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Die magische Kunst der Heiligen Maid ruht in Sei, doch unter welcher Bedingung aktiviert sie sich? Sei, deren Forschung nach einer Serie gescheiterter Versuche zum Stillstand kommt, wird damit beauftragt, ins Heilige Land der Apotheker zu reisen. Während sie bei einer erfahrenen Apothekerin in die Lehre geht und dabei die Aufmerksamkeit eines Söldnerhauptmanns erregt, stößt sie auf ein altes Dokument von großer Wichtigkeit …
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Seitenzahl: 202
Cover
Farbseiten
Kapitel 1: Aufbruch
Kapitel 2: Klausner
Kapitel 3: Söldner
Kapitel 4: Zutaten
Kapitel 5: Die Kunst der Heiligen Maid
Kapitel 6: Enthüllung
Bonus-Kurzgeschichte
Nachwort
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Seit meiner Beschwörung war ein Jahr vergangen. Die Jahreszeiten waren vorübergezogen und es wurde zum zweiten Mal Frühling. So langsam zumindest, denn noch war Winter. Im Vergleich zu Japan war das Klima um die Königliche Hauptstadt zwar mild, aber trotzdem war es noch ziemlich kalt.
In der frostigen Luft stand ich auf dem Übungsplatz des Königlichen Magierordens und trainierte. Trotz der Temperaturen trug ich über meiner normalen Kleidung statt eines Mantels nur eine Robe. Dass mir trotzdem kuschelig warm war, verdankte ich dem magischen Artefakt, dass ich bei mir trug. Es war mit Feuermagie versetzt und bildete eine Schicht aus warmer Luft um meinen Körper herum.
Quasi wie ein persönliches Heizlüfterchen. Einfach wunderbar.
Diese praktische, und nicht gerade billige, Gerätschaft hatte mir der Ordensführer überlassen. Er sagte zwar, er mache sich Sorgen, dass ich mich sonst erkälte, aber so wie ich ihn kannte, hatte er bestimmt irgendwelche Hintergedanken.
Gerade als ich als Aufwärmübung ein paar Heilige Zauber beschwor, stieß besagter Ordensführer zu mir.
Wenn man vom Teufel spricht – oder über ihn nachdenkt.
„Ihr macht große Fortschritte“, lobte er mich.
„Vielen Dank.“
Sein maskenhaftes Lächeln war so wunderschön wie immer, aber ich wusste, dass der Schein trog. In Wahrheit war er ein Besessener, der sich für nichts anderes interessierte als Magie. Das mochte zwar harsch klingen, aber ich war nicht die Einzige, die so dachte.
Was für eine Verschwendung eines hübschen Gesichts.
„Widmet Ihr Euch gleich der Kunst der Heiligen Maid?“ Der Ordensführer redete nicht lange um den heißen Brei herum.
„Ja, ich bin gerade mit dem Aufwärmen fertig geworden.“
Die Kunst der Heiligen Maid, das war jene Technik, mit der ich im Westwald auf einen Schlag den Miasma-Sumpf gereinigt und die Monster ausgelöscht hatte. Dass sich der schwer beschäftigte Ordensführer jeden Tag nach der Vorlesung Zeit nahm, meinem Training beizuwohnen, lag nur daran, dass er diese Kunst sehen wollte.
Sicher ist das auch der wahre Grund, warum du mir dieses teure Heiz-Artefakt gegeben hast.
Auch jetzt stand er neben mir und wartete mit strahlenden Augen darauf, dass ich endlich anfing. Um seine Erwartung nicht zu enttäuschen, wandte ich den Blick von ihm ab und holte tief Luft, um mich in die richtige Stimmung zu bringen. Seit der Rückkehr aus den westlichen Wäldern hatte ich es nicht ein einziges Mal geschafft, die Kunst der Heiligen Maid zu aktivieren.
Das Laboratorium und der Westwald.
Bisher hatte ich sie zweimal angewandt, doch ihr Effekt war ganz unterschiedlich gewesen. Beim ersten Mal hatte sie den Wirkungsgrad der Heilkräuter erhöht, beim zweiten Mal den schwarzen Miasma-Sumpf geläutert. Dass beide Zauber als Kunst der Heiligen Maid identifiziert wurden, lag daran, dass sie eine eindeutige Gemeinsamkeit hatten: die goldene Magie.
Beide Male war die goldene Energie plötzlich aus mir hervorgesprudelt und hatte die Kunst wie von selbst aktiviert. Ich konnte mich an das Gefühl in diesem Moment gut erinnern, deshalb war ich überzeugt, es wäre mir ein Leichtes, sie wieder anzuwenden, wenn ich nur irgendwie die goldene Magie beschwören konnte.
Doch genau daran scheiterte ich. Ich hatte schon alles Mögliche ausprobiert, aber noch keine Methode gefunden. Dieses Gefühl, erfolglos im Dunkeln zu tappen, erinnerte mich irgendwie an meinen alten Job in Japan.
Jetzt nicht abschweifen, konzentriere dich auf den Zauber!
Ich zwang mich, meine Aufmerksamkeit auf die Magie zu richten, die in meinem Inneren zirkulierte. Dank meiner Monate des Trainings fiel es mir inzwischen sehr leicht, mir ihren Fluss bewusst zu machen. Trotzdem konnte ich in ihr kein Fünkchen Gold entdecken.
In jenem Moment kam es mir ganz gewiss so vor, als würde sie aus meinem Brustbereich kommen. Hm ... Hmmmmmm ...
Nach einigen Minuten riss meine Konzentration ab. Ich seufzte ratlos.
Wie habe ich das bloß hinbekommen? Ich kann mich nicht daran erinnern, irgendetwas Besonderes getan zu haben, auch nichts Magisches.
„Tut Ihr Euch schwer?“, fragte der Ordensführer.
„Ja, ich habe die Bedingungen für die Aktivierung immer noch nicht herausgefunden.“
„Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte im Westwald genauer achtgeben müssen, als Ihr die Technik aktiviertet.“
„Bitte macht Euch keinen Vorwurf, Lord Drewes.“
„Nein, nein. Es grämt mich wirklich, dass ich Euch nicht genaustens beobachtet habe. Sonst könnten wir jetzt ...“ Er ließ den Halbsatz in der Luft hängen.
Inmitten einer Schlacht war es doch selbstverständlich, dass jeder vollkommen mit sich selbst beschäftigt war. Der Ordensführer hatte zumindest unterbewusst den Fluss der Magie wahrgenommen, aber das reichte wohl nicht aus, um die Aktivierungsbedingungen zu verstehen. Nachdem sich nach unserer Rückkehr herausgestellt hatte, dass ich die Kunst der Heiligen Maid nicht beliebig replizieren konnte, ärgerte er sich umso mehr darüber.
Wenn uns die Bedingungen bekannt wären und ich die Kunst beliebig anwenden könnte, würde er mich bestimmt allerlei Experimente durchführen lassen. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er genau das gerade unausgesprochen gelassen hatte.
Leider blieb aber auch mein heutiges Training erfolglos. Obwohl ich bis zum Sonnenuntergang mein Bestes gab, konnte ich die Kunst der Heiligen Maid nicht aktivieren.
◆
Der Winter meldete sich noch ein letztes Mal zurück. Draußen wurde es plötzlich noch einmal kälter, sodass ich mich im Laboratorium verkroch.
„Sei, braust du schon wieder Tränke?“ Mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton kam Jude zu mir herüber. Seit ich in diese Welt gekommen war, hatten wir exakt diese Konversation schon unzählige Male geführt.
„Ja, tu ich. In letzter Zeit bekommen wir schließlich viel mehr Bestellungen.“
„Das mag sein, aber übertreibst du es nicht etwas?“
„Findest du?“ Ich ließ den Blick über die Phiolen schweifen, die sich vor mir aneinander reihten und legte den Kopf schief. Jude seufzte nur.
Guck nicht so! Ist doch wirklich wahr, dass die Bestellungen mehr geworden sind.
Anfangs hatte nur der Dritte Ritterorden unsere Tränke angefordert, aber inzwischen belieferten wir auch den Zweiten Orden und sogar den Magierorden. Am Königshof hatte sich herumgesprochen, dass die Tränke aus dem Laboratorium besonders gut wirkten. Zusätzlich hatte die zunehmende Zahl an Monstern in den letzten Jahren die Nachfrage nach Tränken und damit auch ihren Preis in die Höhe getrieben, und es herrschte scheinbar eine allgemeine Knappheit am Markt.
Zuerst dachte ich, das Problem wäre einfach zu lösen, indem man das Angebot ausweitete, aber so einfach war es leider nicht.
Man konnte Tränke nicht einfach herstellen, indem man nach Rezept ein paar Zutaten vermengte. Es erforderte feinfühlige Magiemanipulation, und je höher der Rang des Tranks, desto höher musste auch der Fertigungsskill-Level des Herstellenden sein.
War der Level zu niedrig, schlug die Herstellung fehl und am Ende entstand nur ein Kräutersud ohne besondere magische Eigenschaften. Deswegen gab es zwar genug Menschen, die mittelrangige Tränke brauen konnten, doch nur sehr wenige, die auch höherrangige Tränke zuverlässig herstellen konnten.
Außerdem verbrauchte der Vorgang Magie, sodass man nur eine gewisse Anzahl herstellen konnte, bevor einem die Energie ausging und man bis zum nächsten Tag warten musste. Dieser Kapazitätsengpass wiederum erschwerte es, den Arzneimittelherstellungs-Level schnell zu erhöhen, um mehr Tränke herstellen zu können.
Kurz gesagt war es also nicht möglich, die Produktion von Tränken einfach und schnell auszuweiten.
Für die Königlichen Ritterorden, die mit der Monsterjagd beauftragt waren, waren Tränke unabdinglich. Mit dem Anstieg an Monsteraktivität um die Hauptstadt herum war auch von ihrer Seite die Nachfrage in die Höhe geschossen. Der Königshof genoss zwar Privilegien bei der Belieferung, aber würde er sämtliche Tränke für sich beanspruchen, könnte das für Unmut in der Bevölkerung sorgen. Die meisten normalen Bürger konnten sich keine höherrangigen Tränke leisten, aber gewöhnliche Tränke niederen Rangs wurden auch von ihnen verwendet. Mit diesem Hintergedanken hatten die Beamten das Einkaufsvolumen begrenzt.
Die Ritterorden bezogen also zwar deutlich mehr Tränke als früher, hatten aber nicht mehr viel Spielraum nach oben. Leichte Verletzungen überließen sie der natürlichen Heilkraft des Körpers, und für schwerere Fälle nahmen sie die Hilfe von Hofmagiern, die Heiliger Magie mächtig waren, in Anspruch. So konnten sie den Mangel an Tränken mit Mühe und Not ausgleichen.
Dann tauchten auf einmal die Tränke aus dem Laboratorium auf. Ihre Wirkung war stärker, und das Produktionsvolumen stand dem der Spezialgeschäfte in der Hauptstadt in nichts nach. Kein Wunder, dass die unter andauerndem Tränkemangel leidenden Ritterorden sich auf diese Gelegenheit stürzten.
„Es sind zwar mehr, aber so viele nun auch nicht“, meinte Jude.
„Eigentlich habe ich aber versucht, die Menge im Auge zu behalten.“
„Ach wirklich? So viele hochrangige Tränke wurden ganz bestimmt nicht bestellt. Du kriegst nur wieder Ärger vom Direktor.“
Die Tränke, die sich vor uns auf dem Tisch aneinanderreihten, waren allesamt hochrangig. Die Heilkräuter, die für ihre Herstellung nötig waren, waren teuer, und sie wurden nur in seltenen Notfällen benötigt. Natürlich hatten die Ritterorden nicht so viele davon bestellt. Der wahre Grund, warum ich so viele hergestellt hatte, war, dass ich meinen Arzneimittelherstellungs-Skill verbessern wollte.
Um meinen Level zu erhöhen, muss ich nun einmal ganz viele Tränke brauen. Und inzwischen ist er so hoch, dass mittelrangige Tränke einfach nichts mehr bringen.
Weil die Zutaten für hochrangige Tränke so teuer waren, hatte mich der Direktor angewiesen, nicht so viele von ihnen herzustellen. Eigentlich hatte ich auch versucht darauf zu achten, aber ...
Vielleicht habe ich doch ein paar zu viel gemacht.
„Solltest du dich nicht lieber um die anderen Bestellungen kümmern?“
„Die habe ich schon gemacht.“
Jude sah mich verdutzt an. „Wie, du hast die schon gemacht?“
„Das meiste davon waren ja nur nieder- oder mittelrangige Tränke.“
Im Vergleich zu anderen Apothekern konnte ich an einem einzelnen Tag sehr viele Tränken herstellen, das hatte Jude mir schon einmal gesagt. So viele sogar, dass ich eine Menge, für die andere mehrere Tage gebraucht hätten, an einem einzigen fertigstellte.
Ich hatte die Vermutung, dass das an meinem hohen Basislevel lag. Von dem, was ich so gehört hatte, lag der Basislevel der meisten Herstellenden unter 10. Dieser Unterschied schlug sich direkt in der Menge der KP und MP nieder.
Die Herstellung von Tränken verbraucht MP, also würde es nur Sinn ergeben, dass jemand mit mehr MP auch mehr Tränke herstellen kann. Ich frage mich, wie groß der Unterschied in MP zwischen mir und einer Person mit Basislevel 10 ist.
„Sei, wir müssen reden.“
Wenn man vom Teufel spricht.
Der Direktor gesellte sich zu Jude und mir. Scheinbar hatte er etwas mit mir besprechen wollen, aber jetzt war sein Blick auf die hochrangigen KP-Tränke auf dem Tisch gerichtet.
Oje. Ich hatte keine Gelegenheit, sie wegzuräumen, bevor er vorbeikam.
„Ich bin ja froh, dass du mit so viel Leidenschaft ans Werk gehst, aber denkst du nicht, dass du es etwas übertrieben hast?“
„Es tut mir leid.“
Als ich Jude sagte, ich hätte bei der Menge Rücksicht auf die Bestellungen der Ritterorden genommen, war das nicht gelogen. Sicher, für nur eine Fuhre waren es zu viele Tränke, aber beim nächsten oder übernächsten Mal würden sie sicher aufgebraucht.
Das schien auch dem Direktor bewusst zu sein, sodass ich ohne scharfen Tadel davonkam, aber so wie sich die Phiolen vor uns aneinanderreihen, wollte er die Situation wohl auch nicht kommentarlos auf sich beruhen lassen. Ich konnte seine Sicht nachvollziehen, deswegen hatte ich beschlossen, mich ehrlich zu entschuldigen.
„Na, wie auch immer. Das passt eigentlich ganz gut, denn ich wollte gerade mit dir über das Thema Tränke reden.“ Der Gesichtsausdruck des Direktors war ungewöhnlich ernst und weckte in mir die Befürchtung, dass er mir ein noch härteres Limit auferlegen würde.
„Was gibt es?“, fragte ich und setzte mich aufrecht hin, um meine volle Aufmerksamkeit zu vermitteln.
„Wir werden die Produktion bis auf Weiteres einstellen müssen.“
„Wie? Warum?“
„Es ist momentan kaum tragbar, an Zutaten zu kommen.“
„Was?“ Vor Überraschung erhob ich unwillkürlich die Stimme.
Der Direktor erklärte, dass die Menge an Heilkräutern, die im Herbst in die Königliche Hauptstadt geliefert worden war, stark unter dem Durchschnitt lag. Insbesondere aus einer bestimmten Provinz, die normalerweise das größte Anbaugebiet im ganzen Land war, war nur sehr wenig gekommen. Deswegen herrschte schon seit Längerem eine Knappheit an Heilkräutern in der Hauptstadt. Dass das Laboratorium davon bisher nichts zu spüren bekommen hatte, lag an den Bemühungen unserer Zulieferer, mit denen wir gute Beziehungen pflegten. Doch scheinbar waren auch ihre Mittel jetzt erschöpft, und der Direktor hatte kürzlich die Nachricht erhalten, dass sie nicht mehr liefern konnten.
„Die Lage scheint wirklich ernst“, kommentierte ich besorgt.
„Ja. Ich hatte zwar schon im Herbst gehört, dass es zu Engpässen kommen könnte, aber mit einem kompletten Lieferstopp hatte ich nicht gerechnet.“
„Denken Sie, dass die Situation lange andauern wird?“
„Es ist nicht ganz sicher, aber unser Zulieferer meinte, die Wahrscheinlichkeit sei hoch.“
„Das klingt gar nicht gut.“
Die betroffene Provinz lieferte nicht nur Zutaten für niederrangige, sondern auch für mittel- und hochrangige Tränke. Erstere konnten unabhängig der Region ohne große Probleme angebaut werden, aber bei letzteren war das anders. In den meisten Gegenden wuchsen sie gar nicht, oder nur unter bestimmten Bedingungen, die viel Aufwand erforderten. Dass sie im Garten des Laboratoriums wuchsen, war nur den Anstrengungen der Forscher zu verdanken, die sich aufmerksam um sie kümmerten.
Jene Provinz jedoch war eine der wenigen, in denen auch Kräuter für Tränke mittleren Rangs mit wenig Aufwand kultiviert werden konnten, sodass ihr Anbau zu einem der Hauptwirtschaftszweige geworden war. Außerdem gab es dort auch einen Wald, in dem Zutaten für Tränke hohen Rangs natürlich vorkamen, sodass diese zusammen mit den angebauten Kräutern präpariert und dann in die Hauptstadt exportiert wurden.
Da der Zeitraum der Ernte von der Natur abhängig war, war es nicht ungewöhnlich, wenn sich die Lieferung etwas verzögerte. Deswegen hatten sich der Direktor, als Anfang Herbst ungewöhnlich wenig Kräuter in die Hauptstadt kamen, zunächst keine Sorgen gemacht. Doch die erwartete Nachlieferung traf nie ein, und so waren wir bei der jetzigen Situation angelangt.
Der Direktor war nicht der Einzige, der vermutete, dass es vor Ort irgendein Problem gab. Die Beamten vom Königshof hatten scheinbar vor Kurzem einen Untersuchungstrupp in die Provinz entsandt.
„Was passiert mit den Bestellungen der Ritterorden?“, fragte ich.
„Die werden wir bis auf Weiteres wohl auf Eis legen müssen.“
„Ich verstehe.“
Nachdem er seine Erklärung beendet hatte, kehrte der Direktor in sein Büro zurück. Auch Jude und ich beschlossen, uns wieder unserer jeweiligen Arbeit zu widmen.
Wobei, mir wurde ja gerade gesagt, dass ich keine Tränke mehr brauen soll.
Stattdessen räumte ich meine Utensilien an ihren Platz zurück und ließ meine Gedanken schweifen.
Die Zahl der Monster in der Gegend um die Hauptstadt herum hatte in letzter Zeit zwar abgenommen, doch es fanden immer noch regelmäßig Monsterjagden statt. Selbst wenn die Menge benötigter Tränke etwas zurückgegangen war, hieß das keineswegs, dass sie gar nicht mehr gebraucht wurden. Wenn die Heilkräuterknappheit länger andauerte, würde das mit Sicherheit zu Problemen führen.
Hoffentlich klärt sich die Angelegenheit schnell und es kommt rechtzeitig Nachschub.
◆
Es war am frühen Nachmittag. Nach meiner Vorlesung hatte ich es mir in einer Ecke der Königlichen Bibliothek gemütlich gemacht und las. Eigentlich hätte ich nach meiner Magievorlesung wie sonst auch auf den Übungsplatz gehen können, doch irgendwie stand mir der Sinn heute nicht danach.
Aus den vielen Büchern hatte ich mir eine Kräuterenzyklopädie ausgesucht. Sie enthielt detaillierte Skizzen verschiedener Heilkräuter und genaue Beschreibungen ihrer Wirkungen. Ich hatte sie zwar schon einmal gelesen, aber trotzdem machte ich weiterhin neue Entdeckungen, sodass die Lektüre nicht langweilig wurde.
Während ich meinen Blick über die Seiten gleiten ließ, fiel mir wieder etwas auf: In den Beschreibungen der Kräuter wurde stets auch ihr Anbaugebiet erwähnt, und dabei kam ein Name besonders oft vor. Ich blätterte noch einmal zurück, und tatsächlich war er bei fast allen Kräutern gelistet. Nicht nur Zutaten für KP- und MP-Tränke, sondern auch jene, die für Tränke gegen alle möglichen Statusveränderungen genutzt wurden, schienen aus dieser Gegend zu stammen.
Das scheint der Hauptproduzent für Heilkräuter im Land zu sein.
Bei diesem Gedanken erinnerte ich mich an das Gespräch, das ich vor ein paar Tagen mit dem Direktor geführt hatte. Die Provinz, die plötzlich weniger Heilkräuter lieferte, das war genau diese gewesen.
Dort wachsen ja wirklich alle möglichen Kräuter.
Der Grund für die geringe Exportmenge war noch unbekannt, aber wenn dort wirklich so viele verschiedene Heilkräuter geerntet wurden, war das Ausmaß des Problems vielleicht deutlich größer, als ich zuerst angenommen hatte. Schließlich wurden Tränke gegen Statusveränderungen nicht nur von den Rittern, sondern auch von den gewöhnlichen Bürgern regelmäßig genutzt.
Nachdem ich einmal darüber nachgedacht hatte, ließ mich das Thema nicht mehr los. Ich war mir unsicher, ob das eher eine Charakterschwäche oder eine Tugend war, aber ich beschloss, die besagte Provinz weiter zu recherchieren. Da hörte ich ein Geräusch aus der Richtung des Eingangs.
Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarzen und ein braunhaariger Kopf lugte herein.
„Oh, Sei-san!“ Es war Aira Misono, das Mädchen, das mit mir zusammen aus Japan hierher beschworen worden war. Sie besuchte die Königliche Akademie, würde aber in etwa einem Monat dort ihren Abschluss machen.
„Hallo!“, grüßte ich.
Um diese Uhrzeit solltest du doch eigentlich Vorlesungen haben. Was machst du in der Bibliothek?
„Hast du keinen Unterricht?“
„Nein, wir haben heute frei, deswegen war ich beim Magierorden.“
„Ah, ich verstehe.“
„Und da gab es etwas, das ich recherchieren wollte.“
Aira erklärte mir, dass für die Schüler, die bald ihren Abschluss machen würden, die Anwesenheitspflicht an der Akademie schon ausgesetzt war. Nur diejenigen, deren Noten zu schlecht waren, mussten in Nachholkursen die Schulbank drücken.
Wie früher auf der Oberschule.
Airas Noten waren hervorragend, deswegen war es schon beschlossene Sache, dass sie nach ihrem Abschluss dem Magierorden beitreten würde. Daher nutzte sie ihre vorlesungsfreie Zeit jetzt schon, um dort zu lernen und zu üben.
Aira besaß neben Heiliger Magie auch eine Affinität für Wasser- und Windmagie. Bis vor Kurzem hatte sie nur ihren Level in Heiliger Magie verbessert, aber seit sie mit dem Magierorden trainierte, machte sie auch mit ihren anderen Skills rapide Fortschritte. Menschen mit mehreren Affinitäten waren rar, deswegen erwarteten alle, dass sie, wenn sie ihre Level erhöhte, bald zu einem der mächtigsten Magier im Orden werden würde.
Ihr Training beim Magierorden bestand scheinbar, genau wie meines, aus Vorlesungen und praktischen Übungen. In der heutigen Vorlesung war ein Thema vorgekommen, dessen Verständnis ihr etwas Schwierigkeiten bereitete, und deswegen wollte sie in der Bibliothek weiter recherchieren. Zwar gab es auch im Hauptquartier des Magierordens viele Schriftstücke zum Thema Magie, aber diese waren zu fortgeschritten und spezialisiert.
Texte über Magie können echt kompliziert sein. Ich erinner mich noch gut daran, wie schwer ich mich am Anfang getan hab.
„Recherchierst du auch irgendetwas?“, fragte Aira.
„Ja, genau. Ich suche nach Informationen über Heilkräuter“, erklärte ich. „Oh, es wäre sehr lieb von dir, wenn du niemandem erzählst, dass ich hier war.“
„Ah ...“ Aira lächelte leicht gequält. Sie schien genau verstanden zu haben, worauf ich hinauswollte. „Versprochen.“
Der Grund war simpel. In letzter Zeit wurde rund ein Drittel der Zeit in meinen Magievorlesungen von einem Thema in Anspruch genommen: der Kunst der Heiligen Maid. Seit ich sie im Westwald eingesetzt hatte, war mir dieses Kunststück kein weiteres Mal gelungen.
Kein Wunder, wenn ich die Aktivierungsbedingungen nicht kenne.
Weit mehr noch als ich ärgerte sich darüber der Ordensführer, der meinen Zauber im Westwald nicht genau genug beobachtet hatte, um die Bedingungen definieren zu können. Und wenn ich die Kunst nicht einsetzen konnte, konnte er sie nicht nach Herzenslust erforschen.
Zuerst hatte er mich nur hartnäckig nach der Vorlesung zu all meinen Übungseinheiten begleitet, aber dann war wohl die Grenze seiner Geduld erreicht gewesen. Er hatte angefangen, auch die Zeit während der Vorlesungen dazu zu nutzen, danach zu forschen, wie ich die Kunst einsetzen könnte.
Er ist wirklich so besessen von Magie, wie alle behaupten. Vielleicht sind die Gerüchte sogar untertrieben.
Hätte sich nicht die Schlaubrille meiner erbarmt und ihn zurechtgewiesen, wäre wohl die gesamte Dauer meiner Vorlesungen seinem Forschungsdrang zum Opfer gefallen. So begrenzte es sich zumindest auf ein Drittel.
Deswegen hatte ich auch Aira gebeten, Stillschweigen zu bewahren. Wüsste der Ordensführer davon, dass ich meine Zeit mit so etwas Banalem wie dem Lesen von Kräuterenzyklopädien verplemperte, würde er sicherlich die Bibliothek stürmen, um mich stattdessen zu weiteren Experimenten zu bewegen.
Das mag übertrieben klingen, aber jedes einzelne Mitglied des Magierordens würde mir recht geben. Er würde so etwas definitiv tun.
Natürlich war auch ich an der Kunst der Heiligen Maid interessiert, schließlich war sie in der Lage, den Wirkungsgrad von Heilkräutern zu verbessern. Aber gleichzeitig war ich es auch leid, meine Zeit auf etwas zu verwenden, bei dem ich so offensichtlich keine Fortschritte machte. Es war einfach deprimierend. Deswegen war ich heute statt auf den Übungsplatz in die Bibliothek gekommen, um mich mit etwas Schönerem abzulenken.
„Bei dem Wort ‚Heilkräuter‘ dachte ich zuerst, das wären alles Pflanzen, die es nur in dieser Welt gibt, aber das stimmt ja gar nicht.“
Aira klang leicht nostalgisch, während sie das Buch vor mir betrachtete. Zufällig war gerade eine Seite aufgeschlagen, auf der Kräuter beschrieben wurden, die es auch in Japan gegeben hatte.
„Ja. Auch Pflanzen, die wir als Gewürze kennen, werden hier wie Heilkräuter behandelt.“
Wir unterhielten uns ein wenig über Kräuter, die uns beiden bekannt vorkamen, als sich die Tür erneut mit einem Geräusch öffnete. Als wir uns beide umdrehten, stand dort Liz.
„Guten Nachmittag, Sei, Aira.“
„Hallo.“
„Liz, lange nicht gesehen.“
Es war schon wirklich lange her, dass ich Liz hier getroffen hatte. Trotz des Vorfalls mit dem Ersten Prinzen wurde Liz weiterhin im Palast als zukünftige Königin ausgebildet. Außerdem war sie an der Akademie ein Jahr unter dem Prinzen und Aira, sodass ihr Abschluss erst nächstes Jahr erfolgen würde, und sie weiterhin normal ihre Vorlesungen besuchen musste.
Jeden Tag zwischen dem Palast und der Akademie pendeln zu müssen, klingt ganz schön anstrengend. Du hast bestimmt nicht viel Freizeit.
Seit ich angefangen hatte, Vorlesungen zu belegen, war auch ich viel beschäftigt. Dadurch war es kein Wunder, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns zufällig begegneten, schlagartig abgenommen hatte.
Genau wie Aira spähte Liz in das Buch vor mir und lachte. „Liest du auch heute ein Buch über Heilkräuter?“
Jetzt, wo du’s sagst. Ich glaube, ich lese wirklich jedes Mal, wenn wir uns hier treffen, ein Buch über Heilkräuter.
„Ja, das bringt mich immer in bessere Stimmung.“
„Obwohl es mit deiner Arbeit zu tun hat?“
„Ursprünglich war es mein Hobby, aus Kräutern Öle zu gewinnen und sie für alles Mögliche zu verwenden“, erklärte ich.
„Meinst du so etwas wie Aromatherapie?“, meldete sich Aira zu Wort.
„Ja, ja, genau.“
Bei dem unbekannten Wort legte Liz verwundert den Kopf schief. „Was ist ‚Aromatherapie‘?“
„Hm, wie beschreibe ich das am besten ...“
Mit Airas Hilfe erklärte ich Liz, worum es sich bei Aromatherapie handelte.
„Da habe ich euch in ein ganz schön langes Gespräch verwickelt. Sei, musst du nicht bald zurück an die Arbeit?“
„Keine Sorge. Die Recherche von Kräutern gehört auch zu meinen Aufgaben. Und sowieso, selbst wenn ich ins Labor zurückgehen würde, könnte ich keine Tränke brauen.“
„Wieso denn das?“
„In letzter Zeit ist die Beschaffung von Zutaten schwieriger geworden, deswegen hat unser Direktor einen Produktionsstopp verhängt.“
„Oh, davon habe ich auch gehört. Der Preis für Heilkräuter soll deswegen in unermessliche Höhen gestiegen sein.“
„Sag, kennst du die Provinz Klausner? Sie ist für den Anbau von Heilkräutern berühmt.“
Klausner war der Name des Fürsten jener Provinz, deren ausbleibende Lieferungen für den Tränke-Produktionsstopp im Laboratorium verantwortlich war. Im Königreich Slantania war es üblich, die Provinzen mit dem Namen ihres Herrschers zu bezeichnen.
Ich hatte gehofft, dass sich Liz, die als zukünftige Königin ausgebildet wurde, mit den Provinzen des Königreichs gut auskannte, und sie enttäuschte meine Erwartungen nicht.
„Aber selbstverständlich. Sie ist nicht nur für ihre Kräuter berühmt, sondern wird sogar das Heilige Land der Apotheker genannt.“
„Das Heilige Land?“ Diesen Begriff hörte ich zum ersten Mal, aber Aira schien ihn schon zu kennen.
Bestimmt lernt man so etwas im Geografie-Unterricht an der Akademie.
Wie die beiden mir erklärten, rührte der Begriff daher, dass in Klausner nicht nur eine große Menge Kräuter angebaut wurde, sondern es auch viele Kräuter gab, die nur dort wuchsen. Besonders seltene und wertvolle Pflanzen kamen dort natürlich vor, sodass die Entwicklung neuer Tränke eine lange Tradition hatte.