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Der Fürst des Neids hat viele Namen: Frevler, Schurke, Sünder. Er stört sich nicht daran, denn er weiß selbst, dass er kein Heiliger ist. Als er eine kryptische Nachricht erhält, die den Beginn eines tödlichen Spiels ankündigt, weiß er, dass er noch viel schlimmere Namen zugeschrieben bekommen wird, bevor es endet. Das Problem mit Schurken und Halunken ist, dass sie kein Fünkchen Ehre im Leib haben – eine Tatsache, die Miss Camilla Antonius auf die schmerzhafte Art erfährt, denn sie wird von einem mächtigen Lord erpresst. Da trifft sie auf den mysteriösen Lord Ashford Synton, genannt »Syn«, der ihr einen Deal anbietet – denn nur sie, mit ihrem einzigartigen künstlerischen Talent, kann ihm helfen, ein illustres Kunstobjekt zu finden. Um ihrer Vergangenheit zu entgehen, willigt Camilla ein. Gemeinsam müssen Envy und Camilla sich auf eine gefährliche Reise begeben, die von schillernden Dämonenhöfen bis hin zum sinnlichen Reich der Vampire führt, und dabei versuchen, der gefährlichsten Falle von allen auszuweichen: der Liebe. Ein prickelndes Spin Off aus der Welt von »Kingdom of the Wicked«. Der Einzelband rund um den Fürsten Envy kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.
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Seitenzahl: 869
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Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Diana Bürgel
© Kerri Maniscalco 2023
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Throne of the Fallen«, Little, Brown and Company, New York 2023
Published in agreement with the author, c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, USA
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2024
Redaktion: Catherine Beck
Karte: Virginia Allyn
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Covergestaltung: Guter Punkt, München, nach einem Entwurf von Gregg Kulick, Hachette Book Group, Inc.
Coverabbildung: Getty Images Plus (jgroup / iStock; SunChan / E+; d1sk / iStock) und Shutterstock.com
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Cover & Impressum
Widmung
Karte
Zitat
In einer Kleinstadt …
Prolog
Haus Neid
Vor mehreren Jahrzehnten
Mehrere Jahrzehnte später
Teil eins
Das Spiel beginnt
Spielregeln
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Teil zwei
Ein Pakt mit dem Teufel
Vierzehn
Fünfzehn
Sechzehn
Siebzehn
Achtzehn
Neunzehn
Zwanzig
Einundzwanzig
Zweiundzwanzig
Dreiundzwanzig
Vierundzwanzig
Fünfundzwanzig
Sechsundzwanzig
Siebenundzwanzig
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
Dreißig
Einunddreißig
Zweiunddreißig
Dreiunddreißig
Vierunddreißig
Fünfunddreißig
Sechsunddreißig
Siebenunddreißig
Teil drei
Von der Dunkelheit verführt
Achtunddreißig
Neununddreißig
Vierzig
Einundvierzig
Zweiundvierzig
Dreiundvierzig
Vierundvierzig
Fünfundvierzig
Sechsundvierzig
Siebenundvierzig
Achtundvierzig
Neunundvierzig
Fünfzig
Einundfünfzig
Zweiundfünfzig
Dreiundfünfzig
Teil vier
Täuschung ist das sündigste Spiel von allen
Vierundfünfzig
Fünfundfünfzig
Sechsundfünfzig
Siebenundfünfzig
Achtundfünfzig
Neunundfünfzig
Sechzig
Einundsechzig
Zweiundsechzig
Dreiundsechzig
Vierundsechzig
Fünfundsechzig
Sechsundsechzig
Siebenundsechzig
Achtundsechzig
Neunundsechzig
Siebzig
Einundsiebzig
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für alle, die sündige, verruchte Märchen lieben – und jedes Mal wieder dem Bösewicht verfallen. Das hier ist für euch.
Tugendhafte Gentlemen sind nicht einmal annähernd so wunderbar wie frevlerische, verkommene Schurken.
Poems for the Wicked, Volume One
In einer Kleinstadt namens Waverly Green, die dem London aus der Epoche des Regency ähnelt, aber doch nicht ganz dasselbe ist, haben ein paar Sterbliche merkwürdige Erscheinungen beobachtet, die sie sich nicht erklären können. Einigen von jenen, die ihre eigenen Geheimnisse hüten – wie Miss Camilla Antonius –, sind Gerüchte zu Ohren gekommen, von einer Unterwelt voller Lasterhaftigkeit, in der sieben Dämonenprinzen über sieben todbringende Höfe regieren. In Waverly Green lacht man nicht sofort über alles, was mit Magie in Verbindung zu stehen scheint, auch wenn man ebenso wenig offen darüber spricht. Außer natürlich, man wagt sich auf die verbotenen dunklen Märkte, wo die gestohlenen Kunstwerke und Artefakte angeblich mit mystischen Kräften versehen und die Händler vielleicht nicht ganz menschlich sind …
Allerdings weiß weder Camilla noch sonst irgendjemand in Waverly Green von dem Fluch, der vor Kurzem in jenem dunklen Königreich gebrochen wurde, woraufhin einer der sündigen Prinzen seine Freiheit wiederfand.
Anders als im Bilderbuch ist der Prinz, der es nun auf Camilla abgesehen hat, jedoch alles andere als märchenhaft. Doch wie bei jedem richtigem Schurken sollte Camilla auf der Hut sein, sonst könnte dieser dunkle Prinz ihr am Ende das Herz stehlen.
Es sei denn, ihr gelingt das Unmögliche, und sie stiehlt ihm sein verkommenes Herz zuerst …
»Gottverdammter Fae.«
Der Fürst des Neids starrte auf die smaragdgrüne Feder hinab, die gerade aus dem aufgefalteten Pergament in seiner Hand gefallen war. Sein Herz hämmerte vor Wut über die Stichelei. Auf einmal fühlte er ein Brennen zwischen den Schulterblättern, und das Verlangen danach, seine Schwingen zu rufen, war fast schon schmerzhaft.
Dieser Mistkerl wusste jedenfalls genau, wo er Envy am härtesten treffen konnte.
Die auf die Feder eingebrannten Wörter glühten einladend.
Sei bereit.
– L.
Envy atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen, dann sah er auf und suchte in dem vergoldeten Spiegel auf der anderen Seite des Raums nach seinem Abbild. Er betrachtete sich selbst mit dem geschulten Auge eines Kunstkenners. Jemand, der auch die hohe Kunst der Täuschung zu schätzen wusste.
Äußerlich wirkte er ruhig, sogar gelangweilt. Ein Porträt königlichen Müßiggangs. Sein fast schwarzes Haar war perfekt frisiert, die kühlen, arroganten Gesichtszüge zu jenem nervenaufreibenden angedeuteten Lächeln geordnet, das es ihm so leicht machte, andere in sein Bett zu locken.
Eine weitere hübsche Täuschung.
Innerlich tobte er, und sein Zorn loderte so hell, dass sein Bruder Wrath, der König der Dämonen, den Aufruhr auch von seinem eigenen Kreis aus noch spüren und schließlich hier auftauchen würde, um herumzuschnüffeln.
Im Laufe der Jahre war Envy zu einem geübten Schauspieler geworden. Eine Notwendigkeit, um seinen Hof zu retten.
Er wusste, was andere sahen, wenn sie ihn betrachteten. Die Maske eines schönen Nach-mir-die-Sintflut-Prinzen, der Spiele und Rätsel mochte. Dabei waren seine sorgfältig gepflegte Erscheinung und seine Grübchen, die er selten aufblitzen ließ, nur zwei weitere Waffen in seinem Arsenal. Eine clevere Methode, um den gefährlichen Dämon hinter dieser feingemeißelten Fassade zu verstecken. Den skrupellosen Prinzen, der längst jedes Moralempfinden verloren hatte, wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen.
Envy hob die Feder auf und strich fast ehrfürchtig über den smaragdgrün schimmernden Rand, bis sich dieses Gefühl in etwas Dunkleres verwandelte.
Die Feder war eine Erinnerung an jene Zeiten, in denen seine eigenen Kanten noch nicht so hart und rau gewesen waren, und die Nachricht kündigte ihm an, dass ein neues Spiel begann.
Sei bereit. Eine Herausforderung, ein Spiel, das Envy zu gewinnen gedachte. Seit über einem halben Jahrhundert wartete er nun schon darauf, während er dabei zusehen musste, wie sein Hof mit jedem Jahr dem Untergang näher kam. Weil er Schwäche gezeigt, weil er diesen einen Fehler begangen hatte, waren sie alle verdammt.
Dies war ein Geheimnis, das er nicht mehr lange vor seinen Brüdern würde verbergen können, besonders wenn es weiterging wie bisher.
Die Anzeichen waren bereits deutlich wahrzunehmen, wenn man genau hinsah. Sie zeigten sich daran, wie benommen seine Höflinge erschienen. Sie zeigten sich an dieser halben Sekunde des Zögerns, die in jeder Konversation gegenwärtig war. Als könnten sich die Beteiligten einen Moment lang nicht daran erinnern, wo sie waren oder mit wem sie gerade sprachen.
Bis jetzt dauerte diese Verzögerung kaum einen Herzschlag lang, doch es würde schlimmer werden. Mit der Zeit.
Und Envy wusste, dass dieser verdammte Fae das Spiel in die Länge ziehen und so lange wie möglich abwarten würde, nur um ihn weiter zu schwächen. Envy bezog seine Kraft wie alle seine Brüder daraus, dass er seine Sünde in anderen provozierte. Ein Hof in tödlicher Gefahr machte jedoch niemanden neidisch.
Sein Fall würde die gesamte Unterwelt ins Chaos stürzen und eine Lücke aufklaffen lassen, durch die andere – wie etwa sein verschlagener Spielleiter – eindringen konnten.
Wenn Envys Brüder wüssten, wie ernst die Lage war … Nun, er würde dafür sorgen, dass sie es niemals herausfanden. Sollten sie doch glauben, dass er nur ein weiteres frivoles Spielchen trieb, ohne einen anderen Hintergedanken als den, dass er gewinnen wollte, um Neid zu erregen und seine Sünde zu stärken.
Nach all seinen sorgfältigen Winkelzügen würden sie nicht weniger von ihm erwarten.
Ein letztes Mal betrachtete Envy sein Gesicht im Spiegel und vergewisserte sich, dass es keine Risse gab, keinen Hinweis auf seine wahren Gefühle, die durch seine liebste Maske sickerten. Dann steckte er die Feder in seine Weste und zerknüllte den Brief in der Faust.
Wenn die Zeit kam, würde er spielen. Er würde zurückerobern, was ihm gehörte, seinen Hof wieder aufbauen und seinen Kreis nie wieder in Gefahr bringen, indem er sich mit einer Sterblichen einließ.
Envy warf das Pergament ins Feuer und sah zu, wie die Flammen die Botschaft dieses verfluchten Mistkerls verschlangen. Dabei schwor er, dass er eines Tages miterleben würde, wie der Spielleiter genauso zu Asche verbrannte.
Die Flammen, die im Kamin seines Studierzimmers loderten, schienen auch in Envy zu wüten.
»Hei, hei! Wie wär’s mit einem Ritt auf dem einäugigen Monster, das an meine Schlafzimmerdecke gemalt wurde, Liebste?«
Während Lord Nilar Rhanes die Stufen des Thronpodests hinaufstolperte und sich dabei über die berühmt-berüchtigte Schlafzimmergestaltung seines Prinzen lustig machte, wurde ihm vage bewusst, dass irgendetwas – abgesehen von dem offenkundigen Verrat, den er gerade beging – nicht mit ihm stimmte.
Trotzdem, sosehr er es auch versuchte, er brachte nicht den Willen auf, mit diesen unpassenden Kapriolen aufzuhören.
»Wer möchte herausfinden, ob Kunst und Wirklichkeit tatsächlich übereinstimmen?«
Rhanes deutete auf die dralle Brünette, die ihm am nächsten stand.
Er konnte sich einfach nicht mehr an ihren Namen erinnern, und wenn es um sein Leben gegangen wäre. Was ihm ebenfalls seltsam vorkam. Irgendwie hatte er den Eindruck, als würde er sie schon seit einer Ewigkeit kennen, hätte sie bisher jedoch noch nie so geifernd angestarrt wie eine jener verkommenen Gestalten aus dem Hause Lust, einem ihrer rivalisierenden Höfe.
Allerdings verflog dieses Gefühl rasch wieder.
»Du da!«, brüllte er mit donnernder Stimme.
Mit hochgezogenen Knien stolzierte er vor dem funkelnden Thron auf und ab wie der letzte Trottel, wobei sich seine Beine ganz aus eigenem Willen zu bewegen schienen.
»Komm, setz dich auf meinen Schoß, Herzblatt. Ich habe ein gewaltiges Geschenk für dich.«
Rhanes packte sein schlaffes Glied, woraufhin die Damen kicherten.
»Wenn Seine Hoheit dich da oben erwischt, bist du geliefert!«, rief ihm Lord … wer auch immer … zu.
Rhanes schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Er musste mehr Dämonenbeerenwein getrunken haben, als er geglaubt hatte. Nicht einmal in seiner Jugendzeit hatte er sich so berauscht, dass ihm die Namen seiner Freunde entfallen waren.
Das hier waren doch seine Freunde, oder?
Er betrachtete die halb vertrauten Gesichter der versammelten Lords und Ladys – eine angeheiterte Gruppe aus zwölf Personen. Dreizehn mit ihm. Abgesehen von Rhanes selbst, der in Rot gehüllt war, trugen sie alle Gewänder in dunklem Jagdgrün. Die Farben und die Zahlen fühlten sich irgendwie bedeutungsvoll an, und auch ein bisschen unheilverkündend. Da begriff er, dass es fast schon zwölf Uhr war.
Mitternacht.
Erinnerungen an den vergangenen Abend blitzten vor seinem geistigen Auge auf. Er war sich fast sicher, dass er nicht die ganze Zeit über Rot getragen hatte. Rot gehörte nicht zu den Farben von Haus Neid.
Sein Herz begann zu hämmern, als sich Worte aus dem Nebel in seinem Kopf lösten.
»Alice lila Sam.« Was für ein bizarrer Satz. Er hatte keine Erinnerung daran, ihn schon einmal gehört zu haben. Aber er musste ihn kennen.
Alles in seinem Kopf war verworren und verkehrt. Außer …
Etwas ging an diesem Hof vor sich. Etwas, worüber man nur flüsternd sprach, in dunklen Nischen und Winkeln, und das man dann wieder vergaß … trotzdem fehlte etwas. Etwas Entscheidendes.
Rhanes wischte seine Sorgen fast ebenso schnell wieder beiseite, wie sie aufgetaucht waren, um seinen Spott weiterzutreiben, wie eine Marionette, die von einer unbekannten Macht kontrolliert wurde.
»Komm her, du kleines Luder.« Er stieß mit der Hüfte nach vorn und tat so, als würde er die kichernde Brünette vornüberbeugen. »Vergiss das Schlafzimmer, lass uns alle neidisch machen, indem du es mir gleich hier besorgst!«
»Wie soll sie es dir besorgen, wenn sie nichts findet?«, rief jemand dazwischen.
Rhanes kniff die Augen zusammen, unsicher, ob die Nebelschleier wirklich da waren oder nur in seiner Vorstellung existierten. Ein großer blonder Mann mit einem rasiermesserscharfen Lächeln schob sich durch die Gruppe.
Langsam stieg Wiedererkennen in ihm auf. Alexei. Der Stellvertreter des Prinzen.
Wenn der Vampir hier war, dann war vermutlich auch Seine Hoheit nicht weit …
Er spürte ein panisches Flattern im Bauch, bevor seine Aufmerksamkeit von dem plötzlichen Läuten der Turmglocken gefesselt wurde. Hexenstunde.
Stimmen, Hunderte von ihnen, begann zu wispern, während Mitternacht mit jedem Schlag näher rückte.
Sind das Erinnerungen? Treten sie endlich hervor?
Warum hatte er so etwas Lächerliches gedacht? Er kämpfte darum, sich daran zu erinnern, wann er den letzten Schluck aus seinem Kelch genommen hatte. Vielleicht würde es dann aufhören. Was auch immer das hier war.
Rhanes drückte sich beide Hände auf die Ohren und presste die Augen fest zu, während die Kakofonie in seinem Kopf weiter anschwoll.
Die Stimmen vereinigten sich zu jenem merkwürdigen Satz, der nun laut und klar erklang.
Alice lila Sam. Alice lila Sam. Alice lila Sam. Alice lila Sam.
»Seid still!«, brüllte er, womit er sich weiteres Hohngelächter einhandelte.
Vorsichtig öffnete er ein Auge. Verdammt! Er war stockbesoffen.
Niemand sprach.
Er stolperte in Richtung Thron, bereit, den Zorn seines Prinzen auf sich zu nehmen, wenn dafür nur der Raum aufhörte, sich zu drehen. Er brauchte nur einen Moment der Stille, einen Augenblick, um wieder zu Atem zu kommen, nachzudenken. Wenn er sich nur erinnern könnte …
In dem Moment, in dem er sich setzte, blieb alles stehen.
Die Lords und Ladys sackten auf dem Schachbrettmuster des Bodens zu reglosen Haufen zusammen. Wie umgestoßene Schachfiguren.
Ein Spiel. Das musste es sein. Der Prinz würde es wissen. Und Alexei würde den Prinzen finden.
Rhanes richtete sich auf, suchte nach dem Vampir, doch Alexei war verschwunden.
»Was zum …?«
Die Glocken hörten auf zu schlagen. Es war so weit.
Dunkler Rauch stieg auf und hüllte den Thron ein, zwang Rhanes dazu, sich den Ärmel vor Mund und Nase zu drücken. Seine Augen brannten. Er suchte nach der Quelle des Rauchs, und schließlich fiel sein Blick auf den Spiegel auf der anderen Seite des Raums. Vor Entsetzen klappte ihm der Mund auf.
Die Hälfte des Throns war unberührt, die andere Hälfte jedoch – der Teil, auf dem er saß und durch magische Fesseln gehalten wurde – wurde von Flammen verschlungen.
Er brannte.
Der Nebel lichtete sich, und die Wirklichkeit traf Rhanes mit voller Wucht. Er schrie, während das Feuer ihn peitschte wie eine sadistische Geliebte, bis sein Fleisch schmolz.
Er wollte sich retten und so weit vor den tödlichen Flammen fliehen, wie es nur ging, doch aus irgendeinem Grund konnte er nicht mehr tun, als »Alice lila Sam!« zu schreien.
Als sich langsam die gnädige Dunkelheit der Ohnmacht auf ihn herabsenkte, hätte Rhanes schwören können, dass der Prinz endlich aus den Schatten trat. Seine Smaragdaugen funkelten.
Ein winziger Hoffnungsschimmer glomm in Rhanes auf. Der Prinz war stärker, er würde dem Wahnsinn widerstehen, bevor sie alle verdammt waren. Er musste es einfach.
»Alice lila Sam«, wimmerte Rhanes.
Alice lila Sam. Alice lila Sam. Alice lila Sam.
Der Prinz stand über ihm und betrachtete die Szene, als wollte er sie sich einprägen.
Nur noch wenige Augenblicke trennten Rhanes vom Tod, als er schließlich seine letzte Kraft zusammennahm. »Was … bedeutet … das?«
»Es bedeutet, dass das Spiel endlich begonnen hat.«
Wut flackerte in den Augen des Prinzen auf, bevor er sich abwandte und hinausging.
Schon war Rhanes allein. Oder vielleicht auch nicht …
Er schloss die Augen, und alles wurde dunkel. Still.
Vielleicht war Prinz Envy nie wirklich hier gewesen, und vielleicht brannte er selbst ja gar nicht auf dem Verfluchten Thron.
Indem Du der Teilnahme bei dem Spiel zustimmst, unterwirfst Du Dich hiermit seinem Willen, bis ein Gewinner feststeht.
Unterzeichne auf der unten stehenden Linie mit einem Blutstropfen, um den Bindezauber zu aktivieren.
Sobald der Zauber aktiviert ist, wird das Spiel Deine Fortschritte nachverfolgen und sie direkt an den König des Chaos weitergeben.
Viel Glück!
Miss Camilla Antonius hatte nicht viel Geduld für Schwachköpfe übrig. Auch nicht für gut aussehende Schwachköpfe.
Und Lord Philip Atticus Vexley – mit seinem Goldhaar, der gebräunten Haut und dem verwegenen Lächeln – gehörte in beiden Bereichen ganz an die Spitze. Besonders wenn er tatsächlich glaubte, sie würde noch eine Fälschung für ihn anfertigen.
Was, wie Camilla genau wusste, der präzise Grund dafür war, dass er in seinen polierten Reitstiefeln, seinem weinroten Schwalbenschwanzfrack und den engen rehbraunen Hosen bei Sonnenuntergang in die Kunstgalerie stolziert kam.
Sie hatte eigentlich gerade schließen wollen, und das geheimnistuerische Funkeln in Vexleys Blick war ihr äußerst unwillkommen. Sie waren weder Freunde noch Vertraute. Und erst recht keine Geliebten. Genau genommen würde Camilla zur Feier des Anlasses eine Soiree geben, die eines Königs würdig wäre, wenn sie ihn nie wiedersehen müsste.
»Arbeitet Ihr gerade an etwas Spannendem, Miss Antonius?«
»Nur an einer Landschaft, Lord Vexley.«
Was nicht stimmte, doch das musste Vexley nicht wissen. Die Kunst war etwas sehr Persönliches für Camilla, entsprungen den Warnungen ihrer Mutter, den Geschichten ihres Vaters und ihrer eigenen Einsamkeit. Sie half ihr dabei, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich war.
Oft enthüllte Camilla in ihrer Kunst ihre Seele, den Teil in ihr, den sie sonst mit niemandem teilte.
Glücklicherweise stand die Leinwand von der Tür abgewandt, sodass Vexley sie würde umrunden müssen, um das Gemälde darauf zu betrachten. Solche Mühe machte er sich kaum mit irgendetwas, abgesehen von seinem eigenen skandalösen Ruf.
Camilla schob ihren Hocker zurück und ließ ihr Bild eilig hinter sich, um an den alten Eichentisch zu treten, der als Empfangstresen diente und gleichzeitig ein wunderbares Bollwerk bildete, das ein wenig Abstand zwischen sie und diesen lästigen Lord brachte.
»Gibt es etwas, bei dem ich Euch helfen kann, oder seid Ihr heute Abend nur hier, um die Kunstwerke zu bewundern?«
Sein Blick senkte sich auf ihren mit Farbklecksen übersäten Kittel, den sie bei seinem Eintreten nicht ausgezogen hatte, und Vexley presste leicht die Lippen aufeinander, wie um seinem Wunsch Ausdruck zu verleihen, sie hätte es getan.
»Tut nicht so unschuldig, Liebste. Ihr wisst genau, warum ich hier bin.«
»Wie wir bereits besprochen haben, Mylord, ist die Schuld beglichen. Ich habe einen Erinnerungsstein für Euch besorgt. Ihr müsst nichts weiter tun, als ihn mit dieser bestimmten Erinnerung zu füttern.«
Oder jedenfalls hatte der Händler auf dem dunklen Markt, von dem Camilla diesen angeblich magischen Stein erworben hatte, es ihr so erklärt. Sie hatte kein magisches Summen wahrgenommen, was alles in allem aber auch nicht sonderlich überraschend war. Trotzdem weigerte sich Vexley, den Stein anzunehmen.
Er sah Camilla so nachdenklich an, als wäre ihre Weigerung, seinen Wünschen zu entsprechen, noch erstaunlicher als die Existenz eines magischen Steins, der einem jede Erinnerung nehmen konnte, die man ihm gab.
Lord Vexley war kein Dandy, aber er gab sein Geld eindeutig aus wie einer. Er war der erstgeborene Sohn eines Viscounts, und als solcher hatte er die gesamten dreißig Jahre seiner verwöhnten Existenz damit verbracht, nur in den erlesensten Dingen zu schwelgen.
Vor vier Jahren hatte ein ziemlich skandalöser Zwischenfall im Theater, in den nicht nur eine, sondern gleich zwei der Schauspielerinnen sowie eine ziemlich öffentliche Darstellung trunkener Zuneigung verwickelt gewesen waren und den man mittlerweile nur als »die Vorstellungspause der Schande« bezeichnete, dazu geführt, dass sein Vater ihn aus der Erbfolge ausschloss und stattdessen seinen jüngeren Bruder zu seinem Nachfolger machte. Ein kühner Schachzug, der die Elite Waverly Greens eigentlich hätte erschüttern müssen.
Zur großen Überraschung seiner Familie taten Vexleys Ausschweifungen seiner Beliebtheit jedoch keinerlei Abbruch. Sie machten ihn im Gegenteil zu einer Art legendärem Tunichtgut.
Die Gesellschaft pries unerschütterliche Moral, ganz besonders, wenn es um Frauen ging, leider waren Tugenden aber nie auch nur halb so spannend wie Sünden. Über Tugenden ließ sich beim Nachmittagstee einfach nicht angemessen klatschen und tratschen, und ganz gleich, wie ehrbar und züchtig sich die feinen Adelskreise auch gaben, sie alle liebten gute Skandale. Je empörender, desto besser. Nichts in Waverly Green war so aufregend, wie jemandem dabei zuzusehen, wie er in Ungnade fiel.
Mittlerweile wurde Vexley geradezu von Kolumnisten der Skandalblätter verfolgt, die sich darum rissen, als Erste über den nächsten potenziellen Skandal berichten zu dürfen. Alle wussten, dass er enterbt worden war, weshalb das Rätsel um seine Einkommensquelle zu einem Geheimnis geworden war, hinter das die ganze Stadt kommen wollte.
Vexley lachte nur darüber und behauptete, er sei ein geschickter Spieler und habe darüber hinaus kluge Investitionen getätigt, trotzdem kursierten weit finsterere Geschichten über sein wachsendes Vermögen.
Einige Gerüchte behaupteten, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, während andere von einem Handel mit den Fae wisperten. Nur Camilla kannte die ganze Wahrheit.
Dank des »Großen Fehlers«, wie sie es nannte, war sie nämlich diejenige, die unbeabsichtigterweise seinen extravaganten Lebensstil finanzierte und sich dabei selbst der Gefahr aussetzte, erwischt zu werden.
Das letzte Gemälde, das sie für ihn angefertigt hatte, war beinahe als die Fälschung entlarvt worden, die es war, und wenn der Sammler nicht zufällig ein paar Gläser Rotwein zu viel gekippt und sich daraufhin prompt über eine unbezahlbare Skulptur erleichtert hätte, und das vor der versammelten Gesellschaft der Lords und Ladys und sogar eines Dukes, und wenn er dadurch nicht einen derartigen Aufruhr verursacht hätte, dass die Duchess ohnmächtig zusammengesunken und genau in der Sauerei gelandet war, dann wäre Camillas Ruf jetzt ruiniert.
Ein Skandal dieses Ausmaßes würde ihre hart erarbeitete Reputation als gefragteste Kunsthändlerin in ganz Waverly Green vernichten. Und dieser selbstsüchtige Schuft, der nun vor ihr stand – mit seinem verfluchten charmanten Lächeln und dem frisch geplätteten Anzug –, wusste das nur zu genau. Allerdings kümmerte es ihn eindeutig kein bisschen.
»Wirklich, Camilla, Schätzchen …«
»Miss Antonius«, korrigierte sie ihn steif.
Ihr Lächeln war beinahe so verkrampft wie ihr Griff um den Pinsel.
Vexley – oder Vex Würgereflex, wie sie ihn insgeheim nannte – erpresste sie mit diesem einen grässlichen Fehler, den sie vor einer Ewigkeit begangen hatte, doch nachdem sie sich auf den Handel eingelassen und drei Fälschungen für ihn angefertigt hatte, um sich sein Schweigen zu erkaufen, hätte er die Erinnerung daran eigentlich in den magischen Stein fließen lassen sollen.
Das Problem mit Schurken und Erpressern war nur, dass sie keinen Funken Ehre im Leib hatten.
Mittlerweile näherten sie sich der sechsten Fälschung, und das hier musste ein Ende haben.
Egal, wie talentiert Camilla war, falls irgendjemand herausfand, was sie getan hatte, würde sie nie wieder ein einziges Bild in Waverly Green verkaufen. Von einer Gefängnisstrafe und der möglichen Aussicht auf den Galgen ganz zu schweigen. Dasselbe galt im Übrigen auch für die umliegenden Städte und Dörfer in Ironwood Kingdom. Nicht dass sie sich oft aus Waverly Green hinauswagte.
Ironwood Kingdom war eine kleine Inselnation, die man in ein paar Tagen per Kutsche durchqueren konnte, doch sie kannte nur ihre Stadt und den Landsitz zwei Stunden nördlich von hier. Sollte sie gezwungen sein, Waverly Green zu verlassen, würden all ihre Hoffnungen und Träume, die Galerie und damit das Andenken an ihren Vater lebendig zu halten, verdorren und vergehen.
Männer wie Vexley lebten vom Skandal, sie kamen dafür sogar in die Zeitung, Frauen jedoch – besonders Frauen ihres Stands – konnten sich dergleichen nicht erlauben. Camilla musste die Balance halten. Die Kunst, mit der sie handelte, musste sie auf möglichst skandalöse Weise in Szene setzen, doch dabei durfte sie niemals selbst das Ziel der Aufmerksamkeit werden.
Aus persönlicher Erfahrung mit den berühmtesten Gemälden ihres Vaters wusste sie, dass die Gesellschaft ein gewisses Maß an Dramatik und eine gute Vorstellung durchaus zu schätzen wusste – was sich auch in der überragenden Beliebtheit von Skandalblättern und Karikaturen zeigte.
Glücklicherweise waren ihre einzigartigen Ausstellungen derzeit ebenfalls äußerst beliebt, und Camilla würde praktisch alles tun – von einem schändlichen Anschlag auf Vexleys Gesundheit einmal abgesehen –, um ihre Galerie und ihren Namen vor scharfen Zungen zu schützen, die nichts lieber taten, als ganze Existenzen zu vernichten, um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben.
Sie selbst las die Skandalblätter ebenfalls, um sich in Erinnerung zu rufen, was für sie auf dem Spiel stand. Als permanente Warnung, wie vorsichtig sie sein musste, während sie darum kämpfte, ihren schillernden Ruf in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, ohne dabei ihre Respektabilität als Kunsthändlerin zu gefährden. Man tolerierte es, dass sie das Geschäft ihres Vaters weiterführte, weil man Pierre und seine unkonventionelle Art geliebt hatte. Doch sie wusste, dass die Klatschmäuler wie Aasgeier lauerten in der Hoffnung auf ein Festmahl.
Was sich Camilla wirklich wünschte, war, die Leute allein wegen ihrer eigenen Gemälde in ihre Galerie zu locken, was nie geschehen würde, wenn ihr Ruf auf irgendeine Weise in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Verstohlen warf sie einen Blick aus dem Fenster und stellte erleichtert fest, dass keine Kolumnisten dort draußen begierig darauf warteten, über Vexleys neueste Unternehmungen zu berichten. Sie konnte sich die schmeichelhaften Schlagzeilen durchaus vorstellen, wenn man den »Engel der Kunst« und den »Teuflischen Schuft« zusammen erwischte.
»Ich kann Euch in dieser Angelegenheit nicht mehr behilflich sein«, sagte sie leise. »Wenn Ihr gern ein Gemälde in Auftrag geben wollt«, fügte sie rasch hinzu, bevor Vexley irgendeinen dürftigen Versuch, sie zu bezirzen, anbringen konnte, »bin ich gern bereit …«
»Etwas nicht zu können oder etwas nicht zu wollen, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, Miss Antonius.«
Bei seinem herablassenden Ton stieg die Wut in ihr hoch. Als wäre ihr dieser Unterschied bisher nicht bewusst gewesen, und er hätte ihr soeben eine welterschütternde Neuigkeit verkündet.
Vexley ließ den eisblauen Blick über ihr Gesicht gleiten und nahm sich die Freiheit heraus, ihre Lippen einen Herzschlag länger zu bewundern, als höflich gewesen wäre. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit ihren kühlen Silberlocken, ihrer zarten Stupsnase und dem natürlichen Goldton ihrer Haut zu.
Das dunkle Silber ihrer Augen hatte immer schon Verehrer angezogen, und auch Vexley schien fasziniert davon zu sein.
Sie hatte Gerüchte darüber gehört, dass diesem schwerlidrigen, einladenden Blick, mit dem er sie nun bedachte, schon diverse Witwen und auch ein paar Frauen, denen es nicht an einem Ehemann mangelte, zum Opfer gefallen waren.
Lord Philip Vexley war ein reueloser Wüstling, und man munkelte, dass sein lästiges Mundwerk durchaus seine Vorzüge offenbarte, sobald er jemanden zwischen seinen Seidenlaken hatte. Camilla hatte er bisher nicht in ihrem Schlafgemach besucht, und ebenso wenig würde sie sich in seines verirren.
Offenbar dämpfte Erpressung jegliche Leidenschaft.
»Bitte korrigiert mich, falls ich falschliege«, fuhr er träge fort, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass Camilla vor Wut sicherlich bald Dampf aus den Ohren quellen würde, wenn er in diesem Ton weitersprach. »Ihr seid nicht gerade in der Position, diesen Auftrag abzulehnen, nicht wahr? Nicht, solange ich weiß, was ich nun mal über jenes berühmte Gemälde weiß, das Ihr mir verkauft habt. Ihr erinnert Euch doch, nicht wahr? Ich habe es noch.«
»Vexley«, warnte ihn Camilla und sah sich in dem stillen Raum um.
Es war noch immer kein Kolumnist aufgetaucht, und da es ein Wochentag und fast schon Schließzeit war, hielt sich glücklicherweise niemand sonst in der Galerie auf. Angesichts ihrer begrenzten finanziellen Mittel hatte sie ihrer Aushilfe an diesem Morgen kündigen müssen. Eine Entscheidung, die ihr das Herz gebrochen hatte und die sich nun als noch fataler erwies, da dieser opportunistische Schurke sie einkreiste.
»Tatsächlich ist es ein so wunderbares Bild, dass ich es vor fremden Blicken verstecken muss«, fuhr er fort und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tisch, um sich zu ihr vorzubeugen, als würden sie ein Geheimnis teilen. »Nicht dass noch irgendjemand versucht, es mir zu stehlen.«
Das berühmte Gemälde war eine Fälschung, die erste und letzte, die sie jemals hatte erschaffen wollen. Vor zwei Jahren – und fast auf den Tag acht Jahre nachdem Camillas Mutter sie verlassen hatte – war ihr Vater plötzlich an einem mysteriösen Leiden erkrankt und hatte nicht mehr arbeiten können.
In dem verzweifelten Versuch, ihn zu retten, hatte Camilla ihre Schatullen geleert, und sie würde es wieder tun. Viele Ärzte waren in ihr Haus gekommen, und schließlich hatte sich Camilla sogar auf den verbotenen dunklen Markt gewagt, auf der Suche nach einem magischen Elixier, da sie überzeugt davon gewesen war, dass sein Leiden nicht aus dieser Welt stammte.
Doch alle ihre Versuche, den Teufel zu bekämpfen, waren umsonst gewesen.
Es hatte furchtbar wehgetan, als ihre Mutter damals verschwunden war, an jenem schönen Frühlingsmorgen, an dem Camilla volljährig geworden war, doch der Tod ihres Vaters hatte ihr das Herz gebrochen.
Pierre war furchtlos gewesen, ein Künstler, der jeden Teil seiner Seele mit seinem Publikum geteilt hatte. Ein Vater, der Camilla mit seinen Lieblingssagen über Magie und Abenteuer und dunkle Reiche weit jenseits der Küsten von Ironwood Kingdom großgezogen hatte. Sie konnte die Sorge nie abschütteln, dass sie allem, was er ihr beigebracht hatte, einfach nicht gerecht werden konnte.
Nach seinem Tod hatte sie die Fälschung angefertigt, um wieder an Geld zu kommen. Sie hatte diese Unehrlichkeit verabscheut, hatte überlegt, ob sie noch irgendetwas anderes probieren konnte, doch ihr Stadthaus und die Galerie drohten ihren Gläubigern zum Opfer zu fallen, selbst nachdem sie ihren gesamten Schmuck und das Tafelsilber veräußert und ihr Landgut vermietet hatte, was aber kaum genug für das Gehalt der Dienstboten und des Gutsverwalters einbrachte. Sonst war ihr nichts mehr geblieben, was sie noch hätte verkaufen können. Abgesehen von ihrer Kunst und ihrem Körper.
Oder dem einen, das sie einfach nicht verpfänden konnte. Und diese Gefühlsschwäche war ihr zum Verhängnis geworden. In mehr als einer Hinsicht.
Irgendwie hatte es Vexley – vielleicht nicht gänzlich überraschend – fertiggebracht, sowohl nüchtern als auch gerissen genug zu sein, um einen winzigen Unterschied zwischen der Fälschung und dem echten Gemälde auszumachen, doch anstatt wütend zu werden über ihren Versuch, ihn zu betrügen, hatte er sich sofort einen Plan einfallen lassen, um von ihrem Talent profitieren zu können. Nun verlangte er keine ehrliche Arbeit mehr von ihr.
Und genauso wenig hatte er vor, sie für ihre Dienste zu bezahlen.
Camilla musste den Impuls niederringen, ihm ein Knie in die Weichteile zu rammen. Stattdessen setzte sie wieder ein Lächeln auf.
»Bei einem Gentleman Eurer Herkunft kann man sich doch sicher darauf verlassen, dass er zu seinem Wort steht, Sir. Wir haben eine Abmachung, und ich habe meinen Teil mehr als erfüllt. Soll ich den Erinnerungsstein holen?«
Vexley warf den Kopf in den Nacken und lachte, es war ein ehrliches und darum nur umso nervenaufreibenderes Lachen. Er fand sie amüsant. Na wunderbar.
»Meine Liebste, was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch einen Antrag machen würde? Wärt Ihr dann eher geneigt, Eurem Ehemann gefallen zu wollen? Sicherlich wäre Euch ebenfalls daran gelegen, dass wir ein komfortables Leben führen, mit einem Dach über dem Kopf und gutem Essen im Bauch.«
Nun war es an Camilla zu lachen. Heiraten. Und das ausgerechnet Vex Würgereflex. Und damit ein Leben in Dienstbarkeit, in dem sie für immer eine Lügnerin und Betrügerin bleiben würde. Nicht zu vergessen die nicht abreißende Reihe seiner Liebschaften, die er nie sonderlich diskret handhabte, weshalb die gesamte feine Gesellschaft sie für eine komplette Idiotin halten würde.
Er musterte sie mit hochgezogenen Brauen, und da begriff sie, dass es kein Scherz gewesen war.
Camilla räusperte sich und suchte nach einer möglichst diplomatischen Antwort, um die Zurückweisung etwas abzumildern. Die privilegierten Männer ihrer Welt nahmen es in der Regel nicht sonderlich gut auf, wenn ihre Wünsche und Fantasien enttäuscht wurden, und sie konnte ihn zwar nicht ausstehen, musste ihn aber dennoch bei Laune halten, bis er diese verdammte Erinnerung losgeworden war und sie damit freigegeben hatte.
»Leider bin ich nicht auf der Suche nach einem Ehemann, Mylord. Meine Galerie hält mich ziemlich beschäftigt, und …«
»Ihr könntet Eure Galerie weiterführen, meine Liebe. Mit Eurem Talent und meinen Verbindungen könnten wir jährlich mehr Gold einnehmen als die Krone.«
»Man hat uns fast erwischt!«, zischte sie. »Wenn wir gehenkt werden, kann uns kein Geld der Welt retten.«
»Ihr macht Euch zu viele Sorgen.«
Vexley wedelte dieses äußerst wichtige Detail mit einer Handbewegung fort, als wäre es nichts.
»Außerdem wird es einen solchen Schreck nicht noch einmal geben. Ich habe nicht gewusst, dass Harrington dieses Stück bereits besitzt, aber es war nicht weiter schwer, ihn davon zu überzeugen, dass es sich bei seinem Original um die Fälschung handelt und Walters Stück das echte ist, oder? Er hat es mir einfach ausgehändigt, genau wie ich es vorhergesagt habe. Und überhaupt«, fuhr er fort, »glaubt Ihr wirklich, irgendjemand würde es wagen, meine Frau infrage zu stellen? Falls es überhaupt einmal dazu käme, müssten wir nicht mehr tun, als Eure Garderobe mit einigen tief ausgeschnittenen Kleidern zu bestücken, wonach es niemanden mehr kümmern dürfte, was Ihr sagt oder verkauft. Ich versichere Euch, meine Liebe, dass die Aufmerksamkeit Eures Gegenübers auf ganz andere Dinge gerichtet bleiben würde. Euer Dekolleté ist für jemanden von Eurer Statur durchaus bemerkenswert. Damit lässt sich arbeiten. Wir können es zu Eurem Vorteil nutzen.«
»Ich …« Camilla fehlten die Worte. Vexley schien überzeugt zu sein, ihr müsste es gefallen, dass man ihren Verstand zugunsten ihres Körpers einfach ignorierte, damit sie ihre Geschäfte weitertreiben konnten.
Geschäfte, mit denen sie nichts zu tun haben wollte.
Falls er die Frage der Heirat jedoch weiterverfolgte, könnte sie tatsächlich zum Problem werden.
Da sie allein miteinander waren und sich in ihren persönlichen Räumlichkeiten befanden, kamen sie einem Skandal bereits gefährlich nah.
Camilla gehörte im Grunde nicht zur Mittelschicht, auch wenn sie ein eigenes Unternehmen führte. Ihr Vater mochte zwar äußerst exzentrisch gewesen sein, doch er hatte einen Titel geführt und entstammte Adelskreisen. Sie hatte beinahe ihr gesamtes Erbe auf den Versuch verwendet, ihn zu retten, weshalb sie nun über kaum noch genug Einkommen verfügte, um ihren Haushalt zu führen. Ihr Vater hatte stets betont, wie stolz er darauf war, sich bei seinen Dienstboten um gleich mehrere Generationen kümmern zu dürfen, und sie wollte niemanden fortschicken und damit im Stich lassen müssen.
Vexley musste im Grunde nicht mehr machen, als um den Tisch herumzukommen und so zu tun, als würde sich etwas Unsittliches zwischen ihnen abspielen. Sollte zufällig ein Kolumnist dieses Geschehen durch das Fenster verfolgen und darüber berichten, wäre Camillas Leben und alles, wofür sie so hart gearbeitet hatte, ruiniert.
Ein eisiger Finger der Angst strich ihr über den Rücken.
Dieser Lord, der hier vor ihr stand, hatte keine Skrupel, jemanden zu erpressen, und es könnte durchaus sein, dass er entschlossen genug war, um ihr auch eine Ehe aufzuzwingen. Dann würde sie bis ans Ende ihres Lebens seine Spielfigur sein.
Auf einmal griff Vexley nach ihrer Hand und hauchte ihr einen keuschen Kuss auf die Fingerknöchel. Diese Berührung jagte ihr einen leichten Schauder über die Schultern, was er als Anzeichen der Lust missverstand. Seine Pupillen weiteten sich, und seine Mundwinkel zuckten nach oben. Er hielt eindeutig viel zu viel von seinen Verführungskünsten.
»Wie ich sehe, seid Ihr meinem Charme erlegen. Lasst uns diese Unterhaltung ein anderes Mal fortführen. In zwei Tagen richte ich eine verschwenderische Abendgesellschaft aus, um meinen kürzlich erworbenen Schatz vorzuzeigen. Erwartet meine Einladung.«
Bevor ihr eine brauchbare Ausrede einfiel, machte Vexley auf dem polierten Absatz kehrt und verließ die Galerie.
Das Klingeln der Türglocke war das einzige Anzeichen dafür, dass er wirklich hier gewesen war und es sich nicht nur um einen verdammten Albtraum gehandelt hatte.
Er wollte Lady Camilla Vexley aus ihr machen. Gott schütze sie.
Sie verbannte die Schreckensvorstellung aus ihren Gedanken und warf einen Blick auf die Uhr. Glücklicherweise war es beinahe Zeit für das Abendessen mit ihrer besten Freundin Lady Katherine Edwards und Camillas geliebter Katze Bunny, auf die Katherine achtgab, wenn Camilla in der Galerie war.
Kitty war während Camillas dunkelster Stunden für sie da gewesen. Sie war ihr Leitbild und ihre Befürworterin, was Camillas Stellung in der vornehmen Gesellschaft betraf, und sie sorgte dafür, dass Camilla die richtigen Bälle und gesellschaftlichen Anlässe besuchte, ungeachtet ihrer finanziellen Schwierigkeiten. Sie fungierte nicht nur, wenn nötig, als Camillas Anstandsdame, sie war darüber hinaus auch die treueste Freundin, die Camilla jemals gehabt hatte, und sie war ihr für so vieles zu Dank verpflichtet. Sie wusste nicht, was ohne Kitty aus ihr geworden wäre.
Um sich die letzte halbe Stunde zu vertreiben, bevor sie die Galerie schließen konnte, kehrte sie zu ihrem Gemälde zurück. Sich in ihrer Kreativität zu verlieren war jetzt genau das, was sie brauchte, um Vexleys absurden Antrag zu vergessen.
Sie versuchte, eine Welt zu malen, die sie immer wieder in ihren Träumen sah. Eine Welt, regiert vom Winter in all seiner schonungslosen, tödlichen Schönheit.
Gerade als Camilla zu ihrer Leinwand zurückgekehrt war, ihren Pinsel zur Hand genommen und sich gesetzt hatte, erklang die Glocke ein weiteres Mal. Dieses Mal hätte sie fast ihren Pinsel zerbrochen.
Wie konnte er es wagen, noch einmal zurückzukommen, um sie weiter zu nötigen.
Sie schloss die Augen und betete, eine bisher ungeahnte Stärke möge in ihr aufsteigen und sie davor retten, einen Mord zu begehen. Mit achtundzwanzig Jahren war sie einfach viel zu jung, um in eine Zelle gesperrt oder dafür geköpft zu werden, diesen intriganten, arroganten Mistkerl an Ort und Stelle erwürgt zu haben.
»Ich entschuldige mich für jede unbeabsichtigte Beleidigung«, sagte sie, ohne von ihrer Leinwand aufzublicken, »aber ich bin nicht auf der Suche nach einem Ehemann, Mylord. Bitte geht einfach.«
Es verging ein Augenblick der Stille. Mit ein bisschen Glück würde sich Vexley von ihrem scharfen Ton abschrecken lassen, sich umdrehen und zu irgendeiner weit entfernten Stadt am anderen Ende der Welt aufbrechen.
»Tja, das ist doch eine Erleichterung, da ich nämlich auf der Suche nach einem Gemälde und nicht nach einer Ehefrau bin.«
Eine tiefe, grollende Stimme, die Camilla sofort von ihrem Hocker hochfahren ließ, um zu sehen, zu wem sie gehörte. Überrascht teilten sich ihre Lippen.
Der Mann, der in der Tür stand, war ganz eindeutig nicht Vexley.
Einen Moment lang verschlug es Camilla die Sprache, während sie den Blick über den dunklen Fremden schweifen ließ.
Dieser Mann war groß, sein Haar schwarz, doch im flackernden Kerzenlicht zeigte es einen braunen Schimmer. Seine Gestalt war zwar schlank, aber Camilla erkannte durchaus, wie fest sein Körper wirkte, als er weiter in die Galerie hineinging. Seine Kleider waren maßgeschneidert und zeigten das Spiel seiner Muskeln.
Er ging nicht einfach, er pirschte sich an.
Unwillkürlich überfiel Camilla das Gefühl, sie befände sich in Gegenwart eines Jaguars – eines geschmeidigen Raubtiers, dessen Anziehungskraft man sich nicht entziehen konnte, auch dann nicht, wenn es einem nahe genug kam, um zu beißen.
Seine Augen wiesen ein einzigartiges, wunderschönes Smaragdgrün auf, und jetzt trat ein Funkeln in seinen Blick, als wüsste er genau, welche Richtung ihre Gedanken eingeschlagen hatten, und als würde ihm die Vorstellung gefallen, seine Zähne in ihr Fleisch zu schlagen.
Ob er dies aus reinem Vergnügen tun würde oder um ihr einen Hauch von Schmerz zu bereiten, konnte sie nicht entscheiden. Wenn das sündige Aufflackern jedoch ein Hinweis war, würde sie auf Letzteres tippen. Was wiederum bedeutete, dass er ziemlich gefährlich war. Trotzdem war es keine Angst, die ihr Herz so wild pochen ließ, während er immer näher kam und sie fast gelangweilt mit seinen Blicken verschlang, als hätte er jedes Recht dazu.
Dieser Mann nahm allen Raum um sich herum ein, was auch für ihre Aufmerksamkeit galt. Camilla musste feststellen, dass sie den Blick einfach nicht abwenden konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Nicht dass sie sich in diesem Punkt sonderlich große Mühe gab.
Er war nicht einfach nur gut aussehend, er war atemberaubend. Sein Gesicht eine Studie feiner Gegensätze, bei deren Anblick ihre Finger zuckten vor Verlangen, die harten, gemeißelten Züge zu zeichnen, den weichen Schwung seiner Lippen und diese juwelenfarbenen Augen, die von seinem Bronzeteint noch unterstrichen wurden. Sie wollte dieses teuflische Glimmen für immer auf die Leinwand bannen.
Seine Schönheit war kalte Unbarmherzigkeit mit echter Schärfe. Eine geschliffene Klinge, die einem in ihrer Tödlichkeit Ehrfurcht abnötigte. Er würde ein wunderbares Porträt abgeben, eines, das unter den Frauen in Adelskreisen einen ziemlichen Aufruhr verursachen könnte.
Ihre Wangen wurden heiß wegen dem, was sie gerade übers Heiraten gesagt hatte, und sie konnte nur hoffen, dass es mittlerweile zu dunkel im Raum war, um die Röte, die ihr ins Gesicht stieg, zu bemerken.
Ein Anflug von Belustigung kräuselte seinen sinnlichen Mund und verriet ihr, dass er ihre Beschämung durchaus erkannt hatte.
Wenn er ein Gentleman war, würde er diesen Moment jedoch ohne Kommentar verstreichen lassen.
»Ihr seid Miss Camilla Elise Antonius, wie ich annehme.«
Dass er ihren zweiten Vornamen kannte, kam ihr seltsam vor, doch während er ihre Erscheinung ein weiteres Mal ziemlich intensiv musterte, konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen.
Niemand hatte sie jemals so unverwandt betrachtet – als wäre sie sowohl die wunderbarste Antwort als auch ein ganz besonders vertracktes Rätsel.
»Das ist richtig, Sir. Wie kann ich Euch helfen?«, fragte sie, als sie ihre Stimme endlich wiedergefunden hatte.
»Ich bin gekommen, um die Details eines Auftrags zu besprechen, den ich Euch gern erteilen würde«, erklärte er, und seine Stimme war wie warmer Honig, der über ihr zerschmolz. »Allerdings habt Ihr mich fasziniert, Miss Antonius. Heißt Ihr so alle Eure Kunden willkommen oder nur diejenigen, die Ihr besonders anziehend findet?«
Nur diejenigen, die ich besonders lästig finde, dachte sie ärgerlich, als der Bann, unter dem sie gestanden hatte, endlich brach.
Camilla biss sich auf die Zunge, um sich nicht unverhohlen über seine Arroganz zu äußern.
Sie hatte sich geirrt. Er war kein Jaguar, er war ein Wolf.
Was bedeutete, dass er auch nur ein weiterer arroganter Aristokratenköter war, den sie an diesem Abend loswerden musste.
»Sind das die Vorgaben?«, fragte sie und nickte zu einem jagdgrünen Stück Papier hinüber, das er in der Hand hielt.
Ihr Ton war so kühl wie die Herbstluft draußen, woran sich der Gentleman jedoch nicht zu stören schien. Falls überhaupt, trat ein fasziniertes Flackern in diese undurchdringlichen Juwelenaugen.
Schweigend hielt er ihr das Pergament hin, wobei er sich jedoch nicht von seiner Position vor ihrem Tisch fortbewegte.
Camilla zögerte. Er ließ sie zu ihm kommen.
Dies war entweder ein subtiler Hinweis darauf, dass sie ihm trauen konnte, oder ein kalkuliertes Manöver, um ihr seinen Willen aufzuzwingen. Angesichts des gefährlichen Schwungs seines Munds und der kalten Berechnung in seinen Augen hatte es vermutlich etwas mit Macht zu tun.
Hier stand ein Mann, der die Kontrolle behalten wollte. Camilla dachte darüber nach, ihn hinauszuwerfen oder zurechtzustutzen, und sein Wolfsgrinsen wurde breiter, der Blick spöttisch.
»Im Gegensatz zu einem Heiratsantrag ist dies doch eine eher schlichte Bitte.« Unentwegt hielt er ihren Blick. »Kommt. Schaut es Euch an.«
Sagte der Wolf im Schafspelz.
Camilla bezweifelte, dass irgendetwas an diesem Mann schlicht sein konnte, doch sie ging trotzdem zu ihm. Je schneller sie erfuhr, was er wollte, desto eher konnte sie seinen dunklen, geheimnisvollen Hintern wieder an die Luft setzen und ihn – und sein sündiges Lächeln – loswerden.
Es gab nur wenig, was dem Fürsten des Neids so viel Genugtuung verschaffte wie das Wissen, einen strategischen Schachzug ausgeführt zu haben.
Glücklicherweise, dachte er, während er das Papier auf den alten Tisch legte und es vorsichtig, damit es nicht einriss, zu ihr hinüberschob, war heute ein solcher Tag. Er war der Auflösung seines zweiten Hinweises einen Schritt näher gekommen.
Nach dem, was er aus seinen knappen Beobachtungen in Waverly Green schloss, wurden die Frauen in dieser Welt dazu erzogen, den Männern zu Diensten zu sein. Er zweifelte nicht daran, dass Miss Antonius das Gemälde bis zum Ende der Woche beendet haben würde. Er musste dafür nicht mehr tun, als hereinzumarschieren und diesen Raum für sich einzunehmen, und schon würde sie tun, was er verlangte.
Die Frau, die ihm nun mit zu Schlitzen verengten Silberaugen gegenüberstand, las das Papier, wobei ihre Mundwinkel immer weiter herabsanken. Ihre Beschämung hatte sich rasch in Ärger verwandelt.
Das Gefühl, das über seine Haut prickelte, war noch nicht ganz das Stechen der Wut, aber wenn er sich ein wenig anstrengte, würde er sie sicher so weit kriegen. Da dies jedoch die Lieblingssünde seines Bruders Wrath war, wollte er nichts mit Camillas Zorn zu schaffen haben.
»Seht Ihr?«, fragte er, und sein Ton war trügerisch beiläufig wie immer, auch wenn er sich innerlich ganz und gar nicht so fühlte. Sein Herz hämmerte immer kräftiger gegen seine Rippen, je länger die Künstlerin seine Notiz anstarrte. Sie reagierte nicht auf die Weise, die er erwartet hatte.
Als sie schließlich aufsah, schenkte er ihr sein sündigstes Lächeln.
Sie hob eine Braue, offenbar nicht sonderlich beeindruckt.
Tja, dann würde er eben direkt zur Sache kommen.
»Wie versprochen ist es eine ziemlich simple Anfrage, Miss Antonius. Ich möchte ein Gemälde von einem Thron. Strahlend rein auf der einen und flammenlodernd auf der anderen Seite. Wenn Ihr diesen Auftrag zu meiner Zufriedenheit ausführt, habe ich noch einen zweiten für Euch.«
Die zierliche Künstlerin reichte ihm das Papier umsichtig zurück, dann wischte sie sich die Hände an ihrem Arbeitskittel ab, als hätte das Gelesene sie auf widerwärtige Weise beleidigt.
Sein Blick wurde angesichts dieser unerwarteten Bewegung schärfer, und gleichzeitig zuckte seine Hand zu dem smaragdbesetzten Dolch, den er immer unter seinem Jackett trug.
Wrath mochte der Fürst des Kriegs sein, doch Envy konnte ebenfalls mit Leichtigkeit eine Waffe führen, und jede plötzliche Bewegung versetzte den Krieger in ihm in Bereitschaft, ganz gleich, wie banal oder potenziell gefährlich sie erschien.
Miss Antonius wiederholte die Geste, und Envy zwang sich dazu, sich zu entspannen und sie richtig zu betrachten, wobei ihm auffiel, dass Camilla mit ihrem schimmernden Silberhaar und den einzigartigen Augen alles andere als banal war.
Tatsächlich fiel ihm bei weiterer Musterung unwillkürlich auf, dass ihr Mund herzförmig war und dass er, wenn er sie malen würde, genau diese Form wählen würde, um ihren Mund auf die Leinwand zu bannen. Die sanften Schwünge und Formen ihrer Ober- und Unterlippe waren wunderbar ausbalanciert, und ihr Amorbogen war eine Studie der Perfektion.
Ohne zu ahnen, dass sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte, biss sich Camilla auf die Unterlippe, während sie an ihren Kleidern herumzupfte.
Dieser Mund war voll und verführerisch und lud seinen Blick ein, während sich seine Gedanken um alle möglichen sündigen Einfälle spannen. Er war so fokussiert auf seinen immer schwächer werdenden Hof, auf das Spiel und den Fluch zuvor gewesen, dass er an nicht viel anderes gedacht hatte.
Verlockung und Sünde waren das, was ihn antrieb, und offenbar hatte er beides viel zu lange vernachlässigt. Sein Bruder Lust würde sich freuen.
Sofort pfiff er seine Fantasie zurück, die einen Pfad hatte einschlagen wollen, dem er nicht zu folgen gedachte. Stattdessen sah er, wie Camilla leicht das Gesicht verzog, als ihr auffiel, dass sie noch immer ihren groben Arbeitskittel trug, dann löste sie die Schnüre um ihre Taille, zog sich das farbverschmierte Ding herunter und schob es unter den Tresen.
Kühl sah er sie an.
»Wann könnt Ihr mit der Arbeit beginnen? Es handelt sich um einen Auftrag mit einer gewissen Dringlichkeit, Miss Antonius.«
»Bitte entschuldigt, aber ich muss Euren Namen überhört haben, Lord …«
Kluge Frau. Ihre Befragung war subtil. Angesichts seines feinen Anzugs und der geschliffenen, kultivierten Wahl seiner Worte hatte sie bereits darauf geschlossen, dass blaues Blut in seinen Adern floss.
Was wusste sie schon davon, dass er kein Mensch und kein einfacher Lord war, sondern einer der sieben regierenden Fürsten der Hölle?
In einigen der Menschenwelten waren sie als die Wicked bekannt – ein Name, den sie sich durch Jahrhunderte währende sündige Spiele und Ausschweifungen verdient hatten.
Und ein solches Spiel spielte er auch jetzt, nur dass es für ihn noch nie einen so hohen Einsatz gegeben hatte.
»Lord Ashford Synton. Aber jene, die mich kennen, nennen mich einfach Syn.«
Was natürlich gelogen war, und es würde die erste von vielen Lügen sein, nun, da er tatsächlich lügen konnte.
»Nun, Lord Synton«, erklärte sie, wobei sie nachdrücklich seinen vollen Namen aussprach, um zu verdeutlichen, dass sie nicht zu seinen Bekanntschaften zählte. »Ich muss diesen Auftrag leider ablehnen, nehme jedoch gern einen anderen an.«
»Wie bitte?«
Seine Augen wurden schmal. Nie hätte er sich vorstellen können, dass sie seinen Auftrag tatsächlich ablehnen würde.
Er brauchte dieses Gemälde, um den nächsten Hinweis zu entschlüsseln.
Und wenn man an den vorherigen Hinweis dachte, der sich in seinem Thronsaal gezeigt hatte, musste sie diejenige sein, die dieses Gemälde schuf. Alice lila Sam bedeutete Camilla Elise. Er hatte immer noch nicht herausgefunden, warum gerade sie es sein musste, aber auf diese spezielle Frage würde er schon bald eine Antwort bekommen.
Envys Spione gruben derzeit alles aus, was sie über die Künstlerin finden konnten, und was auch immer sie für ein Geheimnis hütete, es würde ihm nicht lange verborgen bleiben.
Bis zum Ende der Woche würde Envy über jede ihrer Sünden, über jedes Laster und jede Tugend Bescheid wissen, und dann würde er dieses Wissen nach Strich und Faden ausnutzen. Jeder wollte irgendetwas, und er würde Miss Antonius mit Freuden den Preis zahlen, den sie verlangte.
Sie nickte in Richtung des Papiers.
»Ihr werdet jemand anderen finden müssen, der das da für euch malt, Mylord.«
»Das werde ich nicht. Ihr seid die Beste, was genau der Grund dafür ist, dass ich in diese … Einrichtung gekommen bin.«
Er sah sich in der Galerie um. Auf dem Holzschild, das vor der Tür leicht in der Brise schwang, stand »Wisteria Way«. Es war handgemalt, aber elegant und ganz und gar charmant.
Von außen war es ein schlichtes steinernes Cottage, überwuchert von rankenden Glyzinien – was den Straßennamen erklärte –, die über die Eingangstür herabhingen. Etwas so Idyllisches würde man in einem provinziellen Dorf vermuten. Ein provinzielles Dorf, das man mitten in das Herz eines lebenssprühenden Künstlerviertels gesteckt und zwischen zwei große und weniger einladend wirkende Gebäude gequetscht hatte.
Von innen wirkte es eher wie eine Geheimkammer, in der man von Mysterien wisperte und heimliche Treffen abhielt.
Dunkle Teppiche lagen auf den breiten Holzdielen, und die Wände waren mit dunklen jagdgrünen Tapeten verkleidet. Gemälde und Zeichnungen in jeder Größe hingen in goldenen Rahmen, und Skulpturen und Statuen hielten in den dunklen Ecken Wache.
Auf einem winzigen runden Tisch in dem Alkoven, in dem sie bei Kerzenschein gemalt hatte, standen diverse Gefäße mit benutzten Pinseln in jeder nur vorstellbaren Größe und Form. Das Wasser darin bildete eine sumpfige Palette ausgewaschener Farben.
Ihre Leinwand stand von der Tür abgewandt, und er fragte sich, woran sie wohl gerade arbeitete. Alles andere in der Galerie war mit größter Umsicht positioniert worden, um die Kunst im besten Licht zu zeigen. Es war alles äußerst faszinierend. Und ganz anders, als er erwartet hatte.
Was auch für die Frau vor ihm galt, die, wie er begriff, ihn ebenso genau musterte wie er ihre Galerie.
»Ich habe Euch noch nie bei einem gesellschaftlichen Anlass gesehen oder davon gehört, dass irgendwo Euer Name erwähnt wurde, Lord Synton. Seid Ihr zu Besuch in dieser Gegend?«
Er spürte einen verärgerten Stich. Seit zwei Wochen hielt er sich nun schon an diesem reichlich prosaischen Ort auf und restaurierte ein altes Herrenhaus, von dem aus man einen Blick über die ganze verdammte Stadt hatte. Mittlerweile musste ihr doch zumindest irgendein Gewisper über seine Ankunft zu Ohren gekommen sein. Er brachte ein angespanntes Lächeln zustande.
»Fürs Erste habe ich nicht vor, diese Stadt wieder zu verlassen, Miss Antonius.«
Was der Wahrheit nahekam. Envy war auf alles vorbereitet – vielleicht würde es länger als erwartet dauern, bis Miss Antonius den Verfluchten Thron gemalt hatte, oder vielleicht würde ihn auch der nächste Hinweis noch eine Weile hier halten.
Natürlich wollte er außerdem eine Basis haben, von der aus er die Dinge im Blick behalten konnte – wenn das Spiel ihn hierhergeführt hatte, dann würden vielleicht bald weitere Spieler folgen. Oder schlimmer, möglicherweise waren sie längst hier.
»Tja, dann, willkommen. Ich kann Euch gern an jemanden weiterempfehlen, der Euch helfen kann.«
Envy merkte, dass sich ihre Emotionen leicht verändert hatten. Während er ihre Verärgerung immer noch klar und deutlich wahrnahm, spürte er außerdem noch eine Art anschwellende Flut: Ungeduld.
Er konnte sich nicht einmal vorstellen, dass sich irgendjemand durch seine Gegenwart gestört fühlen könnte.
Vielleicht hätte er doch auf seinen Bruder hören sollen, der lächerlicherweise vorgeschlagen hatte, er solle Camilla bezirzen. Wenn er mit ihr flirtete, konnte sie ihn doch unmöglich so unverhohlen abweisen.
Innerlich loderte er. Die meisten Menschen zeigten eine ganz andere Reaktion auf ihn und seinesgleichen. Dämonenprinzen verfügten über ein gewisses dunkles Charisma, das andere anzog. Einige glaubten, es läge an ihrer Macht über ihre Sünden. Er war davon überzeugt gewesen, dass sie ihm verfallen würde, ohne dass er sich dafür sonderlich oder überhaupt anstrengen musste.
Er versuchte, seine Verstimmung aus der Stimme herauszuhalten.
»Ist es eine Frage der Bezahlung?«, fragte er. »Nennt Euren Preis.«
»Ich versichere Euch, es hat nichts mit Geld zu tun, Mylord.«
Trotzig hob sie das Kinn. Envy wusste verdammt genau, dass sie nicht in der Position war, einen so lukrativen Auftrag abzulehnen.
»Kann ich Euch sonst noch mit irgendetwas behilflich sein, oder möchtet Ihr lieber aufbrechen?«, fragte sie. »Ich fürchte, Ihr seid zu einem ungünstigen Zeitpunkt hier erschienen, da die Galerie nun schließt.«
»Vielleicht.«
Envy überlegte, ob er ihre aufgebrachte Stimmung mit einem Hauch seiner Sünde beeinflussen sollte, entschied sich aber dagegen. Fae-Spiele waren knifflig. Die Spieler durften keine Magie einsetzen, um zu gewinnen. Was für faire Voraussetzungen sorgte und die Unsterblichen praktisch zu einfachen Menschen machte. Envy würde lieber verbrennen als einzuräumen, wie sehr ihn diese Herausforderung normalerweise begeisterte. Doch dies waren nun mal keine normalen Umstände.
Damit er im Spiel weiterkam, musste sich Camilla aus freien Stücken dazu entschließen, dieses Gemälde für ihn anzufertigen.
Und zwar bald.
»Darf ich mich erkundigen, warum Ihr meinen Auftrag ablehnen wollt?«, fragte er, sorgfältig darauf bedacht, freundlich zu bleiben.
»Natürlich.« Ihr Lächeln war so scharf wie der Dolch, den er an seiner Hüfte verbarg. »Ich lehne es ab, irgendein verfluchtes Objekt zu malen. Und, korrigiert mich bitte, falls ich mich irre, Mylord, aber der Verfluchte Thron gehört zu den mächtigsten derartigen Gegenständen.«
Auf einmal sah Envy sie in einem ganz anderen Licht. »Was weiß eine Frau Eures Standes von verfluchten Objekten?«
»Genug, um es abzulehnen, damit in Berührung zu kommen.«
Endlich trat Miss Antonius hinter ihrem Tisch hervor und rauschte an ihm vorbei zur Tür, wo sie ihre unbehandschuhten Finger um den Kristallknauf schloss. Farbspritzer überzogen ihre Haut wie bunte Sommersprossen.
»Vielleicht solltet Ihr dem dunklen Markt in der Silverthorne Lane einen Besuch abstatten. Dort weiß man über diese bestimmte Richtung der Kunst sicher mehr als ich.«
Damit zog sie die Tür auf, und das Klingeln der Glocke hatte etwas Endgültiges. Der Fürst des Neids wurde kurzerhand auf die Straße gesetzt.
Blinzelnd sah er auf diese kleine Teufelsbrut vor ihm hinab, während ihr Lächeln sogar noch zuckriger wurde.
»Vielleicht möchtet Ihr Euch ein bisschen beeilen, Mylord.« Sie sah in den dunkler werdenden Himmel hinaus, und ihre silbernen Iriden waren wie Blitze vor den Sturmwolken. Ein wunderschönes Omen drohender Verdammung. »Es scheint, als würde es bald regnen.«
Ein Donnergrollen unterstrich ihre Warnung, und bevor er wusste, wie ihm geschah, stand Envy auch schon auf der Straße, und die pittoreske Tür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen und verriegelt.
Zwei Sekunden später erloschen die Kerzen, und die Galerie blieb in völliger Dunkelheit zurück.
Murmelnd verfluchte Envy jeden Heiligen, der ihm einfiel, als die ersten dicken Regentropfen seine Schultern sprenkelten. Dann hörte er das Scharren eines Stiefels, woraufhin sein Begleiter düster lachend aus den Schatten trat.
»Du marschierst also einfach rein, ja?«, fragte der Fürst des Stolzes, wobei seine Augen ein lästig strahlendes Silber im Dunkel der Nacht angenommen hatten. Sein kastanienbraunes Haar war zerzaust, als hätte eine stürmische Geliebte hindurchgestrichen. »Ganz einfach.«
Envy versetzte seinem Bruder einen mörderischen Blick. »Wolltest du nicht im Pub warten?«
»Ich habe meine Meinung geändert.« Pride zuckte mit den Schultern. »Ich wollte ein bisschen Unterhaltung. Wie ist das, wenn einem jemand die eigene Männlichkeit auf dem Silbertablett serviert?«
»Nicht jetzt.«
Envy überquerte die Straße und steuerte die nächstbeste Markise an, um sowohl dem drohenden Gewitter als auch seinem verdammten Bruder zu entgehen. Seine nonchalante Maske geriet ins Rutschen.
»Genau jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, um dir zu verdeutlichen, wie jämmerlich dein Plan war«, gab Pride zurück und fiel neben ihm in Schritt, die Hände tief in die Hosentaschen geschoben. »Da war ja sogar Lusts Idee noch besser.«
»Andere Ideen hat Lust nicht.«
»Na und? Funktioniert ja auch immer.«
Envy knirschte mit den Zähnen.
»Also, Lord Syn.« Es klang noch immer gedehnt, doch nun lag auch eine gewisse Schärfe in Prides Stimme. »Willst du mir nicht erklären, wie zum Henker du es fertiggebracht hast zu lügen?«
»Eigentlich nicht.« Envy fühlte sich nicht in sonderlich großmütiger Stimmung. »Solltest du nicht lieber nach Hinweisen über Lucias Verbleib suchen?«, fragte er stattdessen. »Vielleicht bist du ja gar nicht so krank vor Liebeskummer, wie du jedem weismachen willst.«
Ein Schlag unter die Gürtellinie, doch Envy musste seinen Bruder loswerden, bevor dieser die Risse in seiner Rüstung bemerkte. Wenn er es hätte riskieren können, die gewaltige Macht aufzurufen, die es erforderte, seine Flügel zu beschwören, dann hätte er sich einfach in den Himmel hinaufgeschwungen und seinen Bruder zurückgelassen. Wie die Dinge jedoch standen, musste Envy auf dem Boden bleiben, bis er dieses gottverdammte Spiel gewonnen hatte und seine Magie voll wiederhergestellt war.
Alle Leichtigkeit wich aus dem Gesicht seines Bruders bei der Erwähnung seiner verschwundenen Gefährtin. Pride presste die Lippen fest aufeinander, wobei die alte Narbe wieder sichtbar wurde, die seine Unterlippe teilte. Meistens gab sich Pride als betrunkener Wüstling, besessen von Glanz und Glitzer. Frivol und egoistisch. Nichts schien ihm etwas zu bedeuten außer hübscher Liebhaberinnen, Feste und Spiele.
Envy, der König der Masken, wusste jedoch, dass dies nur falsche Identitäten waren, die sein Bruder wie Mäntel trug. Pride war viel berechnender, als er zu erkennen gab. Seine Geheimnisse waren so tiefgreifend, dass es bisher nicht einmal Envys besten Spionen gelungen war, sie alle zu ergründen.
»Jetzt werd nicht gleich zickig, nur weil ich recht habe«, knurrte Pride eisig. »Ich habe dir gesagt, du sollst ihr erst ein bisschen den Hof machen, bevor du sie darum bittest, den Thron für dich zu malen. Warum sonst sollte sie einem Fremden bei etwas so Gefährlichem helfen? Versetz dich mal in ihre Lage – würdest du das riskieren?«
Envy gab ein Brummen von sich, und Pride musterte ihn.
»Wrath hat ja gesagt, dass du ein miserabler Stratege bist, was du gerade selbst bewiesen hast.«
Envy schluckte eine scharfe Entgegnung hinunter. Wrath und Emilia hatten sein Haus der Sünde vor etwa einem Monat besucht, und es war ihm gerade noch gelungen, vor ihnen zu verbergen, dass sein Hof langsam dahinschwand. Glücklicherweise waren die schlimmsten Symptome von einem kürzlich gebrochenen Fluch in Schach gehalten worden.
Pride missverstand sein Schweigen als stille Nachdenklichkeit.
»Wenn du dich von Camilla derart abgestoßen fühlst, könnte vielleicht einer unserer Brüder sie für dich verführen«, schlug er vor. »Lust oder Gluttony helfen dir sicher gern aus. Vielleicht würden sie sich sogar zusammentun, wenn man sie nett darum bittet.«
»Du selbst bietest deine Dienste nicht an«, schloss Envy, wobei er seinen Bruder nicht aus den Augen ließ.
Zornig funkelte Pride ihn an, hielt jedoch endlich den Mund.
Envy warf einen Blick zurück zur Galerie, und wieder sprudelte Verärgerung in ihm hoch.
Selbst in diesem trostlosen Sturm hatte das Gebäude noch etwas Außerweltliches an sich, etwas Verzauberndes. Ganz so wie die verflixte Frau, der es gehörte.
Es wäre keine Zumutung, wenn er so tun müsste, als würde er ihr den Hof machen. Allerdings gab es wirklich schon genug, worauf er sich konzentrieren musste, ohne dass noch eine weitere Ablenkung dazukam. Die Brautwerbung der Sterblichen strotzte nur so vor geistlosen Regeln und ermüdenden Tänzen auf Bällen. Er hatte keine Lust darauf, herumzupromenieren, damit sich andere darüber das Maul zerreißen konnten.
Er musste ein Spiel gewinnen. Und er hatte schon zu viel Zeit verloren.