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Nachdem Sei die Kunst der Heiligen Maid endlich kontrollieren kann, muss sie einen Wald läutern, in dem wertvolle Heilkräuter gedeihen. Begleitet von den Muskelpaketen des Ritterordens und Söldnertrupps fühlt sie sich gut beschützt, bis sie plötzlich auf einen altbekannten Typ Monster treffen, gegen den physische Angriffe wirkungslos sind! Während sie auf die Unterstützung des Magierordens warten, widmet sich Sei der Vorbereitung für die bevorstehende Expedition. Proviant zubereiten, Heilkräuter kultivieren – nein, warte, das macht sie ja zum Spaß. Voller Zuversicht bricht die Heilige Maid mit ihren neuen Verbündeten auf, um den Wald vor der Vernichtung zu bewahren.
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Seitenzahl: 201
Cover
Farbseiten
Kapitel 1: Aufbruch
Kapitel 2: Etwas Lästiges
Kapitel 3: Experiment
Kapitel 4: Revanche
Kapitel 5: Regeneration
Kurzgeschichtensammlung
Nachwort
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Ich hatte die Bedingungen zur Aktivierung der Kunst der Heiligen Maid herausgefunden und war endlich in der Lage, sie nach Belieben einzusetzen. Das war zwar erfreulich, doch die Aktivierungsbedingungen selbst bereiteten mir Kopfzerbrechen.
Warum ausgerechnet der Kommandant? Ich muss jedes Mal an ihn denken, wenn ich die Kunst einsetzen will? Wie peinlich! Welcher Masochist hat sich das denn ausgedacht?!
Natürlich konnte ich das nicht laut aussprechen, deswegen beschränkte ich mich darauf, innerlich zu schreien.
Ich war allerdings sehr froh darüber, dass ich dadurch endlich meine Kräuterexperimente fortführen konnte, bei denen ich so lange keinen Fortschritt gemacht hatte. Konkret experimentierte ich jetzt mit Kräutern, für deren Anbau eine ganz besondere Voraussetzung erfüllt werden musste, die man sonst in keinem Buch fand: ein sogenannter Segen.
Und wie sich herausgestellt hatte, war dieser Segen in Wahrheit die Kunst der Heiligen Maid.
Bisher hatte ich sie nicht beliebig einsetzen und deswegen auch keine Experimente damit durchführen können. Aber jetzt war das endlich möglich, weshalb ich mich gut gelaunt auf den Weg ins Destillierzimmer gemacht hatte, um Corinna davon zu erzählen. Sie hatte sich schnell um die nötigen Vorbereitungen gekümmert und dann hatten wir an einem kleinen Feld auf der Hinterseite der Burg mit den ersten Experimenten begonnen.
Der Versuchsaufbau selbst war recht unspektakulär: Ich segnete die Erde in den Blumenkübeln, die uns bereitgestellt worden waren, und pflanzte dann die Kräutersamen darin. Das war auch schon alles, danach galt es nur noch abzuwarten.
Nachdem ich mehrere Sorten eingepflanzt hatte, wollten wir uns auf den Rückweg zum Destillierzimmer machen, als wir Leo begegneten. Zuerst dachte ich, er wäre nur zufällig vorbeigekommen, aber das war nicht der Fall. Stattdessen wollte er mich für seinen Söldnertrupp rekrutieren.
Ich fühlte mich selbstverständlich geehrt, aber da ich mich nur für begrenzte Zeit in Klausner aufhalten würde, war das für mich keine Option. Ich war gerade dabei, sein Angebot abzulehnen, als auch noch der Kommandant auftauchte. Ich musste unwillkürlich schlucken, denn er wirkte ganz anders als sonst.
Sein kalter Blick, der seinem Titel als Eisritter würdig war, richtete sich auf Leo, der mich bei der Schulter gepackt hatte. Das war Teil seiner überschwänglichen Einladung gewesen, aber der Kommandant dachte scheinbar, wir würden uns streiten.
Nachdem ich die Situation erklärt hatte, hatte sich der finstere Blick des Kommandanten ein wenig gelichtet. Und als wir dann erklärten, warum ich dem Söldnertrupp nicht beitreten konnte, war Leo zu einer leicht verspäteten Erkenntnis gekommen.
„Nein, wart’ mal. Du bist doch nich’ etwa diese Heilige?“
Wir standen neben dem Kräuterfeld auf der Hinterseite der Burg und Leo starrte mich fassungslos an. Bei diesem Anblick fiel mir auf, dass ich ihm das wohl nie mitgeteilt hatte.
„Hatte ich das etwa nicht erwähnt?“, lächelte ich verlegen. Jetzt, wo ich darüber nachdachte, hatte ich mich wohl tatsächlich nur mit Namen vorgestellt.
„Hast du nicht!“, beschwerte sich Leo mit einer Schlagfertigkeit, die die Szene fast wie eine einstudierte Schauspielroutine wirken ließ. Übertroffen wurde das nur noch von der Schlagfertigkeit von Corinnas Hieb auf seinen Hinterkopf. „Aua!“
Ja, dann hatte ich das wohl vergessen, zu erwähnen.
„Dann auf ein Neues. Ich bin Sei Takanashi, die Heilige Maid“, stellte ich mich vor. Es war ein seltsames Gefühl, mich selbst als Heilige Maid zu bezeichnen, aber darum würde ich künftig wohl nicht herumkommen.
Obwohl ich es nur zu gerne vermeiden würde.
Während ich innerlich das Gesicht verzog, nuschelte Leo undeutlich etwas, das wie „Freut mich“ klang und erntete dafür einen bösen Blick von Corinna. Scheinbar war ihm die Situation auch sichtlich unangenehm.
Der Kommandant nutzte die entstandene Pause und ergriff erneut das Wort: „Als Heilige Maid wird sie eurem Söldnertrupp nicht beitreten. Gibt es sonst noch etwas, das du ihr mitteilen möchtest?“
Auch wenn sich seine Stimmung im Vergleich zum Anfang der Konversation ein wenig verbessert hatte, zeigte sich auf seinem Gesicht keinerlei Emotionen. Er wirkte unnahbar, ganz anders als sonst.
„Nein“, antwortete Leo, auch wenn er mich ansah, als hätte er noch etwas zu sagen.
„Dann reicht das jetzt wohl. Ich habe nämlich auch etwas mit ihr zu besprechen.“ Es war wohl auch keine Einbildung, dass sogar die Stimme des Kommandanten schroff und unfreundlich klang.
Das musste Leo auch gespürt haben, denn er verbeugte sich kurz und trat ohne ein weiteres Wort den Rückzug an.
„Dann mach’ ich mich wohl auch mal auf’n Rückweg“, verkündete Corinna und setzte sich in Bewegung.
„Warum?“, fragte ich überrascht.
Sie drehte sich noch einmal zu mir um. „Ihr hattet was zu besprechen, nich’?“
Ah, stimmt. Das hatte er eben erwähnt.
Scheinbar hatte Corinna meine Gedanken erraten, denn sie seufzte kopfschüttelnd und machte sich dann auf den Weg zurück ins Destillierzimmer.
Jetzt waren wir nur noch zu zweit, der Kommandant und ich.
„Waren Sie gerade bei der Arbeit?“, fragte er, während ich noch gedankenverloren Corinna hinterherblickte.
Als ich zu ihm sah, betrachtete er die Blumenkübel, die sich auf dem Regal aneinanderreihten. Auf seinem vorhin noch so emotionslosen Gesicht zeichnete sich der Anflug eines schlechten Gewissens ab.
„Nein, nein“, beeilte ich mich klarzustellen. „Wir waren gerade fertig.“
Er schien erleichtert. „Was pflanzen Sie an? Wobei, eigentlich brauche ich gar nicht fragen.“
„Das sind Heilkräuter.“
„Dachte ich es mir doch.“
„Was soll das denn heißen?“, beschwerte ich mich und zog einen Schmollmund, was den Kommandanten zum Lachen brachte.
Aber seine Vermutung war nicht ganz unbegründet. Wenn ich mit der Leiterin des Destillierzimmers zusammen an etwas arbeitete, dann musste es sich wohl um Heilkräuter handeln. Ich hoffte sehr, dass er deswegen davon ausgegangen war, und nicht, weil er mich für eine Heilkräuter-Fanatikerin hielt.
„Apropos, Sie meinten, dass Sie mit mir etwas zu besprechen hätten?“, kam ich auf das ursprüngliche Thema zurück.
„Ja, richtig. Aber lassen Sie uns lieber an einem bequemeren Ort darüber sprechen als hier draußen im Stehen.“
Worum es wohl geht? Wenn er sowas vorschlägt, dann könnte es eine längere Unterhaltung werden.
Ich stimmte dem Vorschlag des Kommandanten zu und wir machten uns auf den Weg. Im Gehen kamen wir aus irgendeinem Grund wieder auf Leo zu sprechen. Wir waren uns bisher ein paar Mal begegnet, hatten uns gegrüßt und ein wenig über Alltägliches unterhalten. Deswegen gab es von meiner Seite eigentlich kaum etwas zu ihm zu sagen. Als ich erzählte, dass sich der Großteil unserer Gespräche um Tränke drehte, zeichnete sich ein Schmunzeln auf dem Gesicht des Kommandanten ab.
„Neulich bin ich auch einigen anderen Söldnern begegnet, die allesamt die Wirksamkeit der Tränke gelobt haben“, fügte ich hinzu.
„Ist das so?“ Der Kommandant brach in Gelächter aus.
Als ich ihn verwirrt ansah, erklärte er mir lachend, die Situation erinnerte ihn an die Zeit, als ich gerade angefangen hatte, Tränke an den Ritterorden zu liefern.
Stimmt, jetzt, wo ich daran zurückdenke, war ihre Reaktion damals sehr ähnlich.
Bei der Erinnerung schlich sich auch mir ein Lächeln auf die Lippen. Im Laufe unserer Unterhaltung war der Kommandant zu seinem üblichen Verhalten zurückgekehrt. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, wir würden uns den ganzen Weg nur anschweigen.
Zum Glück ist er nicht einer von diesen Leuten, um die man wie auf Eierschalen gehen muss. Das ist mental unglaublich anstrengend.
„Er hat Sie ja sehr enthusiastisch eingeladen. Geht das schon länger so?“
„Nein, das war das erste Mal.“
„Erst seit heute ...?“ Der Kommandant legte nachdenklich die Hand ans Kinn. Er schien aber zu keinem Ergebnis zu kommen, denn die Falten auf seiner Stirn wurden immer tiefer. „Haben Sie eine Idee, wie er plötzlich darauf kam?“
„Warum Leo mich rekrutieren wollte?“ Darüber hatte er also nachgedacht. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich den Grund kannte: „Das liegt wohl daran, dass ich neulich die Söldner, die auf dem Rückweg von einer Monsterjagd waren, mit Magie geheilt habe.“
„Mit Magie?“
„Ja. Eigentlich wollte ich ihnen Tränke aus dem Destillierzimmer bringen, aber da meinte er, das sei Verschwendung, also ...“
Ich verstummte langsam, als ich den ungläubigen Blick sah, den mir der Kommandant zuwarf.
Oje, das schreit förmlich nach „Nicht dein Ernst!“
Ich habe schon verstanden. Das war nicht meine schlauste Idee.
Als ich schuldbewusst wegsah, konnte ich einen langen Seufzer aus seiner Richtung vernehmen.
Während ich mich noch innerlich entschuldigte, erreichten wir unser Ziel: das Quartier der Ritter. In seinem Büro angekommen, bat mich der Kommandant, auf dem Gästesofa Platz zu nehmen.
Wenn er mich bis hierhergeführt hat, dann geht es wohl um die Monsterjagd?
Als wir uns beide hingesetzt und etwas durchgeatmet hatten, eröffnete ich die Unterhaltung: „Also, worüber wollten Sie mit mir sprechen?“
„Es geht um unsere Pläne für die nächste Zeit.“
„Mit ‚Pläne‘ meinen Sie die Monsterjagd?“
„Genau. Unsere Untersuchungen der Gegend sind so weit abgeschlossen, deswegen würde ich gerne bald mit der richtigen Jagd beginnen.“
Es ist also so weit.
Als der Kommandant meine Vermutung bestätigte, spürte ich, wie mein Gehirn in den Arbeitsmodus wechselte. Ganz von selbst setzte ich mich etwas aufrechter hin.
Ich hatte schon einmal einen Bericht der Ritter gehört, aber seitdem hatten sie ihre Nachforschungen noch weiter fortgesetzt, bis sie gestern endlich das ganze Gebiet erkundet hatten. Der Kommandant fasste die Ergebnisse ihrer Arbeit, insbesondere zur Monstersituation um die Stadt herum, für mich zusammen.
Die Anzahl der Monster entsprach dem, was ich schon zuvor gehört hatte. Sie unterschied sich kaum von der Situation um die Königliche Hauptstadt bis vor Kurzem. Die Anwohner erzählten ebenfalls, sie hätten sich im Vergleich zu früher vermehrt.
Die Söldner allerdings berichteten, in letzter Zeit käme es ihnen so vor, als hätte die Zahl der Monster wieder abgenommen. Manche brachten den Rückgang sogar konkret mit dem Einsatz des Ritterordens in Verbindung.
Ich hatte eine dringende Vermutung, woran es liegen könnte.
Der Kommandant schien dasselbe zu denken. „Um die Königliche Hauptstadt war ein ähnliches Phänomen zu beobachten.“
„Ja, das stimmt wohl“, bestätigte ich verlegen.
Seit unserer Ankunft in Klausner hatte sich die Anzahl der Monster für uns zum Positiven entwickelt. Das Problem war allerdings vielmehr die Arten, die auftraten. Viele von ihnen waren im Vergleich zu der Gegend um die Königliche Hauptstadt von höherem Rang.
Ein höherer Rang bedeutet, dass sie stärker sind.
Es erinnerte mich sehr an ein RPG, das ich in Japan gespielt hatte. Je weiter man sich von der ersten Stadt entfernte, desto stärker wurden die Monster, denen man begegnete.
Ist das vielleicht in dieser Welt genau so? Je weiter weg von der Hauptstadt, desto stärker die Monster?
Nein, nein, ganz bestimmt nicht. Ich sollte mich lieber auf die Besprechung fokussieren, als über solch einen Blödsinn nachzudenken.
Auch wenn ihre Anzahl nicht zunahm, wurde ein Kampf natürlich schwieriger, je höherrangig die Monster waren. Die Königlichen Ritter waren eine ausgewählte Elite aus starken Kämpfern, aber in letzter Zeit hatten sie sich nur auf Einsätze um die Hauptstadt herum begeben. Andere Arten von Monstern bedeutete auch, dass man beim Kampf gegen sie auf andere Dinge achten musste.
Selbstverständlich nahm der Kommandant diesen Umstand sehr ernst, aber trotzdem ging ich davon aus, dass die Zahl der Verletzten zunehmen würde. Dann würde auch die Heilung nur mit Tränken bald an ihre Grenze stoßen. Es war also Zeit für Heilmagie.
„Wenn ich das richtig verstanden habe, werde ich also ab dem nächsten Mal auch an der Jagd teilnehmen?“
„Ja. Wir haben zwar auch einige Hofmagier dabei, aber unter ihnen sind nur wenige, die Heilmagie beherrschen. Tut mir leid.“
„Kein Grund, sich zu entschuldigen. Deswegen bin ich ja überhaupt mitgekommen.“
Die Monsterjagd ist schließlich meine eigentliche Aufgabe. Das Tränkebrauen ist nur ein Hobby.
„Im Umkreis einer Tagesreise haben wir gründlich ausgekundschaftet, besagten Sumpf haben wir allerdings noch nicht gefunden. Ich gehe also davon aus, dass die Monster zwar stark sind, wir es aber nicht wie im Westwald mit so vielen auf einmal zu tun bekommen werden.“
„Sie suchen einen Sumpf?“
„Einen schwarzen Miasma-Sumpf, wie damals im Westwald. Wegen der Vermehrung der Monsterhorden besteht der Verdacht, dass es hier auch einen geben sollte.“
Ach so, diese Art Sumpf.
Als wir nach Klausner abgereist waren, hatte ich die Kunst der Heiligen Maid noch nicht unter Kontrolle und offen gestanden Sorgen, was ich tun sollte, wenn der Miasma-Sumpf gefunden würde. Aber jetzt war das anders. Auch wenn es noch etwas unbeholfen war, konnte ich die goldene Magie willentlich heraufbeschwören.
Da war es schon fast schade, dass sie ihn bisher nicht gefunden hatten. Nachdem ich den Sumpf im Westwald geläutert hatte, hatte die Zahl der Monster im Gebiet um die Hauptstadt auf einen Schlag abgenommen. Wenn ich hier das Gleiche tun könnte, dann wäre auch das Monsterproblem in Klausner im Nullkommanichts zu lösen.
Auch wenn die Aktivierung echt gewöhnungsbedürftig ist.
Wenn ich da nur daran denke ...
„Ist alles in Ordnung?“, fragte der Kommandant auf einmal besorgt und riss mich in die Realität zurück.
„Was meinen Sie?“ Meine Stimme war verdächtig schrill.
„Ihr Gesicht ist etwas errötet. Geht es Ihnen nicht gut?“
„Nein, alles bestens!“, beteuerte ich und schüttelte schnell den Kopf.
Der Kommandant betrachtete mich weiterhin besorgt, aber irgendwie konnte ich ihn überzeugen, dass alles in Ordnung war und so die Situation entschärfen.
Ihm zu erklären, warum ich so rot angelaufen war, war definitiv keine Option.
◆
Morgens, einige Stunden nach Sonnenaufgang, war im Destillierzimmer nur das Klackern der Laborgeräte zu vernehmen. Hier und da tauschten auch einige der Apotheker ein paar Worte aus, doch im Allgemeinen arbeiteten alle schweigend. Ich war da keine Ausnahme.
Seit dem Gespräch mit dem Kommandanten waren einige Tage vergangen und morgen war es so weit. Wir würden zur ersten richtigen Monsterjagd aufbrechen.
Nur weil ich dabei war, hieß das nicht, dass wir gar keine Tränke mehr benötigen würden. Es konnte nicht schaden, zu gut vorbereitet zu sein, deswegen bereitete ich die gleiche Menge Tränke wie sonst auch vor.
„Ich hatte das Gerücht ja gehört, aber du sprengst echt jede Messlatte“, meinte plötzlich jemand hinter mir.
Ich zuckte vor Schreck zusammen und fuhr herum. Dort stand Leo, der mich kopfschüttelnd beobachtete.
Seit wann steht er da schon?
Bei seinen bisherigen Besuchen im Destillierzimmer hatte ich den Eindruck gewonnen, dass er ein Mensch war, den man kaum überhören konnte, aber heute hatte ich ihn überhaupt nicht bemerkt.
War ich so in meine Arbeit vertieft, dass ich gar nichts mehr gehört habe?
Abgesehen davon hatte aber ein Wort meine Aufmerksamkeit geweckt. „Welches Gerücht?“
„Dass die neue Apothekerin ’nen Haufen Tränke auf einmal machen kann.“
Der Blick, mit dem er die Phiolen betrachtete, die sich auf dem Tisch aneinanderreihten, kam mir sehr bekannt vor. Er erinnerte mich an Jude, den Direktor und Corinna, die allesamt ähnlich dreinblickten, wenn sie meine Tränke sahen. Eine Mischung aus beeindrucktem Staunen, totaler Ungläubigkeit und einem Hauch eines Kopfschüttelns.
Ich lächelte ertappt. „Wo kommt dieses Gerücht denn her?“
„Von hier natürlich. Und von unser’n Jungs, schätz’ ich.“
„Vom Söldnertrupp?“
„Ja, sie komm’n ja immer die Tränke abhol’n. Da ham sie auch gesehen, wie du sie herstellst.“
Sie haben mich also gesehen.
Eigentlich hatte ich ja gar nicht versucht, irgendetwas zu verstecken, aber trotzdem fühlte ich mich ertappt. Unbewusst kniff ich die Augen zusammen.
Das hatte Leo scheinbar falsch aufgefasst, denn plötzlich entschuldigte er sich bei mir: „Ah, bitte vielmals um Verzeihung. Ich sollte mehr auf meine Wortwahl achten.“
„Was?“ Ich sah ihn perplex an.
„Wie? Lieg’ ich falsch?“
„Liegst du falsch mit was?“
„Hast du nich’ grad gedacht, dass ich mich dir als Heilige Maid gegenüber unanständig ausdrücke?“
„Überhaupt nicht! Es stört mich gar nicht, wenn du weiter mit mir redest wie bisher. Ganz im Gegenteil, es würde mich sogar freuen.“
Ich hatte mich schon gewundert, warum er auf einmal so höflich redete, aber scheinbar war ihm wieder eingefallen, dass ich die Heilige Maid war. Und als ich dann die Augen zusammengekniffen hatte, hatte er das so gedeutet, dass er mich mit seiner Ausdrucksweise beleidigt hatte. Kurzum, eine vollkommene Fehleinschätzung.
Wenn man mich von vornherein so behandelt, meinetwegen, aber sein Verhalten jetzt zu ändern ...
Natürlich hatte ich nichts gegen Höflichkeit, aber bei übertriebener Formalität bekam ich das Gefühl, dass zwischen meinem Gegenüber und mir eine gewisse Distanz herrschte. Im Nachhinein auf diese Distanz weggeschoben zu werden, würde irgendwie wehtun.
„Achso. Dann mach’ ich einfach so weiter, wie bisher.“
„Ich bitte darum.“
Leo grinste. „Mir isses auch viel lieber so. Dieser ganze Höflichkeitskram is’ verdammt anstrengend auf Dauer.“
Ich spürte, wie sich auch auf meinem Gesicht ein Lächeln ausbreitete. Erleichtert, dass er mich weiter normal behandeln würde, beschloss ich, ihn weiter nach dem Gerücht zu befragen.
Leo erzählte, der erste Augenzeuge sei aus dem Destillierzimmer ins Söldnerquartier zurückgekehrt und habe berichtet, dass die neue Apothekerin eine abnormale Menge Tränke herstellen konnte. Er hatte zwar eine ziemliche Aufregung verursacht, aber obwohl er die Wahrheit sagte, glaubte ihm zuerst niemand.
Da kann man ihnen auch keinen Vorwurf machen.
Ein gewöhnlicher Apotheker konnte am Tag nur etwa zehn mittelrangige Tränke herstellen. Er aber hatte behauptet, diese Neue hätte einen nach dem anderen abgefüllt, bis der ganze Tisch voll von ihnen war.
Obwohl seine Kameraden ihm nicht glaubten, bestand er darauf, er würde die Wahrheit sagen. Das wiederum weckte ihre Neugier, sodass sie begannen, der Reihe nach das Destillierzimmer zu besuchen, um die Situation mit eigenen Augen zu überprüfen.
Das erklärt wohl, warum jeden Tag jemand anderes die Tränke abholen kommt.
Letzten Endes waren sie natürlich zu dem Ergebnis gekommen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.
„Bist du auch gekommen, um dich davon zu überzeugen?“, fragte ich.
„Ja, so was in der Art“, antwortete er, aber sein Tonfall klang wenig überzeugend.
Ist er aus einem anderen Grund hier?
Als ich fragend zu ihm hochblickte, kratzte er sich am Hinterkopf. „Sind die Tränke hier für den Ritterorden?“
„Ja. Die für den Söldnertrupp sind bereits fertig.“
„Ach so. Äh, nein, so mein’ ich das nicht.“
Zuerst hatte ich gedacht, er würde sich Sorgen machen, dass ich den Söldnertrupp zugunsten des Ritterordens vernachlässigen würde, aber scheinbar war das nicht der Fall. Da er allerdings auch nicht wirklich mit der Sprache herausrückte, beschloss ich, in der Zwischenzeit weiterzuarbeiten.
Nach einer Weile fragte er mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck: „Apropos, biste bei der nächsten Jagd auch dabei?“
„Ja, dafür bin ich schließlich aus der Hauptstadt hierhergekommen.“
„Mit den Rittern?“
„Ja, genau.“ Ich fragte mich, worauf er hinauswollte und sah zu ihm auf. „Ist etwas?“
„Nein, also, ich hatte mich nur gefragt, ob das so gut geht.“
„Was denn?“
„Na, die Jagd.“
„Was meinst du?“ Ich legte fragend den Kopf schief.
„Ich hab’ mitbekommen, dass du schonma’ bei ’ner Jagd mitgemacht hast, aber ich mach’ mir trotzdem Sorgen.“
„Ob ich gut genug kämpfen kann?“
„Ja, so was in der Art ...“
Ich musste ihm die Antwort ein wenig aus der Nase ziehen, aber schließlich erklärte Leo mir, was genau ihm Sorgen bereitete.
Er hatte dank der Gerüchte schon davon gehört, dass ich an der Expedition in den Ghoshe-Wald westlich der Hauptstadt teilgenommen hatte. Außerdem hatte bei ihrer Besprechung der Kommandant scheinbar ein wenig davon erzählt. Deswegen wusste er, dass ich durchaus in der Lage war, die Ritter so zu unterstützen, wie es die Hofmagier auch taten.
Aber der Ghoshe-Wald und die Wälder von Klausner waren zwei Paar Schuhe. Auch wenn ich schon praktische Erfahrung hatte, machte er sich Sorgen, ob ich mit den stärkeren Monstern hier zurechtkommen würde. Ihre Zahl hatte zwar vergleichsweise abgenommen, aber das bedeutete nicht, dass es wenige waren. Außerdem bezog sich dieser Bericht auf die Monster, die auf den Feldern um die Provinzhauptstadt auftauchten. In den weiter entfernt gelegenen Wäldern hatte sich die Situation wohl kaum geändert.
In dieser Welt galt die Faustregel, dass die Monster aus den Wäldern stärker waren als jene auf freiem Feld. Dazu kam wiederum, dass sie in der Provinz stärker waren als um die Hauptstadt. Leo ging also davon aus, dass diese Jagd deutlich härter werden würde als die Expedition in den Ghoshe-Wald.
Ich konnte seine Bedenken nur allzu gut nachvollziehen.
„Ich war noch nie in den Wäldern hier, deswegen kann ich nicht aus Erfahrung sprechen, aber ich denke, das sollte schon klappen. Wir werden ja nicht sofort bis tief ins Waldesinnere vordringen.“
„Das stimmt wohl. Je tiefer man in den Wald geht, desto stärker werden die Monster. Wenn die Ritter sofort ganz hineingehen wollen, werd’ ich sie aufhalten, auch wenn ich mich dafür mit ’nem Adligen anlegen muss.“
„Keine Sorge, da bin ich ganz auf deiner Seite.“
„Na dann. Du meinst also, wenn wir uns vorsichtig vorantasten, dann kriegste das ohne Probleme hin?“
Ich nickte und verkündete mit einem Grinsen: „Man mag es mir zwar nicht ansehen, aber ich bin ganz schön stark!“
„Oh? Du sprühst ja vor Selbstvertrauen“, scherzte Leo zurück.
Dabei war das gar kein Scherz. Wenn man nach dem Basislevel geht, kann wohl kaum jemand mit mir mithalten. Aber das muss ich ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden.
„Außerdem werde ich wohl kaum an vorderster Front kämpfen. Ich bin eher für die Unterstützung zuständig und die Ritter werden mich wiederum beschützen“, erklärte ich.
„Ach so. Dann hab’ ich mir wohl umsonst ’n Kopf gemacht, ’tschuldige.“
„Nicht doch. Danke, dass du dir wegen mir solche Gedanken gemacht hast.“
Es ist doch schön, wenn sich jemand um einen sorgt.
Leo schien ein sehr hilfsbereiter Mensch zu sein. Vielleicht hatte das mit seiner Aufgabe als Kommandant des Söldnertrupps zu tun. Sogar um mich, für die er gar nicht zuständig war, machte er sich Gedanken.
Wir unterhielten uns noch ein wenig darüber, was uns wohl im Wald erwarten würde, bevor Leo sich verabschiedete und das Destillierzimmer verließ.
◆
Am nächsten Tag begaben der Kommandant und ich uns am frühen Morgen in das Büro des Fürsten. Da ab heute auch ich an der Monsterjagd teilnehmen würde, wollte er mich persönlich verabschieden.
Um seine unter Adligen üblichen höflichen Floskeln kurz zusammenzufassen: Er wünschte uns alles Gute und bat uns, auf uns achtzugeben. Der Kommandant hatte mir im Vorhinein erklärt, dass wir vorsichtig vorgehen würden, deswegen war ich zuversichtlich, dem nachkommen zu können.
„Als Nächstes versammeln wir uns auf dem Vorplatz, richtig?“, fragte ich den Kommandanten, nachdem wir das Büro verlassen hatten.
„Ja, genau. Ich werde eine kurze Ansprache halten, dann brechen wir auf.“
„Ich muss nichts Besonderes tun, oder?“
„Oh? Wollen Sie ihnen auch ein paar aufmunternde Worte mitgeben?“
„Nein, danke“, lehnte ich entschieden ab.
Das war knapp!
Ich stand nur ungern im Rampenlicht. Vor einer Menschenmenge eine Ansprache zu halten, war so ziemlich das Letzte, was ich wollte.
Warte. War das ein Witz?
Der Kommandant bedeckte seinen Mund und seine Schultern zitterten ein wenig, so als würde er sich zusammenreißen, nicht laut loszulachen.
Kommt es mir nur so vor, oder behandelt er mich in letzter Zeit immer mehr wie der Direktor?
Die beiden waren Kindheitsfreunde, also war es vielleicht nicht verwunderlich, wenn sie sich in mancher Hinsicht ähnelten. Als ich ihm einen spitzen Blick zuwarf, konnte der Kommandant nicht mehr an sich halten und brach in ein unterdrücktes Lachen aus.
Als wir den Treffpunkt erreichten, wurde ich schier erschlagen von der Menge an Menschen, die sich dort versammelt hatte. Das lag daran, dass an dieser Expedition nicht nur die Ritter, sondern auch der Söldnertrupp teilnehmen würde. Ich hatte gehört, dass es eine Ausnahme war, weil es mein erster Einsatz als Heilige Maid hier war. Ab dem nächsten Mal sollten es also weniger sein.
Auf dem Weg zu der Kutsche, die für mich bereitgestellt worden war, kamen wir auch an den Söldnern vorbei, aber ich zog nicht besonders viel Aufmerksam auf mich. Das lag wohl daran, dass ich eine Robe vom Magierorden trug und mein Gesicht von meiner Kapuze verdeckt wurde. Vermutlich hatten sie mich gar nicht bemerkt, sondern hielten mich für einen der Hofmagier, die sich ebenfalls in der Nähe versammelten.
„Bitte sehr.“ Als ich Anstalten machte, in die Kutsche zu steigen, hielt mir der Kommandant seine Hand entgegen. Sein strahlendes Lächeln war fast blendend schön.
Ähm ... ach so, natürlich. Eine Eskorte.
„Vielen Dank“, erwiderte ich mit einem nervösen Lächeln und legte meine Hand in seine.
Urgh, daran bin ich wirklich noch nicht gewöhnt.