Moment an auf ihn, als ich in diesen karibikblau schimmernden Seen versunken war und zu atmen vergessen hatte. Mit den messerscharfen Kieferkonturen, der schmalen Nase und diesem etwas zu klein geratenen und trotzdem verrucht verführerischen Kussmund, zog Declan den Damen die Schlüpper allein schon beim Vorbeistolzieren aus. Natürlich war er auch noch mit Muskeln an genau den richtigen Stellen und einem Knackarsch gesegnet, weil er, wie es nicht anders sein konnte bei solch einem Angeber wie ihm, der Star-Quarterback des Football-Teams von unserem College war. Hätte er wenigstens einen lichten Haarschopf oder einen fliehenden Haaransatz gehabt, was auf eine frühzeitige Glatze hinwies, wäre zumindest etwas an ihm nicht ganz so anbetungswürdig gewesen. Aber nein, das Universum war fies und ungerecht. Er hatte stets eine dichte dunkelblonde Wuschelfrisur, die irgendwie immer perfekt saß, selbst wenn sie unperfekt wirken sollte.

Ja, schlagt mich, ich stand auf ihn. Declan Hall war ein arroganter Arsch und Womanizer der schlimmsten Sorte. Aber definitiv einer der hübschesten Männer auf dem ganzen verdammten Planeten. Zumindest für mich.

Obwohl er mich nicht eines Wortes oder Blickes würdigte und das seit zwanzig Minuten, in denen ich ihm am Tisch in der Dining Hall mit Amy und June direkt gegenübersaß. Er hatte nur Augen für meine beste Freundin Amy, die schon eine ganze Weile nun mit seinem Bruder Camden zusammen war. Scheiße, er würde wohl nie über sie hinwegkommen. Dabei hatten Amy und ich gedacht, seine Annäherungsversuche ihr gegenüber wären bloß Teil seines Plans gewesen, seine Ex, Victoria, eifersüchtig zu machen. Doch wie sich am Ende herausgestellt hatte, hatte er es getan, um Camden zu ärgern, und sich ebenso in Amy verliebt, wie sein Bruder. Und tja – Überraschung – mich liebte keiner.

Fuck! Ich wollte nicht rumheulen oder Mitleid erregend klingen, aber es nervte mich allmählich total, dass ich in unserer Mädelsdreiergruppe die einzige Single Lady war. Amy war nach wie vor glücklich mit Camden und June mit dessen Kumpel Tyler. Ehrlich, ich mochte June total und Amy liebte ich ohnehin wie eine Schwester. Mit ihr war ich schon seit der Highschool befreundet und wir hatten uns gemeinsam um ein Stipendium hier beim Glassman College in Bellham beworben, das uns beide auch zugesprochen wurde. Ebenso teilten wir uns eins der Zwei-Zimmer-Appartements, welche den Studenten des Colleges zur Verfügung gestellt wurden. Dennoch kratzte es an meinen Nerven, dass ausgerechnet Declan nicht begreifen wollte, dass sie wie June fest vergeben war.

Leise schnaufend senkte ich den Blick und stocherte lustlos im klebrigen Rest meiner Lasagne rum.

»Also ich muss dann los«, sprach Amy, erhob sich, stülpte sich ihre Tasche über den Arm und nahm ihr Tablett. Sie nickte mit dem Kopf in meine Richtung. »Mia, wir sehen uns später. June, bis morgen. Declan, toll, dass du dir Zeit für uns genommen hast.«

Declan schenkte ihr ein magenerbebendes Strahlen. Seine krass blauen Augen funkelten mit seinen weißen Zähnen um die Wette. »Immer gern, Amy. Du weißt doch, wenn ich die Wahl zwischen dir und meinen Teamkollegen habe, wird sie stets auf dich fallen.«

Amy prustete ungläubig. »Klar, weil Camden dir aufgetragen hat, auf mich aufzupassen.«

»Hey, ich folge nur der Bitte meines Bruders«, verteidigte sich Declan und grinste verschmitzt.

Boah, dieses ewige einseitige Geflirte von ihm war echt unerträglich. Laut Amy tat er das jedoch nur in Camdens Abwesenheit. Da der aber letztes Jahr graduiert hatte und nun bei den Lightnings professionell Eishockey spielte, war das leider sehr oft der Fall.

»Bye, Amy, bis morgen.« June winkte unserer Freundin hinterher und packte dann ebenso das Geschirr auf ihrem Tablett zusammen. »Kinder, ich muss auch los.« Sie stand auf und schaute zwischen Declan und mir hin und her. »Tut nicht, was ich nicht auch tun würde. Wir sehen uns, ihr zwei. Bis dann.«

Declan und ich erwiderten jeweils den Abschiedsgruß. Aber nach Junes Verschwinden machte sich eine unbequeme Stille zwischen uns breit.

»Tja«, murmelte Declan kurz darauf und stand auf. »Ich sollte dann wohl auch –«

»Wann wirst du es endlich aufgeben?«, unterbrach ich ihn schroff.

Irritiert verharrte er in seiner Bewegung und schüttelte den Kopf. »Bitte?«

Es war das erste Mal, dass er mir ins Gesicht schaute, und sofort schnellte mein Puls in die Höhe. Ein Tingeln in meinem Bauch setzte ein.

O Mädchen, krieg dich wieder ein!

Ich räusperte mich, wich seinen Augen für einen Wimpernschlag aus, um ihnen wieder mit neuem Mut zu begegnen. »Wann wirst du Amy endlich aufgeben? Sie ist mit deinem Bruder zusammen. Sie liebt Camden und wird ihn wegen dir bestimmt nicht verlassen. Also, wann gedenkst du damit aufzuhören, dich lächerlich zu machen und sie ständig anzugraben?«

Okay, ich benahm mich gerade echt wie eine kleine miese Bitch. Aber, Jeez, ich hatte sein widerliches Süßholzgeraspel für Amy so satt! Nach dem ultimativen Korb, den er von ihr vor vier Monaten erhalten hatte, als sie ihn wegen Camden auf einer Party hat stehen gelassen, legte er immer noch Schleimspuren um sie. Wollte der Mann es nicht begreifen oder konnte er es nicht, dass sie absolut null Interesse an ihm hatte?

Eine steile Falte bildete sich auf Declans Stirn. »Ich mach mich …?« Seine Nasenflügel blähten sich auf. »Du machst dich hier lächerlich, indem du mir unterstellst, ich würde noch immer was von Amy wollen, dabei tue ich bloß, was mein Bru–«

»Ah, Bullshit. Ich bekomm doch mit, wie du sie die ganze Zeit über anhimmelst.«

Mit wütender Miene stützte er sich auf dem Tisch ab und beugte sich mir entgegen. »Ach ja? Etwa genau so wie du mich? Das ist mir nämlich nicht entgangen, Mia.«

Mein Herz rutschte mir in den Magen und veranstaltete dort eine Stampede mit allen anderen Organen. »Ich … ich habe dich gar nicht ange–«

»Oh, komm schon, sei zu dir wenigstens genauso ehrlich wie zu mir.« Er richtete sich wieder auf, schnappte seinen Rucksack und warf ihn sich über die Schulter. »Glaubst du echt, ich habe deine Blicke nicht bemerkt, mit denen du mich schon seit dem ersten Semester verfolgst? Auf dem Campus, hier in der Dining Hall, vor unseren Vorlesungsräumen.«

O my Gosh, er hat mich bemerkt? Okay, vielmehr hat er mein Stalken bemerkt. Urgh, wie peinlich.

Mir gelang nur, ein intelligentes »Öhm« herauszuwürgen, was Declan nicht davon abbrachte, weiter über mich herzufallen.

»Weißt du, was ich aber nicht checke: Weshalb du – obwohl du offensichtlich auf mich stehst – ständig auf mir herumhackst? Ich hab dir nie etwas getan und trotzdem greifst du mich jedes Mal an, sobald du den Mund aufmachst.« Er musterte mich mit einem Blick, der mir sagte, dass er mich für einen durchgedrehten Freak hielt. »Ist das deine Art eines Vorspiels oder eines Flirts? Dann muss ich dir leider sagen, das zieht überhaupt nicht bei mir.« Er reckte das Kinn und das grelle Blau seiner Augen wurde frostig. »Du magst ja ganz niedlich sein mit deinen blonden Locken und diesen großen grünen Augen. Aber mit der abgefuckten Tour und der zickigen Art … Nein, danke. Damit erinnerst du mich viel zu sehr an meine Ex. Sorry.«

»O verpiss dich, Declan. Ich flirte überhaupt nicht mit dir. Das …« Und damit winkte ich angeekelt zwischen uns hin und her. »… ist meine Art, dir zu sagen, dass du mich nervst und ein arroganter Arsch bist.« Ruckartig stand ich auf, packte meine Sachen und ließ Declan Hall stumm und staunend hinter mir zurück.

Innerlich jedoch verglühte ich vor Scham und Wut. Wie konnte er mir so was ins Gesicht sagen? Wie kam er überhaupt darauf, dass ich auf ihn stand? Er nahm mich doch gar nicht wahr. Wie konnte er dann wissen, dass ich ihn viel zu oft und zu lang anschaute? Für ihn war ich bisher bloß eine Begleiterscheinung gewesen, etwas, das in Amys Nähe war, wie ihre Tasche, ein Regentropfen auf ihrer Schulter oder der Wind in ihren Haaren.

Angepisst von Declan und von mir selbst stürmte ich aus der Dining Hall hinaus und über den Campus zu meiner nächsten Vorlesung. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, zerrte ich mein Telefon aus meiner Umhängetasche und schrieb Kamila an, die Pflegerin meiner kleinen Schwester. Wie jeden Tag fragte ich sie, wie Lindseys Morgen verlaufen war.

Vor dreizehn Jahren war Lindsey mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen und seit dem war sie mein kleiner privater Sonnenschein. Bereits ab ihrem Kleinkindalter litt sie zudem noch an Diabetes, hatte mit Entwicklungsverzögerung zu kämpfen und ständig Probleme mit ihren Gelenken und Muskeln. Lindsey benötigte besonders viel Aufmerksamkeit und Zuwendung, die ich ihr mit dem Besuch des Colleges leider nicht mehr geben konnte. Die Entfernung nach Hause von drei Fahrstunden machte es mir unmöglich, mich um sie zu kümmern wie zuvor. Meine Mutter war in dieser Beziehung nämlich ein Totalausfall und vernachlässigte ihre Sorgfaltspflicht auf ganzer Linie. Eher stürzte sie meine Schwester stets in Gefahr. Mom war es wesentlich wichtiger, sich auf die ein oder andere Weise genügend Alkohol und ausreichend von ihren Lieblingstabletten zu besorgen, als Insulin oder eine Therapie für Lindsey. Der nächste Rausch, der nächste Trip war alles, was für Mom zählte. Schon früh hatte ich die Mutterrolle übernehmen und dafür sorgen müssen, dass Lindsey ihre Medikamente bekam und ihre Zuckerwerte sich im normalen Level hielten. Aber das war okay, weil ich meine kleine Schwester über alles liebte. Sie war der süßeste und unschuldigste Mensch auf der ganzen Welt. Für jeden hatte sie ein Lächeln übrig, nie war sie einem böse und nichts konnte ihr schlechte Laune bereiten. Ich hatte mir geschworen, dass ich für uns beide ein Leben aufbauen würde, in dem ich keine Angst mehr haben musste, von der Schule heimzukommen und sie bewusstlos vorzufinden wegen Unterzuckerung oder Organversagen. Ein solides Studium sollte mir zu einem gut bezahlten Job verhelfen. Als ich dann das Stipendium fürs Glassman College in der Tasche hatte und wusste, dass ich nicht mehr länger in ihrer Nähe bleiben konnte, überredete ich Mom dazu, Lindsey in ein Betreuungsheim zu geben. Die stimmte allerdings nur unter der Bedingung zu, dass ich es auch finanzieren sollte. Neben meiner Miete, die ich ebenso selbst zahlte. Doch das nahm ich gern auf mich, weil ich mir nur so sicher sein konnte, dass Lindsey in jeder Hinsicht gut versorgt wurde und nicht an den Folgen der Diabetes frühzeitig sterben würde. Aus diesem Grund hatte ich einen Job angenommen, der mir zwar schnell viel Geld einbrachte, den ich aber vor meinen Freunden geheim hielt, weil er mir peinlich war. Eigentlich bestand kein Grund dazu, denn ich tat weder etwas Unehrenhaftes noch Verwerfliches. Nichtsdestotrotz hatte ich Angst, dass Amy oder June mich mit anderen Augen betrachten würden, sobald sie davon wüssten. Ganz zu schweigen von dem Gerede, das mich hinter meinem Rücken auf dem gesamten Campus heimsuchen würde, wenn mein Geheimnis jemals ans Licht käme. Niemand wusste, dass ich neben dem Leben als Mia, der Betriebswirtschaftsstudentin, ein zweites verborgenes als Heather, die Escort-Dame, führte. Bedacht hatte ich darauf geachtet, nur für eine seriöse Agentur zu arbeiten, die jeglichen sexuellen Kontakt zu den Kunden ausschloss und wirklich nur Begleitung und Gesellschaft ihrer Models anbot. Denn unter keinen Umständen wollte ich wie meine Mutter enden, die sich an jeden Typen verkaufte, der bereit war, auch nur ein paar Dollar für sie zu bezahlen.

Kamilas Antwort trudelte kurz darauf ein. Lindsey hatte heute Morgen mit ihrem Schwarm ein Bild gemalt und würde nun fröhlich mit ihren Klassenkameraden Lunch zubereiten. Prompt kroch mir nach dieser Nachricht ein Lächeln aufs Gesicht und mit besserer Laune nahm ich meine Nachmittagsvorlesung in Angriff. Nach dieser wechselte ich zu einem Seminar in einen anderen Raum und überprüfte auf dem Weg dorthin mein Telefon auf neue Nachrichten. Meine Agentur hatte mir geschrieben. Einer meiner Stammkunden hatte mich für heute Abend kurzfristig angefragt. Ein Theaterbesuch. Weil es Freitagabend war und er ohne Voranmeldung buchen wollte, würde er fast das doppelte für meine Begleitung bezahlen müssen. Ich überlegte nicht lange, denn ich mochte diesen Kunden. Er benahm sich mir gegenüber stets äußerst freundlich und höflich, was leider nicht immer üblich war. Ich schickte der Agentur mein Einverständnis und bekam zehn Minuten später die Daten zu meinem Auftrag. 20 Uhr, vor dem Fox Theater in Bellham, in eleganter Abendgarderobe.

Meine letzte Vorlesung endete um 18 Uhr. Schnell eilte ich nach Hause, duschte und schlüpfte in ein paar frische Klamotten.

Zum Glück arbeitete Amy noch im Campus-Café, sodass ich sie nicht anzulügen brauchte, wohin ich gehen würde, was ich nämlich hasste. Sie sowie June glaubten nämlich, dass ich als Aushilfe in einem nahegelegenen Unternehmen arbeitete, das rund um die Uhr im Schichtbetrieb Plastikverpackungen produzierte. Meine Lügen hatte ich mit größter Sorgfalt ausgedacht, um ihnen keinerlei Anhaltspunkte zu liefern, die mich auffliegen lassen könnten. So käme Amy nie auf die Idee, mich bei der Arbeit zu besuchen oder sich zu wundern, warum ich auch an den Wochenenden spät in der Nacht schuften musste. Zudem lag die Agentur am anderen Ende der Stadt und ihre meist ältere Kundschaft stammte aus den vermögenden Kreisen Bellhams, in denen sich weder June noch Amy bewegten. Deshalb konnte ich mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, ihnen nie bei einem Auftrag über den Weg zu laufen.

Kurz vor 19 Uhr kam ich in der Agentur an, zog eins der Abendkleider an, die man uns zur Verfügung stellte, und stylte mich zu Heather. Heather trug im Gegensatz zu Mia ihre Haare in einem eleganten Knoten und kräftiges Make-up, das sie älter aussehen ließ. In einem tief ausgeschnittenen roten Abendkleid mit passender Stola, Clutch und Highheels stieg ich pünktlich aus der Limousine vor dem Theater aus.

Frank, der Chauffeur, der uns Escorts immer zu unseren Aufträgen fuhr, hielt mir die Tür auf und zwinkerte mir aufmunternd zu. »Viel Spaß, Cinderella. Wie immer werde ich mich nachher zwischendurch melden und dann um 12 Uhr wieder hier auf dich warten. Okay?«

»Okay, Frank. Danke dir.« Ich nickte ihm lächelnd zu und nahm die Treppe in Angriff, die zum Haupteingang führte.

Schon von Weitem entdeckte ich meinen Kunden. Reid Fairchild, Anfang dreißig, Hedgefonds Manager aus New York. Groß und schlank wartete er in seinem teuren, maßgeschneiderten Smoking auf mich. Woher ich wusste, dass sein Anzug teuer und maßgeschneidert war? Alles an Reid bewies, dass er Macht und Geld besaß. Von seiner teuren Uhr über sein Parfum bis zu seinen blanken Schuhen. Aber auch seine körperliche und mentale Haltung, seine Sprache, seine Aura; alles an ihm schrie danach, dass ihm die Welt gehörte, sie sich ihm zu Füßen legte. Dennoch verhielt er sich mir gegenüber nie überheblich oder herablassend, wie andere Kunden mit diesem finanziellen Hintergrund es manchmal taten. Ja, Reid besaß eine ganz besondere Art von Charme, dem nicht mal ich mich entziehen konnte.

Aus diesem Grund freute ich mich, ihn zu treffen und mit ihm die nächsten Stunden zu verbringen. Mit einem breiten Grinsen ging ich auf ihn zu.

Seine tiefschwarzen Wellen, die er stets zurückgekämmt trug, glänzten im Licht der Laternen. Er kam mir lächelnd entgegen und das Weiß seiner Zähne bildete einen blendenden Kontrast zu seinem gebräunten Teint. Mit beiden Händen griff er nach meiner Rechten. »Heather, ich bin so froh, dass du heute Abend Zeit für mich hattest. Du siehst übrigens fantastisch aus.« Ein schüchternes Flackern flammte in seinen dunkelbraunen Augen auf. »Wie immer, ehrlich gesagt«, ergänzte er leise.

»Danke, Reid. Auch für deine Einladung«, erwiderte ich und drückte seine Hände, um mich ihnen sogleich zu entziehen. »Und … ähm, du bist auch nicht gerade hässlich.«

Das stimmte. Ganz und gar. Er war wirklich ein äußerst attraktiver Mann. Warum sollte ich lügen?

Für einen Moment lachte Reid aus vollem Hals. »Gott sei Dank. Ich hatte schon Angst, ich hätte meine Wirkung auf Frauen verloren.« In offener Verwunderung betrachtete er mich und schüttelte sacht den Kopf. »Du bist einfach wundervoll, Heather. Niemand wagt es, so unverblümt mit mir zu sprechen, und ich hoffe, du weißt, wie sehr ich das an dir schätze.«

Ich legte den Kopf zur Seite und begegnete seinem Blick aufmerksam. »Ach ja? Na, dann sollte ich dir wohl weiterhin schonungslos die Wahrheit sagen.«

Das Lächeln verschwand langsam von seinem Gesicht. »Ich bitte darum.«

»Also gut, hier die nächste Unverblümtheit. Keine Ahnung, wie du sonst auf Frauen wirkst, Reid, aber mich beeindruckst du heute Abend wirklich in deinem Smoking. Deine breiten Schultern kommen toll zur Geltung und deine langen Beine ebenso.«

Dramatisch zog er seine Augenbrauen in die Höhe. »Soll das etwa heißen, sonst beeindrucke ich dich nicht?«

»Hm«, entgegnete ich und winkte abwägend mit der Hand. »Geht so.«

»Das macht mir jetzt doch ein wenig Sorgen. Du rüttelst ganz schön an meinem Selbstvertrauen.«

»Traurig, dass ich nur daran rüttle. Ehrlich. Das wiederum macht mir Sorgen.«

Erneut lachte er und griff nach meinem Ellbogen. »Komm, wir sollten unsere Unterhaltung lieber drinnen im Warmen weiterführen. Du zitterst bereits vor Kälte.«

Tatsächlich bibberte ich in der späten kühlen Oktoberluft, weswegen ich mich nur zu gerne von Reid ins Foyer des Theaters führen ließ. Er legte mir die Hand auf den unteren Rücken, was sich zwar sehr intim anfühlte, ich aber unkommentiert über mich ergehen ließ. Zum einen ahnte ich nicht, in welche Richtung er wollte, und zum anderen herrschte großer Andrang und wir hätten uns womöglich in dem Gewusel verloren. Außerdem war er ein netter, gut aussehender Typ, bei dem ich nicht am liebsten kotzen würde, wenn er mich anfasste. Im Gegenteil, es war sogar ganz angenehm.

Reid zeigte an einem separaten VIP-Einlass die digitalen Eintrittskarten auf seinem Telefon vor und lenkte mich eine imposante Treppe empor, die in einem breiten Gang mündete. Der gesamte Bereich war mit einem dunkelroten Teppich ausgelegt und in barockem Stil gehalten. Das Treppengeländer, die Türen, sämtliche Wandlampen und Kommoden, die den Flur säumten, waren in Gold und Weiß. Ich kam mir vor wie in einem anderen Jahrhundert.

Wir hatten einige Türen passiert, als Reid plötzlich vor einer stehen blieb und meine Hand nahm. »Hier ist unsere Loge.«

»Oh, sehr schön.« Gespannt folgte ich ihm durch die Tür.

Er teilte einen schweren Stoffvorhang, sodass ich ihn passieren und er die Tür hinter uns wieder schließen konnte. Mir fiel die Kinnlade herunter, als ich weiter in die Loge schritt. Vor uns eröffnete sich ein riesiger Theatersaal mit unzähligen dunkelroten Sitzreihen, einer großen Bühne und einer Masse an Logen. Reihe um Reihe stapelten sie sich in die Höhe. Wie die Decke waren auch sie über und über mit barockem Stuck aus Blumen, Ranken und Engeln verziert. Der Saal war atemberaubend.

»Wow. So etwas habe ich noch nie gesehen.« Staunend schaute ich mich um.

Reid zog mich glücklich lächelnd zu den Sesseln, die uns die beste Sicht auf die Bühne gewährten. »Komm, setz dich. Magst du ein Glas Sekt? Oder Wein?« Er deutete auf einen Tisch, auf dem Gläser und die Getränke gekühlt bereitstanden.

Ich ließ mich in dem Sessel nieder und strich mein Kleid zurecht. »Ein Schlückchen Sekt wäre ganz nett, danke.«

Reid schenkte uns zwei Gläser mit der perlenden Flüssigkeit ein und reichte mir eins, bevor er sich in den Sessel neben mir setzte.

Wir plauderten miteinander und Reid erkundigte sich über mein Studium und meine Zukunftspläne. Ich genoss seine Gesellschaft sehr, denn er vermittelte mir den Eindruck, ehrliches Interesse an meiner Person zu haben, ohne aufdringlich zu sein. Als der Vorhang sich hob, fühlte ich mich rundum wohl, obwohl dieses Ambiente überhaupt nicht dem der nüchternen Mia entsprach. Irgendwann läutete ein Gong eine Pause ein und Reid führte mich aus der Loge in ein Foyer, das nur den Besuchern dieser Etage vorbehalten war. Verschiedene Getränke und Canapés wurden gereicht. Doch ich entschuldigte mich bei Reid für einen Augenblick und zog mich auf die Toilette zurück.

Nachdem ich mich erleichtert, Lippenstift und Puder aufgefrischt hatte, wollte ich zu Reid zurückkehren. Ich hatte gerade ein paar Schritte im Foyer zurückgelegt, als mich mitten im Weg jemand rückwärtsgehend von der Seite anrempelte. Ein großer blonder Mann in schwarzem Anzug. Er drehte sich zu mir um und ich blickte in zwei karibikblaue Augen, die sich wie meine vor Schreck weiteten.

Shit, was zur Hölle tut Declan hier?

Kapitel 2

»Mia!« Declans Blick glitt an mir hinunter, blieb allerdings an dem gewagten Ausschnitt meines roten Abendkleids länger hängen. »O wow, du … siehst toll aus.«

Entsetzen, Scham, aber auch Freude brausten schlagartig durch mein Inneres und verwandelten es in Lava. Glühend heiß. Tausend Gedanken wirbelten in meinem Kopf umher.

Schön cool bleiben jetzt. Lass dir bloß nichts anmerken. Tu so, als würdest du ihn nicht kennen. Schnell antworte ihm. Was würde eine Frau sagen, die ihn nicht kennt?

»Tut mir leid, Sie müssen mich mit jemandem verwechseln.« Bemüht darum, eine kühle Haltung zu wahren, wollte ich an ihm elegant vorübergleiten, doch Declan hielt mich auf, indem er mein Handgelenk packte. Prickelnde Funken breiteten sich von dem Stückchen Haut aus, wo er mich berührte.

»Warte! Was?« Eine Mischung aus Verwunderung und Belustigung sprach sowohl aus seinem Ton als auch aus seiner Miene. »Du willst so tun, als würden wir uns nicht kennen? Ist das dein Ernst?« Ich schwieg und versuchte weiterhin, lässig mein Ding durchzuziehen. Doch Declan kicherte herablassend und zeigte auf meine rechte Gesichtshälfte. »Du weißt schon, dass dieser nette kleine Leberfleck da, an deinem Augenwinkel, dich verrät?«

O erschieß mich doch!

Nichts eingestehen, Mia. Auf keinen Fall. Zieh einfach strikt die Ich-kenne-dich-nicht-Nummer durch. Irgendwann wird er aufgeben.

»Sie müssen sich täuschen. Tut mir leid.« Ich verlieh meiner Stimme und meinem Blick Eiseskälte und versuchte, meine Hand aus seinem Griff herauszuwinden.

Aber Declan gab nicht nach. Er hielt mich fest und musterte mich eindringlich. »Was soll die Verarsche, Mia? Wieso?« Kopfschüttelnd fuhr er fort. »Was machst du hier? Und dann auch noch so …« Erneut flog sein Blick über mein Dekolleté und meine Hüften. Ein tadelndes Brummen ertönte aus seiner Kehle. »… ungewöhnlich angezogen? Das ist doch normalerweise gar nicht dein Stil. Elegant und sexy.«

Ich musste das Fick dich, Declan, du Arschloch wortwörtlich hinunterschlucken, das bereits auf meiner Zungenspitze lag. Unglaublicherweise bewahrte ich meine Beherrschung und schaffte es sogar, ihn anzulächeln. »Danke für dieses … fragwürdige Kompliment. Denke ich. Aber ich bin nicht die, für die Sie mich halten. Sorry.«

Mein Telefon klingelte in meiner Tasche. Das musste Frank sein, der sich wie immer erkundigen wollte, ob alles okay sei. Im selben Moment erschien eine groß gewachsene, schlanke Blondine an unserer Seite.

»Declan? Ist das eine Freundin von dir?« Sie war äußerst gepflegt. Teure Kleidung und Schmuck. Aufgrund ihres geschätzten Alters und der gleichen faszinierenden Augenfarbe hegte ich keinen Zweifel, dass ich Declans Mom gegenüberstand.

»Ja«, erwiderte er, ohne seinen Blick von mir abzuwenden.

Erneut versuchte ich, mich von Declan zu lösen, aber er gab meine Hand nicht frei. Keine Sekunde ließ er mich unbeobachtet, obwohl seine Mutter unser Gerangel irritiert verfolgte. Angepisst, weil er einfach nicht aufgeben wollte, kramte ich mein Telefon aus meiner Clutch und nahm das Gespräch an. »Frank? Ja, alles in Ordnung. Ich warte nachher auf dich, wie besprochen.« Während ich das Gespräch beendete und das Telefon wieder in meiner Clutch verstaute, schoss ich immer wieder giftige Blicke in Declans Richtung, was den aber überhaupt nicht scherte. Bis sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter und eine zweite auf meine Taille legte.

»Gibt es hier ein Problem, Heather?« Es war Reid, der hinter mir aufgetaucht war.

Sofort schwenkten Declans gletscherblaue Augen über meine Schulter zu meinem Kunden. Erstaunen und Skepsis spiegelten sich nun auf seinen Zügen. Er verlor aber kein Wort.

»Nein. Nur eine Verwechslung, nicht wahr?«, sprach ich überfreundlich, legte den Kopf schief und betrachtete Declan herausfordernd. Zögerlich löste er endlich seinen Griff um mein Handgelenk. Lächelnd drehte ich mich zu Reid. »Nichts weiter.« Mit gerecktem Kinn und gestrafften Schultern nuschelte ich ein »Wenn Sie uns nun entschuldigen würden« und kehrte zum zweiten Mal an diesem Tag Declan den Rücken zu und ließ ihn stehen.

Er blieb stumm, doch von seiner Mutter konnte ich noch weitere Fragen hören. »Wer war das, Declan? Sollte ich die junge Dame kennen?«

Ich bekam seine Antwort nicht mit und war froh darum. Mehr Declan Hall brauchte ich nicht. Doch ein bald darauf einsetzendes, unheimliches Prickeln in meinem Nacken ließ mich jedes Mal aufs Neue sein Starren als Ursache ausmachen. Wie ein irrer Stalker belauerte er mich aus der Ferne, ob im Gedränge des Foyers oder aus einer der übernächsten Logen. Stets lagen seine kristallblauen Augen auf mir. Voller Ernst.

Ich bemühte mich darum, mir nichts anmerken zu lassen, ihn nicht wahrzunehmen. Aber ich versagte und meine Nervosität wuchs von Minute zu Minute. Selbst als ich mit Reid das Theater verließ und schnellstmöglich verschwinden wollte, hatte ich das Gefühl, von Declan beobachtet zu werden. Und tatsächlich fand ich ihn ein paar Schritte hinter uns in der Menge vor. Wo er seine Mutter gelassen hatte, wusste ich nicht, nur dass er mir folgte. Zwar suchte er keine Konfrontation, allerdings blieb er nur ein Stück abseits von mir vor dem Eingangsbereich stehen und wartete, bis Reid sich verabschiedet hatte, Frank mit der Limousine vorfuhr und mich abholte. Sogar noch länger. Seine Gestalt wurde im Rückfenster immer kleiner und rührte sich so lange nicht vom Fleck, bis sie Teil der Dunkelheit wurde. Eine düstere Beklemmung stieg in mir auf, die noch am nächsten Morgen an mir nagte.

Was würde Declan tun, wenn wir uns das nächste Mal begegneten? Voll erzwungener Hoffnung redete ich mir ein, dass er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen würde und Heather ihm nicht ein Wort wert war.

Mit einem ständigen Magendrücken schlich ich von Vorlesung zu Vorlesung. Jedes Mal erleichtert, Declan nicht über den Weg gelaufen zu sein. Die Erleichterung hielt an bis zum Lunch. Ich schätzte mich glücklich, allein mit June und Amy den Tisch in der Dining Hall zu teilen, bis er urplötzlich neben mir stand.

»Also? Was sollte das gestern? Spuck es aus, Mia. Oder sollte ich dich eher Heather nennen?«

Alles Blut sackte in meinen Magen.

Declans Augen leuchteten wie Gletschereis. Frostig. Zum ersten Mal schien ihn Amy nicht zu interessieren, die wie June neben ihr zu Stein erstarrt war. Beide saßen da mit offenstehenden Mündern.

Ich brauchte eine Sekunde, um in meine Rolle der Überraschten zu finden. »Heather? Von was sprichst du, Mann? Ich habe keine Ahnung, von was du da redest.«

»Du, ich, im Theater.« Übertrieben tat Declan so, als würde ihm dann noch etwas einfallen. »Und … ach ja, fast hätte ich es vergessen: Da war noch dieser Typ, der dich Heather nannte.«

Mir fiel nur ein zu prusten. Panisch blickte ich zu Amy, die irritiert mit dem Kopf zuckte.

»Gestern Abend? Da warst du doch arbeiten.«

Eifrig nickte ich. »Ja, ja, natürlich war ich das. Ich war nicht im … Was sagtest du? Theater?«

Am liebsten hätte ich mir selbst für meine fabelhafte Schauspielkunst auf die Schulter geklopft.

Declan schien jedoch anderer Meinung zu sein. Noch immer schaute er mich voller Zweifel an. »Ja, Theater. Und jetzt hör auf mit der Scheiße. Glaubst du, ich bin bescheuert und check nicht, dass du mich verarschst?«

Abfällig musterte ich ihn von oben bis unten. »Willst du darauf eine ehrliche Antwort?«

Irgendwie musste ich ihn ablenken. Sollte es kosten, was es wolle. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber nicht, dass Declan sich mit beiden Händen auf dem Tisch vor mir abstützte und sich mir entgegenbeugte. Auge in Auge maßen wir uns gegenseitig eiskalt und unerbittlich.

»Ich scheiß auf deine ehrliche Antwort. Du willst es mir nicht sagen, Heather? Okay. Ich werde trotzdem rausfinden, warum du dieses Spiel treibst.«

Brennende Hitze flammte in mir auf. Fuck, das meinte er ernst. Irgendwie war ich oder wohl vielmehr Heather zu einer fixen Idee von ihm geworden. So verlockend, wie das vielleicht hätte klingen sollen, weil er sich endlich mal für mich interessierte, so gestrichen hatte ich die Hosen voll. Was, wenn er herausfand, dass ich als Escort arbeitete? Gott, Declan Hall würde es genießen, diese Neuigkeit zu verbreiten. Ich würde zum Gespött des Campus werden. Alle würden mich für eine Hure halten. Mädchen würden mich meiden. Typen ebenso. Zumindest vermutlich genau die, die ich nicht meiden wollen würde. Die anderen … Wahrscheinlich würden massenhaft eklige Anmachen und Dickpics auf meinem Telefon eintrudeln. O ja, dank Amys Erzählungen wusste ich, dass Declan eine sadistische Ader hatte. Er liebte es, andere in Zweifel und Kummer zu stürzen. Chaos zu verbreiten. Und das würde er mit diesem Wissen.

Nur unter Mühe konnte ich mir ein Lächeln abringen, was wahrscheinlich mehr verstört als selbstsicher rüberkam. »Wenn du meinst, du Spinner.« Mit zitternden Händen packte ich mein Zeug zusammen, schob meinen Stuhl zurück und erhob mich. »Wir sehen uns später, Amy. Bye, June.«

Declan richtete sich auf. Noch immer ließ er mich nicht aus den Augen.

Das Scheißprickeln in meinem Nacken hielt an, bis ich die Tür der Dining Hall hinter mir geschlossen hatte.

Der Nachmittag flog Declanfrei an mir vorüber und als ich mich abends nach meinem letzten Kurs auf den Heimweg machte, hatte sich jegliche Beklemmung und Sorge wegen ihm verflüchtigt.

Allerdings kam mir jemand anderes in die Quere, auf den ich ebenso liebend gern verzichtet hätte. Mein erster Kunde. Einer meiner größten Fehler lauerte mir mit seinem Sportwagen am Campusgelände auf. Dumm und naiv, wie ich damals anfangs gewesen war, hatte ich geglaubt, ihm einen Teil von mir offenbaren zu müssen, um eine Verbindung zu ihm aufbauen zu können und ihn so zufriedenzustellen, dass er mich immer wieder buchen wollen würde. Ich verriet ihm meinen echten Namen und erzählte ihm persönliche Dinge von mir. Zum Beispiel wie das College hieß, das ich besuchte. Wie mein Stundenplan aussah. Vieles, was ich mittlerweile meinen Kunden gegenüber unter Verschluss hielt.

Schon von Weitem winkte er mir grinsend zu. »Hey, Mia. Ich dachte, es wäre eine tolle Überraschung, wenn ich dich zu einem gemeinsamen Abendessen abholen würde.«

Ich zwang mich zu einem freundlichen Lächeln. »Eric. Hi, schön, dich zu sehen.« Damit unser Gespräch nicht von anderen Studenten belauscht werden konnte, trat ich dicht an ihn heran.

Leider nahm Eric das zum Anlass, mich in eine Umarmung zu ziehen und meine Wangen zu küssen. »Darling, du siehst fantastisch aus. Wie geht es dir?«

Schnell stoppte ich ihn, indem ich die Hand auf seine Brust legte und ihn von mir fort drückte. Zugleich wich ich einen Schritt zurück. »Hey, lass das bitte. Du weißt, das geht nicht«, mahnte ich ihn flüsternd. »Kein unangebrachter Körperkontakt. Abgesehen davon solltest du auch gar nicht hier auftauchen.«

Erics Augen wurden flehend. Andere Frauen hätten sich vielleicht geschmeichelt gefühlt von einem Achtundzwanzigjährigen, von Beruf Sohn aus reichem Elternhaus, dreist angeflirtet zu werden. Allerdings stand ich nicht auf Männer, denen man ihren ungesunden und selbstsüchtigen Lebenswandel ansah und -hörte. Überheblich von zu viel Geld und Einfluss, aufgedunsen von zu viel Alkohol, zu orange gebräunt und von einer zu starken Wolke aus Nikotin und zu süßem Parfüm umgeben, das waren nun mal nicht die Features meines Traummanns.

»Oh, komm schon, Darling. Wer sollte dich sonst zu einem eleganten Essen außerhalb der Agentur ausführen?« Gierig krochen seine Augen über meine Oberweite. Sein schleimiges Grinsen stülpte mir den Magen um. »Deswegen hast du mir doch auch erzählt, wo ich dich finden kann. Nicht wahr?«

Ich hatte echt zu kämpfen, nicht angeekelt mein Gesicht zu verziehen. »Hör zu, Eric …«

Scheiße, wieso prickelt schon wieder mein Nacken? Besorgt schaute ich mich um und wurde fündig. Natürlich stand da Declan. An seinen roten Sportwagen gelehnt, einen Stellplatz nebenan, beobachtete er Eric und mich mit verengten Augen. Seine vor der Brust verschränkten Arme zeigten, dass er es sich bequem gemacht hatte und so schnell nicht verschwinden würde. Meine Brust wurde eng und langsam wallte wieder diese unbequeme Hitze in mir auf, die mich mittlerweile jedes Mal befiel, wenn Declan mir auf die Spur kam.

Ich räusperte mich und wandte mich wieder Eric zu. »Wenn du mit mir essen gehen willst, läuft das nur über die Agentur.«

»Honey.« Erneut wollte er mich berühren.

Doch kurz vor meiner Wange fing ich Erics Hand ab und drückte sie nieder, was er nur widerstrebend zuließ. Sofort zog ich eilig meine Finger zurück. »Nein«, gebot ich ihm lächelnd. »Ich will mich nicht wiederholen.«

»Aber ich bin privat hier, ohne einen Auftrag der Agentur, also darf ich dich berühren.«

Mieses Arschloch.

»Wenn ich sage nein, ist das ein Nein. Mit oder ohne Auftrag. Wenn du das nicht akzeptieren kannst, Eric, können wir uns nicht mehr sehen. Nie wieder. Verstanden?«

Für Sekundenbruchteile verzerrte sich Erics selbstverliebter Ausdruck in eine Fratze des Zorns. Übellaunig hob er die Hände in einer Geste der Kapitulation. »Okay, okay. Ich hab es kapiert.« Er baute sich vor mir auf, was mich wohl einschüchtern sollte. »Du willst mir für heute Abend also wirklich einen Korb geben? Letzte Chance, Hon.«

Boah, der Kerl war echt ein Brechmittel.

»Ähm, ja, so schwer es mir fällt, muss ich dich leider jetzt verlassen.« Ich vollbrachte es, Eric nochmals süßlich anzugrinsen, bevor ich einen Blick in Declans Richtung warf und mich dann schleunigst vom Acker machte. Das Prickeln begleitete mich eine ganze Weile meines Weges. Doch es war eindeutig ein Declan-Prickeln und kein Eric-Prickeln, was mich seltsamerweise beruhigte.

Jedenfalls bis Declans Sportwagen neben mir langsam herfuhr und er die Scheibe der Beifahrerseite hinuntergleiten ließ.

»Steig ein, Mia.«

Verstört schüttelte ich den Kopf. »Was? Nein. Warum sollte ich?«

»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich allein heimlaufen lasse, wenn dir solche abgefuckten Creeps auflauern. Steig jetzt ein. Sofort.«

Ich blieb stehen und sein Wagen ebenso. Ungläubig zog ich meine Augenbrauen in die Höhe. »Sag mal, geht’s noch? Wer ist jetzt hier der Creep?«

»Willst du mich jetzt echt mit diesem Schwanzkopf vergleichen? Ich verspreche dir, ich fass dich nicht an. Nicht freiwillig jedenfalls.«

Scheiße, warum fühlt sich das wie ein Tritt in den Magen an?

»Bitte.«

Dieses einfache Wort von ihm und dieser blanke Ton brachten es fertig, dass sich meine Füße auf Declans Auto zubewegten. Wortlos stieg ich ein. Leider fuhr Declan mich nicht wortlos nach Hause. Kaum rollte der Wagen voran, begann er mit seinem Verhör.

»Okay, da gibt es Frank, der dich anruft, auf den du wartest und der derjenige ist, der dich gestern abgeholt hat, schätze ich mal. Reid, der dich ins Theater ausführt, Heather nennt und wie seine Freundin behandelt. Dann wäre da noch Schleimbacke, die dich vor der Uni abfängt, zwar Mia nennt und dich betatschen will, was du aber ganz und gar nicht magst. Den du jedoch trotzdem mit einem süßen Lächeln bei der Stange hältst.«

Betroffen spickte ich aus den Augenwinkeln zu Declan hinüber. Shit, er hatte das echt gut zusammengefasst. Trotzdem durfte ich mir nicht anmerken lassen, wie richtig er mit seinen Beobachtungen lag. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

Genervt schüttelte er den Kopf. »Echt jetzt? Du willst mir immer noch die ahnungslose Doppelgängerin vorspielen? Können wir uns das bitte sparen und uns ernsthaft ohne das Fake-Getue darüber unterhalten?«

O Scheiße. Mir wurde heiß. Ungemütlich schlecht heiß. Er würde nicht lockerlassen.

Mit ernster Miene inspizierte er mich. »Was zur Hölle treibst du da, Mia? Du weißt schon, dass das gefährlich ist, was du da mit den Männern abziehst? Was ist, wenn einer deiner unzähligen Lover checkt, dass du ihn betrügst? Wenn einer von ihnen gewalttätig oder rachsüchtig ist? Das sind gestandene Männer. So wie sie aussehen, hat jeder von denen genügend Kohle, dir das Leben zur Hölle zu ma…« Er stoppte, mitten im Wort. Nach einem »Ah, ich Idiot« ließ er seinen Kopf in den Nacken fallen. »Natürlich. Deswegen spielst du mit den Typen. Das sind deine Sugardaddys.« Bitter lachte er auf. »O Fuck! Du bist ja noch schlimmer als … Ach, vergiss es.«

Erneut unterbrach er sich selbst, doch es war zu spät. Dank Amys Erzählungen wusste ich auch so, dass er mich höchstwahrscheinlich mit seiner Ex, Victoria, verglich. Und das war echt kein Kompliment, vielmehr das Gegenteil davon. Victoria war nämlich eine gewalttätige, bösartige, betrügerische, manipulative Schlange.

Ätzende Übelkeit ballte sich in meinem Magen zusammen. Tränen stiegen mir in die Augen. Declan wusste nichts über mich. Gar nichts. Er hatte nur zwei und zwei zusammengezählt und nahm einfach das Schlimmste von mir an. So einfach war das!

»Was soll ich denn sein, hm? Komm schon, sag es, sprich es aus«, höhnte ich mit erstickter Stimme. »Ein Flittchen? Eine Schlampe? Schlimmer als Victoria, deine Ex, die dich betrogen hat?«

Declan neigte angewidert den Kopf zur Seite. Widersprach mir jedoch mit keiner Silbe, sondern blieb stumm wie ein Fisch.

»Halt an. Ich will aussteigen.«

»Mia, wir sind sowieso gleich an eurer Wohnung.«

»Mir egal. Halt sofort an. Ich will nicht länger in deinem Auto sitzen.« Wut ballte sich in meinem Hals zusammen und als er anhielt, stieg ich hastig aus. Ein letztes Mal beugte ich mich ins Wageninnere. »Du kennst mich überhaupt nicht, weißt nicht das Geringste von mir und trotzdem bildest du dir dein Urteil über mich. Ich bin weder Victoria noch bin ich das, für was du mich hältst, und ich halte mir mit Sicherheit keine Sugardaddys, du blödes, selbstgerechtes Arschloch.« Damit warf ich die Autotür zu und rauschte davon.

Meine Wut gärte weiter in mir. Auch die nächsten Tage, an denen ich Declan andauernd dabei ertappte, wie er mich aus der Ferne beobachtete – bei jeder Gelegenheit, bei der wir uns zufällig trafen. Vor und während unserer gemeinsamen Vorlesungen. In der Dining Hall, in der Schlange beim Anstehen zum Essen oder über die Tische hinweg, weil er bei seinem Footballteam saß und ich bei Amy und June. Ich Glückspilz hatte auf verquere Weise Declan Halls ungeteilte Aufmerksamkeit gewonnen.

Leider blieb das nicht ganz unbemerkt. Seine Kumpels stießen ihn an und an ihren Gesichtern und Gesten konnte ich ablesen, dass sie ihn wegen mir foppten. Gott, wenn die wüssten, was dahintersteckte, für was er mich hielt. Wobei das ja noch viel übler als die Wahrheit war. Mich wunderte es, dass er es so weit kommen ließ und sich noch nicht das Maul über mich zerrissen hatte. Störte es ihn denn nicht, dass seine Freunde glaubten, er würde auf mich stehen? Auf eine Schlampe, die sich gleich mehrere Sugardaddys hielt?

Zum Glück war Declans Verhalten bis jetzt nur June aufgefallen, da Amy uns an den vergangenen Tagen nicht zur Dining Hall begleitet hatte. Eine Schicht im Campus-Café, eine Hausarbeit und ein Lunch mit Camden hatten unsere gemeinsamen Mittagstreffen verhindert.

»Wieso behält Declan dich im Auge? Glaubt er etwa immer noch, du wärst diese Heather?«, fragte mich June, die meinem Blick zu Declans Tisch gefolgt war.

»Hm, keine Ahnung, was sich in seinem Erbsenhirn abspielt und es ist mir egal.« Mürrisch erwiderte ich Declans Starren, der einfach nicht nachgeben wollte.

June kicherte. »Vielleicht stalkt er dich aber auch aus einem anderen Grund.« Sie wackelte vielsagend mit den Augenbrauen und ich schenkte ihr dafür ein Grunzen.

»Nein. Ein ganz klares Nein. Declan Hall hat mir mehrmals äußerst deutlich klargemacht, dass er auf gar keinen Fall in dieser Richtung auch nur das leiseste Interesse an mir hegt.« Ich schüttelte den Kopf. »Du kannst deine Verkupplungsversuche sofort einstellen, June. Eher gefriert die Hölle zu, als dass Declan Hall mir irgendwelche Avancen macht.«

Mit dem Löffel im Mund gurrte June einen Moment leise vor sich hin, bevor sie ihn herausnahm. Noch immer sah sie zu Declan. »Du bist wunderhübsch, Mia. Wieso sollte Dec das nicht auffallen? Er ist nicht blind. Hass und Liebe sind beides sehr leidenschaftliche Gefühle und liegen recht nah beieinander.«

»Nicht in unserem Fall. Da liegen Welten dazwischen. Ach was, ganze Universen.«

»Was sich liebt, das neckt sich.«

»Genau. Und das, was mich mit Declan verbindet, ist alles andere als Liebe. Diskussion beendet, June.«

»Oh-oh, ich glaube nicht. Da kommt er nämlich. Und das ist mein Zeichen für den Abflug. Wir sehen uns.« Hektisch packte June ihren Krempel zusammen und machte eilig die Fliege. Zum Teufel, was glaubte sie, was hier gleich passieren würde? Ein Balztanz? Pff!

Entsetzt erstarrte ich, drehte mich dann aber nach Declan um, der sich schon im nächsten Moment direkt im Stuhl neben mir niederließ. Schnell drehte ich mich wieder von ihm weg und konzentrierte mich auf mein Essen, da June mich fluchtartig allein zurückgelassen hatte.

Pfiffe und Anfeuerungsrufe seiner Kumpels ertönten, die Declan zwar anscheinend ignorieren konnte, ich jedoch nicht.

»Ja, Mann, mach sie klar. Hast lange genug gestarrt.«

»Mach endlich deinen Move, Alter, sonst wird das nie was.«

Mit pochendem Herzen blickte ich von seinen grölenden Kumpels zu ihm und vergaß, Luft zu holen. Er saß seitlich auf dem Stuhl und hatte sich mit dem Körper zu mir gewandt. Obwohl er sich auf Tisch und Lehne abstützte, beugte er sich mir verschwörerisch entgegen. Shit, so nah waren wir uns noch nie gewesen. Denn jetzt erst entdeckte ich die silbernen Funken in dem Türkisblau seiner Iriden. Geez, war dieser Mann schön. Seine Augen glitten langsam über mein Gesicht.

»Okay, ich gebe es zu. Ich war ein Arsch und ich schulde dir eine Entschuldigung.«

»W-was?« Sein Duft, der irgendwie nach Frische und Meer roch, und sein Anblick benebelten meine Sinne heute besonders. Gott, reiß dich am Riemen, Mia.

»Entschuldige, dass ich dich verurteilt habe, ohne etwas über dich zu wissen.« Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete mich weiterhin aufmerksam. »Wirst du mir jetzt verraten, was hinter all dem steckt?«

»Dazu müsste ich dir vertrauen.«

»Das kannst du.«

Ich lachte kopfschüttelnd auf. »Sicher nicht. Vertrauen muss man sich verdienen, Declan. Man kann es nicht verlangen.«

Er presste seine Lippen aufeinander und nickte. »Okay. Und wie mach ich das?«

Perplex versuchte ich, in seinen Augen die Wahrheit zu finden. »Ich verstehe dich nicht. Warum solltest du das wollen?«

»Weil ich dein Geheimnis lüften will, das du so verbissen hütest.«

»Warum? Was willst du dann damit tun?«

»Das weiß ich noch nicht.« Seine Augen wurden schmal. »Aber ich glaube, so oder so wird es sich lohnen.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Du wirst ziemlich enttäuscht sein.« Ja, okay, ich bluffte. Was anderes blieb mir auch nicht übrig. »Aber weißt du, was ein guter Anfang wäre, um mein Vertrauen zu gewinnen? Wenn du endlich damit aufhören würdest, mich unentwegt anzustarren.«

Einer seiner Mundwinkel zuckte, was ihn viel zu sexy wirken ließ. Verflixt. »Warum? Mach ich dich nervös?«

»Es macht mich nervös. Nicht du.« Jep, das war dreist gelogen.

Und als würde er meine Gedanken lesen, grinste er selbstgefällig. »Tja, vielleicht mache ich es genau aus diesem Grund. Aber das … wirst du wohl nie erfahren.«

Kapitel 3

Da Camden Amy besuchte und ich ihren Sexgeräuschen in unserem gemeinsamen Apartment auf keinen Fall lauschen wollte, verbrachte ich den Freitagnachmittag in der Bibliothek. Hier konnte ich ungestört lernen. Ich war gerade mitten in meiner Hausarbeit vertieft, als mein Telefon auf dem Tisch neben mir den Eingang einer Nachricht anzeigte. Ich spickte auf die aufgeploppte Message. Sie stammte von meiner kleinen Schwester.

Mia, hast du Zeit? Kann ich dich anrufen? Ich muss dringend mit dir reden.

Wie immer freute ich mich, dass sie mich zwei- bis dreimal pro Woche anrief. Jedes Mal, wenn sie telefonieren durfte, war ich die Erste, an die sie dachte. Aber ihr letzter Satz bereitete mir eine kleine Panikattacke. Scheiße, war ihr etwas passiert? Ging es ihr nicht gut? Mit heftigem Magendrücken tippte ich schnell ein: Klar, warte einen Moment. Ich muss nur geschwind mein Zeug einpacken, ich bin in der Bibliothek.

Hastig sammelte ich meine Lernsachen ein und warf sie achtlos in meine Tasche. Während ich auf den Ausgang zueilte, schrieb ich Lindsey, dass sie mich anrufen kann. Ich achtete weder auf die Studenten, die mir dabei entgegenkamen, noch auf jene, die hinter mir gingen. Im Vorraum der Bibliothek blinkte auf meinem stummgeschalteten Handy bereits ihr Anruf auf und ich nahm das Gespräch sofort an.

Draußen an der frischen Luft blieb ich stehen und atmete hektisch durch. »Hey, was ist los? Alles okay bei meinem Lieblingsmenschen?«

»Mia«, schniefte die süße Stimme meiner Schwester durchs Telefon. »Mom war heute Mittag da und sie sagte, sie würde mich abholen und nach Hause bringen. Ich würde nicht mehr länger bei Luke und meinen Freunden wohnen.« Sie weinte bitterlich. »Ich will nicht nach Hause, Mia. Luke ist hier und hier geht es mir gut. Ich will nicht wieder zurück. Zuhause gibt es nichts zu essen, wenn ich Hunger habe, und Mom ist ständig böse auf mich, weil ich ihr im Weg bin. Außerdem ist mir den ganzen Tag langweilig. Ich will nicht immer nur Fernsehschauen und von den fremden Männern dumm angeglotzt werden, die sie in den Wohnwagen bringt.«

Allein schon der Gedanke daran ließ mich die Augen schließen und um innere Ruhe ringen. Ein ekliges Brennen rollte durch meinen Magen. Lindsey klang völlig hysterisch und ich konnte es verstehen. Das Wohnheim war jetzt ihr Zuhause, dort hatte sie ihre Freunde, Menschen, die sich um sie sorgten. Dort war sie sicher und ihr ging es gut. Selbstverständlich wollte sie es nicht gegen einen engen, verlotterten Wohnwagen eintauschen, in dem Mom ihre Freier empfing und sie Lindsey wie ein nutzloses Übel behandelte.

»Hey, hey, niemand wird dich abholen«, versuchte ich sie trotz meiner aufsteigenden Befürchtung zu beruhigen. »Du bleibst da, wo du bist, Lindsey. Ich sorge dafür. Ich werde gleich mit Mom telefonieren und die Angelegenheit mit Kamila abklären. Hab keine Angst, ja? Alles wird gut.«

»Versprichst du es, Mimi?«

Ihre leise, ängstliche Stimme und die Verwendung ihres Spitznamens für mich trafen mich mitten ins Herz. »Natürlich verspreche ich es, Linni. Ich würde alles für dich tun, das weißt du doch.«

Das würde ich, denn sonst würde es kein anderer für meine kleine Schwester tun.

»Okay, wenn du das sagst«, kam es noch immer zögerlich von ihr.

»Vertrau mir. Du bleibst, wo du bist. Ich sorge dafür.«

»Danke, Mimi. Ich habe dich ganz doll lieb und bin so froh, dass ich dich habe.«

Tränen traten mir in die Augen. Sie war der einzige Mensch, der mir das sagte und es auch ernst meinte. »Ich dich auch, Linni. Wir zwei …«

»… für immer und ewig«, stimmte Lindsey in unser schwesterliches Mantra mit ein.

Wir verabschiedeten uns und ich beendete das Gespräch mit einem Knopfdruck. Mein Inneres war ein einziger Knoten aus Furcht und Ärger. Was hatte Mom nur wieder angestellt? Wollte sie wirklich Linni aus dem Wohnheim holen? Warum? Wir hatten doch eine Vereinbarung? Meine Schultern sackten nach unten und ich ließ ausgelaugt den Kopf hängen. Ich war des ständigen Kämpfens so müde. Meine Mutter, die mir ständig Steine in den Weg legte, das College, das meine volle Aufmerksamkeit forderte, mein Job, der immer belastender wurde … Der Druck ließ nie nach. Im Gegenteil, er stieg andauernd an. Geld, Zeit, Kraft, alles wurde knapper, zerrann mir wie Sand zwischen den Fingern.

»Schwerwiegende Probleme, Turner?« Eine männliche Stimme ertönte hinter mir, die mich die Augen weit aufreißen ließ: Declan Hall. Der hatte mir gerade noch gefehlt zu meinem Glück.

Ich drehte mich zu ihm um. Mit verschränkten Armen und einem angewinkelten Knie lehnte er neben dem Bibliothekseingang an einer der Säulen. In löchrigen Jeans, die ihm tief auf den Hüften hing, hellen Turnschuhen und einem weißen T-Shirt unter seiner Collegejacke, die seine Brust- und Armmuskeln mehr betonten als verbargen, gab er das typische Bild des supersportlichen und heiß begehrten Collegestudenten ab. Haare in herrlich perfekter Unordnung gestylt und mit seinen unnatürlich strahlend türkisen Augen, konnte auch ich mich nicht gegen diese geballte Ladung an maskuliner Schönheit wappnen.

Verdammt, darauf war ich nicht vorbereitet. In diesem schwachen Moment traf sie mich volle Breitseite. Das altbekannte Kribbeln in meiner Brust, das ich stets in seiner Nähe bekam, brach sofort und viel zu heftig aus, was mich maßlos ärgerte. Verbissen versuchte ich, diesen Ärger gegen ihn zu verwenden.

»Selbst wenn, sie gehen dich nichts an, Hall«, schoss ich deswegen zurück und betonte seinen Nachnamen wie ein Schimpfwort.

Ein Zucken um Declans Mundwinkel erschien, das mich an Ort und Stelle bannte. Jeez, warum muss er auch so verflucht hübsch sein?

»Wahrscheinlich. Dennoch waren sie nicht zu überhören.« Er kam auf mich zu, sein Blick ruhte ununterbrochen auf mir. Dicht baute er sich in nervtötender Lässigkeit vor meiner Nase auf. »Vielleicht kann ich dir helfen.«

Ich musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu schauen. Er musterte mich eingehend wie ich ihn. Irritierende Wärme strahlte von seinem Körper aus, die meiner gierig aufsaugte – der elende Verräter. Prustend wippte ich mit dem Kopf. »Du mir helfen? Wieso solltest du das tun? Wir beide wissen, du tust nichts ohne Grund.«