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Kampf am Tag und Leidenschaft in der Nacht! Wie kann es jemand wagen, den Höllenfürsten Gluttony in einer Klatschkolumne der Sünde Faulheit zu bezichtigen, wo doch jeder weiß, dass er der Prinz der Völlerei ist? Adriana Saint Lucent hat sich einen Feind gemacht! Als Plattform für seinen Gegenschlag kauft Gluttony eine rivalisierende Klatschspalte und gründet den privaten Club der Sündhaftigkeit, in dem die einzigen Regeln lauten: Masken sind obligatorisch, und niemand nennt seinen Namen. Während sich Adriana und Gluttony in den Zeitungen bekriegen, verschafft sie sich unerkannt Zugang zu Gluttonys Club – wo sie auf einen mysteriösen Fremden trifft, der all ihre verborgenen Sehnsüchte entfacht. Ein prickelndes Spin Off aus der Welt von »Kingdom of the Wicked«. Der Einzelband rund um den Fürsten Gluttony kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Entdecke die Welt der Piper Fantasy!
www.Piper-Fantasy.de
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Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Diana Bürgel
© Kerri Maniscalco 2024
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Throne of Secrets«, Little, Brown and Company, New York 2024
Published in agreement with the author,
c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, USA
© Piper Verlag GmbH, München 2025
Redaktion: Catherine Beck
Karte: Virginia Allyn
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: Guter Punkt, München nach einem Entwurf von Gregg Kulick © 2024 Hachette Book Group, Inc.
Coverabbildung: Sasha Vinogradova und Rebekah Kreiger
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Cover & Impressum
Widmung
Karte
Motto
Zitat
Prolog
Eins
Prinz Gluttony
Zwei
Adriana
Drei
Prinz Gluttony
Vier
Adriana
Fünf
Prinz Gluttony
Sechs
Adriana
Sieben
Prinz Gluttony
Acht
Adriana
Briefe
Neun
Prinz Gluttony
Zehn
Adriana
Elf
Prinz Gluttony
Zwölf
Adriana
Dreizehn
Prinz Gluttony
Kolumne
Vierzehn
Adriana
Fünfzehn
Prinz Gluttony
Artikel
Sechzehn
Adriana
Siebzehn
Prinz Gluttony
Achtzehn
Adriana
Neunzehn
Prinz Gluttony
Zwanzig
Adriana
Einundzwanzig
Prinz Gluttony
Zweiundzwanzig
Adriana
Dreiundzwanzig
Prinz Gluttony
Vierundzwanzig
Adriana
Fünfundzwanzig
Prinz Gluttony
Sechsundzwanzig
Adriana
Siebenundzwanzig
Prinz Gluttony
Achtundzwanzig
Adriana
Neunundzwanzig
Prinz Gluttony
Dreißig
Adriana
Einunddreißig
Prinz Gluttony
Kolumne
Zweiunddreißig
Adriana
Dreiunddreißig
Prinz Gluttony
Vierunddreißig
Adriana
Fünfunddreißig
Prinz Gluttony
Sechsunddreißig
Adriana
Siebenunddreißig
Prinz Gluttony
Achtunddreißig
Adriana
Neununddreißig
Prinz Gluttony
Vierzig
Adriana
Einundvierzig
Prinz Gluttony
Zweiundvierzig
Adriana
Dreiundvierzig
Prinz Gluttony
Kolumne
Vierundvierzig
Adriana
Fünfundvierzig
Prinz Gluttony
Sechsundvierzig
Adriana
Siebenundvierzig
Prinz Gluttony
Achtundvierzig
Adriana
Kolumne
Neunundvierzig
Prinz Gluttony
Fünfzig
Adriana
Einundfünfzig
Prinz Gluttony
Zweiundfünfzig
Adriana
Dreiundfünfzig
Prinz Gluttony
Vierundfünfzig
Adriana
Fünfundfünfzig
Prinz Gluttony
Briefe
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für mein Bella Baby, du bist Mommys Girl. Für immer.
Und für meinen Gage Man, der ganz ohne jeden Zweifel völlig fasziniert von diesem magischen murmelnden Bach im Großen Jenseits ist.
Ihr beide fehlt mir mehr, als Worte sagen können.
Wenn Aschenputtel ihren Prinzen am Anfang nicht ganz so charmant, sondern vielmehr verschlagen gefunden hätte,
und wenn sie seine dunkelsten Geheimnisse hätte enthüllen und ihn ruinieren wollen, dann wäre dies hier ihr verkorkstes Märchen …
Lasterhafte Gentlemen sind ganz besonders reizvoll, denn ihre schmutzigen Geschichten sind immer die köstlichsten.
Poems for the Wicked, Volume One
In einem Reich der Unterwelt, bekannt als die Sieben Kreise, herrschen sieben unsterbliche Prinzen über ihre Höfe der Sünde und Verkommenheit.
Jeder dieser Kreise wird von seinen Bewohnern und anderen mythischen Wesen lebendig gehalten, indem sie die Macht ihres Prinzen dadurch nähren, dass sie sich der Sünde seiner Wahl hingeben: Zorn, Neid, Gier, Lust, Trägheit, Stolz oder Völlerei.
Macht ist die wichtigste Währung der Prinzen, doch ein übergreifender Fluch, der erst kürzlich gebrochen wurde, droht sie zu schwächen und angreifbar für jene sündigen Geschöpfe zu machen, die ebenfalls in der Unterwelt leben: Hexen, Fae, Gestaltwandler, Göttinnen und die ständig intrigierenden Vampire im Süden. Nun kämpft jedes der Sündenhäuser im Geheimen darum, seine volle Macht zurückzuerlangen, um seinen Hofstaat vor den Nachwirkungen des Fluchs zu retten.
Diese Geschichte spielt im stürmischen nördlichsten der Kreise und folgt dem Prinzen der Völlerei, dessen Sünde nicht einfach nur darin besteht, sich den feinsten Speisen und Getränken hinzugeben, sondern auch darin, beständig nach Abenteuern und Nervenkitzel zu suchen. Wie bei der Jagd auf Eisdrachen, die durch dieses erbarmungslose Terrain ziehen, oder bei seiner bisher vielleicht größten Herausforderung: sich nicht in eine Frau zu verlieben, die er verabscheut …
Wie heißt es doch in den Gedichten und Theaterstücken der Sterblichen? Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.
Mögen die Götter Gnade mit Prinz Gluttony haben.
Eine Sturmfront namens Adriana zieht herauf, und sie ist gnadenlos. Jedenfalls, was ihn angeht.
Ein heftiger Windstoß fegte über die schneegekrönten Berge und heulte durch den Pass, ein Klang, fast so schaurig und kalt wie die Winterluft selbst.
So weit im Norden der Sieben Kreise, jenseits aller anderen königlichen Sündenhäuser, wo Nachtmare und niedere Dämonen die Wälder durchstreiften, erlagen sogar die Elemente der Angst.
Schwach erhob sich ein anderer Klang über die Baumwipfel. Ein Klang, auf den wir nur gewartet hatten.
Ich hielt inne und hob die Hand, ein stummes Signal an meine Jäger, stehen zu bleiben.
Das Schlagen lederner Schwingen wurde von der Brise herangetragen, ein vertrautes Geräusch, leicht gedämpft von einer – wie ich wusste – nur oberflächlichen Schicht engelsgleicher weißer Federn.
Wie bei den meisten Dingen der Unterwelt war auch dieses erstaunliche Gefieder nichts als schöner Trug, der den finsteren Zweck verschleierte. Die Daunenschwingen in Kombination mit den irisierenden Schuppen der Körper tarnten diese ruchlosen Bestien, während sie langsam durch den schneeverschleierten Himmel zogen und uns – ihre Beute – unter sich einkreisten.
Ich schloss die Faust um meinen Hausdolch, und mein Herz schlug schneller, während ich durch die Bäume emporspähte, das Eis von meinen Wimpern blinzelte und darauf wartete, den ersten Blick auf den fleischgewordenen Tod zu erhaschen.
Meine Unsterblichkeit würde dafür sorgen, dass ich weiteratmete, komme, was wolle, aber nicht jeder in unserer Jagdgesellschaft verfügte über diesen Luxus. Genau wie ich kämpften sie um des Jagdfiebers willen, aber auch, weil dies eine der wichtigsten Quellen für meine Macht darstellte. Die Jagd fütterte meine Sünde wie sonst nichts. Da die Sünde meines Kreises die Völlerei war, herrschte außerhalb der Unterwelt der Glaube vor, wir würden nur übermäßig essen und trinken. Genau das taten wir, und dasselbe galt für den Sex und den Kampf, aber die meisten meiner Sünder kamen nach mir und zogen es vor, zügellos dem Abenteuer und der Gefahr zu frönen.
Diese Angst, die Möglichkeit eines Versagens, gemischt mit der wilden, kompromisslosen Abenteuerlust, trieb die Männer und Frauen an meiner Seite weiter durch den schmalen, erbarmungslosen Pass, den Blick fest auf den wolkenverhangenen Himmel gerichtet, die Muskeln angespannt und kampfbereit.
Ich warf einen Blick über die Schulter auf die Reihe von Elitekämpfern und -kämpferinnen, die den Höhen der Ungnade trotzten, jenem ummauerten Außenposten, den ich vor einem Jahrhundert errichtet hatte, um die wilden nördlichen Länder hinter meinem Herrschaftsgebiet von Haus Völlerei im Auge behalten zu können.
Alle außer einem trugen mein königliches Wappen auf der ledernen Kampfrüstung, auf der Suche nach Ruhm und Drachen.
Ich gab das Zeichen, dass sie sich still verhalten und wachsam sein sollten. Gleich war es so weit.
Seit Stunden folgten wir den Drachen nun schon, spielten Katz und Maus, während beide Seiten begierig waren, anzugreifen. Die Drachen wussten, dass wir in der Nähe waren, doch dank der Nadelwälder zu beiden Seiten des Passes hatten sie keine freie Sicht.
Einige der Jäger bissen auf Lederriemen, um das Geräusch ihrer klappernden Zähne zu dämpfen. Sie würden hier draußen keine weitere Stunde überstehen, so tapfer sie auch sein mochten.
Wir mussten uns wieder in Bewegung setzen.
Ich ließ den Blick über ihre Reihe schweifen, bis ich ganz hinten denjenigen fand, nach dem ich suchte. Goldene Augen leuchteten im silbernen Sonnenlicht, das sich tapfer einen Weg durch den Schneesturm suchte.
Mein Bruder Wrath, der Fürst des Kriegs, war der Einzige, der beim Klang der näher kommenden Flügelschläge genauso begeistert wirkte wie ich. Er war für den Kampf geschaffen, so wie ich für die Gefahr. Eine Kombination, die manchmal nicht gerade für die besten Entscheidungen, dafür aber für großartige Geschichten stand.
Dort draußen, wo nur Ungeheuer lebten, waren die Eisdrachen die gefürchtetsten aller Raubtiere.
Was bedeutete, dass sie für uns Prinzen der Hölle die ebenbürtigsten Gegner darstellten.
Die Jagd an diesem Abend versprach denkwürdig zu werden. Gewalt schimmerte in der Luft, so nah, dass ich die bevorstehende Schlacht fast schmecken konnte und mir vor Vorfreude das Wasser im Mund zusammenlief.
Seit Stunden folgten wir diesem Rudel von Eisdrachen nun schon unbarmherzig nach Norden, weit über die Grenzen bewohnbaren Lands hinaus. In dieser Region gab es sieben bekannte Drachenrudel, und dieses hier herrschte über das Revier, das meinem Haus der Sünde am nächsten lag.
Das Terrain dort war zwar milder als das des hohen Nordens, aber immer noch erbarmungslos.
Mehrere Mitglieder meiner Jagdgilde waren gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen, da sie den tödlichen Wetterbedingungen nicht hatten standhalten können. Die wenigen, die noch bei mir waren, stellten die erbittertsten meiner Mitstreiter dar. Oder die dümmsten.
Jackson Rose, einer der neuesten Initiierten der königlichen Jagdgilde, stolperte über eine eisüberzogene Wurzel und fluchte, als er mit dem Gesicht voran im Schnee landete. Felix, ein erfahrener Veteran, warf mir einen entschuldigenden Blick zu und zog den jüngeren Jäger brummend an der Rüstung auf die Füße.
Meine Haut prickelte vor plötzlicher Aufmerksamkeit.
Dieses eine Zeichen der Erschöpfung war der Funke, an dem sich die Gewalt entfachen würde. Falls die Drachen bisher nicht gewusst hatten, wo genau wir uns befanden, war unser Überraschungsvorteil nun zunichtegemacht.
»Achtung!«, brüllte ich und richtete meinen Dolch himmelwärts, während ich vom Pfad heruntertrat und unter dem nächsten Nadelbaum haltmachte, um vor dem mit Sicherheit bevorstehenden Luftangriff geschützt zu sein.
Stumm zählte ich mit, mein Puls hämmerte.
Das Geräusch schlagender Schwingen verstummte.
»Macht euch bereit!«
Wie Kometen stürzten die gewaltigen Kreaturen vom Himmel auf uns herab. Die majestätischen Schwingen dicht an ihre großen, schuppigen Körper gepresst, stießen sie einer nach dem anderen zur Erde nieder, und ihre schiere Anzahl überraschte uns.
Der Wind heulte um ihre gewaltigen Leiber, und die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.
Der größte von ihnen donnerte knurrend vor mir zu Boden, und der Aufprall erschuf einen Krater im Schnee und der gefrorenen Erde darunter. Er verfehlte mich um Haaresbreite. Seine irisierenden Schuppen schillerten wie Diamanten, und sein Kiefer war mit einer Reihe schnappender Zähne bewehrt, groß und spitz wie Dolche.
Auf seiner Brust prangte eine gezackte Narbe.
Ich bleckte die Zähne zu einem animalischen Lächeln. Es war Silvanus, ein Drache, mit dem ich mich seit fast einem Jahrhundert maß und den ich als Schlüpfling aufgezogen hatte.
Diese Verbindung bedeutete auf dem Schlachtfeld jedoch nichts.
Wir passten im Kampf gut zusammen. Keiner von uns beiden gab sich leicht geschlagen.
Silvanus hatte das Temperament einer launischen Katze, also war er meinem Bruder Sloth durchaus nicht unähnlich. Er maß sich nur im Wettstreit, wenn ihm danach war, und ließ sich ansonsten nicht dazu herab.
Rasch warf ich meinen Jägern einen Blick zu. Fast jeder von ihnen stand seinem eigenen Drachen gegenüber, und sie alle trugen das gleiche wölfische Grinsen zur Schau, während sie sich mit ihren Gegnern maßen.
Ich konzentrierte mich wieder auf meinen eigenen Kampf und erlaubte mir, mich vom Rausch der Begeisterung mitreißen zu lassen.
»Bereit für einen Tanz, alter Junge?«, reizte ich ihn und versuchte, eine Lücke in seiner Deckung zu finden, um angreifen zu können.
Wer das erste Blut vergoss, hatte gewonnen. Zu Hause in meinem warmen Schloss warteten zwei Fässer Gewürzbier auf mich, und mir war danach, heute Abend meinen Sieg zu feiern, weit entfernt von dieser jämmerlichen Kälte, die meine Eier in ihrem eisigen Griff hielt.
Silvanus spie einen weißen Flammenstrom auf meinen linken Fuß und zwang mich dazu zurückzutänzeln. Um ein Haar hätte dieser Bastard meine liebsten Jagdstiefel ruiniert.
Ich deutete mit dem Dolch auf meine Füße. »Ein bisschen Respekt vor diesem feinen Leder, ja? Du schuppiger Heide.«
Im schwächer werdenden Licht glommen spitze Zähne auf, die Drachenversion eines Grinsens.
Ich lachte leise, als er die nächste Feuersbrunst entfesselte und dieses Mal auf meinen rechten Fuß zielte. Ich hatte ihn zu einem Tanz herausgefordert, und er ließ mich springen.
»Gut gespielt.«
Mein Grinsen verblasste. Mein Verlangen nach der Jagd, nach dem Sieg, gewann die Oberhand.
Ich trat vor, verengte die Augen, fasste einen Plan. Ich würde links antäuschen, ihn dann aber rechts erwischen und ihm direkt unter der Schnauze einen Kratzer versetzen. Er war breit und groß, und Wendigkeit war nicht gerade seine Stärke. Ein Vorteil für mich, der mir zum Sieg verhelfen würde.
Doch anstatt anzugreifen, blieb Silvanus stehen. Ein warnendes Knurren drang tief aus seiner Brust. Sein Blick war auf etwas über meiner Schulter gerichtet. Da ich fast zwei Meter groß war, glaubte ich nicht, dass er einen meiner Jäger ins Visier nahm.
Der Drache warnte mich vor etwas anderem.
Ich fuhr herum und entging nur knapp dem Angriff eines zweiten Drachen, der mir den Kopf abgerissen und mich getötet hätte, wenn ich sterblich wäre.
Mit einem Schlag verschwand alle Leichtigkeit. Ein Todesstoß war während unseres kleinen Spiels verboten, ungeachtet der Tatsache, dass ich nicht sterben konnte. Viele der anderen Jäger konnten es durchaus.
»Muss ich euch an den Pakt erinnern?«, zischte ich wütend und behielt beide Drachen im Auge.
Silvanus mochte mich einmal gewarnt haben, aber ich konnte nicht darauf vertrauen, dass er es ein zweites Mal tun würde. Genau wie Wölfe waren Drachen Rudelwesen. Sie würden ihrem Alpha folgen.
Silvanus neigte den Kopf, als Zeichen, dass er den Pakt ehrte.
Der andere Drache knurrte nur.
Früher einmal waren die Eisdrachen frei durch die Sieben Kreise gestreift und hatten nach Herzenslust Jagd auf Dämonen und andere Geschöpfe gemacht.
Während der dunkelsten Stunden unserer gemeinsamen Geschichte hatten die sieben Alphas der Rudel einen gemeinsamen Angriff geplant und eine blutgetränkte Schneise durch das Reich geschnitten. Sie waren der Schrecken aller gewesen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen Geschöpfen jagten Eisdrachen nicht nur, um zu fressen. Sie töteten gern. Und sie hatten ihre finstersten Sehnsüchte an den Häusern der Sünde ausgelebt. Es hatte schreckliche Verluste gegeben.
Also hatte ich vor über hundert Jahren den ersten Friedensvertrag zwischen den Drachen und meinen Brüdern ausgehandelt. Unterstützt von einem Zauber konnten wir klar und deutlich mit den Drachen kommunizieren, und schließlich konnten wir uns auf gewisse Bedingungen einigen.
Wenn ich sie nicht zu einem bestimmten Anlass in meinen Kreis einlud, band der Pakt sie an den hohen Norden. An jenes brutale, fast vollkommen unberührte Land direkt oberhalb meines Reichs.
Sie hatten ihr Territorium in sieben Regionen eingeteilt, die jeweils von einem der Alphas regiert wurden. Wer ihre Alphas waren, verheimlichten sie uns, und sie behielten ihre Rudelgeheimnisse für sich, auch wenn ich den starken Verdacht hegte, dass Silvanus das Rudel anführte, mit dem wir am häufigsten Kontakt hatten.
Wenn von ihren Anführern die Rede war, sprachen die Drachen immer nur von »den Alphas«.
Wir hatten uns verpflichtet, uns nicht in ihre privaten Angelegenheiten einzumischen, solange sie sich gegenseitig nicht ernsthaft verletzten oder schadeten.
Im Gegenzug für ihre Einwilligung in den Pakt hatte ich zugestimmt, dass meine Jäger und ich jeden Monat eine Jagd zu sportlichen Zwecken arrangieren würden, um sie beschäftigt zu halten. Meine Brüder durften sich uns anschließen, wenn sie zuvor eine Anfrage an mein Haus der Sünde stellten.
Keinem von uns war es erlaubt zu töten.
Der neue Drache – Aloysius, vermutete ich wegen seines etwas dunkleren silberblauen Schwanzes – trat drohend einen Schritt näher, und seine schillernden Augen loderten.
Seine Klauen bohrten sich in den Boden und wühlten den Schnee auf.
Ein ungezähmtes Funkeln lag in seinem Blick.
Ich nahm meine Umgebung wieder wahr, wurde mir der vertrauten Kampfgeräusche bewusst. Rasch sah ich mich um – die anderen Drachen verhielten sich ganz normal, höchstens etwas wilder als sonst. Meine Jäger hatten gerötete Gesichter vom Adrenalin, und ihre Augen leuchteten bei jedem Treffer auf.
Trotzdem fühlte ich ein ungutes, warnendes Prickeln auf der Haut.
»Halt!«, rief ich und ließ den magischen Befehlston der Höllenfürsten in meiner Stimme mitschwingen.
Mein Bruder brach den Kampf ab, warf mir jedoch einen ungläubigen Blick zu, den Dolch nur wenige Zoll von der Kehle seines Drachen entfernt. Er hätte gewonnen. Stattdessen zwang ich ihn dazu zurückzuweichen.
Und der Dämon des Kriegs gab einen Kampf nicht so leicht auf.
Wrath schien drauf und dran zu sein, mir zu widersprechen, aber schließlich presste er die Lippen fest zusammen. Er war mit meiner Anweisung eindeutig nicht einverstanden, doch diese Entscheidung lag nicht bei ihm. Über diesen Kampf bestimmte ich.
Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir uns zurückziehen mussten.
Ich hatte gelernt, auf diesen inneren Alarm zu hören, da ich wusste, dass ich meine Arroganz ansonsten doppelt würde bezahlen müssen und dass dies nicht lustig werden würde.
Nachdem wir die Drachen den ganzen Tag durch einen Schneesturm verfolgt hatten, war ich genauso enttäuscht wie alle anderen auch, weil ich unser Spiel so früh beenden musste, aber vor allem musste ich uns hier fortbringen, bevor etwas entsetzlich schiefging.
»Jäger, Drachen.« Ich nickte jeder Seite zu und klopfte mir dann zweimal mit der Faust auf die Brust. Ein Zeichen des Respekts und das Signal dafür, dass die Jagd tatsächlich vorbei war. »Guter Kampf.«
Ich sah Silvanus lange an, damit der Drache wusste, dass ich ihn bald zu mir rufen würde, um darüber zu sprechen, was beinahe geschehen war. Teil des Pakts war auch, dass er meiner königlichen Einberufung folgen musste. Seine geschlitzten Pupillen weiteten sich blitzschnell, und sein Schlangenkopf zitterte kaum wahrnehmbar, bevor er schließlich das Zeichen seines Einverständnisses gab.
Mir blieb keine Zeit, um über Silvanus’ seltsame Reaktion nachzudenken, da plötzlich ein animalisches Kreischen die Stille zerriss und Eis durch meine Adern jagte.
Ich fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie Wraths Eisdrache einen Satz nach vorn machte und das Maul weit aufriss, um sich auf seine Kehle zu stürzen.
Mein Bruder war gnadenlos schnell, doch sogar seine Hände fanden das Drachenmaul einen Sekundenbruchteil zu spät. Die Zähne des Drachen bohrten sich tief in Wraths Hals, und die Augen des Untiers rollten zurück, als es der Blutgier erlag.
Goldenes Götterblut sprudelte aus Dutzenden Wunden, während der Drache meinen Bruder schüttelte und ihm dann mit einem heftigen Ruck die Kehle herausriss.
Einen langen und grässlich gespannten Moment herrschte Stille, während Wrath langsam auf die Knie sank und ein Sturzbach aus Blut aus seiner Wunde floss. Wie eingefroren vor Entsetzen starrten die Jäger jene Stelle an, an der Wraths Kehle sein sollte.
Es war so blitzschnell geschehen, dass nicht mal mir mit meiner übernatürlichen Kraft und Geschwindigkeit Zeit zum Reagieren geblieben war.
Ich holte tief Luft, und mein innerer Dämon rüttelte an den Gitterstäben. Mein Bruder war alles andere als ein geringer Gegner, und dieser Angriff ging weit über das erste Blutvergießen hinaus, das die Regeln vorschrieben. Das würde nicht ungestraft bleiben.
Zuerst aber musste ich dafür sorgen, dass meine Dämonen das nun Folgende überlebten.
Die Jäger standen vollkommen reglos da, und der scharfe Gestank von Urin hing in der Luft. Dies waren einige der Tapfersten in meinem Kreis, doch sie hatten Todesangst. Wenn ein Prinz so brutal zu Fall gebracht werden konnte, dann hatten sie keine Chance zu überleben.
Bis zu diesem Moment hatten sich die Drachen während unseres Spiels immer zurückgehalten. Die Jäger hatten nie die volle Macht dieser Kreaturen zu spüren bekommen, doch wir wussten, dass es auf einmal kein Spiel mehr war.
Mein Bruder warf mir einen wütenden Blick zu, und in seiner Miene las ich alles, was ich wissen musste, während das Licht in seinen Augen langsam erlosch.
Ich nickte ihm zu, ein Zeichen, dass ich verstanden hatte. Ich war bereit.
Ich packte meinen Dolch fester und wartete.
In dem Moment, in dem mein Bruder fiel, brach das Chaos los.
Als wäre ein unsichtbares Band zerrissen, fielen die Drachen alle gleichzeitig über uns her.
Sie griffen an.
»Du solltest wirklich öfter lächeln, meine liebe Adriana.«
Da Jacksons Worte nur noch ein leises Lallen und seine Schritte fast genauso schwer waren wie die Hand, die auf meiner Hüfte immer tiefer rutschte, überraschte es mich, dass er sich überhaupt noch an meinen Namen erinnerte.
Als eingeweihter Jäger in Prinz Gluttonys Eliteeinheit, auch bekannt als die königliche Jagdgilde, war Jackson an diesem Abend meine Mission, was bedeutete, dass ich mitspielen musste, um ihm die Geheimnisse seines letzten Einsatzes zu entlocken.
Gerüchten zufolge wurden die Eisdrachen im Norden unruhig.
Wenn sich dies als wahr erwies, wäre es die Story des Jahrhunderts. Über so etwas als Erste zu berichten, konnte viel öffentliches Interesse wecken und die Lage meiner Familie vollkommen verändern.
Nicht nur, weil die Eisdrachen in unserem Kreis sowohl verehrt als auch gefürchtet wurden, sondern weil die öffentliche Sicherheit auf dem Spiel stand.
Ich konnte nicht einfach abwarten und auf das Beste hoffen. Meine Familie lebte hier. Meine Freunde. Und sämtliche Bürger, die es verdienten, die Wahrheit zu erfahren, bevor etwas Schreckliches geschah.
Wenn der Friedensvertrag nicht mehr eingehalten wurde, musste es dafür einen Grund geben.
Und ich hatte durchaus vor herauszufinden, welcher das war.
Jackson führte mich Walzerrunden drehend durch den Ballsaal, während seine Hand ihrem Abwärtspfad weiter folgte und seine Trunkenheit in jedem Fehltritt und jedem Stolpern schmerzlich offensichtlich wurde.
Wir erregten ungewollt Aufmerksamkeit.
Und nicht nur, weil wir während eines Menuetts Walzer tanzten.
Wir rempelten diverse Lords und Ladys an, was uns empörte Blicke und harsches Getuschel eintrug. Als wir schließlich mit der Dowager Duchess Oleander zusammenstießen, befürchtete ich schon, dass sie uns rauswerfen würde. Ihr eisiger Blick folgte uns, während wir weiter über den Tanzboden wirbelten.
Als sie sich zu ihrer Freundin Lady Violet Gunner, der Gastgeberin dieses Fests, vorbeugte und zweifellos Genugtuung für ihre zerquetschten Zehen forderte, verzog ich das Gesicht.
In mir kämpfte der Wunsch, Jackson in den nächsten Brunnen mit heißer Schokolade zu stoßen, mit der Notwendigkeit, ihn bei mir zu behalten. Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass mein Kiefer schmerzte.
Ich hatte an diesem Abend zwei Fehler gemacht.
Erstens hatte ich auf Miss Ryleigh Hughes gehört. Meine beste Freundin und Kollegin hatte mir geraten, Gebrauch von der Lieblingssünde unseres Kreises zu machen und Jackson dazu zu ermutigen, sich zu betrinken.
»Lockerer Mund tut Ausrutscher kund«, war ihr Lebensmotto.
Nun hatte ich einen betrunkenen Jäger, der gerade eine Szene machte, in meinen Schläfen setzte das erste Pochen von Kopfschmerzen ein, und ich war dem Geheimnis kein Stück weiter auf die Schliche gekommen, obwohl mein nächster Artikel bald fällig war.
Ich konnte es mir nicht leisten, mit einem Bericht danebenzuliegen. Wenn ich nicht bald Neues über die Eisdrachen erfuhr, dann würde ich mich einem weiteren Gerücht über meinen Erzfeind widmen müssen. Falls ich jedoch als Erste über die Eisdrachen berichten konnte, würde dies meine Karriere – und damit auch mein Gehalt – in die Höhe katapultieren, viel effektiver, als es ein weiterer Skandalartikel könnte. Also würde ich noch nicht aufgeben.
Mein zweiter Fehler war der Versuch gewesen, meinen weiblichen Charme einzusetzen, um Jackson Informationen zu entlocken. Es fiel mir oft nicht leicht, meine Zunge zu hüten, und da der Abgabetermin näher rückte, wurde mein Geduldsfaden zunehmend dünner.
Flirten fiel mir schon unter den besten Umständen schwer.
Und das hier waren nicht die besten Umstände.
Auf einmal musste ich an eine Porzellanpuppe aus meiner Kindheit denken.
Meine kleine Schwester Eden hatte sie unbedingt haben wollen, weil das hellrosa Kleid, das in der seltenen Nachmittagssonne schimmerte, ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte.
Da ich zehn Jahre älter und mir bereits schmerzhaft bewusst war, in welcher Lage wir steckten, war mir die Puppe nicht geheuer gewesen. Ihre dumpfe Miene, die sie wie einen Schutzschild trug, weckte die Frage in mir, was sie wohl zu verbergen hatte.
Vielleicht hätte ich in Betracht ziehen sollen, dass die Spielzeugmacherin ein Zeichen hatte setzen wollen und dass die Puppe für den Käfig stand, in den die Gesellschaft junge Frauen steckte.
Sei liebenswürdig, freundlich und schön, auch wenn es dir jeden Lebenswillen raubt.
Entgegen meinen leisen Ermahnungen verwendete meine Stiefmutter die Münzen, die wir für Essen gespart hatten, um die Puppe zu kaufen, woraufhin unsere Bäuche in dieser Woche leer blieben.
Eden hatte jeden Abend geweint, und die Puppe war so gut wie vergessen, als sie die harte Wahrheit begriff: Das Vermögen, das unser Vater uns nach seinem Tod hinterlassen hatte, war verschwunden. Bis auf die letzte Münze aufgebraucht von meiner Stiefmutter, die in einem nutzlosen Luxus nach dem anderen schwelgte. Nicht dass eine Puppe für ein Kind nutzloser Luxus gewesen wäre. Ich nahm es meiner Schwester niemals übel, dass sie sich Spielzeuge wünschte. Sogar ich hätte ihr am liebsten den Mond geschenkt.
Sophie Everhart, meine Stiefmutter, war die Einzige, die unser Schicksal nicht akzeptieren konnte, als könnte ihre Weigerung, die Veränderung unserer Lebensumstände anzuerkennen, die Wahrheit verschwinden lassen.
Selbst als wir uns gezwungen gesehen hatten, unser Stadthaus den Schuldeneintreibern zu überlassen und in das baufällige Haus zu ziehen, das wir nun unser Heim nannten, hatte Sophie Everhart Mittel und Wege gefunden, Geld auszugeben, das wir nicht besaßen. Ihre Sünde war die Völlerei, und ihr Verlangen danach, über die Stränge zu schlagen, überstieg jeden gesunden Menschenverstand.
Da hatte ich geschworen, dafür zu sorgen, dass wir zurechtkommen und besagter Sünde niemals gänzlich erliegen würden. Völlerei bezog sich nicht nur auf den Überfluss materieller Dinge.
Sünder wie ich frönten dem Abenteuer. Und ich fand kein größeres Vergnügen als die Aufregung, wenn ich ein Geheimnis aufdeckte und als Erste darüber berichtete.
Weshalb ich nun mit Jackson tanzte und seine wandernden Hände tolerierte.
Irgendwie war es mir gelungen, dasselbe einfältige Lächeln aufzusetzen wie jene Puppe. Ich war wild entschlossen, eine Unterhaltung über die Drachen in die Wege zu leiten.
Er lächelte schief, und sein Blick wanderte südwärts, genau wie seine verdammten Hände.
Normalerweise war es mir lieber, wenn meine romantischen Partner die Sache direkt angingen, statt mich mit falschen Liebeserklärungen zu langweilen, aber ein bisschen konnte man sich doch um eine Unterhaltung bemühen.
Wenn mein Gegenüber nicht wenigstens versuchte, meinen Verstand zu verführen, würde er es nie in mein Schlafzimmer schaffen. Nicht dass ich mir im Laufe der verstrichenen beiden Saisons einen Liebhaber genommen hätte. Sehr zu meinem Leidwesen.
»Elitejäger wie ich mögen, wenn Mädchen kokett lächeln. Kannst du kokett lächeln?«
Genauso gut, wie du korrekte Grammatik anwenden kannst. »Nein, Mylord. Ich fürchte, das kann ich nicht.«
»Schade. Du bist recht hübsch, wenn du nicht gerade ein finsteres Gesicht machst. Dieses eisblaue Haar …«
Gerade als das Streichquartett zu einem Crescendo ansetzte, zog ich mich zurück und entging so knapp einer weiteren ungewollten Berührung. Seine Finger strichen durch die leere Luft statt durch mein offenes Haar.
Jacksons Blick wurde hitzig und hungrig.
Er war wie die meisten Mitglieder der königlichen Spezialeinheiten, initiiert oder nicht: Er genoss die Aufregung der Jagd.
»Ihr habt mir gerade vom Norden erzählt, Mylord. Von den Eisdrachen, die direkt vor den Toren von Haus Völlerei umherstreifen. Ich habe von einem Angriff gehört.«
»Hm. Ach, wirklich? Kann mich gar nicht dran erinnern.«
Ich wusste nicht, ober er meinen Fragen nur ausweichen wollte, oder ob er so mit meiner Verführung beschäftigt war, dass er kein Wort verstand, das aus meinem Mund kam.
»Was für ein Auftrag war das genau, der Euch zugewiesen wurde?«, fragte ich in der Hoffnung, dass seine Unerfahrenheit in der Gilde meinen Nachforschungen zugutekommen würde. »Ich kann mir nicht vorstellen, lange dort oben stationiert zu sein. Ich habe gehört, dass es ziemlich einsam sein soll.«
»Ah. Die Höhen der Ungnade. Das Ende der zivilisierten Welt und der Sieben Kreise. Besser bekannt als der letzte albtraumhafte Außenposten, weil er so weit von hier entfernt ist. Bis sich die süßesten Sünder in die Kasernen zurückziehen. Danach will sich niemand mehr zivilisiert benehmen.«
Innerlich schrie ich. »Hat Seine Hoheit Eure Jagdgesellschaft begleitet? Den Berichten zufolge soll ein anderer Prinz der Sünde in den Vorfall verwickelt gewesen sein.«
Ich musste diese Unterhaltung auf sichereren Boden lenken.
»Alle wollen immer nur über die Prinzen tratschen, aber es gibt Interessanteres zu bereden. Habe ich dir schon davon erzählt, wie man sich in diesen eiskalten Grenzlandnächten warm halten kann?«
Sein Blick senkte sich auf meine Korsage, wo er verweilte. Offenbar unterlag er der Fehleinschätzung, dass meine Brüste ihm auf magische Weise antworten würden, wenn er sie nur lange genug anstarrte.
»Indem man seine Feinde aufschlitzt und in ihren dampfenden Eingeweiden schläft?«, fragte ich zuckersüß und klimperte mit den Wimpern.
Sein Blick flog wieder nach oben, und das Feuer darin erlosch. »Wie bitte?«
»Also keine dampfenden Eingeweide.« Ich seufzte dramatisch. »Die Vorstellung erbarmungsloser Brutalität hat mir ehrlich gesagt gefallen. Lust und Gewalt. Was für eine sündige Verbindung, nicht wahr?«
Langsam blinzelnd starrte er mich an. Ein Teil von ihm hatte immer noch Interesse, wenn auch vermutlich nur wegen der wilden, ungezähmten Bettgeschichten, die er später höchstwahrscheinlich erzählen konnte. Ein anderer Teil wirkte allerdings misstrauisch.
Vermutlich sah ich aus wie eine Frau, die ihn ebenso gut aufschlitzen wie für einen hochintensiven Orgasmus sorgen konnte. Er schien das Risiko abzuwägen.
Glücklicherweise endete die Musik in diesem Moment, genau wie unsere gemeinsame Zeit. Meine Mission war gescheitert, aber wenigstens musste sich Jackson nun nicht mehr mit der Frage herumschlagen, auf welche der beiden Stimmen in ihm er hören sollte.
Ich knickste höflich und floh dann auf die andere Seite des Ballsaals. Jackson folgte mir wenig überraschend nicht. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf eine wunderschön frisierte Adlige.
Ryleigh lehnte an der Wand, und Belustigung funkelte in ihren Bernsteinaugen, als ich zu ihr in den Schatten trat. Wir waren beide Nichtadlige und wurden nur zu solchen Ereignissen eingeladen, um darüber zu berichten, auch wenn die meisten Adligen unseren Stand vergaßen, weil wir unser Bestes taten, um nicht aufzufallen.
»Jackson sah aus, als wäre er halb verliebt und halb entsetzt. Ihr müsst wirklich an Euren Flirtkünsten arbeiten, Miss Saint Lucent«, neckte sie mich. »Ein bisschen Übung tut dir sicher gut.«
»Er ist entweder zu betrunken, um sich auf meine Fragen zu konzentrieren, oder er will erst reden, wenn ich mit ihm ins Bett gehe.« Mit seiner neuen Partnerin rempelte er ein weiteres argloses Pärchen an. Also betrunken. »Und was hat das mit meinen Flirtkünsten zu tun?«
Ryleigh versetzte mir einen langen, nachdrücklichen Blick. »Hast du irgendwas Nützliches aus ihm rausbekommen?«
Ich schnappte mir eine Flöte mit Dämonenbeerenwein von einem Tablett, das gerade vorbeigetragen wurde, und leerte es zur Hälfte. Die funkelnden Dämonenbeeren fingen das Licht ein und sahen aus wie winzige Sterne.
»Nichts, was mir dabei helfen würde, Axton niederzumachen und zu beweisen, dass die Eisdrachen eine Bedrohung sind.«
»Heute nennst du ihn also Axton, was?«, gab Ryleigh scherzhaft zurück. »Prinz Gluttony wäre geschmeichelt, dass du ihn endlich bei diesem Namen nennst.«
Gabriel Axton, der verdammte Prinz der Sünde.
Sein bevorzugter Deckname, wenn auch nicht sein wahrer, sonst hätte die Hexe, die ich beauftragt und deren Lohn ich mir vom Mund hatte absparen müssen, ihn schon vor langer Zeit verflucht. Der Prinz der Völlerei war im ganzen Reich als Gabriel bekannt, einer der sieben Höllenfürsten.
Ich wusste, dass es bei den Sterblichen Mythen und Sagen über die Götter und Göttinnen gab, die über jenes als Unterwelt bekannte Reich herrschten – das hatten mir meine Kontakte, denen Einlass in unser Königreich gewährt worden war, berichtet. Doch selbst sie hatten es nie weiter gebracht als bis zu den Wandelinseln.
Tatsächlich war die Unterwelt in sieben Kreise unterteilt, und jeder davon wurde von einem anderen Prinzen der Sünde regiert. Es gab auch noch einen achten Kreis im Süden unserer Welt, doch er war verboten und wurde von den Bewohnern der Unterwelt häufig ignoriert. Auf einer größeren Insel im Westen befanden sich die Länder der Fae. Und im südlichsten Zipfel unseres Reichs lag die Insel der Bosheit – das Zuhause der Vampire. Haus Völlerei, in dem ich lebte, war das nördlichste der Territorien und grenzte an das wilde Land, in dem die Drachen, niederen Dämonen und andere Kreaturen lebten, die zu dunkel und verdorben oder schlicht zu einsamkeitsliebend waren, um eines der Sündenhäuser zu wählen.
In den Sieben Kreisen brauchten die Höllenfürsten ihre Dämonen, damit diese ihrer Sünde der Wahl frönten, so die Macht der Prinzen befeuerten und dafür sorgten, dass sie stark genug waren, um uns vor äußerlichen Bedrohungen zu schützen. Deshalb lebten die Bewohner der Unterwelt in den Häusern, in die sie am besten passten.
Im Gegensatz zu den meisten im Reich, die Axton vollkommen verfallen waren, konnte ich den Prinzen nicht ausstehen.
Es gab keine Regel, die besagte, dass ich den Prinzen mögen musste, nur weil ich zu seiner bevorzugten Sünde passte. Was bedeutete, dass mindestens einer der alten, großen Götter in der Tat ziemlich kleinkariert sein musste.
Nicht viele der anderen Kreise glaubten noch an die alten Götter, die hauptsächlich über die Jahreszeiten herrschten, doch im Norden zollten ihnen einige immer noch Tribut. Ich musste herausfinden, wen ich bestechen musste, um den Prinzen zu erledigen.
Ich weigerte mich, ihn privat Prinz Gluttony zu nennen, und »Gabriel« klang für diesen Wüstling viel zu königlich. Axton mochte zwar sein bevorzugter Deckname sein, aber das störte mich nicht weiter, weil es mich an eine Waffe erinnerte. Der Prinz gab sich in der Öffentlichkeit viel zu charmant, um glaubhaft zu sein, und alle sollten ihn in der Tat mit einer Axt assoziieren. Jedenfalls hatte er im Laufe der Jahre mehr als genug Herzen zerhackt.
»Er hat seit fast einer Woche kein Fest mehr besucht, was zeitlich perfekt zu den Gerüchten über den ersten Drachenangriff seit hundert Jahren passt«, sagte ich. »Oder ist dir schon mal zu Ohren gekommen, dass er sich eine Gelegenheit entgehen lässt, seine Sünde zu füttern?«
»Bitte sag mir, dass du es dir nicht im Kalender notierst, wenn er mal eine Feier versäumt, Adriana.«
Diese Bemerkung würdigte ich keiner Antwort. Die Musik endete, und die Tänzer wechselten die Partner, als das nächste Stück angestimmt wurde. Schweigend sahen wir zu, wachsam darauf wartend, ob es einen Skandal, eine Weigerung oder eine schroffe Abfuhr geben würde.
Die Männer wirbelten ihre Partnerinnen über den polierten Marmorboden, und die Röcke der Damen entfalteten sich wie bunte Blüten. Rasch prägte ich mir ein, wer mit wem tanzte, wer sich auf den Balkon über dem Ballsaal davonstahl und wer zerzaust aus den Gärten wieder auftauchte.
Die Dowager Duchess Oleander starrte weiter finster in unsere Richtung und nahm mir den versehentlichen Tritt auf ihren Zeh ganz offensichtlich immer noch übel. Ihr Haar wies ein dunkles Pflaumenlila auf, das gut zu ihrem Teint passte, an ihrer sauertöpfischen Art jedoch nichts änderte.
Für eine Witwe war sie jung, nicht viel älter als Ryleigh und ich. Jeder wusste, dass sie den Duke of Oleander seines Titels wegen geheiratet hatte, und nicht, weil sie ihn liebte. Eine deprimierende, aber recht übliche Praxis unter den Adligen, sowohl in unserer Welt als auch in den Ländern der Sterblichen.
Ihr Blick wanderte zu Ryleigh und wurde noch kälter. Vor Jahren hatte es Gerüchte um einen Skandal gegeben, der sich um meine Freundin und den ehemaligen Duke rankte. Eine solche Geschichte wäre in jedem Klatschblatt breitgetreten worden, wäre nicht kurz darauf etwas noch viel Skandalöseres passiert.
Ich wandte den Blick ab.
Und da sah ich Anderson Anders, einen Journalisten eines unserer Konkurrenzblätter mit einem lächerlich überheblichen Pseudonym, der auf der anderen Seite des Saals stand und alles mit seinem Raubvogelblick im Auge behielt. Er glaubte gern, dass seine Arbeit preisgekrönt werden sollte.
»Warum machst du dir keine Sorgen darüber, was ein Drachenangriff bedeuten könnte?«, frage ich schließlich.
Ryleigh seufzte. »Deine Quelle war bestenfalls unzuverlässig. Wenn er einen Beweis hätte, dann wäre er inzwischen längst zu einem der gut bezahlenden Skandalblätter gelaufen. Stattdessen ist er verschwunden.«
»Seine Angst war nicht gespielt, Ry.«
»Vielleicht nicht, aber es gibt eine Menge anderer möglicher Erklärungen für seine Angst.«
»Zum Beispiel?«
»Verwünschungen. Flüche. Dunkle Magie. Verhüllungszauber«, zählte Ryleigh an den Fingern ab. »Herrje, jemand hätte die Verfluchte Feder benutzen und sein Gedächtnis überschreiben können. Soll ich weitermachen?«
Ich hatte nie auch nur den leisesten Hinweis zu besagter Feder finden können, abgesehen von dem Gemunkel, das Ryleigh während einer ihrer ersten Recherchen darüber aufgetan hatte, aber ich wusste, dass es Objekte von unvorstellbarer Macht auf den dunklen Märkten und in Privatsammlungen in allen Welten gab.
Meine Freundin hatte recht, trotzdem konnte ich das Gefühl einfach nicht abschütteln, dass mein Informant auf etwas gestoßen war, das ihm schreckliche Angst einjagte. Etwas Mächtigeres als ein bloßer Verhüllungszauber.
Ryleigh stimmte mir in diesem Punkt nicht zu – sie war der Meinung, dass es sich um den ruchlosen Plan eines Konkurrenzblatts handeln musste, und es hatte keinen Sinn, meine Theorie an diesem Abend ein weiteres Mal durchzukauen. Der Ball war fast vorüber, und mir blieb noch eine Menge zu tun, bevor ich mich zur Ruhe begeben konnte.
Wieder ließ ich den Blick durch den Raum schweifen. Kein Skandal weit und breit, abgesehen von Jacksons zwei linken Füßen und zu eifrigen Händen.
»Hast du alles, was du für deinen Artikel brauchst?«, fragte ich, und Ryleigh nickte. »Prima. Dann lass uns gehen. Ich will nach Hause, ins Bett kriechen und für immer dort bleiben.«
Ryleigh seufzte, hakte sich aber bei mir ein, und wir steuerten den Ausgang an. »Wenn du nicht aufpasst, wird deine Grabrede noch lauten: ›Sie vertat ihr Leben mit Arbeit und Schlafen und langweilte ihre Freunde damit zu Tode.‹ Ich bin aber zu mehr bestimmt als zu einem vorzeitigen Ableben durch Langeweile.«
Gegen meinen Willen musste ich lachen. »Du Arme. Dein Ruf muss darunter leiden, dass ich meiner Familie etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf finanzieren muss. Wie wirst du diese Blamage nur jemals überstehen?«
»Genau. Und deshalb solltest du wirklich mit mir ins Nachtviertel kommen. Wir besorgen uns was zu trinken und lästern über Jackson.«
»Lieber melde ich mich freiwillig für eine Lobotomie.«
»Weißt du, so schlimm wäre es bestimmt nicht, wenn du mit mir ausgehst. Wir könnten tanzen. Flirten. Ein paar schlechte Entscheidungen treffen, die wir dann am Morgen bereuen. Vielleicht begegnest du sogar einem geheimnisvollen Fremden und erhältst eine Einladung in die ›Sieben Sünden.‹«
Was genauso wahrscheinlich war wie die Vorstellung, ich könnte unserem Prinzen öffentlich meine Liebe erklären, aber meine Freundin war stets hoffnungsvoll.
»Vielleicht ein anderes Mal.«
Ryleigh drängte nicht weiter, obwohl ich wusste, dass sie enttäuscht war.
Ich wollte ja ein bisschen Spaß haben, aber es ging nicht. Ich hatte vor Augen, was geschah, wenn meine Stiefmutter ihr eigenes Vergnügen über das Wohlergehen der Familie stellte. Da konzentrierte ich mich lieber darauf, zu arbeiten und für die anderen zu sorgen, und das war … weder abenteuerlich noch aufregend, aber es war genug. Weil es eben genug sein musste.
Während wir uns zum Ausgang vorarbeiteten, legte der schlimmste aller Wüstlinge auf der gegenüberliegenden Seite des Ballsaals doch noch seinen großen Auftritt hin, mit einer kurvigen Geliebten unter jedem Arm.
Die rechte der beiden Frauen flüsterte dem Prinzen der Völlerei etwas ins Ohr, woraufhin er den Kopf zurückwarf und in jenes verwegene, irritierende Lachen ausbrach, bei dem sich seine Augenwinkel in Fältchen legten.
Er biss sie leicht in den Hals, und ich konnte nur hoffen, dass sie unter Genitalpocken litt.
Ich bemerkte nicht mal, dass ich stehen geblieben war, bis Ryleigh vor meinem Gesicht mit den Fingern schnippte.
»Siehst du?« Sie nickte in Richtung des Prinzen. »Macht er auf dich den Eindruck, als wäre er kürzlich von Drachen angegriffen worden?«
Nein. Tat er nicht. Aber diese leise Stimme namens Intuition beharrte darauf, dass ich tiefer graben sollte.
***
Nach einem langen, kalten Marsch durch die Stadt, bei dem ich mein Ballkleid und meinen pelzbesetzten Mantel bis zu den Knien hochgezogen hatte, um den Saum nicht zu ruinieren, glitt ich in unser kleines Haus und schloss die Tür, so leise ich konnte, hinter mir. Dann nahm ich mir einen Moment, um mich in der Dunkelheit zu orientieren.
Schon vor Tagen war uns das Öl für die Laternen im Wohnraum ausgegangen.
Ein Problem, das ich bald würde in den Griff kriegen müssen, denn meine Arbeit und damit unser Lebensunterhalt hing davon ab. Meine Artikel im Dunkeln zu schreiben war bestenfalls schwierig, und zu dieser Jahreszeit wurde das Mondlicht fast immer von Schneeschauern verschleiert. Der Wicked Daily – das Klatschblatt, für das ich schrieb – war furchtbar knauserig, was Arbeitsmittel anging, und gestattete uns pro Artikel nur einen einzigen Bogen Pergament. Wenn ich also einen Fehler machte und einen weiteren Bogen verwenden musste, stammte das Geld dafür aus meiner eigenen, fast leeren Tasche. So verlor ich üblicherweise alles, was ich gespart hatte, wenn es mir meine Stiefmutter oder meine Informanten nicht vorher abjagten.
»Ich brauche Geld für ein neues Kleid.«
Die Stimme meiner Stiefmutter erschreckte mich.
Ich drehte den Schlüssel im Schloss und wandte mich langsam zu ihr um. Sie saß auf einer abgewetzten Sitzbank, die wir aus unserem früheren Leben gerettet hatten, mit kerzengeradem Rücken und erhobenem Kinn, sodass sie auf mich herabsehen konnte. Ihr hellblondes Haar war geflochten und aufgesteckt, als wäre sie gerade von irgendeinem großen Fest nach Hause gekommen.
Selbst in dem düsteren Zimmer wusste ich, was ihre Miene bei meinem Anblick ausdrückte: Abscheu.
Als wäre ich verantwortlich für ihre schlechten Entscheidungen.
Ich fühlte, wie ihr Blick über mich wanderte, während ich meinen besten Mantel auszog und die Spannung in dem kleinen Raum wuchs.
Sie hasste es, wenn ich auf einen Ball ging, obwohl sie wusste, dass ich es nur tat, um darüber berichten zu können. Sophie Everhart war der Meinung, dass sie es sein sollte, die mit ihren früheren Freunden Walzer tanzte und trank.
Dämonen alterten viel langsamer als Menschen, weshalb Sophie kaum älter als dreißig aussah. Ich wusste jedoch, dass sie mindestens doppelt so alt sein musste. Nur leider kein bisschen weiser.
Als mein Vater und sie sich kennengelernt hatten, war ich gerade mal acht Jahre alt, und seit dem Tod meiner Mutter war noch kein Monat vergangen. Ich hatte tief getrauert. Sophie hatte den Reichtum meines Vaters geliebt und ihn selbst immerhin gemocht, doch mich hatte sie nie wirklich leiden können, aus Gründen, die ich immer noch nicht verstand. Vielleicht, weil ich eine konstante Erinnerung daran war, dass sie im Herzen meines Vaters stets nur an zweiter Stelle kam, und Sophie war nicht gern Zweite hinter einer Bürgerlichen.
»Wir haben kein Geld übrig«, gab ich zurück und achtete dabei sorgsam darauf, freundlich zu klingen. »Ich muss diese Woche unsere Miete bezahlen. Und wir brauchen Öl. Ich kann nicht weiter so viele Pergamentbögen verbrauchen und gleichzeitig dafür sorgen, dass Essen auf den Tisch kommt.«
Ich machte mir nicht die Mühe, darauf hinzuweisen, dass wir nur mit viel Glück diese Woche genügend Kartoffeln auf dem Markt würden kaufen können und alles andere nicht mal infrage kam.
Was Sophie aber vermutlich egal gewesen wäre – sie wusste, wenn es hart auf hart kam, würde ich ihr und Eden meinen Anteil geben, wie immer.
»Du wirst mir das Geld für das Kleid besorgen, Liebes. Sonst muss ich noch mehr von dem Kram deines Vaters verkaufen.«
Wut glühte tief in mir auf, aber ich schluckte sie hinunter. Die Erbstücke meines Vaters waren mein kostbarster Besitz.
Tatsächlich war nur noch ein kleines Notizbuch übrig, in dem er die getätigten Verkäufe aufgeschrieben hatte. Wertlos abgesehen vom sentimentalen Wert seiner Handschrift. Das, und ein Schmuckset aus Ohrringen und einem Armband, das er meiner Mutter zur Verlobung geschenkt und das später an mich gegangen war. Unglücklicherweise hatte ich das Armband schon vor Jahren verloren. Dazu kamen noch ein paar weitere Dinge, die für niemanden außer mich von Wert waren.
Ich versuchte einen anderen Ansatz. Den einzigen, der ihre Selbstsucht vielleicht durchbrechen konnte.
»Eden braucht Schuhe. Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass das nach dem Bezahlen der Miete und der dringendsten Anschaffungen diesen Monat unser einziger Luxus bleiben soll.«
Langsam erhob sich meine Stiefmutter, und sie wirkte viel zu unschuldig, als sie über die Diamantenkette an ihrem Hals strich. Ich versuchte, den gewaltigen Stein nicht anzusehen.
Wenn sie das Ding verkaufte, mussten wir uns ein ganzes Jahr lang keine Sorgen um die Miete und das Essen machen. Vermutlich würde es sogar reichen, um uns selbst ein kleines Häuschen zu kaufen, sodass wir keinem Vermieter mehr verpflichtet wären.
Doch das würde ein Opfer ihrerseits verlangen.
Stattdessen trug sie ihre Diamanten zu Hause und gab damit vor den Mäusen und anderem Ungeziefer an, das sich durch unsere Wände nagte, nur um dann enttäuscht davonzuwuseln, weil es in der Vorratskammer keinen Krümel gab.
Sie bemerkte meinen Blick auf den Diamanten, und ihre Lippen bogen sich zu einer armseligen Imitation eines Lächelns.
»Du verstehst nicht, Liebes. Ich habe das Kleid bereits in Auftrag gegeben. Besorg das Geld noch diese Woche, sonst tue ich es. Und es wird nicht mein Schmuck sein, den ich dafür verkaufe.«
Ein unablässiges Trommeln an meine Schlafzimmertür riss mich aus dem sündigsten Albtraum, den ich jemals gehabt hatte. Ich rollte mich auf den Rücken und atmete schwer. Mein Schwanz war steinhart, und ich starrte zur seidenbespannten Decke empor und versuchte, mich zu orientieren.
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich erleichtert oder verärgert über die Unterbrechung sein sollte, die mich aus dem Traum gerissen hatte, gerade als ich meine Geliebte an den Bettpfosten gefesselt und ihre milchweißen Schenkel gespreizt hatte.
Ein Schauer lief mir über den Rücken. Was ich alles anstellen könnte mit dieser süßen, festen …
»Euer Hoheit?«
Val, meine stellvertretende Kommandantin, klopfte noch lauter. Als wäre mir das Erdbeben, das sie auf meine arme Schlafzimmertür losgelassen hatte, vorhin irgendwie entgangen. Ihr Ton war knapp und verärgert. Was bedeutete, dass sie mich schon seit einer ganzen Weile suchte und allmählich die Geduld verlor.
Ich musterte die dekadenten, mit kobaltblauer Seide überzogenen Wände, die exzessiv vielen Silberkissen, die sich bis auf den Boden ergossen, die weichen Pelzdecken. Nicht mein Schlafzimmer.
Eine vernebelte Erinnerung kehrte zurück. Ich war irgendwann nach Gunners Ball und vor Sonnenaufgang in die Gästesuite für Liebespaare getorkelt, die ich reserviert hatte.
Aber nicht, bevor ich viel zu viele Flaschen Dämonenbeerenwein geleert und meinen Dämonen den ausschweifenden Prinzen geboten hatte, den sie haben wollten. Nachdem ich Wrath heimlich einen Besuch in seinem Kreis abgestattet hatte, um zu sehen, wie es mit seiner Genesung voranging, hatte ich beschlossen, dass ein öffentlicher Auftritt nötig war, um weitere Gerüchte im Keim zu ersticken. Mein bester Spion, der unter dem Namen Shayde bekannt war, hatte mir berichtet, dass ein gewisses Gewisper irgendwie durch die praktisch undurchdringlichen Mauern der Höhen der Ungnade gedrungen war.
Jemand aus meiner Jagdgruppe war mit seinen oder ihren Äußerungen wohl zu unbedacht gewesen. Dies war ein Problem, das ich lösen musste, bevor weitere Gerüchte ihren Weg in die Klatschblätter fanden.
Bei der Erinnerung an die vergangene Nacht musste ich lächeln. Ich hatte die Aufgabe, meine Dämonen abzulenken, sehr ernst genommen. Abgesehen von dem Problem mit dem zu vorlauten Jäger lief alles nach Plan. Die Wunde meines Bruders heilte gut, der Drachenangriff – so brutal er auch gewesen war – hatte keine Todesopfer gefordert und schien ein einzelner Ausrutscher gewesen zu sein, und ich hatte meine Sünde schon viel zu lange nicht mehr mit anderen Ausschweifungen gefüttert. Sie waren nicht annähernd so wirkungsvoll wie die Drachenjagd, aber fürs Erste mussten sie reichen.
In der vergangenen Nacht hatte ich meinen Appetit jedenfalls zweifellos gestillt.
Eine warme Hand strich mir über die nackte Brust und zeichnete die Linien meiner Tätowierung nach.
Ich hatte vergessen, dass ich nicht allein war.
Scharlachrotes Haar ergoss sich über den schlanken Körper von …
Callie? Cassie?
Mein Kopf schmerzte zu sehr, als dass ich mich an Details erinnern könnte. Langsam glitt ihre Hand tiefer bis zu meinen harten Bauchmuskeln, und weiter hinab, was kaum einen Zweifel an ihren Absichten ließ.
Wenn ich die Augen schloss, wäre es nicht schwer, wieder in meinen Traum einzutauchen.
Albtraum, korrigierte ich mich. Es war eindeutig ein Albtraum. Einer, der in dem Moment eingesetzt hatte, in dem ich den Ballsaal betreten und sie gesehen hatte. Ihr Blick war auf mich gerichtet, als wäre ich die Geißel dieser Welt und als wollte sie nichts lieber, als den Kreis von mir zu befreien.
Fast eine volle gesegnete Woche war verstrichen, in der ich dieser Pest der Sieben Kreise und ihrer rücksichtslosen Berichterstattung hatte aus dem Weg gehen können. Doch da war sie wieder. Miss Adriana Saint Lucent, in all ihrer blauhaarigen, blauäugigen Teufelsbratenpracht und mit ihrem finstersten Blick. Ich hatte mir mit voller Absicht gleich zwei Liebhaberinnen mitgebracht und damit ihren Abscheu noch befeuert, als ich den Ball gestürmt und so getan hatte, als würde ich den mörderischen Blick, den sie mir durch den Saal zuwarf, gar nicht bemerken. Ganz der arrogante Hol’s-der-Teufel-Prinz.
Da ich nur zu genau wusste, wie sehr sie meine öffentlichen Auftritte verachtete, hatte mir dies eine geradezu perverse Genugtuung verliehen.
Nichts konnte befriedigender sein, als seiner Erzfeindin den Abend zu verderben.
Sanft umfasste ich Cassies oder Callies Handgelenk, bevor sie ihr Ziel erreichte, und rollte mich dann aus dem Bett, dankbar dafür, dass ich meine tief sitzende Hose trug.
Leise fluchend, weil mein Körper sich ganz offensichtlich weigerte, seine verdrehten Fantasien aufzugeben, tappte ich barfuß über den zu plüschigen Teppich auf die Verursacherin dieser Störung zu.
Bei Vals nächstem Trommelfeuer flog die Tür fast aus den Angeln.
Ich riss sie auf und schenkte ihr meinen unschuldigsten Blick, während mein Mordsständer einfach nicht nachlassen wollte. Man musste schon komplett stumpfsinnig sein, um es zu übersehen, und Val war alles andere als stumpfsinnig.
In diesem Fall sehr zu ihrem Leidwesen.
Sie fluchte leise und spähte dann durch zu Schlitzen verengten Augen zu meiner Bettgefährtin hinüber. Wahrscheinlich wollte sie sehen, ob sie unter den Felldecken angemessen bekleidet war. War sie nicht.
Als ich mich umdrehte, schlug Callie oder Cassie gerade die Decke zurück, um eine ihrer üppigen Brüste mit der harten Knospe zu enthüllen. Ein eindeutiger Versuch, meine Stellvertreterin zu einem morgendlichen Schäferstündchen zu verführen. Ich hob fragend die Brauen, hauptsächlich, um Val noch ein bisschen mehr zu ärgern.
Sie rollte mit den Augen über diesen platten Versuch.
»Harte Nacht, Euer Hoheit?«
Ihr weißblondes Haar war aus dem kantigen Gesicht gekämmt, und ihre Augen schimmerten in dem Blau, das hier im Norden so typisch war. Sie hatte für meine Theatralik nicht viel übrig, was in gewisser Weise ironisch war, weil sie mein Image selbst miterschaffen hatte durch ihre überzogenen Partys, die speziell darauf abzielten, meine Macht zu befeuern.
»Einen Prinzen noch vor Sonnenaufgang zu wecken zeugt von schlechtem Geschmack.«
»Da es schon eine Stunde nach Sonnenaufgang ist und eine Angelegenheit von königlicher Wichtigkeit im Nordturm auf Euch wartet, war ich der Meinung, die Unterbrechung würde Euch nicht stören.«
»Nordturm« war unser Kennwort für sämtliche die Eisdrachen betreffenden Angelegenheiten sowie alles, was die Ereignisse nördlich der Höhen der Ungnade betraf, inklusive meiner Jäger. Jackson war zu seiner Nachbesprechung hier.
Die letzten Reste der Erregung aus meinem Albtraum verschwanden.
Ich schnappte mir mein Hemd vom Stuhl und warf es über, dann stieg ich in meine Stiefel und schenkte Cassie oder Callie mein Verführerlächeln. »Es war mir wie immer ein Vergnügen.«
Eine kaum wahrnehmbare Falte erschien zwischen ihren Brauen, doch ich bezweifelte, dass selbst Val etwas auffiel.
Rasch verließ ich den Raum, bevor Callie oder Cassie eines meiner bestgehüteten Geheimnisse verraten konnte.
Ich hatte einen Ruf zu wahren, und wenn sie mit der Wahrheit herausplatzte, wäre alles zum Teufel, was ich während der vergangenen Jahre so sorgsam aufgebaut hatte.
***
Val hielt mit mir Schritt, während ich den Ostflügel durchquerte und mich dem breiten, hell erleuchteten Korridor zuwandte, der zum Nordturm führte. Marmor glänzte unter meinen Stiefeln, und in der Mitte des Gangs verlief ein kobaltblauer und silberner Läufer.
Die farbenfrohen Kunstwerke in ihren Goldrahmen, an denen wir vorüberkamen, fielen mir kaum auf, genauso wenig wie die frisch geschnittenen Blumen, die Duftkerzen oder die kunstvollen Skulpturen, die auf den in regelmäßigen Abständen platzierten Säulen zur Schau gestellt wurden. Es gab sogar diverse Platten und Teller voller dekadenter Törtchen und Schokoladen und Gebäckstücke, die jeden verlockten, der an ihnen vorüberkam.
Praktisch jeder Winkel von Haus Völlerei war ein Fest für die Sinne, an dem sich die Besucher, die durch diese luxuriösen Hallen wandelten, erfreuen konnten.
Normalerweise nahm sich meine Stellvertreterin nach einem öffentlichen Auftritt erst einmal eine Flöte voll sprudelndem Wein und setzte mich dann über die Berichterstattung ins Bild.
Heute strich sie über die an ihrem Hüftgürtel befestigten Messer.
»Na los.« Ich warf ihr einen Seitenblick zu. »Welchen klugen Ratschlag möchtest du unbedingt loswerden?«
Ihre Hand ruhte auf einem der Messergriffe. So wie ich Val kannte, dachte sie entweder darüber nach, mich zu erstechen, oder sie versuchte die Tatsache zu verschleiern, dass ihr irgendwas zu schaffen machte.
Etwas, das mir nicht gefallen würde.
»Miss Saint Lucent hat heute Morgen einen weiteren Klatschartikel über Euch veröffentlicht.«
»Hat sie wenigstens poetisch davon geschwärmt, wie gut ich aussehe?«
Ohne innezuhalten, warf mir Val einen ungläubigen Blick zu. Wir wussten beide, dass Adriana Saint Lucent erst etwas Nettes über mich schreiben würde, wenn die Hölle zufror.
»Unter anderen farbenfrohen Ausdrücken hat sie Euch einen aufgeblasenen, skrupellosen Wüstling genannt.«
Meine Mundwinkel zuckten. »Na endlich. Eine Anerkennung meiner feineren Qualitäten.«
»War Euch überhaupt bewusst, dass die beiden jungen Damen, mit denen Ihr den Ball besucht habt, Schwestern waren?«
»Soweit ich mich erinnere, haben wir nicht viel geredet.«
Val presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Sie hat außerdem gesagt, dass Ihr noch fauler seid als Euer Bruder. Bei allem Respekt, eines Tages werden die Dämonen dieses Kreises womöglich auf ihre bissigen Kommentare hören, und vielleicht werden einige von Ihnen Eure Eskapaden leid, obwohl sie Eure Sünde brauchen.«
Ich stieß einen Mundvoll Luft aus. Es war ein Balanceakt – ich musste über die Stränge schlagen, um meinen Sündern zu gefallen, die wiederum meine Macht speisten, allerdings durfte ich dabei nicht riskieren, sie einem anderen der Sündenhäuser in die Arme zu treiben, wie etwa Haus Neid.
Ich verstand, warum sich Val Sorgen um Adrianas Kritik machte, denn letztendlich konnte sie damit der Stärke meines Hauses schaden. Im Moment hatte ich allerdings andere Sorgen.
Zum Beispiel, wer die zugegebenermaßen aufregende Geschichte über den Eisdrachenangriff ausgeplaudert hatte.
Am Ende des Korridors erklommen wir schweigend die gewundene Treppe des Turms, und mit jedem Schritt wuchs die Spannung zwischen uns. Auf halbem Weg sprach Val schließlich aus, was ihr vermutlich schon die ganze Zeit auf der Seele brannte.
»Ich bleibe bei meinem Ratschlag. Ihr solltet diese Reporterin entweder endgültig aus Eurem Kreis verbannen oder sie mithilfe eines magischen Handels zum Schweigen bringen. Sie ist eine Belastung.«
Es war eine altvertraute Debatte zwischen uns, und sie stellte einen der wenigen Aspekte dar, bei denen wir nicht einer Meinung waren. Ich nahm mir ihre Ansicht zu Herzen, verfuhr aber dennoch so mit der Reporterin, wie ich es für richtig hielt.
Sobald wir den Kopf der Treppe erreicht hatten, stellte sich Val im Gang vor dem Kriegsbesprechungsraum des Turms auf und ließ ihre Wurfmesser wirbeln. Sie würde niemanden nah genug zum Spionieren heranlassen.
Ohne Vorreden betrat ich das spartanisch eingerichtete Zimmer und schlug die Tür so hart hinter mir zu, dass das Bleiglasfenster auf der anderen Seite des Raums in seinem Rahmen klapperte. Dies war einer der wenigen Orte im Schloss, die nicht ausschweifend dekoriert waren. Das Turmzimmer war für das Schmieden von Plänen und das Entwickeln von Strategien gedacht. Hier gab es keinen Grund für exzessiven Prunk.
Jackson fiel fast vom Stuhl. Er hatte zurückgelehnt dagesessen, die Stiefel auf meinem zerschrammten Holztisch, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er ein bekanntes Tavernenlied summte.
Ich war die Treppe nicht gerade heraufgeschlichen. Seine Instinkte könnten schärfer sein. Er hatte noch viel darüber zu lernen, dass man seine Umgebung stets aufmerksam im Visier behielt, wenn er in der Gilde eine Zukunft haben wollte.
Ich hatte Felix aufgetragen, sämtliche vielversprechenden Jäger im Einsatz auf die Probe zu stellen. Dies war Teil der zweiten Initiationsphase, also blieb Jackson noch Zeit, um zu lernen.
Auf eine seltsame, fast rührende Art erinnerte er mich an einen Welpen mit seinen großen, hoffnungsvollen Augen und seiner eifrigen Aufregung darüber, dass er in meiner Nähe sein durfte, ohne sich auch nur bewusst zu sein, dass niemand es mochte, wenn man auf den Boden pinkelte.
Langsam, als würde er aus einem Tagtraum erwachen, blinzelte er.
Er starrte mich weiterhin an, als wäre ich nicht sein Prinz, sondern etwas, das seiner Fantasie entsprungen war. »Na?« Abwartend hob ich eine Braue.
Jacksons Stiefelsohlen klatschten auf den Kalksteinboden, als er aufsprang, um sich tief vor mir zu verbeugen.
»Erheb dich und erstatte Bericht.« Meine Stimme war hart wie Stahl. Sofort richtete sich der Jäger auf.
»Sie hat eine Menge Fragen über die Jagd gestellt.«
Ich kämpfte gegen den Drang an, mir in die Nasenwurzel zu kneifen. »Ich nehme an, du sprichst von Miss Saint Lucent. Wenn du Bericht erstattest, beginn immer mit dem Namen der Zielperson. Was genau wollte sie über die Jagd wissen?«
»Sie wusste, dass es einen Angriff gegeben hat und ein anderer Prinz involviert war. Sie wollte wissen, was ich weiß, aber ich habe abgelenkt, so wie wir es geübt haben.«
»Miss Saint Lucent hat ausgesprochen, dass ein Prinz angegriffen wurde?«
Jackson nickte enthusiastisch. »Hübsches Mädchen. Furchtbar, wenn es ums Flirten geht. Als ich von den Barracken bei Nacht angefangen habe, hat sie von dampfenden Innereien gesprochen. Hat meine Stimmung ganz schön abgekühlt.«
Fast hätte ein Lächeln an meinen Mundwinkeln gezupft, doch es war kein freundliches Lächeln. Jackson schien die Veränderung zu bemerken.
Blinzelnd sah er zu mir auf, unsicher wegen der sich immer weiter aufbauenden Spannung, während ich über ihm aufragte.
Er hatte einen Fehler gemacht.
»Was in den Höhen der Ungnade geschieht, soll auch dort bleiben«, sagte ich leise. »Wie ist dieses Thema zur Sprache gekommen?«
»Das weiß ich nicht mehr.« Sein Gesicht lief dunkelrot an. »Aber ich weiß noch, wie fest ihr Hintern ist.«
Vielleicht war er doch nicht so klug, wie ich geglaubt hatte.
»Du hast sie betatscht?«
Er schluckte hörbar. »Wir haben getanzt …«
»Und? Da hat sie dich plötzlich gebeten, ihr mitten im Ballsaal an den Hintern zu fassen?«
»Nicht so richtig, Euer Hoheit.«
Ich starrte ihn an, bis er den Blick senkte. Die Temperatur im Raum fiel um mehrere Grad. Alle Höllenfürsten konnten ihre Umgebung beeinflussen, wenn ihnen etwas nicht gefiel. Jackson mochte meinen Gesichtsausdruck falsch interpretiert haben, doch niemandem konnte entgehen, wie eisig es auf einmal im Raum war und was das bedeutete.
»Muss ich dich daran erinnern, dass die Taten der königlichen Jagdgilde direkt auf mich zurückfallen? Du betatschst Miss Saint Lucent nie wieder und auch keine andere Zielperson. Tatsächlich wirst du überhaupt niemanden mehr betatschen, wenn besagte Person dir nicht ihre ausdrückliche Erlaubnis erteilt hat. Sonst werde ich derjenige sein, der über dampfende Eingeweide redet. Und ich verspreche dir, dass ich noch mehr tun werde, als nur zu reden. Hast du verstanden, initiierter Jäger?«
»Es wird nie wieder vorkommen, Euer Hoheit.«
Angesichts seines Zitterns und des stechenden Schweißgeruchs, der sich in dem kleinen, runden Raum ausbreitete, glaubte ich ihm. Ich wich einen Schritt zurück. »Was wollte Miss Saint Lucent sonst noch wissen?«
Jackson berichtete von jeder ihrer Fragen und seinen Ablenkungen, dann gab er einen unnötigen, aber halbwegs interessanten Kommentar darüber ab, wie sie sich auf der Tanzfläche bewegte, gefolgt von einem ganzen Monolog über die fehlenden Marshmallows mit Brandygeschmack am Schokoladenbrunnen.
»Wenn du in der Gilde weiterkommen willst, erwarte ich Diskretion. Keine Geschichten, um deine Freunde zu beeindrucken. Keine Diskussionen über eine Jagd, nicht außerhalb des Schutzes der Höhen der Ungnade. Wenn du jemals wieder ein Gerücht in die Welt setzt, ob nun aus Versehen oder nicht, dann wirst du aus der Gilde ausgestoßen, und alle Erinnerungen daran werden dir genommen. Ich werde keinen Verstoß gegen die Rangordnung tolerieren.«
Ich hielt seinen Blick, bis er in sich zusammenschrumpfte. Ich hatte den deutlichen Verdacht, dass Jackson die Quelle der Gerüchte war.
Sobald er damit fertig war, mir hoch und heilig zu versprechen, nie wieder über die Jagd zu sprechen, entließ ich ihn und trat an das Bogenfenster des Turms, um auf die Stadt darunter hinabzublicken.