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Sei, die mit ihrer Expertise aus Japan zahlreiche innovative Produkte erschaffen hat, findet sich plötzlich als Inhaberin einer eigenen Handelsgesellschaft wieder. Auf ihrer Reise in die Hafenstadt Morgenhaven begegnet sie unerwartet alten Bekannten – Reis, Miso und Co. – und bringt damit frischen Wind in die hiesige Küche. Zudem knüpft sie Freundschaft mit der Besatzung eines Handelsschiffs, experimentiert mit der Herstellung von Konserven und nutzt die neuen Zutaten, um ihren Kochskill in vollem Glanz zu präsentieren. Schließlich erwecken die besonderen Effekte ihrer Gerichte die Aufmerksamkeit von Ordensführer Yuri, der daraufhin seine Forschungen intensiviert.
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Seitenzahl: 199
Cover
Farbseiten
Kapitel 1: Handelsgesellschaft
Kapitel 2: Ausländische Ware
Kapitel 3: Ausländische Küche
Kapitel 4: Japanische Küche
Kapitel 5: Debüt
Kurzgeschichtensammlung
Nachwort
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Es war inzwischen drei Monate her, dass wir aus der Provinz Klausner zurückgekehrt waren. Langsam aber sicher wurde es wärmer und es begann mein zweiter Sommer in dieser Welt.
Nach unserer Rückkehr war ich weiterhin vom Königshof in alle Himmelsrichtungen entsandt worden, um die Monster zu bekämpfen. Es war eine anstrengende Zeit, aber es hatte sich gelohnt, denn fürs Erste waren alle bekannten Miasma-Sümpfe im Land geläutert. Aus den betroffenen Regionen kam die beruhigende Nachricht, die Zahl der Monster sei eindeutig zurückgegangen.
Doch es wäre übereilt zu verkünden, die Monsterplage sei damit endgültig vorüber, denn es konnten jederzeit neue Miasma-Sümpfe entstehen. Deswegen behielt der Königshof die Lage genau im Auge, um mich erneut entsenden zu können, sobald einer entdeckt wurde. Den Gebieten, in denen es keinen Sumpf zu geben schien, nahmen sich die Ritterorden an, sodass ich dieser Tage wieder etwas mehr Freizeit hatte.
Dann erreichte das Laboratorium für Kräuterforschung eine umfangreiche Lieferung aus der Provinz Klausner.
„Das ist ja der Wahnsinn“, staunte ich, während ich die Kisten betrachtete, die sich im Lager bis unter die Stecke stapelten.
Sie waren voller Kräuter und Samen, die wir nicht nur für die stets knappen KP- und MP-Tränke verwenden könnten, sondern auch für Heiltränke, die gegen Statusveränderungen wie Verbrennungen und Paralyse wirkten. Einige der Zutaten waren scheinbar so selten, dass die Forscher, die die Lieferung kontrollierten, hier und da vor Freude aufschrien.
So enthusiastisch habe ich sie selten erlebt. Das grenzt schon eher an Siegesgebrüll.
Während ich meine sonst so ruhigen Kollegen verwundert beobachtete, kam der Direktor auf mich zu.
„Für dich war auch ein Brief dabei“, teilte er mir mit und hielt mir den Umschlag hin. Scheinbar war er unter die Briefe an das Laboratorium gemischt gewesen.
Auf der Rückseite stand als Absender Corinnas Name. Ich löste das Siegel, um ihn direkt zu lesen, und musste schmunzeln.
Scheinbar bin ich aufgeflogen.
Vor unserer Abreise hatte ich heimlich den Wald geheilt, der durch die Schleime zu Schaden gekommen war. Als hätte sie meine Absicht verstanden, berichtete Corinna durch die Blume, aber doch eindeutig, von der Erholung des Walds. Außerdem bedankte sie sich bei mir.
Dann weiß der Fürst mit Sicherheit auch davon.
Ich verstand zwar nicht viel von Politik, doch die Lieferung aus Klausner führte sogar mich zu diesem Schluss. Es gab nämlich zwei verschiedene Lieferungen: eine an das Laboratorium und eine an mich persönlich. Letztere wurde gerade in einem anderen Lager verräumt.
Dabei herrscht doch immer noch Kräuterknappheit. Es muss eine Heidenarbeit gewesen sein, so viele Kräuter beisammenzubekommen.
Einerseits hatte ich ein schlechtes Gewissen, so bevorzugt behandelt zu werden, aber andererseits wurde mir bei Corinnas Bemühungen ganz warm ums Herz.
Der Direktor hatte sich unter die Forscher gemischt, um die Kisten zu inspizieren, doch als er bemerkte, dass ich den Brief fertig gelesen hatte, kam er zu mir zurück.
„Und, was stand drin?“, fragte er grinsend, den Blick fest auf das Säckchen in seiner Hand gerichtet.
Vermutlich sind da Samen drin.
Außen war der Name einer Kräutersorte aufgedruckt, die dafür bekannt war, wie selten sie auf dem freien Markt verfügbar war. Scheinbar war der Direktor so glücklich darüber, sie in die Finger zu bekommen, dass er seine Freude nicht verbergen konnte.
„Sie bedanken sich für die Hilfe bei der Monsterjagd. Die Kräuter sollen ein Zeichen ihrer Dankbarkeit sein“, erklärte ich.
„Verstehe, verstehe. Du hast dich also mal wieder hinreißen lassen“, neckte er mich.
Ich zog einen Schmollmund. „Sie sind gemein, Herr Direktor. Das habe ich überhaupt nicht. Glaube ich.“
Der letzte Teil meiner Aussage klang leider etwas zweifelnd, was auch dem Direktor nicht entging.
„Ich habe selten etwas so wenig Überzeugendes gehört“, seufzte er und ließ den Blick zur Decke schweifen. Dann schmunzelte er: „Al hat mir so einiges erzählt.“
„Ach, hat er das?“, fragte ich bemüht locker.
Hat der Kommandant ihm auch von der Sache im Schleimwald erzählt? Seiner Stimme nach zu urteilen weiß er noch nichts davon.
Ich hatte das Gefühl, wenn er davon erfuhr, würde mir eine ordentliche Schelte blühen, schließlich ermahnte er mich regelmäßig, wohlüberlegt zu handeln und mich zurückzuhalten. Mir blieb nichts Anderes übrig, als zu hoffen, dass es nie so weit kommen würde. Also beschloss ich, vom Thema abzulenken.
„Mit so vielen verschiedenen Kräutern wird sicherlich auch unsere Forschung große Fortschritte machen“, kommentierte ich beiläufig.
Der Direktor sprang sofort darauf an und nickte. „Das denke ich auch, schließlich lagen einige Projekte auf Eis, weil uns die Zutaten gefehlt haben. Übrigens waren bei deinen Sachen auch einige Samen dabei, die hier wahrscheinlich nicht wachsen werden.“
Dass er allein am Namen erkennt, ob eine Sorte hier wächst oder nicht! Er ist ein echter Experte auf dem Gebiet.
„Das sind wahrscheinlich die, um die ich Corinna gebeten hatte“, erklärte ich.
„Warum das?“
„Sie hat mir in Klausner beigebracht, wie man sie anbaut. Deswegen wollte ich ausprobieren, ob das auch hier möglich ist.“
„Oho“, staunte der Direktor. Sein Interesse war offensichtlich geweckt.
„Möglicherweise bräuchte ich dabei Ihre Hilfe.“
„Aber gerne doch“, stimmte er bereitwillig zu.
Ich sollte ihm als Dankeschön etwas leckeres Neues zu essen kochen.
Es gab jede Menge Experimente, die ich mit den Samen durchführen wollte, insbesondere, was den Einfluss des Segens betraf. Selbst wenn diese Gegend für den Anbau nicht geeignet war, war ich zuversichtlich, dass wir das mit einer Kombination aus der Erdmagie des Direktors und meiner Kunst der Heiligen Maid ausgleichen konnten.
Aber es ist schon wirklich ein Riesenhaufen Kräuter.
Bei dieser Menge konnte man sicherlich auch einen Teil davon für etwas anderes als Tränke verwenden. Wenn ich mich richtig erinnerte, enthielt die Lieferung an mich persönlich einige Kräuter, die sich zur Herstellung von Kosmetika eignen könnten.
Vielleicht wird es Zeit, ein paar neue Cremes und Lotionen zu entwickeln.
Mit den unterschiedlichen Zutaten konnte ich nicht nur mit dem Effekt, sondern auch mit verschiedenen Düften experimentieren. Außerdem war meine Haut von den ganzen Expeditionen draußen in der Sonne ziemlich beansprucht, sodass eine Creme für einen ausgeglicheneren Teint bestimmt auch keine schlechte Idee war.
„Was ist?“, riss mich der Direktor aus meinen Gedanken.
„Nichts Wichtiges. Ich habe nur darüber nachgedacht, ob ich mit den Kräutern auch neue Kosmetikprodukte herstellen könnte“, erklärte ich, warum ich so geistesabwesend auf die Kisten gestarrt hatte.
„Neue Produkte?“
Er warf mir einen skeptischen Blick zu, aber als ich ihm meine Ideen für verschiedene Düfte und Anwendungen erklärte, schien er das nachvollziehen zu können.
„Verstehe, noch mehr Kosmetik also ...“, nickte er nachdenklich.
„Gibt es damit ein Problem?“
„Nicht direkt, aber ... willst du sie wieder an das gleiche Handelshaus verkaufen?“
„Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht“, gab ich zu.
„Die Nachfrage wäre auf jeden Fall vorhanden.“
„Das stimmt wohl.“
Die Worte des Direktors riefen mir einen Umstand ins Gedächtnis, der mir vollkommen entfallen war: Es gab jede Menge Leute, die Interesse an meinen Kosmetika hatten. Das lag an ihrem überdurchschnittlich hohen Wirkungsgrad, den sie meinem hohen Skilllevel in Arzneimittelherstellung zu verdanken hatten.
Die ganze Angelegenheit hatte ihren Anfang genommen, als ich eine Creme, die ich eigentlich nur für mich selbst hergestellt hatte, mit Liz teilte, nachdem sie mich darum gebeten hatte. Liz’ Freundinnen bemerkten die Wirkung ebenfalls sofort und so sprach es sich in Windeseile herum. Wenn es nur für Liz gewesen wäre, hätte ich die Creme wohl noch selbst herstellen können, aber für alle ihre Freundinnen, die sie auch ausprobieren wollten, war das rein zeitlich nicht möglich.
Schließlich bin ich eigentlich Forscherin, nicht Kosmetikproduzentin.
Deswegen hatte ich den Direktor um Rat gebeten, der mich an eine Handelsgesellschaft vermittelte. Ich überließ ihnen die Rezepte und sie kümmerten sich um die Produktion und den Vertrieb der Produkte.
Der Andrang übertraf unsere kühnsten Erwartungen. Nachdem ich Liz davon erzählt hatte, dass die Kosmetika jetzt erhältlich waren, standen tagelang die Bediensteten der Adelshäuser bis auf die Straße Schlange. Der Direktor berichtete, dass es sogar für ein alteingesessenes Handelshaus mit Erfahrung im Großhandel eine schwierige Ausnahmesituation gewesen sei.
Inzwischen hatte die Produktion die Nachfrage eingeholt und viele Kunden gaben regelmäßige Bestellungen auf, sodass sich die Lage beruhigt hatte. Doch das könnte sich rasch ändern, wenn ein neues Produkt auf den Markt kam. Bevor sich die Situation von damals wiederholte, wäre es wohl besser, sich im Vorfeld genau abzusprechen.
„Wir sollten das lieber mit dem Handelshaus absprechen“, beschloss ich.
„Das sehe ich auch so“, stimmte der Direktor zu. „Ich kontaktiere die Leute vom Handelshaus für dich.“
„Vielen Dank.“
Wenn sich der Direktor darum kümmert, muss ich mir keine weiteren Sorgen machen.
Stattdessen ging ich in Gedanken noch einmal die Liste der Kräuter durch, die an mich persönlich geliefert worden waren, und überlegte mir, was ich daraus herstellen könnte. Deswegen bemerkte ich nicht, mit welch einem nachdenklichen Gesichtsausdruck der Direktor das Lager verließ.
◆
An den Tagen, an denen mein Benimmkurs stattfand, musste ich mich ganz und gar in eine feine Dame verwandeln. Auch heute saß ich deswegen schon frühmorgens, von Dienstmädchen umringt, in einem Zimmer im Königspalast.
„Lady Sei, worum handelt es sich hierbei?“, fragte mich Marie, meine Zofe, die das Fläschchen auf der Kommode bemerkt hatte.
„Das ist eine neue Hautcreme, die ich entwickelt habe“, erklärte ich.
Ich spürte, wie sich augenblicklich alle Blicke im Raum auf mich richteten. Die Hälse der Dienstmädchen fuhren mit einem solchen Elan herum, als hätte ich einen Alarm ausgelöst.
„Ein neues Kosmetikum?“ Marie trug das Fläschchen vorsichtig zu mir herüber.
„Ja. Sie sorgt für einen gleichmäßigen, feinen Porzellanteint.“
„Porzellan ...“, staunte eines der Dienstmädchen neben mir leise. Irgendwo im Raum konnte ich jemanden geräuschvoll schlucken hören.
Das wundert mich nicht, dass sie da sofort drauf anspringen.
Eines der Schönheitsideale in Slantania war eine reine, helle Haut. Deswegen achteten die feinen Damen im Alltag darauf, möglichst nicht zu viel Zeit in der Sonne zu verbringen. Doch manchmal war das unvermeidlich, insbesondere bei der Arbeit.
Viele der Dienstmädchen und Zofen im Königspalast waren Töchter aus gutem Hause, die gleichzeitig viel Wert auf ihr Äußeres legten und alles Menschenmögliche taten, um ihre Haut vor der Sonne zu schützen. Natürlich klang solch eine Hautcreme für sie mehr als verlockend.
„Lady Sei, diese Creme ...“, setzte eine von ihnen vorsichtig an.
Ich konnte mir denken, worauf sie hinauswollte. „Ich überprüfe erst einmal selbst, ob sie auch keine Probleme verursacht, aber danach würde ich um eure Unterstützung beim Testen bitten.“
„Wir helfen Euch nur zu gerne!“
Sie strahlte übers ganze Gesicht. Selbst Marie, die sie an dieser Stelle normalerweise zurechtgewiesen hätte, schien Interesse an der Creme zu haben, denn sie beließ es bei einem mahnenden Seitenblick.
Vor einer Markteinführung musste ein Produkt natürlich eingehend getestet werden, damit die Kunden nicht auf einmal einen Ausschlag oder Schlimmeres entwickelten. Zuerst probierte ich es also an mir selbst aus und dann noch an einigen weiteren Probanden. Schon beim letzten Mal, also als ich das erste Mal Kosmetika an die Handelsgesellschaft verkauft hatte, hatten mir die Dienstmädchen dabei geholfen.
Sie waren ganz aus dem Häuschen, dass sie die Cremes ausprobieren durften, die unter den Damen am Hof schon zum Gerücht geworden waren.
Der Produkttest damals verlief mehr als erfolgreich, und die Dienstmädchen waren von der Wirkung meiner Kosmetika begeistert gewesen. So sehr sogar, dass sie darauf bestanden, ich möge sie beim nächsten Mal wieder um ihre Unterstützung bitten.
Ich hatte nichts anderes erwartet, aber dass sie sofort zugestimmt haben, ist eine große Hilfe.
Während sie mich schminkten und mein Kleid und die dazugehörigen Accessoires bereitlegten, kannten sie kein anderes Thema mehr.
„Die Haut soll also wie Porzellan werden?“
„Ich bin schon gespannt, wie viel heller mein Teint wird.“
Ihre Augen strahlten so hoffnungsvoll, dass ich das Bedürfnis verspürte, ihre Erwartungshaltung etwas zu dämpfen.
„Ich kann nicht garantieren, dass sie so stark wirkt, wie ihr euch das wünscht. Da gibt es bestimmt auch individuelle Unterschiede“, merkte ich an.
Doch meine Bemühungen ließen sie unbeeindruckt.
„Es gibt niemanden, der an der Wirkung Eurer Kosmetika zweifeln würde, Lady Sei.“
„Das stimmt. Ich benutze zumindest keine anderen Produkte mehr!“
Ob es eure Erwartungen erfüllt, weiß ich nicht, aber sie wirkt auf jeden Fall.
Ich hatte für die Creme lauter Kräutersorten verwendet, denen eine hautverfeinernde oder aufhellende Wirkung nachgesagt wurde, deswegen war sie ziemlich effektiv. Ich hatte sie ausprobiert, nachdem ich mir bei der Arbeit im Kräutergarten einen Sonnenbrand zugezogen hatte, und die Rötung war augenblicklich zurückgegangen.
Das ist fast schon eher ein Trank in Creme-Form als eine Hautcreme.
Ich wusste allerdings nicht, wie viel Wirkung sie bei Haut zeigte, die regelmäßig und lange der Sonne ausgesetzt und dadurch dunkler geworden war. Seit ich in diese Welt gekommen war, hatte ich mich durch meine anderen Cremes einem Porzellanteint schon ziemlich angenähert, sodass eine Veränderung schwierig festzustellen war. Den Dienstmädchen, die regelmäßig meine Kosmetikprodukte kauften, könnte es ganz ähnlich ergehen.
Deswegen hatte ich Bedenken, ob die neue Hautcreme ihre Erwartungen erfüllen würde. Doch die Dienstmädchen ließen sich davon nicht stören und richteten mich, wenn auch etwas lebhafter plaudernd als sonst, mit geschickten Handgriffen für den Damentag her.
Am nächsten Tag wurde ich schon morgens ins Büro des Direktors gerufen. Außerdem bat er mich, Tee mitzubringen, sodass ich auf dem Weg noch einen Abstecher in die Küche machte.
Vier Tassen ... eine für den Direktor und drei für Gäste? War für heute Besuch angekündigt?
Etwas verwundert goss ich das heiße Wasser auf und begab mich zum Büro des Direktors, wo ich an die Tür klopfte und wartete, bis eine Antwort kam.
„Ich habe den Tee mitgebracht“, verkündete ich und betrat den Raum.
„Danke. Tut mir leid, dich so früh am Morgen herzubestellen“, begrüßte mich der Direktor.
Wie erwartet, saßen auf dem Gästesofa bereits zwei mir unbekannte Personen.
Nur zwei?
Ich warf dem Direktor einen fragenden Blick zu, doch er bedeutete mir nur, neben ihm Platz zu nehmen.
„Das sind Franz und Oscar“, stellte er mir die beiden Unbekannten vor.
„Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Franz“, begann der hagere Ältere der beiden.
Sein schlohweißes Haar war ordentlich nach hinten gekämmt und seine saphirblauen Augen versteckten sich hinter einer Brille. Im Gegensatz zur Schlaubrille vom Magierorden lächelte er allerdings gutmütig wie ein netter alter Mann. Gleichzeitig vermittelte er den kompetenten Eindruck eines alteingesessenen Butlers, sodass ich ihn fast als „Sebastian“ abgespeichert hätte.
„Ich bin Oscar. Freut mich, Euch kennenzulernen“, fügte sein jüngerer Kollege hinzu.
Seine eigenwilligen, leuchtend orangefarbenen Haare, die sich der Frisur nicht ganz fügen wollten, und die leicht angehobenen Augenwinkel, die seinen smaragdgrünen Augen eine Mandelform verliehen, ließen ihn locker und jugendlich wirken.
Ist er in etwa so alt wie Jude? Vielleicht etwas älter? Er sieht auf jeden Fall jünger aus als der Direktor.
„Die Freude ist ganz meinerseits. Ich bin Sei“, erwiderte ich ihre Begrüßung.
Ihrer Kleidung nach zu urteilen waren die beiden wohl keine Adligen, aber sie wirkten wohlhabend. Meine Einschätzung wurde sogleich bestätigt, als der Direktor sie mir als Vertreter einer Handelsgesellschaft vorstellte.
Franz war der Geschäftsführer, während Oscar als sein Assistent tätig war.
„Was führt Sie heute hierher?“, fragte ich die beiden höflich, aber etwas überrascht.
„Wir haben vor, eine neue Handelsgesellschaft zu gründen“, antwortete mir stattdessen der Direktor.
„Eine Neugründung?“
„Ja, deine nämlich.“
„Wie bitte?“, rutschte es mir perplex heraus.
Glücklicherweise erbarmte sich der Direktor meiner und erklärte mir genau, wie es zu dieser Idee gekommen war.
Bisher hatte ein alteingesessenes Handelshaus, an das mich der Direktor vermittelt hatte, den Vertrieb meiner Kosmetika übernommen. Doch weil diese so beliebt und das Geschäft damit sehr lukrativ war, wuchs der Neid der Konkurrenz und es kam immer öfter zu Beschwerden.
Besagtes Handelshaus hatte schon seit langem Beziehungen zur Familie des Direktors. Er hatte es mir nicht aus Interesse an einer Provision heraus vermittelt, sondern weil die Zusammenarbeit mit ihnen unkompliziert war, aber dieser Vorteil hatte sich inzwischen zum Gegenteil verkehrt. Immer öfter musste er bei Konflikten mit Mitbewerbern einschreiten, sodass es ihn sogar an der Arbeit im Laboratorium hinderte. In letzter Zeit mischten sich sogar andere Adelsfamilien ein, sodass auch die Verwandten des Direktors mit ihren Beschwerden zu kämpfen hatten.
Ich war ihm sehr dankbar, dass er sich an meiner Stelle so bemühte, da ich von den Handelsstrukturen in dieser Welt keine Ahnung hatte. Er hatte für mich sogar vorteilhafte Konditionen verhandelt, dank der meine privaten Ersparnisse um einiges angewachsen waren.
Aber jetzt muss meinetwegen sich nicht nur er, sondern seine ganze Familie mit so etwas herumschlagen.
Dann kam mein Vorschlag, neue Produkte auf den Markt zu bringen. Wenn sich diese wieder so gut verkauften, würde das das Problem nur noch verschlimmern. Deswegen hatte der Direktor beschlossen, die bisherige Zusammenarbeit zu beenden und das Geschäft stattdessen auf eine neu gegründete Handelsgesellschaft zu verlagern, die keinerlei Beziehungen zu seiner Familie hatte. Dann hätte er offiziell nichts mehr damit zu tun.
Aber verlagert sich dann nicht auch der ganze Konflikt auf die neue Handelsgesellschaft?
„Denkst du wirklich, dass sich irgendjemand mit der Handelsgesellschaft der Heiligen Maid anlegen wollen würde?“, widersprach der Direktor entschieden, als ich meine Bedenken äußerte.
„Ich weiß nicht. Sind sie sich sicher?“ Ich war noch nicht ganz überzeugt, aber auch Franz und Oscar nickten, dem Direktor zustimmend.
Ist die Stellung der Heiligen Maid wirklich so absolut, dass das vollkommen selbstverständlich ist?
Das wollte irgendwie nicht in meinen Kopf, aber ich beschloss, es erst einmal dabei zu belassen. Wenn ich eine Handelsgesellschaft gründen sollte, gab es noch etwas viel Wichtigeres anzusprechen.
„Auch wenn es meine Handelsgesellschaft wird, kann ich nur Produkte entwickeln, sonst nichts“, warnte ich sie vor.
Überlasst mir ruhig die Tränke und Kosmetika, aber ich kann ganz bestimmt keine ganze Firma managen!
„Keine Sorge, dafür sind ja die beiden da“, beruhigte mich der Direktor.
Er erklärte, dass es vollkommen ausreichend sei, wenn ich wie bisher meine Produktideen in die Tat umsetzte. Alles andere, wie Vermarktung oder Vertrieb, würden Franz und Oscar übernehmen. Für mich änderte sich also eigentlich nur der Geschäftspartner; meine Arbeit und die Vergütung blieben dieselbe.
Tatsächlich waren Franz und Oscar bis vor Kurzem noch bei dem Handelshaus tätig gewesen, das meine Kosmetika verkaufte, und hatten ihre Posten für diese Neugründung aufgegeben. Der Direktor meinte, die beiden seien äußerst fähig, ich könnte ihnen also getrost alles überlassen.
Kurz machte ich mir Sorgen, ob es nicht problematisch war, zwei so fähige Mitarbeiter einfach abzuwerben, aber scheinbar hatte sich die Familie des Direktors bereits darum gekümmert.
Ich sollte mich auf jeden Fall irgendwie bei ihnen bedanken.
So kam unsere Erstbesprechung zu einem Ende.
„Auf eine gute Zusammenarbeit, Lady Sei“, verabschiedete sich Franz mit einem ruhigen Lächeln, während sich Oscar strahlend verbeugte.
„Vielen Dank. Das hoffe ich auch“, erwiderte ich höflich.
Wenn der Direktor so viel auf sie hält, dann wird schon alles gut gehen.
◆
Etwa einen Monat, nachdem der Direktor mir Franz und Oscar vorgestellt hatte, wurde in der Königlichen Hauptstadt ein neues Geschäft eröffnet. Es befand sich in einer Einkaufsstraße, die beim Adel besonders beliebt war, und wurde von Franz als Geschäftsführer verwaltet.
Scheinbar hatten sie diesen Standort ausgewählt, da er die bisherige Hauptzielgruppe für Kosmetika, die Adligen, ansprach, gleichzeitig aber auch vom bürgerlichen Einkaufsviertel nicht weit entfernt war. Dadurch, so Franz’ Überlegung, wäre es einfacher, auch reiche Bürgerliche als Kunden anzulocken.
Sein Plan schien aufzugehen, denn neben den adligen Damen standen auch die fein angezogenen Töchter der großen Handelshäuser am Eingang Schlange. Da sie allesamt in Begleitung von Bediensteten waren, wirkte das Geschäft nur umso vollgepackter.
Es kommt bestimmt nicht oft vor, dass in einer Luxus-Einkaufsstraße solch ein Trubel herrscht.
Wir beobachteten das Geschehen in und um den neu eröffneten Laden aus sicherer Entfernung.
„Das Geschäft läuft richtig gut“, sprach ich meinen Gedanken laut aus.
Links von mir nickte Oscar zustimmend. „Deine Kosmetika sind beliebter, als wir uns hätten träumen lassen.“
„Es wundert mich, dass sie auch bei den Bürgerlichen direkt solchen Anklang finden.“
„Der vorherige Laden war so erfolgreich, dass sich das unter den Handelshäusern in der Hauptstadt herumgesprochen hat, besonders in der Damenwelt.“
„Aber sie konnten sie nicht kaufen, weil die Produkte nur für Adlige bestimmt waren?“, hakte ich nach.
„So in etwa. Die Produktion kam einfach nicht hinterher, also waren die Preise zu hoch. Aber dank deines Vorschlags können wir unsere Zielgruppe erweitern. Franz war auch ganz beeindruckt“, lobte Oscar mich.
Wir hatten im vergangenen Monat wegen der Vorbereitungen auf die Ladeneröffnung viel miteinander zu tun gehabt und irgendwann waren wir auf das Du übergegangen. Anfangs hatte Oscar mich noch deutlich höflicher behandelt, aber mir war es so eigentlich lieber, deswegen hatte ich nichts dagegen einzuwenden.
Er hat als Handelsvertreter bestimmt mehr Erfahrung in sozialen Umgangsformen als ich, also passt das schon. Denke ich.
Wer allerdings nicht vollkommen damit zufrieden schien, war die Person zu meiner Rechten. Es war der Kommandant, der mich als Leibwache auf meinem Ausflug außerhalb des Königspalasts begleitete. Statt seines üblichen freundlichen Lächelns zeigte sein Gesicht heute keinerlei Emotionen und er beobachtete Oscar mit kritischem Blick.
Scheinbar hatte das Thema allerdings seine Aufmerksamkeit erregt, denn er brach zum ersten Mal sein Schweigen: „Welcher Vorschlag?“
„Lady Sei hat empfohlen, weniger wirksame Varianten der Kosmetika anzubieten“, erklärte Oscar betont höflich. Mit Sicherheit war ihm der Unmut des Kommandanten nicht entgangen.
Hintergrund meiner Idee war, die Produkte zu einem niedrigeren Preis zur Verfügung stellen zu können. Bisher waren sie nämlich allesamt von Personen mit dem entsprechenden Arzneimittelskill produziert worden, was die Kosten in die Höhe trieb. Die Rezepte selbst stammten aber ja aus meiner vorherigen Welt, sodass dieser zur Herstellung eigentlich gar nicht nötig war. Nur die Wirksamkeit litt darunter, sodass ich vorgeschlagen hatte, den Preis entsprechend zu senken.
Das Ergebnis konnten wir mit unseren eigenen Augen beobachten. Trotz der gewissenhaften Hinweise der Mitarbeiter, dass der Wirkungsgrad geringer als bei den bisherigen Kosmetika sei, fanden sich mehr als genug willige Abnehmer.
„Im Laden gibt es auch keine Probleme?“, stellte ich sicher.
„Alles läuft wie geschmiert. Unsere neuen Mitarbeiter sind allesamt kompetent, also sollte das auch weiterhin so bleiben“, versicherte Oscar mir.
„Dann ist ja gut.“
„Sicher, dass du dir das Geschäft heute nicht von innen ansehen möchtest?“
Ich lächelte verlegen. „Ein andermal vielleicht. Heute ist es ein wenig zu voll dafür.“
„Alles klar! Also machst du dich direkt auf den Weg zurück zum Palast?“
„Ja, das war der Plan“, antwortete ich etwas zögerlich. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach dem Besuch im Laden direkt den Heimweg anzutreten, aber er schien auf etwas anderes hinauszuwollen.
Oscar grinste. „Wenn du schonmal hier bist, wie wäre es mit einem kleinen Abstecher? Ich habe gehört, dass in der Nähe kürzlich eine Teestube eröffnet hat, die sich großer Beliebtheit erfreut.“
„Oh?“ Ich horchte auf.
„Die Zielgruppe sind experimentierfreudige Adlige. Scheinbar kann man dort einen ganz seltsamen Tee trinken, der aus dem Ausland importiert wurde“, erzählte er.
Ein seltsamer Tee aus dem Ausland?
Mein Interesse war geweckt, aber wenn ich einen Abstecher machte, würde mich auch der Kommandant begleiten müssen. Ich hatte heute frei, aber er war gerade im Dienst.
Ich kann ihn doch nicht einfach mitschleppen, oder?
Ich bereitete ihm schon zusätzliche Mühen, indem ich heute unbedingt das neue Kosmetikgeschäft besuchen wollte und er mich begleiten musste. Eigentlich hätte ich diesen Tee gerne probiert, aber noch mehr Umstände wollte ich ihm wahrlich nicht bereiten.
Nach kurzem Nachdenken wollte ich Oscar gerade mitteilen, dass ich auf direktem Weg zurückkehren würde, als der Kommandant mir zuvorkam: „Wo befindet sich diese Teestube?“
Was? Warum? Ich hab doch noch gar nichts gesagt!
Oder ist er etwa selbst interessiert?
„Die Adresse ist ...“
Während Oscar dem Kommandanten den Weg erklärte, schien dieser meine Überraschung bemerkt zu haben.
„Sie sind doch neugierig, nicht wahr?“
„Hm? Doch, ja“, gab ich verlegen zu.
Bin ich wirklich so leicht zu durchschauen?
„Dann schauen wir es uns doch einmal an“, lud er mich mit seinem strahlendsten Lächeln ein. Damit war auch meine Entscheidung eindeutig gefällt.